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Der Daleth-Effekt

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Die Sterne rücken näherEinem Professor der Universität von Tel Aviv gelingtes, das Geheimnis der Schwerkraft zu enträtseln. SeineEntdeckung, der sogenannte <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>, der dievöllige Aufhebung der Gravitation bewirkt, mußzwangsläufig zu einer Revolutionierung der Raumfahrtund des gesamten irdischen Transportwesensführen.Aber der Wissenschaftler ist sich auch dessen bewußt,daß der <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> als Vernichtungswaffeverwendet werden kann. Er verläßt daher schleunigstdas Krisengebiet Nahost und taucht in einem neutralenLand unter, um die friedliche Nutzung seiner Erfindungin die Wege zu leiten. Doch die Geheimdiensteder Großmächte nehmen die Spur des Geflüchtetenauf – und um die Unterlagen des <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>sentbrennt ein erbitterter Kampf, dessen Ausgang daskünftige Schicksal der Menschheit bestimmen kann.


TTB 364Harry Harrison<strong>Der</strong><strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>VERLAG ARTHUR MOEWIG GMBH, 7550 RASTATTDieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!


Titel der Originalausgabe:IN OUR HANDS THE STARSAus dem Amerikanischen von Thomas SchlückTERRA-Taschenbuch erscheint alle zwei Monateim Verlag Arthur Moewig GmbH, RastattCopyright © 1970 by Harry HarrisonCopyright © der deutschsprachigen Ausgabeby Lichtenberg Verlag GmbH, MünchenGenehmigte Taschenbuchausgabe © 1984 by Verlag Arthur Moewig GmbH– Neuauflage –Titelbild: Bob LayzellVertrieb: Erich Pabel Verlag GmbH, RastattDruck und Bindung: Elsnerdruck GmbH, BerlinVerkaufspreis inklusive gesetzliche MehrwertsteuerUnsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehenund nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;der Wiederverkauf ist verboten.Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300,A-5081 AnifEinzel-Nachbestellungen sind zu richten an:PV PUBLIC VERLAG GmbH, Postfach 51 03 31, 7500 Karlsruhe 51Lieferung erfolgt bei Vorkasse + DM 3,50 Porto- und Verpackungsanteilauf Postscheckkonto 852 34-751 Karlsruhe oder per Nachnahmezum Verkaufspreis plus Porto- und Verpackungsanteil.Abonnement-Bestellungen sind zu richten an:PABEL VERLAG GmbH, Postfach 1780, 7550 RastattPrinted in GermanyDezember 1984ISBN 3-8118-3404-5


1.Die Explosion, die die Westwand des Physiklaborsder Universität Tel Aviv wegriß, fügte Professor ArnieKlein, der gerade dort arbeitete, keinen ernsthaftenSchaden zu. Ein massiver Metalltisch schützte ihnvor dem Detonationsdruck und den umherfliegendenTrümmern, wenn er auch zu Boden geschleudertwurde und sich im Fallen an der Wange verletzte.Feuer! Dieser Gedanke brachte ihn in Bewegung.<strong>Der</strong> Apparat war zwar zerstört, aber die Unterlagenfür den Versuch und seine Notizen ließen sich vielleichtnoch retten. Er zerrte heftig an der verformtenSchublade, bis sie sich quietschend öffnete. Da lag er,der dünne Schnellhefter. Nur ein paar Wochen Arbeit– aber wie ungeheuer wichtig! Daneben ein zweiterabgegriffener Ordner, fünfzehn Zentimeter dick, dasErgebnis sechsjähriger konzentrierter Bemühungen.Er nahm beide Hefter an sich und verließ das Gebäudekurzerhand durch das Loch in der Wand. Es kamdarauf an, die Unterlagen in Sicherheit zu bringen;alles andere war unwichtig.<strong>Der</strong> Weg hier an der Rückseite des Hauses wurdenur selten benutzt und lag verlassen in der drückendenHitze des Nachmittags. Er bot eine Abkürzung,die man bisher vom Labor nicht direkt hatte erreichenkönnen, die den Professor jetzt aber unmittelbar zuden nahe gelegenen Wohngebäuden der Fakultätführte. In seinem Zimmer waren die Unterlagen sicher.Also eilte er dorthin, so schnell er es in demtrockenen, ofenheißen Hauch des Kamsins überhauptvermochte. Da er schon wieder tief in Gedanken ver-


sunken war, entging es seiner Aufmerksamkeit, daßniemand sein Verschwinden bemerkt hatte.Auf manche Leute machte Arnie Klein einenschwerfälligen Eindruck. Das lag daran, daß ergrundsätzlich nur jeweils einem Gedankengang folgenkonnte und diesen Gedanken mit methodischerGründlichkeit durchkauen mußte, bis praktisch diegeistige Essenz bis zum letzten Tropfen herausgepreßtwar. Sein Gehirn arbeitete mit ungeheurer Präzision.Nur dieser einmaligen Fähigkeit war es zuverdanken, daß er unbeirrbar sechs Jahre lang einerGedankenkette gefolgt war – einer kompliziertenReihe mathematischer Annahmen, die lediglich aufeiner gravimetrischen Unregelmäßigkeit und dermöglichen Zweideutigkeit einer der EinsteinschenGleichungen beruhte.Jetzt war er von neuen Spekulationen in Anspruchgenommen – Möglichkeiten, die er zwar schon vorherin Betracht gezogen hatte, auf die die Explosion aberjetzt ein völlig anderes Licht warf. Kleidung undHände waren staubig von dem Schutt, über den ergeklettert war, und er hatte Blut im Gesicht. Er zogsich aus und stellte sich automatisch unter die Dusche,dann reinigte er die Wunde und brachte einPflaster an. Anstelle sauberer Shorts nahm er die Hosenseines leichten Sommeranzugs vom Bügel undzog sie an. Er steckte einen Schlips in die Tasche seinesJacketts, das er dann über eine Stuhllehne hängte.Schließlich blieb er einige Minuten still stehen, währender die logischen Konsequenzen seiner neuenIdee bedachte.Arnie war sich nicht sicher, welche Entscheidungdie klügste wäre, aber er kannte die Alternativen. Er


öffnete daher seinen Aktenkoffer, den er nach seinerRückkehr vom Physikerkongreß in Belfast die Wochezuvor auf die Kommode gelegt hatte und der einHeftchen Reiseschecks der Firma Thomas Cook &Sons enthielt.Jetzt legte er den Aktenhefter und seinen Paß inden Koffer – sonst nichts. Die Visa waren noch immergültig. Dann nahm er den Koffer, legte sich das Jakkettsorgfältig gefaltet über den Arm, ging die Treppehinab und schlug die Richtung zum Meer ein.Kaum eine Minute später hämmerten zwei schwitzendeund atemlose Studenten aufgeregt an die Türseines Zimmers.Als er den Schutz der Universitätsgebäude verließ,traf ihn der Kamsin mit voller Gewalt und zog ihmdie Feuchtigkeit aus dem Körper. Zuerst achtete Arnienicht darauf, aber als er dann in der DizengoffRoad an den Cafés vorbeikam, machte sich seinetrockene Kehle bemerkbar, und er wandte sich demnächsten Eingang zu. Es war das Casit, ein Studentenlokal,dessen gemischtes Publikum keine Notizvon ihm nahm, als er sich an einem kleinen Tischniederließ und einen gazos zu schlürfen begann.Hier nun rollte Arnie seine Gedankenkette in ihrerganzen Länge auf und traf eine Entscheidung. Dabeiexistierte die Außenwelt für ihn praktisch nicht mehr.Er hatte keine Ahnung, daß man besorgt nach ihm zusuchen begann und daß die Bestürzung in der Universitätvon Minute zu Minute wuchs. War er entführtworden? Die Suche weitete sich aus, ohne allerdingsin die Nähe des Casit-Cafés zu kommen, woArnie Klein jetzt aufstand und sorgsam Prutot-Münzen auf den Tisch zählte, um für sein Getränk zu


ezahlen. Dann machte er sich auf den Weg.Wieder war das Glück auf seiner Seite. Eben setzteein Taxi vor Rowal, dem vornehmen Lokal nebenan,seine Passagiere ab. Arnie stieg sofort ein.»Flughafen Lydda«, sagte er.Als der Wagen auf die Jerusalem Road zuhielt, kamenihnen zwei Polizeifahrzeuge entgegen. Sie fuhrensehr schnell.


2.Die Stewardeß mußte ihm auf die Schulter tippen.»Sir, würden Sie sich bitte anschnallen?«»Ja, natürlich.« Arnie tastete nach seinem Sicherheitsgurt.<strong>Der</strong> Flug war ihm sehr kurz vorgekommen. Majestätischlehnte sich die große 707 auf eine Flügelspitzeund setzte zu einer langsamen Kurve an. Das Flugzeugging tiefer, raste einen Augenblick über die nebelhafteOberfläche dahin und tauchte dann hinein.Plötzlich erschienen Lichtpunkte im Regen, und dasschwarze Wasser des Öresund raste vorüber. Sekundenspäter erschien das Rollfeld, und dann waren siesicher auf dem Flughafen Kastrup gelandet.Arnie wartete geduldig, bis sich die anderen Passagierean ihm vorbeigeschoben hatten. Es warenhauptsächlich Dänen, die aus dem Sonnenurlaub zurückkehrten.Arnie verließ die Maschine als letzter.Die offene Tür zum Cockpit gestattete ihm einenBlick in einen dämmerigen Raum, der mit leuchtendenAnzeigetafeln und Schaltern unglaublich überladenwar. <strong>Der</strong> Flugkapitän, ein großer blonder Mannmit einem riesigen Kinn, lächelte ihm zu. Capt. NilsHansen stand auf dem Schild über den Insignien derFluggesellschaft.»Hoffentlich hatten Sie einen angenehmen Flug«,sagte er in Englisch, der internationalen Luftfahrtsprache.»Oh, doch. Vielen Dank.«Er ging durch den gläsernen Korridor in den Transitwarteraumund setzte sich auf eine der schwarzen


Chromlederbänke, den Aktenkoffer zwischen denBeinen. Er starrte ins Leere, ohne etwas zu sehen, undüberdachte seine nächsten Schritte. Als er nach einigenMinuten zu einem Entschluß gekommen war,blinzelte er und sah sich um. Eben ging ein Polizistdurch den Warteraum; in seinen hohen Lederstiefelnund mit seiner breiten Mütze wirkte er riesig. Arnienäherte sich ihm, seine Augen fast in Höhe des silbernenAbzeichens.»Ich möchte gern den höchsten Sicherheitsbeamtensprechen, wenn das möglich ist.«<strong>Der</strong> Polizist sah auf ihn herab und runzelte berufsmäßigdie Stirn.»Wenn Sie mir vielleicht sagen könnten, worum esgeht ...«»Dette kommer kun mig og den vagthavende officer ved.Så må jeg tale med ham?«<strong>Der</strong> plötzliche Wechsel zum Dänischen überraschteden Polizisten sichtlich.»Sind Sie Däne?« fragte er.»Meine Staatsangehörigkeit ist unwichtig«, fuhrArnie auf dänisch fort. »Ich kann Ihnen nur sagen,daß es um die nationale Sicherheit geht, und daß Siewirklich am besten beraten wären, wenn Sie michjetzt an den Mann verweisen würden, der für dieseDinge zuständig ist.«»Kommen Sie bitte mit«, sagte der Beamte.»Bitte setzen Sie sich«, forderte der Sicherheitsbeamteden Professor auf, als der Polizist seine Erklärungenbeendet hatte. Er war hinter seinem Tisch sitzengeblieben,während er zuhörte, und er blickte Arniedurch eine runde Stahlbrille starr an, als wollte er sich


sein Äußeres für eine Beschreibung einprägen.»Løjtnant Jørgensen«, sagte er schließlich, als sich dieTür geschlossen hatte und sie allein waren.»Arnie Klein.«»Må jeg se <strong>Der</strong>es pas?«Arnie reichte seinen Paß über den Tisch, und Jørgensenblickte überrascht auf, als er feststellte, daß eskein dänisches Dokument war.»Sie sind Israeli? Nach Ihrer Aussprache nahm ichan ...« Als Arnie nicht antwortete, blätterte er in demPaß und legte ihn schließlich geöffnet vor sich aufden leeren Tisch.»Es scheint alles in Ordnung zu sein, Herr Professor.Was kann ich für Sie tun?«»Ich möchte in Ihr Land einreisen. Jetzt.«»Das ist leider nicht möglich. Sie sind hier lediglichTransitpassagier und haben kein Visum. Ich schlagevor, daß Sie Ihre Reise wie geplant fortsetzen und dasdänische Konsulat in Belfast aufsuchen. Ein Visumdauert einen, höchstens zwei Tage.«»Ich möchte aber sofort einreisen, deshalb habe ichSie ja aufgesucht. Haben Sie bitte die Freundlichkeit,die nötigen Schritte einzuleiten. Ich bin in Kopenhagengeboren und kaum fünfzehn Kilometer von hieraufgewachsen. Probleme dürfte es eigentlich nichtgeben.«»Davon bin ich überzeugt.« <strong>Der</strong> Beamte reichte Arnieden Paß. »Aber ich kann im Augenblick überhauptnichts tun. In Belfast ...«Arnie hatte seinen Aktenkoffer auf die Knie gelegtund ließ den Deckel aufschnappen. Er holte einAdreßbuch hervor und öffnete es.»Ich möchte nicht melodramatisch erscheinen –


aber meine Anwesenheit könnte im Interesse IhresStaates liegen. Würden Sie daher bitte diese Nummeranrufen und nach Professor Ove Rude Rasmussenfragen? Sie haben doch sicher schon von ihm gehört?«»Natürlich – wer hat das nicht? Ein Nobelpreisträger.Aber Sie können ihn doch unmöglich um dieseZeit ...«»Wir sind gute Freunde. Es macht ihm sicher nichtsaus. Und die Sache ist wirklich wichtig.«Es war weit nach Mitternacht, und Rasmussenknurrte wie ein aus dem Winterschlaf aufgescheuchterBär ins Telefon.»Wer ist das? Was soll das ... Så for Saton! ... Tatsächlich,bist du's, Arnie? Von wo rufst du an, zumTeufel? Kastrup?« Dann hörte er sich schweigendArnies Erklärungen an, wobei sich dieser zunächstnatürlich nur sehr vage ausdrücken konnte.»Wirst du mir helfen?« fragte Arnie schließlich.»Natürlich! Allerdings habe ich noch keine Ahnung,wie. Ich komme jedenfalls, sobald ich mir etwasübergezogen habe. Halte durch.«Trotzdem dauerte es fast fünfundvierzig Minuten.Endlich klopfte es heftig an der Tür.»Arnie – du bist es wirklich!«Rasmussen glich seinen Bildern in der Presse – einhagerer, schlaksiger Mann mit dünnem, gekräuseltemBart. Die beiden Männer schüttelten sich herzlich dieHände, umarmten sich und lächelten sich strahlend an.»Jetzt erzähle mir aber, was du hier zu suchen hastund warum du mich in einer so entsetzlichen Nachtaus dem Bett holst.«»Das müssen wir unter vier Augen besprechen.«


»Natürlich.« Ove sah sich um und bemerkte zumerstenmal den Offizier. »Können wir uns irgendwounterhalten, wo uns niemand stört?«»Sie können dieses Büro benutzen, wenn Siemöchten. Ich garantiere dafür, daß es abhörsicherist.« Die beiden Männer nickten; den sarkastischenTonfall des anderen schienen sie nicht zu bemerken.Aus seinem eigenen Büro hinausgeworfen, waszum Teufel ging hier vor? <strong>Der</strong> Leutnant stellte sich indie Halle, zog ärgerlich an seiner Pfeife und drücktemit schwieligem Daumen den Tabak zusammen.Zehn Minuten später wurde die Tür wieder aufgerissen,und Rasmussen erschien auf der Schwelle. <strong>Der</strong>Hemdkragen stand ihm offen, und in seinen Augenblitzte Erregung. »Kommen Sie, kommen Sie herein!«sagte er und zog den Sicherheitsoffizier in den Raum.»Wir müssen sofort mit dem Premierminister sprechen.«Ehe der verblüffte Offizier etwas sagen konnte,überlegte er es sich anders. »Nein, das hätte keinenSinn, nicht zu dieser nachtschlafenden Zeit.« Er begannauf und ab zu gehen, wobei er die hinter seinemRücken verschränkten Hände aufgeregt öffnete undschloß. »Dazu ist morgen noch Zeit. Wir müssen dichzunächst hier herausbekommen, Arnie. Du kannst beimir schlafen.« Er blieb stehen und starrte den Sicherheitsoffizieran.»Wer ist Ihr Vorgesetzter?«»Inspektor Anders Krarup.«»Den kenne ich nicht, nein. Warten Sie, Sie sinddoch dem Minister unterstellt ...«»Herrn Andresen.«»Natürlich – Svend Andresen. Du erinnerst dich anihn, Arnie?«


Klein dachte nach und schüttelte den Kopf.»<strong>Der</strong> ›kleine‹ Andres ... Er dürfte über zwei Metergroß gewesen sein. Er war in der Oberstufe, als wirauf der Krebs-Skole waren. Er war der Bursche, derauf dem Sortedamissø durchs Eis brach.«»Ich habe das Schuljahr nicht beendet, sondern binnach England gegangen.«»Natürlich. Aber er erinnert sich bestimmt an dichund wird mir glauben, daß die Sache wichtig ist. Ineiner Stunde bist du hier raus. Dann gibt's ein Glassnaps für dich – und ab ins Bett.«Schließlich dauerte es doch länger als eine Stunde,und es war der Besuch des nicht gerade sehr glücklichenMinisters Andresen und eines eiligst herbeigerufenenBeraters erforderlich, um die Angelegenheitzu regeln. Schließlich blieb Leutnant Jørgensen alleinzurück. Er war müde und mehr als verwirrt wegender Ereignisse der letzten Stunden. Auch mußte erimmer wieder an den hingeknurrten Ratschlag desMinisters denken, der ihn einen Augenblick beiseitegenommen hatte.»Vergessen Sie, was hier heute passiert ist – das istalles, was ich von Ihnen verlange. Sie haben noch nievon Professor Klein gehört, und Ihres Wissens hat erdas Land nicht betreten. Das ist Ihre Version, gleichgültigwer Sie danach fragt.«Wer sollte schon fragen? Worum ging es dennüberhaupt?


3.»Ich will sie wirklich nicht sprechen«, sagte Arnie.Durch das große Fenster schaute er auf den Park naheder Universität.»Es würde den Fall für alle Beteiligten erleichtern,wenn du dich dazu entschließen könntest«, sagte OveRasmussen. Er saß hinter seinem großen Professorenschreibtischin seinem mit Büchern vollgestopften Professorenbüro,und hinter ihm hingen die gerahmten Diplomeund Preise wie heraldische Flaggen an der Wand.»Ist es wirklich so wichtig?« fragte Arnie unddrehte sich um.»Ich fürchte ja. Deine israelischen Landsleute interessierensich natürlich sehr dafür, was mit dir geschehenist. Soweit ich weiß, haben sie durch einenTaxifahrer von deiner Flucht erfahren und festgestellt,daß du mit der SAS nach Belfast geflogen bist –ohne allerdings dort einzutreffen. Da die einzige Zwischenlandunghier in Kopenhagen stattfand, war esziemlich schwierig, deinen Aufenthaltsort geheimzuhalten.Allerdings war zu hören, daß die Leute amFlughafen eine Zeitlang den Daumen auf der Sachegehabt haben.«»Leutnant Jørgensen scheint sich sein Gehalt fürdiesen Monat wirklich verdient zu haben.«»Allerdings. Er hat sich derart dickköpfig angestellt,daß es fast einen internationalen Eklat gegebenhätte, ehe das Ministerium deine Anwesenheit zugab.Und jetzt besteht man darauf, mit dir zu sprechen.«»Warum? Ich bin ein freier Mann. Ich kann reisen,wohin ich will.«


»Sage das der Delegation. Es sind schon Andeutungengemacht worden, daß wir dich entführt hätten ...«»Was? Hält man die Dänen etwa für Araber oder soetwas?«Ove lachte und drehte seinen Stuhl herum, als Arnieins Zimmer stapfte und sich vor seinem Tischaufbaute. »Nein, die Sache liegt doch etwas anders«,sagte er. »Man weiß – natürlich inoffiziell –, daß dufreiwillig hierhergekommen bist und daß dir nichtsgeschehen ist. Aber man ist natürlich sehr neugierig,den Grund für dein Handeln zu erfahren, und dieKommission wird erst wieder abreisen, wenn sie eineAntwort erhalten hat. Sie wohnt im Royal-Hotel undhat angedroht, eine Presseerklärung abzugeben,wenn du nicht zu sprechen bist.«»Das möchte ich natürlich nicht«, sagte Arnie, derjetzt doch etwas beunruhigt war.»Nein, daran liegt auch uns nichts. Deshalb möchtenwir auch, daß du mit den Israelis zusammenkommstund ihnen sagst, daß es dir gutgeht und siegetrost mit dem nächsten Flugzeug nach Hause fliegenkönnen. Mehr brauchst du gar nicht zu sagen.«»Mehr will ich auch gar nicht sagen. Wen hat mandenn geschickt?«»Vier Leute, von denen ich drei nur für Jasagerhalte. Ich habe fast den ganzen Vormittag mit ihnenzugebracht, und der einzige, auf den es ankam, warein gewisser General Gev.«»Du lieber Himmel – ausgerechnet Gev!«»Du kennst ihn?«»Leider zu gut. Und er kennt mich. Ich würde gernmit jemand anderem sprechen.«»Das dürfte leider nicht möglich sein. Gev wartet


im Nebenzimmer. Er sagt, daß er geradewegs zurPresse geht, wenn er dich nicht zu Gesicht bekommt.«»Und das ist ihm ohne weiteres zuzutrauen. Er hatin der Wüste kämpfen gelernt – die beste Verteidigungist ein guter Angriff. Bring ihn rein, damit wires hinter uns haben. Aber laß mich nicht länger alseine Viertelstunde mit ihm allein – sonst könnte espassieren, daß er mich zur Rückkehr überredet.«»Das möchte ich bezweifeln.« Ove stand auf unddeutete auf seinen Stuhl. »Setz dich hierhin und achtedarauf, daß der Tisch immer zwischen euch ist – dasgibt dir ein gewisses Machtgefühl. Außerdem muß erdann auf meinem Studentenstuhl sitzen, der wirklichhart wie Stein ist!«»Das wäre ihm egal, und wenn's ein Kaktus wäre«,sagte Arnie bedrückt. »Du kennst ihn nämlich nicht.«Es war still, als sich die Tür geschlossen hatte. Arniestarrte auf seine Hände, die er auf dem Tisch gefaltethatte, und überlegte, wie er sich verhalten sollte. Erdurfte Gev vor allen Dingen nichts verraten.»Ein langer Weg von Tel Aviv«, sagte eine Stimmein gutturalem Hebräisch. Arnie stellte fest, daß Gevden Raum bereits betreten und die Tür hinter sich geschlossenhatte.»Kommen Sie herein, Avri, kommen Sie herein undsetzen Sie sich.«Gev ignorierte die Aufforderung. »Ich bin gekommen,um Sie nach Hause zu bringen, Arnie. Sie sindeiner unser führenden Wissenschaftler, und Ihr Landbraucht Sie.«»Es tut mir leid, Avri. Ich bin jetzt hier, und ichbleibe hier.«


»In Ihrem Labor hat es eine Explosion gegeben«,sagte Gev. »Wir machten uns Sorgen. Zuerst hieltenwir Sie für tot, dann für verletzt – und schließlich fürentführt. Ihre Freunde haben sich wirklich Sorgengemacht ...«»Das lag nicht in meiner Absicht.«»... und nicht nur Ihre Freunde, sondern auch IhreRegierung. Sie sind Israeli, und Ihre Arbeit ist Arbeitfür Ihr Heimatland Israel. Bestimmte Unterlagenfehlen; sie sind Ihrem Land gestohlen worden.«Gev zündete sich eine Zigarette an und zog denRauch tief ein. Arnie hob hilflos die Hände und verschränktesie.»Die Arbeit ist nicht gestohlen. Sie ist meine Arbeit,und ich habe sie mitgenommen, als ich nach hier abreiste– freiwillig abreiste. Es tut mir leid, wenn Sie ...jetzt schlecht von mir denken. Aber ich habe nur getan,was ich tun mußte.«»Worin bestand Ihre Arbeit?« Kalt und knapp kamdiese Frage, und sie schmerzte.»Jedenfalls ist es ... meine Arbeit«, sagte Arnieausweichend. Er fühlte sich in die Enge getrieben.»Aber Arnie – das reicht mir nicht. Sie sind Physiker,und Ihre Arbeit hat mit der Physik zu tun. ObwohlSie keinerlei Sprengstoff in Ihrem Labor hatten,ist es Ihnen gelungen, eine Einrichtung im Werte vonmehreren tausend Pfund in die Luft zu jagen. Washaben Sie erfunden?«Arnies Worte fielen wie Steine in den Brunnen desSchweigens.»Ich ... kann nicht.«»Sie müssen! Sie haben keine andere Wahl. Sie sindIsraeli, und Ihre Arbeit ist für Israel. Wir sind von ei-


nem Ozean von Feinden umgeben, und jeder Mann,jedes Stück Wissen ist wichtig, wenn wir überlebenwollen. Sie haben etwas Wichtiges entdeckt, etwas,das uns bei unserem Überlebenskampf helfen kann.Wollen Sie uns dieses Mittel vorenthalten und zusehen,wie wir untergehen – wie Städte und Synagogendem Erdboden gleichgemacht werden und alles wiederzu Wüste wird? Wollen Sie das?«»Sie wissen, daß ich das nicht will, Gev! Lassen Siemich in Ruhe! Verschwinden Sie hier und fliegen Siezurück ...«»Nein, das werde ich nicht tun! Ich lasse Sie nicht inRuhe. Wenn ich die Stimme Ihres Gewissens seinmuß, will ich diese Aufgabe auch erfüllen. KommenSie nach Hause. Wir werden Sie willkommen heißen.Helfen Sie uns, wie wir Ihnen geholfen haben.«»Nein, gerade das kann ich nicht!« Die Worteschien er sich förmlich aus der Brust zu reißen. Hastigsprach er weiter, als sei der Damm seiner Gefühleplötzlich gebrochen, als könne er nicht mehr an sichhalten.»Ich habe etwas entdeckt – ich sage Ihnen nicht,wie und warum und was es ist ... eine Kraft. Nennenwir es eine Kraft – etwas, das eines Tages vielleichtmächtiger ist als alles, was wir bisher kannten. EineKraft, die sich zum Guten und zum Bösen einsetzenläßt, wenn ich sie richtig entwickeln kann – was ichfür möglich halte. Aber ich will, daß sie nur zumGuten verwendet wird ...«»Israel ist also nicht gut? Wollen Sie das damit sagen?«»Nein, hören Sie doch zu. Das habe ich nicht gesagt.Ich meine nur, daß Israel ein Bauer im großen


Schachspiel der Welt ist und daß es keinen wirklichenVerbündeten hat. Öl. Die Araber haben das Öl, unddie Sowjets und die Amerikaner wollen es und sindbereit, jedes nur denkbar schmutzige Spiel mitzumachen,um es zu bekommen. Niemand interessiert sichfür Israel, abgesehen von den Arabern, die seine Vernichtungwünschen, und den Weltmächten, die auchgern einen Weg finden möchten, diesen störendenFaktor auf kaltem Wege abzuservieren. Öl. Eines Tageswird es Krieg geben, irgend etwas wird geschehen,und wenn Sie dann meinen ... wenn Sie dann dashätten, wovon wir sprechen, würde es als Waffe eingesetzt.Sie würden es einsetzen – vielleicht mit Tränenin den Augen, aber Sie würden es einsetzen, unddas wäre dann die entsetzliche Konsequenz, die ichum jeden Preis verhindern möchte.«»So«, sagte General Gev so leise, daß Arnie ihnkaum verstehen konnte, »dann wollen Sie also ausMotiven des Stolzes und des persönlichen Ehrgeizesdiese Kraft Ihrem Lande vorenthalten und lieber zusehen,wie es untergeht?«Arnie erhob sich und stützte sich schwer auf denTisch. Schweigen trat ein. Langsam ließ er sich wiederauf seinen Stuhl zurücksinken. »Gut. Sie haben recht.Wenn Sie behaupten möchten, daß ich nicht mehr andie Demokratie glaube, sagen Sie es ruhig, denn indieser Angelegenheit trifft es zu. Ich habe die Entscheidunggetroffen und übernehme allein die Verantwortung.Ich sehe sie – vielleicht um mich vor mirselbst zu entschuldigen – als einen Akt der Menschlichkeit.«»<strong>Der</strong> Gnadentod ist auch ein Akt der Menschlichkeit«,sagte Gev tonlos.


»Sie haben natürlich recht. Ich habe keine Entschuldigung.Ich habe eigenmächtig gehandelt undbin bereit, die Verantwortung zu tragen ...«»Auch wenn Israel an Ihrer Arroganz zugrundegeht?«Arnie öffnete den Mund, aber ihm fehlten dieWorte. »Ich tue, was ich tun muß«, sagte er schließlichheiser. »Ich reise nicht mit Ihnen. Ich habe Israelverlassen, wie ich gekommen bin – freiwillig. Sie habenkeine Möglichkeit, mich zu zwingen, Gev.«General Gev stand auf und schaute auf den gebeugtenKopf hinunter. Er schwieg lange Zeit, aberals er dann sprach, schwang in seiner Stimme dasEcho aus dreitausend Jahren der Verfolgung, des Todes,des Klagens und einer großen, großen Traurigkeit.»Sie, ein Jude, können so etwas tun ...?«Auf diese Frage gab es keine Antwort, und Arnieschwieg. Gev war Soldat genug, um seine Niederlageeinzusehen, wenn er sie auch nicht verstehen konnte.Er kehrte dem Tisch den Rücken. Er sagte nichtsmehr – es gab nichts mehr zu sagen. Es gab nur nocheines, diesem Mann den Rücken zu kehren und denRaum zu verlassen. Mit den Fingerspitzen stieß er dieTür auf und ließ sie offenstehen, ohne sie noch einmalzu berühren. Aufrecht, im Marschtritt – ein Mann,der eben eine Schlacht verloren hat, der aber nie einenKrieg verlieren würde, weil er ihn nicht überlebt hätte.Ove kam wieder ins Zimmer und wanderte ziellosherum, stapelte Magazine auf, zog hier und da einBuch heraus, um es ungeöffnet wieder wegzustellen.


Nachdem er sich auf diese Weise einige Minutenschweigend beschäftigt hatte, ergriff er das Wort,wich aber auf ein anderes Thema aus.»Hör mal, wir haben heute phantastisches Wetter.Die Sonne scheint, und man kann kilometerweit sehen.Essen wir in Langelinie Pavillionen und sehenwir den vorbeifahrenden Schiffen zu. Wie wär's?«Als Arnie jetzt den Kopf hob, erschrak Ove überden elenden Gesichtsausdruck. »Ja, wenn du möchtest.Wir können draußen essen.« Seine Stimme warso tonlos, wie sein Gesicht bewegt war.Ove steuerte den kleinen Sprite geschickt durchden zusammenfließenden Verkehr am Trianglen unddurch die Østerbrogade zum Wasser. <strong>Der</strong> Wagenschoß durch eine Verkehrslücke auf der Langelinieund kam hinter dem Pavillionen-Restaurant zum Stehen.Es war noch früh, so daß sie noch einen Tisch andem großen Glasfenster bekamen, das eine Wand bildete.Ove winkte dem Kellner zu und bestellte schonan der Tür. Als sie ihre Stühle zurechtrückten, wurdebereits eine Flasche Aquavit aufgetragen, die in einemEisblock eingefroren war; dazu einige eiskalteFlaschen Tuborg Festival-Bier.»Hier«, sagte Ove, als der Kellner zwei fingerhutgroßeGläser mit kaltem snaps füllte. »Trink das.«»Skål«, sagten sie feierlich und leerten die Gläser.Etwas später nippte Arnie an seinem Bier undschaute zu der schwarzweißen Fähre hinüber, die aufihrem Weg nach Schweden behäbig vorüberglitt.»Ein Schiff«, sagte Arnie, der – nachdem er sichnun wieder mit seiner Arbeit befassen konnte – allesabgeschüttelt zu haben schien, was ihn beunruhigthatte. »Wir brauchen ein Schiff. Wenn wir eine größe-


e ...« Er zögerte, und die beiden Männer sahen sichwie Verschwörer um, ohne die Kopie zu bewegen.Dann fuhr Arnie leise fort: »Eine größere Einheit. Dieerste ist zu klein und soll nur eine Demonstration derTheorie sein. Über kurz oder lang werden wir einenGroßversuch machen müssen, um endlich festzustellen,ob wir mehr als nur ein blödsinniges Laborgeräthaben, das alles in die Luft jagt.«»Es wird schon klappen. Ich weiß, daß es klappt.«Arnie verzog das Gesicht und griff nach der Flasche.»Hier, nimm noch einen snaps«, sagte er.


4.»Es geht um die Geheimhaltung«, sagte Skou. Erhatte auch einen Vornamen, Langkilde, den er – vielleichtaus gutem Grund – nie ins Gespräch brachte.»Skou«, beharrte er. »Nennen Sie mich einfach Skou.«Es war, als hieße er alle Männer in einem zwanglosenFreundeskreis willkommen. »Go' davs, Hansen – Go'davs, Rasmussen – Go' davs, Skou.« Obwohl er daraufbestand, daß ihn alle nur mit Skou anredeten, behandelteer die anderen mit größter Korrektheit.»Die Frage der Sicherheit ist stets von größerWichtigkeit, Herr Professor Rasmussen«, beharrte er,während seine Augen die Anwesenden überflogen.»Sie haben etwas, das der Geheimhaltung bedarf: alsowerden Sie diese Geheimhaltung bekommen – undzwar hundertprozentig.«»Was wir hier haben ...«»Sagen Sie es mir nicht. Je weniger Leute davonwissen, desto weniger undichte Stellen wird es geben.Gestatten Sie mir nur, meine Sicherheitsvorkehrungenzu treffen – dann können Sie Ihrer Arbeit unbesorgtnachgehen.«»Himmel, Mann – ich mache mir keine Sorgen. Wirhaben gerade erst begonnen, und niemand weiß vonunserem Projekt.«»So sollte es auch sein. Ich habe es aber gern, gleichvon Anfang an – oder sogar noch früher – dabei zusein, damit ich meine Maßnahmen treffen kann.Wenn man auch nicht die geringste Kleinigkeitdurchdringen läßt, kann der Gegner nichts erfahren.«Wie er so dastand, die Hände in den Taschen seiner


abgetragenen Tweedjacke vergraben und leicht zurSeite geneigt, wirkte er wie einer, der angetrunken ist.Ove wußte, daß man sich in diesem Mann aber nichttäuschen durfte. Skou hatte jahrelang bei der Polizeigearbeitet, sprach ausgezeichnet deutsch und warwährend des Krieges ein allseits verachteter Kollaborateurder deutschen Besatzung in Helsingør gewesen,mit denen er oft Karten spielte. Jetzt hatte er mitirgendeiner Regierungsstelle zu tun, über die er sichnicht näher ausließ. Jedenfalls hatte es mit Geheimdienstarbeitzu tun, und er wußte seine Vorstellungendurchzusetzen, wo immer es auch war.»Das kommt mir alles wie im Kino vor, HerrSkou«, sagte Arnie. »Es wird niemandem auffallen,wenn wir das Gerät einfach auf einen Lastwagen ladenund eine Plane darüber spannen.«Die drei Männer warteten versteckt im Gebäudedes Niels-Bohr-Instituts, während draußen der rotschwarzePostwagen an der Rampe vorfuhr. ZweiPostbeamte, die in ihren rosafarbenen Jacketts massigwirkten und deren hölzerne trœsko auf dem Boden einenziemlichen Lärm verursachten, brachten einigePakete herein. Daß sie mehr waren als nur Postbeamte,war daran zu erkennen, daß sie sich überhauptnicht um die drei Beobachter kümmerten; kein normalerdänischer Postbeamter hätte sich die Gelegenheitzu einem Schwätzchen entgehen lassen. Skoudeutete schweigend auf die Kisten, die die Anlageenthielten und die jetzt nicht minder schweigsam inden wartenden Lkw geschoben wurden. Die breitenTüren schlossen sich, der große Riegel wurde vorgelegt,dann dröhnte der Motor auf, und der Wagenfuhr auf die Straße hinaus. Die drei sahen zu, wie er


im Morgenverkehr verschwand.»Ein Postwagen ist zwar nicht völlig unsichtbar,aber er kommt diesem Ideal ziemlich nahe«, sagteSkou. »Er fährt jetzt zur Hauptpost an der Købmagergade,wo er zusammen mit zahlreichen anderenWagen desselben Modells und der gleichen Farbe ankommt.Minuten später verläßt er die Hauptpostwieder – mit neuen Nummernschildern natürlich –und fährt zum Kai. Ich schlage vor, daß wir uns dorthinbegeben, meine Herren, um die Ladung in Empfangzu nehmen.«Skou fuhr sie in seinem Wagen, einem schäbigenOpel umbestimmbaren Alters. Unterwegs bog er verschiedentlichin enge Straßen ab und fädelte sichmehrfach in neue Verkehrsströme ein, bis er sicherwar, daß sie nicht verfolgt wurden. Er parkte schließlichin der Nähe des Jachthafens und machte sich aufdie Suche nach einem Telefon, während die anderenvorausgingen. Ein schneidender Wind wehte vomÖresund herüber; er kam direkt aus Schweden undder Arktis. Die grauen Wolken am Himmel hingentief.»Sieht fast nach Schnee aus«, sagte Ove.»Ist das das Schiff?« fragte Arnie.»Ja, die Isbjørn. Sie schien für unsere Zwecke ambesten geeignet. Wir haben noch wenig Ahnung davon,wie sehr der Schiffskörper beansprucht wird,und obwohl der Kahn ziemlich alt ist, ist er immerhinein Eisbrecher. Ich habe ihn den halben Winter überbeobachtet, wie er hier draußen den Kanal freihielt.«Zwei Polizisten, die in ihren langen Mänteln sehrmassig wirkten, schauten in Richtung Schweden, oh-


ne sich um die Männer zu kümmern; die beiden Gestalten,die in einem Auto ein Stückchen weiter aufdem Kai saßen, schienen ebenso desinteressiert.»Skou hat seine Wachhunde losgeschickt«, sagteOve.»Ich möchte bezweifeln, daß es viel Arbeit für siegibt. Bei diesem Wetter werden sich nur wenigeSchaulustige hierher verirren.«Das Schiff ragte vor ihnen auf; eine schwarzeWand, die mit zahlreichen Nietköpfen besetzt war.Die Gangway war herabgelassen, aber auf Deck warniemand zu sehen. Langsam stiegen sie hinauf, unddie Planke ächzte unter ihren Füßen.»Ich möchte nur wissen, wo hier die Leute sind«,sagte Arnie.Wie auf ein Stichwort öffnete sich in diesem Augenblickdie Tür zur Brücke, und ein Offizier erschien;in dem schwarzen Mantel und in seinen Stiefelnwirkte er ebenso düster wie sein Schiff; ein riesigerPiratenbart verbarg den unteren Teil seines Gesichts.Er stapfte heran und salutierte nachlässig.»Ich nehme an, Sie sind die Herren, die mir angekündigtwurden. Ich bin Kapitän Hougaard, derKommandant dieses Schiffes.«Nacheinander schüttelte ihm die Männer die Hand,wobei es sie etwas verlegen machte, daß sie auf SkousGeheiß ihre Namen nicht nennen durften.»Vielen Dank, daß Sie uns Ihr Schiff zur Verfügunggestellt haben, Kapitän«, sagte Ove bei dem Versuch,einen versöhnlichen Tonfall anzuschlagen.»Es blieb mir nichts anderes übrig.«»Sehr freundlich«, sagte Ove, der sich zwingenmußte, nicht sarkastisch zu werden. »Hätten Sie bitte


die Freundlichkeit, die Ladung des Lkw von einigenMännern an Bord bringen zu lassen?«Kapitän Hougaards Antwort bestand in einigen Befehlen,die er in einen Niedergang brüllte. Gleich daraufkam ein halbes Dutzend Seeleute heraufgestolpert.Im Gegensatz zu ihrem Kapitän interessiertensie sich sehr für die Ereignisse an Bord; vielleicht warensie auch nur dankbar für eine Unterbrechung ihrertäglichen Routine.»Vorsicht!« mahnte Arnie, als die Kisten über dieGangway getragen wurden. »Nicht fallen lassen, esdarf nichts kaputtgehen.«Sie hatten sich die Baupläne des Schiffes angesehenund waren übereingekommen, daß der Maschinenraumfür ihre Zwecke am besten geeignet war. DieKisten wurden hereingebracht und unter den wachsamenAugen der beiden Physiker vorsichtig abgestellt.Als die Männer verschwunden waren, trat derKapitän vor.»Man hat mich unterrichtet, daß Ihre Arbeit absolutgeheim ist. Da jedoch ein Kessel unter Druck stehenmuß, läßt es sich nicht umgehen, einen Maschinistenhier unten zu stationieren ...«»Das geht schon in Ordnung«, unterbrach ihn Arnie.»... und bei Wachwechsel werde ich die Männerpersönlich austauschen. Ich bin in meiner Kabine,wenn Sie mich brauchen.«»Gut, vielen Dank für die Hilfe, Kapitän.« Arniesah ihm nach. »Ich fürchte, das gefällt ihm allesnicht«, sagte er.»Und ich fürchte, wir können uns darum wenigkümmern. Los, packen wir aus.«


<strong>Der</strong> Einbau der Geräte dauerte fast den ganzen Tag.In den Kisten waren vier Anlagen; elektronische Geräte,deren Zweck an den mit Instrumenten besetztenschwarzen Metallkästen nicht näher zu bestimmenwar. Während sich Arnie mit den Kontakten und derEinstellung der Geräte befaßte, zog sich Ove Rasmussenein Paar Arbeitshandschuhe aus Baumwolle anund studierte die farbverkrustete vernietete Innenwandder Schiffshülle.»Genau hier«, sagte er und schlug mit dem Hammergegen eine gewölbte Rippe. Dann machte er sichmit einem Meißel an die Arbeit und entfernte systematischdie dicken Farbschichten auf dem Stahl. Alser auf einer Fläche von etwa dreißig ZentimeternDurchmesser das blanke Metall freigelegt hatte, beganner mit einer Drahtbürste nachzusäubern.»Fertig!« verkündete er befriedigt, zog die Handschuheaus und zündete sich eine Zigarette an. »Absolutsauber. Schwierigkeiten mit dem Kontakt zurganzen Schiffshülle dürfte es nicht geben.«»Das will ich auch nicht hoffen. Von diesem Kontakthängt alles ab.«Arnie justierte nacheinander seine Instrumente undschaltete die Geräte ein.»Geringste Energiemenge«, sagte er. »Ich will nurmal sehen, ob sich der Stromkreis schließt.«In diesem Augenblick klopfte jemand energisch andie Tür. Ove öffnete sie einen Spalt und erblickte KapitänHougaard.»Ja?«»Hier ist ein Soldat, der Sie sprechen möchte.«Ove öffnete die Tür gerade weit genug, um hinauszuschlüpfen,und schloß sie sorgsam hinter sich. Ein


uniformierter Sergeant in Koppelzeug und hohenStiefeln hielt ihm den Lederbehälter eines Feldtelefonshin, dessen Kabel nach oben durch den Niedergangverschwand.»Ich habe Befehl, Ihnen das hier zu bringen, Sir.<strong>Der</strong> Gegenapparat steht draußen auf dem Kai.«»Danke, Sergeant. Stellen Sie's nur hin. Ich kümmeremich schon darum.«Die Tür zum Raum des Elektrikers öffnete sich,und Arnie blickte heraus.»Könnte ich Sie mal sprechen, Kapitän?« fragte er.<strong>Der</strong> Kapitän wandte sich an den Sergeant. »WartenSie oben auf mich.« Er schwieg, bis sich der Mann mitschweren Schritten entfernt hatte und außer Hörweitewar. »Was wollen Sie?«»Wir brauchen die Hilfe eines Fachmanns. HabenSie jemand an Bord, der schweißen kann – und zwargut? Es würde zu lange dauern, jemand von Landanzufordern. Und es ist von nationalem Interesse«,fügte er hinzu, als der Kapitän zu zögern schien.»Ja, dessen bin ich mir durchaus bewußt. Ich werdedem Handelsminister einen umfassenden Berichtüber die Angelegenheit einreichen. Ja, wir hätten daJens. Er war mal Schweißer auf einer Werft. Ich schikkeihn herunter.« Und damit marschierte er davon;schon das Dröhnen seiner Schritte verriet seinen Ärger.»Jetzt kriegen wir also den Zauberkasten zu Gesicht,wie? Nichts bleibt geheim vor Jens, der alles sieht undnichts verrät. Große geheime Sache: Armee, Marine,und sogar das Niels-Bohr-Institut ist durch HerrnProfessor Rasmussen vertreten.« Die beiden Wissen-


schaftler sahen sich entsetzt an, als ihnen der Riesezublinzelte und das Schweißgerät auf das Deck fallenließ.»Vielleicht sollten wir doch lieber ...«, begann Arnie,wurde aber unterbrochen, als der Mann lachendsagte: »Keine Sorge! Sehe alles, verrate nichts. Jens istin der Armee auf Grönland gewesen und auf einerWerft in Südamerika. Im Fernsehen habe ich gesehen,wie der Professor hier den Nobelpreis bekam. MeineHerren, machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin einguter Däne, Sie können sich keinen besseren wünschen,auch wenn ich in Jütland geboren wurde, wasmir einige Seeländer ankreiden, und ich hab' mir sogardas Danebrog auf die Brust tätowieren lassen.Wollen Sie's mal sehen?«Er gab den beiden Männern keine Gelegenheit, zuantworten; in der Annahme, daß sie es sehen wollten,öffnete er sofort Jacke und Hemd und zeigte ihnendie rote dänische Flagge mit dem weißen Kreuz, diedurch das dichte Gekräusel goldblonden Haars schimmerte.»Na?« sagte Jens herausfordernd und grinste.»Sehr gut«, sagte Arnie achselzuckend. »Wir habenwohl keine andere Wahl. Jedenfalls möchte ich dochhoffen, daß Sie nichts von dem verraten, was Sie hiersehen ...«»Und wenn mir die Folterer jeden Finger- undFußnagel einzeln herausreißen würden – ich würdenur lachen und ihnen ins Gesicht spucken, ohne etwaszu verraten.«»Ja, das kann ich mir vorstellen. Wenn Sie jetzt bittehier hereinkommen würden ...« Sie traten zur Seite,während der große Mann sein Gerät durch die Türwuchtete.


»Es geht um die Verbindung zur Schiffshülle«,wandte sich Arnie an Ove. »<strong>Der</strong> Kontakt ist nicht gut,das Signal kommt nicht durch. Wir müssen alles verschweißen.«Jens nickte, als man ihm erklärte, was er tun mußte,und sein Schweißgerät knallte und die Flamme lecktezischend über den Stahl. <strong>Der</strong> Kapitän hatte recht: <strong>Der</strong>Mann verstand sein Handwerk. Nachdem er denSchwingquarz abgenommen hatte, kratzte er dieMetallfläche noch einmal ab und wusch sie dann miteiner Lösung nach. Erst dann klammerte er den Metallkontaktwieder fest und zog eine gerade undgleichmäßige Schweißnaht an der Kante entlang,während er fröhlich vor sich hin summte.»Komische Radioapparate haben Sie da«, sagte erund deutete auf die Geräte. »Aber ich sehe, das hatnichts mit Nachrichtenübermittlung zu tun. Ich habeschon als Funker gearbeitet in Indonesien. Physik,sehr komplizierte Sache.«»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Sie zuvielreden, Jens?« fragte Ove.»Manchmal schon – aber nie zweimal.« Jens ballteeine vernarbte Faust, die beinahe die Größe einesFußballs hatte. Dann lachte er. »Ich quatsche zwarviel, aber ich rede nicht. Nur zu Freunden.« Er nahmdas Schweißgerät auf und ging zur Tür. »Es war mireine Freude, meine Herren. Vergessen Sie nicht, sichwieder an den alten Jens zu wenden, wenn Sie Hilfebrauchen.« Dann war er verschwunden.»Ein interessanter Mensch«, sagte Arnie. »Glaubstdu, daß er den Mund hält?«»Ich hoffe es. Eigentlich habe ich keine Sorge, aber ichwerde wohl vorsichtshalber mal mit Skou sprechen.«


»Das Signal ist jetzt einwandfrei«, sagte Arnie,schaltete die Anlage aus, lehnte sich zurück undreckte sich. »Mehr können wir im Augenblick nichttun. Was passiert jetzt?«Ove blickte auf die Uhr. »Es ist sechs Uhr, und ichwerde langsam hungrig. Soviel ich weiß, sollten wirhier an Bord essen.«»<strong>Der</strong> Kapitän wird uns sicher gern bewirten –wahrscheinlich mit gekochtem Fisch, gekochten Kartoffelnund alkoholfreiem Bier. Wir können aber nichtgleichzeitig gehen. Iß du zuerst, ich bin sowieso nichtsehr hungrig.«»Nach deiner sicher zutreffenden Beschreibung istmir eigentlich der Appetit vergangen. Aber ich meldemich freiwillig.«Arnie vertrieb sich die Zeit, indem er an der Anlageherumspielte und die maximale Feldstärke berechnete.Als Ove zurückkehrte, schloß er ihm die Türauf.»Halb so schlimm. Schweinebraten und Rotkohl,sehr nahrhaft und nach Marineart derb zubereitet. Duhast doch seit unserer letzten Begegnung nicht etwadiätetische Vorurteile entwickelt?«»Kaum. Ich freue mich schon auf das Essen.«Kurz vor elf schrillte militärisch-dringlich das Telefon.Ove nahm den Hörer auf.»Hier ist Skou. Die Beobachter treffen gerade einund möchten wissen, wann die Sache beginnt.«»Sagen Sie ihnen, daß es sofort losgeht. Ich kommeraus.« Er legte auf und wandte sich an Arnie. »Fertig?«»Fertiger können wir überhaupt nicht sein.« Er atmetetief ein. »Häng' dich ans andere Telefon, damit


wir in Verbindung bleiben. Du mußt mich ständig aufdem laufenden halten.«»Klar. Und Kopf hoch – es klappt bestimmt.«»Das möchte ich auch hoffen. Sage mir Bescheid,wenn ich anfangen soll.«Ove folgte dem Telefonkabel nach draußen. Skouwartete unten auf ihn.»Wenn Sie bereit sind, sollen Sie bitte gleich anfangen.Admiral Sander-Lange hier ist über siebzig, undzwei andere Generäle sind kaum jünger ...«»<strong>Der</strong> Premierminister ...?«»Hat sich im letzten Augenblick entschlossen, nichtzu kommen. Aber da steht sein Vertreter. Die Leutevon der Luftwaffe sind ebenfalls da – alle, die wireingeladen haben.«»Wir sind soweit. Wenn Sie mir bitte das Telefonbringen würden. Ich werde die Herren kurz unterrichten,und dann fangen wir an.«»Ich wüßte gern, was hier vorgeht«, sagte der Admiral.»Aber gern. Was wir hier zu demonstrieren hoffen,ist der sogenannte <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> ...«»<strong>Daleth</strong>?« fragte ein General.»<strong>Der</strong> vierte Buchstabe des hebräischen Alphabets –das Symbol, mit dem Professor Klein den Gleichungsfaktorbezeichnet hat, der zu der Entdeckung führte.«»Zu welcher Entdeckung?« fragte jemand verwirrt.Ove lächelte. Sein Gesicht war in dem durch dieSchneeflocken verdunkelten Laternenlicht kaum zuerkennen.»Das wollen wir hier ja feststellen. <strong>Der</strong> <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> ist theoretisch bewiesen und in begrenzten Laborversuchenschon realisiert worden. Heute soll er


nun zum erstenmal in einer Größenordnung erprobtwerden, die uns hoffentlich darüber Aufschluß verschafft,ob er allgemein nutzbar ist oder nicht. Da dieserVersuch auch im Hinblick auf die Geheimhaltungnur unter größten Schwierigkeiten vorbereitet werdenkonnte, haben wir uns entschlossen, Beobachterzuzulassen, auch wenn noch die Gefahr eines Fehlschlagsbesteht.«»Inwiefern Fehlschlag?« fragte eine Stimme gereizt.»Diese Frage beantwortet sich in einigen Minutenvon selbst ...« Das Telefon klingelte und Ove unterbrachsich. »Ja?«»Seid ihr soweit?«»Ja. Zunächst mit Minimum-Energie, ja?«»Minimum-Energie. Es geht los.«»Wenn Sie jetzt bitte das Schiff im Auge behaltenwürden, meine Herren«, sagte Ove, nachdem er dieSprechmuschel abgedeckt hatte.Es gab sehr wenig zu sehen. Winzige Schneeflokkenwirbelten durch die Lichtkegel am Kai. DieGangway der Isbjørn war befehlsgemäß eingezogenworden und an den Bug- und den Heckkabeln, dieman ein wenig locker gehängt hatte, standen Männerbereit. Die Ebbe hatte das Schiff etwas vom Kai weggezogen,so daß ein dunkler Abgrund sichtbar war, indem das Wasser zwischen Schiffshülle und Kaimauerhin und her gurgelte und klatschte.»Noch nichts«, sagte Ove.»Ich drehe jetzt auf.«Die Männer traten wegen der Kälte von einem Fußauf den anderen, und ein ärgerliches Gemurmel liefdurch die Gruppe. Eben wollte sich einer der Militärsbei Ove beschweren, als plötzlich ein schrilles, ner-


venzerfetzendes Heulen die Luft erfüllte. Es schienkeinen Ursprung zu haben, sondern von überall herzu kommen. Den Männern war, als ob ihre Schädelknochenvibrierten. Doch der Schmerz schwandschnell, als sich die Vibration in niedrigerer Tonlagefortsetzte.Als der Ton langsam erstarb, begann es in derIsbjørn zu knacken – zuerst im vorderen Teil derSchiffshülle, dann überall. Erregte Rufe wurden anDeck laut. Eine Art Schauer durchlief das Schiff; winzigeWellen entstanden an seiner Wasserlinie undsaugten an der Hülle.»Da!« keuchte jemand, und die Männer starrtenhinüber. Es war unglaublich.Wie auf einem gigantischen Unterwasserpodestbegann der massive Leib des Eisbrechers sich ausdem Wasser zu heben. Zuerst erschien die Ladelinie,dann der rotgestrichene untere Teil des Schiffes. Hierund da undeutliche Flecken, Muschelkolonien, unddarunter hing schlaff nasser Tang. Am Heck wurdeder muschelbesetzte untere Teil des Ruders sichtbar,gefolgt von der Schraube, die sich immer weiter ausdem Wasser hob, bis alle Flügel tropfend freilagen.Die Seeleute an Land ließen hastig die Taue los.»Was ist das? Was soll das?« rief einer der Beobachter,aber seine Stimme ging in dem aufgeregtenGeschrei der anderen unter.<strong>Der</strong> Schneefall ließ etwas nach, und die Flockenwurden von den Böen herumgewirbelt; im Schein derLampen am Kai traten das Schiff und die See jetztwieder überdeutlich hervor. Das abfließende Wasserübertönte sogar die Wellen, die gegen die Kaimauerklatschten.


<strong>Der</strong> Kiel des Schiffes hing jetzt gut einen Meterüber der Oberfläche des Yderhavn-Kanals.»Arnie – alles klar. Du hast es geschafft!« Ove umklammerteden Hörer und starrte auf die mehreretausend Tonnen schwere Masse des Schiffes, die jetztvor ihm frei in der Luft schwebte. »Es hängt mindestenseinen Meter über dem Wasser. Du mußt jetztdie Energie zurücknehmen, und ...«»Das tue ich auch«, sagte Arnie erregt. »Aber esbildet sich eine Oberschwingung, eine stehende Welle...«Seine Worte gingen in einem metallenen Ächzender Isbjørn unter, die zu erzittern schien. Mit erschreckenderPlötzlichkeit sackte dann das Heck ab,als wäre ein unsichtbarer Stützbalken weggezogenworden. Das Schiff klatschte schräg ins Wasser.Ein Geräusch wie von einem gigantischen Wasserfall.Im nächsten Augenblick erschien eine schwarzeWoge über der Kaimauer, richtete sich auf wie einsprungbereites Tier, verharrte einen Meter, zwei Meterreglos in der Luft und kippte dann über. Augenblicklichverwandelte sie sich in einen knietiefen,schäumenden Brecher, der die Beobachter umspülteund dann laut gegen die Mauer hinter dem Kaiklatschte. Er warf die Männer um, schleuderte siedurcheinander, riß sie davon und schwemmte sie wiegestrandete Fische hierhin und dorthin, ehe er in dienächtliche See zurückströmte.Sogleich hörte man Stöhnen und Schreie, und derLärm fand sein Echo auf dem Schiff.»Hierher – hier ist der Admiral!«»Nicht berühren – das Bein ist gebrochen, hoffentlichist nichts Schlimmeres passiert.«


»Schlimm genug ...«»Runter von mir ...!«»Rufen Sie einen Krankenwagen. <strong>Der</strong> Mann hier istverletzt ...«Schwere Stiefel knallten über das Pflaster, als dieWächter herbeigelaufen kamen; jemand brüllte in dasMikrofon eines Polizeifunkgeräts. An Bord der Isbjørnschepperte es metallisch, während das Schiff wildhin- und herschwankte. Die Stimme des Kapitäns wardeutlich herauszuhören. »Wir ziehen achtern Wasser– die Holzpflöcke, ihr Idioten! Wenn ich die Leute zufassen kriege, die ...«Das ohrenbetäubende Heulen von Sirenen einigerStreifenwagen wurde lauter, und gleich darauf warauch das näherkommende Schrillen von Krankenwagenzu hören.Ove sah sich verwirrt um. Die Welle hatte ihn andie Mauer geschwemmt; er war von Kopf bis Fußdurchnäßt und hatte sich im Telefonkabel verheddert.Vorsichtig setzte er sich auf, lehnte sich an den rauhenStein und beobachtete die wild hin- und herlaufendenbrüllenden Männer. Die plötzliche Katastrophewar für ihn ein Schock; es hatte sicher Verwundete,möglicherweise sogar Tote gegeben. Das alleswar so entsetzlich. Es hätte nicht passieren dürfen.Zugleich wallte ein derartiges Glücksgefühl in ihmauf, daß er fast laut geschrien hätte. Es hatte geklappt!Sie hatten es geschafft! Arnies Voraussagen über den<strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> hatten sich als richtig erwiesen.Die Welt hatte heute nacht etwas hinzugewonnen,etwas, das bisher nicht existiert hatte; und von diesemAugenblick an war die Welt nicht mehr dieselbe.Er lächelte in der Dunkelheit, ohne zu merken, daß


ihm Blut am Kinn hinablief und er sich vier Vorderzähneausgeschlagen hatte.<strong>Der</strong> Wind trieb immer mehr Schnee über das Wasser;nur für kurze Augenblicke gab er den Blick frei,ehe er die Sicht wieder versperrte. <strong>Der</strong> Mann auf deranderen Seite des Yderhavn-Kanals fluchte ausdauerndin einer gutturalen Sprache. Mehr hatte er in derEile nicht auf die Beine stellen können – und es genügteeinfach nicht ...Er lag auf dem Dach eines Lagerhauses gegenüberdem Langelinie-Kai, vielleicht achthundert Meter entfernt.In diesem Gebiet hielt sich nach Einbruch derDunkelheit kaum ein Mensch auf, und den wenigenNachtwächtern und Polizisten, die hier patrouillierten,war er mühelos aus dem Weg gegangen. Er hatteein ausgezeichnetes 200-mm-Nachtglas, aber auchdamit konnte er natürlich nichts sehen, wenn esnichts zu sehen gab. Kurz nach Ankunft der Dienstwagenauf dem Kai hatte es zu schneien begonnen,und die Flocken waren seither immer dichter gefallen.Die Wagen hatten sein Interesse geweckt, dienächtliche Aktivität höchster Kreise, das geplante Zusammentreffeneiniger wichtiger Militärs, die er beobachtete.Er hatte keine Ahnung, was das sollte.Man hatte sich mitten in der Nacht bei Schneetreibenauf den Kai dort drüben begeben, um sich einen verdrecktenEisbrecher anzusehen, der mit Kohle beheiztwurde. Er fluchte erneut und spuckte in die Dunkelheit– er war ein häßlicher Mann, und sein Ärgermachte ihn noch häßlicher; ein Mann mit schmalenLippen, rundem Kopf, Stiernacken und dünnem,grauem Haar, das so kurz geschnitten war, daß seinKopf wie rasiert wirkte.


Was hatten diese dicken, dummen Dänen vor? Irgendetwas war geschehen; ein Unfall hatte sich ereignet.Es schien Verletzte gegeben zu haben, und dasWasser war aufgewühlt worden. Aber von einer Explosionhatte er nichts gehört. Jetzt herrschte drübengroße Aufregung, Krankenwagen und Polizeifahrzeugerasten von allen Seiten heran. Was auch geschehenwar – es war vorüber, und er durfte nichtdamit rechnen, heute nacht noch etwas Wichtiges zuGesicht zu bekommen. Wieder fluchte er und standauf. Er war völlig durchgefroren.Irgend etwas war geschehen, kein Zweifel. Und erwürde herausbekommen, was es war. Für solcheDinge wurde er bezahlt, und solche Dinge machtenihm Spaß.


5.»Keine besonders schöne Aussicht«, gab Bob Baxterzu, »aber sie regt mich irgendwie an. Ich bin nie inGefahr, die Bedeutung meiner Arbeit zu vergessen,wenn ich hier aus dem Fenster sehe.«<strong>Der</strong> andere Mann in dem kleinen Raum saß stocksteifauf der Kante seines Stuhls und nickte förmlich.Er war als Horst Schmidt bekannt – ein Name, der fürHoteleintragungen ebenso geeignet war wie JohnSmith.»Irgendwie friedlich«, sagte Baxter und zielte mitder Bleistiftspitze auf die weißen Steine und grünenBäume. »Etwas Friedlicheres als einen Friedhof gibtes wohl nicht. Und wissen Sie, was sich in dem Gebäudemit dem komischen Dach befindet – unmittelbarauf der anderen Seite des Friedhofs?«»Die Botschaft der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.«Schmidts Englisch war gut, wenn erauch einen leichten Akzent hatte; er neigte dazu, dieR-Laute tief in der Kehle zu rollen.»Verdammt symbolisch, nicht wahr?« Baxterdrehte sich um und ließ den Bleistift auf seinen Tischfallen. »Die amerikanische Botschaft gegenüber derrussischen Botschaft – und dazwischen ein Friedhof.Das stimmt einen nachdenklich. Was haben Sie überden Zwischenfall am Hafen neulich herausgefunden?«»Das war nicht leicht, Mr. Baxter. Die in Fragekommenden Stellen schweigen sich aus.« Schmidtlangte in seine Brusttasche, holte einen zusammengefaltetenBogen hervor, hielt ihn auf Armeslänge von


sich und versuchte mit zusammengekniffenen Augenzu lesen. »Das ist die Liste der Leute, die mit Verletzungenins Krankenhaus eingeliefert wurden. DieVerletzungen dürften alle zur gleichen Zeit ...«»Ich lasse eine Xerox-Kopie machen. Sie könnensich die Einzelheiten also sparen. Wenn Sie mir bittenur einen Überblick geben würden ...«»Natürlich. Ein Admiral, ein General, ein Oberst,ein anderer hoher Offizier, ein hoher Regierungsbeamter– insgesamt fünf Personen. Ich habe gutenGrund zu der Annahme, daß eine unbestimmte Anzahlweiterer Personen nach ambulanter Behandlungentlassen wurde – darunter zahlreiche Angehörigeder Luftwaffe.«»Sehr gute Arbeit.«»Es war nicht einfach. An die Unterlagen in Militärlazarettenist schwer heranzukommen. Ich hattegewisse Ausgaben ...«»Überlassen Sie mir nur Ihren Zettel, und Sie bekommenIhr Geld, keine Sorge. Aber jetzt zur Preisfrage,wenn ich mal so sagen darf – was hat all dieVerletzungen verursacht?«»Sie werden einsehen, daß das schwer festzustellenist. Es hat mit einem Schiff zu tun, der Isbjørn, einemEisbrecher.«»Das möchte ich nicht gerade als große Neuigkeitbezeichnen. Wir haben das vom ersten Tag an gewußt.Es muß doch mehr zu erfahren sein.«»O ja, Sir. Die Isbjørn ist zur Marinewerft in Christianshavnhinübergeschleppt worden, wo sie repariertwird. Anscheinend hat sie irgendwelche Schäden ander Schiffshülle erlitten, vielleicht durch eine Kollision.Ich habe feststellen können, daß das, was den


Schaden am Schiff hervorrief, auch die Verletzungender Männer verursacht hat. Allein an diese Informationheranzukommen, war außerordentlich schwierig,denn alles, was diese Affäre betrifft, ist der äußerstenGeheimhaltung unterworfen. Und das läßt mich natürlichvermuten, daß hier etwas sehr Wichtiges inder Luft liegt.«»Das glaube ich auch, Horst, das glaube ich auch.Es scheint eine große Sache für die Dänen zu sein; dasMilitär und die Regierung und sogar ein verdammterEisbrecher sind darin verwickelt. Und wenn ich andiesen Eisbrecher denke, muß ich auch an Eis denkenund an Rußland – und ich wüßte zu gern, was zumTeufel hier eigentlich vorgeht.«»Sie haben also noch keine ...?« Horst gestattetesich ein völlig humorloses Lächeln, das ein häßlichesDurcheinander aus gelben Zähnen und Stahlprothesenenthüllte, in das sich ein Goldzahn verirrt hatte.»Ich meine, hätten Sie nicht gewisse Informationendurch die NATO bekommen müssen ...?«»Das geht Sie einen Dreck an. Sie sind hier, um mirInformationen zu bringen – nicht umgekehrt. Allerdingskann es nichts schaden, wenn Sie wissen, daßsich offiziell überhaupt nichts ereignet hat, und daßuns gegenüber auch niemand ein Wort darüber verlierenwird.«»Das ist natürlich sehr undankbar«, sagte Horst kalt.»Nach allem, was Ihr Land für die Dänen getan hat!«»Das kann man wohl sagen.« Baxter warf einenschnellen Blick auf seine goldene Armbanduhr. »Siekönnen mir heute in einer Woche Bericht erstatten –zur gleichen Zeit. Bis dahin müßten Sie eigentlichmehr herausgefunden haben.«


Schmidt überreichte ihm das Stück Papier mit denNamen. »Sie haben gesagt, Sie wollten das fotokopieren.Und dann geht es noch um das ...« Er streckteBaxter die geöffnete Hand hin und lächelte kurz, eheer sie wieder senkte.»Geld – na, sagen Sie es ruhig, Horst. Geld. Wirbrauchen uns dessen nicht zu schämen. Wir alle arbeitenum des Geldes willen, das die Welt inSchwung hält. Ich bin gleich zurück.«Baxter nahm den Bogen und verschwand durch dieVerbindungstür im Nebenbüro. Schmidt wartete. Erholte eine kleine Plastikschachtel aus der Tasche, entnahmihr zwei weiße Tabletten und zerkaute sie.Baxter kehrte zurück und reichte ihm das Papier zusammenmit einem länglichen, unbeschrifteten Umschlag.Schmidt ließ beides in seiner Tasche verschwinden.»Wollen Sie's nicht zählen?« fragte Baxter.»Sie sind doch ein Ehrenmann.« Er stand auf undnahm seinen Mantel, seinen Schal und seinen breitkrempigenHut von dem Garderobenhaken in derEcke. Ohne ein weiteres Wort verließ Schmidt dasBüro durch die Tür, die auf den grauen nüchternenFlur führte. Draußen war kein Namensschild, sondernnur die Nummer 117. Anstatt zur Vorhalle abzubiegen,setzte er seinen Weg durch den Flur fortund ging dann eine Treppe hinab in die Bücherei desUnited States Information Service. Hier nahm er zweiBücher aus dem Regal dicht bei der Tür, ohne auf dieTitel zu achten, und zog seinen Mantel über, währenddie Bände eingetragen wurden. Als er einige Minutenspäter auf die Østerbrogade hinaustrat, hielt er sichdicht hinter einem Mann, der ebenfalls Bücher trug.


Während sich der andere bald nach rechts wandte,bog er links ab und schritt gleichgültig am Friedhofder Garnison entlang zur Untergrundstation Østerport.Im Bahnhof machte er die Runde: Er kaufte eineZeitung am Kiosk neben dem Eingang, wandte sichum und musterte über den Zeitungsrand die Menschen,die nach ihm die Station betraten. Er ging zuden Toiletten am anderen Ende. Er schloß die Bücherund die Zeitung in ein Gepäckfach ein und steckteden Schlüssel in die Tasche. Er ging eine Treppe hinabzu den Zügen, von wo er – obwohl es verbotenwar, die Gleise zu überqueren – einige Zeit späterüber eine andere Treppe wieder zum Vorschein kam.All das schien ihn durstig gemacht zu haben, denn ergönnte sich schließlich ein Glas Carlsberg an einemder brusthohen Tische in der Snackbar. All dieseHandlungen schienen ihren Zweck endlich erfüllt zuhaben, denn als er sich mit dem Handrücken denSchaum von den Lippen gewischt hatte, verließ er dieStation durch den Hintereingang und schritt zügigdie Østbanegade entlang, dicht neben den Gleisen,die hier aus dem Tunnel ans Licht der wäßrigenWintersonne traten. An der ersten Ecke wandte ersich nach links und schritt an der anderen Seite desFriedhofs entlang. Er war allein auf der Straße.Als er sich durch einen Rundblick noch einmal davonüberzeugt hatte, machte er auf dem Absatz kehrt,ging durch die geöffneten schmiedeeisernen Toreund verschwand in der sowjetischen Botschaft.


6.»Ja, ja«, sagte Nils Hansen in das Telefon. »Jegskal noktale med hende. Tak for det.« Ungeduldig trommelte ermit den Fingern auf den Apparat, während er wartete.<strong>Der</strong> Mann, der sich ihm als Skou vorgestellt hatte,stand am Fenster und blickte in den grauen Winternachmittaghinaus. Das leise Pfeifen von Düsen wurdehörbar, als eines der großen Flugzeuge von derLandebahn heranrollte.»Hallo, Martha«, fuhr Nils auf englisch fort. »Wiegeht's ... Prima ... Nein, ich bin in Kastrup eben eingetroffen.Ein Rückenwind aus Athen hat uns beflügelt.Leider muß ich sofort wieder los ...« Er nicktezustimmend, dann verzog er unbehaglich das Gesicht.»Hör zu, Liebling, du hast ja völlig recht. Ich binganz deiner Meinung, aber wir können absolut nichtsdagegen tun. Die Naturgewalten haben anders entschieden.Ich kann zwar nicht selbst fliegen, aber ichkann mich fliegen lassen. Einer der Piloten – einSchwede, was sonst? – liegt mit einer Blinddarmentzündungin Kalkutta fest. Ich sause mit dem nächstenFlug hin, der jetzt schon auf mich wartet, und schlafeunterwegs und habe dann auch noch eine Nacht imOberoi Grand, ehe ich seinen Rückflug übernehme. Ja... eher, achtundvierzig Stunden, würde ich sagen ...Es tut mir auch leid, daß ich das Essen verpasse, undsag doch bitte den Overgaards, daß ich mit Tränen inden Augen an ihr dyresteg denke ... Natürlich fehlstdu mir auch, skat, und ich werde dafür sorgen, daßich einen ordentlichen Bonus bekomme, und dafür


kaufe ich dir was Nettes. Ja ... sehr schön ... mach'sgut.«Nils hängte auf und starrte mit unverhohlener Abneigungauf Skous Rücken. »Es macht mir keinenSpaß, meine Frau anzulügen«, sagte er.»Es tut mir sehr leid, Kapitän Hansen, aber das läßtsich leider nicht vermeiden. Wir müssen diese Sachegeheimhalten.« Er sah auf seine Uhr. »Das Flugzeugnach Kalkutta startet gerade, und Sie stehen auf derPassagierliste. Sie sind auch in dem Hotel in Kalkuttaangemeldet, obwohl Sie dort natürlich keine Telefongesprächeentgegennehmen können. Wir haben dieSache bis in die letzten Einzelheiten geplant – einharmloses, aber notwendiges Täuschungsmanöver.«»Wieso notwendig? Sie erscheinen aus dem Nichts,führen mich in dieses Büro, zeigen mir Briefe vonwichtigen Leuten, die meine Mitarbeit erbitten – darunterauch ein Schreiben meines Kommandanten derLuftwaffenreserve –, ringen mir ein Versprechen abund bringen mich dazu, meine Frau zu belügen –aber in Wirklichkeit haben Sie mir überhaupt nichtsgesagt. Was zum Teufel wird hier gespielt?«Skou nickte ernst.»Wenn ich es Ihnen sagen könnte, würde ich es aufder Stelle tun. Ich kann es aber nicht. Sehr bald werdenSie alles wissen. Können wir jetzt gehen? Ichnehme Ihren Koffer.«Nils riß das Gepäckstück an sich, ehe es der andereanfassen konnte, stand auf und knallte sich die Uniformkappeauf den Kopf. Skou öffnete die Tür, undNils stapfte hinter ihm hinaus. Sie verließen dasFlughafengebäude durch den Hintergang, wo bereitsein Taxi auf sie wartete. Kaum waren sie eingestie-


gen, als der Fahrer auch schon seine Uhr einstellteund den Wagen startete, ohne auf Anweisungen zuwarten.»Das ist interessant«, sagte Nils und sah aus demFenster. Seine Stirn hatte sich geglättet; sein Ärgerhielt niemals lange vor. »Anstatt nach Kopenhagenzu fahren und uns der großen Welt zuzuwenden, fahrenwir auf dieser tischtuchgroßen Insel nach Süden.Was ist wohl in dieser Richtung Interessantes zu finden?«Skou langte nach vorn und hob einen schwarzenMantel und ein dunkles Käppi vom Beifahrersitz.»Würden Sie bitte Ihren Uniformmantel ablegen, dieMütze absetzen und diese Sachen anziehen? Ich binsicher, daß Ihre Hosen nicht ohne weiteres als Teil einerSAS-Uniform zu identifizieren sind.«»Himmel – das ist ja wie in einem Krimi«, sagteNils. »Ich hoffe doch, daß unser guter Chauffeur indie Sache eingeweiht ist.«»Natürlich.«Auf dem geräumigen Vordersitz lag ein kleinerKoffer, in dem der abgelegte Mantel und die Mützegerade Platz hatten. Nils stellte den Kragen seinesneuen Mantels auf, zog das Käppi über seine Augenund senkte den Kopf.Schweigend setzten sie die Fahrt fort. Bald war dasFischerdorf Dragør erreicht, und Nils musterte argwöhnischdie alten roten Backsteinhäuser. Aber siefuhren durch den Ort hindurch und zum Wasser.»Nach Schweden?« fragte Nils. »Mit der Autofähre?«Skou machte sich nicht die Mühe, zu antworten,und der Wagen fuhr an der Anlegestelle vorbei zum


kleinen Hafen. Hier lagen einige Jachten vertäut undeine ziemlich große Barkasse.»Wenn Sie mir bitte folgen würden«, sagte Skouund nahm Nils' Koffer an sich, ehe er zugreifenkonnte. Beide Koffer in der Hand, ging er voraus zumKai. Nils folgte ihm mißtrauisch. Skou kletterte in dasBoot und setzte die Koffer in der Kabine ab; dannwinkte er Nils zu, an Bord zu kommen. <strong>Der</strong> Mann amRuder schien sich um all das nicht zu kümmern, aberer ließ den Motor an.»Ich verabschiede mich jetzt«, sagte Skou. »Ichmöchte annehmen, daß es in der Kabine recht gemütlichist während der Fahrt.«»Während der Fahrt, wohin?«Ohne zu antworten, sprang Skou wieder an Landund begann die Leinen loszubinden. Nils trat gebücktdurch die niedrige Tür. Drinnen ließ er sich auf dieBank fallen. Es war so düster in der Kabine, daß ererst nach einer Weile merkte, daß er nicht allein war.»Guten Tag«, wandte er sich an die zusammengesunkeneGestalt am anderen Ende der Bank und erhielteine brummige Antwort. Als sich seine Augenlangsam an das Halbdunkel gewöhnten, merkte er,daß der andere Mann einen Koffer vor sich stehenhatte und daß er auch einen schwarzen Mantel undein dunkles Käppi trug.»Was sagt man denn dazu?« fragte Nils lachend.»Sieht so aus, als hätte man Sie ebenfalls eingefangen.Wir tragen die gleiche Uniform.«»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte der andereverdrießlich, riß sich das Käppi vom Kopf und stopftees in die Tasche. Nils schob sich an der Bank entlangund ließ sich gegenüber dem Fremden nieder.


»Oh, Sie verstehen mich schon. Dieser Skou undsein geheimnisvolles Getue. Ich möchte wetten, daßSie für eine wichtige Aufgabe abberufen und in allerEile hierhertransportiert worden sind.«»Woher wollen Sie das wissen?« fragte der andereund richtete sich auf.»Instinkt.« Nils nahm sein Käppi ab und deutetedarauf, dann betrachtete er überrascht das Gesichtseines Gegenübers. »Kenne ich Sie nicht irgendwoher?Von einer Party oder so ... nein, aus den Zeitungen.Sie sind doch der U-Boot-Mann, der bei der Bergungder 707 vor der Küste geholfen hat. Carlsson,Henriksen – oder so ähnlich ...«»Henning Wilhelmsen.«»Nils Hansen.«Nach dieser Vorstellung schüttelten sie sich automatischdie Hände, und die Spannung zwischen ihnenließ etwas nach. Es war warm in der winzigenKabine, und Nils öffnete seinen Mantel. Mit monotontuckerndem Motor entfernte sich das Boot langsamvon der Küste. Wilhelmsen betrachtete die Uniformdes anderen.»Na, wenn das nicht interessant ist! Ein Marinekommandantund ein SAS-Pilot, die mit einer Barkasseauf den Öresund hinausgeschaukelt werden. Wasmag nur dahinterstecken?«»Vielleicht hat Dänemark einen Flugzeugträgerhier draußen, von dem niemand etwas weiß?«»Aber was hätte ich dabei zu tun? Es müßte sichschon um einen U-Boot-Flugzeugträger handeln, unddavon hätte ich bestimmt gehört. Wie wär's mit einemDrink?«»Aber die Bar ist geschlossen.«


»Jetzt nicht mehr.« Wilhelmsen holte aus seinerManteltasche eine lederüberzogene Flasche.Nils schnalzte unbewußt mit der Zunge, als einedunkle Flüssigkeit in den Metallverschluß gluckerte.<strong>Der</strong> Rum schmeckte sehr gut und ließ den Nachmittagplötzlich in einem anderen Licht erscheinen.Nach einer gewissen Zeit vorsichtigen Abtastens kamendie beiden Männer zum Thema und tauschtenInformationen aus, nur um festzustellen, daß sie dadurchauch nicht schlauer wurden. Aus unbekanntenGründen wurden sie irgendwohin gebracht. Nachdemsie eine Zeitlang in die untergehende Sonne gestarrthatten, kamen sie überein, daß als einziges dänischesGebiet auf ihrem Kurs die Insel Bornholm lag,die für das kleine Boot aber viel zu weit entfernt war.Eine halbe Stunde später war die Raterei zu Ende, alsder Bootsmotor gestoppt wurde und sich die Steuerbord-Bullaugenplötzlich verdunkelten.»Natürlich, ein Schiff«, sagte Henning Wilhelmsenund steckte den Kopf durch die Tür. »Die MS VitusBering.«»Nie von ihr gehört.«»Aber ich. Das ist ein Schiff des Marine-Institutsund hat letztes Jahr als Mutterschiff für das kleineVersuchs-U-Boot Blæksprutten fungiert. Ich habe damalsdie Versuchsfahrten selbst kommandiert.«Schritte ertönten an Deck, und ein Seemann steckteden Kopf herein und fragte nach dem Gepäck. Siereichten ihre Koffer hinauf und folgten ihm über dieStrickleiter nach oben. Ein Offizier forderte sie auf,mit ihm in die Offiziersmesse zu kommen, und zeigteihnen den Weg. Hier wartete mehr als ein DutzendUniformierte, Vertreter aller Streitkräfte. Außerdem


waren vier Zivilisten anwesend. Nils erkannte zwei –einen Politiker, den er einmal geflogen hatte, undProfessor Rasmussen, den Nobelpreisträger.»Wenn Sie sich bitte setzen würden, meine Herren«,sagte Ove Rasmussen. »Ich möchte Ihnen denGrund für Ihr Hiersein erklären.«Bei Tagesanbruch lag das Schiff weit draußen in derOstsee, in internationalen Gewässern, hundertundfünfzigKilometer vom Land entfernt. Arnie hatte eineschlechte Nacht hinter sich; er war kein begeisterterSeefahrer, und die Bewegungen des Schiffes hattenihn nicht schlafen lassen. Er erschien als letzter anDeck und stellte sich zu den anderen, die eben dasAusfieren der Blæksprutten beobachteten.»Sieht ja wie ein Spielzeug aus«, sagte Nils Hansen.<strong>Der</strong> große Pilot trug zwar seine SAS-Mütze, war ansonstenaber wie die anderen gegen den schneidendenarktischen Wind in hohe Gummistiefel, Sweaterund feste Wollhosen gekleidet. Es war ein düstererWintertag; die Wolken hingen tief, und man konntenicht weit sehen.»Das Ding ist kein Spielzeug – und es ist größer, alses aussieht«, sagte Wilhelmsen lebhaft.Arnie lenkte Oves Blick auf sich und winkte ihnbeiseite.»Ein herrlicher Tag für den Versuch«, sagte Oveund betastete mit der Zunge vorsichtig seine neuenZähne; er hatte sich noch nicht daran gewöhnt. »DieSichtweite ist minimal, und der Radarschirm ist absolutleer. Ein Flugzeug der Luftwaffe hat uns vor einigerZeit überflogen und gemeldet, daß das nächsteSchiff über hundertundvierzig Kilometer entfernt ist;


außerdem nur ein polnischer Küstenfrachter.«»Ich wäre gern bei dem Versuch an Bord, Ove.«Ove berührte seine Schulter. »Glaubst du, das weißich nicht? Ich will dich ja auch nicht von deinem Platzverdrängen. Aber der Minister meint, du bist zuwertvoll, als daß wir dein Leben bei diesem erstenVersuch riskieren können. Und er hat wohl recht.Mach' dir keine Sorgen, ich werde auf dein Babyschon aufpassen.«Mit viel Winken und Geschrei wurde das kleine U-Boot über das Wasser geschwenkt und langsam hinabgelassen.Henning Wilhelmsen hastete die Leiterhinunter, ehe es überhaupt das Wasser berührt hatte,und sprang an Bord. Er verschwand durch die Lukeim Turm, und nach einigen Minuten ertönte das Surrender U-Boot-Maschinen. Henning erschien wiederin der Luke und winkte. »Kommen Sie an Bord!« riefer.Ove ergriff Arnies Hand. »Es wird schon klappen«,sagte er. »Seit dem Einbau der <strong>Daleth</strong>-Anlage habenwir das Boot mehr als ein dutzendmal überprüft.«»Ich weiß, Ove. Viel Glück.«Ove stieg die Leiter hinab, gefolgt von Nils Hansen.Die Männer verschwanden im Schiff und schlossendie Luke.»Leinen los!« Hennings Stimme dröhnte aus demLautsprecher an Deck, der mit dem kleinen Funkgerätder Blæksprutten verbunden war. Die Taue wurdenlosgeworfen, und das kleine U-Boot legte ab undbegann Fahrt aufzunehmen. Arnie nahm das Mikrofonund drückte auf den Sprechknopf.»Geht auf eine Entfernung von etwa dreihundertMeter, ehe ihr mit dem Versuch beginnt.«


»Ja vel!«Die Maschinen waren gestoppt worden, und dieVitus Bering rollte in der kaum bewegten See. Arnieumklammerte die Reling und starrte dem U-Bootnach.Er griff nach seinem Fernglas und hob es an dieAugen, als die Blæksprutten den Kurs änderte und dasMutterschiff in einem großen Bogen zu umkreisenbegann. Durch den Feldstecher war das Boot deutlichzu sehen; es bewegte sich gleichmäßig voran in demruhigen Wasser, das kaum an seiner Hülle hochleckte.Dann – ja, kein Zweifel: die Wellen brachen sich ander Flanke, und im nächsten Augenblick war ein größeresStück der Schiffshülle sichtbar. Das Boot schienim Wasser aufzusteigen, bis es schließlich unnatürlichhoch auf den Wellen schwamm. Und es stieg weiter.Bis es wie ein riesiger Ballon auf der Wasseroberflächeruhte.Und sich dann anmutig in die Luft erhob – fünf,zehn, dreißig Meter hoch. Arnie ließ das Fernglas sinkenund beobachtete den Versuch reglos; seine Händeumklammerten die Reling.Mit der Eleganz eines Flugobjekts, das leichter alsdie Luft war, schwebte das zwanzig Tonnen großemetallene U-Boot gut vierzig Meter über dem Meer.Dann schien es sich auf ein unhörbares Kommandozu drehen, bis sein Bug direkt auf das Mutterschiffgerichtet war. Ohne den Blick abzuwenden, tasteteArnie nach dem Mikrofon und schaltete es ein.»Ihr könnt wieder landen. Ich glaube, das Experimentläßt sich schon als Erfolg bezeichnen.«


7.»Ich begreife langsam, warum wir an Bord eines U-Boots einen Flugzeugpiloten brauchen«, sagte Nilsund drehte an dem Rad, das die untere Luke im U-Boot-Turm verschloß.»Kümmern Sie sich um das Log, ja?« fragte Henningund deutete auf das geöffnete Buch, das auf demkleinen Navigationspult lag.»Ja, mach' ich«, sagte Nils, sah auf die Uhr undmachte eine Eintragung. »Wenn alles klappt, werdenSie der einzige U-Boot-Kommandant sein, der jemalseine Flugzulage bekommt.«»Bringen Sie uns bitte von der Vitus Bering weg,Kommandant Wilhelmsen«, sagte Arnie, der konzentriertauf seine Instrumente starrte. »Mindestensso weit wie beim erstenmal.«»Ja vel.« Henning rückte den Antriebshebel um eineMarke vor, und die Pumpen unter den Füßen derMänner begannen zu surren.»Zweihundert Meter«, verkündete Henning unddrosselte die Energie.»Die Pumpen für Ihre Düsen sind mechanisch?«fragte Arnie.»Ja, sie werden elektrisch betrieben.«»Können Sie sie völlig abschalten, um eine gleichmäßigeStromspannung aus dem Generator zu gewährleisten?Wir haben zwar Spannungsregulatoren,aber es wäre mir eine große Hilfe, wenn Sie für einemöglichst konstante Energiezufuhr sorgen könnten.«Henning betätigte eine Reihe von Schaltern. »Energieabgeschaltet. Natürlich verbrauchen wir noch


Strom für die Instrumente und die Sauerstoffanlage.Aber das könnte ich auch noch abschalten, wenn Siewollen – allerdings nur für kurze Zeit.«»Nein, so geht es schon. Ich aktiviere jetzt den Antriebund werde mit geringstem Energieaufwand etwahundert Meter aufsteigen.«Nils machte eine Eintragung im Logbuch und betrachtetedie Wellen, die an das Bullauge zu seinerRechten schlugen. »Wir haben nicht zufällig einenHöhenmesser auf diesem Kahn, Henning?«»Offen gesagt, nein.«»Schade. Müssen wir natürlich einbauen. Und Radaranstelle des Sonargeräts. Ich habe so das Gefühl,als wären die gemütlichen Zeiten für Sie vorbei ...«Henning hob bekümmert die Schultern. Er wandtesich dem Bullauge zu, als eine Vibration durch das U-Boot lief – eine Vibration, die mehr zu fühlen als zuhören war. Die Wasseroberfläche fiel stetig zurück.»Jetzt sind wir in der Luft«, sagte er und betrachtetehilflos seine nutzlosen Instrumente. Das Bootstieg weiter.»Hundert Meter«, mutmaßte Nils und starrte aufdie kleine Vitus Bering hinab. Arnie korrigierte seineKontrollen und wandte sich um.»Wir scheinen ausreichend Energiereserven zurVerfügung zu haben, auch wenn der Antrieb unsereMasse in dieser Höhe halten muß. Alle Geräte funktionierengut, und es besteht keine Gefahr einerÜberlastung. Sind Sie bereit, meine Herren?«Das Summen wurde lauter, und die Stühle, auf denendie Männer saßen, begannen bei dem Andruckunter ihrem Gewicht zu knistern. Nils und Henningstarrten besorgt durch die Bullaugen, während das


kleine U-Boot in den Himmel schoß.Die dichte Wolkenschicht fiel bald unter dem Kielder Blæksprutten zurück. Plötzlich veränderte sich dergleichmäßige Rhythmus der Dieselmotoren, und Arniesagte: »Die Spannung sinkt! Was ist los?«Henning hatte sich in den kleinen Maschinenraumgezwängt und brüllte: »Ich weiß nicht! Vielleicht derTreibstoff ... Die Leistung läßt nach.«»<strong>Der</strong> Luftdruck«, sagte Nils. »Wir haben die obereGrenze erreicht. <strong>Der</strong> Sauerstoffgehalt der Luft ist hieroben zu niedrig ...«Die Maschinen stockten, stotterten, wurden fastabgewürgt. Ein Zittern ging durch das U-Boot. Imnächsten Augenblick begann die Blæksprutten abzustürzen.»Können Sie nichts tun?« brüllte Arnie, der verzweifeltan seinen Kontrollen hantierte. »Die Energiezufuhr... schwankt derart ... daß der <strong>Daleth</strong>-Antriebnicht mehr ... funktioniert. Können Sie die Stromversorgungnicht stabilisieren?«»Die Batterien!« Henning stürzte an sein Kommandopult.Dabei war die Fallbeschleunigung desBootes so groß, daß er fast in der Luft schwebte.Er griff nach seiner Sessellehne, glitt ab, schwebtenach oben und prallte schmerzhaft gegen das Periskopgehäuse.Diesmal fand er Halt, zog sich auf seinenSitz und schnallte sich fest. Dann langte er nachden Schaltern.»Volle Stromleistung – ein!«Das Boot stürzte weiter. Arnie sah kurz zu den beidenhinüber.»Fertigmachen. Ich habe den Antrieb ganz ausgeschaltet.Wenn ich ihn jetzt wieder aktiviere, dürfte


die Reaktion ziemlich heftig ausfallen, weil ...«Metall kreischte, Gegenstände krachten zu Bodenund zerbrachen, und die Männer keuchten, als ihnendie plötzliche Gegenbeschleunigung den Atem nahm.Einen Augenblick lang schwebten sie am Rande derOhnmacht.Dann war alles vorbei. Die Maschinen liefen ruhig,und die aus den Düsen strömende Luft zischte leise.»Das«, sagte Nils und zog tief die Luft ein, »solltenwir nicht noch einmal machen.«»Wir halten unsere Höhe ohne seitliche Abweichung«,sagte Arnie und versuchte, seine Stimme ruhigklingen zu lassen. »Möchten Sie, daß wir umkehren– oder sollen wir den Versuch beenden?«»Solange das nicht noch einmal vorkommt, bin ichfür's Weitermachen«, sagte Nils.»Ich auch. Aber ich schlage vor, daß wir nur nochmit den Batterien arbeiten.«»Wie sieht es mit der Spannung aus?«»Ausgezeichnet. Kaum fünf Prozent der Energieverbraucht.«»Dann steigen wir wieder auf. Sagen Sie mir Bescheid,wenn die Batteriespannung auf siebzig Prozentabgesunken ist – dann kehren wir um. Damitdürften wir auch ausreichend Spielraum haben. ImNotfall können wir zusätzlich noch die Maschinenarbeiten lassen, wenn wir tief genug sind.«Diesmal traten keine Schwierigkeiten auf. Die Maschinenarbeiteten regelmäßig. Henning schaltete sieab und machte das Schiff luftdicht. Dann begann derAufstieg.»Fünftausend Meter mindestens«, sagte Nilsschließlich und blickte mit zusammengekniffenen


Augen fachmännisch auf die Wolkendecke hinab.»Den größten Teil der Troposphäre haben wir hinteruns.«»Dann kann ich den Antrieb ja beschleunigen. Bittehalten Sie die Zeit fest.«Die Krümmung der Erde war jetzt deutlich sichtbar;darüber ging das blaßblaue Band der Atmosphärelangsam in das Schwarz des Alls über. Die größerenSterne waren zu sehen; die Sonne stach wie einLeuchtfeuer durch ein Bullauge und brannte einengleißenden Lichtfleck auf den Boden. <strong>Der</strong> Andruckließ nach.»Da wären wir«, sagte Arnie. »Die Geräte funktioniereneinwandfrei, und wir halten unsere Position.Läßt sich unsere Höhe schätzen?«»Hundertundfünfzig Kilometer«, sagte Nils.»Batteriereserve auf fünfundsiebzig Prozent, fälltlangsam ab.«»Ja, auch das Stillstehen kostet Energie, fast sovielwie die Beschleunigung.«»Dann haben wir's also geschafft!« sagte Nils.»Batteriereserve jetzt fast auf siebzig Prozent ...«»Dann zurück.«Langsam begann das U-Boot an Höhe zu verlieren.»Kommen wir nicht viel weiter westlich runter?«fragte Nils. »Die Erde hat sich doch inzwischen unteruns hinweggedreht, so daß wir nicht mehr an dergleichen Stelle aufsetzen ...«»Nein, wir haben diese Bewegung natürlich mitgemacht.Wir dürften eigentlich nicht mehr als zwei,drei Kilometer von unserer Ausgangsposition entferntsein.«»Dann kümmere ich mich wohl am besten um das


Funkgerät.« Henning schaltete den Apparat ein. »Wirsind sicher bald in Reichweite und müssen dann natürlichmelden ...«Durch die statischen Hintergrundsgeräusche wardeutlich eine Stimme zu hören, die den nur für Einheimischeverständlichen Kopenhagener Dialektsprach.»... tauch, Töchterchen, tauch, und kümmere dich nichtum Luft. Schwimm tief, Schwesterchen, schwimm tief ...«»Meine Güte, wovon redet denn der?« fragte Arnie.»Davon!« sagte Nils, der aus einem Bullauge starrteund mit schneller Kopfbewegung die pfeilförmigensilbernen Gebilde im Auge behielt, die unten vorüberblitzten.»Russische Migs. Da wir eben erst durchdie Wolken getaucht sind, glaube ich nicht, daß sieuns gesehen haben. Können wir schneller absinken?«»Festhalten!«Arnie bewegte einen Finger, und den Männernhing plötzlich der Magen in der Kehle.»Geben Sie mir Bescheid, wenn wir etwa zweihundertMeter über dem Wasser sind«, sagte er ruhig,»damit ich uns noch abfangen kann, ehe wir aufschlagen.«Nils umklammerte die Lehnen seines Sessels. Diebleifarbene Oberfläche der Ostsee raste ihnen entgegen.Schaumgekrönte Wellen wurden sichtbar, undetwas abseits auch die Vitus Bering.»Näher ... näher ... jetzt!«Als das Boot unter Wasser ging, war es, als würdees von einer Faust getroffen, und seine starke Metallhülledröhnte.»Würden Sie bitte das Kommando wieder übernehmen,Kommandant Wilhelmsen?« sagte Arme,


dessen Stimme zum erstenmal ein wenig unsicherklang. »Ich schalte den <strong>Daleth</strong>-Antrieb jetzt aus.«Brummend erwachten die Pumpen zum Leben,und Henning legte liebevoll seine Hände auf dieKontrollen. Es fiel ihm schwer, an Bord seines eigenenU-Bootes nur Passagier zu sein – und dann auchnoch während eines Fluges. Er pfiff durch die Zähne,zog das Boot langsam herum und ging auf Periskoptiefe.»Sehen Sie doch bitte mal durchs Periskop, Hansen.Funktioniert ganz einfach – wie im Film.«»Periskop ausgefahren!« sagte Nils, und mimte denerfahrenen U-Boot-Kommandanten, klappte die Griffeherab und drehte seinen Mützenschirm nach hinten.Dann preßte er das Gesicht gegen die Gummimanschette.»Überhaupt nichts zu sehen.«»Wenn Sie an dem Knopf da drehen, können Siedie Sehschärfe einstellen ...«»Ja, so ist's schon besser. Das Schiff liegt etwa dreißigGrad backbord.« Er schwenkte das Periskop imKreis herum. »Keine anderen Schiffe zu sehen. Leiderist das Sichtfeld nicht sehr groß. Was sich am Himmeltut, kann ich also nicht sagen.«»Das Risiko müssen wir eingehen. Wir tauchen soweit auf, daß die Antenne freiliegt.«Im Lautsprecher des Funkgeräts begann es zu zischenund zu knacken, dann war eine Stimme zu hören.»Hallo, Blæksprutten, könnt ihr mich hören? Kommen.Hallo, kommen.«»Hier Blæksprutten. Was ist los? Kommen.«»Wir vermuten, daß ihr auf den Radarschirmen desrussischen Frühwarnsystems erschienen seid. Seit eu-


em Start hat es hier von Migs nur so gewimmelt. ImAugenblick ist aber nichts zu sehen. Wir nehmen an,daß man eure Landung nicht beobachtet hat. Bitteeinkommen und über Testverlauf berichten. Kommen.«Arnie nahm das Mikrofon. »Geräte haben bestensfunktioniert. Keinerlei Schwierigkeiten. GeschätzteFlughöhe hundertundfünfzig Kilometer, erreicht mitBatterieenergie. Kommen.«Er legte den Schalter um, und aus dem Lautsprecherwar undeutlich Freudengeschrei zu hören.


8.Auf dem Tisch häuften sich Magazine und Broschüren,für die sich Horst Schmidt nicht interessierte. NovyMir, Rußland heute, Prawda, Seit zwölf Jahren: ImperialistischeInterventions- und Aggressionspolitik der USA inLaos. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, stützte einenEllbogen auf die Zeitschriften und zog an seinerZigarette. Als sich die Tür öffnete, wandte sich Schmidtum. Lidia Efimowna Schirochenka betrat das Zimmer– eine schlanke, blonde, junge Frau. Ihr grünes Tweedkostümentsprach der neuesten Mode. Schmidt sah,daß sie seinen Bericht las; sie hatte die Stirn gerunzelt.»Sie haben ja kaum etwas zu berichten«, sagte sieknapp. »Wenn ich bedenke, was wir Ihnen zahlen!«Sie setzte sich hinter den Tisch, auf dem ein kleinesSchild mit der Aufschrift Troisième Secrétaire de laLégation stand. Sie sprach deutsch; als gutes Parteimitgliednutzte sie die Gelegenheit, ihre Sprachkenntnissemit einem Deutschen zu verbessern.»Oh, der Bericht liefert Ihnen eine Menge Interessantes.Auch negative Informationen sind Informationen.Wir wissen jetzt, daß die Amerikaner wegender Angelegenheit am Langelinie-Kai ebenso imdunklen tappen wie wir. Wir wissen, daß ihre Gutwetter-Verbündeten,die Dänen, ihre NATO-Kollegennicht über alle internen Geheimnisse unterrichten.Wir wissen auch, daß alle Zweige der Streitkräftedarin verwickelt sind. Und wenn Sie einmal auf denletzten Absatz achten, Genossin Schirochenka, könnenSie lesen, daß ich einen der Zivilisten, der am Tagedes Durcheinanders an Bord der Isbjørn war, vor-


läufig identifiziert habe. Es handelt sich um ProfessorRasmussen, einen Nobelpreisträger für Physik – unddas finde ich höchst interessant. Was könnte ein Physikermit dieser Affäre zu schaffen haben?«Seine Mitteilung schien Lidia Schirochenka wenigzu beeindrucken. Sie holte eine Fotografie aus einerSchublade und reichte sie Schmidt. »Ist das derMann, von dem Sie sprechen?«Es war ein sehr körniges Foto, das offenbar beischlechten Lichtverhältnissen mit einem Teleobjektivgemacht worden war. Aber der Mann war deutlichzu erkennen. Ove Rasmussen kam die Gangway einesSchiffes herab, einen kleinen Koffer in der Hand.»Ja, das ist der Mann. Woher haben Sie das?«»Das geht Sie nichts an. Sie sind sich doch klar darüber,daß Sie nicht der einzige Mann sind, der vondieser Abteilung beschäftigt wird. Ihr Physikerscheint jetzt irgendwie mit Raketen oder sonstigenProjektilen zu tun zu haben. Finden Sie alles über ihnheraus – wen er besucht, was er macht. Und haltenSie diese Informationen vor den Amerikanern zurück– es wäre höchst unklug, wenn Sie sich nicht beherrschenkönnten.«»Das ist eine Beleidigung! Sie wissen, wem meineLoyalität gehört.«»Ja – Ihnen. Es ist unmöglich, einen Doppelagentenzu beleidigen. Ich möchte Ihnen nur klarmachen, daßes ein drastischer Fehler wäre, uns auf die gleicheWeise zu verraten, wie Sie Ihre CIA-Auftraggeberhereingelegt haben. Loyalität – so etwas kennen Siedoch nicht! Für Sie geht es nur ums Geld.«»Im Gegenteil – ich weiß, zu wem ich halten muß.Ich fühle mich Ihrer Organisation verpflichtet, weil


das für mich das beste Arrangement ist. Als Profikann ich Ihnen versichern, daß es sehr schwierig ist,verläßliche Geheiminformationen über die UdSSR zubekommen. In Ihrem Lande sind die Geheimhaltungsmaßnahmensehr rigoros. Aus diesem Grundefreue ich mich sehr über das – vermutlich falsche –Material, das Sie mir für die Amerikaner in die Handspielen. Die CIA-Leute werden nie herausfinden, wasdamit nicht stimmt, denn sie sind hoffnungslos unfähigund halten den traurigen Rekord, mit ihren Geheimberichtenan die US-Regierung noch nie richtiggelegen zu haben. Aber sie zahlen sehr gut für die Informationen,die ich liefere, und außerdem ergebensich noch andere Vorteile.« Er hielt die Zigarette hochund lächelte. »Von denen das Geld, das Sie mir fürdie kleinen Geheimnisse der Amerikaner zahlen,nicht einer der geringsten ist. Alles in allem ein profitablesArrangement. Außerdem gefällt mir Ihre Organisation.Seit Berija ...«»Seit Berija hat sich vieles geändert«, sagte siescharf. »Ein ehemaliger SS-Mann wie Sie, ein Oberstin Auschwitz, hat wohl kaum das Recht, auf Loyalitätzu plädieren.« Als er nicht antwortete, wandte siesich zur Seite und starrte aus dem Fenster auf daslange weiße Gebäude, das im Regen kaum zu sehenwar. Sie hob den Arm und deutete hinüber.»Da sind sie, Schmidt, gleich auf der anderen Seitedes Friedhofs. Ist Ihnen jemals aufgefallen, daß dieseSzene sehr symbolhaft ist?«»Nie«, sagte er kalt. »Aber Sie haben auch einenganz anderen Einblick in diese Dinge, Genossin Schirochenka.«»Und das sollten Sie keinen Augenblick vergessen.


Sie stehen in unseren Diensten und werden genaubeobachtet. Versuchen Sie, sich an diesen ProfessorRasmussen heranzumachen.«Sie unterbrach sich, als die Tür aufging. Ein jungerMann in Hemdsärmeln hastete herein und reichte ihrein Stück Papier, das aus einem Fernschreiber gerissenworden war. Sie überflog den Text, und ihre Augenweiteten sich.»Boschemoi!« flüsterte sie entsetzt. »Das darf dochnicht wahr sein ...«Wortlos nickte der junge Mann.»Wie viele Stunden haben wir jetzt durch?« fragteArnie. Ove warf einen Blick auf die Tabelle, die amLabortisch hing.»Über zweihundertundfünfzig – und zwar ohneUnterbrechung. Die meisten Kinderkrankheitenscheinen beseitigt zu sein.«»Na hoffentlich.« Arnie bewunderte das schimmerndezylindrische Gerät, das die große Arbeitsbühnefast völlig ausfüllte. Es war mit Drähten undelektronischem Röhrenwerk behangen und von einergroßen Kontrolltafel flankiert. Außer einem leisenSummen war kein Arbeitsgeräusch zu hören. »Das istsicher ein Durchbruch«, fügte er hinzu.»Die Briten haben in den sechziger Jahren dengrößten Teil der Vorarbeiten geleistet. Ich interessiertemich dafür, weil die Sache teilweise mit meineneigenen Arbeiten zu tun hatte. Ich hatte schon Plasmenbis auf zweihunderttausend Grad erhitzt, abernur für ganz kurze Zeit, einige tausend Mikro-Sekunden lang. Dann befaßten sich die Leute inNewcastle-on-Tyne mit einem Helium-Cäsium-


Plasma bei 1460 Grad Celsius mit einem geschlossenenelektrischen Feld. Sie erhöhten die Leitfähigkeitauf das Hundertfache. Beim Bau des ›Kleinen Hans‹hier habe ich auf diese Versuchsanordnung zurückgegriffen.Allerdings bin ich noch nicht soweit, den<strong>Effekt</strong> im großen Maßstab ebenfalls zu erzielen, jedenfallsnicht in der Praxis, aber ich glaube, ich seheeinen Ausweg. Jedenfalls arbeitet der ›Kleine Hans‹ohne zu murren und produziert schwankungsfrei einpaar tausend Volt. Was will ich mehr?«»Du hast ein Wunder vollbracht«, sagte Arnie undnickte dankend, als ihm eine der Assistentinnen eineTasse Kaffee reichte. »In entsprechend größerem Umfangangewandt, könnte das die Energiequelle werden,die wir für ein richtiges Raumschiff brauchen.Ein Druck-Atomgenerator, wie er heute in U-Bootenund sonstigen Schiffen verwendet wird, wäre im Grundeebenfalls geeignet. Zumindest wäre kein Treibstoffnötig. Aber die Sache hat einen großen Haken.«»Das Kühlsystem«, sagte Ove und blies in seineTasse.»Genau. Ein Schiffsreaktor läßt sich mit Seewasserkühlen, aber im All ...? Vielleicht ließe sich ein Wärmeabstrahleraußen am Schiff anbringen ...«»<strong>Der</strong> aber größer sein müßte, als das Schiff selbst!«»Wahrscheinlich. Womit wir wieder bei deinemFusions-Generator angelangt wären. Er gibt reichlichEnergie ab, ohne daß zuviel überschüssige Hitze entsteht.Darf ich dir bei der weiteren Entwicklung helfen?«»Aber gern! Wir beide wissen ja ...« Er unterbrachsich, als am anderen Ende des Labors Stimmen lautwurden. »Was gibts? Ist etwas schiefgegangen?«


»Es tut mir leid, Professor. Wir haben nur eben dieZeitung bekommen.« Seine Assistentin hielt eineMittagsausgabe der BT hoch.»Was ist passiert?«»Die Russen und ihr Mondprojekt. Es hat sich herausgestellt,daß es dabei nicht nur um eine Umkreisunggeht, sondern daß eine Landefähre mitten imMare tranquilitatis aufgesetzt hat.«»Das wird die Amerikaner nicht gerade freuen«,sagte Ove. »Bis jetzt haben sie Mond gewissermaßenals ihre Domäne betrachtet.«Das Mädchen starrte sie mit weit aufgerissenenAugen an. »Es hat Schwierigkeiten gegeben. Die Russensind zwar gelandet, aber mit dem Mondschiffstimmt etwas nicht. Sie können nicht wieder starten.«Viel mehr hatte der Zeitungsbericht auch nicht zubieten, abgesehen von einem Foto der drei lächelndenAstronauten. Einzelheiten über das Unglück gingenaus den Berichten nicht hervor, doch über die Konsequenzengab es keinen Zweifel. Die Männer warenzwar gelandet, aber der Rückstart zur Erde schiennicht mehr möglich zu sein. Sie lebten nur so lange,wie ihr Sauerstoffvorrat reichte.Arnie überlegte langsam und bedachte die Ereignisse.Sein Blick fiel auf den Fusions-Generator, undals er sich wieder umdrehte, stellte er fest, daß auchOve die Maschine betrachtet hatte, als wäre ihmplötzlich der gleiche Gedanke gekommen.»Los«, sagte Ove und sah auf die Uhr, »fahren wirnach Hause. Heute bringen wir doch nichts mehr aufdie Beine, und wenn wir jetzt losfahren, halten wiruns aus dem Berufsverkehr heraus.«


Die beiden Männer schwiegen, während Ove denWagen durch den Strom der Fahrräder nach Nordenauf den Lyngbyvej hinaussteuerte.»Ihr zwei seid aber früh zu Hause«, sagte Ulla, alssie ihnen die Tür öffnete. Oves rothaarige Frau warMitte Vierzig und noch sehr attraktiv. »Ich mache geradeetwas Tee und bringe euch auch ein paar belegteBrote, dann werdet ihr es bis zum Abendessen aushalten.«Ohne sich um die Proteste zu kümmern, eiltesie hinaus.Ove und Arnie gingen ins Wohnzimmer undschalteten das Fernsehgerät ein. Das dänische Fernsehensendete noch nicht, aber Schweden brachte geradeeinen Sonderbericht über die Kosmonauten, unddie beiden Männer ließen sich kein Wort entgehen.Fast widerwillig gab Moskau einige Einzelheiten bekannt,und die Tragödie wurde jetzt erst in ihremvollen Ausmaß erkennbar.Die Landung war bis zum letzten Augenblick gutverlaufen. Aber als sich der Raketenantrieb abschaltete,hatte plötzlich eine der drei Landestützen nachgegeben.Es war nicht bekannt, ob die Stütze eingeknicktoder in ein Loch gesunken war – aber das Ergebnisblieb dasselbe. Das Mondschiff war auf dieSeite gefallen. Einer der Raketen-Treibsätze war abgerissenworden, und eine nicht genau bezeichneteMenge Treibstoff war ausgelaufen. Das Schiff warnicht mehr in der Lage, zu starten. Die Kosmonautenwaren auf dem Mond gestrandet.»Ob wohl die Sowjets eine Ersatzrakete haben, dienoch rechtzeitig den Mond erreichen kann?« fragteArnie.»Das ist zu bezweifeln. Sie hätten es sicher erwähnt.«


»Und was ist mit den Amerikanern?«»Wenn die etwas tun könnten, würden sie sich dieChance sicher nicht entgehen lassen. Aber sie habennichts gesagt.«»Dann ... läßt sich also nichts unternehmen?«»Hier ist euer Tee«, sagte Ulla und stellte einschwer beladenes Tablett ab.»Was soll diese Frage?« erwiderte Ove. »Du hastdoch den gleichen Gedanken wie ich! Warum installierenwir nicht den Fusions-Generator in der Blæksprutten,fliegen zum Mond und retten die Burschen?«»Wenn du es so offen sagst, hört es sich völlig verrücktan.«»Wir leben in einer verrückten Welt. Sollen wir esversuchen? Vielleicht können wir den Minister überreden...?«»Warum nicht?« Arnie hob seine Tasse. »Also: aufzum Mond!«


9.»Ich melde mich um 16 Uhr wieder«, sagte OberstNartow und schaltete das Funkgerät aus.Shawkun schlief. Hauptmann Zlotnikow drehte amEmpfangsgerät und suchte nach dem Sonderprogramm,das für sie Tag und Nacht ausgestrahlt wurde;ihre Sonnenbatterien lieferten genügend Energie.Zlotnikow verschränkte die, Arme hinter dem Kopf,lehnte sich zurück und summte leise mit. Nartowschaute zu dem blau-weiß gefleckten Globus amschwarzen Himmel auf und wünschte sich sehnlicheine Zigarette.»Ein Vakuum – wer hätte gedacht, daß es hier soheiß ist«, sagte Zlotnikow.»Wer hat auch angenommen, daß wir uns hier solange aufhalten!«<strong>Der</strong> Oberst wischte sich mit dem Arm den Schweißvon der Stirn und starrte auf die unveränderteMondlandschaft hinaus.Shawkun räusperte sich und öffnete die Augen.»Zu heiß zum Schlafen«, knurrte er.»Wie lange dauert es noch, bis der Sauerstoff verbrauchtist?«Nartow zuckte gleichgültig die Schultern und sagte:»Zwei Tage, vielleicht auch drei. Wir wissen's ganzgenau, wenn wir den letzten Zylinder anzapfen.«»Und was dann?«»Dann sehen wir weiter«, sagte er in plötzlich aufwallendemÄrger. »Wir werden uns darüber unterhalten,wenn es soweit ist.«Shawkun glitt aus der Koje und lehnte sich an die


Sichtluke, die nicht ganz senkrecht stand. Es war denMännern gelungen, das Mondschiff wieder aufzurichten,indem sie an den beiden anderen Landestützengruben. Nichts konnte aber den verlorengegangenenTreibstoff ersetzen. Und da war die Erde, sogreifbar nahe. Er zerrte die Kamera aus ihrer Halterungund blinzelte durch den Sucher, wobei er dasstärkste Teleobjektiv aufsetzte.»<strong>Der</strong> Sturm ist abgezogen, und der gesamte Ostseeraumist wieder frei. Ich glaube, ich kann sogarLeningrad sehen. Dort ist es wolkenlos, die Sonnescheint, wirklich schönes Wetter, und die ...«»Halten Sie den Mund!« sagte Oberst Nartow wütend.


10.Das graue Wasser der Ostsee rauschte an den Flankender Vitus Bering entlang und blieb gischtend hinterdem Schiff zurück. Arnie stand an der Reling und genoßdie scharfe Morgenluft nach der Nacht in dermuffigen Kabine. Die Tür öffnete sich knarrend, undNils kam an Deck; er gähnte und streckte sich ausgiebig.Seine Augen blitzten lebhaft unter dem Schirmseiner Mütze, die diesmal zu seiner Luftwaffen- undnicht zu seiner SAS-Uniform gehörte, und er blicktesich fachmännisch um.»Sieht nach gutem Flugwetter aus, Professor Klein.«»Bitte nennen Sie mich Arnie, Kapitän Hansen. AlsSchiffskameraden auf diesem wichtigen Flug solltenwir weniger förmlich sein.«»Mein Name ist Nils. Sie haben recht. Und, beiGott, der Flug ist wirklich wichtig; das wird mir jetzterst so richtig klar. Pläneschmieden ist ja ganz schön,aber der Gedanke, daß wir nach dem Frühstück zumMond starten und unser Ziel noch vor dem Mittagessenerreichen ... das fällt einem doch ein wenigschwer.« <strong>Der</strong> Gedanke an das Frühstück erinnerte ihnan seinen leeren Magen. »Kommen Sie, essen wir etwas,solange wir noch etwas bekommen.«Es war ausreichend Frühstück übrig. Auch Ovekam in die Messe, goß sich einen Kaffee ein undsetzte sich zu ihnen an den Tisch.»Wir drei sind die Mannschaft«, sagte er. »Es istalles arrangiert. Ich habe die halbe Nacht mit AdmiralSander-Lange diskutiert, und er hat meinen Standpunktschließlich akzeptiert.«


»Und was für ein Standpunkt ist das?« fragte Nils.»Ich bin Pilot, also muß ich dabeisein. Aber was habenzwei wichtige Physiker an Bord zu suchen?«»Es gibt eigentlich keinen Grund«, erwiderte Ove.»Aber es arbeiten zwei völlig getrennte Anlagen anBord – der <strong>Daleth</strong>-Antrieb und der Fusions-Generator. Beide müssen ständig beobachtet werden.Zufällig sind wir die beiden einzigen Leute, die fürdiese Arbeit in Frage kommen – gewissermaßen alsgutbezahlte Mechaniker –, und darauf allein kommtes an. Die physikalischen Aspekte sind diesmal sekundär.Wenn die Blæksprutten fliegen soll, sind wirdie einzigen, die das bewerkstelligen können. Wirkönnen jetzt nicht mehr umkehren. Außerdem ist unserRisiko wirklich lächerlich im Vergleich zu der Todesgefahr,in der die drei Kosmonauten auf demMond schweben. Und jetzt ist es gewissermaßen auchEhrensache. Wir wissen, daß wir's schaffen können,also müssen wir's versuchen.«Er sah auf die Uhr und stand auf.»Nur noch zwei Stunden bis zu unserer erstenStartberechnung. Wollen mal sehen, ob wir's schaffen.«Die Männer beendeten hastig ihr Frühstück undeilten an Deck. Das U-Boot war bereits ins Wassergehievt worden, und einige Techniker waren an Bordmit den letzten Vorbereitungen beschäftigt.»Nach all den Veränderungen müßte der Kahn eigentlicheinen neuen Namen bekommen«, sagte Nils.»Vielleicht Den Flyvende Blæksprutten – der FliegendeTintenfisch. Hört sich irgendwie nett an.«Henning Wilhelmsen kletterte über die Reling anBord und schloß sich der Gruppe an; sein Gesicht war


düster. Da er das Boot bis in den letzten Winkelkannte, hatte er die Umrüstung überwacht.»Ich weiß nicht, was die Blæksprutten jetzt ist,wahrscheinlich ein Raumschiff. Jedenfalls ist sie keinU-Boot mehr. Sie kann überhaupt nicht mehr angetriebenwerden!« Nils klopfte ihm beruhigend auf dieSchulter.»Kopf hoch – Sie sind jetzt jedenfalls fertig und habendiese armselige Larve in einen Schmetterlingverwandelt.«Henning ließ sich nicht aus seiner düsteren Stimmungreißen. »Das Boot kommt mir mehr wie eineMotte als ein Schmetterling vor. Paßt gut darauf auf.«»Keine Sorge!« sagte Nils ernst. »Sind die Umbautenbeendet?«»Restlos. Wir haben alles Gewünschte eingebaut,und noch mehr. Wir haben euch sogar ein Mittagessenan Bord gebracht, und der Admiral hat eine Flaschesnaps spendiert. Alles ist bereit.« Er streckte demPiloten die Hand hin. »Viel Glück.«»Bis heute abend.«»Ganz fest«, sagte Nils und drehte noch einmal andem Rad, das die Luke im Deck des U-Boot-Turmswasserdicht verschloß.»Was ist mit dem Luk oben im Turm?« fragte Ove.»Das ist geschlossen, aber nicht zugedreht. Wirwerden die Luft im Turm unterwegs langsam verlieren.«»Gut. Eine bessere Luftschleuse ist uns in der Eilenicht eingefallen. Nun zur Sache: Weiß jeder, was erzu tun hat und welche Aufgaben ihm zufallen?«Nils runzelte die Stirn, brach dann aber in Lachen


aus. »Die ganze Sache ist so unmöglich, daß sie einfachklappen muß.« Er legte seinen Sicherheitsgurtan. »Von mir aus können wir starten, Kameraden.Blæksprutten auf Rettungsfahrt!«»Noch ein paar Minuten«, sagte Arnie und schauteauf den elektrischen Chronometer vor sich. »Ichschalte jetzt den Antrieb ein und bringe uns auf Höhe.«<strong>Der</strong> Flug verlief ohne Zwischenfälle. Alle Gerätearbeiteten einwandfrei, und nachdem sie die Atmosphäreder Erde verlassen hatten, nahm die Geschwindigkeitdes Bootes schnell zu.»Wir sind auf Kurs – oder jedenfalls haben wir unserenZielstern genau im Fadenkreuz«, sagte Nils.»Möchte jemand ein Carlsberg?« fragte Ove. »Jemandhat uns hier eine ganze Kiste hingestellt.« Erreichte Nils eine Dose, aber Arnie lehnte ab.»Trinken Sie schnell aus«, sagte er. »<strong>Der</strong> Wendepunktist nicht mehr weit, und ich kann nicht garantieren,daß es dabei ruhig zugeht.«Das Wendemanöver verlief glatt, und die Männerhätten von der Drehung des Schiffes überhaupt nichtsgespürt, wenn der Streifen des Sonnenlichts nichtüber den Boden und an die gegenüberliegende Wandgewandert wäre.»Haben Sie daran gedacht, daß wir uns mit denKosmonauten verständigen müssen?« fragte Ove. Erstand in der Tür zum Maschinenraum, von wo er seinenFusions-Generator beobachten und gleichzeitigmit den anderen sprechen konnte.»Das sind alles Piloten«, sagte Nils, »sie müßten alsoEnglisch können.«


»Aber nur, wenn sie auf internationalen Flügeneingesetzt waren«, wandte Ove ein. »Innerhalb vonRußland ist die Verkehrssprache der Aeroflot Russisch.Ich habe aber sechs Monate an der MoskauerUniversität studiert und kann mich notfalls mit denMännern verständigen.«<strong>Der</strong> Computer verfolgte ihren Flug, und als die vierStunden fast verstrichen waren, teilte ihnen die Bodenkontrollemit, daß sie den Funk-Höhenmessereinschalten sollten, weil der Mond jetzt in die Reichweitedes Instruments trat, die hundertundfünfzigKilometer betrug.»Ich habe bereits ein schwaches Signal!« rief Nilsaufgeregt.»Sagen Sie mir Bescheid, wenn wir noch etwa hundertKilometer hoch sind«, sagte Arnie. »Ich werdedann das Schiff so wenden, daß wir durch die Seitenfensterdie Mondoberfläche sehen können.«Die Spannung in der kleinen Kabine stieg, währenddas Raum-U-Boot weiter dem Ziel zuraste, das sienicht sehen konnten.»Ich erhöhe die Gegenbeschleunigung auf zwei g«,sagte Arnie. »Achtung! Jetzt.«Den Männern war, als würden ihnen plötzlich Gewichtean den Körper gehängt. Nils fuhr mit derHand über die Kontrollen, und er konnte sie nur mitMühe in der Luft halten, damit sie nicht auf dieSchalter fiel. Er selbst wog jetzt über dreihundertundfünfzigPfund. »Höhenverlust verlangsamt sich«,sagte er. »Gleich sind wir auf einhundert KilometerHöhe. Die Fallgeschwindigkeit nähert sich Null.«»Wir bleiben in dieser Höhe, während wir nachdem Zielgebiet suchen«, sagte Arnie. Er veränderte


einige Einstellungen an den Kontrollen, und derDruck schwand; die Schwerkraft wurde auf ein g undweiter reduziert, bis die Männer das Gefühl hatten,frei zu schweben. »Wir drehen jetzt«, sagte er.Da war er. Er füllte den Himmel, kaum hundertKilometer entfernt. Mit Kratern, Tälern und Gipfeln,tot und luftlos, eine andere Welt: der Mond.»Wir haben's geschafft«, rief Ove begeistert.»Himmel, wir sind tatsächlich in diesem alten Kahndurch das All geflogen und haben den Mond erreicht!«Er öffnete seinen Sicherheitsgurt, stand aufund verlor den Boden unter den Füßen, als er bei derniedrigen Schwerkraft zu gehen versuchte. Einenhalben Purzelbaum schlagend, stieß er gegen dieWand, doch ohne sich darum zu kümmern, stemmteer sich wieder hoch und starrte durch das Bullauge.»Schaut euch das an! Kopernikus, das Meer derStürme. Wo ist nun das Meer der Ruhe zu suchen? ImOsten wahrscheinlich, in dieser Richtung.« Er hob dieHand über die Augen, um bei dem grellen reflektiertenSonnenlicht besser zu sehen.Lautlos kippte die Blæksprutten wieder in die Horizontaleund rotierte dann um eine unsichtbare Achse.Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, mußtensich die Männer zurücklehnen, als der Bug nach untensank und der Mond jetzt direkt vor dem Bug desSchiffes auftauchte.»Können Sie so navigieren?« fragte Arnie.»Aber ausgezeichnet. In einem Düsenflugzeug istdie Sicht schlechter.«»Dann werde ich das Schiff in dieser Stellung undHöhe halten und Ihnen die horizontale Bewegungskontrollenach vorn schalten.«


»Na, dann los.« Nils summte fröhlich vor sich hin,als er vorsichtig seinen Steuerknüppel bewegte.Die drei Kosmonauten standen stramm, soweit das inder engen Kabine möglich war; dabei ruhte ZlotnikowsNase fast auf der behaarten Schulter des Obersten.Die letzten Töne der »Internationale« warenverklungen.»Rührt euch!« befahl Nartow, und seine beidenKameraden ließen sich auf ihre Andruckliegen fallen,während er das Mikrophon zur Hand nahm und einschaltete.»Auch im Namen meiner Kameraden Kosmonautendanke ich Ihnen. Sie stehen jetzt beidehinter mir, und ich spreche auch für sie, wenn ich indiesem Augenblick des Sieges sage, daß Sie, die Mitbürgerder Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,nicht trauern dürfen. Dies ist ein Sieg für alle –für den Genossen Parteivorsitzenden, für die Mitgliederdes Parteipräsidiums, für die Arbeiter in den Fabriken,in denen die Teile unseres Raumschiffs hergestelltwurden, für die ...«Zlotnikow wandte sich gelangweilt dem Fenster zuund fuhr auf, als er den sich langsam bewegendenLichtpunkt am Himmel bemerkte. Ein Meteor? Solangsam?»Genosse Oberst!«Oberst Nartow fuhr herum, um den Hauptmann zumSchweigen zu bringen. Unwillkürlich folgte sein Blickdem ausgestreckten Arm Zlotnikows, und er starrtedurch die dicke Sichtluke über die kraterzerfurchte, luftloseMondlandschaft auf das kleine U-Boot, das langsamaus dem sternenübersäten Himmel herabsank.<strong>Der</strong> Oberst keuchte, schüttelte ungläubig den Kopf,


und blickte fast entsetzt auf das Mikrofon in seinerHand. »Ich beende die Durchsage«, sagte er abruptund schaltete ab. »Was ist das?« brüllte er.Aber darauf wußten die beiden Männer keineAntwort.Langsam senkte sich das U-Boot herab, kaum fünfzigMeter entfernt. Es schwebte ruhig einige Zentimeterüber dem Sand, ehe es sanft aufsetzte.»Dänisch?« keuchte Shawkun und deutete auf dieFlagge am U-Boot-Turm. »Das ist doch die dänischeFlagge, oder?« Zlotnikow nickte wortlos. Im Radiorauschte und pfiff es, und eine laute Stimme übertöntedie Musik in schlechtem Russisch.»Hallo, Wostok IV, können Sie mich hören? Hierspricht die Blæksprutten. Ich bin gerade neben Ihnengelandet.«Oberst Nartow starrte auf das Mikrofon in seinerHand und machte Anstalten, es einzuschalten. Dannhielt er kopfschüttelnd inne und versuchte, seine Gedankenzu ordnen. Schließlich trat er an die Funkkontrollen.Erst als er die Sendeenergie auf ein Minimumreduziert hatte, hob er das Mikrofon an dieLippen. Aus irgendeinem ihm unbewußten Grundwollte er nicht, daß Moskau das Gespräch mithörte.»Hier spricht Wostok IV, Oberst Nartow. Wer ist da?Wer sind Sie? Was machen Sie hier ...?« Er unterbrachsich hastig, weil er das Gefühl hatte, daß er keinenSatz mehr ohne Stammeln herausbrächte.An Bord der Blæksprutten nickte Ove. »Kontakt isthergestellt«, sagte er. »Zieht schon den Vorhang hoch,während ich die Männer herüberhole.« Er schaltetedas Funkgerät ein. »Sprechen Sie Englisch?« fragte er.


»Ja, ich spreche Englisch.«»Sehr gut, Herr Oberst«, sagte Ove und wechselteerleichtert die Sprache. »Ich kann Ihnen eine erfreulicheMitteilung machen. Wir sind gekommen, um Siezur Erde zurückzubringen.«»Aber ...«»Wenn Sie jetzt bitte Ihre Raumanzüge anlegenwürden ...«»Ja, aber Sie müssen mir sagen ...«»Das Wichtigste zuerst, Herr Oberst. Bitte. KönntenSie wohl Ihren Raumanzug anlegen und herüberkommen?Ich würde mich ja gern selbst bemühen,aber wir haben nicht die Ausrüstung, das Schiff zuverlassen.«»Ich bin schon unterwegs.« Neue Entschlossenheitlag in der Stimme des Russen.»<strong>Der</strong> Oberst macht aber nicht gerade den Eindruckeines Mannes, der eben vor dem sicheren Tode gerettetwurde«, sagte Nils und fädelte eine Schnurdurch die Löcher in der großen Plane, die auf demDeck ausgebreitet lag.»Ich glaube nicht, daß er unsere Hilfe ausschlagenwird«, sagte Ove und half den anderen, die widerspenstigePlane auszubreiten. »Aber wahrscheinlichbraucht er etwas Zeit, um die Situation zu begreifen.«Die Männer fädelten die Schnur durch die Ösen ander Decke und zogen die Plane hoch, die nun als faltigeBarriere die Kabine trennte und den <strong>Daleth</strong>-Antrieb und den Fusions-Generator neugierigen Blikkenentzog.»Den Zipfel hier müssen wir lose hängen lassen«,sagte Ove. »Ich muß ja ab und zu in den Maschinenraum.«


»Scheint mir keine sehr wirksame Absperrung zusein«, sagte Nils.»Es wird schon reichen«, erwiderte Arnie. »DieseMänner sind Offiziere und bestimmt Gentlemen –und wir retten ihnen das Leben. Ich nehme nicht an,daß sie uns Schwierigkeiten machen.«»Nein, da haben Sie wohl recht.« Nils blickte ausdem Bullauge. »Die Luftschleuse drüben öffnet sichjetzt – und da kommt jemand. Wahrscheinlich ist dasder Oberst.«Oberst Nartow hatte sich noch immer nicht vonseiner Überraschung erholt. Er hatte seinen Raumanzugangelegt, ohne sich um die aufgeregten Mutmaßungender beiden anderen Kosmonauten zu kümmern.Dann war er ruhig stehengeblieben, währendsie seinen Anzug überprüften und den Helm verschraubten.Als er jetzt die letzten Meter zur Mondoberflächehinabkletterte, versuchte er, sich über dieneue Lage klarzuwerden. Mit erhobenem Kopf schritter auf das U-Boot zu, und der Staub und die Steine,die seine dick besohlten Schuhe aufwirbelten, fielenin der Luftlosigkeit überraschend schnell auf dieMondoberfläche zurück.Am runden Bullauge über ihm erschien ein Mannmit einer Mütze auf dem Kopf, zeigte nach unten undnickte. Was sollte das bedeuten? Als der Oberst nähertrat, erblickte er einen Metallkasten, der an derSchiffshülle festgeschweißt war. In schwarzen kyrillischenBuchstaben hatte man das Wort TEMEΦOHdraufgemalt. Er drehte an der großen Flügelschraube,die den Deckel festhielt, klappte ihn auf und nahmden Telefonhörer auf, der drinnen in einer Halterungruhte. Als er ihn fest an seinen Helm preßte, wurden


die Schwingungen seiner Stimme weitergegeben, under konnte auch den Mann am anderen Ende der Leitungverstehen.»Können Sie mich hören, Herr Oberst?«»Ja.« Die Schnur war lang genug, daß er zurücktretenund den Mann am anderen Telefon durch dasBullauge sehen konnte.»Gut. Ich bin Hauptmann Nils Hansen von der dänischenLuftwaffe, auch Flugkapitän bei der SAS. Dieanderen stelle ich Ihnen vor, wenn Sie an Bord kommen.Können Sie unser Deck erreichen?«»Ohne Hilfsmittel nicht. Aber wir können ein Seilmitbringen oder etwas ähnliches. Die Schwerkraft istsehr gering.«»Es dürfte nicht weiter schwierig sein. Wenn Sie anDeck sind, finden Sie eine Luke oben im Turm. DieseLuke ist nicht versperrt. <strong>Der</strong> Turm ist groß genug, umdrei Mann aufzunehmen, wenn sie sich zusammendrängen.Sie werden alle drei auf einmal einsteigenmüssen, da es keine richtige Luftschleuse ist. ZwängenSie sich hinein, verschließen Sie die obere Luke sofest es geht und klopfen Sie dreimal. Wir lassen dannLuft hinein. Schaffen Sie das?«»Natürlich.«»Würden Sie bitte auch Ihren restlichen Sauerstoffmitbringen? Wir möchten auf der Rückreise keineProbleme mit der Luftversorgung haben.«»Das werden wir tun. Wir haben gerade unserenletzten Zylinder angebrochen.«»Noch etwas. Wir haben einige ... geheime Gerätean Bord, die hinter einem Vorhang verborgen sind.Wir möchten Sie bitten, sich diesem Vorhang nicht zunähern ...«


»Sie haben mein Wort«, sagte der Oberst. »Undmeine Offiziere werden Ihnen ebenfalls ihr Wort geben.«Er schaute zu dem Mann mit dem kräftigen Gesichtauf, der hinter dem dicken Bullauge lächelte,und zum erstenmal wurde ihm bewußt, was dieseRettung in letzter Minute bedeutete. »Ich möchte Ihnenim Namen meiner Leute für Ihre Hilfe danken.Sie haben uns das Leben gerettet ...«»Es freut uns sehr, daß wir Ihnen helfen konnten.Wenn wir jetzt aber ...«»Wir sind gleich da. In wenigen Minuten.«Als er zum Mondschiff zurückkehrte, sah derOberst die beiden Gesichter, die ihn neugierig durchdie Sichtluke beobachteten – nebeneinander an dieScheibe gepreßt. Er unterdrückte ein Lächeln.»Genossen, legt eure Anzüge an«, sagte er, als ersich wieder ins Schiff geschleust hatte. »Wir fliegennach Hause. Die Dänen nehmen uns mit zurück.« Erschaltete sofort das Funkgerät ein und nahm das Mikrofonauf, um den erregten Fragen der anderen zuvorzukommen.Das Orchester, das gerade leise »Wiesenland«spielte, verstummte, als er seinen Ruf hinausschickte.»Ja, Wostok IV, wir empfangen Sie. Haben Sie irgendwelcheProbleme? Ihre letzte Durchsage wurdeleider unterbrochen. Kommen.«<strong>Der</strong> Oberst runzelte die Stirn und schaltete seinMikrofon ein. »Hier spricht Oberst Nartow. Dies istmeine letzte Durchsage. Ich schalte ab und löse dieVerbindung ...«»Genosse Oberst, bitte, wir wissen, wie Ihnen zumuteist. Ganz Rußland fühlt in diesem Augenblickmit Ihnen. Aber der General wünscht ...«


»Sagen Sie dem Genossen General, daß ich michspäter mit ihm in Verbindung setze. Aber nicht überFunk.« Er atmete tief ein und schaltete noch nicht ab.»Ich habe seine Telefonnummer im Kreml und werdeihn von Dänemark aus anrufen.« Er legte hastig dasMikrofon aus der Hand und schaltete den Sender aus.Dann sah er seine Kameraden an. »Major, nehmen Siedie Logbücher, Filme, Unterlagen und Proben an sichund legen Sie alles in einen Kasten. Hauptmann, drehenSie das Ventil des Sauerstoffzylinders zu und lösenSie ihn aus der Halterung, damit wir ihn mitnehmenkönnen. Wir schalten jetzt auf die Atemgeräteder Anzüge um. Noch irgendwelche Fragen?«Als die Männer schwiegen, klappte er sein Helmfensterzu.»Da kommen Sie!« rief Nils einige Minuten später.»<strong>Der</strong> letzte ist eben herausgeklettert und hat die Luftschleusegeschlossen. Sie bringen eine Menge Zeugmit. Einer hat sogar eine Kamera. He, er macht Aufnahmenvon uns!«»Lassen Sie ihn ruhig«, sagte Ove. »Mit den Fotoskönnen sie nichts anfangen. Mir fällt gerade ein – eigentlichmüßten wir auch ein paar Mondproben mitbringen.Nils, bitten Sie den Obersten doch noch malans Telefon, ehe die Männer an Bord kommen. SagenSie ihm, daß wir ein paar Felsbrocken und Staubprobenhaben möchten – etwas, das wir zu Hause vorweisenkönnen.«»Proben, die von der ›Ersten Dänischen Mondexpedition‹mitgebracht wurden. Gute Idee, wenn wirschon nicht selbst aussteigen können. Wie hört sichdas an?«»Sehr gut!« sagte Ove, öffnete eine Flasche Aquavit


und stellte sie neben die kleinen Gläser auf dem Kartentisch.Dann öffnete er eines der smørrebrød-Pakete,die der Koch am Morgen vorbereitet hatte, und holtedie üppig belegten Brote heraus. »<strong>Der</strong> Hering ist nochimmer frisch, und auch die Leberpastete. Das wirdihnen schmecken.«»Ich werde mich gleich selbst darüber hermachen,wenn sie nicht bald hier sind«, sagte Nils und starrtemit hungrigen Augen auf den Tisch. »Aber da sindsie schon.«Durch das Bullauge winkte er fröhlich den dreibeladenen Gestalten zu, die schwerfällig auf dasSchiff zu stapften.


11.<strong>Der</strong> Außenminister blätterte in den Notizen, die erwährend der Konferenz mit dem Premierministergemacht hatte, und stieß schließlich auf das gesuchteZitat.»Würden Sie mir bitte den letzten Satz noch einmalvorlesen?« fragte er.»<strong>Der</strong> Premierminister fühlt sich geehrt und ...« SeineSekretärin schlug die Seite des Stenoblocks umund wartete mit erhobenem Stift.»... und hat mich gebeten, Ihnen für Ihre freundlichenWünsche für die Zukunft zu danken. Er hält esfür eine ausgesprochen großzügige Geste Ihrerseits,uns den Zugang zu den fortgeschrittenen raumfahrtundraketentechnischen Forschungsarbeiten anzubieten,sowie die Mitbenutzung Ihres ausgedehntenNetzes von Radarstationen überall auf der Welt. Dawir jedoch zu einem gemeinsamen Raketenprogrammkaum etwas beisteuern könnten, würden wires unsererseits für unfair halten, im Augenblick irgendwelcheVereinbarungen zu treffen. – Das ist alles.Die übliche Gruß- und Schlußformel. Würden Siemir das Ganze noch einmal vorlesen?«Während das Mädchen las, schwang er seinen Sesselherum und blickte aus dem Fenster. Er nickte, alsdie bedeutungsvollen Worte noch einmal an sein Ohrdrangen. Ja, so war es in Ordnung, so war es genaurichtig. Vielen Dank, aber nein, danke. Die Sowjetswürden frohen Herzens ihre Millionenwerte annutzlosen Raketen herausrücken, wenn sie dafür nureinen Blick auf den <strong>Daleth</strong>-Antrieb werfen konnten.


Aber das würden sie ihnen nicht gestatten, ebensowenigwie den Amerikanern, obwohl sie stärkere Argumenteins Feld führen konnten – die brüderlichenBande, die NATO-Partnerschaft und die gemeinsamenVerteidigungsgeheimnisse. Es war interessant gewesen,zu beobachten, wie sich das Gesicht des amerikanischenBotschafters immer mehr rötete, als der Premierministerihm zehn wichtige amerikanische Verteidigungsprojekteaufzählte, von denen sie die Dänennicht informiert hatten. Ja, die ganze Welt wollteplötzlich ein Stück von dem dänischen Kuchen.»So ist es richtig. Das schreiben wir«, sagte er, alsdas Mädchen geendet hatte.»Soll ich es jetzt noch schreiben, Herr Minister?«»Das ist nicht nötig. Machen Sie's morgen früh fertig,damit ich es auf dem Tisch habe, wenn ich komme.Jetzt machen Sie aber, daß Sie nach Hause kommen,ehe Ihre Familie vergißt, wie Sie überhaupt aussehen.«»Vielen Dank, Herr Minister. Gute Nacht.«»Gute Nacht.«In der Stille des leeren Ministeriums war das Klikkenihrer hohen Absätze auch noch von draußen zuhören. Schließlich fiel die Tür des Vorzimmers zu. Ergähnte und streckte sich, dann begann er Papiere inseine Aktentasche zu packen. Er schloß sie ab undtelefonierte nach seinem Wagen, ehe er den Mantelüberzog. Zuletzt überprüfte er die Schlösser der Aktenschränkeund drehte noch einmal an der Kombinationsscheibeseines Safes. Das dürfte genügen. Ersetzte sich den großen schwarzen Hut auf den Kopf,nahm seine Aktentasche und verließ das Büro.


Er hörte Schritte. Jemand ging ohne Eile den Gangentlang. Horst Schmidt bewegte sich vorsichtig in derDunkelheit. Seine Knie waren steif und schmerzten,und seine Beine brannten wie Feuer vom langen Stillstehen.Er wurde langsam zu alt für solche Sachen.Aber es brachte gutes Geld. Er freute sich auf die außerordentlichgute Bezahlung für seine Arbeit heutenacht. Er hob den Arm und starrte auf das Leuchtzifferblattseiner Uhr. 19.15 Uhr. Jetzt müßten eigentlichalle gegangen sein. Er nahm seine dicke Aktentascheauf, tastete nach der Türklinke, drückte sie geräuschlosnieder und öffnete die Tür einen Spaltbreit.Das helle Licht blendete ihn, so daß er die Augen zusammenkneifenmußte. <strong>Der</strong> Flur war leer.Er schloß die Tür hinter sich und eilte lautlos aufseinen Gummisohlen zum Büro des Außenministers.Die Tür war nicht verschlossen! Unglaublich. Geradezuherausfordernd. Ein willkürlich aus dem Telefonbuchherausgesuchter Name und eine erfundeneVerabredung hatten ihm ohne weiteres Zutritt verschafft.Man hatte ihn nicht einmal um eine Karte gebeten,obwohl er eine parat gehabt hätte, sondernhatte sich damit zufriedengegeben, daß er irgendeinenNamen nannte. Diese Dänen! Die Tür zum Privatbürodes Ministers war ebenfalls unverschlossen,und es gab nicht einmal einen Riegel an der Innenseite.Er öffnete seine Aktentasche, tastete im Dunkelnherum, holte einen Holzkeil hervor und trieb ihnzwischen Tür und Türrahmen.Dann brachte er zwei dünne, aber völlig undurchsichtigePlastiktücher zum Vorschein, drapierte sieüber Tür und Fenster und befestigte sie mit Klebeband.Erst dann schaltete er seine starke Taschenlam-


pe ein. Er breitete seine Werkzeuge aus und nahm einChromstahl-Brecheisen mit rasiermesserscharferSpitze zur Hand. Mit einer flinken Handbewegungöffnete er den Aktenschrank. Rasch, aber systematischblätterte er dann die Aktenstücke durch, undder kleine Stapel Papier auf dem Tisch neben ihmwurde langsam größer.Mit dem Safe dürfte es ein wenig schwieriger sein,aber er stellte kein ernsthaftes Hindernis dar; er warein altes Modell.Durch den Schalldämpfer wirkte das Bohrgerätziemlich unförmig, aber es war besonders leistungsstark,und die Bohrer hatten mit Diamantsplittern besetzteSchneidkanten. Er klatschte eine Handvoll Tonauf das Schloß und stieß den Bohrer hindurch; sowurde das Bohrgeräusch fast völlig gedämpft. Tatsächlichwar nur ein ganz leises Pfeifen zu hören undeine geringfügige Vibration zu spüren, als er das Geräteinschaltete. In Sekundenschnelle war er durchdie Stahlplatte.Mit deutscher Gründlichkeit legte er seine Werkzeugewieder in die Tasche, ehe er die Handschuheauszog und auf den Safe legte. Dann begann er unendlichvorsichtig an einer Schnur zu ziehen, die erum den Hals gebunden hatte, und brachte schließlicheine winzige Flasche zum Vorschein, die er auf derBrust trug.<strong>Der</strong> Gummikorken saß so fest, daß er die Zähne zuHilfe nehmen mußte, um ihn zu lösen. Vorsichtigträufelte er den Inhalt der Flasche auf den kleinenDamm, den er im Ton geformt hatte und über den dieFlüssigkeit in das Schloß laufen konnte. Als die Flaschehalb leer war, hielt er inne und verschloß sie


wieder; dann trug er sie zum anderen Ende desZimmers. Mit dem Taschentuch wischte er alle Fingerabdrückeab, nahm die Flasche und stellte sie vorsichtigin der Ecke auf den Fußboden.Beim Aufstehen seufzte er und entspannte sich etwas.Er hatte das Zeug selbst gemacht und wußte also,daß es gutes Nitroglyzerin war. Trotzdem war esriskant, und man mußte sich davor in acht nehmen.Er zog wieder die Handschuhe an.<strong>Der</strong> Teppich im Büro war festgenagelt, und es hättezuviel Mühe gemacht, ihn zu lösen. Dafür waren aberdie Regale voller Bücher: dicke Bände, Jahresberichte,schwergewichtige, bedeutende Dinge – gerade das,was er brauchte. Hastig leerte er die Regale und stapeltedie Bücher vor der Tür und an den Flanken desSafes auf, wobei er vor dem Schloß eine Öffnung ließ.Ganz zum Schluß steckte er die winzige Metallröhreeines Auslösers in das Loch und entrollte das Kabelauf dem Fußboden, ehe er die Öffnung mit dem dickstenBuch schloß.»Langsam ... langsam ...« murmelte er und kauertesich hinter den Tisch. Im Gebäude war es totenstill. Inder Hülse der Taschenlampe hatte er eine kleineSteckdose angebracht, in die der zweipolige Steckeram Ende des Drahtes genau hineinpaßte. Schmidtduckte sich tiefer und stieß den Stecker hinein.Eine dumpfe Explosion erschütterte den Boden.<strong>Der</strong> Bücherstapel neigte sich zur Seite, und Schmidtbewahrte ihn im letzten Augenblick vor dem Umfallen.Eine Rauchwolke stieg in die Höhe, und dasSchloß war nur noch verbogenes Metall. Zielbewußtbegann er die Bücher zur Seite zu räumen, um an dieSafetür heranzukommen; doch im nächsten Augen-


lick erstarrte er, als schwere Schritte im Vorzimmerzu hören waren. Sie kamen näher, verhielten unmittelbarvor der Tür, und dann wurde die Klinke herabgedrückt.»Wer ist da? Warum ist die Tür verschlossen?«Schmidt legte die Bücher hin, die er gerade in derHand hielt, schaltete seine Taschenlampe aus undbewegte sich zur Tür. Lautlos entfernte er das Klebeband,und das Plastiktuch raschelte zu Boden. Erwartete, bis sich die Klinke wieder bewegte – dannhob er den Arm und zog den Sperrkeil heraus.Die Tür schlug krachend gegen die Wand, und diegroße Gestalt eines Nachtwächters kam mit schußbereiterPistole hereingestolpert. Doch ehe er die Waffeheben konnte, pafften zwei Schüsse aus einemSchalldämpfer. <strong>Der</strong> Mann stolperte, stürzte vornüberund fiel aufs Gesicht.Nachdem Schmidt im Vorzimmer und im Flurnachgeschaut und sich überzeugt hatte, daß derNachtwächter allein gewesen war, schloß er die Türenund machte sich wieder an die Arbeit. Zufriedensummte er vor sich hin, als die Safetür aufschwang.<strong>Der</strong> Tote neben ihm schien seine gute Laune nicht zubeeinträchtigen.


12.»Schau dir das an!« sagte Nils. »Nun schau dir dasan!« Er hatte die Frühausgabe des Berlingske Tidendean die Kaffeekanne gelehnt und säbelte ärgerlich anseinem Frühstücksspeck herum. »Solche Schlagzeilenhat es in einer dänischen Zeitung noch nie gegeben.Entsetzlich. Nachtwächter ermordet ... Das Büro desAußenministers durchsucht und geplündert ... Dokumentegestohlen. Das sind ja fast amerikanischeZustände!«»Ich begreife nicht, wie du so etwas sagen kannst«,sagte Martha. »Das ist hier passiert und nicht in Amerika.Und das hat mit dem anderen wirklich nichtstun.«»Es hat wohl etwas miteinander zu tun, das weißtdu so gut wie ich. Die Zeitungen in den Staaten sindvoll von Morden, Vergewaltigungen und Schlägereien,weil dort so etwas tagtäglich passiert.«»Wenn du die Amerikaner so sehr haßt, warumhast du mich dann überhaupt geheiratet?« fragte sieund biß in ihren Toast.Er öffnete den Mund, um ihr eine passende Antwortzu geben, doch er merkte, daß es auf dieses Musterbeispielweiblicher Logik eigentlich gar keineAntwort gab.»Müssen wir nicht langsam gehen?« fragte sie.Nils warf einen Blick auf die Uhr über der Küchentür.»Noch ein paar Minuten. Wir wollen doch nichtvor neun ankommen, wenn die Post aufmacht.« Erlegte die Zeitung hin und griff nach der Tasse. An-


stelle seiner Uniform trug er einen dunkelbraunenAnzug.»Fliegst du überhaupt nicht mehr?« fragte Martha.»Ich weiß nicht. Ich möchte ja gern, aber Skou läßtmich vor lauter Geheimhaltung keinen Schritt vor dieTür. Ich glaube, wir sollten doch etwas mehr auf ihnhören. Hol' dir schon mal den Mantel. Ich warte imWagen auf dich.«Eine Tür führte vom Vorratsraum direkt in die Garage,was das kleine Täuschungsmanöver erleichterte.Nils öffnete die hintere Tür des großen Jaguars undschob sich hinein. Jetzt kam Martha aus dem Haus,schick und anziehend in ihrem blauen Ledermantel.»He, junge Braut«, rief er, »du hast mir keinen Abschiedskußgegeben.«»Du hättest nur Lippenstift im Gesicht.« Sie warfihm einen Handkuß zu. »Jetzt mach' aber das Fensterzu und leg' dich hin, ehe ich die Garagentür aufmache.Auf der Straße ist niemand zu sehen.«Gehorsam zwängte er seine massige Gestalt zwischendie Sitze. Sie fuhr den Wagen hinaus, und währendsie die Garagentür schloß, betrachtete er dieBaumwipfel am Strandvejen. Während der Fahrt saher dann nur Himmel und gelegentlich eine Wolke.»Es ist sehr langweilig hier hinten.«»Wir sind bald da. <strong>Der</strong> Zug fährt um 9.12 Uhr,nicht wahr?«»Genau. Wir dürfen nicht zu früh da sein. Ich habewenig Lust, auf dem Bahnsteig herumzustehen.«»Ich fahre im Wald etwas langsamer. Bist du zumAbendessen zu Hause?«»Keine Ahnung. Ich ruf dich an, sobald ich esweiß.«


Es war neun Minuten nach neun, als Martha aufden Bahnhofsparkplatz einbog, der dem Postamt direktgegenüberlag.»Ist jemand zu sehen?« fragte er.»Da geht jemand in die Post. Und ein Mannschließt sein Fahrrad ab. Er verschwindet jetzt imBahnhof ... niemand beachtet uns.«Nils stemmte sich hoch und ließ sich erleichtert aufden Sitz fallen. »Hm, so ist mir gleich besser!«»Es ist doch nicht gefährlich, oder?« fragte sie undwandte sich um.»Bitte mache dir keine Sorgen. <strong>Der</strong> kleine Nils kannschon auf sich aufpassen. Und ich habe ja unserenWachhund Skou dabei.«Er sah ihr nach, wie sie anmutig über die Straßeging, dann blickte er auf die Uhr. Noch eine Minute.Die Straße war jetzt völlig leer. Er stieg aus dem Wagenund kaufte sich eine Fahrkarte. Als er auf denhölzernen Bahnsteig trat, bog die große rote Diesellokgerade um die Kurve aus den Außenbezirken derStadt und pfiff laut. Einige wenige Fahrgäste wartetenebenfalls auf den Zug aus Kopenhagen. Als derZug mit kreischenden Bremsen hielt, stieg Nils in denersten Wagen hinter der Lokomotive. Ove Rasmussensah von seiner Zeitung auf, winkte ihm zu undreichte ihm die Hand. Nils setzte sich neben den Wissenschaftler.»Ich hatte angenommen, Arnie wäre bei Ihnen«,sagte er.»Er fährt mit Skou, der hat sich irgendeine komplizierteund geheime Route ausgedacht.«»Es ist jetzt kein Spiel mehr, nicht wahr?«»Da haben Sie recht. Ich frage mich, ob sie dieses


Schwein, das für die Bluttat verantwortlich ist, jemalsfangen ...«»Skou rechnet nicht damit, Profiarbeit, keinerleiSpuren. Hat allerdings auch nichts eingebracht. Unterlagenüber den <strong>Daleth</strong>-Antrieb waren nicht in demBüro.«Bis nach Hollerød, wo sie umsteigen mußten, sprachendie Männer, nicht mehr miteinander. Hier wartetebereits der Zug nach Helsingør, der nur drei Wagenlang war. Er ratterte auf einer eingleisigen Nebenstreckedurch Wälder aus Birken und Buchen undpassierte die Hinterhöfe zahlreicher weißer Häusermit roten Dächern, in denen Wäsche im frischenSundwind flatterte. <strong>Der</strong> Wald machte schließlich FeldernPlatz, und in Snekkersten bekamen sie zum erstenmaldie See zu Gesicht, die bleierne Wasserflächedes Öresund, die auf der anderen Seite von der grünenKüstenlinie Schwedens begrenzt war. Das warder letzte Halt vor Elsinore, wo Skou bereits auf siewartete. Sie waren die einzigen, die den Zug in demkleinen Fischerdorf verließen. Skou ging wortlos voraus.Die alten Häuser verbargen sich hinter hohen Hekken,und die Straße war leer. An der nächsten Eckewartete ein Thames-Sattelschlepper, der die AufschriftKøbenhavns Elektriske Artikler trug; darunter einpaar wilde Blitze und eine grell strahlend aufgemalteGlühbirne. Skou öffnete die hintere Tür, und dieMänner kletterten hinein und machten es sich auf denschweren Drahtrollen bequem, so gut es ging. Skouklemmte sich hinter das Lenkrad, tauschte seinenStraßenhut gegen eine einfache Arbeitermütze unddrückte den Anlasser.


Auf Nebenstraßen fuhr er nach Helsingør hineinund am Hafen entlang zur Helsingør Skibsværft. <strong>Der</strong>Wächter am Tor winkte und ließ sie durch. ZweiSchiffe lagen hier, erst im Rohbau fertig. Niethämmerdröhnten, und bei den Schweißern leuchtete grellblauesLicht. <strong>Der</strong> Lastwagen fuhr hinter das Bürogebäude,wo er vom übrigen Werftgelände aus nichtgesehen werden konnte.»Wir sind da!« sagte Skou und öffnete die Tür.Die Männer kletterten hinaus, folgten ihm in dasGebäude und stiegen eine Treppe hinauf. Ein uniformierterPolizist salutierte und hielt ihnen die Türauf. Drinnen roch es nach frisch aufgebrühtem Kaffeeund schwerem Zigarrenrauch. Zwei Männer saßenmit dem Rücken zur Tür und schauten durch dasgroße Fenster auf die Werft hinaus. Sie standen sofortauf und wandten sich um, als sie eintraten. Es warenArnie Klein und ein großer Mann mittleren Alters ineinem schwarzen Anzug und einer Weste, an der einealtmodische Uhrkette hing. Arnie stellte den Fremdenvor.»Das ist Herr Leif Holm, der Geschäftsführer derWerft.«Kaffee wurde angeboten und dankbar akzeptiert;doch die dicken, langen Jütland-Zigarren lehnten Oveund Nils ab. Holm zündete sich eine an und saßgleich darauf in einer gewaltigen blauen Rauchwolke,die sich im Zimmer ausdehnte.»Da sehen Sie es, meine Herren«, sagte er undrichtete seine Zigarre wie eine Schußwaffe in RichtungWerft. »Auf der mittleren Helling. DänemarksHoffnung und Zukunft.«Die Männer lauschten aufmerksam den Erklärun-


gen Holms und betrachteten das gedrungene, beinahehäßlich aussehende Schiff, das kurz vor der Vollendungstand. Es hatte eine seltsame Form, die an einerechteckige Röhre erinnerte.»Das ist das neue Hovercraft-Schiff, nicht wahr?«fragte Nils. »Die Vikingepuden. Sie soll den Dienstzwischen Esbjerg und London aufnehmen. Es wirddas größte Fahrzeug der Welt sein.« Zugleich überlegteer, was das Hovercraft-Fahrzeug mit DänemarksHoffnung und Zukunft zu tun hatte.»Richtig«, sagte Holm. »Wenn das Schiff vom Stapelläuft, wird es Galathea heißen und in unerforschteWeiten vorstoßen wie sein Namensvorgänger. Wennes sich dabei vielleicht auch nicht um die Weiten desMeeres handelt.«»Sie wollen doch nicht sagen ...?«»O doch, ich will! <strong>Der</strong> Mond, die Planeten, dieSterne – wer weiß? Wie ich höre, haben die HerrenProfessoren am Antrieb des Schiffes gearbeitet. Unterdessenhaben wir Ingenieure nicht geschlafen. Jedenfallswird in einigen Wochen das erste echteRaumschiff vom Stapel laufen. Die Galathea.«Die Männer betrachteten das Schiff jetzt mit lebhaftemInteresse. Die geschlossene Hülle, die bei jedemnormalen Schiff unmöglich gewesen wäre,stellte einen idealen Druckkörper dar. Daß Bug undHeck nicht deutlich herausgearbeitet waren, war imWeltall völlig unwichtig. Dieser ungefüge, häßlicheWulst war die Form der Zukunft.»Da ist noch etwas, das Sie wissen sollten, meineHerren. Alle Arbeiten an dem Programm sind auf einneues Ministerium übertragen worden, das nach demStapellauf der Galathea der Öffentlichkeit vorgestellt


wird – dem Raumfahrtministerium. Ich habe die Ehre,zum amtierenden Minister bestellt zu sein, und soist es meine erste und angenehme Pflicht, Sie,Hauptmann Hansen, zu fragen, ob Sie Ihre Versetzungvon der Luftwaffe zur Raumflotte beantragenmöchten – wobei Ihnen natürlich der bisherige Rangund die Altersversorgung verbleiben. Wenn Sie damiteinverstanden sind, wird Ihnen das Kommandoüber dieses herrliche Schiff übertragen. Was sagen Siedazu, Captain?«»Natürlich!« sagte Nils. »Natürlich!« Er zögertekeinen Augenblick. Er starrte auf das Schiff, selbstwährend die anderen ihm gratulierten, ließ er es nichtaus den Augen.Als sie ihn am Bahnhof von Birkerød absetzte, hatteMartha ihrem Mann nichts von ihrer Verabredung inKopenhagen gesagt. Das Dumme an der Geschichtewar, daß es überhaupt keinen Grund gab, Nils nichtsdavon zu erzählen. Jedenfalls war es gar nicht weiterwichtig.Ich fühle mich schuldig. An etwas anderes konnte sienicht denken, als sie vor der Ampel hielt und dannnach Süden auf den Kongevej einbog. Es ist unsinnig,aber ich fühle mich schuldig.Sie war Psychologiestudentin an der Columbia-Universität, als sie Nils zum erstenmal begegnete. Siehatte ihre Eltern hier in Kopenhagen besucht, wo ihrVater stationiert war – Seuchenspezialist Dr. CharlesW. Greene, ein hoher Beamter bei der Weltgesundheitsorganisation.Es waren herrliche Sommerferiengewesen. Parties und Freunde. Und Nils Hansen.Groß wie ein Kleiderschrank und schön wie ein


Apoll in seiner SAS-Uniform – eine Naturgewalt.Gelächter und viel Spaß und – nun, sie waren im Bettgelandet, ehe es ihr klar wurde, daß er es überhauptnur darauf angelegt hatte. Es blieb ihr keine Zeit,nachzudenken. Das Lustige dabei war, daß sie hinterherdoch geheiratet hatten.Zuerst war ihr alles ein wenig verrückt vorgekommen– schon der Gedanke, jemand zu heiraten, derkein Amerikaner war, sondern aus einem anderenLand kam und eine andere Sprache sprach. Aber Dänemarkwar den Staaten in mancher Beziehung soähnlich, und ihre Eltern waren hier, und Nils und alleihre Freundinnen sprachen Englisch.Sie wußte auch heute noch nicht genau, warum ersie geheiratet hatte. Er hätte jedes Mädchen habenkönnen; er mußte sich ihrer noch immer bei Partieserwehren. Aber er hatte sie gewählt. RomantischeLiebe, redete sie sich ein, wenn sie guter Stimmungwar. Doch wenn es wochenlang hintereinander geregnethatte und sie allein war, mußte sie Freunde besuchenoder einen Hut kaufen, um ihre wachsendeDepression wieder abzubauen. Denn dann machte siesich Gedanken, daß er sie nur deshalb geheiratethatte, weil er eben in das Alter gekommen war, indem dänische Männer gewöhnlich heiraten, und weilsie gerade zur Verfügung stand, hatte er sie genommen.Außerdem vermittelte eine amerikanische Frauin Dänemark ein gewisses Prestige.Sie war noch amerikanische Staatsbürgerin – undhierauf gründete sich vielleicht ihr Schuldgefühl.Wenn sie Nils liebte, wovon sie überzeugt war – warumhatte sie dann nie die nötigen Schritte eingeleitet,die dänische Staatsangehörigkeit zu erwerben?


Sie hielt ihren Paß in Ordnung, und einmal im Jahrstempelte ein lächelnder Beamter in der Kriminalabteilungdes Polizeipräsidiums eine Aufenthaltsverlängerunghinein. Jetzt wollte die amerikanische Botschaftihr wegen ihres Passes ein paar Fragen stellen,und sie fuhr dorthin und hatte Nils nichts davon gesagt.Wie immer war die Vorhalle leer, und der Mannam Empfang musterte sie mit berufsmäßiger Zurückhaltung,während Martha ihren tropfenden Regenschirmschloß, ihn ausschüttelte und in ihrer Taschenach dem Zettel suchte.»Ich bin herbestellt worden«, sagte sie. »Ich soll einenMr. Baxter aufsuchen. Um zehn.«»Dort durch die Tür und nach links. Zimmer 117.Ist ganz hinten im Flur.«»Danke.«Die Tür zu Zimmer 117 stand weit offen. Einschlaksiger Mann mit dunkler Hornbrille saß überden Tisch gebeugt und studierte konzentriert einBlatt Papier.»Mr. Baxter?«»Ja, bitte kommen Sie doch herein.«Er stellte den Regenschirm in seinen Papierkorb,hängte Marthas Mantel auf und schloß die Tür.»Dann sind Sie ...«»Martha Hansen.«»Natürlich. Ich habe Sie schon erwartet. Wollen Siesich bitte setzen.«»Es geht wohl um meinen Paß«, sagte sie, setztesich und öffnete die Handtasche auf ihrem Schoß.»Kann ich ihn bitte mal sehen?«Sie reichte ihm das Dokument und beobachtete ihn,


wie er die Seiten umblätterte und stirnrunzelnd einigeder verwischten Visa und Zollstempel zu lesenversuchte. Er machte sich Notizen auf einem Blockmit gelbem Papier.»Sie scheinen gern zu reisen, Mrs. Hansen.«»Mein Mann ist Pilot bei einer Fluggesellschaft. DieFlugkarten kosten uns fast nichts, und so kommenwir natürlich viel herum.«»Sie haben Glück.« Er schloß den Paß und schautesie an. »Moment, ist Ihr Mann etwa Nils Hansen, derdänische Pilot – von dem wir so viel gelesen haben?«»Ja. Stimmt mit dem Paß etwas nicht?«»Oh, kein Grund zur Besorgnis. Sie haben wirklichGlück, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein.Ist das der Anhänger mit dem Mondgestein? Davonwar ja in allen Zeitungen die Rede.«»Ja, wollen Sie mal sehen?« Sie hob die Kette überihren Kopf und reichte ihm den Schmuck, ein einfaches,unbearbeitetes Stück Vulkangestein in einemkleinen Silberkäfig. Gestein von einer anderen Welt.»Wie ich höre, hat man Ihnen schon fünfstelligeSummen dafür geboten. Sie sollten darauf aufpassen.«Er reichte ihr das Schmuckstück zurück. »Ichbrauche Ihren Paß nur für eine Überprüfung. Es hatProbleme gegeben mit einem anderen Paß, der fastdie gleiche Nummer hat. Wir müssen natürlich absolutsichergehen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichtsaus.«»Nein, natürlich nicht.«»Es tut mir leid, daß wir Sie belästigen müssen.Aber Sie wissen ja, wie solche Dinge laufen. Zu Hausewürde so etwas nie passieren. Aber als Amerikanerin,die im Ausland lebt – na ja, da gibt es eben viel


Papierkrieg.« Er klopfte mit dem Paß auf seineSchreibunterlage, ohne Anstalten zu machen, ihn zurückzugeben.»Ich bin hier zu Hause«, sagte sie abwehrend.»Natürlich. Ich meinte ja nur. Immerhin ist IhrMann Däne. Obwohl Sie natürlich noch amerikanischeStaatsbürgerin sind.«Er lächelte sie an und blickte dann durch das Fensterin den Regen hinaus.»Sie müssen eine loyale amerikanische Staatsbürgerinsein«, sagte er, »wenn Sie noch nie daran gedachthaben, Ihre Staatsangehörigkeit aufzugeben,obwohl Sie nun schon seit sieben Jahren – ist dasrichtig? – mit dem Bürger eines anderen Landes verheiratetsind. Das trifft doch zu, nicht wahr?«Sie wußte nicht, was sie hätte antworten sollen, alsoschwieg sie. Er nickte, als fasse er ihr Schweigenals eine Art Zustimmung auf.»Ich habe in der Zeitung gelesen, daß Ihr Manndieses <strong>Daleth</strong>-Schiff zum Mond geflogen hat. Er mußwohl sehr mutig sein.«Was sollte sie darauf antworten? Sie nickte.»Die Welt blickt im Augenblick auf Dänemark alsdie führende Nation im Rennen um die Eroberungdes Raumes. Es ist irgendwie seltsam, daß dieseskleine Land den Vereinigten Staaten voraus ist – inAnbetracht all der Milliarden, die wir ausgegebenhaben, und all der tapferen Männer, die dafür gestorbensind, finden Sie nicht auch? Das Rennen um denWeltraum ist eine große Sache, und das kleine Dänemarkkann doch wohl kaum allein an den Start gehen,sind Sie nicht auch der Meinung?«»Ich weiß nicht. Vielleicht könnte es doch ...«


»O wirklich?« Das Lächeln war jetzt ausgelöscht.»<strong>Der</strong> <strong>Daleth</strong>-Antrieb ist mehr als ein Raumantrieb –er stellt einen Machtfaktor in der Welt dar. EinenMachtfaktor, den an sich zu reißen Rußland nur einpaar Meilen nach Westen greifen müßte, undschnapp! Das würden Sie doch nicht wollen, nichtwahr?«»Natürlich nicht.«»Gut. Sie sind Amerikanerin, eine gute Amerikanerin.Wenn Amerika den <strong>Daleth</strong>-Antrieb hat, wird esFrieden auf der Welt geben. Ich werde Ihnen jetzt etwassagen, das wirklich vertraulich ist. Sie sollten esalso nicht weitererzählen. Die Dänen sehen die Sachenicht so. Gewisse linksgerichtete Elemente in der Regierung– immerhin sind es ja Sozialisten – bestehendarauf, daß uns das Material vorenthalten wird. Undwir können uns auch den Grund vorstellen, nichtwahr?«»Nein«, sagte sie abwehrend. »Dänemark ist nichtso, auch nicht die Sozialisten in der Regierung. Sielieben die Russen nicht. Ich sehe hier keinen Anlaß zuirgendwelchen Befürchtungen.«»Wie die meisten Menschen sind Sie etwas naiv,wenn es um Fragen des Weltkommunismus geht. DieKommunisten sind überall. Sie werden der freienWelt den <strong>Daleth</strong>-Antrieb wegnehmen, wenn wir nichtzuerst die Hände darauf legen. Sie können uns dabeihelfen, Martha.«»Ich kann mit meinem Mann sprechen«, sagte siehastig, und plötzlich merkte sie, wie kalte Furcht sieerfüllte. »Aber das dürfte wohl kaum etwas nützen.Er trifft seine Entscheidungen allein. Und ich möchtebezweifeln, daß er irgend jemand beeinflussen ...« Sie


unterbrach sich, als Baxter langsam den Kopf schüttelte.»Das meine ich nicht. Sie kennen alle Beteiligten –auch auf gesellschaftlicher Ebene. Sie haben sogar dasAtominstitut besucht ...«»Woher wissen Sie das?«»... und wissen daher wesentlich mehr über dieVorgänge als jede andere Person, die mit dem Projektoffiziell nichts zu tun hat. Ich möchte Ihnen daher einpaar Fragen stellen.«»Nein!« sagte sie atemlos und sprang auf. »Daskann ich nicht tun – um was Sie mich da bitten. Dasist nicht fair. Geben Sie mir bitte meinen Paß. Ich mußjetzt gehen.«Mit unbewegtem Gesicht ließ Baxter das Dokumentin eine Schublade fallen und schob sie zu. »Ich mußden Paß hierbehalten. Nur eine Formalität. Überprüfungder Nummer und der Unterlagen. Kommen Sienächste Woche wieder. Unten am Empfang wird manIhnen einen Termin geben.« Er ging zur Tür und legtedie Hand auf den Türknopf. »Wir haben Krieg, Martha,überall auf der Welt. Und wir alle sind Frontkämpfer.Dabei wird von manchen mehr verlangt alsvon anderen, aber so ist das eben im Krieg. Sie sindAmerikanerin, Martha – vergessen Sie das nie!«


13.Das Ausräumen des Spindes hatte etwas Endgültiges,das Nils bedrückte. Hastig stopfte er die Dinge, diesich in den Jahren angesammelt hatten, in seine Reisetaschenund zog den Reißverschluß zu. Nur nichtsentimental werden, dachte er, knallte die Tür zu undstapfte hinaus.Im Korridor hörte er, daß jemand seinen Namenrief, und er drehte sich um.»Inger!«»Wer sonst, du dummer Riese? Du bist schon vielzu lange ohne mich geflogen. Brauchst du nicht baldeine gute Stewardeß auf deinen Mondreisen?«Sie lief auf ihn zu, eine langbeinige, schlankeSchönheit, eine lebende SAS-Reklame. Sie war dasTraumbild einer Stewardeß jedes Flugreisenden, groß– fast so groß wie Nils – und sah aus wie ein Star auseinem schwedischen Film. Sie war aber auch eine derbesten und erfahrensten Stewardessen der Fluggesellschaft.Sie umfing seine Hand mit beiden Händenund trat ganz nahe an ihn heran.»Es ist doch nicht wahr«, flüsterte sie, »daß dunicht mehr fliegst?«»Jedenfalls nicht mehr bei der SAS – in nächsterZeit wenigstens. Es gibt da andere Möglichkeiten.«»Ich weiß, ganz geheime Sachen. <strong>Der</strong> <strong>Daleth</strong>-Antrieb. Ja, die Zeitungen sind voll davon. Aber ichkann einfach nicht glauben, daß wir nie wieder zusammenfliegen.«Sie umarmte ihn und gab ihm einen Kuß auf dieWange, und er spürte ihre Wärme. Im nächsten Au-


genblick trat sie einen Schritt zurück; sie wußte, wassich in der Öffentlichkeit geziemte.»Gott, wie sehr ich mir das wünschen würde!«sagte er.»Wenn du das nächstemal im Ausland bist, sag'Bescheid.« Sie sah auf die Uhr und ließ seine Handlos. »Ich muß weiter. Abflug in einer Stunde.«Sie winkte ihm zu und war verschwunden, er gingin die entgegengesetzte Richtung und dachte über ihrVerhältnis nach. In wie vielen Ländern hatten sie miteinandergeschlafen? Sechzehn bestimmt. Es hattekeinerlei Schuldgefühle gegeben, weder bei ihr nochbei ihm, das Ganze war ein gegenseitiges Einverständnisohne Vergangenheit oder Zukunft und ohneHoffnungen oder Erwartungen.Eine Mädchenstimme sagte über die LautsprecherAbflüge an. Nils drängte sich durch die Menschenmengezum nächsten Fernsehschirm, auf dem die Ankunftszeitenund Abflüge angegeben waren. In Kürze starteteeine Kurzstreckenmaschine nach Malmö, das aufder anderen Seite des Sunds in Schweden lag – seinFlug. Skou fand immer neue Wege und Möglichkeiten,eventuellen Verfolgern zu entgehen, und das hierwar sein neuester Plan. Ein guter Plan, wie Nils zugebenmußte.Er wartete in der Haupthalle, bis ihm noch etwazwei Minuten zum Abflug blieben. Dann ging erdurch den Verwaltungsteil des Gebäudes, den Passagierenicht betreten durften. So mußte er eigentlichjeden möglichen Verfolger abschütteln können. Einpaar Leute grüßten ihn, und dann war er draußen aufdem Flugfeld. Eben gingen die Passagiere an Borddes Flugzeugs nach Malmö. Er war der letzte, und


man schloß die Tür hinter ihm. Die Stewardeß kannteihn, so daß er seinen Ausweis gar nicht erst zu zeigenbrauchte, und er ging nach vorn, setzte sich auf denPlatz des Navigators und fachsimpelte während deskurzen Hopsers mit den Piloten. Bei der Landung ließihn die Stewardeß als ersten von Bord, und er gingsofort zum Parkplatz. Skou wartete dort bereits amSteuer eines neuen Humber. Er ließ den Motor anund steuerte den Wagen auf die Straße.Es war fast dunkel, als sie Hälsingborg erreichten undüber die Eisenbahnschienen zur Anlegestelle holperten.Sie standen an der Spitze einer neu sich bildendenAutoschlange, fuhren als erste an Bord der nächstenFähre und parkten direkt hinter den Falttürenam Bug. Skou stellte sich an, um während der kurzenÜberfahrt eine Stange zollfreier Zigaretten zu kaufen,während Nils im Wagen blieb.<strong>Der</strong> Wächter am Tor der Werft erkannte Skou sofortund winkte den Wagen durch.Skou parkte das Fahrzeug an der üblichen Stellehinter den Gebäuden, und Nils zog im Büro seinenArbeitsanzug an. Auf der Werft war es ruhig; nur ander Galathea wurde vierundzwanzig Stunden am Taggearbeitet. Gewaltige Bogenlampen erhellten die rostigeAußenhülle. Das war eine absichtliche Tarnung;man wollte mit dem Abschmirgeln und dem Außenanstrichdes Schiffes so lange wie möglich warten.Drinnen sah es völlig anders aus. Die Männer stiegendie Leiter hinauf und betraten das Schiff durchdie Deckschleuse. Die Lichter gingen an, als sich dieAußentür geschlossen hatte. Hinter dem innerenSchott erstreckte sich ein mit weißem Linoleum und


Teak ausgekleideter Korridor. Die indirekte Beleuchtungschonte die Augen, und überall waren gerahmteBilder mit Mondlandschaften angebracht.»Ganz schön vornehm«, sagte Nils. Bei seinemletzten Besuch hatte der Korridor noch aus rotgestrichenemStahl bestanden.»Das meiste entspricht den ursprünglichen Plänen«,sagte Ove Rasmussen, der hinter ihnen dasSchiff betreten hatte. »Die Verträge wegen der Inneneinrichtungwaren bereits abgeschlossen. KommenSie, ich habe eine Überraschung für Sie!«Sie bogen in einen mit Teppich ausgelegten Gangein, von dem Türen in zahlreiche Kabinen führten.Ove deutete auf die letzte Tür und sagte: »Sie zuerst,Nils.« Ein Messingschild verkündete: Kaptajn. Nilsstieß die Tür auf und trat ein.Die Kabine war groß, teils Büro, teils Wohnquartier,mit separater Bettnische. <strong>Der</strong> dunkelblaue Teppichwar mit winzigen Sternen besetzt. Über demTisch, einem ultramodernen Gebilde aus Chrom undPalisander, war eine Reihe von Instrumenten undSprechgeräten angebracht.»Ein wenig anders als bei der SAS, wie?« fragteOve lächelnd, als er Nils staunende Blicke bemerkte.»Und auch anders als bei der Luftwaffe. Und hier eineechte Marinetradition: Ihr erstes Kommando.«Über der Couch hing in einem Rahmen ein großesFarbbild des kleinen U-Boots Blæksprutten auf demMond. Die ferne Erde war im Hintergrund deutlichzu erkennen.»Persönliches Geschenk von Major Shawkun«, erklärteOve. »Sie erinnern sich, er machte die Aufnahme,ehe die drei herüberkamen. Sehen Sie, sie ha-


en alle unterschrieben.«»Bis auf den Außenanstrich scheint die Galathea faststartbereit zu sein. Wie sieht es damit aus? Wie gehtes im Maschinenraum voran?«»<strong>Der</strong> Fusions-Generator ist schon an Bord und istauch schon gründlich getestet worden. Natürlich gibtes noch viele Kleinigkeiten zu erledigen, allerdingsnichts Wichtiges.«»Wo ist Arnie Klein?« fragte Nils.»Er hat die letzten Wochen an Bord zugebracht«,sagte Ove, »und zwar nach Abschluß der Laborversuchean seinem <strong>Daleth</strong>-Antrieb. Er war mit meinemFusions-Generator beschäftigt und hat schon mindestensfünf patentfähige Verbesserungen vorgenommen.«»Gehen wir mal nach unten. Ich möchte meinenMaschinenraum sehen.« Nach einem letzten bewunderndenRundblick schloß Nils die Tür. »Das alles isteinfach ein wenig zuviel. Ich habe das Gefühl, daßmehr an der Sache hängt, als ich mir bisher vorgestellthabe.«»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Ove. »DasDing ist zwar im Augenblick ein Schiff, aber sobaldSie es starten, ist es eine riesige Flugmaschine – eineArt überschwere 747, die Sie ja schon geflogen haben.Sie werden mir zustimmen, daß es viel einfacher ist,Ihnen das Fliegen mit einem Schiff beizubringen, alseinen Schiffskapitän mit den Grundbegriffen desFliegens vertraut zu machen.«»Da ist immer noch ... Was ist los?«Skou war stehengeblieben und blähte aufgebrachtdie Nasenflügel.»<strong>Der</strong> Wächter – da müßte ein Wächter vor dem


Maschinenraum stehen. Vierundzwanzig Stunden amTag.« Er begann schwerfällig zu laufen und versuchte,die Tür zu öffnen, die sich aber nicht rührte.»Von innen abgeschlossen«, sagte Nils. »Gibt esnoch einen Schlüssel ...?«Skou verschwendete keine Zeit mit der Suche nacheinem Schlüssel. Er zog einen kurzen, dickläufigenRevolver aus einer Halfter im Hosenbund und preßteihn gegen das Schloß. Ein Schuß dröhnte, und dieWaffe zuckte in seiner Hand. Rauch stieg auf, und dieTür gab nach – allerdings nur wenige Zentimeter,dann stieß sie auf ein Hindernis. Durch die Öffnungwaren die Beine des Wächters zu sehen, der direkthinter der Tür auf dem Boden lag und den Weg versperrte.Mit Gewalt drückten sie die Tür weiter aufund drangen ein.»Professor Klein!« rief Skou und sprang über denKörper des Wächters in den Raum. Drei Schüsseknallten in schneller Folge, und er ließ sich aus derBewegung heraus vornüber zu Boden fallen. Er hattedie Waffe gehoben, erwiderte das Feuer jedoch nicht.»Zurückbleiben!« rief er den anderen zu und richtetesich auf.Ove zögerte, aber Nils hechtete durch die Tür undließ sich über den Wächter rollen, ohne ihn zu berühren.Er kam gerade noch rechtzeitig wieder hoch, umdie Bewegung der sich eben schließenden Luftschleusedes Maschinenraums zu sehen. Er arbeitete sichhoch, rannte hinüber und rüttelte an der Luke, diesich aber nicht rührte.»Von der anderen Seite versperrt? Wo ist Arnie?«»In der Gewalt der Burschen. Es sind zwei, und siesind bewaffnet. Sie haben ihn verschleppt. Ver-


dammt!« Skou hatte schon sein Taschensprechfunkgerätin der Hand und schaltete es ein, empfing jedochnur statische Geräusche.»Ihr Funkgerät arbeitet hier unten nicht«, erinnerteihn Ove und beugte sich über den Wächter. »Sie sindhier von Metall umgeben. Gehen Sie an Deck. <strong>Der</strong>Mann ist nur ohnmächtig. Irgend etwas hat ihn amKopf getroffen.«Die beiden Männer hasteten nach oben. Da er imAugenblick nichts für den Wächter tun konnte,sprang Ove auf und folgte ihnen.Beide Schleusentüren standen offen, und draußenauf Deck brüllte Skou etwas in sein Sprechgerät.Schlagartig gingen auf der Werft sämtliche Lichteran. Zwei Polizeiboote preschten mit heulenden Sirenenherbei und riegelten die Hafenseite ab. Nils hastetedie Leiter hinab, sprang die letzten Meter zuBoden und rannte sofort in Richtung Bug, wo sich dieLuftschleuse befand. Die Außentür stand offen, under glaubte, einige dunkle Gestalten zu erkennen. Erpackte den Arm eines Polizisten, der in diesem Augenblickherbeirannte.»Haben Sie ein Sprechfunkgerät? Sehr gut. RufenSie Skou und sagen Sie ihm, daß die Burschen auf dasWasser zuhalten. Sie haben wahrscheinlich ein Boot.Es darf nicht geschossen werden. Es sind zwei Männer,die Professor Klein bei sich haben. Wir dürfen ihnnicht gefährden.« <strong>Der</strong> Polizist nickte und holte dasGerät hervor, während Nils weiterrannte.Auf der Werft herrschte Chaos. Im Laufen gabSkou die Nachricht von Nils weiter. Vor ihm hielteneinige Wächter auf das Ufer und die Helling zu.Rote Flammenzungen zuckten hinter einem Stapel


Stahlplatten auf, und ein Wächter knickte zusammenund blieb liegen. Die anderen sprangen in Deckungund hoben die Waffen.»Nicht schießen!« befahl Skou und rannte alleinweiter. »Macht mal Licht da drüben!«Jemand richtete einen großen Scheinwerfer auf dieStelle, die schon von einem der Streifenwagen angeleuchtetwurde, und ließ die Szene taghell hervortreten.Geduckt rannte Skou weiter, allein.Ein Mann, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet,richtete sich auf, legte schützend die Hand vor dieAugen und hob eine langläufige Pistole. Er feuerteeinmal, zweimal; ein Geschoß knallte neben Skou aufeine Stahlplatte und prallte ab, die zweite Kugelstreifte seinen Mantel. Skou blieb stehen, hob seinerseitsdie Pistole und senkte sie langsam ins Ziel. <strong>Der</strong>Eindringling feuerte ein drittes Mal, und Skous Waffebellte fast im gleichen Augenblick auf, nur ein einzigesMal.<strong>Der</strong> Mann fuhr zusammen, wirbelte herum undstürzte auf die Stahlplatten; seine Waffe polterte zuBoden. Skou bedeutete zwei Polizisten, den Mann zuuntersuchen, und humpelte weiter, ohne sich um diehingestreckte Gestalt zu kümmern. Eine Kette vonWächtern und Polizisten schloß sich hinter ihm; einPatrouillenboot kam mit tuckerndem Motor näher andie Küste und ließ seinen Scheinwerfer in die Schattender Hellingen dringen.»Da sind sie!« rief jemand, als der Lichtstrahlplötzlich zum Stillstand kam. Skou blieb stehen undsignalisierte den anderen, sich ebenfalls nicht mehrzu rühren.Die vernieteten Kielplatten waren die Bühne, die


gebogenen Schiffsrippen das Proszenium, und dasBild war ausgeleuchtet. Ein Mann, ganz in einenschimmernden schwarzen Anzug gekleidet, ducktesich hinter Arnie Kleins reglose Gestalt. Er hielt seinOpfer mit einem Arm umfaßt und benutzte es alsSchild, indem er es an sich preßte. In der anderenHand hatte er einen Revolver, dessen Mündung erauf Arnies Kopf gerichtet hielt. Die Sirenen erstarben,und Stille senkte sich plötzlich über die Szene herab.Man hörte die laute, heisere Stimme des Mannes.»Bleibt weg – ich töte!«Er sprach englisch mit kehligem Akzent, aber alleverstanden ihn. Keiner der Zuschauer rührte sich, alser jetzt Arnie an der Helling entlang zum Wasserschleppte. In diesem Augenblick trat Nils Hansen ausder Dunkelheit hinter ihm, packte wie ein Schraubstockdie Hand des Mannes und zog sie mit der Waffehoch, so daß sie nicht mehr auf Arnies Kopf zielte.<strong>Der</strong> Schwarzgekleidete schrie auf, die Pistole krachte,und der Schuß ging in die Luft.Mit seiner freien Hand befreite Nils Arnie aus demGriff des anderen und ließ ihn vorsichtig auf eineStahlplatte gleiten. Sein Gefangener wehrte sich unterdessenvergeblich gegen seinen Griff und begannschließlich Nils mit der Faust zu bearbeiten. Nilsschien die Schläge überhaupt nicht zu spüren, bis ersich wieder aufrichtete; dann jedoch entriß er demanderen die Waffe, schleuderte sie zur Seite, schlugblitzschnell mit der offenen Hand zu und gab ihm einefürchterliche Ohrfeige. <strong>Der</strong> Mann wurde durch dieWucht des Schlags umgerissen und hing reglos inNils hartem Griff.»Ich will mit ihm reden!« rief Skou und rannte los.


Nils hielt den Mann mit beiden Händen gepackt.<strong>Der</strong> Fremde war in einen schwarzen Gummianzuggekleidet, eine Tauchermontur, und nur sein Kopfwar frei. Seine Haut war fahl, und er hatte einendünnen Schnurrbart, der wie aufgemalt wirkte. Aufeiner Wange war deutlich der rote Abdruck einergroßen Hand zu sehen.Einen Augenblick lang versuchte sich der Manndem Griff zu entwinden, als er sah, daß die Polizistennäher kamen. Dann hielt er inne. Wahrscheinlichwurde ihm bewußt, daß es kein Entkommen mehrgab. Er wehrte sich nicht mehr, sondern hob dieHand zum Mund.»Halt, passen Sie auf!« brüllte Skou und stürzte aufsie zu. Aber es war zu spät.Ein Ausdruck des Entsetzens und des Schmerzestrat auf das Gesicht des Mannes. Seine Augen weitetensich, und er öffnete den Mund zu einem lautlosenSchrei. Er wand sich in Nils Händen, dann sackte erzusammen und sank leblos zu Boden.»Lassen Sie ihn los«, sagte Skou und hob ein Liddes Mannes. »Er ist tot. Vergifteter Fingernagel.«»<strong>Der</strong> andere auch«, sagte ein Polizist. »Sie habenihn in den ...«»Ich weiß, wo ich ihn getroffen habe.«Nils beugte sich über Arnie, der zwar noch immerdie Augen geschlossen hatte, aber den Kopf hin undher bewegte. Hinter seinem Ohr war eine rote Stellezu sehen, die stark angeschwollen war.»Es scheint ihm nichts weiter passiert zu sein«,sagte Nils, und dabei fiel sein Blick auf Skous Hosenbein.Es war mit Blut getränkt, und Blut tropfte aufseine Schuhe. »Menschenskind, Sie sind ja verletzt!«


»Es erwischt mich immer am gleichen Bein. Langsambin ich schon daran gewöhnt. Wichtiger ist esjetzt, den Professor ins Krankenhaus zu bringen. Irgendjemand hat uns aufgespürt. Ab sofort müssenwir mit Unannehmlichkeiten rechnen.«


14.Nils Hansen saß im Dunkeln auf der Brücke und versuchtesich vorzustellen, wie er die Kontrollen derGalathea bediente. Er ließ den Blick von einem Instrumentzum anderen gleiten, langsam wurde ihmseine Kommandobrücke vertraut.Vor ihm war eine dicke, druckversiegelte Klarsichtlukein den Stahl eingelassen, durch die er einenguten Ausblick auf die Werft und den Hafen hatte.Obwohl es schon nach zwei Uhr war und Helsingørlängst schlief, herrschte auf dem Werftgelände und inder näheren Umgebung lebhaftes Treiben.Mit leisem Summen glitt die Tür zur Brücke auf,der Funker kam herein und setzte sich auf seinenPlatz. Ihm auf den Fersen folgte Skou, der an einerKrücke hereinhumpelte. Er blieb einen Augenblickneben Nils stehen und inspizierte seine Verteidigungsmaßnahmendraußen auf dem Gelände. Mit einemzufriedenen Brummen ließ er sich dann in denSitz des Kopiloten fallen.»Man weiß jetzt, daß wir hier sind«, sagte er. »Aberdabei wird's bleiben. Wie weit seid ihr mit demSchiff?«»Überprüft, überprüft und noch einmal überprüft.Ich habe mein möglichstes getan, und die Ingenieureund Mechaniker haben jeden Quadratzentimeter Außenhülleund jedes Ausrüstungsstück noch einmalkontrolliert. Hier sind ihre Prüfungsberichte.« Er hobeinen dicken Aktenordner. »Gibt's etwas Neues überunsere Besucher in der letzten Woche?«»Nichts, absolut nichts. Die Taucherausrüstung ist


hier in Kopenhagen gekauft. Keine Kennzeichen, keineSchildchen, keine Papiere. Die Pistolen warendeutsche P-38er, aus dem Zweiten Weltkrieg. Könnenvon überall her kommen. Wir hofften zunächst, überdie Fingerabdrücke weiterzukommen, aber das stelltesich als Irrtum heraus. Ich hab's selbst überprüft.Nichts. Zwei Unsichtbare aus dem Nichts.«»Dann werden wir also nie erfahren, welches Landfür den Anschlag verantwortlich war?«»Es ist mir eigentlich auch egal. Jemand hat auf denBusch geklopft, und der riesige Wirbel, den er dabeiverursachte, hat uns verraten. Jetzt weiß die ganzeWelt, daß sich hier auf der Werft etwas tut. Man weißnur noch nicht, was. Ich hoffe wenigstens.« Er beugtesich vor, um das Leuchtzifferblatt der Uhr abzulesen.»Allzu lange brauchen wir ja nicht mehr zu warten.Alles klar?«»Alle Positionen besetzt – wir warten nur noch aufdas Startzeichen. Bis auf Henning Wilhelmsen. Er hatsich hingelegt und schläft ein paar Stunden, bis ichihn wecke. Er ist heute nacht dran.«»Na, dann sagen Sie ihm Bescheid.«Nils nahm den Telefonhörer auf und wählte HenningsNummer, der sofort an den Apparat kam.»Hier Kommandant Wilhelmsen.«»Brücke. Würden Sie bitte kommen? Es ist soweit.«»Schon unterwegs!«»Da!« sagte Skou und deutete auf die Straße amanderen Ende des Hafens, wo ein halbes DutzendSoldaten auf Motorrädern erschienen war.Zwei offene Lastwagen mit Soldaten folgten; dahinterkamen weitere Motorräder als Eskorte für einenlangen, schwarzen Rolls-Royce. Weitere Soldaten


ildeten die Nachhut. Als ob das Erscheinen diesesKonvois ein Zeichen gewesen wäre, tauchten plötzlichweitere Transportwagen mit Soldaten aus denKasernen von Schloß Kronborg auf, wo die Männer inBereitschaft gelegen hatten. Als der Zug das Werfttorerreicht hatte, war das Gelände von einem dichtenTruppenkordon umgeben.»Was ist mit dem Licht hier drin?« fragte Nils.»Sie können es einschalten. Inzwischen weiß bestimmtdie ganze Stadt, daß etwas im Gange ist.«Sie gingen die Liste durch, die damit endete, daßsämtliche Mannschaftsmitglieder auf ihre Posten gerufenwurden. Henning schaltete das Lautsprechersystemein, und seine Stimme drang bis in jedenRaum des Schiffes. Es lief noch immer alles planmäßig.Die Mannschaft wartete auf ihren Positionen. EineStation nach der anderen wurde angerufen, währendNils die Gruppe der Würdenträger beobachtete, diesich langsam näherte. Eine Militärkapelle war erschienenund spielte flotte Weisen; ein dünner Nachhallder Musik war sogar durch die luftdicht verschlosseneSchiffshülle zu hören. Die Menge teiltesich vor der Plattform, und eine große Frau mit braunemHaar stieg zuerst die Treppe herauf.»Kronprinzessin Margarethe«, sagte Nils. »Los,stöpseln Sie ein.«Die kleine Plattform war bald voller Menschen, unddas Lautsprechersystem erwachte mitten in einer offiziellenRede zum Leben. Die Kapelle begann wieder zuspielen. Ihre Königliche Hoheit trat vor, und einer derSeeleute ließ eine Schnur mit einer Flasche Champa-


gner vom Deck herab. Die Stimme der Prinzessin warklar zu verstehen, ihre Worte waren einfach.»Ich taufe dich Galathea ...«Das Klirren der Flasche war deutlich zu hören. DasSchiff wurde nicht sofort ins Wasser gelassen, wie esbei einer gewöhnlichen Taufe üblich war. Die Würdenträgerzogen sich zurück, und die Plattform wurdezurückgefahren, ehe der Befehl ertönte. Die letztenPflöcke wurden freigeschlagen, und ein Ruck liefplötzlich durch das Schiff.»Alle Abteilungen Achtung«, sagte Nils in das Mikrophon.»Achten Sie darauf, daß alle losen Teile befehlsgemäßfestgezurrt sind. Und jetzt aufpassen. Eswird eine Erschütterung geben, wenn wir im Wasserlanden ...«Die Galathea bewegte sich immer schneller, und dasdunkle Wasser kam rasch näher. Ein Zittern liefdurch die Schiffshülle, als sie ins Wasser tauchte. DieFahrt verlangsamte sich, und schließlich schaukeltedas Schiff behäbig in den Wellen. Im nächsten Augenblicknäherten sich schon Schlepper und Hilfsboote.»Geschafft!« sagte Nils und entspannte sich. »Istein Stapellauf immer so nervenaufreibend?«»Eigentlich nie!« erwiderte Henning. »Die meistenSchiffe werden ins Wasser gelassen, ehe sie überhaupthalbfertig sind. Von einem Stapellauf, bei demdas Schiff nicht nur völlig fahrtüchtig war, sondernauch eine Mannschaft an Bord hatte, habe ich nochnie gehört.«»Ungewöhnliche Zeiten bedingen ungewöhnlicheMittel«, sagte Nils ruhig. »Übernehmen Sie das Ruder.Solange wir im Wasser sind, haben Sie hier das


Kommando. Aber vergessen Sie nicht, daß das keinU-Boot ist – bleiben Sie oben!«Henning war stolz auf seine Vergangenheit alsSeemann. »Bitte stöpseln Sie mich auf die Kommandoleitung!«rief er dem Funker zu.Während Henning sich überzeugte, daß alle Gleitstützenfreigehievt und die Schlepper in Position gegangenwaren, setzte sich Nils mit den verschiedenenStationen in Verbindung. Schäden hatte es nicht gegeben.Die Reise konnte beginnen.Die Galathea hätte sich aus eigener Kraft bewegenkönnen, aber man hatte beschlossen, sie von den Schleppernzunächst aus dem Hafen bugsieren zu lassen.Sie schwenkten in großem Bogen herum und hieltenauf die Hafeneinfahrt zu.Weit vor der Küste machten die Schlepper los, tutetenzum Abschied noch einmal und kehrten um.»Decks räumen«, befahl Henning. »Luken dicht.«»Weitermachen«, sagte Nils.Henning drückte beide Antriebshebel nach vorn,und die Galathea erwachte. Jetzt war sie nicht mehr andas Land gebunden, jetzt war sie kein Schleppobjektmehr, sondern ein selbständiges Schiff. Wellen brachensich am Bug, strömten die Flanken entlang und klatschtenmit zunehmender Geschwindigkeit immer höherauf Deck. Die Lichter von Helsingør fielen zurück.»Wie schnell sind wir?« fragte Nils.»Ungeheure sechs Knoten schnell.«Nils begann hastig zu rechnen. »Gehen Sie auf fünfKnoten zurück, dann sind wir im Morgengrauen amHafen.«»Aye, aye, Sir.«


Die langsame Reise nahm ihren Fortgang. Von Helsingørnach Kopenhagen waren es auf dem Sundkaum dreißig Kilometer; für diese Strecke brauchtensie länger als für die Reise zum Mond. Aber es bliebihnen nichts anderes übrig. Vor dem Einbau des <strong>Daleth</strong>-Antriebswaren sie kaum mehr als ein Boot, dessenelektrischer Antrieb zu schwach geraten war.Am östlichen Horizont stieg bereits ein goldenerSchimmer auf, als sie den Kopenhagener Freihafenerreichten. Zwei Schlepper warteten in der leichtenDünung, machten fest und schleppten die Galatheavorsichtig in den Frihavn zur wartenden Anlegestelleim Vestbassin; es lief alles glatt wie bei der Abfahrt.Es würde eine Präzisionsarbeit sein, den gigantischen<strong>Daleth</strong>-Antrieb an Bord zu hieven, so daß dieMontage trotz aller Vorbereitungen sicher nur nervenaufreibendlangsam vonstatten ging. Noch währenddie Galathea fest am Kai vertäut wurde, begannman, die große Luke auf dem Hinterdeck aufzuschrauben.Ein riesiger Kran senkte sich hinab, um siehochzuziehen. Die Luke sollte nur einmal benutztund dann zugeschweißt werden. Die große Stahlplatteschwebte in die Höhe, wobei sie sich langsamdrehte, und wurde an Land geschwenkt. Im gleichenAugenblick nahm ein zweiter Kran den röhrenförmigen<strong>Daleth</strong>-Antrieb auf. Vorsichtig wurde die Lastdurch die Luke abgesenkt und verschwand im Schiff.<strong>Der</strong> Antrieb war an Bord.Das Telefon klingelte, und Nils hob den Hörer,lauschte und nickte. »In Ordnung. Bringen Sie ihn inmeine Kabine. Ich spreche da mit ihm.« Er hängte aufund ignorierte Hennings fragenden Blick. »ÜbernehmenSie. Ich bin gleich wieder da.«


Ein Offizier in der Uniform der Livgarden, der KöniglichenGarde, wartete auf ihn. Er salutierte undüberreichte ihm einen dicken, cremefarbenen Umschlag,der mit rotem Wachs verschlossen war. Nilserkannte das Siegel sofort.»Ich soll auf eine Antwort warten«, sagte der Offizier.Nils nickte und riß den Umschlag auf. Er las diekurze Nachricht und trat dann an seinen Tisch. In einerMappe lag das bisher noch nicht benutzte offizielleBriefpapier des Schiffes, das ein umsichtiger Versorgungsoffizierhatte drucken lassen. Er nahm einBlatt und schrieb ein paar Zeilen. Er steckte den Bogenin einen Umschlag und reichte ihn dem Offizier.»Ich nehme an, ich brauche den Umschlag nicht zuadressieren«, sagte er.»Nein.« <strong>Der</strong> Mann lächelte. »Ich möchte Ihnen,auch im Namen der anderen, viel Glück wünschen.«Die Männer salutierten voreinander und schütteltensich die Hand.Auf die Brücke zurückgekehrt, dachte Nils an denBrief in seinem Safe.»Sie wollen mir wohl nicht sagen, was los ist?«fragte Henning.»Warum auch?« Er blinzelte und wandte sich anden Funker, den dritten Mann auf der Brücke. »Neergaard,machen Sie mal Pause. Kommen Sie in einerViertelstunde wieder.«Es herrschte Schweigen, bis sich die Tür hinter ihmgeschlossen hatte.»Ein Brief vom König«, sagte Nils. »Die große Feierheute nachmittag war von Anfang an als Täuschungsmanövergedacht – als Ablenkung. Man wird


die Ankündigung herausgeben, aber wir werdennicht bei Schloß Amalienborg festmachen. Sobald wirhier fertig sind, verschwinden wir. Er hat uns Glückgewünscht und sein Bedauern ausgesprochen, daß ernicht hier sein kann. Wenn wir den Hafen verlassenhaben, geht es ab ...«»... zum Mond!« sagte Henning und blickte zu denArbeitern hinaus, die auf Deck damit beschäftigt waren,die Luke zu verschweißen.


15.Martha Hansen konnte nicht schlafen. Etwas sehrWichtiges und vielleicht Gefährliches ging vor, undNils hatte mit ihr nicht darüber sprechen dürfen.Nach sieben Jahren Ehe kannte sie ihn gut genug, umzu wissen, daß er ihr etwas verheimlichte. EineNacht, vielleicht ein paar Tage, hatte er gesagt unddas Fernsehen eingeschaltet. Aber sie ahnte, daß esum mehr ging, und diese Ahnung ließ sie nicht schlafen.Als es langsam hell zu werden begann, gab sie esauf. Sie stellte die elektrische Kaffeemaschine an undging unter die Dusche.Schließlich trank sie ihren heißen Kaffee und versuchteaus dem Radio die neuesten Ereignisse zu erfahren– aber keine Station sendete Nachrichten. Sieschaltete auf Kurzwelle und stieß schließlich auf dieNachrichten des BBC World Service. Es wurde überdas Scheitern der Südostasiengespräche berichtet. Siegoß sich noch etwas Wasser ein und ließ fast die Tassefallen, als sie das Wort Kopenhagen hörte.»... unvollständige Berichte, zumal im Augenblicknoch keine offizielle Stellungnahme vorliegt. Augenzeugenberichten jedoch, daß die Stadt voller Truppenist und daß am Hafen fieberhafte Aktivitätherrscht. Inoffiziellen Mutmaßungen zufolge soll dasNiels-Bohr-Institut mit der Angelegenheit zu tun haben,und es wird angenommen, daß weitere Versuchemit dem sogenannten <strong>Daleth</strong>-Antrieb bevorstehen.«Sie stellte das Radio laut, so daß sie auch beim Anziehenweiter zuhören konnte. Was ging da vor? Undnoch wichtiger war ihr die Frage, der sie die ganze


Zeit aus dem Wege zu gehen versucht hatte: Wie gefährlichwar das alles? Seit der Schießerei, bei der Arnieverletzt worden war, rechnete sie jeden Augenblickdamit, daß etwas noch Schlimmeres passierte.Sie war fertig angezogen, hatte die Handschuheübergestreift und die Wagenschlüssel genommen –und hielt an der Tür inne. Wohin wollte sie eigentlich?Was sollte das? Ihr fast hysterischer Impuls kamihr plötzlich außerordentlich lächerlich vor. Siekonnte Nils überhaupt nicht helfen. Sie ließ sich imFlur in einen Sessel fallen und kämpfte mit den Tränen.Das Radio dröhnte noch immer durch die Wohnung.»... und aus einem soeben eingetroffenen Berichtgeht hervor, daß das Versuchsschiff, das allgemeinals ein Hovercraft bezeichnet wurde, nicht mehr inder Werft in Elsinore liegt. Es kann angenommenwerden, daß eine Verbindung zwischen diesem Umstandund den eben geschilderten Ereignissen in Kopenhagenbesteht ...«Martha ließ die Tür hinter sich zufallen und öffnetedie Garage. Sie wußte, daß sie nichts tun konnte, abersie brauchte auch nicht zu Hause zu sitzen. Kurz daraufraste sie auf dem Strandvejen nach Süden; so früham Morgen lag die Straße noch verlassen da. Irgendwiehatte sie das Gefühl, das Richtige zu tun.Sie fühlte sich schon weniger sicher, als sie Kopenhagenerreichte – einen Irrgarten aus gesperrten Straßenund Soldaten mit geschulterten Gewehren. Siewaren sehr höflich, wollten sie aber nicht durchlassen.Sie versuchte es immer wieder, an verschiedenenPunkten in dem zunehmenden Verkehr, und stelltefest, daß um das Gelände des Freihafens ein großer


Absperring gezogen war. Als ihr das bewußt wurde,schlug sie einen großen Bogen durch die engen Seitenstraßenund steuerte wieder auf das Wasser zu –auf der anderen Seite von Kastelet, dem fünfeckigenSchloß, das die Südgrenze des Hafens bildete. EinenHäuserblock vom Wasser entfernt fand sie einenParkplatz. Menschen liefen an ihr vorbei und esherrschte ein großes Gedränge am Ufer.<strong>Der</strong> Wind, der vom Sund herüberwehte, war kalt,und sie fröstelte. Immer mehr Menschen kamen zusammenund Gerüchte schwirrten durch die Luft,während man auf dem Öresund nach etwas UngewöhnlichemAusschau hielt.Eine Stunde, zwei Stunden vergingen – und Marthabegann sich zu fragen, was sie hier sollte. Sie warvöllig durchgefroren. Die Radios plärrten, und vonden Leuten, die sich um die Lautsprecher drängten,hörte man plötzlich Psst-Rufe, Arme wurden ärgerlichgeschwenkt, und Ruhe trat ein. Martha versuchtesich vergeblich näher heranzudrängen. Trotzdemverstand sie das Wichtigste der dänischen Ansage.Die Galathea ... ein offizieller Stapellauf ... Feier ...Schloß Amalienborg am Nachmittag ... Die Meldungwar noch nicht zu Ende, aber es reichte ihr. Müdeund halb erfroren wandte sie sich ab, um zu ihremWagen zurückzugehen. Wenn es sich um eine offizielleSache handelte, konnte sie mit einer Einladungrechnen. Wahrscheinlich versuchte man sie geradeanzurufen. Es war das beste, wenn sie sich jetzt nochein wenig hinlegte und dann Ulla Rasmussen anrief,um zu besprechen, was man anziehen sollte.Plötzlich verstellte ihr ein Mann den Weg.»Sie sind ja sehr früh auf, Martha«, sagte Baxter.


»Das muß ein wichtiger Tag für Sie sein.« Er lächelte,aber weder seine Worte noch sein Lächeln warenecht. Sie machte sich klar, daß dieses Treffen kein Zufallwar.»Sie sind mir hierher gefolgt. Sie haben mein Hausbeobachtet ...«»Hier auf der Straße können wir nicht reden – undSie sehen halb erfroren aus. Warum gehen wir nichtin das Restaurant hier und bestellen uns Kaffee oderFrühstück?«»Ich fahre nach Hause«, sagte sie und machte Anstalten,um ihn herumzugehen. Er hob den Arm undhielt sie auf.»Sie haben unsere Verabredung nicht eingehalten.Paßschwierigkeiten können sehr unangenehm sein.Warum unterhalten wir uns nicht wie bisher ganzfreundschaftlich bei einer Tasse Kaffee über die Sache?Kann doch nicht schaden?«»Na gut.« Sie war plötzlich sehr müde. Es hattekeinen Sinn, diesen Mann zu verärgern. Sie ließ es alsozu, daß er sie beim Arm nahm und ins nächste Caféführte.Sie setzten sich ans Fenster und konnten über dieDächer der geparkten Wagen auf den Sund hinaussehen.Die Wärme tat ihr gut. Er bestellte bei der Kellnerin,die sein Englisch verstand. Er schwieg, bis siedie Tassen gebracht hatte und wieder außer Hörweitewar.»Sie haben sicher darüber nachgedacht, was ich Ihnengesagt habe«, begann er. Sie starrte in ihre Tasse,als sie antwortete.»Um ganz ehrlich zu sein – nein. Ich wüßte nicht,wie ich Ihnen helfen könnte.«


»Das kann ich besser beurteilen. Aber Sie würdenmir doch gern helfen, nicht wahr, Martha?«»Das würde ich natürlich schon, aber ...«»Es gibt kein Aber. Und Sie brauchen wirklichnichts Schwieriges oder Ungewöhnliches zu tun. Siehaben sich doch in letzter Zeit mit der Frau von ProfessorRasmussen angefreundet. Ulla heißt sie wohl.Wie eng ist diese Bekanntschaft? Sie werden sie aufjeden Fall aufrechterhalten!«»Sie haben mich also doch beobachten lassen, nichtwahr?«Er tat diese Frage mit einer Handbewegung ab.»Und Sie kennen auch Arnie Klein. Er ist ein paarmalIhr Gast gewesen. Versuchen Sie, auch ihn noch besserkennenzulernen. Er ist eine Schlüsselfigur in dieserAngelegenheit.«»Soll ich vielleicht auch mit ihm schlafen?« fragtesie in plötzlicher Wut auf sich, auf diesen Mann, aufdie Dinge, die sich hier abspielten. Er wurde nicht ärgerlich,verzog aber mißbilligend das Gesicht.»Es gibt Leute, die für ihr Land Unangenehmeresgetan haben, die für ihr Land gestorben sind. Sieglauben doch an Amerika, oder?«»Natürlich«, sagte sie schließlich, »aber ...«»In Loyalitätsdingen gibt es kein Aber, ebensowenigwie sich Ehre teilen läßt. Sie wissen, daß Ihr LandSie braucht, und Sie treffen einen freien Entschluß. Siewerden nichts Unehrenhaftes tun. Dafür kann ich garantieren.Sie werden mir helfen, ein Unrecht zu beseitigen.Sie wissen doch, wie es damals mit derAtombombe und den Spionen der Roten war. Unddiese Spione sind in diesem Augenblick hier amWerk. Sie werden sich den <strong>Daleth</strong>-Antrieb beschaffen.


Und wenn ihnen das gelingt, bedeutet das das Endeunserer abendländischen Kultur.«»Aber so muß es nicht sein.«»Nein – weil Sie uns helfen werden. Schon einmalist Amerika die letzte Bastion in der Verteidigungslinieder freien Welt gewesen, und wir schämen unsnicht, diese Rolle wieder zu übernehmen.«Baxter nippte an seinem Kaffee und sah auf dieUhr. »Ich nehme an, Sie möchten jetzt nach Hausefahren und sich fertigmachen. Ich kann mir vorstellen,daß Sie heute nachmittag zu der großen Galathea-Feier eingeladen sind. Ihr Mann muß doch irgendwiemit dem Projekt zu tun haben. Können Sie mir seineFunktion näher beschreiben?«Da war sie – eine Frage, die sie beantworten konnte;das Dilemma mußte ihr deutlich vom Gesicht abzulesensein. Das Schweigen zog sich in die Länge.»Aber Martha«, sagte er leichthin, »Sie werden sichdoch nicht auf die Seite dieser Leute schlagen!«»Er ist Kapitän des Schiffes«, sagte sie und wähltedamit fast ohne nachzudenken die andere Seite. Ersthinterher machte sie sich klar, daß diese Informationohnehin bald allgemein bekannt sein würde. Aber siehatte eben eine schwerwiegende Entscheidung getroffen.Baxter frohlockte nicht; er nickte nur. Er blickte ausdem Fenster, und sie sah, wie er zusammenfuhr – daserste Zeichen einer echten Gefühlsregung, das sie anihm bemerkte. Als sie seinem Blick folgte, war ihrplötzlich unendlich kalt, kälter, als ihr draußen gewesenwar.»Das ist die Galathea«, sagte er und deutete auf dengedrungenen Schiffskörper, der draußen auf dem


Sund erschienen war. Sie nickte und starrte hinaus.»Gut, es hat auch keinen Sinn mehr, daß Sie lügen.Wir sind nicht ganz ahnungslos. Wir haben Aufklärungsbildervon dem Ding. Es hat letzte Nacht nochin Elsinore gelegen und ist wahrscheinlich gekommen,um den <strong>Daleth</strong>-Antrieb an Bord zu nehmen.Jetzt wird es in der Nähe des Schlosses anlegen. Siewerden sich das Ding später näher ansehen undvielleicht sogar an Bord gehen können.« Er wandteden Kopf und blickte sie starr an. Sie senkte schließlichden Blick. Sie hatte sich verpflichtet, sie wußte es;sie hatte sich für die andere Seite entschieden – undgegen Nils.»Sie hält an«, sagte Baxter. »Ich möchte wissen,warum. Vielleicht ein Maschinenschaden ...« Dann rißer die Augen auf und erhob sich halb von seinemStuhl. »Nein, sie werden doch nicht ...«Genau das war der Fall. Leicht wie ein Ballon hobsich die Galathea aus dem Wasser. Einen Augenblicklang hing sie da, von unsichtbaren Kräften über demSund gehalten, und zog dann immer schneller davon,beschleunigte, wurde zum dahinhuschenden Schimmer,der in Sekundenschnelle in den Wolken verschwundenwar.Martha zerrte an ihrem Taschentuch und zerknülltees in der Hand; sie wußte nicht, ob sie lachenoder weinen sollte.»Sehen Sie«, sagte er verächtlich. »Man hat sogarSie belogen. Die ganze Sache mit dem König war eineLüge. Sie führen uns an der Nase herum – spielen unseinen Streich.«Sie konnte es nicht mehr ertragen; sie stand aufund ging.


16.»Ich kann es wirklich nicht«, sagte Arnie. »Es gibt andereLeute, die ebenfalls dafür in Frage kämen, die esauch viel besser könnten. Professor Rasmussen zumBeispiel. Er kennt jeden Aspekt unserer Arbeiten.«Ove Rasmussen schüttelte den Kopf. »Ich würde esja tun, wenn ich es könnte. Aber du bist der einzige,der sagen kann, was gesagt werden muß. Um ehrlichzu sein – ich habe dich überhaupt erst vorgeschlagen.«»Ich habe noch nie im Fernsehen gesprochen«,sagte Arnie. »Auch eigne ich mich nicht dafür, in derÖffentlichkeit zu lügen.«»Niemand würde von Ihnen erwarten, daß Sie lügen«,sagte der tüchtige junge Mann, ließ seinen Aktenkofferaufspringen und brachte einen Hefter zumVorschein. »Wir bitten Sie nur, die Wahrheit zu sagen.Ein anderer Sprecher wird die Situation hierschildern und auf die ganzen Einzelheiten eingehenund wird auch nicht lügen. Allenfalls könnte manuns der vorsätzlichen Unterschlagung von Informationenbezichtigen für das, was wir sagen – odervielmehr nicht sagen. Die Arbeiten hier an der Månebasensind noch nicht restlos beendet, und es wärekein großes Verbrechen, anzudeuten, daß wir dochschon fertig sind. Dieses Schiff ist jetzt Teil des Stützpunkts,und draußen lagert das Material für denWeiterbau, der pausenlos vorangetrieben wird.«»Er hat recht«, sagte Ove leise. »Die Situation wirdständig schlimmer in Dänemark. Gestern abend istdas Atomforschungsinstitut angegriffen worden – ein


Wagen voller Männer, die als Polizisten verkleidetwaren. Sie sind eingebrochen und haben sich mit denSoldaten herumgeschossen, als sie entdeckt wurden.Insgesamt vierzehn Tote.«»Wie in Israel – die Terrorüberfälle«, sagte Arnieleise. »Und ich bin schuld daran, daß jetzt auch inDänemark ...«»Nein, ganz und gar nicht«, widersprach Ove hastig.»Du kannst dir nicht die Schuld an all diesen Ereignissengeben. Aber du kannst helfen, solche Überfällekünftig zu verhindern – ist dir das klar?«Arnie nickte stumm und starrte aus dem Fensterdes Aufenthaltsraums. Das Schiff stand auf der zerklüftetenMondebene, doch der Blick auf den Himmelwurde durch das steil aufragende Ringgebirge einesgroßen Kraters begrenzt, an dessen Steilabfall die Basisgebaut wurde.»Ja, also gut. Ich werde es tun«, sagte Arnie, undnachdem er nun die Entscheidung getroffen hatte,verbannte er sie sofort aus seinen Gedanken. Er deuteteauf den Raupenfahrer, der in einen schwarzgelbenAnzug gekleidet war und einen großen Kugelhelmtrug.»Gibt es noch Schwierigkeiten mit undichten Anzügen?«fragte er, als der Mann vom Ministerium davoneilte.»Ab und zu, aber wir passen auf. Wir halten denAnzugdruck jetzt so hoch, daß es bei kleinen Schädenkeine Katastrophe gibt. Wir sollten froh sein, daß wirüberhaupt Druckanzüge haben. Ich weiß nicht, waswir gemacht hätten, wenn wir sie nicht von den Britenhätten kaufen können – Restbestände des gestrichenenRaumfahrtprogramms der Royal Air Forces.


Wenn sich die Lage etwas beruhigt hat, werden sichdie Amerikaner und Sowjets überschlagen, uns ihreAnzüge anzubieten, damit sie auch ein Stück des ...wie sagt man?«»Ein Stück des Kuchens.«»... ein Stück des Kuchens bekommen, ja. Wir habendas Ding bald eingegraben und völlig überdacht,und dann können wir alles auf elektrisch umstellen,so daß wir keine Sauerstoffzylinder mehr von der Erdeheraufschleppen müssen.«Er hielt inne, als das Fernsehteam seine Geräte hereinschob.Scheinwerfer und Kameras waren schnellaufgebaut, und die Mikrofonschnüre ringelten sicham Boden. <strong>Der</strong> Leiter des Teams war ein geschäftigerMann mit Spitzbart und Sonnenbrille, der ständig Befehlebrüllte.»He, Jungs – könnt ihr mal da rübergehen«, sagteer zu Ove und Arnie und forderte die Beleuchtungsdoublesauf, Platz zu nehmen. Die Möbel wurden neugruppiert, und ein langer Tisch wurde hereingetragen,während der Sendeleiter mit seinen Händen denBildrahmen bestimmte.»Ich möchte das Fenster auf einer Seite, die Sprecherdarunter, Mikros auf dem Tisch, beschafft mirauch eine Wasserkaraffe und ein paar Gläser und laßteuch etwas für die leere Wand da einfallen.« Ermachte auf dem Absatz kehrt und streckte den Armaus. »Da – das Mondbild. Herüber damit.«Leif Holm kam in den Raum gestapft. Er trug dengleichen altmodischen Anzug, den er in seinem Büroin Helsingør hatte.»Na, das war vielleicht ein Flug in der kleinenBlæksprutten«, sagte er und schüttelte den beiden


Physikern fest die Hand. »Durfte nicht mal rauchen.Nils hatte Angst, ich würde seine Luftanlage verstopfenoder so etwas.« Als ihm die erzwungene Abstinenznun wieder einfiel, griff er in die Tasche undholte sein großes Zigarrenetui hervor.»Ist Nils da?« fragte Arnie.»Nein, er ist sofort wieder gestartet«, erwiderteOve. »Er soll mit seinem Schiff als Fernsehrelais dienenund hängt an einem bestimmten Punkt über demHorizont.«»Ja, hier ist gut ruhen – auf der Rückseite des Mondes«,sagte Leif Holm und köpfte das Ende der riesigenZigarre mit einem Schneider, der an seiner Uhrkettehing. »So können sie uns wenigstens nicht mitihren großen Teleskopen beobachten!«»Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, Ihnen zugratulieren«, sagte Ove.»Sehr freundlich, danke.«»Wenn Sie jetzt bitte Ihre Plätze einnehmen würden,könnten wir mit der Unterweisung beginnen«,sagte der Regierungsvertreter, der eben wieder hereingeeiltkam. Arnie und Leif Holm setzten sich hinterden Tisch. »Hier sind die wesentlichen Punkte, aufdie wir eingehen wollen.« Er legte die zusammengeklammertenBogen vor die beiden auf den Tisch. »Ichweiß, daß Sie bereits in allen Einzelheiten unterrichtetsind, aber so ist es auf jeden Fall besser, wenn irgendwelcheFragen auftauchen sollten. Herr MinisterHolm, darf ich bitten, zuerst mit Ihren einleitendenAusführungen zu beginnen. Dann werden die Journalistenauf der Erde Fragen stellen. Die technischenFragen werden von Professor Klein beantwortet.«»Wir haben die Verbindung!« rief der Sendeleiter.


»Achtung! Drei Minuten. Wir werden in das Eurovisionsnetzgeschaltet und über Satellit auch in NordundSüdamerika und in Asien empfangen. Wir habenbestimmt eine hohe Zuschauerquote. Behalten Siebitte den Monitorschirm im Auge – dann wissen Sie,wann Sie dran sind.«Unter Kamera eins war ein großer Fernsehschirmangebracht. Das Bild war recht gut, die Szene gespannt.<strong>Der</strong> dänische Ansager beendete eben seineEinführung in Englisch – in der Sprache, in der dasInterview geführt werden sollte.»... aus aller Welt heute hier in Kopenhagen zusammengekommen,um mit der Station auf demMond zu sprechen. Bitte denken Sie daran, daß Radiowellenfast vier Sekunden brauchen, um die Strekkezum Mond und wieder zurück zu überbrücken –also wird im zweiten Teil dieser Sendung ein entsprechenderZeitraum zwischen Frage und Antwortliegen. Wir schalten jetzt um zur dänischen Mondstation,zu Herrn Leif Holm, dem Raumfahrtminister.«An Kamera zwei leuchtete das rote Licht auf, undsie erschienen auf dem Monitorschirm. Leif Holmstreifte sorgsam seine Zigarre am Aschenbecher abund zog tief daran, so daß seine ersten Worte aus einerriesigen Rauchwolke tönten, bevor man ihn wiedersehen konnte.»Ich spreche vom Mond, wo Dänemark einenStützpunkt zur Erforschung und kommerziellenEntwicklung des <strong>Daleth</strong>-Antriebs eingerichtet hat.Die Bauarbeiten stehen noch im Frühstadium undwerden fortgesetzt, bis es hier eine kleine Stadt gibt.Zunächst wird sich dieser Stützpunkt der wissenschaftlichenForschung widmen, der weiteren Ent-


wicklung des <strong>Daleth</strong>-Antriebs, der das alles ermöglichte.In einer Hinsicht ist dieser Teil der Arbeit bereitsgetan, weil sich inzwischen alles, was mit dem<strong>Daleth</strong>-Projekt zu tun hat, hier auf diesem Stützpunktbefindet. Professor Klein, der hier zu meiner Rechtensitzt, wird diese Forschungsarbeiten leiten. Er hat seineAssistenten mitgebracht und seine Unterlagen –alles, was irgendwie mit dem Projekt zu tun hat. Siewerden verstehen, warum ich auf diese Feststellungbesonderen Wert lege, aber ich bin gezwungen, dasklar und deutlich zu sagen. In den vergangenen Monatenhat Dänemark eine Serie von Gewalttaten erlebenmüssen, die in unserem Lande bislang unbekanntwaren. Es sind Verbrechen begangen worden, bei denenMenschen ums Leben kamen. Es ist traurig, daraufeingehen zu müssen, aber es gibt Nationen aufder Erde, denen jedes Mittel recht ist, um in den Besitzvon Informationen über den <strong>Daleth</strong>-Antrieb zu gelangen.Ich wende mich besonders an diese Nationenund bitte all die friedliebenden Länder, die immerhinin der überwältigenden Mehrzahl sind, hierfür schonjetzt um Verzeihung. Meine Worte gelten nicht ihnen.Aber jenen anderen möchte ich ausdrücklich sagen:Holen Sie Ihre Agenten aus Dänemark zurück! LassenSie uns in Ruhe! Es gibt bei uns nichts mehr zustehlen. Wir beabsichtigen, den <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> alleinzum Wohle der Menschheit und nicht als Machtmitteleinzusetzen.«Er hielt inne, starrte stirnrunzelnd auf den Schirmund lehnte sich zurück.»Wir werden nun gern Ihre Fragen beantworten.«Abrupt änderte sich jetzt die Szene; eine AnzahlJournalisten sprang auf und bat lärmend ums Wort.


Einer der Presseleute wurde aufgerufen und die Kameraskonzentrierten sich auf einen stämmigen Mannmit wildem Haarschopf. Unter ihm erschien in weißenBuchstaben Vereinigte Staaten von Amerika aufdem Bildschirm.»Können Sie uns sagen, wer hinter diesen angeblichenÜberfällen in Dänemark steckt? So wie Sie esformulieren, könnte praktisch jedes Land gemeintsein. Das ist höchst unfair.«»Es tut mir leid, daß Sie diese Haltung einnehmen«,erwiderte Holm ruhig. »Aber es ist die Wahrheit. Eshat Überfälle gegeben, bei denen Menschen ums Lebengekommen sind. Es ist unerheblich, auf die Angelegenheithier weiter einzugehen. Sicher hat dieWeltpresse doch andere Fragen zu stellen.«Ehe der ärgerliche Reporter antworten konnte,wurde einem anderen Mann das Wort erteilt, demVertreter der Sowjetunion.»Natürlich schließt sich die Union der SozialistischenSowjetrepubliken den anderen friedliebendenNationen der Welt in der Verdammung der Aggressionsaktean, die in Dänemark vorgekommen sind.«Er warf dem amerikanischen Reporter einen vorwurfsvollenBlick zu. Dann fuhr er fort: »Eine wichtigereFrage wäre, was Ihr Land mit diesem <strong>Daleth</strong>-Antrieb vorhat.«»Wir beabsichtigen, ihn kommerziell auszunutzen«,sagte Holm schlicht. »Wir haben eine Gesellschaftgegründet, Det Forenede Rumskibsselskab, dieVereinigte Raumschiff-Gesellschaft, getragen von derRegierung und der Privatindustrie. Wir haben vor,der Erde den Mond und die Planeten zu erschließen.Im Augenblick haben diese Pläne natürlich noch kei-


ne konkrete Form angenommen, aber wir sind sicher,daß sich hier ungeheure Möglichkeiten eröffnen.«»Gut für Dänemark«, sagte der Russe, ehe sich einanderer Journalist melden konnte. »Läuft dieses Monopolnicht darauf hinaus, daß Sie der übrigen Welteinen gerechten Anteil an dem Unternehmen vorenthalten?Sollten Sie als sozialdemokratisch regiertesLand Ihre Entdeckung nicht in echter sozialer Gesinnungallen zugänglich machen?«Leif Holm nickte ernst. »Obwohl die meisten unsereröffentlichen Einrichtungen im besten Sinne sozialsind, hat ein Großteil unseres privaten Unternehmertumseinen hinreichend kapitalistischen Einschlag,um uns von der Freigabe des ›Monopols‹ –wie Sie es ausdrückten – abzuhalten. Es ist ein Monopolnur in dem Sinne, daß wir die <strong>Daleth</strong>-Schiffe, dieallen Ländern der Welt das Sonnensystem erschließensollen, zu einem vernünftigen Preis zur Verfügungstellen werden. Wir werden dabei alles andere alsunverschämt sein. Wir haben mit anderen skandinavischenLändern bereits eine Vereinbarung über denBau weiterer Schiffe getroffen. Wir sind davon überzeugt,daß die ganze Menschheit von dieser Erfindungprofitieren wird, und halten es für unserePflicht, diese Überzeugung durchzusetzen.«Aus der Menge der aufgeregt winkenden Männerwurde der Vertreter Israels als nächster Sprecherausgewählt.»Wenn diese Entdeckung von so großem Vorteilfür die Menschheit ist, dann möchte ich gern wissen,warum sie nicht der gesamten Welt zugänglich gemachtwird. Meine Frage ist an Professor Klein gerichtet.«


Arnie nahm sich einige Sekunden Zeit, seine Antwortvorzubereiten. Er starrte direkt in die Kameraund sagte langsam und deutlich: »<strong>Der</strong> <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>ist mehr als ein Antriebsmittel. Er könnte mühelosauch zu militärischen Zwecken mißbraucht werden.Ein Land, das den Willen hätte, die Welt zu erobern,könnte dieses Ziel durch die Anwendung meiner Erfindungerreichen und die Welt dabei vernichten.«»Können Sie das näher erläutern? Es würde michinteressieren, wie diese Art Raketenantrieb bewirkenkönnte, was Sie so drohend an die Wand malen.«»<strong>Der</strong> <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> hat viele Anwendungsmöglichkeiten,weil er eben nicht nur eine neue Art des Antriebsist. Er ist ein neues Prinzip, das zum Anhebenkleiner Schiffe angewandt werden kann – oder großerSchiffe oder sogar einer ganzen Betonfestung, die mitschwersten Kanonen bestückt ist. Sie könnte in Minutenvon einem Ende der Welt zum anderen transportiertwerden oder im Raum hängen, den Vorteilder Schwerelosigkeit ausnutzend, immun gegen jedenRaketen-Vergeltungsschlag – selbst mit Atomsprengköpfen– während sie jedes gewünschte Zielmit Bomben oder Projektilen vernichten könnte.Wenn Ihnen diese Vorstellung noch nicht entsetzlichgenug ist – der <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> könnte auch dazu benutztwerden, riesige Felsbrocken oder gar kleineBerge aus der Mondoberfläche zu reißen und irgendwoauf der Erde abstürzen zu lassen. <strong>Der</strong> Vernichtungskraftwären keine Grenzen gesetzt.«»Und Sie haben das Gefühl, daß die anderen Länderder Welt den <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> destruktiv einsetzenwürden, wenn sie ihn hätten?« Die anderen Reporterschwiegen; sie spürten etwas von dem Kampf, der


hier unterschwellig ausgetragen wurde.»Sie wissen selbst, daß sie das tun würden«, seufzteArnie gequält. »Wann in der Geschichte hat die entsetzlichsteVernichtungskraft einer Waffe dieMenschheit abgeschreckt, sie nicht doch einzusetzen?«»Und Sie glauben, daß Israel so etwas tun würde?Ich habe gehört, daß Sie den <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> in Israelentwickelt haben und dann mit Ihren Unterlagen dasLand heimlich verließen.«Obwohl Arnie darauf gefaßt war, zuckte er unterdem Schlag sichtlich zusammen. »Ich wollte verhindern,daß Israel eines Tages gezwungen sein könnte,die Wahl zu haben zwischen seinem Überleben unddem Einsatz einer teuflischen Waffe, die alles, waswir bisher auf diesem Gebiet kennen, in den Schattenstellte. Zuerst spielte ich mit dem Gedanken, meineUnterlagen zu vernichten. Aber dann machte ich mirklar, daß jeden Tag ein anderer Wissenschaftler diegleichen Schlüsse ziehen und zu der gleichen Entdekkunggelangen könnte. Ich war gezwungen, eine Entscheidungzu treffen – und ich habe sie getroffen.« Erwar jetzt ärgerlich, und seine Worte klangen trotzig.»Soweit ich bis heute sagen kann, habe ich richtiggehandelt, und wenn ich es müßte, würde ich nocheinmal genau dasselbe tun. Ich habe meine Entdekkungnach Dänemark gebracht, weil Israel, sosehr iches liebe, im Krieg steht und weil es sich irgendwanneinmal gezwungen sehen könnte, den <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>für militärische Zwecke einzusetzen. Dänemark dagegen– ich kenne dieses Land, ich bin hier geboren –würde sich niemals durch irgendwelche Aggressionenzu einem Krieg hinreißen lassen. Es ist ein Land,


das sich zweimal durch Volksbeschluß fast selbstentwaffnet hat. Die Dänen haben Selbstvertrauen,und ich glaube an sie.«Er hatte am Schluß mit erstickter Stimme gesprochenund sah jetzt zur Seite; der Sendeleiter ließ sofortzur Erde zurückschalten. Nachdem die Wartezeitverstrichen war, kam ein indischer Reporter zu Wort,der Vertreter einer asiatischen Reportergruppe.»Würde uns der Raumfahrtminister bitte erklären,welche Vorteile die Nutzbarmachung dieser Entdekkunghat und welche positiven Auswirkungen sie aufdie Völker von Südasien haben könnte.«»Das tue ich natürlich gern«, sagte Holm, blickteauf seine Zigarre und stellte erstaunt fest, daß er sievöllig vergessen hatte; sie war ausgegangen.


17.»Genau das richtige Wetter heute«, sagte MarthaHansen, drückte ihre Zigarette im Aschenbecher ausund faltete die Hände, um ihre Nervosität zu verbergen.»Zweifellos, zweifellos«, sagte Skou, der sich mitvorgestrecktem Kopf umsah, als wittere er Schwierigkeiten.»Würden Sie mich einen Augenblick entschuldigen?«Er war verschwunden, ehe Martha antwortenkonnte, und seine beiden Bewacher folgten ihm aufdem Fuße. Sie schüttelte sich eine neue Zigarette ausder Packung und zündete sie an; wenn sie in demTempo weitermachte, hatte sie die Schachtel bis Mittagleer. Ihre Beine lagen auf der Couch, nun abersetzte sie sich zurecht und zupfte am Saum ihresKleides. War sie auch vorteilhaft angezogen? Nilshatte das Strickkleid immer so gern gemocht. Wielange hatte sie ihn nicht mehr gesehen? Ein Junisonntag,die Sonne schien, Dänemark konnte dasreinste Paradies sein, und Nils kam nach Hause. Wieviele Monate war er jetzt ...?Es war ein Konvoi – drei große schwarze Wagen,die die Auffahrt herauf dröhnten und vor dem Haushielten. Ein Polizeiwagen und ein anderer als Nachhut.Sie waren da! Martha rannte los, war noch vorSkou bei den Autos und riß den Schlag auf.»Martha!« rief er, ließ seinen Koffer fallen,schwenkte sie in seinen Armen und küßte sie in allerÖffentlichkeit, daß sie ganz außer Atem geriet. Esgelang ihr schließlich, sich lachend freizumachen und


die Männer zu begrüßen, die einen kleinen Kreis umsie bildeten und geduldig warteten.»Entschuldigen Sie – kommen Sie doch bitte herein«,sagte sie. »Arnie, ich freue mich über Ihren Besuch.Kommen Sie doch herein.« Schließlich saßen sieim Wohnzimmer, und das Geräusch schwererSchritte war überall im Haus zu hören.»Ich muß mich wegen der Leibwache entschuldigen«,sagte Nils. »Aber anders können wir Arnie garnicht zur Erde lassen. Wir alle haben ein wenig Erholungnötig – aber er hat sie am nötigsten. Skou ließsich schließlich dazu überreden, uns zuzugestehen,daß Arnie, wenn alle Sicherheitsmaßnahmen, die erfür nötig hielt, beachtet würden, ausnahmsweise beiuns wohnen darf.«»Vielen Dank für die Einladung«, sagte Arnie undlehnte sich müde auf dem gepolsterten Stuhl zurück.Er sah abgespannt aus. »Es tut mir leid, daß ich hierso einfach ...«»Unsinn! Wenn Sie noch ein Wort sagen, werfe ichSie hinaus und melde Sie im Missionshotel an, wo esabsolut keinen Alkohol gibt. Hier haben wir wenigstensetwas zu trinken. Was möchten Sie haben?« Siestand auf und trat an die Hausbar.»Meine Arme kommen mir bleischwer vor«, sagteNils. »Ich habe kaum die Kraft, ein Glas zu heben.Diese Mondschwerkraft hat ja nur ein Sechstel undruiniert einem die Muskeln.«»Armer Schatz! Soll ich dir das Fläschchen geben?Ich habe hier ein paar Martinis vorbereitet. Wie wär'sdamit?«»Einverstanden. Und erinnere mich daran, daß icheine Flasche Bombay-Gin für dich im Koffer habe.


<strong>Der</strong> ist auf dem Mond zollfrei, seitdem man sich entschlossenhat, die Station vorläufig zum Freihafengebietzu erklären, bis der Regierung was Besseres einfällt.«Er nahm einen großen Schluck von seinem gekühltenMartini und schmatzte genießerisch mit derZunge.Arnie nippte an seinem Glas. »Ich hoffe, Sie entschuldigendie Wächter und die ganze Aufregung,aber man behandelt mich wie einen Staatsschatz ...«»Das sind Sie aber auch!« unterbrach ihn Nils.»Nachdem nun die ganze <strong>Daleth</strong>-Ausrüstung aufdem Mond ist, sind Sie jedem Land, das das nötigeGeld hat, glatt eine Milliarde Kronen wert. Ichwünschte, Sie wären weniger patriotisch. Ich würdeSie dann kurzerhand an den Meistbietenden verkaufenund mich für den Rest meines Lebens auf Bali zurRuhe setzen.«Arnie lächelte. Er wirkte sichtlich entspannt.»Man hat gegen mich konspiriert – die Ärzte, Skou,Ihr Mann, sie alle. Sie meinten, daß ich nur hierherkommenkönnte, wenn sie Ihr Haus in eine bewaffneteFestung verwandelten. Das Wetter jedenfallshätte nicht besser sein können.«»Segelwetter!« sagte Nils und trank sein Glas aus.»Wo ist das Boot?«»Es liegt unten im Hafen. Ich hab's an der Südseitefestgemacht.«»Herrliches Segelwetter! Warum ziehen wir nichtalle los ... Ach, verdammt noch mal, Arnie muß ja imHaus bleiben.«»Laßt euch nicht aufhalten – ich komme hier schonzurecht«, sagte Arnie. »Ich werde mich etwas imGarten sonnen, das hat mir Nils versprochen.«


»Aber nein!« sagte Martha. »Nils geht allein zumHafen und arbeitet dort, bis er schwitzt und schmutzigist. Er segelt ja sowieso nie mit dem Boot, sondernbastelt nur daran herum. Lassen wir ihm sein Vergnügen.Wir können inzwischen im Garten faulenzen ...«»Na ja ... wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Nilsstand auf und wandte sich zum Gehen.»Los, ab mit dir!« lachte Martha. »Aber zum Essenmußt du wieder da sein.«»Ich spreche mit Skou und sage ihm, wo ich bin. Erinteressiert sich sowieso kaum für mich, weil ich vondem <strong>Daleth</strong>-Antrieb keine Ahnung habe und allenfallsein paar Knöpfchen drücken kann.«Martha mußte ihm Arbeitshosen, ein altes Hemdund seine Badehose heraussuchen, ehe er endlichverschwand. Arnie war inzwischen auf sein Zimmergegangen, um sich umzuziehen, und weil es einschöner Tag war und herrlich die Sonne schien, zogauch Martha einen Badeanzug an. Arnie lag auf einerLiege hinter dem Haus, und sie stellte ihre Liege daneben.»Herrlich«, sagte er. »Ich wußte gar nicht, wie sehruns der Farbenreichtum der Umgebung und die frischeLuft da oben fehlen.«»Wie geht es mit der Arbeit voran? Ich meine, soweitSie mir davon erzählen dürfen.«»Das einzige Geheimnis ist der Antrieb. Ansonstenkommt es uns vor, als hätten wir eine Dampfschiffahrtsgesellschaftzu leiten und wären zugleichan der Erschließung des Wilden Westens beteiligt.Haben Sie über unsere Marsreise gelesen?«»Ja, ich war ja so neidisch! Wann werden endlichPassagiere mitgenommen?«


»Sehr bald. Und Sie bekommen eine der erstenFlugkarten. Man hat tatsächlich Pläne in dieser Richtung.Jedenfalls haben die Uranfunde an der Oberflächedes Mars dazu geführt, daß die DFRS-Aktien anden Weltbörsen beträchtlich gestiegen sind. Das Geldwird für das Superschiff gebraucht, das die Schwedengerade bauen. Es soll zwar im wesentlichen einFrachter sein, hat aber auch zahlreiche Kabinen fürden Passagierverkehr. Wir schleppen das Schiff zumMond und bauen dort den Antrieb ein. Unsere Stationda oben ist fast schon eine richtige Stadt mitWerkstätten und Montagehallen. Abgesehen von derelektronischen Standardausrüstung stellen wir fastalle Bauteile der <strong>Daleth</strong>-Aggregate auf dem Mondher. Es klappt alles so gut, daß wir wirklich nicht klagenkönnen.« Er sah sich nach einem Stück Holz um,auf das er klopfen konnte, doch die Gartenmöbel bestandennur aus Metall und Plastik.»Soll ich Ihnen ein Brett bringen?« fragte Martha,und beide lachten. »Am besten hole ich Ihnen wohleinen kalten Drink.«»Ja bitte – aber nur, wenn Sie mittrinken.«»Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.«Sie brachte die Drinks auf einem Tablett. Da siebarfuß war, näherte sie sich so leise, daß Arnie bei ihremAnblick zusammenfuhr.»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte sie undreichte ihm ein Glas.»Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe. Es liegt anmir. Ich habe in letzter Zeit zuviel gearbeitet und binsehr nervös. <strong>Der</strong> Aufenthalt hier tut mir also wirklichsehr gut. Tatsächlich ist es hier fast so heiß wie in Israel.«


»Haben Sie Sehnsucht nach Israel?« fragte sie undfügte hastig hinzu: »Oh, es tut mir leid. Ich weiß, esgeht mich nichts an.«Er lächelte nicht mehr. »Ja, mir fehlt dieses Land –meine Freunde, das Leben dort. Aber wenn ich nocheinmal vor die Wahl gestellt wäre, ich würde wahrscheinlichgenauso handeln.«»Ich will ja nicht neugierig sein ...«»Nein, Martha, ist schon in Ordnung. Ich denkesehr oft daran. Verräter oder Held? Ich möchte ehersterben, als Israel schaden. Und doch habe ich neulicheinen Brief in Hebräisch erhalten, ohne Unterschrift.›Was hätte Esther BarGiora davon gehalten?‹ wurdeich gefragt.Ja. Sie sah Ihnen sehr ähnlich. Dasselbe Haar und...« Er betrachtete ihre Figur, die durch den winzigenBadeanzug kaum verhüllt wurde, wandte den Blickab, hustete. »... und der gleiche Körperbau, könnteman sagen. Sie wurde in Israel geboren und war imLand aufgewachsen, sie war eine meiner Studentinnen.Sie nannte mich auch später immer noch scherzhaftProfessor.« Sein Blick war ins Leere gerichtet.»Sie kam bei einem Partisanenüberfall ums Leben.«Er nippte gedankenverloren an seinem Glas. Sieschwiegen, und in der Stille war das Geschrei derKinder in der Nachbarschaft zu hören.»Den er fin med kompasset,slå rommen i glasset ...«Nils sang so laut, daß er die leisen Schritte auf demDeck völlig überhörte.»Ein fürchterlicher Krach ist das, den du damachst!« sagte die Stimme.»Inger!« Er richtete sich auf und wischte sich die


Hände an einem Lappen ab. »Machst du es dir zurAngewohnheit, mich zu überfallen? Was hast duüberhaupt hier verloren?«»Zufall – wenn man das Schicksal so nennen kann.Ich bin mit Freunden vom Malmö-Jacht-Club unterwegs,nur heute.« Sie deutete auf ein großes Kabinenbootauf der anderen Seite des Hafens. »Wir habenda festgemacht, um Mittag zu essen und um etwaszu trinken bei der Hitze. Sie sind alle ins Gasthausgegangen, und ich soll nachkommen.«»Nicht, bevor du einen Drink gehabt hast – ich habeda ein paar Flaschen Bier an Bord, Himmel, siehstdu gut aus.«Und das stimmte. Inger Ahlqvist, einen Meter,achtzig groß, mit honigfarbener Haut, in einem winzigenBikini.»Du solltest nicht so in der Weltgeschichte herumlaufen«,sagte er. »Das ist ja schon fast kriminell. Undeine Qual für einen armen Mann, der schon so langeden Mann im Mond gespielt hat, daß er gar nichtmehr weiß, wie ein Mädchen aussieht.«»Na, dann schau her!« sagte sie und lachte.»Komm, gib mir schon das Bier, damit ich zu meinemEssen komme. Segeln macht hungrig. Wie sieht es aufdem Mond aus?«»Unbeschreiblich. Aber du wirst ja auch bald malhinaufkommen. Die DFRS braucht Stewardessen, undwir werden dich der SAS abspenstig machen.« Ersprang in das Cockpit, wobei er fast in die Knie ging.Er hatte den Schwerkraftwechsel noch immer nichtvöllig überwunden. Er öffnete die Kabinentür. »Ichhole mir auch eine. Ist das nicht ein fantastischesWetter? Was hast du so gemacht?«


Er ging ganz nach vorn, wo in einem Eimer mitEiswasser ein paar grüne Flaschen standen. Inger tratin das Cockpit und beugte sich zu ihm herab.»Nichts Besonderes. Macht noch Spaß, aber ich habedich trotzdem wegen deiner Mond- und Marsreisenbeneidet. Meinst du das ernst – mit derMondstewardessen-Sache?«»Natürlich.« Er öffnete die beiden Flaschen. »Istnatürlich noch streng geheim, aber man hat wirklichvor, in absehbarer Zeit Passagierflüge zu machen.Das ist einfach unumgänglich.«Er reichte ihr die Flasche, und sie trat ihm einenSchritt entgegen.»Skål.«Ihre Lippen waren voll und glitzerten feucht. Erließ seine Flasche fallen; sie rollte über den Bodenund hinterließ einen hellen Schaumstreifen. Er trateinen Schritt vor und breitete die Arme aus.Ihre Flasche polterte auf die Planken, begann zurollen und klirrte gegen die andere.Arnies Mund war leicht geöffnet, und sein Kopf warauf die Seite gesunken; er atmete tief und regelmäßig.Martha stand langsam auf, um ihn nicht zu wecken.Wenn sie noch länger in der drückenden Hitze desGartens blieb, würde sie ebenfalls einschlafen, unddas wollte sie nicht. Sie ging ins Haus, zog sich eineleichte Strandjacke über und klopfte an Skous Tür. Erblickte durch den Spalt, einen Kopfhörer übergestreift,und winkte sie herein. Er hatte das hintereSchlafzimmer in eine Kommandostelle verwandelt,und der Tisch war voller Telefone und Sendegeräte.Er zischte ein paar Anweisungen und schaltete ab.


»Ich gehe ein wenig zum Hafen«, sagte sie. »ProfessorKlein schläft hinter dem Haus, und ich wollteihn nicht stören.«»Es ist unsere Aufgabe, ihn zu bewachen. Ich sageihm Bescheid, wenn er aufwacht.«Es waren nur fünf Minuten zu Fuß. <strong>Der</strong> Hafen warfast leer, ihre Måge lag verlassen da, Nils war nicht zusehen.Vielleicht saß er auf der anderen Straßenseite imGasthaus bei einem Bier. Aber normalerweise holte ersich ein paar Flaschen an Bord. Wo konnte er alsosein? Wahrscheinlich unter Deck.Sie wollte ihn eben rufen, als sie die beiden Bierflaschenauf dem Boden liegen sah und daneben in derhalboffenen Luke ein Stück Stoff – das Oberteil einesBikinis.Ihr Herz stockte, sie wußte plötzlich, was sie sehenwürde, wenn sie jetzt in die Kabine blickte. Es warihr, als hätte sie diesen Augenblick irgendwann schoneinmal erlebt und als hätte sie die Erinnerung nurimmer wieder verdrängt. Ruhig trat sie an den Randder Mole und beugte sich weit vor. Durch die Türkonnte sie die Steuerbordkoje und Nils breiten Rükkensehen.Mit ersticktem Aufschrei richtete sie sich wiederauf. Schmerz und Wut stiegen in ihr hoch.Ihr erster Impuls war, in das Boot zu springen, sichauf die beiden zu stürzen. Sie wollte ihrem ohnmächtigenZorn Luft machen. Doch in diesem Augenblickhörte sie ein lautes Geräusch, dem ein Schrei folgte.Sie blickte auf.»Das Segel hängt fest!« brüllte jemand auf demkleinen Einmaster, der auf die Mole zuhielt.


Martha überschaute mit einem Blick die Situation –ein Mann, der mit den durcheinandergeratenen Leinenkämpfte, eine Frau am Ruder, die ihm etwas zurief,und mehrere Kinder, die nach Seilen grapschtenund übereinander stolperten. Normalerweise wäre esein lustiger Anblick gewesen. Das Boot, das noch zuvielFahrt hatte, kam näher. Die Frau warf schließlichdas Ruder herum.So traf der Segler nicht mit dem Bug auf, sondernprallte schräg gegen die Mauer und wurde zurückgestoßen.Eines der kleinen Kinder fiel vom Kabinendachauf das Deck und begann angstvoll zu schreien.Das Segel rauschte wild herab, und der Mannkämpfte damit.Dann verlor das Boot an Schwung und kam schaukelndzum Stehen. Es war nichts Schlimmes passiert.Das Ganze hatte nur wenige Sekunden gedauert, undMartha setzte den Fuß auf das Boot – hielt dann aberinne. In der kurzen Zeit hatte sich alles geändert. Siewar zwar noch immer erregt, aber die Wut warplötzlich in Haß und Verachtung umgeschlagen. Daskleine Boot wurde ein paar Meter neben der Mågefestgemacht. Konnte sie noch in die Kabine gehenund eine Szene machen, wenn diese Familie in derNähe war? Wozu? Haß erfüllte sie, ja, sie haßte ihn.Sie hätte nie gedacht, daß sie ihn so hassen könnte.Schweratmend wandte sie sich um, begann zu laufen,ging wieder langsamer. Sie rang nach Atem.Erst als sie vor dem Haus stand, wurde ihr bewußt,daß sie immer noch ihre Sandalen in der Hand trugund daß sie über das rauhe Pflaster des Bürgersteigsgelaufen war. Ihre Fußsohlen schmerzten. Zitterndzog sie die Schuhe an und dachte daran, daß sie ja


keinen Schlüssel hatte. Sie hob die Faust, doch ehe sieanklopfen konnte, öffnete ihr Skou die Tür.»Unser Motto ist die Wachsamkeit«, sagte er lächelnd,ließ sie eintreten und verriegelte die Tür hinterihr.Sie nickte und ging wortlos an ihm vorbei, ohneihn anzusehen. Sie wollte jetzt nicht mit ihm sprechen,wollte überhaupt niemanden sehen. Sie ginghastig ins Badezimmer. Sie war erhitzt, von der Sonnewie von der Erregung, und sie war erschöpft vonden Gefühlen, die sie überwältigt hatten. Es war allesso schrecklich. Schluchzend drehte sie den Wasserhahnauf, hielt ihre Arme unter den kalten Strahl undbenetzte ihr heißes Gesicht.Sie fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, siekonnte sich nicht im Spiegel ansehen.Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie hatte dasGefühl, jeden Augenblick in Tränen ausbrechen zumüssen, das durfte sie auf keinen Fall.Sie wandte sich hastig ab, um ihrem Spiegelbild zuentfliehen. Dabei fiel ihr Blick auf ein kleines Notizbuch,das auf dem Wäschekasten lag, und sie nahmes, weil es nicht dorthin gehörte. Während sie überlegte,was sie damit tun sollte, öffnete sie es automatischund sah, daß die Seiten mit Berechnungen vollgeschriebenwaren – dabei waren weitaus mehr seltsameSymbole als Zahlen zu sehen. Sie schloß es hastigund ging in ihr Zimmer, drückte die Tür zu undlehnte sich mit dem Rücken dagegen, das Notizbuchfest in der Hand.Es gibt Augenblicke, in denen das Gefühl die Logikdes Denkens ersetzt, und jetzt war ein solcher Augenblickgekommen. Baxter hatte sie in letzter Zeit


kaum belästigt, aber sie dachte weniger an Baxteroder an Amerika und Dänemark – und auch nicht anLoyalität und Patriotismus. Sie dachte an Nils und andie Szene, deren Zeuge sie geworden war, und obwohlsie sich dessen nicht bewußt war, wollte sie ihnverletzen, wie er sie verletzt hatte.Es war alles ganz einfach. Martha drehte denSchlüssel herum, ging zu ihrem Sekretär und nahmden Fotoapparat aus der Schublade. Sie hatte erst gesterneinen neuen hochempfindlichen Farbfilm eingelegt,um einige Aufnahmen als Erinnerung an Nils'Rückkehr und an die Ferien zu machen. Auf demTeppich vor dem Bett leuchtete ein großer Sonnenfleck.Sie legte das Notizbuch auf den Boden undschlug die erste Seite auf. Dann setzte sie sich auf dieBettkante, beugte sich nach vorn und starrte durchden Sucher. Alles stimmte genau. Nur einen MeterEntfernung, näher durfte sie nicht herangehen, damitdas Bild nicht unscharf wurde. Die Seiten zeichnetensich klar und deutlich ab, und die Kamera sorgte automatischfür die richtige Belichtung.Klick.Sie drehte den Film weiter, beugte sich vor, um dieSeite umzuschlagen, und stützte die Ellenbogen aufihre Knie.Sie hatte noch zehn Bilder übrig, als sie mit derletzten Seite fertig war. Also machte sie auch Aufnahmender Vorder- und Rückseite, denn sie wolltekeinen Film verschwenden. Aber dann kam ihr derWidersinn ihres Tuns zu Bewußtsein, und sie schloßdie Kamerahülle und legte sie wieder in die Schublade.Sie nahm das Notizbuch, öffnete die Tür und ginghinaus. Arnie kam ihr auf der Treppe entgegen.


»Martha«, sagte er und blinzelte in der Dunkelheit.»Ich bin plötzlich aufgewacht und habe mein Notizbuchvermißt ...«Sie wich erschrocken einen Schritt zurück, dieHand mit dem Notizbuch fest an sich gepreßt.»Da ist es ja«, sagte er, deutete darauf und lächelte.»Wie nett, daß Sie es für mich in Sicherheit gebrachthaben.«»Ich wollte es eben auf Ihr Zimmer legen«, sagte siemit einer Stimme, die ihr schrill und gekünstelt vorkam,aber er schien nichts zu merken. Sie reichte esihm.»Gott sei Dank«, sagte er. »Wenn Skou es irgendwounbewacht gefunden hätte, würde er mich wahrscheinlichsofort zum Mond zurückschicken. VielenDank. Ich werde es jetzt in meinem Koffer einschließen,damit ich nicht noch einmal eine solche Dummheitmache. Es tut mir leid, daß ich einfach eingeschlafenbin. Ein unterhaltsamer Gast bin ich, nichtwahr? Aber ich fühle mich jetzt schon viel besser. Eswar ein herrlicher Tag!«Sie nickte langsam, als er in seinem Zimmer verschwand.


18.<strong>Der</strong> große Jaguar fuhr an der Küste nordwärts undhielt sich genau an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit.Nils steuerte lässig mit einer Hand,während er im Radio nach Musik suchte.»Wir sind ein wenig spät dran«, sagte er. »Müssenwir unbedingt in Helsingør anhalten?«»Ich muß auf die Post. Es dauert nur eine Minute«,sagte Martha.»Ist es denn so wichtig?«»Ich muß einen Film zum Entwickeln schicken.«»Was hast du denn gegen den Fotoladen nebendem Krämer in Rungsted?«»Das dauert mir zu lange. Ich schicke ihn zu einerSpezialfirma in Kopenhagen. Wenn du es so furchtbareilig hast, kannst du mich ja bei der Fähre absetzenund allein weiterfahren.«Er musterte sie kurz aus den Augenwinkeln, abersie sah mit ausdruckslosem Gesicht geradeaus.»Was soll das? Wir machen Ferien – natürlichwarte ich. Ich hätte es nur nicht gern, wenn wir denStapellauf verpassen – oder den Aufstieg, wenn manso will.«Sie mußten am Fähranleger warten, während einegeschäftige kleine Lokomotive mit schwedischenWaggons die Straße überquerte.»Schau dir das Arbeitspferd an«, sagte Nils.»Dampf und Öl sickern aus allen Ritzen, aber esschleppt noch immer seine Züge von der Fähre.Weißt du, wie alt die Maschine ist?« Martha wußte esanscheinend nicht, schien sich für die Antwort auch


nicht allzu sehr zu interessieren. »Ich werd's dir sagen.Es steht auf dem Schild am Führerhäuschen. Dasalte Ding ist 1892 gebaut worden und macht nochimmer seine Arbeit. Wir Dänen werfen eben nichtszum alten Eisen, wenn es noch irgendwie funktioniert.«»Im Gegensatz zu uns Amerikanern, die es daraufanlegen, daß ihre Industrieerzeugnisse möglichstschnell auf den Schrottplatz wandern«, sagte sie spitz.Er antwortete nicht, steuerte am Bahnhof vorbei,bog in den Jernbanevej ein und hielt vor dem Postamtan der Rückseite des Bahnhofs. Martha nahm ihrkleines Paket und stieg aus. Film. Er fragte sich, wielange sie ihn schon in der Kamera gehabt hatte. Jedenfallshatte sie in diesem Urlaub noch keine Aufnahmengemacht. Ein schöner Urlaub! Er überlegte,was mit ihr los sein mochte, aber es wollte ihm nichtseinfallen. Vielleicht war es die Aufregung über dieMondflüge und die Sabotageversuche, die sie beunruhigten.Wie sollte man aus Frauen schlau werden?Komische Wesen, hingen immer ihren Stimmungennach.Nils dämmerte die Wahrheit nicht. An Inger hatteer seit jenem Sonntagnachmittag am Hafen überhauptnicht mehr gedacht.


19.Es war fast Mittag, und hier am Äquator stieg umdiese warme Jahreszeit die Temperatur auf fast dreißigGrad unter dem Gefrierpunkt. Das Gebirge, eigentlichdie Flanke eines großen, kreisförmigen Kraters,ragte steil aus der Ebene auf. Über der erstarrtenLandschaft stand die zusammengeschrumpfte, aberhelle Sonne an einem schwarzen Himmel, an dem diehelleren Sterne deutlich zu erkennen waren. Nur amHorizont war die Atmosphäre dicht genug, um vordem dunklen Hintergrund einen dünnen blauenSchleier zu bilden. Die Luft war in ihrer zeitlosen Ruheso dünn – sie bestand fast nur aus Kohlendioxyd –,daß sie kaum Luft zu sein schien. Und sie war kalt,sehr kalt.Die Männer, die sich den steilen Hang hinaufarbeiteten,kamen trotz der niedrigen Schwerkraft nurmühsam voran. Die gut isolierte, elektrisch beheizteKleidung schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein, unddie schweren Batteriekästen und Sauerstofftanksmachten ihnen sichtlich zu schaffen. Als sie denKamm erreichten, blieben sie erleichtert stehen, umeine Atempause einzulegen. Ihre Gesichtszüge warenhinter Masken und unförmigen Brillen verborgen.»Das war aber ... eine ganz schöne Kletterei!« sagteArnie keuchend.Nils' Gesichtsausdruck war nicht festzustellen, aberseine Stimme klang besorgt. »Ich hoffe, es war nichtzuviel für Sie. Vielleicht hätte ich Sie nicht dazu überredensollen.«»Ist schon gut. Bin nur ein wenig außer Atem. Nur


mangelndes Training. Es ist lange her, daß ich so etwasgemacht habe. Aber es hat sich gelohnt, wirklich– ein herrlicher Ausblick!«Die stille Landschaft verschlug ihnen die Sprache.Kalt, düster, fremdartig, ein Planet, der nicht gestorbenwar, weil er niemals gelebt hatte. Die winzigePlastikbaracken-Siedlung tief unten war wie ein heimeligeshelles Fenster in der Dunkelheit. Ein Punkt,der Wärme ausstrahlte und Geborgenheit in der ewigenKälte des Mars.Nils hob den Arm. »Sehen Sie, da ist es – wie ich'sIhnen gesagt habe. Sie können von hier das ganzeGelände überschauen. Da sind die neuen Gebäude,die nach und nach entstehen, und das Landefeld, dashinter der Galathea abgesteckt ist. Im Bedarfsfall könnenan der Ostseite weitere Gebäude errichtet werden.Es wird hier eine richtige Siedlung geben – undeines Tages eine Stadt. Und die Eisenbahn wird vondort unten direkt zu den Bergen führen, in denen dieBergwerke liegen.«»Ein sehr optimistisches Projekt. Aber es gibt keinenGrund, warum es nicht Wirklichkeit werdensollte.«


20.»Es wäre sinnlos, beide Wagen zu nehmen«, sagteMartha in den Hörer. »Wir können uns später nochstreiten, mit welchem wir dann fahren, ja? Gut. Ove.Ist Ulla soweit? Ich bin dann in etwa einer Stunde da.Ja, dann haben wir bestimmt noch genug Zeit. Wirhaben reservierte Plätze, es dürfte also keine Schwierigkeitengeben. Eben klingelt's bei mir an der Haustür.Alles klar? Dann bis nachher!«Sie legte hastig auf und zog ihren Morgenmantelüber, da sie nicht im Unterkleid an die Tür gehenwollte; sie brauchte sich eigentlich nur noch das Gesichtzurechtzumachen und das Kleid anzuziehen. Daklingelte es zum zweitenmal.»Ja, nu kommer jeg!« rief sie im Flur. Sie öffnete dieTür und hielt in der Bewegung inne, als sie die Bürstenentdeckte – ein Hausierer.»Nej tak, ingen pensler idag.«»Lassen Sie mich lieber rein«, sagte der Mann. »Ichmuß mit Ihnen reden.«Die Antwort in Englisch ließ sie zusammenfahren,und sie starrte in das Gesicht unter der abgetragenenMütze. Wäßrigblaue, rotgeränderte Augen blinzeltensie an.»Mr. Baxter! Sie sind ja überhaupt nicht zu erkennen...« Ohne die dunkle Brille sah er völlig verändertaus.»Ich kann hier nicht lange rumstehen!« sagte er ärgerlich.»Lassen Sie mich rein.«Er trat auf sie zu, und sie ließ ihn an sich vorbeigehenund schloß die Tür.


»Ich habe schon versucht, mich mit Ihnen in Verbindungzu setzen«, sagte er und begann sich mühsamvon all den Besen, Haarbürsten, Staubwedelnund Toilettenbürsten zu befreien. Er ließ sie achtlosauf den Boden fallen. »Sie haben meine Mitteilungenerhalten?«»Ich will nicht mit Ihnen sprechen. Ich habe getan,was Sie von mir verlangt haben. Sie haben den Film.Jetzt belästigen Sie mich bitte nicht länger.« Siewandte sich um und legte die Hand auf den Türgriff.»Lassen Sie das!« schrie er sie an und bewegte sichso hastig, daß die letzte Bürste an die Wand geschleudertwurde. Er tastete in der Brusttasche nachseiner Brille. Als er sie aufgesetzt hatte, straffte er dieSchultern und faßte sich. »<strong>Der</strong> Film ist wertlos.«»Sie meinen, die Bilder sind nichts geworden? Ichbin aber sicher, daß ich nichts falsch gemacht habe.«»Nein, ich meine das nicht technisch. Das Notizbuch,die Gleichungen – sie haben nichts mit dem<strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> zu tun, sondern nur mit RasmussensFusions-Generator. Sie sind uninteressant für uns.«Martha versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken; siewar irgendwie erleichtert. Sie hatte getan, was manvon ihr verlangte, sie hatte sich gerächt. Daß das Notizbuchniemanden interessierte, war nicht ihreSchuld.»Aber können Sie denn nicht den Fusions-Generator stehlen? Ist der nicht auch wertvoll?«»Es geht doch gar nicht um wirtschaftliche Erwägungen«,sagte Baxter kalt; er hatte fast zu seiner altenArt zurückgefunden. »Und überhaupt wird dieFusions-Anlage ja zum Patent angemeldet, so daß wirmühelos Lizenzen erwerben könnten. Nein, bei der


Sache geht es um die nationale Sicherheit, nichts wenigerals das.«Er starrte sie an, und sie zog ihren Morgenmantelvor der Brust zusammen.»Ich kann nichts mehr für Sie tun. Sie wissen selbst,daß jetzt alles auf dem Mond ist, und auch Arnie istwieder dort ...«»Ich sage Ihnen gleich, was Sie tun können, undwir haben nicht mehr viel Zeit. Glauben Sie, daß ichmich so ausstaffiert hätte, wenn es nicht lebenswichtigwäre?«»Sie sehen irgendwie lächerlich aus«, sagte sie.Baxter warf ihr einen haßerfüllten Blick zu undmußte sich sichtlich beherrschen. »Nun hören Sie malzu!« brachte er schließlich heraus. »Sie nehmen heutean der Feier teil, und danach werden Sie an Bord desSchiffes gelassen. Wir müssen alles darüber wissen.Ich will, daß Sie ...«»Ich werde nichts mehr für Sie tun. Sie können jetztgehen.«Sie streckte die Hand nach der Türklinke aus, docher packte Martha am Arm.»Hören Sie, Sie werden machen, was ich Ihnen sage.Wenn Sie einen anderen Grund brauchen, als dieLoyalität zu Ihrem Lande, dann sollten Sie darandenken, daß ich eine Filmrolle mit Ihren Fingerabdrückenund Bilder Ihres Fußbodens habe. Die Dänenwürden sich doch sicher sehr dafür interessieren,meinen Sie nicht auch?« Das Schweigen zog sich indie Länge.»Was wollen Sie?« fragte sie schließlich und senkteden Blick.»Das gefällt mir schon besser. Sie sind eine große


Fotoliebhaberin – hier ist eine Brosche für Sie. SteckenSie sie an Ihrer Handtasche fest, ehe Sie losfahren.«Sie nahm sie in die Hand – ein schönes Stück, dasgut zu ihrer schwarzen Alligatorentasche paßte. Eingroßer Stein in der Mitte war rundum von Diamantensplitternund anderen Steinen umgeben, bei denenes sich um Rubine handeln mochte. Die Juwelen warenmit handgearbeitetem Gold eingefaßt.»Richten Sie Ihre Handtasche aufs Ziel und drükkenSie hier«, sagte er und deutete auf den oberenRand der Brosche. »Es ist ein Weitwinkelobjektiv, dieBelichtungszeit ist genau eingestellt, und wegen derLichtverhältnisse brauchen Sie sich keine Sorgen zumachen. Sie haben über hundert Fotos auf dem Film –seien Sie also nicht knauserig. Ich möchte Bilder vonder Brücke und dem Maschinenraum, wenn Sie denzu Gesicht bekommen, Nahaufnahmen der Kontrollen,Schnappschüsse aus Korridoren, Treppen, Türen,Kabinen, Luftschleusen – einfach alles. Später zeigeich Ihnen dann die Abzüge und bitte Sie, mir die Bildernäher zu beschreiben. Also passen Sie gut aufund merken Sie sich, auf welchem Weg Sie durch dasSchiff geführt werden.«»Von solchen Sachen habe ich keine Ahnung. KönnenSie nicht jemand anderen schicken? Es sind dochHunderte von Gästen da ...«»Wenn wir jemand anderen hätten, würden wirdann Sie einsetzen?« Er schnaubte verächtlich,spuckte ihr den Satz förmlich ins Gesicht. Dannbückte er sich, um die Besen wieder aufzusammeln,und gestikulierte mit einer Abwaschbürste vor ihremGesicht herum.»Und versuchen Sie ja kein kleines Unglück zu in-


szenieren – die Brosche etwa fallen zu lassen oderden Film unbrauchbar zu machen und uns hinterherdie Schuld zuzuschieben. Ich kenne mich da aus. Siehaben keine Wahl. Sie werden die Bilder machen, wieich es Ihnen gesagt habe. Hier, die ist für Sie.« Erreichte ihr eine Bürste und lächelte kalt und selbstsicher.Dann öffnete er die Tür und war verschwunden.Martha starrte auf die Bürste in ihrer Hand – undschleuderte sie an die Wand. Ja, das war passend,dachte sie. Eine Klosettbürste. Zitternd ging sie daran,sich fertig zu machen.»Schaut euch diese Massen an!« sagte Ove und fuhrum einen Bus voller Studenten herum, die schreiendaus den Fenstern hingen und Flaggen schwenkten.»Kannst du es ihnen verübeln?« fragte Ulla, die mitMartha im Fond des Wagens saß. »Es ist ja auch eingroßer Tag.«»Und wir haben gutes Wetter«, sagte Ove undblickte zum Himmel auf. »Wolken, aber keinen Regen– und leider auch keine Sonne. Aber man kann ebennicht alles haben.«Martha schwieg und hielt ihre Tasche umklammert,an der sie die Brosche befestigt hatte. Ulla hattedas Stück natürlich sofort bemerkt, und sie hatteschnell eine Erklärung erfinden müssen.Ohne die offiziellen Einladungen wäre es unmöglichgewesen, an das Wasser heranzukommen. Siewurden durch die Barrieren gelassen und zum SchloßAmalienborg geleitet, dessen Vorhof man zu einemParkplatz gemacht hatte. Von hier war es nur einkurzer Spaziergang über den Larsen Plads zum Wasser.


»Noch zehn Minuten«, sagte Ove und blickte aufdie Uhr. »Wir sollten uns lieber beeilen. Es sei denn,Martha meint, daß sich ihr Mann verspäten könnte.«»Nils!«Sie alle lachten bei dem Gedanken; Martha stimmtefröhlich ein. Einen Augenblick lang fühlte sie sichwieder richtig zu Hause und lächelte zahlreichenFreunden zu, als sie zu ihrem Platz geführt wurde,der kaum drei Meter vom König und der königlichenFamilie entfernt war. Aber dann erinnerte sie sich anihren Auftrag, und sie hatte ein seltsam leeres Gefühlim Magen, und sie umklammerte ihre Tasche, überzeugt,daß alle darauf starrten. Schließlich spielte dieKapelle »König Christian«, die königliche Hymne,und alle Anwesenden erhoben sich. Es folgte die Nationalhymne.Die letzten Töne verklangen, und dieMenge setzte sich, und fast im gleichen Augenblickwar ein leises Pfeifen zu hören. Die Menschen sahenauf und legten schützend die Hände über die Augen.Das Geräusch wurde tiefer, verwandelte sich in einDröhnen, und ein dunkler Schatten brach durch dieWolken.»Pünktlich auf die Sekunde!« sagte Ove aufgeregt.Mit erschreckender Schnelligkeit wurde der Schattengrößer, wuchs zu riesigen Dimensionen an undschien direkt auf die Tribüne zuzustürzen. In derMenge wurden erregte Rufe laut, und jemand stießeinen erstickten Schrei aus.Die Geschwindigkeit des Schiffes nahm immerweiter ab, bis das große Gebilde sanft wie ein Herbstblattauf das ruhige Wasser des Inderhavn herabschwebte.Erstaunte Ausrufe wurden da und dort inder Menge laut, als man die wahre Größe des Fahr-


zeugs sehen konnte. Die riesige schwarzweiße Hüllehatte die Länge eines Ozeandampfers und mußte einGewicht von einigen Zehntausend Tonnen haben.Und sie senkte sich langsam, fast schwerelos, herab.Das Gebilde, das hier vor den Tribünen schwebte,hatte etwas Unwirkliches – eine gewaltige Scheibe,einen halben Häuserblock im Durchmesser, oben undunten flach. Nur die Brücke wölbte sich an der Vorderkantehoch. Es hatte keinen sichtbaren Antrieb,und außer der Luft, die pfeifend an seinen Flankenentlangstrich, war kein Geräusch zu hören.Die Zuschauer verstummten ehrfürchtig, und dieschrillen Schreie der Seemöwen waren in der Stilledeutlich zu hören. Das große Schiff kam einige Meterüber dem Wasser zum Stehen, begann dann unendlichlangsam weiter abzusinken und tauchte schließlichsanft ins Wasser. Luken öffneten sich auf denOberdecks, und einige Männer kamen mit Leinenheraus.Ein spontanes Jubelgeschrei brach auf den Rängenlos, und die Zuschauer sprangen auf, brüllten undklatschten so laut sie konnten, daß von der Kapellenichts mehr zu hören war. Martha schrie wie alle anderen;in diesen glücklichen Augenblicken war allesandere vergessen.In großen schwarzen Buchstaben, die sich deutlichvon dem weißen Untergrund abhoben, stand derName des Schiffes an der Flanke – Holger Danske. <strong>Der</strong>stolzeste Name in Dänemark.Noch ehe das Schiff ganz vertäut war, wurde einePassagierrampe herabgelassen. Prominente Würdenträgererwarteten die Offiziere, die jetzt herauskamen.Auch auf diese Entfernung war Nils' große Ge-


stalt deutlich zu erkennen. Man salutierte, schütteltesich die Hand und kam zur Tribüne. Nils ging dichtan Martha vorbei und beantwortete ihr Winken miteinem Lächeln.Jetzt kam der offizielle Teil des Programms – dieVerleihung der Preise, eine kurze Rede des Königs,einige längere Reden verschiedener Politiker. <strong>Der</strong>Premierminister sprach schließlich die offizielle Ankündigungaus.Die Fernsehkameras versuchten, das bunte Bildeinzufangen, und durch die Lautsprecher wurde bekanntgegeben,daß die Gäste nun an Bord gehendürften, um das Raumschiff zu besichtigen.»Jetzt werden Sie gleich staunen«, sagte Ove. »Dasist das erste Schiff, das speziell als Raumschiff konstruiertwurde – und wir haben keine Kosten gescheut.Im Grunde ist es zwar ein Frachtschiff, aberdas sieht man nicht auf den ersten Blick. Das gesamteInnere besteht aus Laderäumen, und die Maschinenräumebefinden sich vorn. Somit steht der gesamteRaum an der Peripherie für Passagierkabinen zurVerfügung, so daß jede Reisekabine mit einem Bullaugeausgerüstet ist. Aber, gehen wir, bevor das Gedrängezu groß wird.«<strong>Der</strong> Eingang zum Schiff lag hinter dem Zollgebäude,das normalerweise für die Passagiere der Oslo-Fähre benutzt wurde. Auch heute waren die Zollbeamtenim Dienst. Es durften keine Pakete oder Aktentaschenmit an Bord genommen werden. Mitgrößter Zuvorkommenheit wurden alle Männer gebeten,den Inhalt ihrer Taschen vorzuzeigen, und dieFrauen mußten ihre Handtaschen öffnen. Für denFall, daß es Beschwerden gab, standen einige hohe


Polizei- und Armeeoffiziere bereit. In einem Nebenzimmerunterhielten sich ein Admiral und ein Generalmit einem Minister und einem Botschafter. Offenbarwollte man für alle Fälle gerüstet sein und einePersönlichkeit von zumindest gleichem Rang zur Verfügunghaben, wenn es Schwierigkeiten gab.Aber dazu kam es nicht. Zwar sah man hier und daeinige Leute die Stirn runzeln und den Beamten empörteBlicke zuwerfen, aber der Premierminister gaballen ein Beispiel, indem er seine Taschen nach außenkehrte und den Inhalt seiner Brieftasche vorzeigte.Offensichtlich hatte man die Sache inszeniert – aberes war eben wichtig. Die Sicherheit der Holger Danskemußte unter allen Umständen gewährleistet sein.Die Menschenschlange rückte langsam vor, undMartha war vor Angst wie gelähmt. Natürlich würdeman die Brosche entdecken und sie bloßstellen. Siekonnte sich nirgends verstecken. Es blieb ihr nichtsanderes übrig, als Ove und Ulla auf unsicheren Füßenzur Zollkontrolle zu folgen. Ulla sagte etwas, aber siekonnte nur stumm nicken, ihr Hals war wie zugeschnürt.Dann stand sie vor dem niedrigen Tresenund wagte kaum, den Zollbeamten anzublicken. Erstreckte langsam die Hand aus.»Ein großer Tag für Ihren Mann, Frau Hansen«,sagte er. »Darf ich ...?« Er deutete auf ihre Handtasche.Martha reichte sie ihm.»Wenn Sie sie bitte nur öffnen würden«, sagte er.Sie gehorchte, und er kramte kurz darin herum.»Ihre Puderdose!« sagte er mit ausgestrecktem Finger.Sie reichte ihm die Dose und er ließ sie aufschnappen,schloß sie wieder und gab sie ihr zurück.Das glitzernde Auge der Kamerabrosche starrte ihn


direkt an. Einen langen Augenblick betrachtete er dasSchmuckstück und lächelte dann.»Das ist alles, danke«, sagte er und wandte sich ab.Die Rasmussens warteten bereits und Nils winktevon oben. Sie hob die Hand und erwiderte den Gruß.Dann gingen sie an Bord.Martha hielt die Handtasche an den Körper gepreßtund legte den Finger auf die Brosche. Sie überlegte,was sie sagen sollte, wenn Nils etwas bemerkte.Aber sie hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen.Wenn er normalerweise im Dienst als ausgesprochenruhig und ausgeglichen galt, so war er heute genaudas Gegenteil. Er hatte die Hände hinter dem Rückenverschränkt – wahrscheinlich um sie stillzuhalten –,und seine Augen leuchteten in großer Erregung.»Martha – heute ist der große Tag!« sagte er, umarmtesie, küßte sie leidenschaftlich und schwenktesie herum. Ihr war ganz schwindlig, als er sie wiederabsetzte.»Himmel ...«, sagte sie.»Hast du dieses Riesending gesehen? Ist das nichtein Traum? So etwas hat die Welt noch nicht gesehen.Wir könnten die arme kleine Blæksprutten glatt alsRettungsboot an Bord nehmen. Und das Beste daranist, daß das Schiff nicht als Zwitter gebaut ist, sonderndaß es speziell für den <strong>Daleth</strong>-Antrieb entworfenwurde. Meine Brücke liegt direkt draußen an derVorderseite, damit ich die horizontale Bewegungsteuern kann; gleichzeitig habe ich volle Aussichtnach oben und unten, um auch Beschleunigung undGegenbeschleunigung überwachen zu können.Komm, ich zeige dir alles – bis auf den Maschinenraum.<strong>Der</strong> ist abgeschlossen, solange Besucher an


Bord sind. Und wenn wir die Zeit hätten, würde ichdir auch mein Schlafzimmer und meine Kabine zeigen.«Er legte ihr den Arm um die Schultern. »Martha,nachdem ich dieses herrliche Ding geflogen habe,ist alles anders. Ich habe das Gefühl, daß ich mir amKnüppel des größten Jumbo-Jets heute wie ... wie ineinem Kinderauto mit Tretantrieb vorkommen würde.Komm!«Als sie durch die offene Luftschleuse gingen, berührtesie mit dem Finger die goldene Brosche undspürte, wie sie nachgab.Sie haßte sich.


21.»Sind denn noch nicht alle an Bord?« fragte Arnieund starrte aus der hochliegenden Brücke auf dieMole hinab. Zwei Männer kamen gerade aus demZollgebäude, stemmten sich gegen den böigen Ostwindund hielten ihre steifen Hüte fest. Zwei schwerbeladeneGepäckträger folgten ihnen auf dem Fuße.»Noch nicht alle, aber es können nicht mehr vielfehlen«, sagte Nils. »Ich frage mal beim Zahlmeisternach.« Er wählte die Nummer des Büros bei der Eintrittsschleuse,und auf dem kleinen Videoschirm erschiendas Farbbild des Hauptzahlmeisters.»Kapitän?«»Wie viele Passagiere fehlen noch?«<strong>Der</strong> Zahlmeister überflog seine Listen. »Alle Passagierean Bord, Kapitän!«»Gut. Zum Start fertigmachen in zehn Minuten.«Arnie, der den Start im Maschinenraum überwachte,hatte eigentlich überhaupt nichts zu tun. Die Maschinenmannschaftbehandelte ihn durchaus respektvoll,wußte aber selbst, was zu tun war. Zudem war der<strong>Daleth</strong>-Antrieb inzwischen soweit automatisiert, daßer unter der Kontrolle des Computers stand und daßdie Überwachung durch Menschen eigentlich überflüssigwar. Das gleiche galt für den Fusions-Generator. Als Arnie hungrig wurde, ließ er sich etwaszu essen bringen, obwohl man ihn zum Begrüßungsbanketteingeladen hatte. Für solche Ereignissehatte er wenig übrig und blieb ihnen aus gutemGrund fern. Er war gern bereit gewesen, für Ove, der


mit Grippe im Bett lag, einzuspringen, aber es machteihm im Grunde keinen Spaß. Das Labor von Månebaseninteressierte ihn viel mehr, das neue Forschungsprojekt,das er begonnen hatte, und die Vorlesungen,die er den Technikern über den <strong>Daleth</strong>-Antrieb hielt.Und dann die Passagiere. Er hatte die Liste gesehenund mußte sich, wenn er ehrlich war, eingestehen,daß dies der wahre Grund war, warum er lieber imMaschinenraum blieb. Auf der langen Liste der Wissenschaftlerhatte er keinen einzigen Freund gefunden;zum größten Teil handelte es sich um zweitklassigeLeute – nein, das war nicht fair: nicht zweitklassig,sondern Leute aus der zweiten Reihe, im wesentlichenAssistenten der bekannteren Wissenschaftler.Als wagten es die Universitäten nicht, ihre Spitzenkräftediesem unorthodoxen Unternehmen anzuvertrauen.Es war ja auch gleichgültig. Die jungen Männerkonnten vielleicht besser beobachten als die altenHerren, und die Informationen und das Zahlenmaterial,die sie mit nach Hause bringen würden, dürftenschon dafür sorgen, daß sich beim nächsten Flug dieProminenz um die Plätze balgte. Es galt, einen Anfangzu machen; darauf kam es an.Was die anderen, die Herren Politiker, betraf, sowußte er mit ihnen wenig anzufangen. Nur wenigeNamen hatte er schon einmal gehört oder gelesen.Aber er war ja auch kein Kenner der politischen Szene.Zum größten Teil handelte es sich wahrscheinlichum konsularische Vertreter und ähnliche Leute, diedie Wassertemperatur ausprobieren mußten, damitihre Vorgesetzten beim nächstenmal getrost hineinspringenkonnten.Aber einen Politiker kannte er. Und er mußte der


Tatsache ins Auge sehen: deshalb blieb er den Passagierräumenfern. Aber was nützte ihm das? GeneralAvri Gev war an Bord, und er würde früher oderspäter doch mit ihm sprechen müssen. Arnie sah aufdie Uhr. Warum nicht gleich? Nach dem guten Essenwaren jetzt sicher alle zufrieden und in bester Stimmung,und vielleicht traf er auch Avri bei guter Launean. Aber im gleichen Augenblick wußte er, daßdas eigentlich unmöglich war. Die Reise zum Marsdauerte nicht einmal zwei Tage, und er konnte dieseZeit nicht ständig in einem Versteck zubringen.Nachdem er sich noch einmal mit den Technikernüber einige Details unterhalten hatte – ja, es war allesin Ordnung, und sie würden ihn anrufen, wenn esSchwierigkeiten geben sollte –, ging er in seine Kabine,um sein Jackett zu holen, und dann zum luftdichtenSchott, das zu den Passagierräumen führte.»Erstklassiger Flug«, sagte der Raumsoldat undsalutierte. Er war ein alter Sergeant, den man offenbarmitsamt seinen Streifen und Orden von der Armee zuder neuen Einheit versetzt hatte. Er blickte auf seinenFernsehschirm, der den leeren Korridor auf der anderenSeite zeigte, und drückte auf den Knopf, der dieTür öffnete. Überall an Bord der Holger Danske befandensich diese luftdichten Schotte, aber hier war daseinzige, das von keiner Seite mit der Hand geöffnetwerden konnte. Arnie nickte, trat hindurch und stießschon an der ersten Ecke auf General Gev, der auf ihngewartet hatte.»Ich hatte gehofft, daß Sie herauskommen würden«,sagte Gev. »Wenn nicht, hätte ich Sie anrufenlassen.«»Guten Abend, Avri.«


»Würden Sie mit in meine Kabine kommen? Ichhabe da etwas schottischen Whisky, den ich Ihnenanbieten möchte.«»Ich bin kein großer Trinker, und ich ...«»Kommen Sie trotzdem. Mr. Sakana hat ihn mirgegeben.«Arnie starrte ihn an und versuchte, in dem reglosen,sonnengebräunten Gesicht zu lesen, was der Generalmeinte. Sie hatten englisch miteinander gesprochen,und er kannte keinen Herrn dieses Namens. Sakanawar das hebräische Wort für Gefahr.»Nun ja – wenn Sie darauf bestehen.«Gev ging voraus, ließ Arnie an sich vorbei in dieKabine treten und verriegelte die Tür.»Was soll das?« fragte Arnie.»Einen Augenblick. Zuerst die Gastfreundschaft.Setzen Sie sich doch bitte – ja, dort auf den Stuhl.«<strong>Der</strong> Raum war wie alle Kabinen luxuriös eingerichtet.Das Bullauge, dessen Metallschutzschild sichnach Passieren des Van-Allen-Gürtels automatischgeöffnet hatte, zeigte die Sterne. Ein handgeknüpfterRyateppich lag auf dem Boden. Die Wände waren mitTeakholz getäfelt und mit Sikker-Hansen-Druckengeschmückt. Das Mobiliar war von modernem skandinavischemDesign.»Und Farbfernsehen in jeder Kabine«, sagte Gevund deutete auf den großen Bildschirm, auf dem einestumme Kampfszene aus dem neuen Film »Von Atlantazur See« ablief. Er nahm eine Flasche von derBar.»Ja, sehr praktisch«, sagte Arnie. »Abgesehen davon,daß wir über Videobänder Unterhaltungssendungenausstrahlen, sind die Schirme Teil des inter-


nen Telefonnetzes. Aber haben Sie mich hergebracht,um sich mit mir über Fragen der Inneneinrichtung zuunterhalten?«»Eigentlich nicht. Hier, versuchen Sie den mal. GlenGrant, unverschnittenes Malz, zwölf Jahre alt. Ich habeeinen Faible dafür entwickelt, als ich bei den Britendiente. Hier an Bord stimmt etwas nicht. Loch heim.«»Was meinen Sie damit?« Arnie umklammerteverwirrt sein Glas.»Probieren Sie mal. Tausend Prozent besser als derschäbige Slibowitz, den Sie uns immer vorgesetzt haben... Ich meine es so, wie ich es gesagt habe. Etwasstimmt nicht. Zur östlichen Delegation gehören zweiMänner, die ich erkannt habe. Es handelt sich umdunkle Typen, bekannte Agenten, Verbrecher.«»Sind Sie sicher?«»Natürlich! Haben Sie vergessen, daß ich für die Sicherheitunseres Landes verantwortlich bin? Ich lesealle Interpolberichte.«»Aber was wollen die hier an Bord?« Unwillkürlichnahm Arnie einen zu großen Schluck und begann zuhusten.»Sie müssen daran nippen. Ich weiß nicht, was siehier wollen, aber ich kann es erraten. Sie sind hinterdem <strong>Daleth</strong>-Antrieb her.«»Das ist unmöglich!«»O wirklich?« Gev schaffte es, zugleich zynischamüsiertund bedrückt auszusehen. »Dürfte ich fragen,welche Sicherheitsvorkehrungen Sie getroffenhaben?« Arnie antwortete nicht, und Gev begann zulachen.»Na, dann eben nicht. Ich kann es Ihnen nicht verübeln,wenn Sie mißtrauisch sind. Aber als einzelner


in ich keine sehr schlagkräftige Armee, und der einzigeandere Israeli an Bord ist ein mickriger Biologe.Angeblich soll er ja ein Genie sein; ein Kämpfer ist erjedenfalls nicht.«»Bei unserem letzten Gespräch waren Sie nicht soentgegenkommend.«»Aus gutem Grund, wie Sie selber wissen. Aber eshat sich einiges geändert, und Israel versucht ausdem, was es hat, das Beste zu machen. Wir habenzwar Ihren <strong>Daleth</strong>-Antrieb nicht – auch wenn er wenigstenseinen guten hebräischen Namen trägt – dasheißt: es ist ja eigentlich nur ein Buchstabe –, aber dieDänen sind entgegenkommender, als wir erwartethaben. Sie geben offen zu, daß ein Großteil der <strong>Daleth</strong>-Theoriein Israel entwickelt worden ist, undräumen uns bei der wissenschaftlichen und kommerziellenAuswertung Sonderrechte ein. Wir werden inKürze sogar unsere eigene Mondstation haben. ImAugenblick können wir uns also kaum beklagen. Wirsind natürlich nach wie vor am <strong>Daleth</strong>-Antrieb interessiert,aber zur Zeit haben wir nicht die Absicht,deswegen jemanden umzubringen. Ich möchte gernmit Kapitän Hansen sprechen:«Arnie kaute in Gedanken versunken auf seinerUnterlippe und leerte sein Glas, ohne daß es ihm bewußtwurde. »Bleiben Sie hier«, sagte er schließlich.»Ich berichte ihm, was Sie gesehen haben. Er wird Sieanrufen.«»Lassen Sie sich nicht zuviel Zeit, Arnie«, sagte Gevleise. Er sagte es sehr ernst.Nils hatte während des Banketts eine kleine Rede gehaltenund sich dann unter dem Vorwand, wieder in


den Dienst zu müssen, auf die Brücke zurückgezogen.Jetzt saß er entspannt in seinem Sessel undschaute zu den Sternen hinaus. Er fuhr herum, alsArnie ihm von Gevs Beobachtungen erzählte.»Das kann doch nicht wahr sein!«»Vielleicht. Aber ich glaube ihm.«»Könnte das nicht ein Trick sein von ihm, um hierauf die Brücke zu gelangen?«»Ich weiß es nicht – ich möchte es bezweifeln. Er istein Ehrenmann – und ich glaube ihm.«»Ich hoffe, daß Sie recht haben und daß er sich irrt.Aber ich kann seine Mutmaßungen nicht einfachignorieren. Ich lasse ihn holen, aber der Soldat soll dieganze Zeit hinter ihm stehen.« Er wandte sich zumTelefon.General Gev kam sofort. <strong>Der</strong> Sergeant ging zweiSchritte hinter ihm, die automatische Pistole in derHand.»Könnte ich Ihre Passagierliste sehen?« fragte Gevund ging dann sorgfältig die Namen durch.»<strong>Der</strong> hier und der hier«, sagte er und unterstrichzwei Namen. »Sie sind in den Unterlagen mit anderenNamen verzeichnet, aber es handelt sich um dieselbenMänner. Einer wird wegen Sabotage gesucht,der andere, weil er dringend verdächtigt wird, an einemSprengstoffattentat beteiligt gewesen zu sein.Sehr unangenehme Typen.«»Das ist ja kaum zu glauben«, sagte Nils. »Es sindakkreditierte Vertreter dieser Länder ...«»... die natürlich tun, was Mütterchen Rußland vonihnen verlangt. Bitte seien Sie nicht naiv, KapitänHansen. Ein Satellitenstaat, gekauft und zum Tanzenbereit, wenn jemand die Melodie dazu pfeift ...«


An Nils' Ellbogen surrte das Telefon, und er schaltetees automatisch ein.Das entsetzte Gesicht eines Mannes erschien aufdem Schirm; helles Blut strömte ihm über die Stirn.»Hilfe!« schrie er.Dann ertönte ein lautes Krachen, und der Schirmwurde schwarz.


22.»Woher kam der Anruf?« brüllte Nils und griff nachdem Telefon. »Hat jemand den Mann erkannt?«Als er wählen wollte, legte ihm Gev die Hand aufden Arm; zugleich hob der Sergeant seine Pistole undrichtete sie auf den Rücken des Generals.»Moment noch«, sagte Gev. »Denken Sie erst einenAugenblick nach. Es ist etwas passiert – das haben Sieselbst gesehen, und Sie sind gezwungen, zu handeln.Aber Sie müssen zuerst Ihre Verteidigung organisieren,wenn Sie überhaupt so etwas haben. Dann müssenSie feststellen, welche Sektion bedroht ist. Ich habeüberall im Schiff luftdichte Schotte gesehen. Kannman die von hier aus schließen?«»Ja ...«»Dann sollten Sie das sofort tun. Damit beeinträchtigenSie zunächst einmal die Bewegungsfreiheit IhrerGegner.«Nils zögerte.»Das ist eine gute Idee«, sagte der Sergeant.Nils nickte. »Alle Innenschotte schließen«, befahl er.<strong>Der</strong> Instrumenten-Offizier entfernte eine Plastikhaubeüber einigen Schaltern und legte sie herum.»Aber die Türen können nach wie vor an Ort undStelle von Hand geöffnet werden.«»Im Notfall kann ich auch die Handkontrollenblockieren«, sagte der Instrumenten-Offizier.»Wir haben einen Notfall«, sagte Nils. »Los, tun Siees.«Gev trat an die Wand neben der Tür, um nicht imWege zu sein. <strong>Der</strong> Sergeant senkte die Pistole.


»Ich wollte mich nicht ungebührlich einmischen,Kapitän«, sagte Gev. »Ich habe nur eine gewisse Erfahrungin solchen Dingen.«»Ich bin froh, daß wir Sie hier haben«, sagte Nils.»Ihre Erfahrung kommt uns jetzt sehr zugute.« Er riefden Maschinenraum an, und einer der Technikernahm den Hörer auf.»Ein Defekt, Kapitän. Die Ausgänge lassen sichnicht ...«»Es ist Alarm gegeben – irgend etwas stimmt nichtan Bord, aber wir wissen noch nicht, was los ist. BleibenSie von den Türen weg. Es kommt ja ohnehinniemand herein. Und wenn etwas Ungewöhnlichespassiert, machen Sie sofort Meldung!«»Moment. Ich glaube, ich habe das Gesicht desMannes, der vorhin anrief, schon einmal gesehen«,sagte ein Funker zögernd. »Es war ein Koch oder so –jedenfalls hat er irgend etwas mit der Küche zu tun.«»Wollen mal sehen.« Nils wählte die Nummer derKüche, kam aber nicht durch. »Da sind sie also. Aberwas wollen sie in der Küche?«»Sich vielleicht Waffen besorgen«, sagte Gev.»Messer, Beile – da gibt's genug Auswahl. Oder derVorstoß hat einen anderen Grund. Könnte ich mal einenPlan des Schiffes sehen?«Nils wandte sich an Arnie. »Sagen Sie mir rundheraus:Ist der Mann auf unserer Seite?«Arnie nickte langsam. »Ich glaube, er ist es jetzt.«»Gut, Sergeant. Gehen Sie wieder auf Ihren Posten.Neergaard, holen Sie mir die Deckpläne.«Die Pläne wurden auf dem Tisch entrollt, und Gevdeutete mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle.»Hier, was heißt das – køkken?«


»Küche.«»Habe ich mir gedacht. Sehen Sie, man kommt vomSpeisesaal ohne weiteres in die Küche, die außerdemunmittelbar an den Maschinenraum grenzt. Das istdoch hier der Maschinenraum, nicht wahr?«Nils nickte.»Dann werden sie sich nicht mit den Türen abgeben,sondern die Wand durchschweißen. Gibt es eineMöglichkeit, schnell in den Maschinenraum zu gelangen,um den Leuten dort Verstärkung ...?«Das Telefon surrte, und das Gesicht des Ingenieurserschien auf dem Schirm. »Ein Schweißgerät oder soetwas, Kapitän! Man versucht, ein Loch in die Wandzu brennen. Was sollen wir tun?«»Was hat er gesagt?« fragte Gev, der zwar den besorgtenUnterton der Meldung gehört, nicht aber dasrasch hervorgestoßene Dänisch verstanden hatte. Arnieerklärte es ihm. Gev berührte Nils am Arm. »SagenSie Ihren Leuten, sie sollen eine Arbeitsbank odereinen Tisch gegen die Wand lehnen – alles, was irgendwieschwer ist. Das Durchstoßen soll nach Möglichkeiterschwert werden.«Als Nils den Befehl erteil hatte, blickte er sich verstörtum. »Aber wir können sie doch unmöglich aufhalten...«»Und was ist mit Verstärkung?«Nils lächelte humorlos. »Wir haben nur eine Waffean Bord – und die hat der Sergeant ...«»Schicken Sie ihn in den Maschinenraum, wennmöglich. Es sei denn, Sie könnten einen Angriff durchdie Küche starten. Sie müssen rücksichtslos zuschlagen,das ist die einzige Möglichkeit.«»Sie müssen's wissen«, sagte Nils. »Holen Sie mir


den Sergeanten. Ich muß ihn bitten, sich freiwillig zumelden. Das ist ja fast Selbstmord ...«<strong>Der</strong> Sergeant nickte, als man ihm die Ereignisse erklärte.»Ich will es gern versuchen, Kapitän.«Die Schotte wurden nacheinander entriegelt, so daßer zur Küche vordringen konnte.»Jetzt müßte er dort sein«, sagte Nils. »Rufen Siemal den Maschinenraum an.«<strong>Der</strong> Techniker berichtete aufgeregt: »Kapitän – dashat wie Schüsse geklungen! Wir haben sie durch dieWand gehört – eine Reihe von Schüssen. Und dasSchweißen hat aufgehört.«»Gut«, sagte Gev, als man ihn informiert hatte.»Vielleicht haben wir sie nicht aufhalten können, aberauf jeden Fall sind sie erst einmal sehr geschwächt.«»<strong>Der</strong> Sergeant ist nicht zurückgekehrt«, sagte Nils.»Damit hat er auch gar nicht gerechnet.« GeneralGevs Gesicht blieb völlig ausdruckslos; Gefühlsregungenwaren ein Luxus, den er sich im Kampf nichtgestatten durfte. »Jetzt müssen wir einen zweitenAngriff starten. Noch mehr Leute, nach MöglichkeitFreiwillige. Wir müssen sie irgendwie bewaffnen –ganz gleich, womit. Wir haben uns jetzt etwas Luftverschafft und müssen das ausnutzen. Ich übernehmegern die Führung, wenn Sie mir gestatten ...«»Ein Anruf, Kapitän«, sagte der Funker. »Jemandvon der amerikanischen Delegation.«»Ich habe jetzt keine Zeit.«»Er sagt, er weiß von dem Überfall und will unshelfen.«Nils schaltete den Bildschirm ein, und das düstereGesicht eines Mannes mit schwarzer Hornbrille


starrte ihm entgegen.»Wie ich höre, werden Sie von den Roten angegriffen,Kapitän Hansen. Ich möchte Ihnen meine Hilfeanbieten. Wir machen uns jetzt auf den Weg zurBrücke ...«»Wer sind Sie? Und wieso wissen Sie davon?«»Ich heiße Baxter und bin Sicherheitsbeamter. Manhat mich für alle Fälle mit auf diese Reise geschickt.Ich habe einige bewaffnete Männer bei mir, wir sindbereits unterwegs.«Auch ohne Gevs Kopf schütteln hatte Nils seinenEntschluß schnell gefaßt.»Haben Sie bewaffnete Leute gesagt? Hier an Bordsind keine Waffen gestattet!«»Mit diesen Waffen wollen wir Sie nur verteidigen,Kapitän. Sie brauchen uns jetzt.«»Da irren Sie sich. Bleiben Sie, wo Sie sind. Ichschicke jemanden vorbei, dem Sie Ihre Waffen aushändigenwerden.«»Wir machen uns jetzt auf den Weg zur Brücke.Unser Land hat sich schon immer in Zeiten der Notauf die Seite der kleinen Nationen gestellt, vergessenSie das nicht. Und die NATO ...«»Zur Hölle mit der NATO und zum Teufel mit Ihnen.Wenn Sie einen Schritt in Richtung Brücke machen,werden wir Sie als Angreifer behandeln. Siesind keinen Deut besser als die anderen.«»Und Verräter sind auch nichts Neues, KapitänHansen«, sagte Baxter grimmig. »Ihre Regierung wirdunser Eingreifen zu schätzen wissen, auch wenn Ihnendas Verständnis dafür fehlt.« Er unterbrach dieVerbindung.Gev rannte bereits los. »Es ist verschlossen«, rief er


über die Schulter zurück, als er das Schott zur Passagiersektionerreichte. »Können wir es irgendwie verbarrikadieren?«Die anderen – Nils voran – folgten ihm auf denFersen und starrten entsetzt auf den Fernsehschirm.Im Korridor auf der anderen Seite tauchte eine Gruppevon etwa zehn Männern auf. Baxter hatte die Führungübernommen; hinter ihm rannten ein Delegierteraus Formosa, mehrere Südamerikaner, ein Vietnamese.Einer hob ein abgebrochenes Stuhlbein undschlug damit nach der Kamera. <strong>Der</strong> Bildschirm erlosch.»Jetzt wird's ernst«, sagte Gev ruhig und blickte aufdie Tür. »Wir müssen an zwei Fronten kämpfen –und sind nicht einmal für eine Front ausgerüstet.«»Kapitän«, rief der Funker von der Brücke. »<strong>Der</strong>Maschinenraum gibt durch, daß das Schweißen wiederangefangen hat.«In diesem Augenblick ertönte eine Explosion, dieunerträglich laut in dem engen Korridor widerhallte.Die Tür wölbte sich nach innen und bekam einen Riß,durch den Feuer und Rauch schlugen. Die Männerwurden von der Druckwelle der Explosion zu Bodengeworfen. Die Tür erzitterte unter Schlägen undwurde weiter aufgedrückt. Ein Mann mit einerselbstgebastelten Pistole begann sich durch den Spaltzu zwängen.Gev sprang mit ausgestreckten Händen vor. Erpackte das Handgelenk des Mannes und riß es hoch,so daß die Pistole an die Decke zeigte. Ein Schuß löstesich, der für die betäubten Ohren der Männer fast garnicht zu hören war. Dann schlug Gev mit seiner freienHandkante zu und brach dem Mann das Genick.


Einen Augenblick hantierte er mit der ungewohntenWaffe herum, dann richtete er sie auf den Türspaltund feuerte, bis sie leer war.Doch das hielt die Angreifer nicht lange auf. DieTür wurde weiter aufgestoßen. Zwei Männer klettertenherein, ohne sich um den Toten zu kümmern. Nilsschlug einem so heftig ins Gesicht, daß er durch denTürspalt zurückgeworfen wurde.Aber die Angreifer waren in der Überzahl undhatten die besseren Waffen. Trotzdem lieferten ihnendie Männer auf der Brücke einen erbitterten Kampf.General Gev gab erst auf, als er von mindestens dreiKugeln getroffen zu Boden stürzte. Nils blieb vonKugeln verschont, doch zwei Männer hielten ihn anden Armen fest, während ein dritter so lange auf ihneinschlug, bis er die Besinnung verlor. Arnie setztesich mit allen Kräften zur Wehr, natürlich ohne Erfolg.Tote und Verwundete blieben zurück, als siewieder auf die Brücke gezerrt wurden. <strong>Der</strong> Funker,der als einziger auf seinem Posten geblieben war, gabgerade eine Meldung durch.»Maul halten!« brüllte Baxter ihn an und hob seinePistole. »Mit wem sprechen Sie da?«<strong>Der</strong> Funker umklammerte blaß sein Mikrofon. »Mitunserer Mondstation. Die hat meinen Funkspruchnach Kopenhagen weitergegeben. Ich habe berichtet,was hier vor sich geht. Die anderen sind in den Maschinenraumeingedrungen und haben ihn besetzt.«Baxter überlegte einen Moment und senkte lächelnddie Waffe.»Gut so. Berichten Sie ruhig weiter. Sagen Sie, daßSie Hilfe bekommen haben. Die Kommunisten gehenuns nicht durch die Lappen. Wie kann ich mich mit


dem Maschinenraum in Verbindung setzen?«<strong>Der</strong> Funker deutete stumm auf den Videoschirm,von dem ein Gesicht herabstarrte. Baxter gab sichnicht minder beherrscht, als er jetzt vor das Objekttrat.»Sie sind ein Verräter, Schmidt«, sagte er. »Ichwußte das in dem Augenblick, als ich Sie bei der ostdeutschenDelegation sah. Das war nicht sehr klugvon Ihnen.« Baxter wandte sich an Nils, den man ineinen Stuhl gesetzt hatte. Er kam langsam wieder zusich. »Ich kenne diesen Mann, Kapitän. Ein bezahlterInformant. Es ist wirklich ein Glücksfall für Sie, daßich bei Ihnen auf der Brücke bin.«General Gev hockte am Boden, an die Wand gelehnt,und hörte schweigend zu. Er schien nicht zumerken, daß ihm das Blut am Bein herablief. Auchsein rechter Arm war von einer Kugel getroffen, under hatte die Hand in seinen offenen Hemdausschnittgesteckt. Arnies Brille war bei dem Kampf zerbrochenworden, er blinzelte hilflos mit seinen kurzsichtigenAugen umher und versuchte zu begreifen, was hiervorging.Baxter musterte Schmidt voller Ekel. »Es macht mirkeinen Spaß, mit Verrätern zu verhandeln ...«»Wir alle müssen kleine Opfer bringen«, sagteSchmidt und grinste zynisch. Baxter ging nicht aufdie Bemerkung ein.»Sie stecken in einer Sackgasse, begreifen Sie dasnicht? Wir halten die Brücke und die Kontrollen.«»Aber meine Männer und ich haben die Maschinenund den Antrieb. Meine Truppe ist zwar nicht mehrso schlagkräftig, wie sie sein sollte – aber wir sind gutbewaffnet. Ich habe den Eindruck, daß Sie unmöglich


gegen uns ankommen. Sie werden uns hier nichtvertreiben können. Was wollen Sie also tun, Mr. Baxter?«»Ist Dr. Nikitin bei Ihnen?«»Natürlich! Warum wären wir sonst wohl hier?«Baxter unterbrach die Verbindung und wandte sichan Nils. »Das sieht sehr böse aus, Kapitän.«»Was meinen Sie?« Die Nebelschwaden in Nils'Kopf begannen sich langsam zu lichten. »Wer ist dieserNikitin?«»Ein russischer Physiker, ich habe den Namenschon irgendwo gelesen«, sagte Arnie. »Mit Hilfe derDiagramme und der Schaltpläne dürfte er das Prinzipdes <strong>Daleth</strong>-Antriebs inzwischen erkannt haben.«»Genau«, sagte Baxter und steckte seine Waffe ein.»Die Burschen halten den Maschinenraum, könnenaber die Brücke nicht nehmen – es ist also noch nichtalles verloren. Geben Sie das an Ihre Vorgesetztendurch«, befahl er dem Funker. »Im Augenblickkommt keine der beiden Parteien weiter. Wären wiraber nicht zur Stelle gewesen, hätten die Kommunistendas ganze Schiff genommen. Sie sehen also, Kapitän,daß Sie sich in uns geirrt haben.«»Woher haben Sie die Waffen?« fragte Nils. »Unddie Sprengladung?«»Ist das wichtig? Pistolenläufe in Form von Füllfederhaltern,verschluckte Munition, Explosionsmassein Zahnpastatuben – das Übliche. Ist nicht weiterwichtig.«»Für mich schon«, sagte Nils und richtete sichschwerfällig auf. »Und was haben Sie jetzt vor, Mr.Baxter?«»Schwer zu sagen. Wir werden Sie erst einmal ver-


inden. Und dann versuchen wir, uns mit diesemDoppelagenten zu arrangieren. Irgend etwas läßt sichda immer machen. Müssen wahrscheinlich umkehren.Das Töten muß jedenfalls aufhören. Die Burschenkennen den Antrieb jetzt, die Katze ist also aus demSack. Da gibt es keine Geheimnisse mehr zwischenVerbündeten, nicht wahr? Selbst Ihre Starrköpfe inKopenhagen werden das langsam einsehen müssen.Ich könnte mir vorstellen, daß wir die Sache über dieNATO klären werden, doch das gehört nicht in meinFach. Ich bin nur ein Mann an der Front. Aber einesist sicher«, setzte er hinzu und straffte die Schultern,»eine <strong>Daleth</strong>-Entwicklungslücke gibt es nicht. Diesmalwerden die Russen die Nase nicht vorn haben.«Nils erhob sich langsam mit schmerzverzogenemGesicht und stolperte zu seinen Kontrollen. »Mitwem sprechen Sie da?« fragte er den Funker.»Ich habe Verbindung mit Kopenhagen. Einer derStaatssekretäre im Ministerium ist am Apparat. Daunten ist gerade Nacht und die anderen haben geschlafen.Aber der König und der Premierministersind schon auf dem Weg.«»Ich fürchte, wir können nicht auf sie warten.« Siesprachen englisch, damit Baxter sie verstehen konnte.Nils wandte sich jetzt an den Amerikaner. »Ich würdegern erklären, was hier geschehen ist.«»Aber natürlich, tun Sie das. Das will man untennatürlich wissen.«Langsam und bedächtig schilderte Nils die jüngstenEreignisse. Nach längerer Pause, in der die Impulsedie Erde erreichten und wieder zurückgestrahltwurden, tönte die Antwort in Dänisch aus dem Lautsprecher,und Nils antwortete in der gleichen Sprache.


Als er fertig war, herrschte gespanntes Schweigen.»Na?« fragte Baxter. »Worum ging es? Was habensie gesagt?«»Man ist der gleichen Meinung wie ich«, erwiderteNils. »Die Lage ist hoffnungslos.«»Na bitte.«»Wir einigten uns auf das, was jetzt getan werdenmuß, und er dankte uns.«»Er dankte uns? Wovon sprechen Sie eigentlich,zum Teufel?«Nils war am Ende seiner Geduld; Zorn überwältigteihn, und er vergaß alle Regeln der Höflichkeit.»Ich spreche davon, was ich Ihnen jetzt zeigenwerde, junger Mann, auch wenn Sie es nicht begreifenwerden! Gewalt, Tod, Töten – etwas anderes kennenSie nicht!« schrie er Baxter an. »Ich sehe auchnicht den geringsten Unterschied zwischen Ihnenund dem Dreckskerl von Agenten, der jetzt da untenim Maschinenraum herumkommandiert. Sie wendendie Gewalt im Namen der Menschlichkeit an, aberum Ihres nationalen Stolzes willen würden Sie dieganze Menschheit vernichten. Wann begreifen Sieendlich, daß es Menschen gibt, Menschen wie Sie, dieleben wollen, aber auf ihre eigene Weise. Wann findenSie endlich einen Weg, den Stolz Ihrer Nation zubewahren, ohne Blut zu vergießen? Ihr Land alleinhat genug Atombomben, um die Welt viermal in eineWüste zu verwandeln. Wozu also noch die zusätzlicheZerstörungskraft des <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>s?«»Die Kommunisten ...«»Sind auch nicht besser oder schlechter als Sie. Vonhier draußen im All sehe ich nicht den geringstenUnterschied. Auch wenn wir jetzt sterben ...«


»Sterben?« fragte Baxter entsetzt und hob seineWaffe.»Ja. Oder haben Sie etwa gedacht, wir würden Ihnenden <strong>Daleth</strong>-Antrieb auf einem Silbertablett überreichen?Wir haben versucht, ihn im Guten vor Ihnengeheimzuhalten, aber Sie haben uns die Gewalt aufgezwungen.Im ganzen Schiff sind mindestens fünfTonnen Sprengstoff verteilt, die durch ein Radiosignalvon der Erde aktiviert werden ...«Eine schnelle Tonfolge klang aus dem Lautsprecher.Baxter schrie heiser auf, fuhr herum, feuerte aufdie Kontrollen, wobei er den Funker traf, und leertesein Magazin in die Instrumentenbänke.»... ein Radiosignal, auf das wir hier auf der Brückekeinen Einfluß haben.«Nils wandte sich um und sah Arnie an, der ruhigneben ihm stand. Nils griff nach seiner Hand undsetzte zum Sprechen an. General Gev lachte – das Lacheneines Siegers – und genoß diesen kosmischenScherz, der seinem Sinn für Gerechtigkeit entsprach.In dieser Sekunde geschah es. Wo sich eben nochdas Schiff befunden hatte, stand ein riesiger Feuerballim All, der sich rasch ausdehnte.


23.Martha Hansen lebte wie in einem Traum – nur sokonnte sie die Ereignisse überhaupt ertragen. Es hattemit Oves Anruf um 4.17 Uhr morgens begonnen, undihre Erinnerung an dieses Gespräch bestand hauptsächlichin der Stellung der beiden Leuchtzeiger derUhr, während ihr seine Stimme im Ohr klang und siezu begreifen versuchte, was er sagte.4.17. diese Ziffern schienen irgend etwas Wichtigeszu bedeuten, weil sie sich ihr immer wieder ins Bewußtseindrängten. War das der Augenblick, in demihre Welt untergegangen war? Nein, sie lebte ja noch.Aber Nils war gerade auf einem seiner Flüge gewesen.Bis heute war er noch von jedem Flug wiedernach Hause ...Und das war der Punkt, an dem ihre Gedanken abglittenund eine neue Richtung nahmen – 4.17. DieLeute, die dann angerufen hatten oder zu Besuch gekommenwaren – der Premierminister persönlich, diekönigliche Familie ... Sie hatte versucht, sie allefreundlich zu behandeln, was ihr hoffentlich gelungenwar. Wenn sie in der Schule überhaupt etwasgelernt hatte, dann die Regeln der Höflichkeit.Aber selbst auf der Reise zum Mond war es ihrnicht gelungen, sich aus der Betäubung zu reißen. Siewar mit einem der neuen Mondschiffe geflogen, dieman Raumbusse nannte. Es erinnerte sie sehr an eingewöhnliches Düsenflugzeug, nur daß man überallviel mehr Platz hatte. Eine lange Kabine, Sesselreihen,belegte Brote und Drinks. Auch eine Stewardeß. Eingroßes, aschblondes Mädchen, das ein paarmal zu ihr


gekommen war und sich ein wenig mit ihr unterhaltenhatte in dem leicht singenden schwedischen Tonfall,den die Männer so reizvoll finden. Aber auch siewar traurig gewesen, wie alle. Wann hatte sie zumletztenmal ein Lächeln gesehen?Die Trauerfeier war ihr seltsam leer vorgekommen.Da gab es zwar ein flaggengeschmücktes Denkmal –dort draußen im Mondvakuum vor dem Fenster –,man hatte ein Jagdhorn geblasen und einige der Anwesendenwurden bei dem klagenden Ruf von ihremSchmerz überwältigt. Aber niemand lag dort draußenbegraben. Eine Explosion, hatte man ihr gesagt. Einsofortiger, schmerzloser Tod. Und alles so weit weg.Tage später hatte ihr Ove Rasmussen die Hintergründeerläutert. Es kam ihr alles so verrückt vor. Eswar doch unmöglich, daß Menschen so etwas taten,nur um ein Geheimnis zu retten. Aber es stimmte.Und Nils war genau der Mann, so etwas zu tun.Selbstmord war es nicht gewesen; sie konnte sichnicht vorstellen, daß Nils Selbstmord beging. Aber eswar ein Sieg für eine Sache, an die er glaubte, undwenn er dabei sterben mußte, hatte er das sicher alssekundär betrachtet und gar nicht weiter darüber nachgedacht.Mit seinem Tod hatte sie eine Seite ihres Manneskennengelernt, die ihr nie bewußt geworden war.»Ein Tropfen Sherry?« fragte Ulla und beugte sichüber sie, ein Glas in der Hand. Die Trauerfeier warvorüber, und der Rückflug nach Kopenhagen standbevor.»Ja, bitte. Vielen Dank.«Martha nippte an ihrem Glas und versuchte, sichauf die anderen Anwesenden zu konzentrieren. Siewußte, daß sie in letzter Zeit sehr geistesabwesend


war und daß man allgemein darauf Rücksicht nahm.Das mochte sie nicht, sie wollte nicht bemitleidetwerden. Wieder nahm sie einen Schluck und sah sichum. Am gleichen Tisch saßen noch ein hoher Armeeoffizierund ein Herr vom Raumfahrtministerium,dessen Namen sie vergessen hatte.»Es wird nicht noch einmal vorkommen«, sagteOve ärgerlich. »Wir haben die anderen Länder als zivilisiertePartner behandelt – und nicht als nationalistischeUngeheuer, und wie blutrünstige Bestien sindsie habgierig über uns hergefallen. EingeschmuggelteWaffen, bezahlte Verbrecher, Gewalt, Piraterie im All.Einfach unglaublich. Aber eine zweite Gelegenheitwird es nicht geben, das kann ich Ihnen versichern.Und wenn es doch dazu kommt, opfern wir nichtmehr das Schiff – sondern gehen rücksichtslos gegendie Angreifer vor. Sie wollen es ja nicht anders.«»Hört, hört«, sagte der Offizier.»Die neuen <strong>Daleth</strong>-Schiffe werden im Innenausbaukünftig geteilt – die Mannschaft auf der einen Seite,die Passagiere auf der anderen; es wird nicht einmal einegemeinsame Wand geben. Wir werden diese Tatsacheallgemein bekanntmachen. Notfalls nehmen wirauch Soldaten an Bord – bewaffnet mit Pistolen, Gas ...«»Nun wollen wir aber nicht gleich über die Strängeschlagen, alter Junge.«»Ja, schon gut. Aber Sie wissen, was ich meine. Soetwas darf nicht noch einmal vorkommen.«»Aber man wird es immer wieder versuchen«,sagte der Mann vom Ministerium düster. »Eines Tageswird irgend jemand an den Antrieb herankommen,wenn man nicht inzwischen selbst auf das Prinzipstößt.«


ESEMPLIFICAZIONIIl valore teorico dei Certificati è determinato utilizzando modelli teorici di calcolo che tengonoconto di cinque fattori di mercato: il livello dell’attività sottostante, la volatilità del sottostante,la vita residua a scadenza, i tassi di interesse, i dividendi attesi e il rendimento atteso delsottostante. Nel caso dei Certificati oggetto della Nota Informativa il modello di riferimento è ditipo binomiale, opportunamente adattato, e riprende il modello Black-Scholes descritto nellepubblicazioni: Black F. e Scholes M., "The Pricing of Options and Corporate Liabilities".Journal of Political Economy, 81 (May-June 1973), 637-59; e Merton R.C., "Theory of RationalOption Pricing". Bell Journal of Economics and Management Science, 4 (Spring 1973), 141-83.Lo schema che segue illustra sinteticamente l'effetto che i fattori sopra richiamati producono dinorma sul valore del Certificato, che risulta essere una sintesi del valore delle sue componentiopzionali.Effetto di un aumento () nel livello delle variabili dimercato sul valore teorico del CertificatoPrezzo del sottostanteVolatilitàVita residuaTasso di interesseDividendo attesoRendimento attesoValore del CertificatoLa variazione di uno solo dei fattori sopra riportati determina un valore teorico del Certificatodiverso. Tuttavia, dei fattori sopra indicati, il livello del sottostante, la sua volatilità e la vitaresidua del Certificato hanno l’impatto maggiore sul valore teorico del Certificato.Gli esempi A, B, e C, di seguito riportati, mostrano l’impatto sul valore del Certificato prodottoda variazioni di questi ultimi fattori di mercato, a parità di tutti gli altri fattori. Si sottolinea che iCertificati utilizzati nelle esemplificazioni hanno un valore puramente indicativo e non fannoin alcun modo riferimento a Certificati che dovranno essere effettivamente emessi.Si fa osservare che il livello di volatilità inserito nei modelli di valutazione ai fini delladeterminazione del prezzo degli strumenti finanziari può variare anche durante una medesimagiornata di negoziazione; fra i fattori che influiscono sul livello di volatilità è da considerare lavolatilità implicita nei prezzi di opzione aventi come sottostante gli indici sottostanti oggettodegli strumenti finanziari in argomento, sia over the counter che quotate sui mercatiregolamentati.Con riferimento alla variabili adottate nelle esemplificazioni che seguono, si precisa quantosegue:(i) il tasso free risk utilizzato ai fini delle esemplificazioni relative ai Certificati Quanto di cuialle sezioni 2A e 2B, nonché 4A e 4B differisce da quello utilizzato alle sezioni 1A e 1B,nonché 3A e 3B con riferimento ai Certificati non Quanto, malgrado l'attività sottostante iCertificati sia la medesima in entrambi i casi, dal momento che nel caso dei Certificati QuantoMILAN-1/234867/11 - 194 - Boo-ity/C01-ITY


men, die sie hier in der Hand hielt, hatten Menschenihr Leben lassen müssen – und andere waren gestorben,weil sie sie nicht preisgeben wollten.Sie wollte das Buch wieder in die Schublade legen,doch dann zögerte sie.Baxter war tot. Man hatte ihr gesagt, daß er ebenfallsan Bord gewesen sei. In der Botschaft saß einneuer Mann an seinem Schreibtisch und hatte bereitsversucht, sich mit ihr in Verbindung zu setzen; siehatte sich seinen Namen irgendwo aufgeschrieben.Wenn sie ihm diese Broschüre gab, würde man siekünftig in Ruhe lassen. Es war dann ein für allemalaus mit dieser scheußlichen Spionageangelegenheit.Martha ließ das Buch in ihre Tasche fallen und ließsie zuschnappen. Es war von außen überhaupt nichtzu sehen. Sie schloß die Schublade, sah sich nocheinmal um und trat auf den Flur.Als sie sich wieder zu den anderen setzte, herrschtebereits Aufbruchstimmung. Sie sah sich in der Ankunftshalleum und suchte nach einem bestimmtenMann. Sie hatte ihn bald gefunden; er stand am anderenEnde des Raumes und starrte aus dem großenFenster.»Herr Skou«, sagte sie leise. Er fuhr herum.»Ah, Frau Hansen. Ich habe Sie gesehen, hatte abernoch keine Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Es istalles so ... so ...«Er blickte sie gequält an, und sie überlegte, ob ersich vielleicht die Schuld an den Ereignissen gab.»Hier«, sagte sie, öffnete ihre Tasche und reichteihm das Buch. »Ich habe es bei den Sachen meinesMannes gefunden. Ich glaube kaum, daß es Ihnenrecht ist, wenn es herumliegt!«


»Du lieber Himmel, nein!« sagte er, als er den Titelgelesen hatte. »Vielen Dank, das ist sehr freundlichvon Ihnen. Die Leute denken doch nie nach – und dasbehindert meine Arbeit sehr, kann ich Ihnen sagen.Numeriertes Exemplar – wir haben glatt angenommen,es wäre an Bord der Holger Danske. Ich hatte jakeine Ahnung!« Er nahm sich zusammen und verbeugtesich knapp.»Vielen Dank, Frau Hansen. Ich glaube, Sie wissengar nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben.«Sie lächelte. »Aber ich weiß es, Herr Skou. MeinMann und viele andere sind gestorben, um den Inhaltdieses Buches zu schützen. Hätte ich denn etwas anderestun können? Und im Grunde muß man es andersherumsehen. Ich glaube, bis jetzt habe ich mirnicht klargemacht, wie sehr Sie und alle anderen mirgeholfen haben.«Und dann war es Zeit, zur Erde zurückzukehren.


24.Mit kreischenden Bremsen und quietschenden Reifenbog der Sprite in die Auffahrt ein und kam ruckartigzum Stehen. Ove Rasmussen sprang über die Wagentür,ohne sie zu öffnen, rannte die Stufen hinaufund drückte die Türklingel. Während die Glockentönedurch das Haus hallten, rüttelte er an der Klinke.Die Tür war unverschlossen und er riß sie auf.»Martha – wo sind Sie?« brüllte er. »Sind Sie da?«Er schloß die Tür und lauschte. Aber es war nurdas Ticken einer Uhr zu hören. Dann vernahm erunterdrücktes Schluchzen aus dem Wohnzimmer. Sielag hingestreckt auf dem Sofa, und ihre Schulternzuckten; sie weinte hemmungslos. Die Zeitung lagauf dem Boden neben ihr.»Ulla hat mich angerufen. Ich war gerade im Labor«,sagte er. »Sie haben am Telefon einen soschlimmen Eindruck gemacht, daß sie selbst schonhysterisch wurde. Ich bin sofort gekommen. Was istnur geschehen ...«Dann sah er die Titelseite der Zeitung und wußtedie Antwort. Er bückte sich, hob das Blatt auf undbetrachtete das Foto, das fast die ganze Seite einnahm.Es zeigte ein eiförmiges Gebilde, das etwa dieGröße eines Automobils hatte und das einige Meterüber einer staunenden Menschenmenge schwebte.Ein Mädchen saß in dem kleinen Cockpit und winktelächelnd, und an der Stirnseite war zwischen denScheinwerfern deutlich das Wort Honda zu erkennen.Das Fahrzeug hatte keinen sichtbaren Antrieb. DieSchlagzeile lautete: Japaner stellen Antigrav-Auto vor.


Und darunter stand: Neues Prinzip soll gesamtes Transportwesenrevolutionieren.Martha setzte sich auf und versuchte, mit einemfeuchten Taschentuch ihre Tränen zu trocknen. IhrGesicht war rot und verquollen; die Haare hingen ihrsträhnig in die Stirn.»Ich habe gestern eine Schlaftablette genommen«,sagte sie, und das Sprechen fiel ihr schwer. »ZwölfStunden habe ich geschlafen. Habe kein Radio gehört,nichts. Und als ich dann zum Frühstück die Zeitunghereinholte, da ...« Sie brach ab und deutete auf dieZeitung.Ove nickte müde und ließ sich in den Sessel fallen.»Stimmte es?« fragte sie. »Die Japaner haben den<strong>Daleth</strong>-Antrieb?«Er nickte wieder, und sie schlug die Hände vorsGesicht.»Sinnlos geopfert!« schrie sie. »Alle sind umsonstgestorben! Die Japaner wußten über den <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> Bescheid! Sie haben ihn gestohlen. Nils, sie alle– sie sind für nichts und wieder nichts gestorben!«»Ruhig, ruhig«, sagte Ove, beugte sich vor undlegte seinen Arm um ihre Schultern. Er spürte, wie siezitterte. Sie schluchzte gequält. »Hören Sie auf, Martha.Tränen bringen ihn auch nicht zurück – ihn nichtund die anderen auch nicht«, versuchte er, sie zu beruhigen.»Und die ganze Geheimniskrämerei hat nichts genützt... Das Geheimnis ist doch durchgesickert ...«»Und gerade die Geheimniskrämerei hat sie umgebracht«,sagte Ove, und seine Stimme war so frostigwie klirrendes Eis. »Ein Wahnsinn!«Was sein Mitgefühl nicht vermocht hatte: Die Bit-


terkeit in seinen Worten drang zu ihr durch, schrecktesie auf. »Was meinen Sie?« fragte sie und rieb sich mitdem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.»Was ich gesagt habe.« Ove starrte haßerfüllt aufdie Zeitung und trat mit dem Fuß darauf. »Wir hattenkein ewiges Geheimnis, sondern nur einen Vorsprungvor den anderen. Arnie und ich haben dasden Leuten vom Sicherheitsdienst klarzumachen versucht,aber man wollte uns nicht zuhören. Offensichtlichhaben nur Nils und seine Offiziere von denSprengladungen an Bord gewußt. Hätte man Arnieund mich eingeweiht, wären wir nicht an Bord gegangen– wir hätten einen öffentlichen Skandal vomZaun gebrochen und uns geweigert, mitzufliegen.Das Ganze war eine verbrecherische Vergeudung, einverbrecherischer Wahnsinn.«»Was soll das heißen?« Seine Worte erschrecktensie.»Nur Politiker, Geheimagenten und Sicherheitsbeamtenglauben, daß es wirklich Geheimnisse gibt, undvielleicht die Leute, die Spionageromane über fiktivegestohlene Geheimnisse lesen. Aber die Mutter Naturkennt keine Geheimnisse. Es liegt alles offen da. Manmuß es nur lernen, sie zu verstehen. Manchmal ist dieAntwort sehr kompliziert, oder man muß wissen, woman danach suchen muß, um sie zu finden. Arniewußte das, und das ist einer der Gründe, warum erseine Entdeckung nach Dänemark brachte. Sie konntehier schneller zur Reife gebracht werden, weil wirüber die nötige Schwerindustrie zum Bau der <strong>Daleth</strong>-Schiffe verfügen. Aber es war im Grunde nur eineFrage der Zeit, bis uns die anderen einholen würden.Sobald man überall wußte, daß es so etwas wie ei-


nen <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong> gibt, wußte man auch, wonach zusuchen war. Dabei hatten wir zwei Vorteile. Eine Reihevon Physikern überall auf der Welt wußten, daßArnie Schwerkraftversuche machte. Er hatte mit ihnenkorrespondiert, und sie hatten in Fachzeitschriftenüber seine Arbeit gelesen. Sie wußten aber nicht,daß er von der falschen Seite an die Sache heranging.Er entdeckte diese Tatsache bald selbst, hatte jedochnicht mehr genug Zeit, diese Schlußfolgerung zu veröffentlichen.Die Entdeckung des <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>s ergabsich aus den Telemetriemessungen während einerSonneneruption. Diese Messungen wurden auchden an den Versuchen beteiligten Ländern zugänglichgemacht, und so war es nur eine Zeitfrage, wannder Groschen fiel. Wir waren damit etwa zwei Jahrevoraus und hatten so den nötigen Vorsprung ...«»Dann waren das Töten, die Überfälle, die Spione...«»Alles sinnlos. Das Geheimnis der Geheimhaltungist es, die Rechte niemals wissen zu lassen, was dieLinke tut. <strong>Der</strong> Geheimdienst eines Landes versuchtdas Geheimnis irgendwo zu stehlen, während in denGeheimlabors desselben Landes die Wissenschaftlerschon längst auf der richtigen Spur sind, um ebendieses Geheimnis zu lüften. Und wenn sich dieseGruppen erst einmal an einem Problem festgebissenhaben, sind sie nur schwer wieder aufzuhalten. Wennes nicht so tragisch wäre, könnte man fast darüber lachen.Ich habe schließlich die ganze Geschichte gehört– ich war in den letzten Tagen viel mit den Leutenvom Geheimdienst zusammen. Wissen Sie, wieviele Länder bereits Hinweise auf die Natur des <strong>Daleth</strong>-Antriebshatten, als das Schiff explodierte?


Ich werd's Ihnen sagen. Fünf! Die Japaner hieltensich für die ersten und versuchten, internationale Patenteanzumelden. Doch diese Anträge wurden in vierLändern abgelehnt, weil hier bereits vorher ähnlichePatentanmeldungen vorlagen, die unter die Geheimhaltungder jeweiligen Regierung fielen. Deutschlandund Indien gehörten zu diesen Ländern ...«»Und die beiden anderen?« hauchte sie, als wüßtesie die Antwort bereits.»Amerika und die Sowjetunion ...«»Nein!«»Es tut mir leid. Es auszusprechen schmerzt michfast genauso wie Sie, die Sie das hören müssen. IhrMann und mein Freund und Kollege Arnie sind beidieser Explosion umsonst gestorben. Die Länder, diedie Katastrophe herbeiführten, kannten das Geheimnis bereits.Aber da diese Information so geheim war, durfteman anderen Organisationen und Leuten nichts davonsagen. Aber ich gebe ihnen ebensowenig dieSchuld wie unserem eigenen Geheimdienst, der dieSprengladung im Schiff angebracht hat. <strong>Der</strong> wahreGrund liegt im allgemeinen institutionalisierten Verfolgungswahn.Alle Geheimdienstleute sind gleich;sie werden durch ihre persönliche Unsicherheit undAngst an die Arbeit getrieben. Es kann durchaus sein,daß sie wirklich aufrichtige Patrioten sind, aber ihrKranksein liegt darin, daß sie ihren Patriotismus aufdiese Art beweisen müssen. So ein Mensch wird nieverstehen, daß man im Zeitalter des Dampfschiffseben Dampfschiffe baut und in der Ära der Flugzeugeeben Flugzeuge.«»Ich verstehe nicht.« Sie schluchzte trocken. Siehatte keine Tränen mehr.


»Es ist immer wieder dasselbe. Kaum hatten dieJapaner im Zweiten Weltkrieg gerüchteweise vondem amerikanischen Radar gehört, machten sie sichan die Arbeit. Sie entwickelten das Magnetron undandere wichtige Teile fast gleichzeitig mit den Amerikanern.Nur innere Auseinandersetzungen undmangelnde Produktionsmöglichkeiten verhinderten,daß ihr Gerät noch zum Einsatz kam. Es war eben dasRadarzeitalter angebrochen. Und jetzt ... jetzt ziehtdas <strong>Daleth</strong>-Zeitalter herauf, und die Geheimniskrämereium den <strong>Effekt</strong> ist längst sinnlos geworden.«Sie schwiegen lange. Eine Wolke schob sich vor dieSonne, und es wurde dunkler im Zimmer. Schließlichstellte Martha ihre Frage – eine Frage, um die sienicht herumkam.»War dann alles umsonst? War dann der Tod alldieser Menschen – sinnlos?«»Nein.« Ove zögerte und versuchte, zu lächeln,aber es wurde nur eine Grimasse. »Wenigstens hoffeich, daß nicht alles umsonst war. Bei der Explosionsind Menschen aus vielen Ländern umgekommen,und das Entsetzen über die Katastrophe führt vielleichtdazu, daß die Menschen überall – vielleicht sogardie Politiker – vernünftiger werden. Vielleichtbringen sie es fertig, die Entdeckung zum Wohle derganzen Menschheit auszunutzen, ein einziges Maljetzt das Richtige zu tun, ohne Streiterei, ohne daß einenoch schrecklichere Vernichtungswaffe darauswird. Richtig angewandt, könnte der <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>die Welt in ein Paradies verwandeln. Die Japaner habenuns sogar in einem Punkt ausgestochen – sie habendie separate Energiequelle überflüssig gemacht.Von der allgemeinen Energiekonservierung ausge-


hend, stellten sie fest, daß sie aus dem <strong>Daleth</strong>-<strong>Effekt</strong>selbst die nötige Energie ziehen konnten. Also stehenwir jetzt alle an der gleichen Startlinie, und es wirdeinige Zeit dauern, bis wir uns an diese Tatsache gewöhnthaben. Aber die Welt, wir alle müssen uns zusammentunund dieser Tatsache ins Auge sehen. JedemIndividuum oder Land, das diese Macht mißbrauchenwill, muß sofort Einhalt geboten werden –zum Besten aller.Wenn Sie die Sache so sehen, ist der Tod dieserMenschen nicht umsonst. Wenn alle daraus etwaslernen könnten, ist es ihr Opfer vielleicht wert gewesen.«»Aber bringen wir das fertig?« fragte Martha.»Werden wir es wirklich schaffen, uns die Welt soeinzurichten, wie wir es uns alle wünschen? Wirwerden es doch nie erreichen.«»Wir werden es müssen«, sagte er, beugte sich vorund nahm ihre Hände zwischen die seinen. »Oderwir kommen bei dem Versuch um.«Sie schüttelte den Kopf und lächelte schmerzlich.Die Sonne brach durch die Wolken, aber in demHaus – in dem Zimmer, in dem die beiden saßen – lagDunkelheit, die nicht weichen wollte.ENDE


Als TERRA-Taschenbuch Band 365 erscheint:Frederik PohlSignaleKlassische Stories des Meisters der satirischen SFFREDERIK POHL X 7<strong>Der</strong> amerikanische Autor, der zu den namhaftestenSatirikern der Science Fiction zählt, präsentiert hiereinen Teil seiner besten Arbeiten aus dem Anfang dersechziger Jahre.Es sind die Storiesvom Raumkapitän und den Kälteschläfern –vom vergnüglichen Ausflug auf Erde 18 –vom alten Mann, der sich für einen Versager hält –von der tödlichen Gefahr aus dem Zentrum der Galaxis–von dem Terraner, der sein Glück machen will –und die beiden Abhandlungen über das binäre Zahlensystem.TERRA-Taschenbücher erscheinen zweimonatlichund sind überall im Buchhandel, Zeitschriften- undBahnhofsbuchhandel erhältlich.

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