Die grüne Revolution oder der Zauber aus den Bäumen

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Dirk Böttcher Wellness für Mutter Erde Um eine scheinbar bessere Bodenfruchtbarkeit zu erreichen, werden viele Böden in Afrika mit Kunstdünger bearbeitet. 84 gleich funktioniert. Er muss der Erde nur Vielfalt und Leben geben, den Rest macht sie allein. Er ist der Dirigent in einem riesigen grünen Orchester. In seiner Versuchsanstalt rührt der Schweizer keinen Halm an. „Alles wird von anderen Leuten nach meinen Anweisungen gepfl anzt“, erklärt Götsch. Er will sich hundertprozentig sicher sein. Dass sein Verfahren generell funktioniert, nicht nur bei ihm. „Bei mir wachsen alle Pfl anzen.“, so Götsch. Er kann sie verstehen, man sollte sich darüber nicht amüsieren. Es wurden Tests gemacht, bei denen Pfl anzen Lügendetektoren ausschlagen ließen. Der zwei Hektar große Wiederbelebungsversuch kostet Götsch im ersten Jahr zwei Arbeitskräfte. Im zweiten nur noch eine, im dritten Jahr löst die Produktion erster Früchte bereits die laufenden Kosten ein. „In fünf Jahren sind sämtliche Kosten ausgeglichen.“ Dünger braucht er dazu nicht, nur die Machete, die Kettensäge und die Kollegen natürlich. Der Traum von Ernst Götsch ist, zu beweisen, „dass von Südschweden bis Südafrika eine Familie von einem Hektar Land gut leben kann.“ Wir könnten dann alle besser leben. Dies zu beweisen, initiierte er einen Modellversuch in den Dry Lands, eine staubig-trockene Gegend nördlich von Gandu. Hier wird seit Jahrzehnten Rizinus angebaut. Vor einigen Jahren sorgte sich der holländische Großabnehmer BoBrasil, da die Erträge dramatisch einbrachen. Zusammen mit der NGO Permacultura offerierte man jedem Kleinbauern das Einrichten eines 1 000 Quadratmeter großen Versuchsfeldes, auf dem mit der Methode von Ernst Götsch wieder Leben und Ertrag herrschen sollte. Die Samen wurden gestellt und ein paar Reales. Im ersten Jahr, 1999, meldete sich genau ein Bauer für den Versuch. Als der 60 Prozent mehr als seine Nachbarn ernten konnte, waren es im nächsten Jahr 40 Familien, die mitmachten. Mittlerweile sind über 500 Familien an dem Projekt beteiligt. Im Jahr 2006 sollen es 3 000 sein. Auch so „Die Leuten glauben, sie werfen ein paar Tonnen Phosphor auf die Böden und alles wird gut.“ ein Flickenteppich, der kleine Familien wieder satt und eine ganze Gegend wieder fruchtbar macht. Es ist an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie man in Zukunft das Feld richtig bestellt. Schon heute sind in Afrika neben Trinkwasser auch fruchtbare Böden Gründe für Krieg und Vertreibung. „Bodenfruchtbarkeit“ ist das große Schlagwort, unter dem die internationale Gemeinschaft zusammen mit der Weltbank versucht, den Hunger in Afrika zu vertreiben. In Millionen Dollar schweren Programmen wird der Kontinent dabei zum Abladeplatz für Kunstdünger. An Äste hat noch keiner gedacht. „Die Leuten glauben, sie werfen ein paar Tonnen Phosphor auf die Böden und alles wird gut“, echauffi ert sich Gill Lemieux. „Das Wort allein, ‚fruchtbar‘, was soll das heißen? Es klingt wie ‚organische Butter im Kühlregal der Supermärkte‘, spottet Lemieux. „Heißt fruchtbar mehr Mais, mehr Geld, mehr Kinder, mehr, mehr, mehr von allem?“ Kanada hat die Weizen-Erträge pro Hektar in den letzten 80 Jahren verfünffacht. Mit dem Ergebnis, dass man nun Getreide aus Argentinien zum Brotbacken einführen muss, wo die Erträge noch so gering sind, wie in Kanada Anfang des letzten Jahrhunderts. Das „mehr“ ist nur heiße Luft, Nummern auf dem Papier, Tonnen in den Lagern, Zahlen in den Statistiken. Der Preis dafür sind abgehalfterte Böden. Bodenfruchtbarkeit bedeutet keineswegs immer mehr von allem und sie misst sich auch nicht in Stickstoff, Natrium oder Phosphor. Sie funktioniert nicht wie ein Bankkonto, auf dem einfach etwas einzahlt, wenn man ins Minus rutscht. Fruchtbarkeit steht für Biodiver- Dirk Böttcher 85 Wellness für Mutter Erde „Es ist an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie man in Zukunft das Feld richtig bestellt.“ Gill Lemieux

Dirk Böttcher Wellness für Mutter Erde Mit Ästen lassen sich keine Millionen verdienen, mit Dünger und genmanipulierten Pfl anzen schon. 86 sität und aktive Prozesse zwischen den Arten. Genau das, was der Kunstdünger wirkungsvoll dezimiert. Der Wald ist da klüger. Wo er fehlt, führen Lemieuxs Äste Mutter Erde zu wahrem Überschwang: Achtmal mehr Tomaten in Mali, 1 000 Prozent Ertragssteigerung bei Tomaten im Senegal, 300 Prozent mehr Erdbeeren in Kanada, 50 Prozent mehr Weizen in der Ukraine und 400 Prozent mehr Mais an der Elfenbeinküste – alles ohne Dünger, ohne Pfl anzenschutzmittel und auf gesundenden. Eine beachtliche Erfolgsstory, doch so beeindruckend die Ergebnisse auch sind, die Astholzkur ist noch immer Insiderwissen in einem überschaubaren Kreis von Wissenschaftlern und Agrarökologen. „Viele verstehen den Prozess einfach nicht und der Ansatz läuft einfach komplett gegen unser gegenwärtiges Bild von der Landwirtschaft“, erklärt Henry Guilmete von der Entwicklungshilfe-Organisation IDRC. Das Aschenbrötel-Dasein des Astaufl egens kann er sich aber auch nicht wirklich erklären. „Es gibt einfach keine Lobby dafür.“ Was heißt, keine Industrie. Mit Ästen lassen sich keine Millionen verdienen, mit Dünger und genmanipulierten Pfl anzen schon. Guilmete betreute zwei Projekte mit „Ramial Chipped Wood“, im Senegal und in der Ukraine. „In Niayes, dem größten Gemüseanbaugebiet Senegals, hatte massiver Düngereinsatz fast den ganzen Fluss verseucht. Guilmete hörte erstmals von den Ästen Lemieuxs und versuchte es. „Der Anstieg der Erträge war enorm“, erinnert er sich. Der Fluss konnte sich erholen. Als er deshalb ein zweites Zweigholz-Projekt durchführen wollte, sagten die Experten, das wäre lächerlich. „Aber warum nicht versuchen, was nichts kostet. Wir brauchen keine Million, du Die Erde ist ein Individuum, dessen mineralisches Skelett Tausende von Spezies bilden, die im Wettstreit um Nährstoffe stehen. kannst das in deinem Garten machen“, argumentierte Guilmete, bis ein Institut in der Ukraine zusagte. Dort richteten die Wissenschaftler ein 500 mal 500 Meter großes Feld ein. „Ein schrecklicher Boden, auf dem nichts wuchs. Wirklich nichts“, so Guilmete. Es tat sich was. Der Sommer 1998 war einer der heißesten in der Ukraine. Die Landwirtschaft kämpfte mit Verlusten von bis zu 40 Prozent. Nur auf der kleinen Astholzversuchsfl äche stand der Weizen unbeschadet. Das allein hätte die Wissenschaftler aber nicht überzeugt. Das waren sie erst, als sie ihre Kartoffeln für den Eigenverbrauch aus dem Institutsacker buddelten. Während die Hitze im Land die Kartoffelernte zum Desaster hatte werden lassen, waren die Institutsknollen robust, groß und schmackhaft. Überzeugung geht durch den Magen. Guilmete sagt: „Ein großer Zauber ist das nicht, ein paar Äste von den Blättern zu befreien und in die Erde zu stecken.“ Dabei ist, was so simpel scheint, laut Lemieux „nicht weniger kompliziert als das Verstehen des Universums.“ Das hätte schon in einem Teelöffel Erde Platz: Zwischen 1 - 100 000 Millionen Bakterien, 150 - 500 Mikrogramm Pilze, 10 000 - 100 000 Protozoa, 15 - 500 Nematoden und einige Hunderttausend weitere Mikroorganismen stromern darin. „Die Erde ist ein Individuum, dessen mineralisches Skelett Tausende von Spezies bilden, die im Wettstreit um Nährstoffe stehen“, sagt Lemieux. Die einen bereiten in komplizierten Kreisläufen das Feld für die anderen, speisen und werden verspeist. Spuren dieses gewaltigen Prozesses Leben sind Stickstoff, Natrium und auch Phosphor. Die Energie liefern die Wurzeln der Pfl anzen und auf lange Sicht die „polyphenole Matrix von Holz“. Das zu erklären, käme dem Versuch gleich, das menschliche Verhalten in fünf Sätzen zu beschreiben. Viele Fragen sind noch offen. Warum zum Beispiel nur Astholz funktioniert, normales Stammholz aber nicht den „anregenden“ Effekt auf Mutter Erde hat. Äste sind eine wahre Vorratskammer an Nährstoffen. „Ein Tannenbaum enthält weit mehr Protein als Mais“, sagt Lemieux. Dazu kommen Zuckerarten, Zellulosen, Vitamine, Enzyme und Lignine. Gerade dieser hochmolekulare und aromatische Stoff, der in verholzenden Pfl anzen die Räume zwischen den Zellmembranen ausfüllt und zu Holz werden lässt, spielt in Mutter Erde eine ganz entscheidende Rolle. Erstaunlicherweise ist Lignin vielen Agrarwissenschaftlern noch immer unbekannt. Indem Basidiomyceten (Weißfäule-Pilzen) das cremefarbene Dirk Böttcher 87 Wellness für Mutter Erde „Ein Tannenbaum enthält weit mehr Protein als Mais.“ Lemieneux über den hohen Nährstoffgehalt von Ästen.

Dirk Böttcher<br />

Wellness für Mutter Erde<br />

Um eine scheinbar bessere Bo<strong>den</strong>fruchtbarkeit<br />

zu erreichen, wer<strong>den</strong><br />

viele Bö<strong>den</strong> in Afrika mit Kunstdünger<br />

bearbeitet.<br />

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gleich funktioniert. Er muss <strong>der</strong> Erde nur Vielfalt<br />

und Leben geben, <strong>den</strong> Rest macht sie allein. Er<br />

ist <strong>der</strong> Dirigent in einem riesigen <strong>grüne</strong>n Orchester.<br />

In seiner Versuchsanstalt rührt <strong>der</strong> Schweizer<br />

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nach meinen Anweisungen gepfl anzt“, erklärt<br />

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Dass sein Verfahren generell funktioniert, nicht<br />

nur bei ihm. „Bei mir wachsen alle Pfl anzen.“,<br />

so Götsch.<br />

Er kann sie verstehen, man sollte sich darüber<br />

nicht amüsieren. Es wur<strong>den</strong> Tests gemacht,<br />

bei <strong>den</strong>en Pfl anzen Lügendetektoren <strong>aus</strong>schlagen<br />

ließen. Der zwei Hektar große Wie<strong>der</strong>belebungsversuch<br />

kostet Götsch im ersten Jahr zwei<br />

Arbeitskräfte. Im zweiten nur noch eine, im dritten<br />

Jahr löst die Produktion erster Früchte bereits<br />

die laufen<strong>den</strong> Kosten ein. „In fünf Jahren sind<br />

sämtliche Kosten <strong>aus</strong>geglichen.“ Dünger braucht<br />

er dazu nicht, nur die Machete, die Kettensäge<br />

und die Kollegen natürlich.<br />

Der Traum von Ernst Götsch ist, zu beweisen,<br />

„dass von Südschwe<strong>den</strong> bis Südafrika<br />

eine Familie von einem Hektar Land gut leben<br />

kann.“ Wir könnten dann alle besser leben. <strong>Die</strong>s<br />

zu beweisen, initiierte er einen Modellversuch in<br />

<strong>den</strong> Dry Lands, eine staubig-trockene Gegend<br />

nördlich von Gandu. Hier wird seit Jahrzehnten<br />

Rizinus angebaut. Vor einigen Jahren sorgte<br />

sich <strong>der</strong> holländische Großabnehmer BoBrasil,<br />

da die Erträge dramatisch einbrachen. Zusammen<br />

mit <strong>der</strong> NGO Permacultura offerierte<br />

man jedem Kleinbauern das Einrichten eines<br />

1 000 Quadratmeter großen Versuchsfeldes, auf<br />

dem mit <strong>der</strong> Methode von Ernst Götsch wie<strong>der</strong><br />

Leben und Ertrag herrschen sollte. <strong>Die</strong> Samen<br />

wur<strong>den</strong> gestellt und ein paar Reales. Im ersten<br />

Jahr, 1999, meldete sich genau ein Bauer für<br />

<strong>den</strong> Versuch. Als <strong>der</strong> 60 Prozent mehr als seine<br />

Nachbarn ernten konnte, waren es im nächsten<br />

Jahr 40 Familien, die mitmachten. Mittlerweile<br />

sind über 500 Familien an dem Projekt beteiligt.<br />

Im Jahr 2006 sollen es 3 000 sein. Auch so<br />

„<strong>Die</strong> Leuten glauben, sie werfen<br />

ein paar Tonnen Phosphor auf<br />

die Bö<strong>den</strong> und alles wird gut.“<br />

ein Flickenteppich, <strong>der</strong> kleine Familien wie<strong>der</strong> satt und eine ganze<br />

Gegend wie<strong>der</strong> fruchtbar macht.<br />

Es ist an <strong>der</strong> Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie man in<br />

Zukunft das Feld richtig bestellt. Schon heute sind in Afrika neben<br />

Trinkwasser auch fruchtbare Bö<strong>den</strong> Gründe für Krieg und Vertreibung.<br />

„Bo<strong>den</strong>fruchtbarkeit“ ist das große Schlagwort, unter dem die internationale<br />

Gemeinschaft zusammen mit <strong>der</strong> Weltbank versucht, <strong>den</strong><br />

Hunger in Afrika zu vertreiben. In Millionen Dollar schweren Programmen<br />

wird <strong>der</strong> Kontinent dabei zum Abladeplatz für Kunstdünger. An<br />

Äste hat noch keiner gedacht. „<strong>Die</strong> Leuten glauben, sie werfen ein<br />

paar Tonnen Phosphor auf die Bö<strong>den</strong> und alles wird gut“, echauffi ert<br />

sich Gill Lemieux. „Das Wort allein, ‚fruchtbar‘, was soll das heißen?<br />

Es klingt wie ‚organische Butter im Kühlregal <strong>der</strong> Supermärkte‘, spottet<br />

Lemieux. „Heißt fruchtbar mehr Mais, mehr Geld, mehr Kin<strong>der</strong>,<br />

mehr, mehr, mehr von allem?“ Kanada hat die Weizen-Erträge pro<br />

Hektar in <strong>den</strong> letzten 80 Jahren verfünffacht. Mit dem Ergebnis, dass<br />

man nun Getreide <strong>aus</strong> Argentinien zum Brotbacken einführen muss,<br />

wo die Erträge noch so gering sind, wie in Kanada Anfang des letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts. Das „mehr“ ist nur heiße Luft, Nummern auf dem<br />

Papier, Tonnen in <strong>den</strong> Lagern, Zahlen in <strong>den</strong> Statistiken. Der Preis<br />

dafür sind abgehalfterte Bö<strong>den</strong>.<br />

Bo<strong>den</strong>fruchtbarkeit bedeutet keineswegs immer mehr von allem<br />

und sie misst sich auch nicht in Stickstoff, Natrium <strong>o<strong>der</strong></strong> Phosphor.<br />

Sie funktioniert nicht wie ein Bankkonto, auf dem einfach etwas einzahlt,<br />

wenn man ins Minus rutscht. Fruchtbarkeit steht für Biodiver-<br />

Dirk Böttcher<br />

85<br />

Wellness für Mutter Erde<br />

„Es ist an <strong>der</strong> Zeit, sich<br />

Gedanken darüber zu<br />

machen, wie man in<br />

Zukunft das Feld richtig<br />

bestellt.“<br />

Gill Lemieux

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