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27.11.2012 Aufrufe

Editorial Scharpings Kartoffeln und die Mediendemokratie Es war vor jenem 11. September, als Rudolf Scharping über seine Partnerschaft mit Gräfin Pilati verbreiten ließ: „Es wird keiner von uns beiden zu Hause sitzen, Kartoffeln schälen, Wäsche waschen und darauf warten, daß der andere endlich kommt.“ Zum Glück für den Verteidigungsminister, der Mallorca unterbrechen und in den Krieg ziehen mußte, ist keines der Medien auf diese familienfeindliche Entgleisung zurückgekommen: Nicht auf die Flugbereitschaft, die ihn nicht zu Hause sitzen ließ, sondern direkt in das Liebesnest beförderte; nicht auf das Kartoffelschälen seiner Ehefrau, die ihm drei Kinder geboren und aufgezogen hat; nicht auf die schmutzige Wäsche, die ungewaschen blieb, weil die Öffentlichkeit darauf wartete, daß endlich etwas anderes kommt. Es kam der 11. September (der nebenbei auch noch die sozialpolitische „Faulenzer“-Debatte überschattete und damit beendete) nicht nur als Macht der Ereignisse über uns, sondern als Übermacht der Medien und der Bilder. Wir und die Terroristen haben vielleicht nur zu viele apokalyptische Hollywood-Filme konsumiert. Einerlei ob im wirklichen Leben oder in der Fiktion, wir sehnen uns nach starken und immer stärkeren Reizen. Gegen internetbewaffnete terroristische Schwarmgeister hilft schließlich nur noch das Militär. Die ultima ratio wird zum ersten Gedanken. Und die moderne Aufklärung unter der Patronage der elektronischen Massenmedien ist kaum mehr in der Lage, sich an die Errungenschaften der mittelalterlichen Lehre vom „gerechten Krieg“ zu erinnern. Seit Erfindung der Buchdruckerkunst gehört freilich die Klage über den Machtmißbrauch und die Unmoral der Medien zu den Pflichtübungen jeder Kulturkritik. Bekannt sind vor allem die Wehklagen der Päpste über den von der Presse besorgten Verfall von Religion und Sitte. Weniger bekannt hingegen sind die radikalen pressekritischen Äußerungen, die aus dem 19. Jahrhundert von Arthur Schopenhauer, Richard Wagner und Sören Kierkegaard überliefert sind. Im letzten Jahrhundert war es vor allem Karl Kraus, der der Presse einen unerbittlichen Kampf ansagte. Seine polemisch-satirischen Abrechnungen mit der liberalen, zu allen Schandtaten fähigen „Journaille“ durchziehen sein gesamtes Lebenswerk, haben literarisch Schule gemacht und ihre reinigende Wirkung auf den journalistischen Sprachstil und Anstand nicht ganz verfehlt. Aus heutiger Sicht erscheint es allerdings reichlich übertrieben, in der Presse den Inbegriff des Kulturverfalls zu erblicken - oder sie sogar für die Entstehung von Kriegen verantwortlich zu machen, wie es Kraus mit Blick auf den ersten Weltkrieg und die „Letzten Tage der Menschheit“ getan hatte. Im elektronischen Zeitalter hat Kraus keinen ebenbürtigen Nachfolger gefunden. Aber seinen Spuren folgt auf soziologischen Wegen Neil Postman, der im Umgang mit der amerikanischen Fernsehwirklichkeit zu einer äußerst kulturpessimistischen Einschätzung der Medienwirkung gekommen ist. Schon die Titel 402

seiner bekanntesten Bücher („Das Verschwinden der Kindheit“, „Wir amüsieren uns zu Tode“) sprechen aus, für wie böse er die Macht des Fernsehens hält. Kritiker werfen ihm maßlose Übertreibung vor und verweisen auf die ambivalenten Ergebnisse der empirischen Medienwirkungsforschung, die noch in den Kinderschuhen steckt. Inzwischen wird darüber gerätselt, wie stark die Bild-Medien in Form und Inhalt auf die Politik abfärben. Für Gerhard Schröder entscheidend sind „Glotze und Bild-Zeitung“. Als Repräsentant der Mediendemokratie weiß er, daß es nicht mehr auf Kirchen, Wirtschaftsverbände und soziale Bewegungen ankommt, sondern diese nur dann politisches Gewicht erhalten, wenn sie sich von den Massenmedien ins rechte Bild setzen lassen und dabei eine gute Figur machen. Noch vor jeder Prüfung inhaltlicher Botschaften, die das Fernsehen verbreitet, muß in Frageform angenommen werden: Wird durch das Prinzip „Bild vor Wort“ ein neuer Analphabetismus gefördert? Lähmt die suggestiv-faszinierende Kraft sich bewegender farbiger Bilder die kritische Rationalität? Hängt die gefühlsgeladene, mythenüberfrachtete, magiesüchtige Harry-Potter-New-Age-Bewegung mit einem übersteigerten Fernsehkonsum zusammen? Überlagert das kurzweilig Unterhaltende die Information? Wird Sachbezogenheit durch Personalisierung ersetzt, Gründlichkeit durch Schnelligkeit zunichte gemacht? Führt es zu einer oberflächlichen Ästhetisierung der Politik, wenn nur telegene Politiker zum Zuge kommen, die in wenigen Schlagworten sekundenschnell sagen können, worauf es ihnen ankommt? Wird dabei die Nüchternheit dem Zwang zum Dramatisieren geopfert? Geraten Tradition und Geschichtsbewußtsein unter die Räder einer sensationellen Aktualität? Immer mehr wird die Politik auf Fernsehformat zugeschnitten und heruntergebogen: Inszenierung statt Sache, Design statt Sein, Theater statt Textbuch. Die Talkshow wird wichtiger als die Kabinettssitzung. Die Mediendemokratie verheißt Spannung und Spaß und fürchtet nur einen Vorwurf, nämlich langweilig zu sein. Zweifellos eignet sich das Fernsehen bestens zur entmündigenden Manipulation und zur gefühlsduseligen Propaganda. Daß dieses Medium eine gesellschaftliche, ökonomische und politische Macht darstellt, ist kaum zu bestreiten, am wenigsten von denen, die sie organisatorisch und journalistisch handhaben. Aber die Macht- und Moralfrage darf nicht nur an die Medienproduzenten gestellt werden. Ebenso angesprochen ist das verantwortliche Handeln der Medienkonsumenten. Denn das Publikum muß sich nicht alles gefallen lassen. Vor allem aber bedarf es der Medienpädagogik in Kirche, Familie und Schule, damit die Bürger schon von Kindsbeinen an lernen, wie man abschalten und dann auch erfahren kann, daß es jenseits der Fernsehwirklichkeit noch eine andere gibt. Der größte Angriff auf die westliche Zivilisation ist ihre Selbstzerstörung durch Demontage von Ehe und Familie, befördert durch die Medien. Scharping bleibt leider nicht zu Hause sitzen, meinethalben vor dem Fernsehen, sondern sorgt weiter für Spannung. Seine Kartoffeln bleiben ungeschält, seine schmutzige Wäsche ungewaschen. Und wir warten darauf, daß es endlich anders kommt. Wolfgang Ockenfels 403

Editorial<br />

Scharpings Kartoffeln und die Mediendemokratie<br />

Es war vor jenem 11. September, als Rudolf Scharping über seine Partnerschaft<br />

mit Gräfin Pilati verbreiten ließ: „Es wird keiner von uns beiden zu Hause sitzen,<br />

Kartoffeln schälen, Wäsche waschen und darauf warten, daß der andere<br />

endlich kommt.“ Zum Glück für den Verteidigungsminister, der Mallorca unterbrechen<br />

und in den Krieg ziehen mußte, ist keines der Medien auf diese familienfeindliche<br />

Entgleisung zurückgekommen: Nicht auf die Flugbereitschaft, die ihn<br />

nicht zu Hause sitzen ließ, sondern direkt in das Liebesnest beförderte; nicht auf<br />

das Kartoffelschälen seiner Ehefrau, die ihm drei Kinder geboren und aufgezogen<br />

hat; nicht auf die schmutzige Wäsche, die ungewaschen blieb, weil die Öffentlichkeit<br />

darauf wartete, daß endlich etwas anderes kommt.<br />

Es kam der 11. September (der nebenbei auch noch die sozialpolitische „Faulenzer“-Debatte<br />

überschattete und damit beendete) nicht nur als Macht der Ereignisse<br />

über uns, sondern als Übermacht der Medien und der Bilder. Wir und die<br />

Terroristen haben vielleicht nur zu viele apokalyptische Hollywood-Filme konsumiert.<br />

Einerlei ob im wirklichen Leben oder in der Fiktion, wir sehnen uns<br />

nach starken und immer stärkeren Reizen. Gegen internetbewaffnete terroristische<br />

Schwarmgeister hilft schließlich nur noch das Militär. Die ultima ratio wird<br />

zum ersten Gedanken. Und die moderne Aufklärung unter der Patronage der<br />

elektronischen Massenmedien ist kaum mehr in der Lage, sich an die Errungenschaften<br />

der mittelalterlichen Lehre vom „gerechten Krieg“ zu erinnern.<br />

Seit Erfindung der Buchdruckerkunst gehört freilich die Klage über den Machtmißbrauch<br />

und die Unmoral der Medien zu den Pflichtübungen jeder Kulturkritik.<br />

Bekannt sind vor allem die Wehklagen der Päpste über den von der Presse<br />

besorgten Verfall von Religion und Sitte. Weniger bekannt hingegen sind die<br />

radikalen pressekritischen Äußerungen, die aus dem 19. Jahrhundert von Arthur<br />

Schopenhauer, Richard Wagner und Sören Kierkegaard überliefert sind. Im letzten<br />

Jahrhundert war es vor allem Karl Kraus, der der Presse einen unerbittlichen<br />

Kampf ansagte. Seine polemisch-satirischen Abrechnungen mit der liberalen, zu<br />

allen Schandtaten fähigen „Journaille“ durchziehen sein gesamtes Lebenswerk,<br />

haben literarisch Schule gemacht und ihre reinigende Wirkung auf den journalistischen<br />

Sprachstil und Anstand nicht ganz verfehlt. Aus heutiger Sicht erscheint<br />

es allerdings reichlich übertrieben, in der Presse den Inbegriff des Kulturverfalls<br />

zu erblicken - oder sie sogar für die Entstehung von Kriegen verantwortlich zu<br />

machen, wie es Kraus mit Blick auf den ersten Weltkrieg und die „Letzten Tage<br />

der Menschheit“ getan hatte.<br />

Im elektronischen Zeitalter hat Kraus keinen ebenbürtigen Nachfolger gefunden.<br />

Aber seinen Spuren folgt auf soziologischen Wegen Neil Postman, der im Umgang<br />

mit der amerikanischen Fernsehwirklichkeit zu einer äußerst kulturpessimistischen<br />

Einschätzung der Medienwirkung gekommen ist. Schon die Titel<br />

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