DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi

DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi DIE NEUE ORDNUNG - Tuomi

web.tuomi.media.de
von web.tuomi.media.de Mehr von diesem Publisher
27.11.2012 Aufrufe

414 Stephan Wirz Unternehmensethik in einer liberalisierten und deregulierten Wirtschaft 1. Das Unternehmen als eigener moralischer Akteur In den letzten 20 bis 30 Jahren ist innerhalb der Wirtschaftsethik eine Akzentverschiebung festzustellen: Dominierten im 19. Jahrhundert und über weite Strecken des 20. Jahrhunderts volkswirtschaftliche Fragestellungen, z.B. die Auseinandersetzung um Kapital und Arbeit, Privat- und Kollektiveigentum (der Produktionsmittel) sowie Markt- und Zentralverwaltungswirtschaft, den wirtschaftsethischen Diskurs, so rükken seit den siebziger (USA) und achtziger Jahren (Europa) betriebswirtschaftliche Probleme in den Blickpunkt des wirtschaftsethischen Interesses. 1 Wohl nicht ganz zufällig ist bei dieser ethischen Akzentverlagerung eine gewisse Gleichzeitigkeit festzustellen sowohl mit der Ende der siebziger Jahre beginnenden „neoliberalen“ Wende in der Wirtschaftspolitik der (westlichen) Industriestaaten als auch mit dem Niedergang des „real existierenden Sozialismus“: Ausgehend von den USA („Reaganomics“) und Großbritannien („Thatcherismus“) setzt sich in den achtziger und neunziger Jahren global eine Wirtschaftspolitik durch, die die Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung der Wirtschaft auf ihr Banner geschrieben hat, um damit den Staatseinfluß in der Wirtschaft zurückzubinden, die Wettbewerbsintensität zu steigern und die Handlungsspielräume der Unternehmen zu erweitern. Damit aber wächst den Unternehmen auch mehr Verantwortung zu – ein Umstand, der durchaus korrespondiert mit der stärker betriebswirtschaftlich, auf das Unternehmen fokussierten Wirtschaftsethik der letzten zwei, drei Jahrzehnte. Entsprechend der amerikanisch-angelsächsischen Herkunft dieser Business und Corporate Ethics- Ansätze steht die Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Unternehmen im Zentrum der ethischen Überlegungen und nicht – wie es europäisch-kontinentaler Tradition entspricht – die Bändigung der neu hinzugewonnenen Handlungsspielräume durch staatliche Regulierungen. Angesichts dieser neueren wirtschaftlichen Entwicklung ist es daher fraglich, ob wirtschaftsethische Ansätze noch genügen können, die das Moralische in der Wirtschaft ausschließlich oder doch überwiegend über die Rahmenordnung sichern wollen. 2 Die Wirtschaftsethik muß zusätzlich das Unternehmen als eigenen moralischen Akteur anerkennen, 3 und von ihrem Selbstverständnis her es als eine ihrer vornehmen Aufgaben ansehen, die Unternehmen, insbesondere deren Management, bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung zu unterstützen. Auf die Herausforderungen, die sich daraus für die theologischen Ethik-Institute ergeben können, wird das letzte Kapitel dieses Aufsatzes noch näher eingehen.

Die strukturethische Ausgestaltung der Rahmenordnung ist trotz Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft selbstverständlich weiterhin notwendig, 4 aber sie ist nicht hinreichend: Notwendig, weil die Rahmenordnung nicht zuletzt die ethischen Mindeststandards für die Unternehmen definiert und damit für alle Unternehmen die gleiche ethische Ausgangslage schafft. Ethisches Verhalten, soweit es von diesen Mindeststandards abgedeckt wird, erweist sich folglich als kostenneutral: Keiner kann sich legal durch Unterbieten dieser Standards einen Kostenvorteil verschaffen. Die strukturethische Ausgestaltung der Rahmenordnung allein ist aber nicht hinreichend: Dies wird deutlich, wenn wir uns vor Augen führen, daß eine marktwirtschaftliche Rahmenordnung letztlich auf die Gewährleistung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Produzenten und Konsumenten abzielt, wie die Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik der letzten Jahre nachdrücklich zeigt. Das heißt aber doch, daß eine auch unter den Prämissen der Ethik noch so gute Rahmenordnung gerade diese Handlungsfreiräume nicht einfangen kann und auch gar nicht einfangen will. Diese Handlungsfreiräume sind aber keineswegs ethisch indifferent. Zugespitzt formuliert: Nicht von der staatlichen Rahmenordnung, sondern von der unterschiedlichen (auch ethischen) Qualität der wahrgenommenen Handlungsfreiheit hängt z.B. das Innenleben eines Unternehmens ab: das kollegiale oder mißgünstige Klima einer Abteilung (Stichwort: Mobbing), das egozentrische oder den Mitarbeitern angemessene Führungsverhalten eines Vorgesetzten, das ethischen Gesichtspunkten Rechnung tragende oder aber sie vernachlässigende Beförderungs- oder Bonussystem eines Unternehmens. Mit diesen Problemstellungen sind die Menschen tagtäglich konfrontiert; hier ergeben sich auch für sie wichtige Anknüpfungspunkte, sich mit Ethik auseinanderzusetzen. 2. Unternehmensethik als integraler Teil der Wirtschaftsethik Die Wirtschaftsethik kann in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung daher nicht ausschließlich auf eine Strukturenethik reduziert werden, sondern sie muß den verschiedenen Handlungsebenen Rechnung tragen und sie in ihren Ansatz integrieren. Hilfreich ist dabei die von Georges Enderle Mitte der achtziger Jahre getroffene Unterscheidung der Handlungsebenen in eine Mikro-, Meso- und Makro-Ebene, 5 womit nicht nur die sehr differenzierten Anforderungen an eine Wirtschaftsethik, sondern auch die unterschiedlichen ethischen Verpflichtungen der Akteure zum Ausdruck kommen: - Die Makro-Ebene ist die Handlungsebene des Staates und der zunehmend bedeutend werdenden supranationalen Institutionen. Sie schaffen die nationalen bzw. internationalen Rahmenordnungen. Hier setzt die Strukturenethik an. Hier ist auch der richtige Ort, den Diskurs über die ethische Rechtfertigungsfähigkeit eines Wirtschaftssystems oder einer (supra)nationalen Wirtschaftsordnung zu führen. 6 - Die Meso-Ebene ist u.a. die Handlungsebene der Unternehmen, die durch entsprechendes normatives, strategis ches und operatives Management ihrer Unternehmensbereiche ihre Wettbewerbsposition sichern bzw. ausbauen wollen. Hier liegt das primäre Aufgabengebiet der Unternehmens-(Organisationen-)ethik. 415

414<br />

Stephan Wirz<br />

Unternehmensethik in einer liberalisierten und<br />

deregulierten Wirtschaft<br />

1. Das Unternehmen als eigener moralischer Akteur<br />

In den letzten 20 bis 30 Jahren ist innerhalb der Wirtschaftsethik eine Akzentverschiebung<br />

festzustellen: Dominierten im 19. Jahrhundert und über weite Strecken des<br />

20. Jahrhunderts volkswirtschaftliche Fragestellungen, z.B. die Auseinandersetzung<br />

um Kapital und Arbeit, Privat- und Kollektiveigentum (der Produktionsmittel) sowie<br />

Markt- und Zentralverwaltungswirtschaft, den wirtschaftsethischen Diskurs, so rükken<br />

seit den siebziger (USA) und achtziger Jahren (Europa) betriebswirtschaftliche<br />

Probleme in den Blickpunkt des wirtschaftsethischen Interesses. 1 Wohl nicht ganz<br />

zufällig ist bei dieser ethischen Akzentverlagerung eine gewisse Gleichzeitigkeit<br />

festzustellen sowohl mit der Ende der siebziger Jahre beginnenden „neoliberalen“<br />

Wende in der Wirtschaftspolitik der (westlichen) Industriestaaten als auch mit dem<br />

Niedergang des „real existierenden Sozialismus“: Ausgehend von den USA („Reaganomics“)<br />

und Großbritannien („Thatcherismus“) setzt sich in den achtziger und<br />

neunziger Jahren global eine Wirtschaftspolitik durch, die die Liberalisierung, Privatisierung<br />

und Deregulierung der Wirtschaft auf ihr Banner geschrieben hat, um damit<br />

den Staatseinfluß in der Wirtschaft zurückzubinden, die Wettbewerbsintensität zu<br />

steigern und die Handlungsspielräume der Unternehmen zu erweitern.<br />

Damit aber wächst den Unternehmen auch mehr Verantwortung zu – ein Umstand,<br />

der durchaus korrespondiert mit der stärker betriebswirtschaftlich, auf das Unternehmen<br />

fokussierten Wirtschaftsethik der letzten zwei, drei Jahrzehnte. Entsprechend<br />

der amerikanisch-angelsächsischen Herkunft dieser Business und Corporate Ethics-<br />

Ansätze steht die Wahrnehmung der Eigenverantwortung der Unternehmen im Zentrum<br />

der ethischen Überlegungen und nicht – wie es europäisch-kontinentaler Tradition<br />

entspricht – die Bändigung der neu hinzugewonnenen Handlungsspielräume<br />

durch staatliche Regulierungen. Angesichts dieser neueren wirtschaftlichen Entwicklung<br />

ist es daher fraglich, ob wirtschaftsethische Ansätze noch genügen können, die<br />

das Moralische in der Wirtschaft ausschließlich oder doch überwiegend über die<br />

Rahmenordnung sichern wollen. 2 Die Wirtschaftsethik muß zusätzlich das Unternehmen<br />

als eigenen moralischen Akteur anerkennen, 3 und von ihrem Selbstverständnis<br />

her es als eine ihrer vornehmen Aufgaben ansehen, die Unternehmen, insbesondere<br />

deren Management, bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung zu unterstützen.<br />

Auf die Herausforderungen, die sich daraus für die theologischen Ethik-Institute<br />

ergeben können, wird das letzte Kapitel dieses Aufsatzes noch näher eingehen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!