Phantastik in der Postmoderne: David Lynchs `twin Peaks´

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26.11.2012 Aufrufe

Coopers ein Riese (F8a, 07:45ff). Erscheinen darf hier im Wortsinne verstanden werden, denn das Auf- und Abtreten des Riesen wird durch einen je zweimaligen Beleuchtungswechsel (das Führungslicht wird heruntergedimmt, eine den Riesen illuminierende Lichtquelle heraufgedimmt; am Ende der Szene verhält es sich umgekehrt) und ein Einblenden des eintretenden /Ausblenden des abtretenden Riesen, der dadurch wie aus dem Nichts zu kommen scheint, filmtechnisch gerahmt und damit von dem zwar merkwürdigen, aber ohne Frage realen Auftritt des Kellners abgehoben. Zu dieser Unterscheidung trägt auch die in der nächsten Einstellung folgende extreme Untersicht des Riesen und eine die ganze `Riesenszene´ währende Klanguntermalung – ein ununterbrochener hoher und heller Cluster, begleitet von leisen, dumpf-metallischen Schlägen - bei. Der Riese gibt Cooper vier seltsame und rätselhafte Hinweise, die ihm bei seinen Ermittlungen helfen sollen: „Du siehst einen Mann in einem lächelnden Beutel. Die Eulen sind nicht, was sie scheinen. Ohne seine Chemikalien zeigt er auf ihn.“ „[Der Lastwagenfahrer] Leo [Johnson] ist in einem hungrigen Pferd eingesperrt.“ Das zweite Rätsel, „die Eulen sind nicht, was sie scheinen“, ist für Anne Jerslev Ausdruck einer Grundkonstante der Filme Lynchs: „`The owls are not what they seem´ sagt in `Twin Peaks´ der Riese zu Dale Cooper, der angeschossen worden ist und blutend auf dem Fußboden in seinem Hotelzimmer liegt. Dale Cooper wird deutlich gemacht: `Nothing is what it seems´, nichts ist so, wie es in einer unmittelbaren Betrachtung aussieht. Diese erkenntnistheoretisch ziemlich banale Lebensweisheit über die Komplexität der Wirklichkeit und die verdeckten Räume unter der Oberfläche ist gleichzeitig, visuell verstanden, das lodernde Feuer, aus dem alle Filme Lynchs Form und Inhalt schöpfen und aus dem sie die Entladungen oft erschreckender Energien holen.“ 62 Bevor er Cooper verläßt, zieht ihm der Riese seinen Ring vom Finger, mit dem Versprechen, ihn Cooper zurückzugeben, wenn alle Ereignisse eingetreten seien. Wieder steht der Zuschauer vor der Wahl: Traum/ durch schwere Verletzung hervorgerufene Halluzination Coopers oder wunderbare Erscheinung/ Manifestation evtl. einer der im Wald verorteten bösen entgegenwirkenden guten Wesenheit? Auf den ersten Blick scheint die Szenerie sehr wunderbar und auch der Umstand, dass Vorkommnisse, auf die der Riese mit seinen Rätseln hinweist, nach und nach eintreffen, unterstützt diese Sichtweise. Aber wie schon bei Coopers Traum könnte man für eine realistische Deutung auch in diesem Fall auf den Zufall (es stellt sich heraus (F8a, 33:00), dass Leo in einem Ort namens Hungry Horse im Gefängnis eingesperrt war und damit ein Alibi für den Tag hat, an dem Lauras Vorgängeropfer Teresa Banks ermordet wurde) oder auf den `selbsterfüllenden´ Charakter der Vorraussagen des Riesen verweisen (Cooper sieht in den Falten von Jacques Renauds 62 Jerslev, S.27. 16

Leichensack, der zum Trocknen aufgehängt ist, ein Lächeln (F8b, 10:30), weil er nach einem lächelnden Beutel sucht). Als Indiz für eine realistische Interpretation der Szene lässt sich das Aussehen des Riesen werten. Er trägt ähnliche Kleidung wie der Kellner kurz zuvor – weißes Hemd, schwarze Hose, Fliege – und auch die Kahlköpfigkeit und die Größe läßt den Riesen wie eine verzerrte Spiegelung des Kellners erscheinen. So ließe sich der Riese als eine vom Kellner `inspirierte´ Halluzination des verletzten Coopers erklären. (Dafür, dass Cooper durch den Mordversuch geistig etwas derangiert wurde, spricht auch sein Ausspruch (F8a, 16:30): „Ich wünschte, ich hätte die Entführung des Lindbergh Babys aufklären können“). Auch der letzte Satz des Riesen vor seinem Verschwinden verleiht der seltsamen Erscheinung mit ihren rätselhaften Aussagen eine ironische Brechung und rückt sie in Richtung handfester und prosaischer Realität: „Du musst bald medizinisch versorgt werden.“ Cooper selbst liefert in Folge 8b eine realistische Erklärung für die Riesenerscheinung, als er seiner Sekretärin Diane einen Bericht über die letzten Vorkommnisse auf sein Diktiergerät spricht (F8b, 38:28): „Ich bin hundemüde. Ein Mensch kann nur so und so lange durchhalten, dann braucht er eine Phase der Rekreation. Immerhin konnten wir durch Experimente an amerikanischen GIs im Koreakrieg erfahren, dass man bei Schlafentzug unvermeidbar irgendwann eine Psychose entwickelt und ich arbeite ohne Pause seit zwei Tagen. Gestern nacht war ich schon so durchgedreht, als ich hier auf dem Boden lag und mich fragte, wie es wohl weitergeht, dass ich dachte, es stände ein Riese in meinem Zimmer.“ Kaum hat Lynch dem Zuschauer über Cooper diese Erklärung nahegelegt, relativiert er sie sofort wieder und stabilisiert die Ungewissheit über die Natur des Riesen durch zwei Punkte: Cooper hat das Diktiergerät ausgeschaltet, das Licht gelöscht, schon steht der Riese wieder im Zimmer, diesmal jedoch – erste Stabilisierung der Ungewissheit - in einer veränderten Mise-en-scéne (F8b, 41:30): Wie bei seinem ersten Auftritt wird das Erscheinen des Riesen von einem zweimaligen Beleuchtungswechsel begleitet. Doch vor diesem nun schon gewohnten Ablauf sehen wir noch im schwachen Führungslicht in Coopers abgedunkeltem Zimmer in einer Nahaufnahme die Hand des Riesen, die sich vor Coopers geschlossenen Augen wie zur Prüfung über dessen Wachheitszustand hin- und herbewegt. Erst dann zeigt Lynch das Zimmer in der Totalen und der `eigentliche´ Auftritt des Riesen vollzieht sich. Die zweite Stabilisierung der Ungewissheit findet im Dialog statt: Der Riese begrüßt Cooper mit den Worten: „Entschuldige, wenn ich dich wecke.“ Cooper setzt sich im Bett auf und antwortet: „Ich weiß, ich träume nicht.“ (F8b, 42:10). Auch der Abgang des Riesen weicht von seinem ersten Besuch ab, er wird um eine übernatürliche Komponente erweitert : Der Riese `schießt´ eine Art Lichtball auf Cooper ab, das Zimmer verdunkelt sich wieder und Cooper sinkt in sein Kissen zurück. Die Erscheinung des Riesen findet noch kurze Erwähnungen in den Folgen 9 und 10. In beiden Fällen wird sie von Coopers Kollegen Albert 17

Coopers e<strong>in</strong> Riese (F8a, 07:45ff). Ersche<strong>in</strong>en darf hier im Worts<strong>in</strong>ne verstanden werden,<br />

denn das Auf- und Abtreten des Riesen wird durch e<strong>in</strong>en je zweimaligen<br />

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aus dem Nichts zu kommen sche<strong>in</strong>t, filmtechnisch gerahmt und damit von dem zwar<br />

merkwürdigen, aber ohne Frage realen Auftritt des Kellners abgehoben. Zu dieser<br />

Unterscheidung trägt auch die <strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten E<strong>in</strong>stellung folgende extreme Untersicht des<br />

Riesen und e<strong>in</strong>e die ganze `Riesenszene´ währende Klanguntermalung – e<strong>in</strong><br />

ununterbrochener hoher und heller Cluster, begleitet von leisen, dumpf-metallischen<br />

Schlägen - bei. Der Riese gibt Cooper vier seltsame und rätselhafte H<strong>in</strong>weise, die ihm bei<br />

se<strong>in</strong>en Ermittlungen helfen sollen: „Du siehst e<strong>in</strong>en Mann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em lächelnden Beutel.<br />

Die Eulen s<strong>in</strong>d nicht, was sie sche<strong>in</strong>en. Ohne se<strong>in</strong>e Chemikalien zeigt er auf ihn.“ „[Der<br />

Lastwagenfahrer] Leo [Johnson] ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hungrigen Pferd e<strong>in</strong>gesperrt.“<br />

Das zweite Rätsel, „die Eulen s<strong>in</strong>d nicht, was sie sche<strong>in</strong>en“, ist für Anne Jerslev Ausdruck<br />

e<strong>in</strong>er Grundkonstante <strong>der</strong> Filme <strong>Lynchs</strong>:<br />

„`The owls are not what they seem´ sagt <strong>in</strong> `Tw<strong>in</strong> <strong>Peaks´</strong> <strong>der</strong> Riese zu Dale Cooper, <strong>der</strong> angeschossen<br />

worden ist und blutend auf dem Fußboden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Hotelzimmer liegt. Dale Cooper wird deutlich<br />

gemacht: `Noth<strong>in</strong>g is what it seems´, nichts ist so, wie es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er unmittelbaren Betrachtung aussieht.<br />

Diese erkenntnistheoretisch ziemlich banale Lebensweisheit über die Komplexität <strong>der</strong> Wirklichkeit und<br />

die verdeckten Räume unter <strong>der</strong> Oberfläche ist gleichzeitig, visuell verstanden, das lo<strong>der</strong>nde Feuer, aus<br />

dem alle Filme <strong>Lynchs</strong> Form und Inhalt schöpfen und aus dem sie die Entladungen oft erschrecken<strong>der</strong><br />

Energien holen.“ 62<br />

Bevor er Cooper verläßt, zieht ihm <strong>der</strong> Riese se<strong>in</strong>en R<strong>in</strong>g vom F<strong>in</strong>ger, mit dem Versprechen,<br />

ihn Cooper zurückzugeben, wenn alle Ereignisse e<strong>in</strong>getreten seien.<br />

Wie<strong>der</strong> steht <strong>der</strong> Zuschauer vor <strong>der</strong> Wahl: Traum/ durch schwere Verletzung hervorgerufene<br />

Halluz<strong>in</strong>ation Coopers o<strong>der</strong> wun<strong>der</strong>bare Ersche<strong>in</strong>ung/ Manifestation evtl. e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> im Wald<br />

verorteten bösen entgegenwirkenden guten Wesenheit? Auf den ersten Blick sche<strong>in</strong>t die<br />

Szenerie sehr wun<strong>der</strong>bar und auch <strong>der</strong> Umstand, dass Vorkommnisse, auf die <strong>der</strong> Riese mit<br />

se<strong>in</strong>en Rätseln h<strong>in</strong>weist, nach und nach e<strong>in</strong>treffen, unterstützt diese Sichtweise. Aber wie<br />

schon bei Coopers Traum könnte man für e<strong>in</strong>e realistische Deutung auch <strong>in</strong> diesem Fall auf<br />

den Zufall (es stellt sich heraus (F8a, 33:00), dass Leo <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ort namens Hungry Horse<br />

im Gefängnis e<strong>in</strong>gesperrt war und damit e<strong>in</strong> Alibi für den Tag hat, an dem Lauras<br />

Vorgängeropfer Teresa Banks ermordet wurde) o<strong>der</strong> auf den `selbsterfüllenden´ Charakter<br />

<strong>der</strong> Vorraussagen des Riesen verweisen (Cooper sieht <strong>in</strong> den Falten von Jacques Renauds<br />

62 Jerslev, S.27.<br />

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