30 <strong>Braunvieh</strong> Aktuell Heft 3artikel aus der zeit<strong>ung</strong> der fortschrittliche LandwirtBericht von Dr. Hans-Jürgen KUNZ, Landwirtschaftskammer Schleswig-HolsteinEuterentwickl<strong>ung</strong> und Milchleist<strong>ung</strong>Einfluss der Ernähr<strong>ung</strong> in den ersten Lebenswochen.Es ist bekannt, dass die Heritabilität,das heißt der Erblichkeitsgradfür die Milchleist<strong>ung</strong>von Rindern bei etwa30 % liegt. Die restlichen 70 %werden durch die Fütter<strong>ung</strong>,Halt<strong>ung</strong> und andere Umweltfaktorenbeeinflusst. Wenn wirüber den Einfluss der Fütter<strong>ung</strong>auf die Milchleist<strong>ung</strong>sprechen, denken wir an dieErnähr<strong>ung</strong> während der Laktationaber vermutlich nichtan die Ernähr<strong>ung</strong> währendder Aufz<strong>ucht</strong> der betroffenenTiere. Genau mit diesem Themahaben sich Wissenschaftlerder Michigan State Universityin den USA beschäftigt.Die ersten LebenswochenIm FocusSpätestens seit dem wir überden Einfluss einer metabolischenProgrammier<strong>ung</strong> aufdas spätere Leist<strong>ung</strong>svermögenunserer Rinder diskutieren,hat sich der Blickwinkel vonUr<strong>sa</strong>che und Wirk<strong>ung</strong> deutlicherweitert. Wir lernen immerbesser, ähnlich wie in der Humanernähr<strong>ung</strong>oder Humanmedizin,komplexere Zu<strong>sa</strong>mmenhänge,zum Beispiel Ur<strong>sa</strong>cheund Wirk<strong>ung</strong> von zeitlichweit auseinander liegenden Ereignissenzu verstehen.Der Einfluss der Fütter<strong>ung</strong> auf die spätere Milchleist<strong>ung</strong> beginnt bereitsbeim Kalb.In den vergangenen Jahrenwurden häufig Ergebnisse auseiner Reihe von Versuchen zurmetabolischen Programmier<strong>ung</strong>zitiert, die einen positivenEinfluss des Ernähr<strong>ung</strong>sniveausvon weiblichen Kälbernin den ersten Lebenswochenauf die spätere Milchleist<strong>ung</strong>dieser Tiere gezeigt haben. Esgibt aber ebenso Studien zudiesem Thema, bei denen solcheZu<strong>sa</strong>mmenhänge nicht gefundenwurden. Es ist ein Zeichendafür, dass hier noch sehrviel Forsch<strong>ung</strong>sbedarf notwendigist, um die Zu<strong>sa</strong>mmenhängevon Ur<strong>sa</strong>che und Wirk<strong>ung</strong>besser erklären zu können.Zwei Dinge sind hierbeiebenfalls immer zu bedenken:Erstens gibt es, um bei demBeispiel Milchleist<strong>ung</strong> zu bleiben,eine Vielzahl von Faktoren,die darauf positiv Einfluss nehmenund sich teilweise auchnoch wechselseitig beeinflussenkönnen, so dass am Endeschwer zu <strong>sa</strong>gen ist, welcheFaktoren denn wirklich für diehöhere Leist<strong>ung</strong> verantwortlichwaren. Zweitens gibt esebenso viele Faktoren, die sichnegativ auf die Milchleist<strong>ung</strong>auswirken und dadurch positiveEffekte wieder zunichtemachen können, vor allemwenn eine lange Zeitspannezwischen Ur<strong>sa</strong>che (z. B. Ernähr<strong>ung</strong>sniveaudes Kalbes) undder Wirk<strong>ung</strong> (Milchleist<strong>ung</strong>als Kuh) liegt. Je länger dieseZeitspanne ist, desto schwierigerwird es, solche Zu<strong>sa</strong>mmenhängeaufzudecken.Ein Grund dafür, dass das Ernähr<strong>ung</strong>sniveauder Kälber diespätere Milchleist<strong>ung</strong> dieserTiere beeinflussen kann, liegtmöglicherweise darin begründet,dass ein Zu<strong>sa</strong>mmenhangzwischen dem Ernähr<strong>ung</strong>sniveauder Kälber währendder Milchphase und der Ausbild<strong>ung</strong>des eigenen Eutergewebesbesteht. Dieser Zu<strong>sa</strong>mmenhangliegt zeitlich unmittelbarbeieinander, nur diedaraus resultierende Milchleist<strong>ung</strong>lässt sich erst viel spätermessen und kann zwischenzeitlichvon vielen anderenFaktoren beeinflusst werden.Einfluss der Ernähr<strong>ung</strong>des Kalbes aufdie Ausbild<strong>ung</strong> desEutergewebesWir wissen, dass die Entwickl<strong>ung</strong>von milchbildendem Gewebe,dem Parenchym, bereitsim Embryonalstadium beginntund im Folgenden vonverschiedensten Faktoren beeinflusstwerden kann. Es gibtjedoch Zeitpunkte in der Entwickl<strong>ung</strong>,zu denen eine Beeinfluss<strong>ung</strong>smöglichkeitbesondersgroß ist. Dazu gehörtnach Erkenntnissen von DavisRincker et al. (2008) die Ernähr<strong>ung</strong>während der erstenLebenswochen auf die <strong>Ma</strong>ssedes Parenchyms.Bereits in der ersten Hälfte dervergangenen Dekade wurdenvon Brown et al. (2005) ersteStudien zu diesem Themadurchgeführt. Die Übersicht 1zeigt Gewichte der Euteranlageund des Parenchyms bei unterschiedlicherNährstoffversorg<strong>ung</strong>von Kälbern während derersten Lebenswochen. Zu diesemZweck wurden zunächstzwei Kälbergruppen von derzweiten bis inklusive der siebtenLebenswoche auf einemunterschiedlichen Energieniveau,mittel und hoch, versorgt.Das mittlere Energieniveauentsprach einer Tränkemenge,die auf die Körpermassebezogen 1,1 % Trocken masseMAT pro Kalb und Tag betrug.Zusätzlich wurde ein Kälberstartermit 20,5 % Rohproteinangeboten. Die Kälber, die aufeinem hohen Energie niveauversorgt wurden, bekamen proTag 2,0 % ihres Körpergewichte<strong>sa</strong>n MAT-Trockenmasse undzusätzlich einen Kälberstarterfuttermit 25 % Rohprotein. DasEutergewebe der hoch versorgtenGruppe lag am Ende dieserPeriode um 75 % über demWert der moderat versorgtenKälber. Noch wichtiger war esjedoch, den Anteil des Paren-
<strong>Braunvieh</strong> Aktuell Heft 3 31artikel aus der zeit<strong>ung</strong> der fortschrittliche LandwirtBericht von Dr. Hans-Jürgen KUNZ, Landwirtschaftskammer Schleswig-HolsteinÜbersicht 1: Gewicht der Euteranlage und des Euterdrüsengewebes (Parenchym)bei unterschiedlicher Nährstoffversorg<strong>ung</strong> während der ersten LebenswochenEnergieniveau 2. bis 8. Lebenswoche * mittel hochEuterdrüsengewebe ges. (g) 106 185Euterdrüsengewebe g/100 kg Körpergewicht 181 255Parenchym ge<strong>sa</strong>mt (g) 1,2 4,5Parenchym g/100 kg Körpergewicht 1,9 6,2Energieniveau 8. bis 14. Lebenswoche ** niedrig hoch niedrig hochEuterdrüsengewebe ges. (g) 208 418 242 626Euterdrüsengewebe g/100 kg Körpergewicht 252 390 274 511Parenchym ge<strong>sa</strong>mt (g) 13 16 22 29Parenchym g/100 kg Körpergewicht 16 15 24 23* mittel: MAT/Tag 1,1 % TS vom Körpergewicht (MAT 21,3 % XP, 21,3 % XL) + Kälberstarter (20,5 % XP)hoch: MAT/Tag 2,0 % TS vom Körpergewicht (MAT 30,3 % XP, 15,9 % XL) + Kälberstarter (25,0 % XP)** niedrig: Aufz<strong>ucht</strong>futter für tägliche Zunahmen von 400 g, hoch: Aufz<strong>ucht</strong>futter ad libitum BROWN et al. (2005)chyms, also des später milchbildendenGewebes zu untersuchen.Hier lag die <strong>Ma</strong>sse desParenchyms der hoch versorgtenKälber sogar um 275 %über dem der moderat versorgtenTiere.Im weiteren Verlauf, von der 8.bis zur 14. Lebenswoche, wurdejede dieser beiden Gruppennoch einmal geteilt und dieUntergruppen jeweils mit einemniedrigen und einem hohenEnergieniveau versorgt(Übersicht 1). In den beidenniedrig versorgten Gruppenwurden Zunahmen von 400 gbei restriktiver Kraftfutterzuteil<strong>ung</strong>erreicht. Die Kälber derbeiden hoch versorgten Gruppenerhielten ad libitum einehochverdauliche Ration. Es istdeutlich zu erkennen, dass sichder Einfluss des Ernähr<strong>ung</strong>sniveausin der zweiten Versuchsphaseimmer noch aufdas Eutergewicht aber kaumnoch auf das Gewicht des Parenchym<strong>sa</strong>usgewirkt hat, unabhängigdavon, wie die Kälberin der Milchphase ernährtwurden, so dass es hier keinestatistisch nachweisbaren Unterschiedemehr gibt.Diese Untersuch<strong>ung</strong> zeigt,dass das Ernähr<strong>ung</strong>sniveauwährend der Milchphase einenentscheidenden Einflus<strong>sa</strong>uf die Ausbild<strong>ung</strong> des Parenchymsbesitzt. Im Anschlussdaran verschwindet aber dieseEinflussmöglichkeit. Dasbei Kälbern im An<strong>sa</strong>tz angelegteMilchbild<strong>ung</strong>sgewebesollte die spätere Produktivitätbeeinflussen, auch wenndieser Punkt in der vorliegendenStudie nicht mehr unters<strong>ucht</strong>wurde. Auch diese Begründ<strong>ung</strong>könnte unter anderemein Erklär<strong>ung</strong><strong>sa</strong>n<strong>sa</strong>tzdafür sein, dass in vielen Studienwährend der Milchtränkeperiodead libitum ernährteKälber später höhere Milchleist<strong>ung</strong>enerreichten als restriktivgetränkte Kälber.Färsen dürfen nichtgemästet werdenIn einer weiteren Studie derMichigan State University wurdevon Davis Rincker (2008)der Effekt einer unterschiedlichenFütter<strong>ung</strong> auf die Euterentwickl<strong>ung</strong>vor Beginn derGeschlechtsreife im Alter vonzweieinhalb bis fünfeinhalbMonaten unters<strong>ucht</strong>. Währendder zwölfwöchigen Periodewurden zwei Fütter<strong>ung</strong>sniveausmit täglichen Zunahmenvon 600 g und 1200 g inunterschiedlicher Kombinationmiteinander verglichen.Jeweils eine Gruppe wurdeüber den kompletten Zeitraumauf dem Niveau von 600 bzw.1200 g täglichen Zunahmenernährt. Eine weitere Gruppewurde die ersten neun Wochenauf dem niedrigen unddie restlichen drei Wochenauf dem hohen Niveau gefüttertund die vierte Gruppejeweils sechs Wochen niedrigund hoch (siehe Übersicht 2).Auch in diesem Versuch ist eindeutlicher Einfluss der Fütter<strong>ung</strong>sintensitätauf das Eutergewichtzu erkennen. Anderssieht es wiederum beimGewicht des Parenchyms aus.Hier gibt es keine signifikantenUnterschiede. Somit wird auchin dieser Unter such<strong>ung</strong> deutlich,dass die <strong>Ma</strong>sse des milchbildendenGewebes durch diespätere Fütter<strong>ung</strong> nicht mehrbeeinflusst werden kann. ImVerhältnis zur Körpermassesinkt sogar der Anteil des Parenchyms.Liegen die Zunahmenvor dem Eintritt der Geschlechtsreifeauf einem sehrhohen Niveau, so dass es zueinem früheren Eintritt in diePubertät kommt, muss unterUmständen sogar mit negativenFolgen hinsichtlich derspäteren Milchleist<strong>ung</strong> gerechnetwerden.FazitUntersuch<strong>ung</strong>en an der MichiganState University in denUSA zeigen, dass eine Ernähr<strong>ung</strong>der Kälber während derMilchphase auf hohem Niveauzu einer signifikant höheren<strong>Ma</strong>sse an milchbildendem Gewebe,dem Parenchym, führt.Dieser Effekt ist durch eine intensiveErnähr<strong>ung</strong> zu einemspäteren Zeitpunkt nicht mehrzu erreichen. Hohe täglicheZunahmen sollten darum beiweiblichen Kälbern in ersterLinie während der Milchphaseangestrebt werden. Wie eigeneVersuche zeigen, könnensie durchaus 1000 g erreichen.Im Anschluss sollte der weitereZuwachs derart gestaltetwerden, dass die Tiere mit 15Monaten, zum Zeitpunkt derersten Be<strong>sa</strong>m<strong>ung</strong>, ein Gewichtvon etwa 420 kg erreicht haben.Je später die Kälber diedafür notwendigen Zunahmenerreichen, desto größerist die Gefahr der Verfett<strong>ung</strong>der Euteranlage und des Gebärmuttertraktes.Übersicht 2: Gewicht der Euteranlage und des Euterdrüsengewebes(Parenchym) bei unterschiedlicherNährstoffversorg<strong>ung</strong> abgesetzter Kälber (Alter:11 Wochen) während einer 12-wöchigen Periodeniedriges Energieniveau* zu Beginn (Wochen) 0 9 6 12anschließend hohes Energieniveau** (Wochen) 12 3 6 0Anzahl Kälber 16 15 16 15Köpergewicht zu Beginn der Untersuch<strong>ung</strong> (kg) 106 108 108 108Köpergewicht am Schlachtag (kg) 165 167 181 203Euterdrüsengewebe ges. (g) 808 1014 1412 1818Parenchym (g) 146 152 166 164Fettfreies Parenchym (g) 119 120 123 115* Energieniveau niedrig: Fütter<strong>ung</strong>sniveau für tägliche Zunahmen von 600 g** Energieniveau hoch: Fütter<strong>ung</strong>sniveau für tägliche Zunahmen von 1200 gDAVIS RINCKERet al. (2005)