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Phantastik in der Postmoderne: David Lynchs `twin Peaks´

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Die bekannteste und meistdiskutierte m<strong>in</strong>imalistische <strong>Phantastik</strong>def<strong>in</strong>ition ist die des<br />

Strukturalisten Tzvetan Todorov, <strong>der</strong> den Bereich des Phantastischen zwischen dem<br />

„Unheimlichen“ und dem „Wun<strong>der</strong>baren“ verortet und die Ungewissheit/ Unschlüssigkeit des<br />

Lesers über die Natur e<strong>in</strong>es Ereignisses 8 zur konstituierenden Bed<strong>in</strong>gung des<br />

Phantastischen macht:<br />

„Das Fantastische liegt im Moment dieser Ungewißheit; sobald man sich für die e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e<br />

Antwort entscheidet, verläßt man das Fantastische und tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> benachbartes Genre e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> das des<br />

Unheimlichen o<strong>der</strong> das des Wun<strong>der</strong>baren. Das Fantastische ist die Unschlüssigkeit, die e<strong>in</strong> Mensch<br />

empf<strong>in</strong>det, <strong>der</strong> nur die natürlichen Gesetze kennt und sich e<strong>in</strong>em Ereignis gegenübersieht, das den<br />

Ansche<strong>in</strong> des Übernatürlichen hat.“ 9<br />

Gerhard Bauer kommentiert Todorovs Unschlüssigkeitsbed<strong>in</strong>gung folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

„Todorov selbst hat darauf verwiesen, dass es nicht viele Werke <strong>der</strong> <strong>Phantastik</strong> gibt, <strong>in</strong> denen das<br />

Übernatürliche=Wun<strong>der</strong>bare und das Noch-nicht-Erklärte=`Seltsame´ o<strong>der</strong> `Unheimliche´ e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> so<br />

die Waage halten, wie er es verlangt. Als heuristische Figur aber beschreibt die `Unschlüssigkeit´ e<strong>in</strong><br />

ideales Verhalten gegenüber <strong>der</strong>lei Phänomenen. Beide Seiten – die Erklärung wie die Unerklärbarkeit,<br />

die Vere<strong>in</strong>nahmung wie <strong>der</strong> Abstand – sollten gelten, ke<strong>in</strong>e darf die an<strong>der</strong>e ausschalten. Mit<br />

`Unschlüssigkeit´ ist angezeigt, dass es an sich am Betrachter läge, e<strong>in</strong>e Entscheidung herbeizuführen,<br />

aber mit <strong>der</strong> Entscheidung wäre das Phänomen, das irritiert hat, weg o<strong>der</strong> tot, gleichgültig.“ 10<br />

Zur weiteren Bed<strong>in</strong>gung des Phantastischen macht Todorov, dass für das Ereignis, über das<br />

Unschlüssigkeit besteht, ke<strong>in</strong>e poetische o<strong>der</strong> allegorische Lesart 11 existiert.<br />

Todorovs Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong> phantastischen Literatur ist sicher die meistverwendete, aber auch<br />

e<strong>in</strong>e oft und heftig kritisierte. Das Argument, das Re<strong>in</strong> Zon<strong>der</strong>geld gegen Todorov <strong>in</strong>s Feld<br />

führt, ist e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> häufigsten: „Diese von Stanislaw Lem zu Recht kritisierte Def<strong>in</strong>ition führt<br />

<strong>in</strong> ihrer Konsequenz zu e<strong>in</strong>er so großen E<strong>in</strong>engung des Begriffes, daß er sich selbst, auch<br />

wenn dies paradox ersche<strong>in</strong>en mag, aufzulösen droht.“ 12<br />

8 vgl. Todorov,S.31ff.<br />

Die handelnden Figuren müssen nicht zw<strong>in</strong>gend Unschlüssigkeit empf<strong>in</strong>den (vgl. S.32f).<br />

9 Todorov, S.26.<br />

10 Gerhard Bauer: Das fortdauernde Aufschweben <strong>der</strong> Phantasie; se<strong>in</strong>e zunehmenden äußeren und <strong>in</strong>neren<br />

H<strong>in</strong><strong>der</strong>ungsgründe. In: Ders. und Robert Stockhammer (Hrsg.): Möglichkeitss<strong>in</strong>n. Phantasie und <strong>Phantastik</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erzählliteratur des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Wiesbaden 2000, S.9-20. Hier: S.18.<br />

11 vgl. Todorov, S.32f.<br />

12 Re<strong>in</strong> A. Zon<strong>der</strong>geld: Lexikon <strong>der</strong> phantastischen Literatur. Frankfurt/Ma<strong>in</strong> 1983, S.11f.<br />

Zon<strong>der</strong>geld selbst bleibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Def<strong>in</strong>ition reichlich kryptisch:<br />

„Was wir als phantastisch bezeichnen, ist nichts weiter als e<strong>in</strong>e bis <strong>in</strong> ihre äußerste, d.h. utopische<br />

Konsequenz vollzogene Realistik, die das, was wir geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> als realistisch bezeichnen, geradezu<br />

phantastisch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Verkürzung ersche<strong>in</strong>en läßt.“ (S.12).<br />

Er benennt auch e<strong>in</strong> Problem: „E<strong>in</strong> vorläufiges Ende <strong>der</strong> Diskussion um den Begriff des Phantastischen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur ist nicht abzusehen, wobei die Hauptschwierigkeit, die auch von mehreren Theoretikern<br />

erkannt wurde, weiterh<strong>in</strong> dar<strong>in</strong> bestehen wird, daß man, damit man zu e<strong>in</strong>er Def<strong>in</strong>ition gelangt, zuerst e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Zahl von literarischen Werken auswählen muß, aber daß gerade das ja schon e<strong>in</strong>e wie auch<br />

immer geartete Def<strong>in</strong>ition voraussetzt.“ (S.12f).<br />

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