Die Geschichte der Zürcher Augenklinik von 1907 bis 2007 - ophta

Die Geschichte der Zürcher Augenklinik von 1907 bis 2007 - ophta Die Geschichte der Zürcher Augenklinik von 1907 bis 2007 - ophta

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71Die Geschichte der Zürcher Augenklinik von 1907 bis 2007Dana M. Landau, Francis Bigar, Klara LandauOtto HaabIm Gründungsjahr der Schweizerischen OphthalmologischenGesellschaft 1907 ist Prof. OttoHaab (1850–1931) Leiter der 1862 gegründetenAugenklinik des Kantonsspitals in Zürich (Abb.1). Seit 1885 leitet er während insgesamt 33 Jahrendie Klinik als Ordinarius der Universität fürOphthalmologie. In denselben zwei bescheidenenKrankensälen, mit denen sein Vorgänger und ersterProfessor für Ophthalmologie in Zürich, Prof.Friedrich Horner (Abb. 2), 1862 die Klinik in Betriebnahm und in denen der Augenklinik je 10Betten zur Verfügung stehen, werden rund 350Patienten pro Jahr behandelt.Haab gilt als Meister der minutiösen Untersuchungdes vorderen Augenabschnitts und desZeichnens der erhobenen Befunde. Er beschreibtdie Einrisse der Descemet-Membran an der Hornhautbei angeborenem Glaukom: Diese gehen alsHaab’sche Linien in die Literatur ein. Neben dergittrigen Hornhautdystrophie beschreibt er in einerklassischen Monographie die Operationenbei Fremdkörperverletzungen des Auges. Dervon ihm erbaute Riesenmagnet wird 1894 eingeführt(Abb. 3), sicherlich Haabs grösste Leistungauf operativem Gebiet. Die neue Apparatur undsein Geschick erlauben es, Fremdkörper bei Umgehungder Linse und Schonung des Ziliarkörpersaus der Tiefe des Auges in die Vorderkammer zuziehen. Haab ist bekannt als meisterhafter Chirurg,der das Starmesser sowohllinks- als auch rechtshändigführen kann.Durch diese klinischen Errungenschaftenwie auch durchHaabs Forschung am vorderenAugenabschnitt und seinen«Atlas für Ophthalmoskopie»erlangt die bescheideneZürcher Klinik Weltruhm.Der bedeutende Beitrag Haabszur modernen Ophthalmologiewird dank seiner Assistentenin die Welt getragen. Unteranderem ist auch der ZürcherPhysiologe und Nobelpreisträgerdes Jahres 1949 Walter RudolfHess sein Assistent.Abb. 1 Prof. Otto Haab,Direktor der Augenklinik1885–1919Abb. 3 Prof. Haab bei der Extraktion einesmetallischen intraokulären Fremdkörpersmittels selbst entwickeltem RiesenmagnetenAbb. 2 Prof. FriedrichHorner, erster Direktor derAugenklinik 1862–1885Haab arbeitet meistens mit einem Assistenten proJahr, ab 1897 stehen ihm zwei Assistentenstellenzur Verfügung und 1899 drei. Ab 1903 wirdeine Oberarztstelle geschaffen, die auch die Leitungder Poliklinik umfasst. Diese Stelle wird vonErnst Sidler-Huguenin, Haabs späterem Nachfolgerund Direktor ab 1919, übernommen.Ein grosses Ereignis der Ära Haab ist der Umzugin die neue Augenklinik an der Rämistrasse73 (Abb. 4). Der Klinikdirektor arbeitet seit Anfangder neunziger Jahre strebsam am Entwurfder neuen Klinik, den er 1893 der Ärztegesellschaftvon Zürich präsentiert. Das Personal ziehtmit 25 Patienten 1895 in die neu erbaute Augenklinikein.In der neuen Klinik nimmtauch die Anzahl stationärerPatienten sofort zu. Sie steigtbis 1899 auf 730 Patientenjährlich. Das Klinikpersonalbesteht aus zwei bis drei Assistenzärzten,acht Neumünsterschwestern,einem Portierund Heizer und zwei Hausmägden.Ernst Sidler-Huguenin1919 wird Prof. Haab emeritiert.Ihm folgt im selbenJahr sein langjähriger StellvertreterPD Ernst Sidler-Huguenin(1869–1922) (Abb. 5).Sidler wird 1921 Ordinarius,

71<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Augenklinik</strong> <strong>von</strong> <strong>1907</strong> <strong>bis</strong> <strong>2007</strong>Dana M. Landau, Francis Bigar, Klara LandauOtto HaabIm Gründungsjahr <strong>der</strong> Schweizerischen OphthalmologischenGesellschaft <strong>1907</strong> ist Prof. OttoHaab (1850–1931) Leiter <strong>der</strong> 1862 gegründeten<strong>Augenklinik</strong> des Kantonsspitals in Zürich (Abb.1). Seit 1885 leitet er während insgesamt 33 Jahrendie Klinik als Ordinarius <strong>der</strong> Universität fürOphthalmologie. In denselben zwei bescheidenenKrankensälen, mit denen sein Vorgänger und ersterProfessor für Ophthalmologie in Zürich, Prof.Friedrich Horner (Abb. 2), 1862 die Klinik in Betriebnahm und in denen <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong> je 10Betten zur Verfügung stehen, werden rund 350Patienten pro Jahr behandelt.Haab gilt als Meister <strong>der</strong> minutiösen Untersuchungdes vor<strong>der</strong>en Augenabschnitts und desZeichnens <strong>der</strong> erhobenen Befunde. Er beschreibtdie Einrisse <strong>der</strong> Descemet-Membran an <strong>der</strong> Hornhautbei angeborenem Glaukom: <strong>Die</strong>se gehen alsHaab’sche Linien in die Literatur ein. Neben <strong>der</strong>gittrigen Hornhautdystrophie beschreibt er in einerklassischen Monographie die Operationenbei Fremdkörperverletzungen des Auges. Der<strong>von</strong> ihm erbaute Riesenmagnet wird 1894 eingeführt(Abb. 3), sicherlich Haabs grösste Leistungauf operativem Gebiet. <strong>Die</strong> neue Apparatur undsein Geschick erlauben es, Fremdkörper bei Umgehung<strong>der</strong> Linse und Schonung des Ziliarkörpersaus <strong>der</strong> Tiefe des Auges in die Vor<strong>der</strong>kammer zuziehen. Haab ist bekannt als meisterhafter Chirurg,<strong>der</strong> das Starmesser sowohllinks- als auch rechtshändigführen kann.Durch diese klinischen Errungenschaftenwie auch durchHaabs Forschung am vor<strong>der</strong>enAugenabschnitt und seinen«Atlas für Ophthalmoskopie»erlangt die bescheidene<strong>Zürcher</strong> Klinik Weltruhm.Der bedeutende Beitrag Haabszur mo<strong>der</strong>nen Ophthalmologiewird dank seiner Assistentenin die Welt getragen. Unteran<strong>der</strong>em ist auch <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong>Physiologe und Nobelpreisträgerdes Jahres 1949 Walter RudolfHess sein Assistent.Abb. 1 Prof. Otto Haab,Direktor <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong>1885–1919Abb. 3 Prof. Haab bei <strong>der</strong> Extraktion einesmetallischen intraokulären Fremdkörpersmittels selbst entwickeltem RiesenmagnetenAbb. 2 Prof. FriedrichHorner, erster Direktor <strong>der</strong><strong>Augenklinik</strong> 1862–1885Haab arbeitet meistens mit einem Assistenten proJahr, ab 1897 stehen ihm zwei Assistentenstellenzur Verfügung und 1899 drei. Ab 1903 wirdeine Oberarztstelle geschaffen, die auch die Leitung<strong>der</strong> Poliklinik umfasst. <strong>Die</strong>se Stelle wird <strong>von</strong>Ernst Sidler-Huguenin, Haabs späterem Nachfolgerund Direktor ab 1919, übernommen.Ein grosses Ereignis <strong>der</strong> Ära Haab ist <strong>der</strong> Umzugin die neue <strong>Augenklinik</strong> an <strong>der</strong> Rämistrasse73 (Abb. 4). Der Klinikdirektor arbeitet seit Anfang<strong>der</strong> neunziger Jahre strebsam am Entwurf<strong>der</strong> neuen Klinik, den er 1893 <strong>der</strong> Ärztegesellschaft<strong>von</strong> Zürich präsentiert. Das Personal ziehtmit 25 Patienten 1895 in die neu erbaute <strong>Augenklinik</strong>ein.In <strong>der</strong> neuen Klinik nimmtauch die Anzahl stationärerPatienten sofort zu. Sie steigt<strong>bis</strong> 1899 auf 730 Patientenjährlich. Das Klinikpersonalbesteht aus zwei <strong>bis</strong> drei Assistenzärzten,acht Neumünsterschwestern,einem Portierund Heizer und zwei Hausmägden.Ernst Sidler-Huguenin1919 wird Prof. Haab emeritiert.Ihm folgt im selbenJahr sein langjähriger StellvertreterPD Ernst Sidler-Huguenin(1869–1922) (Abb. 5).Sidler wird 1921 Ordinarius,


72 <strong>Die</strong> Klinikenkurz vor Beginn seiner schweren Erkrankung,die seiner Tätigkeit als Klinikleiter Ende 1922 einplötzliches Ende bereitet. Sidler hat nie die Gelegenheit,<strong>der</strong> Klinik seine persönliche Prägung zugeben. Er stirbt mit erst 53 Jahren. Erinnert wir<strong>der</strong> dank seiner wissenschaftlichen Tätigkeit undals hervorragen<strong>der</strong>, bei seinen Schülern beliebterLehrer.Alfred Vogt1923 tritt Prof. Alfred Vogt (1879–1943) (Abb.6) vom Basler Lehrstuhl die Nachfolge als Leiter<strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Augenklinik</strong> an. <strong>Die</strong> ZwanzigerJahre sind gekennzeichnet durch die Errichtungeines Laboratoriums und dessen Ausstattung mitMikrophonapparatur und Instrumenten zur experimentellenErforschung <strong>der</strong> Strahlenwirkungauf das Auge, die Anstellung des Zeichners RudolfBregenzer sowie die Errichtung eines wissenschaftlichenLaboratoriums mit Anstellung einerLaborantin, Frl. Emma Thalmann. All dies zeugt<strong>von</strong> Vogts Fokus auf Forschung, <strong>der</strong> sich in seinergesamten Zeit als Klinikdirektor fortsetzt.Mit <strong>der</strong> Einschleppung des Trachoms <strong>von</strong> italienischenArbeitern wird das Problem <strong>der</strong> mangelndenIsoliermöglichkeiten für infektiöse Patientendeutlich. Daraufhin wird 1925 das Haus Pestalozzistrasse10 <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong> zur Verfügunggestellt. Mehrere Isolationszimmer werden 1928eingerichtet. Danach nimmt die Klinikfrequenzweiter zu, im Jahr 1926 werden schon 915 stationäreund 8104 ambulante Patienten behandelt,im Gegensatz zu 612 und 7590 im ersten Nachkriegsjahr1919. <strong>Die</strong> stets wachsende Anzahl Patientenund Operationen wi<strong>der</strong>spiegelt sich auch in<strong>der</strong> Personalpolitik: 1931 arbeitet Vogt mit einemKlinikpersonal bestehend aus einem Leiter <strong>der</strong>Poliklinik, einem Oberarzt, fünf regulären Assistentenund vier Volontärassistenten, einer Sekretärin,zwanzig Pflegeschwestern, einem ZeichnerAbb. 4: <strong>Die</strong> 1895 errichtete <strong>Augenklinik</strong> an <strong>der</strong> RämistrasseAbb. 5 Prof. Ernst Sidler-Huguenin, Direktor <strong>der</strong><strong>Augenklinik</strong> 1919–1922Abb. 6 Prof. Alfred Vogt,Direktor <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong>1923–1943und zwei Laborantinnen. <strong>Die</strong> Bettenzahl an <strong>der</strong>Pestalozzistrasse 10 wird <strong>bis</strong> 1932 weiterhin erhöht.Neben <strong>der</strong> regen klinischen Tätigkeit wird unterVogt fleissig Forschung betrieben. In seinen wissenschaftlichenArbeiten setzt er sich vor allemmit den Themen <strong>der</strong> Vererbung und Untersuchungstechnikauseinan<strong>der</strong>. Er untermauert zumBeispiel, dass Kurzsichtigkeit auf vererbter Anlageberuht. Es sind jedoch seine Befunde <strong>der</strong> Spaltlampenmikroskopie,die er in seinem «Lehrbuchund Atlas <strong>der</strong> Spaltlampenmikroskopie des lebendenAuges» festhält, durch die er internationaleAnerkennung erlangt.<strong>Die</strong>ses dreibändige Werk mit etwa 2000 Abbildungendes gesunden und kranken Auges istFrucht jahrelanger Forschung an <strong>der</strong> Spaltlampeund stärkt weiterhin den <strong>von</strong> seinen VorgängernHorner und Haab aufgebauten hervorragendenRuf <strong>der</strong> Klinik in aller Welt.<strong>Die</strong> eindrücklichen 235 persönlichen PublikationenVogts lassen sich wohl auf seinen eisernenWillen zurückführen, <strong>der</strong> ihn stets beharrlichund ruhelos lässt, <strong>bis</strong> sein Ziel erreicht ist. Erpflegt <strong>von</strong> früh morgens <strong>bis</strong> spät abends zu arbeiten.Für Ferien hat er kein Verständnis. Dass erdasselbe auch <strong>von</strong> seinen Mitarbeitern verlangt,zusammen mit seiner trockenen, wortkargen Art,macht ihm nicht nur Freunde. Er ist ein strenger,<strong>von</strong> vielen gefürchteter Chef, und später werdennoch unter Marc Amsler <strong>Geschichte</strong>n darüber erzählt,wie es in <strong>der</strong> Klinik unter Vogt zu und herging. So öffnet ihm zum Beispiel <strong>der</strong> Oberarztnach <strong>der</strong> Morgenvisite jeweils die Tür und begleitetihn ehrfürchtig zum Lift. <strong>Die</strong>ser fährt nachoben, während <strong>der</strong> Oberarzt schnell die Treppehinauf eilt, um noch vor dem Chef da zu sein und


<strong>Zürcher</strong> <strong>Augenklinik</strong>73diesen aus dem Lift zu geleiten. Je<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Klinikhat sich seiner Autorität vollständig unterzuordnen,und eine an<strong>der</strong>e Meinung als die seine zuäussern ist unter dem strengen und reserviertenProf. Vogt riskant.Zu erwähnen ist hier auch sein langjähriger OberarztDr. Hans Wagner, seit 1939 Leiter <strong>der</strong> Poliklinik,<strong>der</strong> 1941 zum Titularprofessor und StellvertreterVogts wird. Als sein Lehrer und Chef 1943aus Gesundheitsrücksichten zurücktritt, übernimmtWagner die Klinikleitung kommissarisch<strong>bis</strong> zum Antritt seines Nachfolgers. Vogt stirbtnoch im selben Jahr.Marc Amsler1943 wird Prof. Marc Amsler (1891–1968) (Abb. 7)nach Zürich berufen. Er verfügt schon über neunjährigeErfahrung als Nachfolger Jules Gonins aufdem Lausanner Lehrstuhl. <strong>Die</strong> Klinik wächst unterAmsler auf 55 Mitarbeiter, wobei jeweils neben demLeitenden Arzt <strong>der</strong> Poliklinik, Prof. Florian Verrey(1911–1976), Amslers engerem wissenschaftlichemMitarbeiter, noch ein Oberarzt, fünf <strong>bis</strong> sechs Assistentenund <strong>bis</strong> zu sechs Volontär- und Gastärzteaus aller Welt vertreten sind. <strong>Die</strong> Klinik hat alsoweiterhin internationale Anziehungskraft.1948 wird an <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong> Klinik erstmals eineOrthoptische Abteilung eröffnet. Ab 1949 wirddiese <strong>von</strong> einer diplomierten englischen Orthoptistingeleitet. Unter Amsler wird auch ein ophthalmopathologischesLabor eingerichtet.<strong>Die</strong> Personalentwicklung in <strong>der</strong> Nachkriegszeit isteher ruhig. Bei beständigem Arztpersonal nimmtjedoch die Zahl <strong>der</strong> Operationen stetig zu – imJahr 1948 sind es 836 Eingriffe. An <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong><strong>Augenklinik</strong> werden in den Fünfziger Jahren mo<strong>der</strong>neOperationen wie die intrakapsuläre Starextraktion,die Netzhautablösungnach dem Goninschen Prinzip desReissverschlusses, neue Techniken<strong>der</strong> Glaukom- und Schieloperationen,die Dakryozystorhinostomieund als jüngstes auch die Hornhautübertragung<strong>von</strong> <strong>der</strong> Leiche auf denlebenden Patienten durchgeführt.Als origineller Wissenschaftler beschäftigtsich Amsler seit 1929 mit<strong>der</strong> photographischen Dokumentationdes Keratokonus. Gemeinsammit seinen Schülern und MitarbeiternRené Florian Verrey und AlfredHuber führt er die diagnostischeVor<strong>der</strong>kammerpunktion ein.Abb. 7 Prof. Marc Amsler,Direktor <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong>1944–1961Im Vorfeld des Neubaus des Kantonsspitals beschliesstAmsler die Einglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong>in das neue Gesamtspital. Der Haabsche Bauaus dem Jahr 1895 genügt den Bedürfnissen <strong>der</strong>Klinik nicht mehr. Ausserdem überwiegt die Einsicht,dass die verschiedenen Spezialgebiete <strong>der</strong>Medizin idealerweise in regem Kontakt und Austauschstehen müssen, um gemeinsam in Klinikund Forschung die besten Resultate zu erzielen.Amsler vergleicht die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Ophthalmologiemit dem Heranwachsen eines Kindes, daszuerst seine Unabhängigkeit sucht, symbolisiertin <strong>der</strong> Anerkennung als eigenständiges, <strong>von</strong> <strong>der</strong>Chirurgie losgelöstes Fach, nicht zuletzt in einemeigenem Gebäude, und schliesslich zurückkehrtzum «väterlichen Haus», in dem sich nun alleSpezialgebiete <strong>der</strong> Medizin wie<strong>der</strong> zusammenfinden.<strong>Die</strong>se Analogie zeigt eindrücklich die Entwicklung<strong>der</strong> Ophthalmologie als «historisch erstemedizinische Spezialität».1952 zieht die <strong>Augenklinik</strong> also, ganz im Sinne<strong>der</strong> «Medizin des ganzen Menschen», gemeinsammit <strong>der</strong> Chirurgischen, <strong>der</strong> Inneren, <strong>der</strong> Neurologischen,<strong>der</strong> Neurochirurgischen und <strong>der</strong> Hals-Nasen-Ohrenklinik in den Neubau an <strong>der</strong> Rämistrasse100. Nachdem sich Amsler auch intensiv an<strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> Klinik beteiligt, lässt er über <strong>der</strong>Tür des Operationssaales die Inschrift «Primumnil nocere» eingravieren, eine Wi<strong>der</strong>spiegelungseiner persönlichen Einstellung zur Medizin.Für seine Menschenfreundlichkeit und Liebenswürdigkeitwird Marc Amsler sowohl <strong>von</strong> seinenPatienten als auch <strong>von</strong> seinen Schülern undMitarbeitern geschätzt. Er ist ein charmanterund herzlicher Chef, und er schafft in <strong>der</strong> Klinikdurch seine verständnisvolle Art eine einzigartigeAtmosphäre.Rudolf WitmerMit siebzig Jahren wird Prof. Amsler1961 emeritiert, worauf Prof.Rudolf Witmer (1919–1992) (Abb.8) seinen Platz auf dem <strong>Zürcher</strong>Lehrstuhl für Ophthalmologie einnimmt.Er bekommt sein Interessean <strong>der</strong> Ophthalmologie und seinGeschick im Umgang mit Augenpatientenbereits in die Wiege gelegt– seine Eltern waren Augenärztein Bern. Witmer ist Schülerund später Mitarbeiter <strong>von</strong> Prof.Hans Goldmann an <strong>der</strong> Berner Klinik.Er befasst sich dort und in den


<strong>Zürcher</strong> <strong>Augenklinik</strong>75Abb. 9 <strong>Die</strong> 1993 errichtete <strong>Augenklinik</strong> im Nord IIWitmer ist stets um die Fortbildung <strong>der</strong> Augenärztebemüht: bei seinem Amtsantritt führt erdie Postgraduate-Vorlesungen für die Assistentenund Oberärzte <strong>der</strong> Klinik ein. Sie werden auch<strong>von</strong> den nie<strong>der</strong>gelassenen Augenärzten <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong>Ophthalmologischen Gesellschaft und vielenKollegen umliegen<strong>der</strong> Kantone rege besucht.Dadurch entwickeln sich gute Kontakte mit denfrei praktizierenden Ärzten, ohne welche eine lebendigeKlinik nicht auskommen kann. 1964–1966 ist Witmer Präsident <strong>der</strong> SchweizerischenOphthalmologischen Gesellschaft (SOG). WeitereMitarbeiter <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong> Klinik bekleiden späterdas Amt des Präsidenten <strong>der</strong> SOG (Alfred Huber,Anne-Catherine Martenet, Peter Speiser).Der weitere Ausbau <strong>der</strong> eigenen Klinik leidet keineswegsunter <strong>der</strong> zusätzlichen Belastung <strong>von</strong>Witmer als Präsident <strong>der</strong> SOG und Dekan <strong>der</strong>medizinischen Fakultät <strong>von</strong> 1968 <strong>bis</strong> 1970. Witmerund seine Klinik prägen die schweizerischeOphthalmologie 1961–1985 entscheidend. <strong>Die</strong>Klinikmitglie<strong>der</strong> erhalten für ihre Leistungenzahlreiche ausländische Ehrungen. Rudolf Witmerund Alfred Huber werden die Ehrenmitgliedschaft<strong>der</strong> deutschen und österreichischen ophthalmologischenGesellschaften verliehen.<strong>Die</strong> <strong>von</strong> Amsler erbaute <strong>Augenklinik</strong> im Hauptgebäudedes Universitätsspitals erweist sich baldals zu klein. Witmer sieht die Lösung in einer Dezentralisierung<strong>der</strong> Augenheilkunde im Kantonmit Eröffnung <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong> im KantonsspitalWinterthur unter Ernst Landolt im Jahr 1969und <strong>der</strong> Augenabteilung im Stadtspital Triemli1971 unter Peter Speiser und später Silvio Lalived’Epinay und unterstützt dengrosszügigen Bau einer neuen <strong>Augenklinik</strong>in Luzern unter RudolfKern. Gegen Ende <strong>der</strong> Amtszeitschlägt die Regierung einen Neubau<strong>der</strong> Augen- und Ohrenklinikim Nordtrakt des Universitätsspitalsvor. Witmer hat Mühe, sich vollmit <strong>der</strong> Planung einer Klinik zu beschäftigen,<strong>der</strong>en Realisation er alsKlinikdirektor nicht mehr erlebenwird. Nach einem Vierteljahrhun<strong>der</strong>tKlinikleitung tritt er wegenden immer weiterreichenden staatlichenEingriffen in den Klinikbetriebzwei Jahre vor <strong>der</strong> gesetzlichfestgelegten Altersgrenze <strong>von</strong> seinemAmt zurück.Bal<strong>der</strong> GloorNach einem halbjährlichen Interregnum durchRudolf Klöti wird Bal<strong>der</strong> Gloor (geboren 1932)vom Lehrstuhl <strong>der</strong> Universitäts-<strong>Augenklinik</strong>Basel im Herbst 1985 nach Zürich berufen. SeinHauptforschungsgebiet ist das Glaukom. Gloorerkennt in <strong>der</strong> Tatsache, dass ein Drittel <strong>der</strong> heutigenAugenärztinnen und -ärzte in Praxis irgendwanndurch die <strong>Zürcher</strong> Universitäts-<strong>Augenklinik</strong>gehen, die grosse Bedeutung des UniversitätsspitalsZürich für die Weiterbildung desheutigen ophthalmologischen Nachwuchses.Schon in den letzten Jahren <strong>der</strong> Ära Witmer, alsin <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong> bereits 121 Personen arbeiten,beginnen die Mittel gekürzt zu werden, und esherrscht grundsätzlich Personalstopp.Trotz knapper Mittel nehmen die Leistungenan <strong>der</strong> Klinik in <strong>der</strong> Ära Gloor weiter zu: während1985 noch 1’776 Operationen vorgenommenwerden, sind es 1998 bereits 2’676. Wie an zahlreichenan<strong>der</strong>en Universitäts-<strong>Augenklinik</strong>en erlebtauch die <strong>Zürcher</strong> Klinik eine zunehmendeWandlung in Richtung Subspezialisierung inverschiedene Gebiete <strong>der</strong> Ophthalmologie. ElmarMessmer übernimmt 1988 als Nachfolger<strong>von</strong> Rudolf Klöti das Extraordinariat für vitreoretinaleErkrankungen und wird im Rahmen <strong>von</strong>Bleibeverhandlungen, nachdem er den Ruf an dieEssener Universitäts-<strong>Augenklinik</strong> ablehnt, 1998zum Ordinarius ad personam ernannt. <strong>Die</strong> <strong>von</strong>Josef Lang, einem Strabologen mit grosser internationalerAusstrahlung, konsiliarisch geleiteteOrthoptische Abteilung wird seit 1991 <strong>von</strong>Klara Landau übernommen, die gleichzeitig die


76 <strong>Die</strong> KlinikenNeuro-Ophthalmologie und die Kin<strong>der</strong>ophthalmologiein einer Einheit an <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong> integriert.Nach dem Rücktritt <strong>von</strong> Anne CatherineMartenet wird die Leitung <strong>der</strong> Poliklinik 1994an Yves Robert übertragen. Prof. Robert beschäftigtsich als ehemaliger Schüler Goldmanns forschungsmässigmit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>von</strong> neuenGeräten wie z.B. zur Augendruckmessung,was sich in Publikationen und Patenten nie<strong>der</strong>schlägt.Gloor schafft es, trotz <strong>der</strong> knappen Mittel für dieKlinik eine weitere leitende Arztstelle, die Stelleeines wissenschaftlichen Mitarbeiters und einehalbe Assistentenstelle für die Übernahme <strong>der</strong>Augenbank durch das Universitätsspital <strong>von</strong> <strong>der</strong>ausgeschöpften Bruppacherstiftung zu erlangen.<strong>Die</strong> Forschungsstellen Niemeyers und Reméswerden ausgebaut, beide werden zu persönlichenExtraordinarii ernannt. Mit den SchwerpunktenUveitis, Erkrankungen <strong>der</strong> Netzhaut, Hornhaut,Glaukom und Neuro-Ophthalmologie hält die<strong>Augenklinik</strong> in <strong>der</strong> klinischen Forschung an <strong>der</strong>internationalen Spitze mit.Anfang <strong>der</strong> Neunziger Jahre ist Gloor Dekan <strong>der</strong>Medizinischen Fakultät und definiert mit Lernzielkatalogenpraxisnahe und zeitgemässe ophthalmologischeAusbildungsziele. Er spielt aucheine Vorreiterrolle bei <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> BoardExaminations des International Council of Ophthalmology,in dem er während vieler Jahre alsTreasurer wichtige <strong>Die</strong>nste leistet. Ausserdemist er jahrzehntelanger Mitherausgeber <strong>der</strong> «KlinischenMontasblätter für Augenheilkunde». Beiseiner Emeritierung kann er auf stolze rund 250Publikationen zurückblicken.Ein grosses Ereignis <strong>der</strong> Ära Gloor ist ein weitererUmzug <strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong> im Jahr 1993 in denNordtrakt II (Abb. 9). <strong>Die</strong> wichtigste Verbesserungim grosszügigen Neubau sind die vier Operationssälemit an Deckenstativen aufgehängtenOperationsmikroskopen. Nun ist auch eine Steigerung<strong>der</strong> Eingriffe ohne mehr Personal im Operationstraktmöglich.Ab 20001999 wird Prof. Gloor emeritiert, und das <strong>Zürcher</strong>Ordinariat für Augenheilkunde wird im Januar2000 an den refraktiven HornhautchirurgenTheo Seiler (geboren 1949) aus Dresden übergeben.Er ist <strong>der</strong> erste nicht-schweizerische Direktor<strong>der</strong> <strong>Augenklinik</strong>. Bald nach seinem Amtsantrittkommt es zu einem Exodus <strong>von</strong> ärztlichen Mitarbeitern<strong>der</strong> Universitäts-<strong>Augenklinik</strong> Zürichan die ausgebaute <strong>Augenklinik</strong> des StadtspitalsTriemli mit Elmar Messmer an <strong>der</strong> Spitze. <strong>Die</strong> Patientenzahlensind in dieser unruhigen Zeit starkrückläufig. Ein Jahr später tritt Seiler vom Ordinariatund <strong>der</strong> damit verbundenen Direktion <strong>der</strong>Klinik zurück.Während dreieinhalb Jahren leitet Klara Landau(geboren 1953) interimistisch die <strong>Zürcher</strong> <strong>Augenklinik</strong>,<strong>bis</strong> sie 2005 auf den <strong>Zürcher</strong> Lehrstuhlfür Ophthalmologie berufen wird. Somit ist siedie erste Frau an <strong>der</strong> Spitze einer <strong>Augenklinik</strong> in<strong>der</strong> Schweiz. Mit ihrem internationalen Hintergrund(geboren in Prag, Ausbildung in Zürich,Israel und den USA), gekoppelt mit <strong>der</strong> Kenntnis<strong>der</strong> lokalen Bedürfnisse und dem Vertrauen, welchesihr <strong>von</strong> den nie<strong>der</strong>gelassenen Ärzten entgegengebrachtwird, bringt sie es mit ihrem Teamfertig, die Geschicke <strong>der</strong> Klinik wie<strong>der</strong> ins Lot zubringen. <strong>Die</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen für ihre Amtszeitunterscheiden sich nicht wesentlich <strong>von</strong> denenihrer Vorgänger. Es gilt die personellen undstrukturellen Gegebenheiten an <strong>der</strong> Klinik so zugestalten, dass die miteinan<strong>der</strong> eng verknüpftendrei wichtigsten Aufgaben einer universitären<strong>Augenklinik</strong>, nämlich die Patientenbetreuung,die Forschung, sowie die Aus- und Weiterbildung,auf hohem Niveau, kreativ und nachhaltigweiter entwickelt werden.Quellen:<strong>Zürcher</strong> Spitalgeschichte Band IIHerausgegeben vom Regierungsrat des KantonsZürich – Zürich 1951Kapitel 12, Chronik <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong> <strong>Augenklinik</strong>Prof. Dr. med. Marc Amsler, pp. 353–364<strong>Zürcher</strong> Spitalgeschichte Band IIIHerausgegeben vom Regierungsrat des KantonsZürich – Zürich, 1.1.2000Kapitel 6.4.4, <strong>Die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Zürcher</strong>Universitäts-<strong>Augenklinik</strong> 1950–1990Prof. Dr. med. Bal<strong>der</strong> Gloor, pp. 487–506Küchle H.J.:<strong>Augenklinik</strong>en deutschsprachiger Hochschulenund ihre Lehrstuhlinhaber im 19. und20. Jahrhun<strong>der</strong>t, Biermann Verlag, Köln 2005

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