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Politik im öffentlichen Raum

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<strong>Politik</strong> <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong>Der öffentliche <strong>Raum</strong> als Lern-Ort politischer BildungFriedrich Öhl und Christian Vielhaber1


InhaltsverzeichnisFachwissenschaftliche Einführung in den Themenbereich 4Der Begriff „Öffentlicher <strong>Raum</strong>“ 4(Öffentliche) Räume als (fach)didaktisches Medium 4Die D<strong>im</strong>ension öffentlicher <strong>Raum</strong> auf der Maßstabsebene 6Die D<strong>im</strong>ension öffentlicher <strong>Raum</strong> auf der Funktionsebene 6Kein Lernprozess ohne (fach)didaktische Grundlegung 8Didaktische Vermittlungsinteressen und fachdidaktischeBezüge 9Ausgewählte inhaltliche Problemperspektiven <strong>im</strong> Zusammenhang mitöffentlichen Räumen 10Der öffentliche <strong>Raum</strong> als Lern-Ort politischer Bildung (Unterrichtsbeispiele) 11Politische Sachkompetenz 11Politische Methodenkompetenz 12Politische Urteilskompetenz 12Politische Handlungskompetenz 12Ausgewählte Unterrichtseinheiten zum Problembereich politische Bildung undöffentlicher <strong>Raum</strong> 13Lehrplanbezüge 13Repräsentation von Herrschaft / Beispiel 1 14Zentrales Lernziel 14Nachgeordnete Lernziele 14Inhalt 15Stadtplanung zwischen Architekturtheorie, Funktion und <strong>Politik</strong> die Anlagevon Städten 16Arbeitsaufgabe 16Der “Platz” <strong>im</strong> Zentrum 172


Arbeitsaufgabe 18Macht und Repräsentation am Beispiel Kaiserforum / Heldenplatz 18Aufgabenstellung 21Beispiel 2 21Was signalisieren personenbezogen Beschriftungen von Verkehrwegen <strong>im</strong>öffentlichen <strong>Raum</strong>? 21Lehrplanbezug 21Zentrales Lernziel 21Kurzbeschreibung nachgeordneter Lernziele 21Erforderliches Vorwissen 22Lernorganisation 22Sozialform 22Organisationsform 22Beispielbezogene Literatur 23Literatur 233


<strong>Politik</strong> <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong>Der öffentliche <strong>Raum</strong> als Lern-Ort politischer BildungFriedrich Öhl und Christian VielhaberFachwissenschaftliche Einführung in den ThemenbereichDer Begriff „Öffentlicher <strong>Raum</strong>“In gebotener Kürze soll auch der Begriff „Öffentlicher <strong>Raum</strong>“ problematisiert werden (publicspace, civic space). Weder in der deutschen noch in der angloamerikanischen Literatur gibt esklare Festlegungen, die diesen Begriff außer Streit stellen (Ramos 2009). Einige wenigeBeispiele genügen, um die diesbezügliche Problematik zu verdeutlichen: Verkehrsflächen,Straßen, Autobahnen, Parkplätze zählen <strong>im</strong> Verständnis der Stadtplanungsbehörden zuöffentlichen Räumen, nicht aber <strong>im</strong> Verständnis eines großen Teils der Bevölkerung, dieeinen öffentlichen <strong>Raum</strong> mit freier Zugänglichkeit für Menschen assoziiert. So werdenbeispielsweise Fußgängerzonen als Prototypen eines öffentlichen <strong>Raum</strong>s angesehen. Ebensowerden Parks von einer großen Mehrheit der Bevölkerung als öffentliche Räume empfunden,doch welchen diesbezüglichen Stellenwert erhält eine Wiese, deren Betreten verboten ist?Welche Etikette erhalten Einkaufszentren, die zwar öffentlich zugänglich sind, aber eindeutigprivates Eigentum darstellen? Wann wäre eine Unterscheidung zwischen einem öffentlichen<strong>Raum</strong> mit freiem Zugang und einem mit Zugang gegen Bezahlung erforderlich? Ist dieEtikette öffentlicher <strong>Raum</strong> möglicherweise nur dann zulässig, wenn es sich um einTerritorium handelt, das von Personen fußläufig und ohne Zugangsbarrieren wie etwaBezahlung eines Eintrittspreises und ähnliches genutzt werden kann? Es gibt noch eineMenge weiterer Ungere<strong>im</strong>theiten, letztlich geht es aber <strong>im</strong> Rahmen des Spannungsfeldes„öffentlicher <strong>Raum</strong>“ und „Politische Bildung“ nicht um die wissenschaftlich wasserdichteDefinition eines Begriffes als vielmehr um eine didaktisch angeleitete Auseinandersetzungmit Räumen, Orten oder Territorien, die von Personen als zumindest teilweise „öffentlich“ <strong>im</strong>Sinne einer tatsächlichen oder zumindest emotionalen individuellen Verfügbarkeit empfundenwerden, das heißt auch individuell erleb- und erfahrbar sind. Dabei geht es auch um jenePhänomene der Ideologisierung, der Fremdbest<strong>im</strong>mung, der Sozialisierung, der emotionalenAufladung, etc., die in Verbindung mit diesen Räumen stehen und unsere individuellenLebenswelten auf die eine oder andere Art bewusst oder unbewusst beeinflussen. GenerellesZiel dieser Auseinandersetzung <strong>im</strong> Sinne Politischer Bildung ist die Aufklärung hinsichtlichjener Klischees, Mythen, Geschichten, Symbolismen und Ideologien, die diesen Räumen<strong>im</strong>manent sind. Letztlich gipfelt eine solche Bemühung <strong>im</strong>mer in einer Spurensuche, diedarauf abzielt, herauszufinden, wie sich <strong>Raum</strong>geschichten und <strong>Raum</strong>bewertungen durchJahrzehnte und Jahrhunderte reproduzieren bzw. reproduzieren lassen. Dekonstruktion versusAkzeptanz könnte <strong>im</strong> Hinblick auf öffentliche Räume und ihre Einflüsse als didaktischesProblemfeld formuliert werden, das in den folgenden Ausführungen von verschiedenen Seitenaus betrachtet werden soll.(Öffentliche) Räume als (fach)didaktisches MediumDie Auseinandersetzung mit Räumen <strong>im</strong> Schulunterricht war - wie Lehrbuchanalysen belegen- bisher pr<strong>im</strong>är durch Trivialisierung einer an und für sich komplexen Problematikgekennzeichnet. Diese erfolgte vor allem dadurch, weil die entsprechenden medialenAufbereitungen linearen, überwiegend deskriptiven Vermittlungskonzepten folgten undmehrperspektivische Annäherungen kaum nachzuweisen sind. Die tatsächliche Komplexität4


von Räumen lässt sich allerdings so nicht begreifen, sie zeigt sich erst dann, wenn Räumeauch als sozial produzierte Produkte begriffen werden, die ihrer Genese nach mit einerbest<strong>im</strong>mten Funktion, einer Aufgabe, einer Botschaft versehen werden. Diese genanntenAspekte sind <strong>im</strong>mer verbunden mit einer best<strong>im</strong>mten Idee, einer Ideologie, einer Vorstellungvon den <strong>Raum</strong>konstrukteuren bzw. deren Auftraggebern. Wenn junge Menschen heute mitRäumen konfrontiert werden und zwar in allen Maßstabskategorien sind diese <strong>im</strong>mer schonbesetzt mit Nutzungsoptionen, Bedeutungszuweisungen oder historischem Ballast.Oft gehen die Präsentationen von Räumen auch Hand in Hand mit expliziten geopolitischenVorstellungen von „vertraut“ und „fremd“ sowie von „uns“ und „anderen“. Ebenso oft gehenaber auch ehemals tragfähige und jedem einsichtige „<strong>Raum</strong>botschaften“ verloren oder werdeneinfach nicht mehr vermittelt. Wir wissen zu wenig darüber, was warum nachhaltig wirksambleibt und was nicht. Wir merken nur, dass auch ehemals starke <strong>Raum</strong>bedeutungenAblaufdaten haben. Der Berg Isel ist möglicherweise nur anlässlich der 200-Jahr-Feiergegenwärtig wieder für kurze Zeit zu einem Inbegriff Tiroler Freiheitsstrebens geworden,ansonsten wird er heute eher als Standort der Austragung von Schisprungveranstaltungen oderdes Auftritts von Musikgruppen bei Großevents wahrgenommen. Der Siegesplatz <strong>im</strong> 22.Wiener Gemeindebezirk mit seinem symbolhaften Denkmal des „sterbenden Löwen“ desBildhauers Anton Fernkorn assoziiert heute kaum noch jemand mit über 40000 Toten, die inden Maitagen des Jahres 1809 <strong>im</strong> Verlauf der Schlacht von Aspern beklagt werden mussten,sondern dieser Ort dient heute als beliebte Fotokulisse für Kinder und Jugendliche, die ihreErstkommunion oder Firmung feiern. Mauthausen, jahrzehntelang als Fanal des Schreckenshochstilisiert, das einer nachrückenden Generation ihre kollektive Verantwortung begreiflichmachen soll, droht zu einem Ort des Betroffenheitstourismus zu werden.Weitere Beispiele der Veränderung der Wertigkeit von Räumen gäbe es viele, an den Schulenscheint allerdings dieser Transformationsprozess vorbeigegangen zu sein. Schule reproduziert<strong>im</strong>mer noch begrenzt gedachte <strong>Raum</strong>konstrukte (z.B. Nationalstaaten). Dabei sehen wir unsheute einem Prozess der Globalisierung gegenüber, der <strong>im</strong>mer stärker zu einer Aufweichungdieses Gedankens beiträgt und zur Anerkennung von autonom-unabhängigen Zugangsweisenund Zuweisungen, was öffentliche Räume betrifft. Öffentliche Räume exklusiv als „national“bedeutsame Räume zu denken und sie nur in dieser Funktion für ein respektables Bildungsgutzu halten, entspricht jedenfalls heute nicht mehr einer fachdidaktisch reflektierten Vorstellungvon Bildung. Politische Bildung lässt sich nicht normativ verordnen bzw. rezeptuellverschreiben. Sie kommt nur dann zum Tragen, wenn individuelle Reflexion und subjektiveParteinahmen Teil des Lernprozesses sind. Reflexion und Parteinahme unterliegen allerdingskeinem willkürlichen Prozess der Meinungsbildung sondern best<strong>im</strong>mten Vorgaben politischerBildung. Diese legit<strong>im</strong>eren sich durch die Ausrichtung der Lernprozesse <strong>im</strong> Sinne derMenschenrechte und der Akzeptanz demokratisch-rechtsstaatlicher Spielregeln, wie sie etwadurch den Meinungspluralismus dokumentiert werden.Was einen Unterricht betrifft, der „über Räume“ Jugendlichen politische Bildungsqualitätverschaffen soll, so bedarf es grundsätzlich dreier Orientierungshilfen: Jener einesspezifischen <strong>Raum</strong>bezugs (1a und 1b), jener der fachdidaktischen Grundlegung (2) und jenereiner problembezogenen Ausrichtung (3). Diese drei Ansprüche sollen in der Folge sovereinfacht dargestellt werden, dass sowohl die fachdidaktische Perspektive, die<strong>Raum</strong>perspektive wie auch die Problemperspektive mühelos miteinander verknüpft und alsunterrichtsleitende Komponente Verwendung finden können.1a - Die D<strong>im</strong>ension öffentlicher <strong>Raum</strong> auf der Maßstabsebene5


Maßstabsebeneglobaler <strong>Raum</strong> ∼ <strong>Raum</strong> von globalem Interessenationaler <strong>Raum</strong> ∼ <strong>Raum</strong> von nationalemInteresseregionaler <strong>Raum</strong> ∼ <strong>Raum</strong> von regionalemInteresselokaler <strong>Raum</strong> ∼ <strong>Raum</strong> von lokalem InteresseSubjektraum/Individueller <strong>Raum</strong> ∼ <strong>Raum</strong> vonindividuellem InteresseBeispieleNord-Süd, „Schurkenstaaten“, WeltmeereStephansdom, Hahnenkammabfahrt,Großglockner, Heldenplatz, MauthausenDonauinsel, Ringstraße, Shopping-CitySüd, Café Landtmannlokale Aktivitätstreffpunkte, Stammlokal,Disco, Arbeitsplatz, Einkaufsbereichvertraute Räume, Angsträume, No go-Territorien, NostalgieräumeDie in den Beispielen genannten Räume sind als Open End-Ergebnisse eines Diskursesanzusehen und sollten mit Zust<strong>im</strong>mung der jeweiligen Lerngruppe ausgehandelt werden.1b - Die D<strong>im</strong>ension öffentlicher <strong>Raum</strong> auf der FunktionsebeneGeographischer <strong>Raum</strong>/ContainerraumRelationaler <strong>Raum</strong>WahrnehmungsraumKonstruierter <strong>Raum</strong>Wardenga (2002) hat die angesprochenen Räume der Funktionsebene quasi unterrichtsfähiggemacht, indem sie – reduktionistisch vorgehend – die unterschiedlichen Qualitäten vonRäumen auf eine Ebene heruntergebrochen hat, die, wie Fortbildungsveranstaltungen gezeigthaben, von vielen Lehrenden der Sekundarstufen als transferfähig für den Schulunterrichtinterpretiert wurde. Da wäre zunächst unser Problemfeld „Mensch und <strong>Raum</strong>“ alsgeographischer <strong>Raum</strong> gedacht, in dem alle Objekte als verortbare Sachverhalte darstellbarsind. Dieser <strong>Raum</strong> entpuppt sich bei näherem Hinsehen als nichts anderes als die Bühne desWirkungsgefüges natürlicher und menschlicher Faktoren und wird sozusagen als „Container“aufgefasst. Der Bezug auf dieses <strong>Raum</strong>konzept erlaubt pr<strong>im</strong>är jene Informationen abzurufen,die mir ein Blick in den Behälter vermittelt. Die kognitive Erfassung einer Situation kannnoch durch Wissen über Ereignisse, die in diesem <strong>Raum</strong> stattgefunden haben, angereichertwerden. Das „Container“-Konzept unterstützt vorrangig die Vermittlung von Faktenwissen.Dabei können die Informationen, die in einem entsprechenden Wissenskatalog Eingangfinden, ganz schön umfangreich sein.Die Fülle an Wissen, die in Bezug auf den „Container“ abgerufen werden kann, erweist sichallerdings bei näherer Betrachtung als trügerisch, was die Nachhaltigkeit und die Qualität anvermittelter Bildung betrifft, denn weder das subjektive Verständnis für eine spezifischeProblemsituation noch die individuelle Reflexionsfähigkeit werden durch den bloßen Transfervon Daten und Fakten wirklich unterstützt. Abgesehen davon bleiben wichtigeErkenntnisbereiche ausgeklammert, wie etwa jene, bei denen es um die Bedeutung vonStandorten, Lage-Relationen und Distanzen für die Schaffung gesellschaftlicher Wirklichkeitgeht.Diese Art der Fragestellung rückt dann in den Mittelpunkt des Interesses, wenn Räume alsSysteme von Lagebeziehungen materieller Objekte betrachtet werden. Im Fachjargon sprichtman in diesem Zusammenhang von einem relationalen <strong>Raum</strong>konzept. Ein einfaches Beispiel6


dafür wäre, wenn beispielsweise historisches Bewusstsein von Erinnerungsorten inAbhängigkeit von räumlicher (und zeitlicher) Distanz zum Lerninhalt gemacht würde. Sokönnte in Bezug auf dieses Konzept nach Identitätsbildungen gefragt werden (z.B.Bedeutungswahrnehmung des Berg Isel / Heldenplatz / Straßennamen– lokal – regional –global).Als eine echte Expansion der subjektiven Perspektive ist der Wahrnehmungsraum zu werten.Wardenga spricht davon, dass mittels dieser Kategorisierung „Räume“ alsAnschauungsformen betrachtet werden, mit deren Hilfe Individuen und Institutionen ihreSinneswahrnehmungen einordnen und so Welt über ihre Handlungen räumlich differenzieren(2002, S.5). Entscheidend dabei ist, dass es für Individuen den real existierenden <strong>Raum</strong> sonicht gibt, sondern die Wahrnehmungsorientierung des einzelnen handlungsleitende Funktionerhält. Das heißt, individuelle Erfahrung und Sozialisation spielen ebenso eine Rolle wieerworbenes Wissen, aber auch individuelle Interessen, Ansprüche, Wünsche und anderesmehr. Der Wahrnehmungsraum präsentiert sich somit als Produkt differenzierter selektiverBewertung und diese führt letztlich auch zur Entscheidung des Individuums, einen Ort alspolitisch und historisch bedeutsam oder belanglos anzusehen.Einem Unterricht, der sich dieser „räumlichen“ Perspektive bedient, sind Lernprozesse<strong>im</strong>manent, die in der Lage sind, SchülerInnen über sich selbst aufzuklären. Stellen Sie sichvor, Sie initiieren einen Lernprozess, der darauf abzielt, SchülerInnen zu einer bewusstenEinschätzung ihrer Identitätsempfindungen zu motivieren und bieten alsEntscheidungsgrundlage eine Reihe von neuen Informationen an, die dasWahrnehmungsspektrum verändern. Die Frage an die SchülerInnen könnte wie folgt lauten:Seid ihr bereit unter dem Aspekt neuer Informationen eure bisherigen Haltungen bzw.„<strong>Raum</strong>einschätzungen“ zu überdenken?Ein völlig andere inhaltliche Ausrichtung würde eine fachdidaktisch angeleiteteUnterrichtsplanung erfahren, wenn „<strong>Raum</strong>“ den Schüler/-innen so nahe gebracht wird, dasssie ihn, in der Perspektive seiner sozialen, technischen und gesellschaftlichen Konstruiertheitauffassen können (Vielhaber 1999,Wardenga 2002, S. 8). Das erfolgt, wenn danach gefragtwird, wer unter welchen Bedingungen und aus welchen Interessen wie über best<strong>im</strong>mte Räumekommuniziert und sie durch alltägliches Handeln fortlaufend produziert und reproduziert. ImGegensatz zu den bisherigen Überlegungen ginge es vor allem um eine Bewusstseinsbildung,die darauf abzielt, <strong>Raum</strong> als Element von Handlung und Kommunikation zu fassen. Nicht dieVerortungen von Handlungen oder Kommunikationen <strong>im</strong> <strong>Raum</strong> stehen <strong>im</strong> Zentrum desschulischen Vermittlungsinteresses, als vielmehr der Aspekt der sozialen Konstruiertheit vonRäumen.Wardenga spricht in ihrer Abhandlung über die unterschiedlichen <strong>Raum</strong>konzepte davon, dassgerade der zuletzt vorgestellten konstruktivistischen Perspektive ein hoher Aufklärungsgehalt<strong>im</strong>manent ist. Überall dort, wo einer raumbezogenen Sprache eine hohe Bedeutung zukommtkönnten räumliche Präsentationen als das dargestellt werden, was sie letztlich sind: AnInteressen gebundene Konstrukte, die ganz bewusst auf Ganzheitlichkeit verzichten, dafüraber umso mehr danach ausgerichtet sind, den Erwartungen einer best<strong>im</strong>mten Klientel zuentsprechen.Gehen wir nun einen Schritt weiter und fragen uns, wo das Aufklärungspotential diesesAnsatzes für den Problembereich: Öffentlicher <strong>Raum</strong> – Mensch liegt. Damit sind wirunmittelbar mit der Alltagssituation konfrontiert, dass jede Darstellung eines ´<strong>Raum</strong>es´ bzw.einer Region best<strong>im</strong>mte Absichten verfolgt. In dem einen wie in dem anderen Fall, werden7


´Räume´ gemacht – sie existieren nicht einfach per se, sondern werden als Produktespezifischer Interessen an die diversen Adressaten über mannigfache Kommunikationskanäleverschickt.Eines sollte aus den bisherigen Ausführungen bereits deutlich geworden sein, nämlich dass jenach dem zu Grunde gelegten räumlichen Bezugskonzept auch die Problemorientierung selbstund damit auch die spezifischen Fragestellungen in unterschiedlicher Weise dieUnterrichtsplanung beeinflussen. Das heißt, die Konzepte „raumbezogener“ Überlegungenbest<strong>im</strong>men nicht nur die Inhalte eines Lernprozesses, sondern auch die Richtung, in die sichdieser bewegt.Der kompetente Bezug auf diese Überlegungen macht unterrichtliche Vermittlungsabsichtenerst wirklich transparent, nachvollziehbar und ermöglicht zudem klare Antworten auf dieFrage, wie diese <strong>im</strong> Sinne nachhaltiger Bildung umgesetzt werden können.Eines haben die bisher vorgestellten Ansätzen klar gezeigt, <strong>Raum</strong> ist nicht gleich <strong>Raum</strong> – dasgilt sowohl für die Maßstabsebenen sowie für die Funktionsebene. Das Produkt aus denunterschiedlichen Zugängen ist ein Spektrum verschiedener Betrachtungsmöglichkeiten eines<strong>Raum</strong>es. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass Räume in ihrer gesellschaftlichenPräsenz von der Vergangenheit bis in die Gegenwart durchwirken, und das umfassend zuanalysieren ist <strong>im</strong> Schulalltag nur selten wirklich umsetzbar. Allerdings stellt die Komplexitäteines Problems so lange kein didaktisches Problem dar, solange das zentrale Ziel nicht ausden Augen verloren wird, nämlich die SchülerInnen zu befähigen, selbstbest<strong>im</strong>mt„<strong>Raum</strong>kritik“ äußern zu können, um sich so traditionellen Mythen- und Klischeebildungen zuentziehen. Die Differenzierung unterschiedlicher Typen von <strong>Raum</strong>d<strong>im</strong>ensionen auf derMaßstabs- und Funktionsebene könnte jedenfalls als eine Möglichkeit didaktischer ReduktionVerwendung finden.Die Verknüpfung beispielsweise des regionalen <strong>Raum</strong>typs mit der Perspektive„Wahrnehmungsraum“ grenzt die Bandbreite von spezifischen Erkenntnisoptionen zwardeutlich ein, schafft aber <strong>im</strong> Vergleich zu herkömmlichen Vorgangsweisen, die<strong>Raum</strong>beispiele unreflektiert als Unterrichtsstoff präsentieren eine weit höhere Transparenz,was die Auswahl an Inhalten betrifft. Für die Legit<strong>im</strong>ierung eines fachdidaktisch ausreichendbegründbaren Lernprozesses reicht das aber noch nicht. Dazu bedarf es des Bezugs aufbest<strong>im</strong>mte fachdidaktische Grundlegungen, die spezifischen Vermittlungsinteressenverpflichtet sind. In der Folge werden vier Konzepte vorgestellt, die zur Bearbeitung von<strong>Raum</strong>themen sinnvoll erscheinen. Auch sie sind <strong>im</strong> Sinne einer nachvollziehbarendidaktischen Reduktionsabsicht als Auswahloptionen verwendbar.Kein Lernprozess ohne (fach)didaktische GrundlegungKeine Fachdidaktik kommt ohne Zugriffe auf Überlegungen aus, die bereits <strong>im</strong> Bereichallgemeiner Didaktiken formuliert wurden. Um zu entscheiden, welche Didaktiken zurPlanung eines Lernprozesses eigentlich unterrichtsleitend sein sollen, bedarf es <strong>im</strong> erstenSchritt einer Klarlegung der Vermittlungsinteressen: Was will ich eigentlich <strong>im</strong> Rahmenmeines Unterrichts wirklich erreichen (Vielhaber 1999, S. 10)? Bezogen auf die gewählteThemenstellung wären wohl die Fähigkeit einer realistischen Selbsteinschätzung und eindamit verbundenes Handeln eine ebenso anstrebenswerte unterrichtliche Zielsetzung wie dieSchulung des individuellen Reflexionsvermögens und zwar derart, dass das den SchülerInnen8


die Möglichkeit eröffnet wird, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse als Produktesozialisierender Effekte zu begreifen. Erst diese Fähigkeit kritischer Selbstreflexion vermagüber Fremdbest<strong>im</strong>mungen aufzuklären und das Bewusstsein zu selbstbest<strong>im</strong>mtem Handeln zuunterstützen.2 - Didaktische Vermittlungsinteressen und fachdidaktische Bezüge1) unreflektiertes Vermittlungsinteresse/ kein reflektierterfachdidaktischer Bezug2) praktisches Vermittlungsinteresse/curriculare – lernzielorientierteDidaktik3) kritisch-emanzipatorisches Vermittlungsinteresse/ kritischkonstruktive Didaktik4) konstruktivistisches Vermittlungsinteresse/konstruktivistischeDidaktikoptionenIm ersten Fall gilt das sogenannte unreflektierte Vermittlungsinteresse. Es beruht auf demWissen und der Alltagserfahrung der Lehrenden und ihrer Meinung auch ohne den Einsatzreflektierter didaktischer Überlegungen zu wissen, was lebenstauglicher Unterrichtsstoff ist.Ein entsprechender Unterricht kann durchaus an<strong>im</strong>ierend sein, aber eines ist er sicherlichnicht: nachvollziehbar und begründungsfähig. Diesbezüglich erweist sich das als Nummer 2angeführte praktische Vermittlungsinteresse schon weit zielführender. Dabei geht es um dieQualifikation des Schülers/der Schülerin, die ihn/sie für eine best<strong>im</strong>mte Lebenssituationsozusagen fit macht – also ein durchaus lebenspraktischer Bildungsanspruch. Die(Fach)didaktik, die einem diesbezüglich ein unterstützendes Konzept liefert, ist diecurriculare, denn ihre konzeptionelle Orientierung legt fest, dass es pr<strong>im</strong>är Aufgabeschulischer Bildung zu sein hat, SchülerInnnen mit Qualifikationen auszustatten, die sie in dieLage versetzen, best<strong>im</strong>mte Lebenssituationen erfolgreich zu bewältigen.Die dritte Position wäre jene, bei dem Reflexion und Selbstbest<strong>im</strong>mung die wesentlichenAspekte didaktischer Zielsetzungen sind. Dabei geht das Vermittlungsinteresse über das reinpraktische weit hinaus. Nicht die Bewältigung einer Lebenssituation steht zur Disposition,sondern die Aufklärung über das Zustandekommen eben dieser. ManipulativeEinflussnahmen, Zwänge oder externe Machtansprüche sollen als von außen wirkendeTriebfedern des eigenen Handelns erkannt werden, um sich bewusst und emanzipiertbest<strong>im</strong>mten Lebenssituation erst gar nicht auszusetzen. Nicht von ungefähr wird dasVermittlungsinteresse, das solche Absichten verfolgt, als kritisch-emanzipatorisch bezeichnet.Einen entsprechend relevanten didaktischen Bezug liefert die kritisch-konstruktive DidaktikWolfgang Klafkis (1996).Das konstruktivistische Vermittlungsinteresse (Nummer 4) lässt den Gedanken anstandardisierte Wissensaneignung beiseite und stellt den Schüler/die Schülerin alsKonstrukteure seiner/ihrer eigenen Lebenswelten in den Vordergrund. DieFremdzuschreibungen von Räumen, was deren Bedeutungen und Wertigkeiten betrifft,werden zu Gunsten sehr persönlicher „<strong>Raum</strong>auseinandersetzungen“ und <strong>Raum</strong>bewertungenaufgegeben. Das Ergebnis der individuellen Auseinandersetzung mit Räumen kann aber<strong>im</strong>mer nur ein Produkt von Eigenerfahrungen und dem Ausschöpfen verfügbarer Quellensein, und muss sich als solches auch der Konfrontation mit den Ergebnissen anderer stellen,will es ernst genommen werden.Wir haben nun eine Reihe von didaktischen Überlegungen diskutiert, die alle einen Zweckverfolgen: Wie lässt sich ein politisch bildender Unterricht begründen, in dem es um „Räume“9


geht? Im konkreten Verlauf einer Unterrichtsplanung könnte also ein gewählter <strong>Raum</strong>typ aufder Maßstabsebene mit einem best<strong>im</strong>mten Typ der Funktionsebene verknüpft werden unddann über eines der vier angebotenen didaktischen Konzepte – die best<strong>im</strong>mteVermittlungsinteressen erkennen lassen – in einen Lernprozess übergeleitet werden. DieseVorgangsweise wäre, was die Organisation eines Lernprozesses und die Legit<strong>im</strong>ation einerinhaltlichen Auswahl betrifft, als ziemlich begründungsstark anzusehen.Ausgewählte inhaltliche Problemperspektiven <strong>im</strong> Zusammenhang mit öffentlichenRäumenDiese Komponente stellt die inhaltliche Problemperspektive dar. Diese wird zwar bereitsdurch den gewählten <strong>Raum</strong>typ der Maßstabsebene und jenem der Funktionsebene in gewisserWeise vorbest<strong>im</strong>mt, die inhaltliche Schwerpunktsetzung bzw. die Problemausrichtung wirdaber von dem/der Lehrenden bzw. vom Lehr-Lernverbund vorgenommen. Hilfreich könnenbei der Problemorientierung persönliche Erfahrungen, Konfrontationen, aber auch Vorgabendidaktischer Modelle <strong>im</strong> Hinblick auf Lebenssituationen und Schlüsselprobleme sein. Dienachfolgende Problemauflistung ist rein willkürlich und dient nur als Sammelpool möglicherinteressanter Fragestellungen, die jederzeit individuell bereichert und ergänzt werden können.Konfliktfeld öffentlicher <strong>Raum</strong>: Ansprüche, Interessensgegensätze, Auseinandersetzungenund ihre SpurenÖffentlicher <strong>Raum</strong> und Kommunikation: Wie wird/wurde von wem, wo, wann über einenbest<strong>im</strong>mten <strong>Raum</strong> gesprochenTatzeuge öffentlicher <strong>Raum</strong>: Was geschah wirklich am ...Gewalt <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong>: gestern – heuteÖffentliche Räume als Produkte von Mythen und KlischeesPolitisches Instrumentalisierungsobjekt öffentlicher <strong>Raum</strong>Öffentliche Räume: Orte der Verständigung versus Orte der DifferenzÖffentliche Räume <strong>im</strong> Wandel der Zeit: von Aufmarschplätzen zu touristischen Hotspots, vonVerteidigungsburgen zu Zufluchtsorten von Minderheiten, vom KZ zum Ausflugsziel, vomKriegsschauplatz zur SpielwieseÖffentliche Räume als Bewahrer gesellschaftlicher Normen: Die Präsenz des Patriacharts <strong>im</strong>StraßenbildEine ganz wichtige Bemerkung zum Abschluss dieser Einführung: Die Reihenfolge dervorgeschlagenen Kriterien zur (fach)didaktischen Reduktion kann von den Lehrpersonen oderder Lehr-Lerngruppe in völliger Autonomie auch selbst best<strong>im</strong>mt werden. Die hiervorgenommene Anordnung hat keinerlei verbindlichen Charakter. So ist es keineswegs ein„Muss“ den Lernprozess vom gewählten <strong>Raum</strong>typ der Maßstabsebene seinen Ausgangnehmen zu lassen. Der pr<strong>im</strong>äre didaktische Zugang kann ebenso gut über ein erkanntesProblem gewählt werden, dem anschließend eine entsprechende „<strong>Raum</strong>suche“ folgt. Wichtigerscheint aber allemal, dass – wenn möglich – der gewählte <strong>Raum</strong> für SchülerInnen auch alsLernort erfahr- und erlebbar wird.Der öffentliche <strong>Raum</strong> als Lern-Ort politischer Bildung(Unterrichtsbeispiele)10


Politische Sachkompetenz:Es ist zweifelsohne eine der wichtigen Aufgaben politischer Bildung Schüler/-innen bewusstzu machen, dass öffentliche Räume, die sie <strong>im</strong> Verlauf ihrer alltäglichen Handlungenkonsumieren, d.h. nutzen, durchschreiten, wahrnehmen, vermeiden, bewundern oderetikettieren, Konstruktionen darstellen, die mit Ideologien, politischen Intentionen undfremdbest<strong>im</strong>mter Funktionalität erfüllt sind. Eine wirksame politische Bildungsoffensive, diees sich zur Aufgabe macht, über die politischen Inhalte öffentlicher Räume aufzuklären, darfsich daher nicht auf formale Bildungsstätten mit den vertrauten Einrichtungen konventionellerVermittlungsbemühungen beschränken. Vielmehr sind öffentliche Räume selbst zu Lernortenzu machen und zwar dadurch, dass durch Interaktionen mit der physischen und sozialenUmwelt, an denen SchülerInnen aktiv teilhaben, spezifische Lernprozesse inszeniert werden.Das heißt, öffentliche Räume übernehmen die Funktion von Lernorten und werden damit zuzentralen Medien einer politische Bildung, die auf Nachhaltigkeit abzielt. Sie entwickeln sichüberall dort, wo Menschen zu sozialen AkteurInnen werden, das bedeutet, dass siegemeinsam mit anderen in reflexive Auseinandersetzungen mit dem eigenen Selbst und ihrerLebenswelt treten.Öffentliche Räume erscheinen deshalb als wichtige Komponenten einer politischen Bildung,weil sich in ihnen soziale Bedeutungen wie beispielsweise auch Repräsentationen vonMacht und Herrschaft konstituieren können und dadurch auch differenzierte emotionaleBindungen möglich sind, die letztlich ein „Voneinander Lernen“ zulassen. Abseits vonSchulen, Institutionen der Erwachsenenbildung oder sonstigen Aus-, Fort- undWeiterbildungseinrichtungen gewinnen öffentliche Räume ihre Funktion als Lernorte indiesem Sinne aber erst dann, wenn die Konzepte ihrer Konstruktion erkannt werden unddiese Räume von den Menschen, die sie aufsuchen, eine spezifische gesellschaftlicheBedeutung verliehen bekommen.Trotz der geforderten und als notwendig erachteten Expansion des Subjektiven wäre es abergeradezu fahrlässig, junge Menschen ohne entsprechendes Rüstzeug wie analytischerHerangehensweisen, reflektiertem Deutungsvermögen aber auch ohne Basisinformationen mitderlei Aufgaben zu betrauen. Die hier angesprochene Expansion bezieht sich <strong>im</strong> übrigen aufdie grundsätzliche Bereitstellung individueller Zugänge zur Aufarbeitung jener Ideologien,Mythen, Funktionen und Inszenierungspotentiale, die öffentlichen Räumen <strong>im</strong>manent sind.Das Erkennen der Formen, der Umgang mit der Begrifflichkeit, sowie das Einordnen inKategorien und die Repräsentation dahinter stehende Konzepte des Politischen zu deutenermöglichen erst eine Auseinandersetzung. Nicht dass ein von einem individuellenErkenntnis- und Einsichtsstand eines/r Jugendlichen ausgehender konstruktivistischangelegter Lernprozess interessante Horizonterweiterungen unmöglich machte, der FaktorZeitaufwand wäre aber sicherlich als jene Barriere zu betrachten, die viele Lehrende davonabhalten würde, diese Wege des Verzichts auf sach- bzw. problemorientiertePr<strong>im</strong>ärinformationen zu beschreiten, wenn es gilt, ein vorgegebenes Lehrziel zu erreichen. ImZusammenhang mit der beabsichtigten Entschlüsselung des Phänomens öffentlicher <strong>Raum</strong>,die sich den formellen Ansprüchen (Lehrpläne) nicht entzieht, wäre aber vor allem dieBeachtung der nachfolgenden Grundeinsicht eine wichtige Voraussetzung:Politische Methodenkompetenz:So gesehen gewinnen öffentliche Räume in unserer Alltagswelt auch die Qualität vonselbstreferentiellen Kommunikationsräumen, weil das, was den (politischen) Gehalt eines<strong>Raum</strong>es ausmacht, in ihnen selbst erfahrbar und diskutierbar wird. Sie sind allerdings nicht11


für alle gleich erlebbar und zugänglich, sondern nur für diejenigen, die sich auf sie einlassenund sie entschlüsseln können. Wer die Welt als schlechthin unbegrenzt denkt, kann keineVerantwortung für sie entwickeln, weil sie nicht als Teil der individuellen Wirklichkeitempfunden wird. An Orten, sei es das Stammcafé als semi-öffentlicher <strong>Raum</strong>, sei es derStephansplatz als vielfach erfahrener Ort individueller Glücksgefühle (Firmung,Identifikationssymbol, ästhetisches Erlebnis etc), also überall dort, wo die Welt als begrenzterlebt wird, kann auch leichter Verständnis für eine gemeinsame Verantwortung wachsen.Es geht hier also um die Verfügbarkeit von Methoden, den öffentlichen <strong>Raum</strong> alsentschlüsselbare Manifestation zu erfahren und zu lesen. Denn öffentliche Räume sindallesamt keine Produkte von Zufälligkeiten, sondern geben den Menschen in einer zunehmendunübersichtlichen Welt Anlass für sozialräumliches, ortsbezogenes Denken und damit fürindividuelle Verankerungsmöglichkeiten. Diese stehen jedoch keineswegs für provinziellePositionierungen, sondern verschaffen vielen überhaupt erst die Möglichkeit, an Diskursenteil zu haben, die sich ansonsten weit außerhalb der individuellen Wahrnehmungsreichweiteabspielen würden. Die Fähigkeit eigene Positionen zu argumentieren ist Voraussetzung fürdie Teilnahme am Diskurs über öffentlichen <strong>Raum</strong>.Politische Urteilskompetenz:Soll also eine politische Bildung wirklich in der notwendigen Breite Fuß fassen, dann muss esauch <strong>im</strong> Hinblick auf potenzielle Lernorte zu einem sozialräumlichen Aufbruch kommen. Dasbedeutet, dass die Denkanstöße für eine Intensivierung politischer Bildung nicht nur fürEinrichtungen formaler Bildung reserviert sind, sondern auch in jene Orte eindringen müssen,wo frei von hierarchischen Strukturen selbst gesteuertes Lernen stattfindet. Es ist richtig, dassLernerfolge in diesen Orten nicht so einfach überprüft werden können, es gibt auch keinevorformulierten Unterrichtseinheiten in Lehrplänen oder Curricula, und es gibt auch keinefertigen Konzepte, wie am Beispiel öffentlicher Räume politische Bildung erfolgreich undwirkungsvoll <strong>im</strong>plementiert werden kann.Voraussetzung für eine individuelle Beurteilung ist zunächst die Auseinandersetzung mitunterschiedlichen Perspektiven, Ansprüchen oder Barrieren (zB. finanzielle Mittel,Denkmalschutz usw.) und Standpunkten. Gerade der öffentliche <strong>Raum</strong> repräsentiert sich injeder Analyse als eine Anhäufung von Entscheidungen und deren Revisionen undAdaptionen. Auch gehen Urteile hier sehr schnell in Handlungen über, indem Straßen, Plätzeoder U-Bahnstationen gemieden oder frequentiert werden.Politische Handlungskompetenz:Die Erschließung öffentlicher Räume als individuelle Lernorte soll zu Handlungen inProblemsituationen befähigen und dadurch die Partizipationsfähigkeit/ -freudigkeit des/derEinzelnen stärken. Das bedeutet aber keinesfalls die vollständige Abgabe derVerantwortung der Lehrenden und damit die totale Selbststeuerung des Lernens durch dieSchüler/-innen, sondern bedarf einer Integration von Anleitung und Selbstständigkeit,Instruktion und Konstruktion. Das angestrebte selbst gesteuerte Lernen <strong>im</strong> Sinne einerpolitischen Bildung, das sich den Gedanken von Emanzipation und Aufklärung nichtverschließt, baut also auf einer Neugestaltung der Lernumgebungen auf, mit dem Ziel einemehrperspektivische Lernqualität zuzulassen und nicht zu verhindernKein öffentlicher <strong>Raum</strong> ist jemals als Produkt eines wirklichen demokratischenEntscheidungsprozesses entstanden, sondern war und ist <strong>im</strong>mer der Repräsentation vonHerrschaft, Gesellschaft oder Kapital verpflichtet. Diese Einsicht kann auf vielen Lernwegen12


erreicht werden. Die nachfolgenden Ausführungen sind daher nur als Skizze einergrundsätzlichen Orientierung zu verstehen.Eine Auseinandersetzung mit öffentlichen Räumen <strong>im</strong> Sinne kritisch gedachter politischerBildung geht nicht davon aus, dass ihre aktuelle Bedeutung, ihre Funktion, ihr emotionalerWert und die Geschichte ihres Ursprungs auf einer grundsätzlichen nationalenÜbereinst<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Sinne eines unverrückbaren Status quo beruht. Überlieferungen, die als„Geschichte“ und Geschichten an die nachrückende Generation weitergegeben werden, haftet– nicht zu Unrecht - der Makel an, dass sie zur Legit<strong>im</strong>ation eines Nationalstaates bzw. dernationalen Identität gedacht waren. Das gilt auch überall dort, wo <strong>im</strong> Schulunterrichtöffentliche Räume als Lehr- und Lernstoff präsentiert werden. Diese Absichten wurdenallerdings bisher <strong>im</strong> Unterricht nur selten von Lehrenden reflektiert und das war wohl auchder Grund, dass sich die Präsentation öffentlicher Räumen in schulischen Lehrmaterialienfachdidaktischen Erneuerungen gegenüber bis heute als resistent erwiesen hat. Dabei wäre esdoch ein Leichtes jungen Menschen gerade am Beispiel Schule zu zeigen, dass dieseInstitution weit mehr ist als ein Ort s<strong>im</strong>pler Instruktion, nämlich ein <strong>Raum</strong> nationalerIdentitätsbildung, um nicht zu sagen Indoktrinierung. „Die Tradition der Identitätsbildung vonoben“ (vgl. Haus 2009, S 929) steht bis heute in direktem Gegensatz zu jenerKompetenzvermittlung <strong>im</strong> Sinne kritischer Didaktiken, die über das Zustandekommengegenwärtiger Realitäten aufklärt, Realitäten, die exemplarisch auch über „Geschichten“, dieüber öffentliche Räume transportiert werden, neuen Bewertungen zugeführt werden könnten.Die Möglichkeit, dem politischen Bildungsgedanken eine neue Qualität zu verleihen, istderzeit durchaus viel versprechend, weil auch die politischen Verantwortlichen unseresStaates zum Beispiel auf Grund des aktuellen Wahlverhaltens von Jugendlichen erkannthaben, wozu die Vernachlässigung politischer Bildung führen kann. Dazu kommt einegeänderte Sichtweise vieler Historiker. So gilt auch für Österreich, was Haus (2009. S. 937)schreibt:„There is more caution, particularly among academic historians, about history to forgeidentity and the new (Anm.:Vielhaber/Öhl) approach gives more leeway ... for those whohave advocated providing space or opportunity for the forging of multiple identities.“Ausgewählte Unterrichtseinheiten zum Problembereich politische Bildungund öffentlicher <strong>Raum</strong>Lehrplanbezüge(8. Schulstufe)Erinnerungskulturen und deren WandelDemokratie und Möglichkeiten ihrer Weiterentwicklung (Formen der Mitbest<strong>im</strong>mung, e-Democracy); Zukunftschancen <strong>im</strong> Spannungsfeld zwischen persönlichen undgesellschaftlichen Anliegen.(9/10. Schulstufe AHS)13


Instrumentalisierungen von Kultur und Ideologie in <strong>Politik</strong> und Gesellschaft(Geschichtsbilder und -mythen; historische Legit<strong>im</strong>ationen)(11. Schulstufe AHS)Politisches Alltagsverständnis - die verschiedenen D<strong>im</strong>ensionen und Ebenen von <strong>Politik</strong>,Formen und Grundwerte der Demokratie und der Menschenrechte, Motivationen undMöglichkeiten politischer Beteiligungs-, Entscheidungs- und Konfliktlösungsprozesse(HAK)Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Beziehung setzen, Kontinuitätsvorstellungenentwickeln und ihr Geschichtsbewusstsein sowie ihr Verständnis gegenwärtigerEntwicklungen reflektieren können (Orientierungskompetenz),Fragen zur Vergangenheit und zur Geschichte selbstständig formulieren und beantwortenkönnen, um sich aus der Selbstverständlichkeit der Historizität zu lösen und selbstreflexiv mitVergangenheit und Geschichte umgehen können (Fragekompetenz),<strong>im</strong> Sinne der politischen Bildung demokratische, den Werten der Menschenrechteverpflichtete, Grundhaltung lernen, zu aktiver Teilnahme am öffentlichen Geschehen fähigwerden und auf der Basis von reflektierter Identität die Bereitschaft zur unvoreingenommenenBegegnung und Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem entwickeln sowieMissbrauch von Macht, Rechtsnormen und politischen Institutionen erkennen und diesembegegnen können.(HTL)Informationen, die für das Verständnis der gegenwärtigen Weltlage und derWechselbeziehung zwischen <strong>Politik</strong>, Wirtschaft und Kultur erforderlich sind, beschaffen undauswerten können :aktuelle politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situationen und Vorgänge unterHeranziehung historischer Modelle analysieren und kritisch beurteilen können ;(HUM)die Bedeutung des kulturellen Erbes einschätzen könnenRepräsentation von Herrschaft / Beispiel 1:Zentrales LernzielDer Heldenplatz und der Maria-Theresien-Platz in Wien haben nicht nur eine Baugeschichteund eine Geschichte der Bauten. Sie können als städtebauliche Elemente, alsRepräsentationen von Herrschaft und als geschichtspolitische Manifestationen gelesenwerden. Deshalb stehen Stadtplanung, Architektur und <strong>Politik</strong> <strong>im</strong> Vordergrund.Nachgeordnete LernzieleAn der Auswahl der Beispiele soll für eigene Analysen, Manifestationen, Urteile undHandlungen erkannt werden:14


• Zentrale städtische Plätze sind ein Merkmal der Stadtplanung verschiedener Epochen.Hier wurde der Fokus räumlich auf Mitteleuropa gelegt, beginnend mit römischerArchitekturtheorie, denn Architektur ist mehr als das Entwerfen und Bauen vonGebäuden. Der Gegensatz von naturräumlichen Vorgaben bei Vitruv bis zu denarchitektonischen Details des Kunsthistorischen Museums soll eine Bandbreite derPerspektiven eröffnen.• Architektur steht aber auch <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Zeichen von Repräsentationen von Macht, diesich nicht <strong>im</strong>mer so wie am Grand Place in Brüssel zu einem Ensemble desKompromisses fügen lassen.• Auch Architektur besteht aus Zitaten. Wenn in kaiserlichen Bauten der Habsburger einAchteck auftaucht, steht nicht die Funktion oder die Schönheit eines Bauwerks odereine zeitgeistige architektonische Formensprache <strong>im</strong> Vordergrund, sondern dieVorbilder des Kaisertums: Pfalzkapelle in Aachen und römische Kaiserkrone.• Wenn es darum geht, Plätzen eine Konnotation zu geben, sind außer derNamensgebung (siehe Beispiel 2 ) auch Denkmäler ein stilistisches Mittel, Gedächtniszu kollektivieren und Geschichtspolitik zu repräsentieren.• Eher zufällig ist der Zusammenhang von Bauvorhaben und späterem Gebrauch, dieDEN Balkon der Neuen Hofburg noch später zu einem Ort des „Nicht-Erinnerns“ zumachen scheint.Inhalt:„Die heutige Architektur kann nicht auf die Ansprüche der Gesellschaft und auf dieEntwicklungen der Stadt antworten, wenn sie sich auf die Konstruktion von Bauwerkenbeschränkt. Man muss über das Gebäude hinausblicken und mehr als das Gebäude selbstanbieten: allgemein zugängliche Räume, Verbindungen, Durchgänge,Austauschmöglichkeiten und Bezüge zur Natur.“Dominique Perrault, 2009Herrschaft repräsentiert sich in vielen Manifestationen: Bekleidung, Inszenierung öffentlicherAuftritte, oder Architektur. HerrscherInnen verfügten über Land, Produktion undGefolgschaft, sie horteten und verteilten, sie richteten und planten. HerrscherInnen hattenMacht über andere, die jedoch an der Grenze von öffentlich und privat endete.Die Repräsentation öffentlicher (politischer) Macht erfolgt über Symbole, die eineGesellschaft erkennen kann und anerkennt. Im öffentlichen <strong>Raum</strong> wird dies durchGebäudegröße, durch Stilmittel der Architektur, oder durch die Lage <strong>im</strong> Siedlungsraumbezeichnet. Die Aufteilung und Gestaltung von öffentlichem und privatem <strong>Raum</strong> ist somit<strong>im</strong>mer auch ein Hinweis auf herrschende Machtverhältnisse. Diese waren lange Zeit soselbstverständlich, dass darüber kaum schriftliche Zeugnisse existieren. Erst mit derAusweitung von Formen der Mitbest<strong>im</strong>mung wurde diese Verteilungsfrage von öffentlichemund privatem <strong>Raum</strong> zu einer Frage der Machtverteilung. Dazu nun ein kurzer Abriss zurArchitektur von Städten:Stadtplanung zwischen Architekturtheorie, Funktion und <strong>Politik</strong> die Anlage vonStädten15


Zwischen den 10 Büchern Vitruvs über die Architektur aus dem 1. Jh. n. Chr., die sich auchmit Stadtplanung befassen und Leon Battista Albertis Schrift über die Baukunst derRenaissance (De Re Aedificatoria) von 1452, in der er theoretische Überlegungen zurStadtanlage wieder anregt, liegen 14 Jahrhunderte. Dazwischen, in den Städten desMittelalters, fanden <strong>im</strong>mer wieder heftige Diskussionen über die Trennung von öffentlichemund privat verbautem <strong>Raum</strong> statt. Die ohnehin schon engen Gassen wurden häufig durch indie Gassen hineinragende Gebäudefassadenteile (zB. Loggia, Balkon) verengt. KleinsteWinkel an Kreuzungen wurden durch Häuser mit wenigen Quadratmetern Grundflächeverbaut. Die Städte waren von einer Mauer umschlossen und eine steigende Bevölkerungszahlkonnte nur durch Zu- An- Auf- oder Vorbauten an Häusern untergebracht werden. Immerwieder wurde zwar ein Rückbau gefordert und nach großflächigen Bränden auchdurchgesetzt.Marcus Vitruvius Pollio ( ca. 80 - ca. 20 n. Chr.)De architectura libri decem, I . , http://www.hsaugsburg.de/~harsch/Chronologia/Lsante01/Vitruvius/vit_ar01.htmlVitruvs Stadtentwurf orientierte sich an den Windrichtungen.(solanus-Ostwind am Morgen,auster, Südwind zu Mittag, favonius, Westwind abends, septentrio, Nordwind umMitternacht, die anderen 4 Winde liegen dazwischen). Zwischen diesen Achsen konntenSiedlungen in verschiedenen Formen (Kreis, Vieleck, oder wie hier Quadrat - Vitruv hat seinBuch leider ohne Skizzen ausgeführt) eingefügt werden. Quadratisch sind dann auch dieBauflächen und Plätze, die durch Nicht-Verbauung einer Baufläche entstanden.Arbeitsaufgabe: Die Schüler/-innen sollen die Rollen von Bürgern/-innen in Vitruvius’Modellstadt übernehmen. Sie sollen mit einem Partner/einer Partnerin oder innerhalb derGruppe diskutieren, welche stadtplanerischen Möglichkeiten offen stünden, um außerhalb deseigenen Hauses Kommunikationsräume zu schaffen, um einander zu begegnen. Sie sollen ihreEntscheidungen sachrichtig begründen können (Anmerkung: Jedem Block kann einespezifische Funktion zugewiesen werden) und zudem die Vor- und Nachteile einesRasterschemas argumentieren können. SpezialistInnen können unter http://diglit.ub.uniheidelberg.de/diglit/vitruvius1796a/0080?sid=e7c77fefc68e389359e28530179564d7in derÜbersetzung Vitruvius Gedanken zur Anlage der Repräsentationsbauten (zB. Tempel <strong>im</strong> 1.Buch, Kap.7, S. 54 ff.) nachlesen16


Der Bürger und die Bürgerin in den mittelalterlichen Städten gingen zu Fuß und dieöffentlichen Plätze waren auf best<strong>im</strong>mte Funktionen wie Märkte oder Bürgerversammlungenausgerichtet. Stadtplanung für öffentlichen <strong>Raum</strong> bezog sich auch auf die Verkehrsachsen, diefür die Ver- und Entsorgung notwendig waren.Der “Platz” <strong>im</strong> Zentrumhttp://www.wga.hu/art/p/piero/francesc/idealcit.jpgIn Piero della Francescas (gest. 1492) Ansicht einer idealen Stadt gewann der öffentliche<strong>Raum</strong> eine neue Qualität. Städtische Zentren wurden in der Renaissance und später <strong>im</strong> Barockplatzartig angelegt. Nach Kriegsschäden oder Großbränden konnte neu gebaut werden und dieGebäude an den zentralen Plätzen repräsentierten die politischen, sozialen undwirtschaftlichen Verhältnisse.Der Grand Place in Brüssel wurde 1695 neu gestaltet. Fürstenpalast und Rathaus stehen anden Längsseiten gegenüber, umrahmt von den Zunft- und Gildhäusern der Bürger als Abbildund Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse.Brüssel, Grand Place, links das Stadthuis bzw. Hotel de Ville, rechts das Maison du Roi,http://upload.wik<strong>im</strong>edia.org/wikipedia/commons/8/81/Grand_place_brussels.jpgAn diesem neuzeitlichen Ensemble wird die Aufhebung der strikten Trennung von öffentlichund privat, von „ den Tätigkeiten, die der Erhaltung des Lebens dienen und denjenigen, diesich auf eine allen gemeinsame Welt richten“ (Arendt, S. 420) räumlich interpretiert. Diefeudale Ordnung steht hier der bürgerlichen Selbstverwaltung gegenüber und beide werdenbegrenzt von den Vereinigungen der Wirtschaftenden. Hier wird die Problemstellung in17


modernen Gesellschaften mit der Trennung von öffentlich und privat (von polis und oikos)sichtbar.Arbeitsaufgabe:Die Schüler/-innen sollen alte Ansichten, Bilder etc. ihrer He<strong>im</strong>at- und Schulorte suchen undherausfinden ,welche öffentlichen Räume es in welcher Funktion gegeben hat und wie sich dieVeränderungen <strong>im</strong> Wandel der Zeit manifestiert haben. Zu beachten wären die erkennbarenBesitzverhältnisse und deren Veränderungen.Macht und Repräsentation am Beispiel Kaiserforum / HeldenplatzIm 19. Jahrhundert wurde der öffentliche <strong>Raum</strong> mit dem wirtschaftlichen und politischenErstarken des „Mittelstandes“ neu definiert. Die Ummauerung der Stadt verlor ihremilitärische Bedeutung, Vorstädte und Vororte wuchsen rasant. Die innerstädtische Mobilitätkonnte durch Fußwege nicht mehr aufrecht erhalten werden, zu groß wurden die Distanzen,die vor allem durch die zunehmende Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeitenzurückgelegt werden mussten.Zu Weihnachten 1859 wurde der kaiserliche Erlass zur Schleifung der Mauern und zum Bauder Wiener Ringstraße veröffentlicht. Franz Joseph I. wollte eine kaiserliche Prachtstraße, miteinem Kaiserforum als zentraler Anlage, das die Ringstraße unterbrach.Kaiserforum, Entwurf von Gottfried Semper und Carl Hasenauer, , 1869,http://www.oeaw.ac.at/kunst/projekte/hofburg/0_kaiserforum_g.htmlDie Straße wurde als Polygonzug geplant, mit geraden Schussstrecken für die Soldaten, denndie Angst des Kaisers vor einer Wiederholung der Revolution von 1848 saß tief. An denEndpunkten am Donaukanal sollten zwei Kasernen stehen.18


http://www.wien.gv.at/stadtplan/spread.asp?lang=deDen Streit um den Bauplatz des Rathauses mit dem Wiener Bürgermeister verlor der Kaiser.Anstatt an den angrenzenden 3. Bezirk wurde es an der geplanten kaiserlichen Meilezwischen Votivkirche und Hofburg, neben dem Parlament, errichtet, allerdings etwaszurückversetzt von der Ringstraße.Finanziert wurden die öffentlichen Gebäude mit dem Verkauf der Grundstücke entlang derRingstraße an Private. Trotz der hohen Preise kam aber zu wenig Geld herein, und dieursprünglichen Pläne des Kaiserforums konnten nur zur Hälfte verwirklicht werden. Mit demBau des Kaiserforums wurde schließlich GottfriedSemper, der in der Revolution von 1848 noch aufrepublikanischer Seite stand, beauftragt. Derschließlich gebaute Trakt der Neuen Hofburg sollteursprünglich gemeinsam mit einem baugleichenTrakt auf der gegenüberliegenden Seite denBurgplatz, den heutigen Heldenplatz, umrahmen.Ein weiters Problem bestand darin, dieGebäudefunktion auf der anderen Ringstraßenseitefest zu legen. Ursprünglich sollte dort derGeneralstab einziehen, doch die militärischenNiederlagen von 1859 und 1866 ließen eineRepräsentation des Kaisertums durch die Armeenicht mehr zu. So wurde schließlich diehabsburgische Herrschaft durch einen Bau für dieKunst und einen für die Wissenschaft repräsentiert.Einige Habsburger waren seit der frühen Neuzeiteifrige Kunstsammler, sodass es einen großenKunstbestand gab.19


Die baugleichen Museen sind eine Glorifizierung des Herrscherhauses und des Herrschers.Der Eingangsbereich ist als Oktogon gestaltet, ein Zitat der Pfalzkapelle in Aachen, derKrönungskirche der römischen Kaiserdes Mittelalters. Achteckig ist auch dierömische Kaiserkrone. Beides sindHinweise auf die Legit<strong>im</strong>ität derführenden Rolle der Habsburger inEuropa, vor allem aber ein Zeichengegenüber dem König in Preussen unddem Deutschen Kaiserreich. Auch durchden neobarocken Baustil sollte auf die„große Zeit“ habsburgischer Herrschafthingewiesen werden. Das war auch einGrund dafür, die bürgerlichen unddemokratischen Einrichtungen stilistischdavon abzuheben: das Rathaus istNeogotisch, das Parlament weistklassisch hellenische Formen auf, dieUniversität zitiert die Architektur derRenaissance. Auch die meistenRingstraßenpalais sind neobarockeBauten und viele der (neu)reichenBauherrn wurden geadelt.(Fotos Öhl)Ein weiteres Merkmal des öffentlichen <strong>Raum</strong>es in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sindDenkmäler. Mit der Erinnerung an die „Großen“ aus <strong>Politik</strong> und Kultur wurde nationaleGeschichtspolitik öffentlich repräsentiert.Den <strong>Raum</strong> zwischen beiden Museen sollte nach dem Wunsch des zahlenden WienerBürgertums ein Denkmal des „liberalen“ Reformers Joseph II. füllen, wogegen sich FranzJoseph widersetzte. Man einigte sich auf Maria Theresia, deren hundertster Todestag vor derTür stand. Auch konnte sie die bürgerliche Geschichtspolitik genauso repräsentieren wie diehabsburgische, war sie doch konservative absolute Herrscherin genauso wie vormoderneReformerin. Ihr 1874 <strong>im</strong> Entwurf fertiges Denkmal wurde mit 800.000 Gulden das teuersteWiener Denkmal, warf aber Probleme der Darstellung auf. HerrscherInnen tragenüblicherweise „ihre“ Krone, doch die römische Kaiserkrone trug sie nicht. Die böhmische, dieungarische Krone oder der Erzherzogshut hätten nur einen Teil ihrer Herrschaft symbolisiert,also trägt sie ein neutrales Diadem. Trotz der vielen Männer (25) unter ihrem Thron fehlt dieVerwandtschaft: Vater, Gatte und zwei ihrer Söhne trugen die Kaiserkrone, mit der sie derBildhauer Kaspar v. Zumbusch und der Programmatiker des Denkmals, Alfred v. Arneth,nicht krönen konnten.Aber die Ringstraße und das Kaiserforum haben auch einerepublikanische Geschichte. Noch in der Monarchie löstedie Ringstraße den Prater (Straße des 1. Mai) alsAufmarschort der Sozialdemokraten ab. Erst nach dem 1.Weltkrieg wurde die Neue Hofburg fertig gebaut. Siebildete die Kulisse für eine Reihe politischerVeranstaltungen mit dem negativen Höhepunkt der RedeHitlers am 15. März 1938. Seither ist der Balkon unter dem20


Doppeladler ein Ort des Nicht-Erinnerns und wegen Baufälligkeit nicht zugänglich. Eineinziges Mal wagte es jemand seither wieder vom Balkon herab zu reden: derFriedensnobelpreisträger von 1986, Elie Wiesel <strong>im</strong> Jahr 1992, anlässlich einerGroßkundgebung gegen Rassismus und Antisemitismus.Aufgabenstellung:Die SchülerInnen sollen (<strong>im</strong> Rahmen direkter Begegnung oder anhand von Fotos)Herrschaftssymbole erkennen und sie mit der habsburgischen Herrschaftslegit<strong>im</strong>ation inBeziehung setzen. (zB. Doppeladler, Oktogon – etwa Pfalzkapelle in Aachen, römischeKaiserkrone – dazu: Die Wiener Ringstraße – Ein Exkursionsdidaktisches Konzept.Anschließende Fragestellungen: Welche Wirkung könnte beabsichtigt gewesen sein? WelcheWirkung erzielt sie heute? Wäre es auch in einer Demokratie möglich, diese Symbolik derHerrschaft zu konstruieren? Wie wird Herrschaft in anderen Räumen (Orten, Ländern,Staaten usw.) in öffentlichen Räumen legit<strong>im</strong>iert? Welche Beispiele lassen sich dafür in derHe<strong>im</strong>at-, in der Schulgemeinde, der nächstgelegenen Stadt, der Landeshauptstadt finden?Beispielbezogene Literatur:Perrault, Dominique: Was kann das öffentliche Gebäude der Stadt geben? In: Neue ZürcherZeitung Nr. 170. 25./26. Juli 2009, Interview. S. 28Dmytrasz, Barbara: Die Wiener Ringstraße. Eine europäische Bauidee. Amalthea Signum.Wien 2008Öhl, Friedrich: Die Aussage eines Denkmals erschließen – Das Maria-Theresien-Denkmal inWien. In: Die Wiener Ringstraße. Österreich in Geschichte und Literatur. 48. Jg. 2004, Heft2. Institut für Österreichkunde. Wilhelm Braumüller, Wien 2004. S. 105-110Siehe auch: Die Wiener Ringstraße. Exkursionsdidaktisches Konzept. In:http://www.bildungsmedien.tv/demo/showpdf.pdf?packetnr=16&file=84133.pdfBeispiel 2Was signalisieren personenbezogen Beschriftungen von Verkehrwegen <strong>im</strong> öffentlichen<strong>Raum</strong>? Eine SpurensucheLehrplanbezug: siehe Beispiel 1Zentrales Lernziel:Der Schüler/die Schülerin soll erkennen, dass topographische Namensgebungen inseinen/ihren alltäglichen Lebenswelten patriarchalische Ansprüche einer Gesellschaftreproduzieren.Kurzbeschreibung nachgeordneter Lernziele:Der Schüler/die Schülerin soll auftretende Assymetrien bei der Zuweisung topographischerNamen zwischen männlichen und weiblichen Bezugspersonen am Beispiel einesOrtes/Bezirkes erfassen und graphisch umsetzen können (z.B. unterschiedlich relative Anteilein unterschiedlichen Zeiteinheiten: -1950, 1951-1980, 1981-2009), Unterschiede in dergesamten Verkehrwegelänge zwischen weiblichen und männlichen Straßenbezeichnungen,21


Unterschiede in best<strong>im</strong>mten ausgewählten Bereichen (z.B. Innenstadt, Randzonen),Unterschiede bei der Benennung von Verkehrswegen verschiedener Qualität (Relativanteiledifferenziert nach Straßen, Gassen, Wegen, etc.)Der Schüler/die Schülerin soll wissen, wie die Namensvergabe von Verkehrsflächen in deruntersuchten Kommune erfolgt und soll sich über den Ausgang früherer Abst<strong>im</strong>mungen <strong>im</strong>Gemeinderat informieren können.Der Schüler/die Schülerin soll einen Antrag formulieren können, der eine künftige stärkereBerücksichtigung von Frauen bei der Namensgebung von Verkehrsflächen vorsieht und sollin der Lage sein, für dieses Vorhaben die Hilfe Dritter (Medien) zu aktivieren.Der Schüler/die Schülerin soll in der Lage sein, respektable Kandidatinnen für dieNamensgebung von Verkehrsflächen in ihrer Untersuchungsgemeinde zu finden und eineentsprechende Argumentation für deren Berücksichtigung formulieren können.Der Schüler/die Schülerin soll die Ergebnisse der Erhebungsarbeiten kartographisch undgeographisch anschaulich korrekt umsetzen können.Der Schüler/die Schülerin soll wissen, dass er/sie die Möglichkeiten habt, ihre Wünsche undInteressen auf kommunaler Ebene zu thematisieren und er/sie soll erkennen, wo er/sieUnterstützung für ihre Vorhaben finden können.Erforderliches Vorwissen:Für diese Unterrichtseinheit ist kein Vorwissen erforderlich. Es ist allerdings davonauszugehen, dass bisher die Dominanz männlicher Namensgebungen von Verkehrswegen und–flächen in ihrem sozialen Umfeld nicht problematisiert wurde und demzufolge auch nichterkannt wurde, dass dadurch ein Beitrag zur unterschiedlichen Bewertung von Männern undFrauen in der Gesellschaft festgeschrieben wird.Lernorganisation:Sozialform:Diese Lerneinheit ist als Gruppen – und arbeitsdifferenzierter Unterricht zu konzipieren. Z.B.Gruppe 1: Erhebung und kartographische Umsetzung,Gruppe 2: Statistische Bearbeitung und graphische Umsetzung,Gruppe 3: Medienkontakte und kommunale Kontakte,Gruppe 4: Suchgruppe zur Erarbeitung eines Vorschlags von infrage kommenden Frauen füranstehende Namensgebungen von Verkehrsflächen,Gruppe 5: Vorbereitung der Präsentation und der Pressekonferenz sowie Formulierungen derAussendungen,Gruppe 6: Durchführung von Interviews mit der Bevölkerung über das Projekt undentsprechende Darstellung der Ergebnisse.Organisationsform:Diese Unterrichtseinheit ist als einwöchiges Projekt zu organisieren. Der Informationsflussder Gruppen ist durch ein tägliches Round-up sicherzustellen. Die Karte derUntersuchungsgemeinde bzw. des Untersuchungsbereiches mit den ausgewiesenenVerkehrsflächen ist bei Projektbeginn bereitzustellen. Ebenso ist die Liste mit denBezeichnungen der Verkehrswege und –flächen mit dem jeweiligen Jahr der Namensvergabevor Projektbeginn vorzulegen. Beide Unterlagen können über die jeweiligen Gemeindeämter22


ezogen werden. Ziel der Unterrichtseinheit ist eine medial differenzierte Präsentation derErgebnisse <strong>im</strong> Rahmen einer Pressekonferenz mit der Empfehlung, Frauen, die aufgrund derRecherchearbeiten als respektable Persönlichkeiten mit Lokalbezug gewertet werden können,bei der nächsten offiziellen kommunalen Namenszuweisung zu berücksichtigen.Im Rahmen eines kritischen Feedbacks sollte die Wirkung der Pressekonferenz auf diekommunalen Stellen diskutiert werden und überlegt werden, welche weiteren Schritte beiNichtbeachtung der Forderung vollzogen werden könnten. Dieses Projekt ist praktisch einSelbstläufer. Dem/der Lehrenden kommt pr<strong>im</strong>är die Funktion eines begleitendenBeobachters/einer begleitenden Beobachterin zu, wobei es auch wichtig ist, die Wortwahl derSchülerinnen und Schüler bei ihren Kontakten mit Behörden und Interviewpartnern sowie beiden Formulierungen der Aussendung entsprechend zu überprüfen.Beispielbezogene Literatur:Dmytrasz, Barbara: Die Wiener Ringstraße. Eine europäische Bauidee. Amalthea Signum.Wien 2008Öhl, Friedrich: Die Aussage eines Denkmals erschließen – Das Maria-Theresien-Denkmal inWien. In: Die Wiener Ringstraße. Österreich in Geschichrte und Literatur. 48. Jg. 2004, Heft2. Institut für Österreichkunde. Wilhelm Braumüller, Wien 2004. S. 105-110Siehe auch: Die Wiener Ringstraße. Exkursionsdidaktisches Konzept.Perrault, Dominique: Was kann das öffentliche Gebäude der Stadt geben? In: Neue ZürcherZeitung Nr. 170. 25./26. Juli 2009, Interview. S. 28Vielhaber, Christian (2007): Kritische Topographie – Was soll das sein? Gedanken, Perspektiven undder Versuch einer Umsetzung. In: GW-Unterricht 108, S. 11 – 20.Literatur:Arendt, Hannah: Der <strong>Raum</strong> des Öffentlichen und des Privaten. In: <strong>Raum</strong>theorie, Hrsg.Dünne,Jörg, Günzel, Stephan. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2006. S. 420-437Dünne,Jörg. Günzel, Stephan: <strong>Raum</strong>theorie. Grundlagentexte aus Philosophie undKulturwissenschaften. Suhrkamp, Frankfurt/Main, 2006.Günzel, Stephan (Hrsg.). <strong>Raum</strong>wissenschaften. Suhrkamp. Frankfurt/Main. 2009Haus, Leah: Europeanization, Education, and School Curricula. In: Comparative PoliticalStudies 42, S.916 – 944, 2009Jongen, Marc (Hrsg.): Philosophie des <strong>Raum</strong>es. Standortbest<strong>im</strong>mungen ästhetischer undpolitischer Theorie. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn. 2008Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beltz, Weinhe<strong>im</strong>-Basel,1996Ramos, Sabin: Der öffentliche <strong>Raum</strong>: Entwicklungen und Perspektiven an ausgewähltenBeispielen in Wien. Unveröffentlichte Bachlorarbeit am Inst. für Geographie undregionalforschung der Universität Wien, 2009Vielhaber, Christian: Vermittlung und Interesse. Zwei Schlüsselkategorien fachdidaktischerGrundlagen <strong>im</strong> Geographieunterricht. In: Vielhaber, C. (Hrsg.): Geographiedidaktik kreuzund quer. Vom Vermittlungsinteresse bis zum Methodenstreit, von der Spurensuche bis zum<strong>Raum</strong>verzicht, S.9 - 26 (= Materialien zur Didaktik der Geographie und Wirtschaftskunde 15)Wardenga, Ute: Räume der Geographie – zu <strong>Raum</strong>begriffen <strong>im</strong> Geographieunterricht. In:Geographie heute 200, 23.Jg., S. 8 – 10, 200223

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