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Broschüre - Rechtspopulismus stoppen - Blogsport

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Proteste gegen den Bundesparteitagvon »Pro Deutschland« in Schöneberg17. Juli 2010Liebe Leser_innen,haben Sie schon einmal etwas über <strong>Rechtspopulismus</strong> gehörtoder gelesen und fragen sich immer noch, was überhauptdahinter steckt? Sicher schon. Und vermutlich imZusammenhang mit Vereinen, Organisationen und Parteien,die mit dem Label »rechtspopulistisch« belegt werden.Gerade in Berlin treten mit »Pro Deutschland« und»Die Freiheit« zu den Wahlen im September Parteien an,die als rechtspopulistisch eingestuft werden. Doch welchesPhänomen soll dieser Begriff umschreiben. Welche Politik-,Interaktions- und Kommunikationsform sowie politischeIdeologie bzw. Programmatik ist kennzeichnend fürso definierte Gruppierungen? Welche Überschneidungenund/ oder Abgrenzungen bestehen zum Rassismus;schließlich tauchen beide immer wieder als Begriffspaarauf? Was hat es mit dem Bündnis »<strong>Rechtspopulismus</strong><strong>stoppen</strong>« auf sich, was will es und gegen bzw. für wen oderwas engagiert es sich seit Mai 2010 mit vielfältigen Aktivitäten?Wir, das Bündnis »<strong>Rechtspopulismus</strong> <strong>stoppen</strong>« 1 , gehenals »breiter Zusammenschluss aus antifaschistischen undantirassistischen Initiativen, translesbischwulen Gruppen,Migrant_innenselbstorganisationen, zivilgesellschaftlichund politisches Gruppen, Parteien, Gewerkschaften undEinzelpersonen« genau diesen Fragen nach. Die über einjährigeBeschäftigung damit sowie die Rechtsverschiebungin öffentlichen Debatten zu diesem Themenkomplex sindAnlass gewesen, diese erste <strong>Broschüre</strong> herauszugeben. Sieenthält sehr unterschiedlich ausgerichtete Beiträge, umDiskussionsangebote zu machen. So verschieden die politischeund inhaltliche Motivation der am Bündnis beteiligtenGruppen und Einzelpersonen ist, sich gegen rechtspopulistischeAktivitäten zu engagieren, so verschieden sindauch die Lösungsansätze. Mit der <strong>Broschüre</strong> geht es unsnicht darum, allumfassend die Komplexität der Phänomene<strong>Rechtspopulismus</strong>, Rassismus und Sozialchauvinismussowie deren Kausalitäten sowohl untereinander wie auchmit anderen Themen abzubilden. Uns geht es vielmehr ineinem ersten Schritt um die Einigung über weltanschauliche,parteipolitische und religiöse Grenzen hinweg aufeinen grunddemokratischen Nenner: den zunehmendenRechtsruck in der Gesellschaft, sei es in den Medien, inder Politik allgemein und in den etablierten Parteien imBesonderen zu thematisieren und Rassismus wie auchSozialchauvinismus überall dort entgegenzutreten, wo erauftritt. Wir setzen uns dabei kreativ sowohl inhaltlich wieaktionsorientiert mit den aktuellen Entwicklungen, denStrukturen und ihren Akteur_innen auseinander.Für eine angemessene Behandlung der mit dem Themaverbundenen Fragen haben wir versucht, Autor_innenzu gewinnen, die sich über unterschiedliche Zugänge seitJahren damit beschäftigen, wie und warum sich nazistischeKernideologeme wie Rassismus und Sozialchauvinismusnicht nur mitten in der Gesellschaft, sondern auchimmer wieder und beständig aus ihr heraus produzieren.


Seite 8 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinWas ist <strong>Rechtspopulismus</strong>?Prof. Dr. Christoph ButterweggeDer Autor lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine letzten Buchveröffentlichungenzum Thema sind: »Massenmedien, Migration und Integration. Herausforderungenfür den Journalismus und die politische Bildung« sowie »<strong>Rechtspopulismus</strong>,Arbeitswelt und Armut. Befunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz«.Durch die öffentliche Debatte über Thilo Sarrazin undden von ihm veröffentlichten Bestseller »Deutschlandschafft sich ab« hat die Frage an Bedeutung gewonnen,was Rechtspoulismus ist und ob er – möglicherweise sogarin parteipolitisch organisierter Form – nach Wahlerfolgenin mehreren Nachbarländern auch hierzulande eineChance hätte. Vermutlich rührt Sarrazins publizistischerErfolg daher, dass er wichtige Diskurse der letzten Jahre(z.B. den Demografiediskurs: »Die Deutschen sterbenaus«; den Migrationsdiskurs: »Zuwanderer – seit dem 11.September 2001 hauptsächlich Muslime – überschwemmenbzw. überfremden uns«; den Sozialstaatsdiskurs:»Hartz-IV-Bezieher/innen sind gar nicht wirklich arm,sondern plündern uns aus, weil der Sozialstaat zu großzügigist«) bündelt und teilweise noch zuspitzt. Offenbar trafder damalige Bundesbank-Vorstand und frühere BerlinerFinanzsenator mit seinen polemischen Vorwürfen gegenübersozial benachteiligten Minderheiten thematisch wiepolitisch-inhaltlich den neoliberal geprägten, aber auchvon Deutschtümelei nicht freien Zeitgeist. Zu erörtern istauch, ob es sich bei Sarrazins Thesen um einen mutigenTabubruch oder um einen typischen Fall von Rassismus,Sozialdarwinismus und <strong>Rechtspopulismus</strong> handelt.<strong>Rechtspopulismus</strong> –Deutungsmuster und DefinitionsversucheDer inflationär verwendete Populismusbegriff ist aus zweiGründen schillernd und unscharf. Einerseits fallen darunterhäufig link(sradikal)e genauso wie recht(sextrem)eund basis- bzw. radikaldemokratische genauso wie antidemokratischeStrömungen, was seine Offenheit für unterschiedlicheStrategien und Taktiken signalisiert, aberauch inhaltliche Mehrdeutigkeit, Verschwommenheitund Konturlosigkeit bedingt. Andererseits wird häufigso getan, als sei »<strong>Rechtspopulismus</strong>« das demokratischgeläuterte, zumindest sehr viel moderatere Pendant zumRechtsextremismus, nicht etwa nur eine Spezialform desselben.Dies bringt jedoch weitere Abgrenzungsproblememit sich, ohne gleichzeitig mehr terminologische Klarheitzu schaffen. Missverständlich ist der Populismusbegriffinsofern, als dafür zwei unterschiedliche Deutungsmusterexistieren.Das in der Forschungslandschaft wie in der Fachliteraturklar dominante Deutungsmuster begreift Populismus alsPolitik(vermittlungs)form und Regierungsstil, welchervon Personen, Parteien oder Koalitionen ganz unterschiedlicherCouleur praktiziert werden kann, was manggf. mittels der Differenzierung zwischen Links- und<strong>Rechtspopulismus</strong> zum Ausdruck bringt. Nach herrschenderLehre charakterisiert der Populismus gar nicht die Politikeiner Partei, sondern nur die Art, wie sie gemachtund/oder »an den Mann gebracht« wird.Ein gewisses rhetorisches Talent und die argumentativeDemagogie seiner führenden Repräsentanten sind auffälligeMerkmale des Populismus, aber nicht für ihn konstitutiv.Nach größerer Popularität zu streben, »dem Volk aufsMaul zu schauen« und komplexe Zusammenhänge leichtverständlich darzustellen, ist höchstens dann populistisch,wenn damit die Manipulation von Menschen zugunsteneiner privilegierten Minderheit verbunden ist. Unbefriedigendbleibt eine bloße Formaldefinition für Populismus,wenn sie keinerlei inhaltliche Festlegung enthält. Die Bezeichnungeines Parteiprogramms als »populistisch« ist so-


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 9Proteste gegen Sarrazin-Lesungim Estrel-Hotel18. Mai 2011wenig aussagekräftig wie der Begriff »Protestpartei«, weilin beiden Fällen keine Aussage über die dahinter steckendeIdeologie getroffen wird.Das andere Deutungsmuster versteht unter Populismuseine stärker inhaltlich bestimmte Konzeption, die aufgrundihrer Konstruktion eines (ethnisch) homogenenVolkes, das sie den »korrupten Eliten« gegenüberstellt,mit einer linken Weltanschauung bzw. deren Hauptströmungen– Sozialismus, Reformismus und Kommunismus–, die Klassen und Schichten zu Basiskategorienihrer Topografie der Gesellschaft machen, unvereinbar ist,aber mit den bürgerlichen Grundrichtungen – Liberalismusund Konservatismus –, die zwischen den genanntenGroßgruppen keine Interessengegensätze zu erkennenvermögen, durchaus harmoniert. <strong>Rechtspopulismus</strong> wärefür diese Orientierung zwar der treffendere Begriff, wasallerdings nicht ausschließt, dass sich auch Strömungender »Mitte« oder der Linken zumindest vorübergehendsolcher Argumentationsmuster und entsprechender Agitationstechnikenbedienen.Populismus ist mehr als eine Stilfrage und eine Agitationstechnik,worauf schon die Etymologie des Terminusverweist, denn die ursprüngliche Wortbedeutung lässtden Anspruch damit Bezeichneter erkennen, Politik imNamen des Volkes und/oder für das Volk zu machen. Jenachdem, ob man diese Zielgruppe im Sinne von »ethnos«oder »demos« versteht, bildet das »eigene« oder das»gemeine Volk« den Fixpunkt. Zwar haben Rechtspopulistennur wenig Hemmungen, ihrerseits – etwa als Parlamentsabgeordneteoder Minister – die Privilegien derMächtigen und Regierenden in Anspruch zu nehmen,verlangen von diesen jedoch, sich nicht persönlich zubereichern, sondern selbstlos »der Sache des Volkes« zudienen. Rechtspopulisten stellen zwar die soziale Frage,ohne sie jedoch überzeugend zu beantworten. Meistensverknüpfen solche Gruppierungen die soziale mit der nationalenFrage, obwohl eine Verbindung von sozialer unddemokratischer Frage nötig wäre, um sie zu lösen.Der zeitgenössische Rechtsextremismus hat sich spürbarmodernisiert, programmatisch erneuert und vom Nationalsozialismusmehr oder weniger überzeugend distanziertsowie aufgrund der Vielfalt von ihm mittlerweile besetzterHandlungsfelder, Aktionsformen und Organisationszusammenhängeerheblich ausdifferenziert. Als rechtspopulistischsollten nur jene (Partei-)Organisationen, Strömungenund Bestrebungen bezeichnet werden, die denDualismus von »Volk«, »Bevölkerung« bzw. »mündigenBürgern« und »Elite«, »Staatsbürokratie« bzw. »politischerKlasse« zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Agitation undPropaganda machen, ohne militante Züge aufzuweisenund Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele anzuwendenoder anzudrohen. Innerhalb des <strong>Rechtspopulismus</strong>kann man idealtypisch vier Grundvarianten unterscheiden:1.Wenn die Kritik an einem vermeintlich überbordenden,die Volkswirtschaft lähmenden und deneigenen Wirtschaftsstandort gefährdenden Wohlfahrtsstaatim Mittelpunkt der Propaganda einer Rechtsparteisteht, wäre von »Sozialpopulismus« zu sprechen. Mannutzt den unterschwellig vorhandenen, oft in der politischenund medialen Öffentlichkeit geschürten Sozialneidgegenüber noch Ärmeren – in diesem Fall: den angeblich»faulen« bzw. »arbeitsscheuen« Erwerbslosen undSozialhilfeempfänger(inne)n –, um von den eigentlichenVerursachern der sich vertiefenden Kluft im Land abzulenken.2.Konzentriert sich eine rechte Gruppierung auf dieStigmatisierung und Diskriminierung von Straffälligen,plädiert sie energisch für »mehr Härte« der Gesellschaftim Umgang mit ihnen und nimmt sie besondersDrogenabhängige, Bettler/innen und Sexualstraftäter insVisier, um die Wähler/innen mit einem Szenario der permanentenBedrohung zu erschrecken, handelt es sich umKriminalpopulismus, der die »anständigen Bürger« gegenden »gesellschaftlichen Abschaum« mobilisiert und seine


Seite 10 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinKampagnen auf dem Rücken von sozial benachteiligtenMinderheiten inszeniert. Häufig genug spielt die Boulevardpressedabei eine unrühmliche Rolle als Sprachrohreiner intoleranten und illiberalen Mehrheitsgesellschaft.3.Sofern eine Rechtspartei die »Systemfrage« in denMittelpunkt rückt und sich vor allem die verbreiteteEnttäuschung über ihre etablierten Konkurrentinnenauf dem »Wählermarkt« und die Entfremdung vieler Bürger/innengegenüber dem bestehenden Regierungs- bzw.Parteiensystem (»Politikverdrossenheit«) zunutze macht,das sie mit Korruption gleichsetzt und aus prinzipiellenErwägungen ablehnt, erreicht die populistische Zuspitzungeine andere Qualität, was die Bezeichnung »Radikalpopulismus«rechtfertigt. Bei dieser Variante legt einepopulistische Bewegung den Maßstab für ihr eigenes Verhaltensehr hoch. Umso leichter kann sie daran gemessenund – wie schon oft geschehen – selbst der politischenUnfähigkeit, Inkompetenz und Korruptionsanfälligkeitüberführt werden.4.Steht der staatliche Innen-außen-Gegensatz bzw.die angebliche Privilegierung von Zuwandererngegenüber den Einheimischen oder die »kulturelleÜberfremdung« im Vordergrund, handelt es sich umNationalpopulismus. Charakteristisch ist für ihn, dassdie zunehmende Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten,übrigens vor allem ethnischer Minderheiten,nicht etwa als Konsequenz ihrer Diskriminierung (z.B. imBildungsbereich sowie auf dem Arbeitsmarkt) und einerungerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen,vielmehr als Resultat der zu großen Durchlässigkeit bzw.Aufhebung der Grenzen für Migrant(inn)en thematisiertund die Angst vor einer »Überflutung« bzw. »-fremdung«vornehmlich durch Muslime kultiviert wird.Die Sinnkrise des Sozialen als geistiger Nährbodendes <strong>Rechtspopulismus</strong>Staat und Gesellschaft leiden gegenwärtig vor allem unterder massiven Entwertung bzw. einer tiefen Sinnkrise desSozialen, die den geistigen Nährboden des <strong>Rechtspopulismus</strong>bildet und aus folgenden Teilprozessen besteht:1.fällt die Tendenz zur Ökonomisierung des Sozialenins Auge. Fast alle Lebensbereiche, etwa Kultur,(Hoch-)Schule, Freizeit und auch die soziale Infrastruktur,werden nach dem Muster des Marktes restrukturiert.Sozial zu sein bedeutet fortan nicht mehr, sich gemäßhumanistischer Grundüberzeugungen oder christlicherNächstenliebe um arme, benachteiligte oder Menschenmit Behinderungen und ihre Probleme zu kümmern bzw.moralischen Verpflichtungen und ethischen Normennachzukommen. Vielmehr wird auch das Soziale zunehmendvom neoliberalen Zeitgeist durchdrungen und vonder Konkurrenz, dem Gewinnstreben und betriebswirtschaftlicherEffizienz bestimmt.2.findet eine Kulturalisierung des Sozialen statt. Seitgeraumer Zeit stehen nicht mehr materielle Interessenbzw. Interessengegensätze im Blickfeld, wenn manüber die Entwicklung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaftspricht, sondern die kulturelle Identität. Die Kulturalisierungdes Sozialen bedeutet, dass die Zugehörigkeitzur Gesellschaft nicht mehr über die Zugehörigkeitihrer Mitglieder zu einer bestimmten Klasse, Schicht oderGruppe definiert wird, die gemeinsame Interessen haben(und daher ein hohes Maß an Solidarität realisieren können,falls sie sich dessen bewusst werden), sondern dassstärker nach kulturellen Übereinstimmungen, also gemeinsamerSprache, Religion und Tradition, gefragt wird. Dasist der Grund, weshalb sich Widerstand gegen diese Entwicklungnur schwer artikulieren und organisieren kann.3.ist eine Ethnisierung des Sozialen festzustellen. Jemehr die ökonomische Konkurrenz im Rahmender »Standortsicherung« verschärft wird, umso leichterlässt sich die kulturelle Differenz zwischen Menschenunterschiedlicher Herkunft aufladen und als Ab- bzw.Ausgrenzungskriterium gegenüber Mitbewerber(innen)um soziale Transferleistungen instrumentalisieren. Ein»nationaler Wettbewerbsstaat« (Joachim Hirsch), derkein herkömmlicher Wohlfahrtsstaat mehr sein möchte,bereitet Ethnisierungsprozessen den Boden. Diese habenzwei Seiten: Neben einer Stigmatisierung »der Anderen«bewirken sie eine stärkere Konturierung »des Eigenen«bzw. die Konstituierung einer nationalen bzw. »Volksgemeinschaft«,mit der viel weiter reichende Ziele verfolgtwerden. »Deutsche(s) zuerst!« lautet ein Slogan, der solcheVorstellungen genauso wie »Ausländer raus!«-Parolen imMassenbewusstsein verankert.4.zeichnet sich eine Biologisierung des Sozialen ab.Gesellschaftlich bedingte Verhaltensweisen werdenheute immer häufiger an den Genen festgemacht.Dabei spielt der Demografie-Diskurs, d.h. die Art undWeise, wie über die (Alters-)Struktur der Gesellschaft gesprochenund geschrieben wird, eine Schlüsselrolle. Mitdem demografischen Wandel rückt die Humanbiologieins Zentrum der Gesellschaftspolitik und entscheidetquasi naturwüchsig, wie ein naturgesetzlicher Sachzwang,über Rentenhöhen und darüber, wie Sozialleistungen zubemessen sind. Wer die meist Katastrophenszenarien gleichendenBevölkerungsprognosen betrachtet, deren Häufungin den Medien auffällt, stellt fest, dass die Urangstvon Neonazis und Rechtsextremisten, »das deutsche Volk«könne »aussterben« (und zuwandernden Muslimen somitwiderstandslos »das Feld räumen«), in die Mitte der Gesellschaftwandert.


Rainhard Haese (rechts, »RepublikanerBerlin« & »Pro Berlin«)Kundgebung am Breitsscheidplatz3. Oktober 2010


Proteste gegen die Büroeröffnungvon »Pro Berlin« in der Allee der Kosmonauten28 (Marzahn-Hellersdorf)18. August 2010


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 13Klassen,Rassen& KriegekapitalistischeNormalitätSevim Dağdelenist Mitglied der Partei Die Linke. und seit 2005 Bundestagsabgeordnete. Sie ist Mitbegründerindes Bundesverbandes der MigrantInnen in Deutschland und arbeitet für verschiedenePublikationen als Journalistin und Übersetzerin.Es ist kein Zufall, dass eine neue Welle des Fremdenhassesund Rassismus just dann über Europa schlägt, wennjene die bislang von dem uneingelösten Demokratieversprechender bürgerlichen Welt ausgeschlossen wurden,aufbrechen, um dessen Universalität einzufordern.Der erneute Ausbruch des Ressentiments wäre nichtsneues, gehört doch der Rassismus zum ständigen Begleitcharakteristikumder kapitalistischen Gesellschaftsformation.Auch und gerade in Krisenzeiten. Es war deshalbnicht überraschend, dass seit zwei Jahren führende PolitikerInnenoffen Rassismus gegenüber Griechenland schüren,welcher von den sogenannten Leitmedien bereitwilligaufgegriffen wird. Schließlich sollen der Sozialabbauund die Verwerfungen der kapitalistischen Gesellschaftsformationnicht als eine direkte Konsequenz der politischgewollten neoliberalen Wirtschaftsordnung oder auf konkreteEntscheidungen europäischer Politik zurückgeführtwerden. Vielmehr sollen sie als alternativlose Zwänge derGlobalisierung und notwendige Notopfer eines Abwehrkampfesgegen eine konstruierte äußere Gefahr verschleiertwerden.Neu ist aber, dass angesichts des Aufbruchs in der arabischenWelt, der Widerspruch zwischen rassistischer Ausgrenzung,Verweigerung und Integrationsdebatten derwestlichen Metropolen beim Zusammenprall mit der unmissverständlichenForderung nach Gleichberechtigung,demokratischer Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit inder kapitalistischen Peripherie unüberhörbar wird.


Seite 14 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinIn den letzten 30 Jahren, seit dem Entstehen der Massenarbeitslosigkeitund ihrer Verfestigung, erlebt die Bundesrepublikeine Kampagne dieser Art nach der anderen.Nicht erst der Aufstand der griechischen Bevölkerunggegen die rechts-liberale Regierung unter MinisterpräsidentKostas Karamanlis und seine unsoziale, neoliberaleWirtschaftspolitik vor zwei Jahren hat in regelmäßigenAbständen in Deutschland RechtspopulistInnen auf denPlan gerufen. Aber gerade die in Griechenland bestehendensozialen Konflikte, eine Folge auf die EU-Politik zurDisziplinierung der Mitgliedstaaten durch die Finanzmärkte,sind ein gutes Beispiel dafür, wie diese hier zueinem nationalen »Schmarotzertum« umdefiniert wurdenund von den eigentlichen Ursachen sowie VerursacherInnenabgelenkt werden soll: »Die Griechen wollen, dasswir ihre Luxusrenten bezahlen.« Eine Strategie, die festerBestandteil einer alten »deutschen Tradition« ist, diesich bis zum Kaiserreich zurückverfolgen lässt und ihreneinmaligen Tiefpunkt während der Verbrechen des deutschenFaschismus auch ganz speziell gegen die Ärmstender Armen erreicht hatte. Als schon vorher wegbereitendfür diese Verbrechen kann hier z.B. angeführt werden, wieschon im 19. Jahrhundert die Kolonisierung Osteuropasmit dem Vorhandensein einer angeblichen »polnischenWirtschaft« gerechtfertigt wurde. Damals wie heute gehtes darum, diejenigen, die als »minderwertig«, »unwert«,»unnütz« oder unter dem Stigma »asozial« subsumiertund kategorisiert werden, aus der Gesellschaft auszusortierenund Diskriminierungen, Zwangsmaßnahmen undSanktionen zu legitimieren. Die Hetzorgane der Herrschendenhaben dafür in der Bundesrepublik u.a. dasStigma »Sozialschmarotzer« konstruiert, um diese ganzim Sinne eines »Nützlichkeitsrassismus« von »LeistungsträgerInnen«abzugrenzen.Dabei geht es in dem kapitalistischen Produktionsprozessnicht nur darum eine »organische Produktionsstruktur«herauszubilden, in welcher bestimmte als fremddefinierte Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden.Vielmehr sollen zugleich jene Ausgeschlossenen unterdas vermeintliche Integrationsversprechen zu einer verstärktenLeistungsanstrengung motiviert werden. DieserMechanismus dient keineswegs nur um gegen ausländischeBevölkerungsgruppen in Anschlag gebracht zuwerden, sondern genauso gegen Arbeitslose und Armeüberhaupt. In beiden Fällen wird die strukturelle Verantwortungder neoliberalen Ordnung für die sozialen Verwerfungenauf die Ebene der Individuen abgeschoben.Für diese Menschen soll der Eindruck entstehen, ihreindividuellen Bemühungen und Leistungsanstrengungenwären der beste Garant dafür, dass sie zu einem völkischdefinierten »organischen Ganzen« dazugehören dürfen.Gleichzeitig soll eine klassenspezifische Solidarität überethnische und rassisch definierte Grenzen hinweg ausgeschlossenwerden.Besonders massiv wurde diese Hetze, als mit Hilfe neonazistischerAttacken 1993 das Asylrecht in der Bundesrepublikfaktisch abgeschafft wurde. Sie wurde dann neuentfacht, als die Menschen wegen Hartz IV, vor allem inOstdeutschland im Jahre 2004, auf die Straße gingen. Ineinem Papier des damaligen Bundeswirtschaftsministeriumsunter Wolfgang Clement (SPD) war die Rede von»Parasiten«. Und genau das meinte Guido Westerwelle,als er letztes Jahr behauptete, Erwerbslose und Hartz-IV-Betroffene erhielten ein »anstrengungsloses Einkommen«.Genau dies meinte auch Thilo Sarrazin (SPD) alser als Berliner Finanzsenator und später als Bundesbankvorstandgegen die Armen und MigrantInnen hetzte.»Super-Sarrazin-Spar-Menü-Frühstücks-Buffet«gegen Sarrazin-Veranstaltungbei der IHK12. April 2011


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 15Seit seinen Anfängen begleitet den Kapitalismus der vertikaleRassismus, wie es der italienische Philosoph DomenicoLosurdo genannt hat. Rassistische Erklärungsmusterwerden so objektiviert und als eine naturgegebene Tatsache,einer unterschiedlichen Verteilung von Leistungsfähigkeit,ausgegeben. Die soziale Spaltung der Gesellschaftwird damit biologistisch untermauert. Diese »Wissenschaft«findet angesichts dessen und nicht zuletzt dankder Prämisse der Selektion im Bildungswesen, auch denEingang in Schulen und Medien. An deren Ende stehtdie Feststellung, dass ArbeiterInnen, MigrantInnen, Erwerbslose,Arme oder Kranke »minderwertig« sind.Angesichts der Krise des Kapitalismus und des Ansehensverlustdes Kapitalismus werden die Verteilungskämpfe inder Zukunft an Intensität gewinnen. Es ist absehbar, dassum von der Verteilungsfrage abzulenken wieder tief in dieTrickkiste gegriffen wird, um die menschliche Solidaritätzu spalten. Der Norden gegen den globalen Süden, OstgegenWestdeutschland, Junge gegen Alte, vor allem aberbetrifft es Menschen mit Migrationshintergrund, die gegensogenannte Einheimische oder ChristInnen gegen MuslimInnenoder auch untereinander ausgespielt werden.Unter Zuhilfenahme von Rassismus- und Orientalisierungs-Strategien,welche die Menschen aufgrund ihrerHerkunft und Kultur essentialisieren, versuchen dieHerrschenden von den eigentlichen gesellschaftlichenProblemen, wie der wachsenden Armut für die Mehrheitund dem steigenden Reichtum für Wenige abzulenken.Und sie nähren damit den Boden für die menschenverachtendeIdeologie der Nazis.Im Kern richten sich diese Kampagnen und Erklärungsversuchenicht nur gegen MigrantInnen. Sie sind eherein Angriff gegen eine solidarische, gegen eine gerechteGesellschaft als solche. Denn die wahren Konfliktlinienin unserer Gesellschaft verlaufen nicht zwischen »Deutschen«und MigrantInnen. Der Konflikt verläuft nichtzwischen denen, die Arbeit besitzen, und denen, die keineArbeit haben. Sie verläuft nicht zwischen den Kulturen.Sie verläuft auch nicht zwischen den Religionen und siehat auch nichts mit der Staatsbürgerschaft der Menschenzu tun.Die wirklichen Konfliktlinien verlaufen zwischen denen,die für ihre Arbeitsleistung gerade einmal einen mäßigenLohn bekommen, und denen, die sich an der Arbeit ihrerMitmenschen hemmungslos bereichern. Die Konfliktlinieverläuft zwischen denen, die nur ihre Arbeitskraft amMarkt anbieten können, und jenen, die diesen Markt mitreichlich Kapital steuern. Die echte Konfliktlinie verläuftzwischen solchen jungen Menschen von heute, die schonab der Wiege ausgesorgt haben, und jenen, die sich einganzes Leben lang plagen werden ohne eine wirklicheChance auf Integration in dieser Gesellschaft. Die Konfliktlinieverläuft zwischen denen, die ohne Arbeit lebenund bleiben, und jenen, die ihren Beschäftigten Überstundenund Mehrarbeit abverlangen.In der Vermittlung dieser Konflikte und der Offenlegungihrer Widersprüche liegt die Möglichkeit für denWiderstand im Kampf für eine wirklich solidarischeGesellschaft für alle Menschen. Es geht in ihnen darumdie Ausgrenzung von Menschengruppen, welcheman als minderwertig stigmatisiert, zu durchbrechen.Auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens.Die soziale Wirklichkeit lehrt uns, dass der Ausschluss alsfremd stigmatisierter Gruppen vom Zugang zu materieller,sozialer und kultureller Teilhabe nicht die Ausnahme,sondern die Grundbedingung moderner Staatlichkeit ist.Karl Marx hat diese Gesellschaft bekanntlich mit demSatz umschrieben, dass »An die Stelle der alten bürgerlichenGesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzeneine Assoziation, worin die freie Entwicklung einesjeden die freie Entwicklung aller ist« treten muss. In einerbürgerlichen, libertären Gesellschaft kann es eine Gerechtigkeitfür »Deutsche« und »Nicht-Deutsche« nichtgeben. Erst durch die Abschaffung ethnischer und rassischerKategorien durch eine diese überwindende Klassen-Solidarität kann es echte Freiheit geben.Die Krise des Kapitalismus und das wacklige Vertrauen inkapitalistische Institutionen nehmen die Herrschendenzum Anlass, die Ideologie des Rassismus in Gestalt einerals natürlich ausgegebenen Beschreibung des Zustandesvon fehlender Leistungsbereitschaft, hoffähig zu machen.Angesichts der Überakkumulation und der Problemeder Finanzwirtschaft der westlichen Wirtschaftsordnungbietet der Rassismus eine Möglichkeit dazu, um wiedergeistig für den nächsten Krieg zu rüsten.Dieser Imperialismus ist wie schon zu Zeiten Rosa Luxemburgsnur der politische Ausdruck des Prozesses derKapitalakkumulation in ihrem Konkurrenzkampf um dieReste des noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapitalistischenWeltmilieus. Die Einteilung der Peripherie inGute und Böse, in Nord und Süd geht längst auch inden europäischen Metropolen mit einer Einteilung inein Kern- und Randeuropa, in Ost und West, in »Minderwertige«und »Höherwertige« einher. Gerade deshalbmüssen die Kämpfe der Menschen in der arabischen Weltum soziale Gerechtigkeit und Würde, durch die Linke inEuropa wieder als Teil ihrer eigenen Kämpfe verstandenwerden. Als Kämpfe, die auf unterschiedlichen sozialenFronten, auf allen Kontinenten gegen die gleichen Ursachender sozialen Verwerfungen stattfinden.


Lars Seidensticker (»Pro Deutschland«)Kundgebung in Neukölln23. Oktober 2010


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 17Die »Pro-Bewegung« –antimuslimischerKulturrassismusvonRechtsaußenAlexander HäuslerDer Autor ist Sozialwissenschaftler, Rechtsextremismusforscher und Mitarbeiter mitForschungsschwerpunkt »Rechtsextremismus/Neonazismus« an der FachhochschuleDüsseldorf. Er ist Herausgeber einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der »Pro-Bewegung«. (<strong>Rechtspopulismus</strong> als Bürgerbewegung, VS-Verlag für Sozialwissenschaften,Wiesbaden 2008)Kulturrassismus als Modernisierungsticketder extremen RechtenMit einer Fokussierung auf einen kulturreligiös ummanteltenRassismus versuchen sich Teile der extremen Rechtenan einer »Modernisierung« ihrer Propaganda. Die Sarrazin-Debattehierzulande zeigt die politische Brisanz vonmuslimfeindlichem Populismus. Dabei droht das politischinszenierte Schlagwort der »schleichenden Islamisierung«zum Einfallstor von Rechtsaußen in die politische Mittezu werden. Die politische Sprengkraft eines solchen antimuslimischenRassismus zeigte Ende des Jahres 2009 dieVolksabstimmung gegen Minarettbau in der Schweiz, dieVorbildcharakter für die rechtspopulistisch modernisierteextreme Rechte in Europa hatte. Auch in Deutschlandsind propagandistische Verschiebungen innerhalb derextremen Rechten zu konstatieren, die einhergehen miteiner Neuaufstellung der extrem rechten Parteienlandschaft.Während die NPD die DVU nahezu geschluckthat und damit das traditionsorientierte neofaschistischeLager erneut parteiförmig zu einen bestrebt ist, versucht


Seite 18 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlinsich die so genannte Pro-Bewegung mit ihrer versuchtenVereinigung mit den REP an einer rechtspopulistischenModernisierung der extremen Rechten. Dabei ist jedochdie Muslimfeindlichkeit als Chiffre für einen mehrheitsfähigenRassismus das einigende Banner. Die »Pro-Bewegung«ist als neue Rechtsaußengruppierung bestrebt, mitrassistischen Kulturkampfparolen ihren Wirkungskreisvon Nordrhein-Westfalen aus bundesweit auszudehnen.Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin im Jahr2011 tritt »Pro Deutschland« zur Wahl an. Diese Gruppierungentstammt dem Lager der extrem rechten Parteienlandschaftund ringt mit den anderen Rechtsaußenparteienum die Stammwählerwählerschaft dieses Lagers.Zugleich bemüht sich diese Gruppierung jedoch um dasEindringen in breitere Wählerschichten. Im Unterschiedzu offen neonazistischen und demokratiefeindlichen Parteienwie der NPD bekleidet sich die »Pro-Bewegung«mit einer rechtspopulistischen Hülle: Forderungen nachVolksentscheiden dienen dabei dem offenkundigen Bestrebender Instrumentalisierung von Mitbestimmung alsVehikel zur Kampfansage an den interkulturellen Frieden.Politische VerortungDie PRO-Bewegung mit ihrer Ursprungsformation »ProKöln« (1996) und ihren Exportmodellen »Pro NRW«(2007) und »Pro Deutschland« (Pro D) (2005) ist eineneue Wahlgruppierung der extremen Rechten, die – getarntals »Bürgerbewegung« – versucht, sich von derDomstadt Köln aus in Nordrhein-Westfalen und darüberhinaus in ganz Deutschland auszubreiten. Erste Wahlerfolgeerlangte diese neue Rechtsaußengruppierung bei denKommunalwahlen 2004 in Köln, wo ihr der Einzug inden Rat der Stadt glückte. Bei den folgenden Kommunalwahlen2009 konnte sie diesen Erfolg leicht ausbauen undsich zudem in weiteren Kommunen ausbreiten. Zu denLandtagswahlen 2010 in NRW trat »Pro NRW« erstmalsan und erreichte 1,4 % der Wählerstimmen.In den Verfassungsschutzberichten des Landes Nordrhein-Westfalen werden »Pro Köln« und »Pro D« unter der Rubrik»Rechtsextremismus« aufgeführt. Das VerwaltungsgerichtHamburg hingegen verurteilte am 5. Februar 2008die Hamburger Behörde für Inneres, »die Verbreitungdes Hamburgischen Verfassungsschutzberichtes für dasJahr 2005 zu unterlassen, wenn nicht zuvor die Passagenüber die Bürgerbewegung pro Deutschland entfernt oderunleserlich gemacht worden sind.« Die »Einstufung derBürgerbewegung pro Deutschland im Verfassungsschutzbericht2005 als ‚rechtsextremistisch’« sei »rechtswidrig«gewesen. Dies führt in der Alltagsbetrachtung zu einemhöchst widersinnigen Tatbestand: Während »Pro Köln«/»Pro NRW« seitens des Verfassungsschutzes unter derRubrik Rechtsextremismus aufgeführt wird, ist dieseBezeichnung für die Gruppierungen »Pro Deutschland«noch nicht juristisch belegt. Diese Widersinnigkeit rührtdaher, dass »Pro D« und »Pro NRW« nach formalen Kriterienbislang als eigenständige Gruppierungen definiertwerden, obwohl in der Praxis eine Steuerung durch denKreis der Macher von »Pro Köln« augenscheinlich ist.Man muss sich jedoch nicht die Extremismus-Definitionder Verfassungsschutzämter zueigen machen, um die Pro-Bewegung dem Lager der extremen Rechten zuordnen zukönnen.Der historische Ursprung dieser Gruppierung ist das Lagerder extrem rechten Parteien. »Pro Köln« wurde zunächstals Verein und als politische Operationsbasis von Aktivistender extrem rechten Gruppierung »Deutsche Liga fürVolk und Heimat« gegründet. Deren Initiatoren – MarkusBeisicht und Manfred Rouhs – waren vorher bei den»Republikanern« und der DLVH aktiv. Rouhs, Vorsitzendervon »Pro D«, war zudem noch Aktivist in der NPD.Schon mit der DLVH versuchten die beiden Rechtsaußen-Aktivisten, eine »neue Sammlungsbewegung« des extremrechten Lagers zu erreichen – ein Traum, der nun wohlmit der Pro-Bewegung in Erfüllung gehen soll. Daherringt die Pro-Bewegung mit den anderen Rechtsaußenparteienum die Stammwählerwählerschaft dieses Lagers.Zugleich bemüht sich diese Gruppierung jedoch um dasEindringen in breitere Wählerschichten. OffenkundigesBestreben ist es hierbei, auf dem Ticket weit verbreiteterVorurteile gegen Muslime mit antiislamischen KampagnenStimmungen unter rassistischen Vorzeichen zu erzeugenund in Wahlerfolge umzumünzen. Im Unterschied zuoffen neonazistischen und demokratiefeindlichen Parteienwie der NPD umgibt sich die PROBewegung mit einerrechtspopulistischen Hülle: der Begriff des <strong>Rechtspopulismus</strong>wird dabei affirmativ benutzt, um sich vom Stigmades Rechtsextremismus zu befreien.MerkmaleFolgende Merkmale sind es, die diese Rechtsaußenformationvon der herkömmlichen extrem rechten Parteienlandschaftunterscheiden:1.ihre Maskerade als scheinbar lokale oder regionale»Bürgerbewegung«


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 192.3.4.5.ihre rechtspopulistische Verzerrung demokratischerMitbestimmungsmöglichkeitenihre Fokussierung auf Kulturrassismus in Formvon Anti-Islam-Kampagnenihr Versuch zur Besetzung eines neuen politischenOrtesihre öffentlichkeitsorientierte populistische EskalationsstrategieZu 1: Mit dem geschickt gewählten Label »Pro« versuchtdiese Rechtsaußengruppierung, unter dem Deckmanteleiner »Bürgerbewegung«, die sich scheinbar für kommunaleBelange einsetzt, in rechtspopulistischer Manier aufStimmenfang zu gehen. Dieses Auftreten unter dem Deckmanteleiner »Bürgerbewegung« stellt eine subtile Methodedar, um von Rechtsaußen an Einfluss zu gewinnen.Die begriffliche Inanspruchnahme der Bürgerinitiativ-Bewegungen für den eigenen Zweck der Neuformierungals neue Rechtsaußen-Wahlgruppierung stellt eine perfideSpielform des politischen Mimikry dar: Demokratiefeindlichkeitinszeniert als bürgerschaftliche Mogelpackung.Zu 2: Durch populistische Forderungen nach »Volksentscheiden«gegen Minarette oder Unterschriftensammlungengegen Moscheebauvorhaben wird versucht, unter demDeckmantel der Mitbestimmung rassistisch motivierteKampagnen in eine demokratische Hülle zu verpacken.Dies stellt eine Form von Instrumentalisierung vorhandenerÄngste und Vorurteile für politische Zwecke dar, dieoffensichtlich gegen das interkulturelle friedliche Miteinandergerichtet sind. Hierbei kommt ein instrumentellesVerhältnis zu Mitbestimmungsmöglichkeiten in denKommunen zum Ausdruck: Rassismus verpackt als demokratischesMitbestimmungsangebot.Zu 3: Das Schüren von Ängsten und Vorurteilen gegenüber»dem Islam« steht dabei im Zentrum rechtspopulistischerAgitation. »Unterschriftensammlungen« gegenMoscheebau und Minarette haben als Agitationsform einenbesonderen Stellenwert in der Strategie dieses rechtenNetzwerkes. Die klassische »Ausländer-raus«-Parole wirddabei kulturalisierend verpackt als Kampfansage gegen die»Islamisierung unserer Gesellschaft«. Damit einher gehtdie Forderung zum Austausch der Feindbilder: So interpretierenetwa der »Pro«-Mäzen Patrik Brinkmann undsein Redenschreiber Andreas Molau »nicht die Juden, sonderndie Muslime« als das »Kernproblem«. »Die deutscheRechte muss sich von ihrer Vergangenheit emanzipieren«,so die Erläuterung Brinkmanns zum Wandel der Feindbilder.1 Die Zuwanderung wird dabei pauschalisierendverknüpft mit der Religion, dem Fundamentalismus undder politisch motivierten Gewalt. In solchen Feindbild-Konstruktionen zeigt sich die Stoßrichtung dieser populistischenKampagnen: Rassismus als religiös verschleierterKulturkampf.Zu 4: Obwohl die »Pro-Bewegung« aggressiv mit ihrenRechtsaußen-Konkurrenten um die Stammwählerschaftder extrem rechten Parteienlandschaft ringt, versucht siezugleich, politisch zusätzlich einen neuen Ort zu besetzen:den politischen Platz zwischen der extremen und derkonservativen Rechten. Dabei orientiert sich diese Bewegungan den bereits erfolgreich modernisierten Rechtsaußenparteienin Europa wie etwa dem Vlaams Belangin Belgien oder der FPÖ in Österreich, zu denen sie seitetlichen Jahren intensive Kontakte pflegt. RechtspopulistischeErfolge wie in den Niederlanden durch die Parteivon Geert Wilders oder die Anti-Minarett-Kampagneder schweizerischen SVP dienen dabei als Vorbild für diePRO-Bewegung, die sich bemüht, in die Fußstapfen eineseuropäisch ‚modernisierten‘ Kampagnenstils von Rechtsaußenzu treten und damit in das Zentrums des politischenGeschehens einzudringen: von Rechts zur Mitte.Zu 5: Zur Umsetzung dieser Vorhaben bedient sich dieseBewegung einer ritualisierten öffentlichkeitsorientiertenEskalationsstrategie: Konflikte werden mit rassistischerStoßrichtung aggressiv geschürt, um Aufmerksamkeitund Gegenproteste hervorzurufen. Dies wird wiederumzum Anlass genommen, um sich als ‚Opfer‘ von »Meinungsdiktatur«,»Politischer Correctness« und »linkemGesinnungsterror« zu inszenieren und erneut den Gradöffentlicher Konflikte zu verschärfen. Ein solches ‚Drehenan der populistischen Schraube‘ ist Ausdruck einerpopulistischen Eskalationsstrategie, die auf Steigerung derKonflikte ausgerichtet ist. Dies funktioniert nach demPrinzip ‚rassistische Vorlage‘ – antirassistische ‚Reaktion‘– rassistische ‚Antwort‘ durch Inszenierung als ‚Opfer‘ –Ausweitung der Konfliktebene im Sinne einer Fortsetzungauf ständig höherer Stufenleiter: Inszenierung einer populistischenEskalations-Schraube. Dabei wird mit denpropagandistischen Mitteln der »Protest-Inszenierung«versucht, Rassismus und Nationalismus politisch als ‚plebiszitär’zu verankern. 2 Die begriffliche Inanspruchnahmeder Bürgerinitiativ-Bewegungen für den eigenen Zweck


Seite 20 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlinder Neuformierung als neue Rechtsaußen-Wahlgruppierungstellt eine perfide Spielform des politischen Mimikrydar: Eine strukturelle Demokratiefeindlichkeit wird dabeiinszeniert als eine ‚bürgerschaftlich’ ausgerichtete Mogelpackung:Der Rassismus wird verpackt als ‚demokratischesMitbestimmungsangebot’.Quo vadis?Derartige Entwicklungen erfordern Neuorientierungenim Umgang mit dem Kulturrassismus von Rechtsaußen:Das im parteipolitischen Geplänkel jüngst wieder hervorgehobene»Extremismus-Konstrukt«, das den rechtenmit dem linken Rand gleichzusetzen bestrebt ist undproklamiert, die »wehrhafte Demokratie« gegen die »extremistischenRänder« zu verteidigen, verfehlt in seinemideologisch motivierten Impetus vollends die realen Entwicklungen.Denn gerade der kampagnenorientierte Kulturrassismuszielt – siehe die Sarrazin-Debatte – auf die»politische Mitte«, indem er mehrheitsfähige rassistischeDiskurse benutzt zur eigenen Neuverortung. Nicht die»extremen Ränder«, sondern die demokratischen Defiziteim Zentrum des Polischen sind dabei die Sollbruchstellenfür einen Rechtsruck. Religiös verklausulierter Kulturrassismus,nationalistischer Anti-EU-Protest und Anti-Establishment-Gehabevon Rechtsaußen entfalten deshalbWirkungsmächtigkeit, weil sie reale Probleme aufgreifenund mit simplen Feindbild-Projektionen politisch besetzen:Sie sind damit zugleich ein Seismograf für die Kriseder Demokratie. Ein Blick über den nationalen Tellerrandzeigt beispielhaft an Länder wie Italien und den jüngstenWahlerfolgen in den Niederlanden und in osteuropäischenLändern, dass die größten Herausforderungen nichtim Kampf gegen den »extremistischen Rand« sondern inder schleichenden Implosion der Demokratie durch derenTransformation nach rechts liegt.Die parteiförmige extreme Rechte in Deutschland hat dieszum Teil erkannt. Sie versucht die rechtspopulistischenErfolge in Europa national zu importieren, in dem sie sichauf hegemoniale Diskurse bezieht und diese kampagnenartigzuspitzt: Nicht von ungefähr wird der CDU-Sloganvon der »christlich-deutschen Leitkultur« in Anspruchgenommen zum neunen Leitspruch »Abendland in Christenhand«.Pro Köln kündigte populistisch zur Hochzeitder Debatte um die diskriminierenden Thesen des Bundesbank-VorstandmitgliedsThilo Sarrazin, einen Antragim Rat der Stadt Köln zur Ernennung der Ehrenbürger-Manfred Rouhs (rechts im Bild,»Pro Deutschland«) Kundgebung amBreitscheidplatz3. Oktober 2010


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 21schaft Sarrazins zu erstellen. Hier liegen zugleich auchneue Herausforderungen für eine antifaschistische Arbeit:Der »Kampf gegen Rechts« kann sich nicht auf die moralischeVerurteilung beschränken. Vielmehr muss der extremenRechten das politische Terrain auf neuen Ebenenstreitig gemacht werden. Dies beinhaltet die Verstärkungeigener Auseinandersetzungen mit Integrations- und Demokratiedefizitenmit dem Ziel neuer Verständigungen.Die Erfahrung zeigt, dass notwendiger antifaschistischerProtest auf der Straße gegen kulturalistischen Kampagnen-Rassismusnur die eine Seite der Medaille ist. Er mussbegleitet werden von inhaltlichen Auseinandersetzungenmit dessen Inhalten sowie der Bereitschaft zivilgesellschaftlicherInitiativen, sich neuen Fragestellungen undpolitischen Herausforderungen gegenüber zu öffnen, umunter emanzipatorischen Prämissen Umgangsformen undHandlungsmöglichkeiten mit vorhandenen Ängsten undVorurteilen entwickeln zu können.1Vgl. Alexander Häusler: »Von der Vergangenheit emanzipieren…« Vom Antisemitismus zur Islamfeindlichkeit?, in: ZAG Nr. 56/20102Vgl. Karin Priester: Populismus als Protestbewegung, in: Alexander Häusler (Hrsg.), <strong>Rechtspopulismus</strong> als Bürgerbewegung, 2008Dieser Text ist eine veränderte und erweiterte Fassung des Vorworts zu der <strong>Broschüre</strong> »Berliner Zustände 2009«, hrsg. vonder Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin und dem Antifaschistischen Pressearchiv und BildungszentrumBerlin e.V.Sämtliche Nachdrucke oder sonstige inhaltliche Wiedergaben des Textes – auch in Teilen – bedürfen der ausdrücklichen Genehmigungdes Verfassers. Kostenloses Informationsmaterial zur Auseinandersetzung mit der Pro-Bewegung zum download:www.laga-nrw.de/data/expertise_rechtspopulismus_2010.pdf


Seite 22 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin»ProDeutschland«Eine selbsternannte »Bürgerbewegung«auf dem Weg in dieHauptstadtMaik BaumgärtnerDer Autor ist freier Journalist und schreibt für das Portal »Berlin rechtsaußen«. Er istMitautor der Handreichung »Antimuslimischer Rassismus & rechtspopulistische Organisationen«.Als sich im Jahr 2006 im Pankower Stadtteil Heinersdorfeine Bürgerinitiative gegen den geplanten Moscheebauder Ahmadiyya-Gemeinde formierte und regelmäßig Aktionendurchführte, beteiligten sich auch Mitglieder der»Bürgerbewegung Pro Deutschland« erstmals offensiv anrassistisch aufgeladenen Protesten in der Hauptstadt. Derdamalige CDU-Abgeordnete René Stadtkewitz dominiertejedoch die Medien und war das Gesicht des »Bürgerprotests«in Pankow. Ein Jahr später gelang es »Pro Deutschland«in Charlottenburg, die Aufmerksamkeit auf sich zuziehen. Mehrere Wochen berichteten verschiedene BerlinerMedien im Oktober 2007 über einen geplanten Moscheebauin Charlottenburg und die Gegenaktivitäten von»Pro Deutschland«. Die Moschee-GegnerInnen verteiltenregelmäßig Flugblätter im Bezirk und sammelten Unterschriftenfür eine Petition gegen den Neubau. Nachdemdas zuständige Bauamt die Baupläne kippte, verkauftendie IslamgegnerInnen das als ihren Erfolg. »Die Verhinderungdieses Islamisierungs-Projektes ist der erste großepolitische Erfolg der »Bürgerbewegung pro Deutschland«in Berlin, dem noch viele weitere folgen werden!« 1 , hieß esauf ihrer Internetseite.Strukturaufbau in BerlinJedoch ab Anfang 2008 wurde es ruhig um die »Bürgerbewegung«,die für knapp zwei Jahre kaum Aktivitätenentfaltete. Unweit des Schöneberger Rathauses gründetesich am 5. Juni 2010 der Landesverband Berlin undverabschiedete ein 10-Punkte-Programm für die Wahlen2011. Trotz internationaler Gäste besuchten lediglichrund 80 Mitglieder und AnhängerInnen den wenigeWochen später stattfindenden Bundesparteitag. NebenJacques Cordonnier von der extrem rechten Partei »Alsaced’abord« (»Das Elsass zuerst«), der über die »Gefahr«des Islam als einer »fremden Kultur auf unserem Boden«sprach, waren auch zwei bekannte Vertreter des »älteste(n)Auslandskontakt(s)« der »Pro Bewegung« von der extremrechten Partei »Vlaams Belang« aus Belgien anwesend:


deseinheitliche Struktur. Längst nicht alle sind in Landesverbändenoder im Bundesverband der »Freien Wählergemeinschaftene.V.« vertreten, der ca. 280.000 Mitgliederund nach der Europawahl 2009 erstmals Anspruch aufstaatliche Parteienfinanzierung hat. Die einzelnen Gruppierungenauf der kommunalen Ebene unterscheidensich zum Teil enorm hinsichtlich Organisationsstruktur,Programmatik, Entstehungsgeschichte und Motiven. Seitden 1990er Jahren befinden sie sich in einer Phase desAufschwungs. Ursachen sind in der Reform des kommunalenWahlrechts und der zunehmenden Pluralisierungdes Parteiensystems und der zunehmenden Akzeptanzproblemsder Parteien zu finden. 2 Viele dieser Gruppenstellen sich als Protest-Partei dar. In Thüringen fordern siegar die »Entmachtung der Parteien«. Nicht zuletzt durchdiese Ablehnung der Parteiendemokratie finden sich immerwieder inhaltlich-personelle Überschneidungen zurechtspopulistischen Akteuren. So wurden im April 2009die Landesverbände Bremen und Brandenburg wegen einerrechten Unterwanderung sowie Friedhelm Altvater,Bremer Vorsitzender, ausgeschlossen. Kurz zuvor war derLandesverband Schleswig-Holstein aus Protest gegen eineUnterwanderung der »Freien Wähler« durch Rechtspopulistenaus dem Bundesverband ausgetreten. Der Ausschlussdes Bremer Landesverbandes wurde damit begründet, dassdie Mitglieder fast ausnahmslos aus ehemaligen AnhängerInnender ehemaligen »Schill-Partei« sowie der rechtspopulistischenWählervereinigung »Bremen muss leben« rekrutierten.Altvater trat, genau wie seine Lebensgefährtin Maria-IllonaKönnicke, nach seiner Zeit bei der »Schill-Partei« für dieAnti-Europa-Partei Pro DM an. Als deren Chef verfassteAltvater 2006 einen offenen Brief an Bremens BürgermeisterJens Böhrnsen, in dem er die Aufwendungen für einenjüdischen Friedhof als »Geldverschwendung« bemängelte.Die Bürgerliste »Bremen muss leben« wurde im Wahlkampf2007 massiv vom österreichischen RechtspopulistenJörg Haider (FPÖ) unterstützt. In Brandenburg war esManfred Ehlert, der auf der Liste der »Freien Wähler« zurEuropawahl kandidierte und ehemals Mitglied der »Schill-Partei« war.Auch in Berlin existiert ein Landesverband der »FreienWähler«, der zu den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus2011 antreten möchte, um »den etablierten Parteienein Stachel im Fleisch« zu sein. Die ehemalige Bezirksgruppeder »Freien Wähler« Reinickendorf scheintnunmehr als Kreisverband der rechtspopulistischen Partei»Die Freiheit« aufzutreten. Als Ansprechpartner fungiertder ehemalige »Freie Wähler« Dr. Karl Schmitt, der auchdem Bundesvorstand von »Die Freiheit« angehört.In Sachsen haben sich rechtskonservative Gruppierungenzu einer »Bürgerbewegung pro Sachsen« zusammengeschlossen.Der ehemalige CDU-BundestagsabgeordneteHenry Nitzsche wurde zum Vorsitzenden gewählt. SchonProteste gegen »Pro Deutschland«Veranstaltung im RathausCharlottenburg16. Juni 20112014 wollen sie zur Landtagswahl in Sachsen antreten.Der Partei gehören dem von Nitzsche gegründeten»Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland« auch die DeutscheSoziale Union, die Freiheitliche Partei Deutschlands unddie Sächsische Volkspartei an. Nitzsche bezeichnet die Programmatikals rechtskonservativ und nationalkonservativ.»Wichtig sind uns ein starkes Sachsen, die Nation und dasdeutsche Vaterland«, sagte er der Sächsischen Zeitung 3 .Rechtspopulistische Bestrebungen kommen aber mitunterauch ganz ohne Organisationsstruktur aus. So tauchte inder einer Berliner Szene-Zeitschrift ein Leserbrief auf, dersich auf einen Artikel zu Übergriffen auf Schwule und Lesbenim Bezirk Schöneberg bezog und von »nächtliche[n]Überfällen von Migranten« und »nächtliche[m] Terrordurch Stricher aus Osteuropa mit der dazugehörigenKleinkriminalität« schwadronierte. Unterschrieben warder Text mit »Berliner Bürger«. Besorgniserregend ist hiernicht nur der offene Rassismus, sondern auch die Tatsache,dass diese Hetzschrift unkommentiert abgedruckt wurde.Der Umgang mit diesem Leserbrief ist nur ein Beispieldafür, dass auch die Medien ihrer Verantwortung gerechtwerden sollten und müssten für den richtigen Umgang mitRassismus und <strong>Rechtspopulismus</strong>.Bei der Auseinandersetzung mit diesen rechtspopulistischenBürgerbewegungen reicht es nicht aus, sie alsrechtspopulistisch zu outen und zu verurteilen. Nötig isteine handlungsübergreifende Strategie, die das Engagementgegen Rechts in der Kommune mit dem Ausbaueiner offenen, demokratischen und vielfältigen Gemeindekulturverknüpft. Eine wirksame Handlungsstrategieschließt alle demokratischen Akteure vor Ort mit ein, seienes Bildungseinrichtungen, Politik, Verwaltung, Vereineoder die Kirchen.1vgl. »Bürger in Wut wollen Wahlergebnis anfechten«, DER FOCUS,14.05.20072Weitzker, Florian: Die Freien Wähler in Deutschland. Geschichte –Struktur – Leitlinien, Sankt-Augustin 2008.37.02.2011 Sächsische Zeitung


Seite 28 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinSarrazin schafftsich ab:mit RassismusClara Luhr und Jan RauchfußDie AutorInnen sind Mitglieder der Jusos Berlin und der SPD Tempelhof-Schöneberg.Im August 2010 ist der Ex-Finanzsenator und zu diesemZeitpunkt Noch-Bundesbanker Thilo Sarrazin unter dieLiteraten gegangen. Mit abenteuerlichen Thesen eroberteSarrazin im Herbst die Titelseiten der BILD – Zeitung.Nach einem ersten gescheiterten Verfahren in Reaktionauf diskriminierende Äußerungen und zum Teil wüste Beschimpfungengegen in Deutschland lebende Menschenmit Migrationshintergrund in der Zeitschrift »Lettre International«im Jahr 2009 läuft nun ein erneutes SPD-Parteiauschlussverfahren gegen Sarrazin. Unabhängigvom Ausgang des Verfahrens – das zu Recht ohne politischeEinflussnahme erfolgt – muss sich die SPD erneutder Frage stellen: Rassismus oder Meinungsäußerung? ZulässigerTabu-Bruch oder Verletzung der Menschenwürde?Dabei geht es zum einen um eine Auseinandersetzung mitden Sarrazin’schen Thesen. Zum anderen geht es darum,Position zu beziehen, die Grenze des Erträglichen zu definieren.Um es vorweg zu nehmen: Thilo Sarrazin hat dieseGrenze längst überschritten!Die Thesen von Thilo Sarrazin lassen sich auf zwei Feststellungherunter brechen. Zum einen, dass es einen statistischenZusammenhang zwischen der Zugehörigkeitzu einer sozialen Schicht und der Intelligenz gäbe. Dasbedeutet nach seiner Argumentation, dass Menschen aussozial hohen Schichten besonders intelligent wären undMenschen aus sozial schwachen Schichten nicht. Diezweite zentrale These Sarrazins besagt, dass Intelligenzbiologisch vererbbar wäre. 50 bis 80 Prozent der Intelligenzeines Kindes seien von der Erbanlage abhängig undsomit von der Intelligenz der Eltern.In diese Logik fügt Sarrazin den Islam nahtlos ein. Die Religionhätte direkten Einfluss auf die Integrationswilligkeitund wäre ein Hinweis auf die Intelligenz der gläubigenMenschen. Somit nimmt er eine gesamte Glaubensgemeinschaftin Geiselhaft für seine Thesen.Aufbauend auf dieser Stigmatisierung sieht Sarrazin daseigentliche Problem darin, dass TransferleistungsempfängerInnenmehr Kinder bekommen als sogenannte »LeistungsträgerInnen«.Ihr Beitrag zur Gesamtwirtschaft seiwesentlich geringer und durch die hohe Geburtenrateverschlimmere sich die wirtschaftliche Situation.Seine Behauptungen lassen zwei zentrale Muster erkennen:Erstens unterteilt Sarrazin Menschen auf Grund vonReligion und Abstammung in homogene Gruppen. DerGedanke an eine deutsche Volksgemeinschaft beschleichtdas Publikum dabei nicht zufällig, Thilo Sarrazin konstruiertihn bewusst. Zweitens bewertet er die verschiedenenGruppen nach ihrer Wertigkeit für die Wirtschaft und dieGesellschaft. Diese Art der Einteilung entspricht einem»Nützlichkeitsrassismus«.Sarrazins Vorgehen erfüllt den klassischen Dreisprungrassistischer Propaganda: Homogene Gruppen bilden,Ungleichwertigkeiten herstellen und schließlich - wie folgerichtig– Sanktionen fordern.Die Forderungen, die Sarrazin aus seiner rassistischenAnalyse ableitet, sind unverholen. Geringere Sozialleistungen,damit sich sozial schwächere Schichten keineKinder leisten können. Die Vergabe hoher Geburtenprämienan Akademikerinnen aus betuchtem Hause, um dievermeintlich »gute« Erbanlage sicherzustellen. Im Klartextfordert er eine Geburtenkontrolle über den Geldbeutel


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 29und die Einschränkung von Grundrechten für Teile derBevölkerung.Eine Bewertung von Sarrazins Pamphlet muss zunächstbetonen: Die Thesen sind inhaltlich falsch. ForscherInnenhaben nachgewiesen, dass innerhalb von »ethnischen«Gruppen die genetischen Unterschiede größer sind, alszwischen zwei »ethnischen« Gruppen. Mit seinen Behauptungengreift Sarrazin rassistische Thesen auf, die im19. und 20. Jahrhundert verbreitet waren, die heute aberwissenschaftlich widerlegt sind.Der US-Genforscher Harry Ostrer, auf den sich Sarrazinunter Anderen beruft, machte klar, dass es kein religiösesGen gibt und bezeichnet Sarrazins Thesen als einfältigund schlichtweg falsch. Demnach bedient Thilo Sarrazinrassistische und veraltete Thesen. Außerdemsind seine angeführten »Beweise« undStatistiken falsch zitiert und nicht haltbar.Fazit: Stammesforschung gehört in dieSteinzeit, Thilo Sarrazin hat sich dorthinverirrt.Die notwendige politische Bewertungführt noch weiter und enthält drei Kernbotschaften.1.Für Rassismus und Diskriminierung,für biologistische Halbwahrheitenund rechtpopulistisches Geschwätz ist inder SPD kein Platz. Das gilt auch für ThiloSarrazin.2.Thilo Sarrazin führt keine Integrationsdebatte,er spaltet die Gesellschaft.Sarrazin bricht keine Tabus, er sagtdie Unwahrheit.3.Die SPD war immer die Partei derEmanzipation. Wenn Sarrazin dasschlechte Abschneiden deutscher Schulenbei der PISA-Studie mit schlechten Genender Schülerinnen und Schüler und nichtmit einem reformbedürftigen Bildungssystembegründet; wenn er die Bildungspolitikfür überflüssig erklärt und wenn er dasErbgut für den schulischen Erfolg einesKindes verantwortlich macht, dann verlässtSarrazin den sozialdemokratischen Konsensvom freien und zur Emanzipation fähigenMenschen.Es ist beängstigend, wie groß die Begeisterungfür ein Buch ist, das rassistischeEinstellungen aus dem 19. Jahrhundertaufgreift. Sarrazin verwendet schlichtwegveraltete und falsch interpretierte Datenund bedient damit rassistische und populistische Vorurteile.Diese rassistischen Aussagen lassen sich mit denGrundwerten der Sozialdemokratie nicht vereinen. Deswegenist das Parteiausschlussverfahren, das die SPD angestrengthat, ein richtiger Schritt. Nur so kann ihm dieLegitimationsgrundlage, die ihm die Mitgliedschaft ineiner demokratischen Partei verschafft, entzogen werden.Dennoch ändert ein Parteiausschluss nichts daran, dassviele Menschen in Deutschland – und auch in der SPD– seinen Thesen zustimmen und von einem längst fälligenTabubruch sprechen. Mit Meinungsfreiheit hat die Diskussionum Sarrazin nichts zu tun, sie entspringt einemmenschenverachtenden Populismus. In der SPD darf deshalbkein Platz für Thilo Sarrazin mehr sein.Anti-Sarrazin-Plakat3. Oktober 2010


Seite 30 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinDie »BürgerbewegungPax Europa«Ein Verein für »Islamkritik«Antifaschistisches Info-Blatt (AIB)Die »Bürgerbewegung Pax Europa« (BPE) wurde am 17.Mai 2008 in den Räumen der Diözese Würzburg als Zusammenschlussder Vereine »Pax Europa« und dem »Bundesverbandder Bürgerbewegungen« gegründet. Sie hatihren Vereinssitz in Wetzlar und zählt nach Eigenangabenmomentan rund 800 Mitglieder. Derzeitiger Vorsitzenderdes Vereins ist Willi Schwend, Unternehmer aus dembaden-württembergischen Wertheim und vor der FusionVorsitzender des »Bundesverbands der Bürgerbewegungen«(BDB). Schwend war Wortführer einer Bürgerinitiativegegen einen geplanten Moscheeneubau in Wertheim.Der Vorgängerverein »Pax Europa« wurde im Dezember2006 in Königs winter gegründet. Bei der ersten ordentlichenMitgliederversammlung im Juni 2007 in Bonnwurde der Journalist Udo Ulfkotte in den Vorstand gewählt.Er verließ die BPE Ende 2008 wegen eines »zu -nehmend extremistischen Kurses«. Er bezog sich auf imInternet veröffentlichte Postkartenmotive, die Muslime alsSchweine, Pädophile und Terroristen darstellten. DieserAbgrenzungsbedarf erstaunt insofern, als Ulfkotte selberMigrantInnen als »Wohlstandsvernichter« bezeichnete,»Rückführungsbeauftragte statt Integrationsbeauftragte«forderte und prognostizierte, dass »möglicherweise (…) jabald schon nicht nur Wahlplakate von Politikern an Laternenpfählenhängen«.Neben Ulfkotte wurde bei dem Bonner Treffen RainerGlagow zum Vorstandsmitglied gewählt. Der im Juli2010 verstorbene Islamwissenschaftler war Vize-Direktordes Deutschen Orient-Instituts in Ham burg und bis 2006Leiter des Berliner Hauptstadtbüros der CSU-nahenHanns-Seidel-Stiftung. Angesichts solcher Mitstreiter istder politische Einfluss der BPE nicht zu unterschätzen.Dafür spricht auch, dass sich die GründungsmitgliederUlfkotte und Schwend in einem Anschreiben an die Mitgliedervon April 2008 damit brüsteten, die CSU-Fraktionim bayerischen Landtag habe auf ihrer Klausurtagungin Wildbad Kreuth »mit unserer Hilfe« einstimmig einPositionspapier verabschiedet, das »in nahezu allen Teilenwörtlich den veröffentlichten Positionen von Pax Europaund BDB entspricht.«Ein weiteres prominentes Mitglied der BPE ist RainerGrell, ehemaliger Ministerialrat im baden-württembergischenInnenministerium und Leiter der Abteilung Staatsangehörigkeitsrecht.Grell konzipierte den »Gesprächsleitfadenfür Einbürgerungswillige«, der bundesweit als»Muslimtest« bekannt wurde.Zwischen Bürgerlichkeit und VolksverhetzungDie BPE tritt regelmäßig mit Veranstaltungen und Kundgebungenin Erscheinung, so beispielsweise am 3. Oktober2010 unter dem Motto »Für Demokratie und Menschenrechte– gegen freiheitsfeindliche Ideologien« aufdem Potsdamer Platz in Berlin. Bei dieser Gelegenheit tratdie österreichische »Islamkritikerin« Elisabeth Sabaditsch-Wolff auf, gegen die in Österreich ein Ermittlungsverfahrenwegen Verhetzung (ähnlich der Volksverhetzungin Deutschland) anhängig ist. Das BPE-Mitglied hattewährend eines Seminars der FPÖ-nahen »FreiheitlichenAkademie« Äußerungen getätigt wie »Moslems töten odervergewaltigen Kinder wegen der Religion« oder »Wir werdenalle tagtäglich von den Muslimen belogen, weil dasihre religiöse Pflicht ist.« Sabaditsch-Wolff trat mehrmalsbei Tagungen der OSZE für die BPE als Vertreterin derZivilgesellschaft auf. Zu den Tagungen reiste sie auf dem


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 31Ticket der »International Civil Liberties Alliance« (ICLA).Die ICLA ist ein virtuelles Netzwerk so genannter »Islamkritiker«aus Europa und den Vereinigten Staaten. Nebender BPE sind dort beispielsweise die »English DefenceLeague«, PI-News und das österreichische »Mission EuropaNetzwerk Karl Martell« vernetzt.Abgrenzung von PROAnders als zur Partei »Die Freiheit« geht die BPE zu den»PRO-Bewegungen« auf Distanz. Die mühsam aufrechterhalteneeigene Seriosität und Politikfähigkeit mag mannicht zugunsten einer Kooperation mit der als extremrechts geltenden Truppe um Manfred Rouhs und MarkusBeisicht opfern. Der altgediente und über landespolitischeErfahrung verfügende BPE-Funktionär René Stadtkewitzmit besten Kontakten in die Hauptstadt-CDU erhält natürlichden Vorzug gegenüber den mehr oder weniger dilettantischagierenden »PRO-Bewegungen«. Die Abgrenzungzu PRO wird so zum Lackmus test der Loyalität. Sotrat das Bundesvorstandsmitglied Wilfried Puhl-Schmidtaus Kehl am Rhein Anfang Oktober 2010 zurück, weil erauf einer »PRO Deutschland«-Kundgebung in Berlin einTransparent der BPE gezeigt hatte. Zur Begründung seinesRücktritts behalf er sich mit der Erklärung, er »möchtekeiner Bewegung, wie z.B. Pro-Deutschland und anderen,die am rechten Rand der Bevölkerung fischen, eineGelegenheit geben, die BPE mit in ihr Boot zu ziehen.«Schon die Aufzählung von FunktionärInnen der BPEzeigt, dass diese Gruppierung keine Splittergruppe randständiger»Extremisten« ist. Im Gegenteil: Ihre Positionentreffen auf Zustimmung in der Mitte der Gesellschaft undihr Personal rekrutiert sich aus etablierten VertreterInnendes bürgerlichen Lagers. Ihre Politikfähigkeit wird sich ander Frage entscheiden, ob ihnen der Spagat zwischen Anschlussfähigkeitins bürgerliche Lager und unverhohlenerrassistischer Hetze à la PI-News weiterhin gelingt und obdieses Milieu einen charismatischeren Führer als den blassenHinterbänkler Stadtkewitz hervorbringt.René Stadtkewitz im Abgeordnetenhausbei seinem Fraktionsausschluss7. September 2010Der Text ist eine gekürzte Fassung eines Artikels aus dem Antifaschistichen Info-Blatt (AIB Nr.89, S.40).Wir danken dem Antifaschistischen Info-Blatt für die Möglichkeit, diesen Text zu verwenden.


Seite 32 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin»Die Freiheit«Eine neue Rechtsaußen-Parteinach europäischem Vorbild?Maik BaumgärtnerDer Autor ist freier Journalist und schreibt für das Portal »Berlin rechtsaußen«. Er istMitautor der Handreichung »Antimuslimischer Rassismus & rechtspopulistische Organisationen«.Seit Anfang September 2010 steht fest, dass mit derrechtspopuli stischen Partei »Die Freiheit« neben der »BürgerbewegungPro Deutsch land« eine weitere Gruppierungden Antritt zu den Wahlen zum Abge ordnetenhaus undden Bezirksver ordnetenversammlungen 2011 plant. Initiator,Motor und Vorsit zender ist das ehemalige CDU-Mit glied René Stadtkewitz. »Hohe Prioriät haben für »DieFreiheit« die Themen Zuwanderung und Integration«heißt es unverdächtig in der ersten Pressemittei lung derNeugründung »Die Freiheit – Partei für mehr Freiheit undDe mokratie« (kurz: »Die Freiheit«) vom 10. September2010. Drei Tage zuvor hatten 27 von 34 CDU-Abgeordnetenim Berliner Abgeordnetenhaus für den Ausschluss vonRené Stadt kewitz aus der christdemokratischen Fraktiongestimmt, da dieser sich weigerte, eine Einladung an denumstrittenen niederländischen Rechtspopulisten und IslamfeindGeert Wilders zurückzuziehen. Bereits 2009war Stadtkewitz aus der CDU ausgetreten und gehörteseitdem der Fraktion als Parteiloser an. René Stadtkewitz,Marc Doll und Stefan »Aaron« Koenig erklär ten AnfangSeptember 2010 vor mehreren Dutzend PressevertreterInnen,dass mit dieser Pressekonferenz der Startschuss fürdie Grün dung einer neuen Partei gefallen sei. Man wollekeine »Politik, die ein ganzes Volk bevormundet« und sei»offen für jeden Demokra ten«, so Stadtkewitz. Die Fragenach konkreten Zielen und Forderun gen – jenseits derSchlagworte Zuwanderung, Sicherheit, Islam und Muslime– konnte keiner der Verantwortlichen an diesem Tagbeant worteten. Einig war man sich, im Jahr 2011 zu denWahlen anzutre ten und mindestens die Fünf-Prozent-Hürde überspringen zu wollen. Alle drei Parteigründerwaren permanent bemüht, sich von »Extremi sten vonrechts wie von links«, »Ausländerfeinden« und den »Pro-Parteien« zu distanzieren. Thematisch schlugen sie jedochschon auf der Pressekonferenz in dieselbe Kerbe wie diemeisten Gruppen, von denen sie sich distanzierten. KriminelleMigrantInnen wolle man ausweisen, »wachsendeParallelgesellschaften« zurückdrängen und StraftäterInnenim Allgemeinen härter bestrafen.Gründung mit extrem rechtem GrundsatzprogrammSchon die Betonung des Gründungsortes der neuen Partei»in der Nähe der Gedenkstätte Deutscher Widerstand inder Stauffenberg straße in Berlin-Tiergarten« verdeutlichtden historischen Kontext, in dem sich René Stadtkewitzund seine MitstreiterInnen sehen wol len. Zur konstituierendenVersammlung am 28. Oktober 2010 seien nachAngaben der Partei rund 50 Gründungsmitglieder anwesendgewesen. Diese verabschiedeten auch das »Grundsatzprogrammals Version 1.0«, welches zu großen TeilenVersatzstücke ethnopluralisti scher und rassistischerIdeologeme enthält. Neben der Wahl eines fünf köpfigenBundesvorstandes, bestehend aus Stadtkewitz (Bundesvorsitzender),Marc Doll (stellvertretender Vorsitzender),Dr. Karl Schmitt (stellvertretender Vorsitzender), Yorck-Alexander Mayer (Schatzmeister) und Felix Strüning(Schriftführer), wurde die Bil dung eines LandesverbandesBerlin beschlossen. Bevor die Partei bun desweit antritt,will sie bei den Berliner Wahlen 2011 erst einmal die Feuerprobebestehen. Im Gegensatz zur »BürgerbewegungPro Deutschland«, die auf ein enges Themenfeld setztund ihren potentiellen WählerInnen ein knapp gehaltenesGrundsatzprogramm präsentiert, versucht »Die Freiheit«sich zu allen gesellschaftlich relevanten Themen zupositionieren. Doch schon wenige Tage nach Veröffentlichungdes Vorworts zum Grundsatzprogramms, welchesvon einer »Programmredaktion« unter Leitung von MarcDoll überarbeitet worden sein soll, musste sich die Parteivon ihren eigenen Formulierungen distanzieren. Wurdeim Vor wort ursprünglich vor einer »Politik der künstlichenGleichmacherei, die Homosexualität als sozial undmoralisch gleichwertig akzeptiert, und diese Lebensform


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 33(die selbstverständlich zu tolerieren ist) nicht als Ausnahmevon der Regel versteht« gewarnt, erklärte man auf deroffiziellen Facebookseite der Partei plötzlich: »Wir werdenden Homosexuellen Satz streichen. Keine Ahnungwie so was darin über haupt stehen bleiben konnte«. Am1. November veröffentlichte der Bundesvorstand eineErklä rung, in der es heißt: »Wir sind auch keine ›schwulenfeindliche‹Par tei. Im Gegenteil: Wir verteidigen dasRecht auf sexuelle Selbstbe stimmung und stehen für einefreie und selbstbestimmte Partner wahl, die auch gleichgeschlechtlichePartnerschaften ausdrücklich mit einbezieht.Wir wollen niemanden schlechter stellen, wollen aber denBenachteiligungen, die Familien mit Kindern im Alltagausge setzt sind, entgegentreten und insbesondere ihrengesellschaftliche Beitrag würdigen« (Fehler im Original).Im Zuge dieser Erklärung wurde das gesamte Vorwortgelöscht, in dem noch von einer »existenzbedrohende(n)Krise« der »abend än ldische[n] Zivilisation« die Rede war,von »Völkern« und nicht von »Bevölkerungen« gesprochenwurde sowie von Befürchtungen der »Menschen inDeutschland«, ihre »gewachsene gesellschaftliche, kulturelleund historische Identität zu verlieren«. Die Erinnerungan den Nationalsozialismus wurde in geschichtsrevisionistischerArt als »Schuldkult« diffamiert: »Waseinst eine ehrenwerte selbstkritische Haltung gewesen seinmag, ist längst zu einem Schuldkult ausgeartet, der ausder NS-Vergangenheit ein autoras sistisches Unwerturteilüber das eigene Volk ableitet. Der ideologisch propagierteSelbsthass, mit dem die Meinungsmacher in Politik, Medien,Schulen und Universitäten unser Volk vergiften,bedeutet für das deutsche Volk Siechtum, ist Völkermordmit anderen Mitteln.« Nicht nur auf dieser Ebene ist manideologisch verdächtig nah an Positionen neonazistischerKreise, die Forderung nach einem »Zuwanderungsstopp,mindestens bis zur Lösung der vorhandenn Integrationsprobleme«(Fehler im Original) könnte auch aus derFeder der NPD stammen.Geert Wilders in Berlin unddie Führungsclique der Partei »Die Freiheit«Für den 2. Oktober 2010 war der Besuch von Geert Wildersin Ber lin angekündigt worden und die OrganisatorInnenspielten Katz und Maus mit den Medien. Da derBerliner Tagesspiegel den Namen des Veranstaltungsortesbereits einen Tag vorher veröffentlichte, wurde deren Berichterstatterals »Sicherheitsrisiko« ausgesperrt. Treffendfor mulierte ein Kommentar: »Aber wes Geistes Kind isteine selbsternann te Freiheits-Partei, die es nicht ertragenkann, dass über ihr Personal und ihre Aktivitäten frei informiertwird? Wir leben nun mal nicht in einem Polizeistaat,der so genannte Sicherheitserfordernisse vorschiebt,um Information und Meinungsbildung in die gewünschteRichtung zu lenken und unliebsame Medien auszuschalten.«René Stadtkewitz hielt eine unspektakuläre, auf dieKritik an der CDU und den Islam zugeschnittene Rede.Nachdem er die BesucherIn nen aus Österreich, Schweiz,Italien, den Niederlanden und ganz Deutsch land willkommenhieß, freute er sich besonders, seine »Freun de derBürgerbewegung Pax Europa« begrüßen zu dürfen. Lediglichdurch Angriffe auf die CDU und BundeskanzlerinAngela Merkel gelang es dem bisherigen »Hinterbänkler«(SPIEGEL Online), die rund 500 Anwesenden im Saalzu begeistern. Sonst ging es ihm nur noch um die Rechtfertigungder eigenen Ideologie: »Islamkritik kommt ausder Mit te der Gesellschaft« und »die Ideologie des Islamverhindert die Inte gration«. Eines stand nach diesem Tagfest: Stadtkewitz fehlt das Cha risma eines Geert Wilders,der seinem deutschen Bündnispartner eine Öffentlichkeitbeschert hat, die dieser so alleine nie erreicht hätte. Biszum Jahr 2006 war René Stadtkewitz ein medial unbeachteterPolitiker der Berliner CDU. Ins Gespräch brachte ersich damals durch ein Interview mit der extrem rechtenWochenzeitung »Junge Freiheit« und die Unterstützungvon Protesten gegen einen Moscheebau in Pankow-Heinersdorf.»Von 1968 heißt es oft, das Jahr markiere die ›innereDemokratisierung‹ der Bundesrepublik. Für mancheBereiche – alles, was mit Fragen unseres Zusammenlebenszu tun hat, wie Ein wanderung, Integration, Multikulti –war es eher der Startschuß einer gesellschaftlichen Entdemokratisierung«,erklärte er damals und legte damit dieGrundzüge seiner antimuslimischen Politik dar.Marc Doll war bis Anfang September 2010 im Vorstandeines Ber liner CDU-Ortsverbands aktiv und firmiertedort als »Leiter für Innere Sicherheit«. Seinen Austritt ausder CDU begründete er mit dem »Sprach- und Denkverbotbezüglich des Islams«, das ihm seitens der CDU-Spitze»verordnet« worden sei. Dolls »Arbeitsergebnisse« hätten»unbequeme Fakten [ergeben], nämlich dass ein Großteilder Inten sivtäter nicht einfach nur einen türkischarabischenMigrationshin tergrund hat, sondern auch denIslam als verbindendes Glied. Es ist unbestreitbar, dassAnhänger dieser Religion häufiger gewalttätig sind als alleanderen Gruppen. Auch außerhalb der Inneren Sicher heitschneiden jene, die dieser Religion huldigen, schlechter ab– so z.B. in der Bildung oder der Inanspruchnahme vonlangjährigen Sozi alleistungen.«Der »Law-and-Order«-Politiker Doll gefällt sich in derRolle des Aufklärers, der härtere Strafen für »marodierendeBanden« fordert und der die Lösung in »eine(r) Politikder harten Hand« sucht, die »eine gute Antwort aufIntegrationsprobleme, zunehmende Ghettoi sierung undIslamisierung, dem Bildungsaus und der ausufernden Gewaltin der Hauptstadt« sei. Im Juni 2010 trat er unteranderem bei der extrem rechten und pflichtschlagenden»Berliner Burschen schaft der Märker« zum Thema »Islamund Meinungsfreiheit« auf. Auch Stefan »Aaron« Koenig,ehemaliges Bundesvorstandsmit glied der Piratenpartei,


Seite 34 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlinhat sich wie seine zwei Bündnispartner auf das Thema Integrationund Islam eingeschossen. Nach seinem Aus trittaus der Piratenpartei im Mai 2010 stellte er eine Internetseiteunter dem Namen »Die Freiheit« online. Dort veröffentlichteer For derungen wie: »Die Staatsbürgerschaftper Geburt (»Ius Solis«) wird abgeschafft. Man erhält diedeutsche Staatsbürgerschaft entweder, wenn eines derElternteile diese hat, oder durch ein klar geregeltes Aufnahmeverfahren.Aufenthaltsgenehmigungen für Nicht-EU-Bürger werden nur noch in Ausnahmefällen erteilt«.Da Koenig »Partei en unsexy« findet, sieht er die neueFormation als »Freiheitsbewe gung«, die »Volksentscheideauf Bundesebene« umsetzen und »mehr Demokratie« verwirklichensolle. Mittlerweile geht Koenig zunehmend aufDistanz zu Stadtkewitz, da er seine wesentlichen Wünschenicht im Programm der Partei wiederfindet.Die Netzwerke der europäischenAnti-IslamistInnenNoch bevor die in Berlin beheimatete Partei »Die Freiheit«über ihre Geschäftsstelle in der Lichtenberger StorkowerStraße (Januar 2011 eröffnet) verfügte, tourtenderen Bundesvorsitzender Stadtkewitz und andere Mitglieder schon durch die Welt und besuchten einen extremrechten Kongress nach dem anderen. Ende November2010 nahm René Stadt kewitz auf Einladung der antimuslimischen»Dänischen Volkspartei« an einem Kongreßin Kopenhagen teil, bei dem mit Jimmie Akesson auchder Vorsitzende der rassistischen »Schwedendemokraten«(SD) als Redner auftrat. Als weitere Rednerin trat ElisabethSabaditsch-Wolff auf. In Österreich wird gegen dasbekannte Mitglied der »Bürgerbewegung Pax Europa«, zudessen Bundesvorstand Stadtkewitz gehört, derzeit wegenVolksverhetzung ermittelt. Nur wenige Wochen später,vom 4. bis 10. Dezember, besuchte der Bundesvorsitzendegemeinsam mit seinem Stellvertreter Marc Doll eine»Anti-Islamismus-Konferenz« in Israel. Dort trafen sienicht nur auf Eliezer Cohen, den bekannten Vertreter derultranationalisti schen Partei »Israel Beitenu« (»Israel – unserZuhause«), der bereits auf Einladung von Stadtkewitzin Berlin aufgetreten war, sondern auch auf Heinz-ChristianStrache von der »Freiheitlichen Partei Österreichs«(FPÖ), Filip Dewinter vom »Vlaams Belang« aus Belgienund Kent Ekeroth von den »Schwedendemokraten«. VorOrt verab schiedeten die versammelten Rechtsaußen-PolitikerInneneine »Jeru salemer Erklärung«, die sich unter anderemgegen »den fundamenta listischen Islam« als »neueweltweite totalitäre Bedrohung« richtet. Auffällig ist, wieviele der Bündnispartner der »Die Freiheit« sich wiederummit der von Stadtkewitz als »Extremisten« geschmähten»Pro Bewegung« einlassen. Während Marc Doll noch AnfangDezember 2010 auf einer Veranstaltung von »DieFreiheit« in Düsseldorf etwa ige Mitglieder der NPD undder »Pro Bewegung« zum Verlassen des Saals aufforderte,trifft man sich auf dem internationalen Parkett einträchtigmit der Elite der europäischen Rechtsaußen-Parteien.Dass die FPÖ, der »Vlaams Belang« und auch die»Schwedendemokra ten« seit Jahren ein freundschaftlichesVerhältnis zur »Pro«-Bewe gung pflegen und Filip Dewinterin den vergangenen Monaten seine Beziehungen zumin Berlin lebenden schwedischen Rechtsextremen PatrikBrinkmann vertiefte, dürfte auch den FunktionsträgernStadt kewitz und Doll wohl bekannt sein. Endgültig unglaubwürdighat sich »Die Freiheit« durch die Teil nahmeam Kongress »Gegen die Islamisierung unserer Länder«Mitte Dezember 2010 in Paris gemacht. Organisiert wurdedie Veranstaltung maßgeblich vom »Bloc Identitaire«,der hierfür neben René Stadtke witz auch VertreterInnenextrem rechter Organisatio nen aus ganz Europa eingeladenhatte. Ursprünglich war auch der bekannte Schriftstellerund Holocaustüberlebende Ralph Giordano alsRedner angekündigt, dieser distanzierte sich aber in einerPresse erklärung kurz vor der Veranstaltung und erklärte,auf »eine falsche Fährte gelockt« worden zu sein und sichnicht von RassistInnen ver einnahmen zu lassen.»Generation Zukunft« – Die JugendorganisationNicht nur das oben erwähnte Vorwort zum Grundsatzprogrammsondern auch die Jugendorganisation derselbst ernannten »Bürger rechtspartei« sorgte gleich inden ersten Tagen nach der Gründung für Wirbel undforderte erste personelle Konsequenzen. Anfangs warenMia Herm, Ehssan Khazaeli und Dustin Stadtkewitz vomBun desvorstand beauftragt worden, die »Generation Zukunft«– so der Name der Teilorganisation für SchülerInnen,StudentInnen und Azu bis – aufzubauen. Schon nachkurzer Zeit erklärte Mia Herm, das »Angebot des Postensder Chef-Organisatorin für die Jugend der Partei« dankendabzulehnen und distanzierte sich öffentlich von derPartei. Mia Herm, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen»Dee Ex«, versteht sich als »patriotische Rapperin«,als die sie von diver sen Medien und Gruppen der äußerstenRechten hofiert wird. So gab sie bisher nicht nur derWochenzeitung »Junge Freiheit« ein Interview, sondernstand auch dem Magazin »Zuerst« für eine »Homestory«zur Verfügung. Stadtkewitz erklärte gegenüber demWeblog »politically incor rect«: »Nach einem klärendenGespräch haben wir gemeinsam festge stellt, dass DeeExund »Die Freiheit« in Bezug auf Israel unterschiedli chePositionen haben, die nicht miteinander vereinbar sindund man deshalb besser getrennte Wege geht. Für unssteht das Existenzrecht Israels nicht zur Debatte und wirbetrachten Israel als unverzichtba ren Partner in der Auseinandersetzungmit dem Islam. Und deshalb steht es soin unserem einstimmig beschlossenen Programm.« Dochauch ohne die Mitarbeit von Mia Herm hat Stadtkewitzbereits am Tag der Parteigründung gegen von ihm propagierteGrund sätze verstoßen. BewerberInnen um eine


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 35Parteimitgliedschaft müs sten erklären, dass sie nicht mitextremistischen Organisationen in Kontakt stünden oderdort Mitglied gewesen seien, hatte er Anfang September2010 erklärt. Mit Ehssan Khazaeli haben er und seineMit streiter aber ein ehemaliges Mitglied der »BürgerbewegungPro Deutschland« mit dem Aufbau der Parteijugendbeauftragt. Khazaeli war nicht nur Mitglied der»Bürgerbewegung«, sondern auch für die Betreuung derFacebook-Seite von »Pro Berlin« verantwortlich.FazitSchon kurz nach Gründung wurde offensichtlich, dass»Die Frei heit« versuchte, nicht in das Fahrwasser der Ein-Themen-Parteien am extrem rechten Rand zu geraten. Dasumfangreiche Grundsatzpro gramm und die offensive Distanzierungnach rechtsaußen sind Bele ge dafür. Gleichwohlbedient die Partei bisher hauptsächlich zwei Themen:Islam und Integration. Während die Partei in Berlinnoch an ihrer Infrastruktur arbeitet, versucht sie schonbundesweit zu expandie ren und sucht den Anschluss aneuropäische Bündnispartner. Dabei misst sie mit zweierleiMaß: In Deutschland sucht »Die Freiheit« den Anschlussan VertreterInnen aus dem demokratischen Parteienspektrum,wie im November 2010, als Stadtkewitz und Dollmit FDP-Dissi dentInnen aus Hessen zusammentrafenund dies unter der Über schrift »Die Freiheit expandiertbundesweit« bekanntgaben. Gleich wohl tritt sie auf internationalerEbene mit rassistischen und extrem rechtenParteien aus Schweden, Österreich und Belgien auf.Die bisherigen Aktivitäten der »Die Freiheit« in Berlinbeschränk ten sich im wesentlichen auf die Durchführungvon Informationsver sammlungen und die Gründung vonBezirksgruppen. Im Gegensatz zu »Pro Deutschland«,war »Die Freiheit« im Vorwahlkampf zur Sammlungvon Unterstützungsunterschriften kaum Wahrnehmbar.Das mediale Interesse scheint ebenso rückläufig, wie dieTeilnahme von AnhängerInnen bei Aktionen. Zu einempolitischen »Volksfest« Ende Juni, erschienen nur wenigePressevertreter und etwas mehr als 100 Menschen, vondenen ein Großteil aus anderen Bundesländern angereistwar. Daher ist zum jetzigen Zeitpunkt keine Prognoseüber mögliche Wahlerfolge mög lich. Im Gegensatz zu ihrendirekten Wahlkonkurrenten »Pro Deutschland« wird»Die Freiheit« – hauptsächlich auf grund des Mandats vonRené Stadtkewitz im Abgeordnetenhaus – häufiger in denMedien thematisiert, es mangelt ihr jedoch an Bür gernäheund dem direkten Kontakt zu potentiellen WählerInnen.Daher werden Wahlerfolge nicht nur vom Umgang derdemokrati schen Parteien mit der »Die Freiheit« abhängen,sondern auch davon, ob es der Partei gelingt, ihre bisherfast ausschliesslich im Internet versammelten Anhänge r-Innen auch im Wahlkampf zu mobilisieren.Bei dem Text handelt es sich um die aktualisierte Fassung eines Beitrags aus der Handreichung: Antimuslimischer Rassismus undrechtspopulistische Organisationen (2010); Hg.: apabiz – Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. und MobileBeratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR).v.l.n.r. Marc Doll, René Stadtkewitz &Aaron Koenig bei Pressekonferenz10. September 2010


Proteste gegen islamischeFundamentalist_innen in Berlin4. September 2010


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 37Thesen zu eineremanzipa torischenReligionskritikChazeDer Autor ist linker Aktivist und Mitglied der "Forschungsgruppechristlicher Fundamentalismus".Obgleich die Kritik der Religion in früheren Jahrhundertenzum allgemeinen Repertoire emanzipatorischen Bewegungen- egal wie unterschiedlich sie ansonsten waren- gehörte, scheint die heutige emanzipatorische Linke ingewisser Weise ihren Frieden mit der Religion geschlossenzu haben, solange es sich nicht um religiös-fundamentalistischeBewegungen oder explizit sexistische / homophobeStrukturen handelt. Es gab allerdings einen gutenGrund, warum KommunistInnen, AnarchistInnen, selbstSozialdemokratInnen im 19. und 20. Jahrhundert gegenreligiöses Denken vorgingen (und gleichzeitig Glaubensfreiheitals notwendig beschrieben): jede Form religiösenDenkens - egal ob in Großkirchen, in kleinen Sekten oderals Privatglauben - verhindert in letzter Konsequenz dieBefreiung der Menschen, um die es der Linken trotz allemimmer noch geht.Sicherlich ist heute bekannt und ausdiskutiert, dass reineRationalität in Irrationalität umschlagen kann und deshalbnicht als Ziel der radikalen Linken gelten kann. Diesist allerdings kein Grund, als radikale Linke Frieden mitder tatsächlichen Irrationalität, die sich z.B. auch im religiösenDenken manifestiert, zu schließen. Vielmehr musses darum gehen, diese Dialektik der Aufklärung in beständigerKritik zu reflektieren ohne sich vom Anspruch derBefreiung abzuwenden.Der Fakt, dass sich Rechtsextreme und RechtspopulistInnenin Europa den letzten Jahren daran versuchen, einespezifische Religion, den Islam, als Feindbild zu zeichnen,während die emanzipatorische Linke auf diesen Diskursmit wenig mehr als einem - nichtsdestotrotz notwendigen- Abwehrkampf reagieren kann, bei dem die Vertreterinnenund Vertreter des Islam verteidigt, aber nicht kritisiertwerden, macht das Fehlen einer Religionskritik offensichtlich.Wenn die radikale Linke zwar den Rassismusder rechtspopulistischen Kampagnen gegen den Bau vonMoscheen benennt, aber gleichzeitig nicht sagen kann,warum in letzter Konsequenz jedes religiöse Gebäude, solangees als religiöses genutzt wird, falsch ist, zeigt dies,dass offenbar ein für frühere linke Bewegungen wichtigesThema nicht mehr in der Diskussion virulent ist. DieGründe dafür sind gewiss zahlreich.Wichtig ist allerdings, dass es weiterhin keinen Grund dafürgibt, auf eine Kritik der Religion zu verzichten. ImFolgenden sollen in einigen Thesen die Grundzüge einermöglichen modernen Religionskritik skizziert werden.


Seite 38 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin1.Eine Kritik der Religion ist und bleibt notwendig.Sie ist nicht abgeschlossen worden. EineLinke, welche Religion als gegeben hinnimmt oder garverteidigt, gibt die Hoffnung auf die Selbstbefreiungder Menschheit auf.2.- Das rechtsextreme und rechtspopulistische Organisationenversuchen, einen Kampf zwischen unterschiedlichenreligiösen Gruppen herbeizureden, istein Fakt. So diese Argumentation darauf zielt, Menschenauf eine Gruppenzugehörigkeit und Religionfestzuschreiben, ist dem entgegen zu treten. Dies erledigtallerdings nicht, dass die Religion als solche derBefreiung entgegensteht.- Religion ist - sowohl individuell als auch gesellschaftlich- »heilbar«. Sie ist kein notwendiger Bestandteildes Alltags von Menschen oder der Strukturvon Gesellschaften.Es ist zu unterscheiden zwischen einer Kritikder Religion im allgemeinen, der Kritik an spezifischenReligionen (z.B. am Christentum, am Islam,am Shintoismus), einer Kritik der religiösen Institutionen(z.B. der katholischen Kirche) und einer Kritik anden religiös-fundamentalistischen Bewegungen.- Religiös-fundamentalistische Bewegungen (fundamentalistischeChristInnen, Islamismus etc.) sindpolitische Bewegungen und müssen als solche kritisiertund bekämpft werden. Zwar wäre es falsch, diereligiöse Basis der jeweiligen Bewegung als reine Propagandaabzutun. Dennoch sind die Ziele, Argumentationenund Handlungsweisen dieser Bewegungenimmer politisch.- Eine Kritik an religiösen Institutionen ist gerechtfertigt.In Deutschland sind das vor allem die katholischeKirche, die evangelischen Landeskirchen sowie diepfingstlerischen-charismatischen Gemeinde. Gleichwohlkönnen und müssen auch die Institutionen deranderen Religionsgemeinschaften kritisiert werden,solange dies eine Kritik an diesen Einrichtungen, derenMachtansprüchen und dem Anspruch, Menschenaußerhalb der Gesellschaft erziehen und bewerten zudürfen, darstellt.3.- Auch hier gilt, dass rechtsextreme und rechtspopulistischeKreise versuchen, ihre rassistischen oder antisemitischenDenkweisen als Kritik an religiösen Institutionendarzustellen. Dies ist jeweils nachzuweisenund zu bekämpfen. Dennoch bleibt die Aufgabe derKritik an religiösen Einrichtungen bestehen.- Religiöse Institutionen postulieren den Anspruch, ingewisser Weise außerhalb der Gesellschaft zu stehenund deshalb auch nicht von der Gesellschaft bewertetzu werden. Gleichwohl erheben sie den Anspruch,über das Denken und Leben der jeweiligen Gläubigeneine mehr oder minder direkte moralische Kontrolleauszuüben. Abgesehen von all den anderen konkretenKritiken (beispielsweise an den Vorfällen von Misshandlungund sexuellen Übergriffen auf SchülerInnenin katholischen Erziehungseinrichtungen, die inden letzten Jahren skandalisiert wurden), ist es dieserAnspruch, dem im Sinne einer freien Gesellschaft widersprochenund der zurückgedrängt werden muss.Die sozialen Dienste und Bildungseinrichtungen,welche von religiösen Institutionen betriebenwerden, genießen zu Unrecht einen guten Ruf. Siestellen zumeist keinen Dienst der religiösen Gruppendar, sondern werden zu großen Teilen aus Steuermittelnbezahlt und von Ehrenamtlichen getragen. Siekönnen nicht als Argument für religiöse Institutionenherangezogen werden. Vielmehr sollten sie aus der Aufsichtder religiösen Institutionen gelöst werden.4.Die Religionsfreiheit stellte einen großen, inTeilen der Welt noch zu erkämpfenden, Fortschrittdar, den es zu verteidigen gilt.- In einer freien Gesellschaft muss es allen Menschenfreigestellt sein, jeden Privatunsinn zu glauben, solangesie diesen Glauben keinen anderen Menschen aufdrängen.Dieses Aufdrängen darf auch nicht in privatenBeziehungen, insbesondere Familien, stattfinden.- Dieser Privatglaube muss der politischen Kritik ausgesetztwerden. Er ist nicht im Geringsten unantastbar.


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 395.- Religiöse Gefühle und Empfindungen stellen dasProblem der jeweiligen religiösen Person dar, nichtder restlichen Gesellschaft. Personen mit einem Glaubenmüssen sich beständig der Realitätsprüfung mitder Welt aussetzen und mit dem aus dieser Prüfunghervorgehenden ständigen Scheitern ihres Glaubenspersönlich umgehen. Daraus können sie keine gesonderteBehandlung oder Bewertung ableiten. ReligiöseGefühle und daraus abgeleitete stellen keine gesonderteKategorie von Gefühlen dar, die gesondert geschütztoder geachtet werden müssten.- Personen, die absichtlich religiöse Gefühle missachten,um ihren Rassismus oder ihren Antisemitismusauszuleben, bleiben RassistInnen und AntisemitInnenund gehören als solche bekämpft.Religion im Allgemeinen behauptet die Existenzeines Gottes bzw. einer gott-ähnlichen Entität,welche außerhalb der gesellschaftlichen und historischenBedingungen existieren würde. Dieser Fluchtpunktaußerhalb der Gesellschaft impliziert, das Teiledes Lebens von Menschen von einer nicht-gesellschaftlichenKraft bestimmt würden, die auch durch gesellschaftlicheKämpfe nicht beeinflusst werden könnte.- Die Behauptung dieser gott-ähnlichen Entität stelltdas Grundproblem jeglichen religiösen Denkens dar.An diesem Fluchtpunkt hängt sich ein Denken auf,welches die Verantwortung der Menschen für die Gestaltund die Gestaltung der Gesellschaft in mehr oderminder größerem Rahmen abstreitet. Obgleich allereligiösen Menschen und Bewegungen davon ausgehen,dass Teile der Gesellschaft gestaltet werden könnenund teilweise auch müssen, behalten sie alle mitdieser Entität einen intellektuellen Fluchtpunkt bei,welcher von jeglicher Kritik und Veränderung ausgenommenwerden soll.- Auf Grundlage der angeblichen Existenz einer gottähnlichenEntität und damit auch einer außerhalbder Gesellschaft gelegenen Welt wurden und werdendie unterschiedlichen Religionen, religiösen Rituale,Schicksals- und Nachlebens-Vorstellungen sowie religiösenInstitutionen aufgebaut.6.- Die Vorstellung, dass es eine die Geschicke der Menschenbestimmende, gott-ähnliche Entität gäbe, ist es,was jede Form von Religion als eine der Selbstbefreiungder Menschen entgegenstehende Überzeugungkennzeichnet.- Die Behauptung, für eine Moral wäre ein außerhalbder Gesellschaft gelegener Punkt wie Gott notwendig,die immer noch erhoben wird, ist grundfalsch. Moralist ein gesellschaftliches Verhältnis. Menschen müssenlernen, ohne den Gedanken an einen solchen außergesellschaftlichenPunkt zu leben.- Ein Zusammengehen von emanzipatorischenStrömungen in religiösen Bewegungen (feministischeTheologie, Befreiungstheologie etc.) und deremanzipatorischen Linken kann immer nur für einebestimmte Fragestellung funktionieren. Die grundlegendenVorstellungen und Zielsetzungen sind letztlichentgegengestellt.Der Nachweis, dass »Gott tot ist« und jede Religionder Selbstbefreiung der Menschen letztlichentgegensteht, ist nicht ausreichend, um den Einflussder Religion zu überwinden. Menschen müssenfür sich selber den Entschluss fassen, ihre religiösenÜberzeugungen aufzugeben. Hierzu müssen sie immerwieder aufgefordert werden. Eine große Zahl von Menschenschafft es allerdings, mit dem Widerspruch zu leben,zu glauben und gleichzeitig zu wissen, dass dieserGlaube nicht sinnvoll ist. Eine emanzipatorische Religionskritikhat daran festzuhalten, dass die Menschensich und die Gesellschaft zu verändern haben.7.Jede Form von Religion gehört kritisiert. InDeutschland allerdings ist es das Christentumin all seinen Formen, das immer noch den größtenEinfluss hat und deshalb auch im Mittelpunkt derKritik stehen sollte.


Proteste gegen die Gründungeines Kreisverbandes von »ProDeutschland« in Neukölln29. Oktober 2010


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 41Frauen undHomosexuelleim »Clash ofCivilizations«Mit Rassismus gegen Sexismusund Homophobie?Koray Yılmaz-GünayDer Autor ist Vorstandsmitglied der Partei Die Linke. in Tempelhof-Schöneberg undReferent für Migration bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Er arbeitet als Aktivist,Publizist und politischer Bildner zu den Themen Rassismus, Sexismus, Antisemitismus undHomophobie.Rassismus ist in Deutschland ein Phänomen, das gern derpolitischen Rechten, wenn nicht den Rechtsextremen zugeschriebenwird. Als Erklärung halten in aller Regel einemangelhafte »Aufklärung« über kulturelle Verschiedenheitoder negative Erfahrungen von Einzelnen her. Dasses sich dabei um ein Unterschichten-Phänomen handelt,ist ausgemacht. Statt von »Rassismus« spricht die Allgemeinheitimmer noch lieber von »Ausländer_innen-« oder»Fremdenfeindlichkeit« und deutet diese streng individuell.Strukturelle Ebenen bleiben außer Betracht. Seit Jahrund Tag gibt es die zwanzig Prozent der Bevölkerung, dieein verdichtetes Weltbild haben, in dem ein Gemisch vonUngleichheitsideologien zum Einstellungs-Repertoire gehört.Feminist_innen sowie Lesben und Schwule gehörenzum Feindbild dieser Menschen, weil unter anderem dieGleichberechtigung unterschiedlicher Geschlechter undsexueller Orientierungen den Kern des Weltbildes gefährdet,nach dem Gruppen von Menschen nicht nur verschieden,sondern auch unterschiedlich viel wert zu seinhaben.So war es auf den ersten Blick verwunderlich, als dieFrauenrechtlerin Seyran Ateş forderte: »Männer, die einengesicherten Aufenthaltsstatus haben und ihre Frauenschlagen, sollten mit ausländerrechtlichen Folgen rechnenmüssen. Das heißt, deren Status sollte überdacht werden,ohne sie gleich auszuweisen« 1 – oder ein Vertreter desLesben- und Schwulenverbandes gar vor der »Überfremdung«von Innenstädten und »veränderten Mehrheiten«warnte. 2 Es scheint, dass die meinungsbildende Elite dieserdoch emanzipatorischen sozialen Bewegungen sich ausSorge um ihre Errungenschaften in ein Fahrwasser begibt,das eher dem europaweit grassierenden Rassismus dientals der Gleichberechtigung benachteiligter Gruppen. Wiegeht das »Unbehagen« 3 , das Alice Schwarzer in diffuser»Wir«-Form formuliert, einher mit dem Kampf für eineGesellschaft ohne Ausgrenzung und Gewalt?


Seite 42 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin»Kampf der Kulturen«Populäre Schlagwörter haben die Eigenschaft, schnell inVergessenheit zu geraten, wenn neue Realitäten andereLosungen notwendig machen. Der sogenannte »Kampfder Kulturen« hat eine Karriere hingelegt, die ihn zur exzellentenAusnahme dieser Regel macht. Als Samuel Huntington1993 die These aufstellte, der Zusammenprall von»Kulturen« werde die Weltpolitik im neuen Jahrtausendbestimmen, war der West-Ost-Konflikt gerade erst zuEnde. Ideologie, so schien es, schied ab sofort als internationaleAuseinandersetzungslinie aus, wie es auch Politikund Wirtschaft taten. Es mussten neue Blöcke her,die in überzeugender Weise gegeneinander stehen. Trotzbestehender Anknüpfungspunkte musste daran abererst einmal gearbeitet werden, denn bis Ende 90er Jahreleuchtete diese These noch niemandem auf Anhieb ein.Rückblickend wird sichtbar, dass die Überzeugungsarbeiterfolgreich geleistet worden ist. Alle Auseinandersetzungen,die zwischen dem »westlichen« und dem »chinesischen«Kulturkreis sowie dem »Westen« und der »islamischenWelt« prognostiziert worden sind, bestimmendie medialen Debatten über die Weltwirtschaft (China)und »kulturelle«/»religiöse« Verschiedenheit auf internationalerwie auf deutscher Ebene (»islamische Welt«/»dieMuslime«).Die Rechte von Frauen und von Homosexuellen haben indiesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Aufwertungerfahren. Ungeachtet aller Tatsachen wurde ein »Wir«konstruiert, das in seiner Inszenierung als kollektive Identitätwie selbstverständlich Sexismus und Homophobieausgelagert hat. Sätze, die die Wörter »westlicher Lebensstil«,»unsere Kultur/Werte« beinhalten, erklären sich heutevon selbst. Dass Frauen nach wie vor für dieselbe Arbeitein Viertel weniger verdienen und zu Zehntausenden vonhäuslicher Gewalt betroffen sind oder dass der Arbeitsmarktnachwievor im Wesentlichen den Männern Zugangund Aufstiegschancen ermöglicht, dass homosexuelle Jugendlichewesentlich höhere Selbstmordversuchsraten haben,dass die eingetragene Lebenspartnerschaft nach wievor ein Zweite-Klasse-Institut ist, dass gleichgeschlechtlicheLebensweisen, wenn überhaupt, nur im Biologie-Unterrichtvorkommen – das alles muss das neue »Wir« nichtkümmern. Es reicht, dass einzelne Frauen und Homosexuelledie Gelegenheit bekommen, in den oberen Etagenmitzuspielen. Wenn der Preis dafür eine General-Amnesieim Bezug auf die unwirtliche Vergangenheit und Ignoranzgegenüber gesellschaftlicher Ungleichheit heute ist, scheinenweite Teile der Reste von Frauen- und Homosexuellenbewegungbereit, ihn zu zahlen.Sexismus und Homophobie als SchicksalMigrant_innen heißen jetzt nur noch »Muslime« undwerden dafür verantwortlich erklärt, dass mit ihnen dievermeintlich überkommenen Phänomene Frauen-, Lesben-und Schwulenfeindlichkeit wieder in »unser« Land»zuwandern«. Wie auf der internationalen Ebene gilt diesspätestens seit dem »Muslim-Test« in Baden-Württemberg(2006) auch für die bundesrepublikanische Debatte: DieRechte von heterosexuellen Frauen und der Umgang mitLesben und Schwulen sind zu Gradmessern für Modernitätund Zugehörigkeit zu einer Wertegemeinschaft geworden,die trotz des Endes des West-Ost-Konflikts mit »derWesten« umschrieben wird.Nicht nur im Fall Afghanistans gehörte neben dem islamistischenTerror die Situation von Frauen explizit zu denGründen, warum eine militärische Intervention genaudieses Westens unabwendbar schien. Wie einst bei der Kolonisationdes größten Teils der Welt war ein »zivilisierter«Umgang mit dem weiblichen Teil der Bevölkerung einhervorragender Vorwand, um dem männlichen Teil derBevölkerung die eigene Herrschaft aufzuzwingen.Nicht anders verhält es sich mit Bevölkerungsteilen, dieauf unabsehbare Zeit »mit Migrationshintergrund« bleibenwerden. Nach entsprechender Schützenhilfe vonSchwulenorganisationen 4 und Verteidiger_innen vonFrauenrechten, die wegen Zwangsverheiratungen, Verschleierungszwangund so genannter »Ehrenmorde« heuteöfter denn je in der Presse stehen, gilt seit etwa Ende 2004als abgemacht: Es steht nicht zum Besten um die sexuelleSelbstbestimmung bei den »Muslimen«. Spätestensmit dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theovan Gogh waren in Deutschland aus den »Türk_innen«,»Araber_innen« etc. »die Muslime« geworden. Gemeinsammit dem Bekenntnis zu einem »christlich-jüdischenAbendland«, das ohne die Erinnerung an Pogrome undVernichtung auskommt, gehört seitdem die Abwehr vomSexismus und Homophobie zum Kernbestand des bundesrepublikanischenWertekanons – wie diese gleichzeitigals Wesensmerkmal »des Islam« und als Verhaltensrepertoire»der Muslime« unumstößlich im Raum stehen. DassHomophobie seitdem – wie vorher schon Sexismus – vorallem auf körperliche Gewalt von Individuen gegen Individuenreduziert wird, die jenseits gesellschaftlicher undstaatlicher Strukturen »kulturbedingtes« Schicksal vor allemeiner Bevölkerungsgruppe ist, versteht sich von selbst.Teile und herrscheDass dies mit der faktischen Wirklichkeit in Deutschlandnicht viel zu tun hat, zeigte die Debatte um dieErgänzung des Grundgesetz-Artikels 3. Die Forderung,den Antidiskriminierungskatalog der Verfassung um dasMerkmal »sexuelle Identität« zu ergänzen, scheiterte mitdem Hinweis der Bundesregierung auf »die Muslime«,denen es dann schwerfiele, sich zu »integrieren«. Die Tendenz,benachteiligte Gruppen gegeneinander in Stellungzu bringen, um mit kleinen Zugeständnissen das großeGanze bestehen zu lassen, scheiterte 2010 aber zum erstenMal öffentlichkeitswirksam: »Die Verfolgung und Diskri-


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 43minierung von Homosexuellen findet keine islamischeRechtfertigung. Ein umfassender Diskriminierungsschutzin der Verfassung für alle Menschen ist für das friedlicheZusammenleben in Deutschland notwendig«, verlautbarteder Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, AimanMazyek. 5Als wenig später die Philosophin und Queer- und Gender-Theoretikerin Judith Butler den Zivilcourage-Preis desBerliner CSD e.V. ablehnte, indem sie auf die Komplizenschaftvon Teilen der Szene mit außenpolitischer Militarisierungund rassistischer Mobilmachung gegen Muslimeim Inland hinwies, geriet die sicher geglaubte Hierarchieder Minderheiten vollends in Unordnung. Seitdem bewegtsich der hegemoniale Diskurs innerhalb queerer, aber auchfeministischer Kreise wieder weg von identitären Konstruktionen(»Wer bin ich?«) hin zu einem »Wo stehe ich?«.Der Fokus auf gesellschaftliche Verortetheit wird es ermöglichen,gemeinsam gegen Diskriminierung vorzugehen,ohne sich in eine »Opfer-Konkurrenz« zu begeben.Es kann nicht darum gehen, Homophobie und Sexismusunter Muslimen unter den Teppich zu kehren odersich mit Lippenbekenntnissen zufriedenzugeben, die gutin der Presse, aber nicht im Alltag funktionieren. Wirmüssen verstehen, wann, wie und vor allem zu welchemZweck Frauen-, Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit zuArgumenten in einem rassistischen Diskurs werden. DieÜberwindung von Sexismus und Homophobie kannsinnvoll nur als antirassistischer Kampf geführt werden.»Pro Deutschland« versuchtins Kreuzberger Rathaus zukommen - und scheitert.30. Juni 20111Barbara Seid: Seran [sic!] Ateş – eine türkische Alice Schwarzer.In: Klartext. Zeitung der PDS in Friedrichshain-Kreuzberg4 (2005), Seiten 3–4.2Dirk Ruder: «Deutschland» soll helfen. Sperrbezirk Autowerkstatt:Zu seinem 20. Geburtstag gab sich der LSVD ein neuesProgramm. junge Welt Nr. 89, 17./18. April 2010.3So etwa in der EMMA Winter 2010: Alice Schwarzer über dasSchweizer Minarett-Verbot: Solange wir nicht über das Unbehagenoffen reden, schlägt die Stunde der Populisten (www.emma.de/index.php?id=minarett_verbot_schweiz_2009_12_074So zum Beispiel: Schluss mit Diskriminierung und Gewalt.LSVD: Migranten müssen Verhältnis zu Homosexualität klären.LSVD Pressedienst, Info 29/03 vom 18. Juli 2003.5Zentralrat der Muslime: Zentralrat der Muslime wehrt sich gegenInstrumentalisierung von Muslimen gegen Homosexuelle.Pressemitteilung vom 10. Mai 2010.Zuerst erschienen in: »Rassistische Verhältnisse. Ausblicke - Tendenzen - Positionen« (Hrsg: Reachout Berlin, März 2011)


BundesfamilienministerinKristina Schröder (CDU)


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 45Der Topos»Deutschenfeindlichkeit«in rechtspopulistischen DiskursenYasemin ShoomanDie Autorin ist Historikerin und Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschungder TU Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Themen AntimuslimischerRassismus, Migration und Medienanalyse.Der Begriff »Deutschenfeindlichkeit« wurde in den medialenund politischen Debatten des Jahres 2010 aus einemursprünglich rechtspopulistischen Diskurs in einen breiterengesellschaftlichen Diskurs eingespeist, nachdem ihndie Familienministerin Kristina Schröder (CDU) auf ihrepolitische Agenda gesetzt hat. 1 Anlass war der Bericht vonLehrerInnen, wonach an Schulen, die mehrheitlich vonKindern mit sogenanntem Migrationshintergrund besuchtwerden, ein systematisches Mobbing weißer 2 deutscherSchülerInnen stattfände. 3 Die Interpretation diesesPhänomens als Ausdruck einer verbreiteten »Deutschenfeindlichkeit«unter insbesondere muslimischen MigrantInnenund ihren Nachkommen – denen ihr Deutschseindamit implizit abgesprochen wird – wurde von weitenTeilen der Medien unkritisch reproduziert. 4Herkunft des Begriffs »Deutschenfeindlichkeit«Dabei benutzen rechtspopulistische Gruppierungen undPlattformen (wie das Weblog Politically Incorrect) denTopos »Deutschenfeindlichkeit« schon seit Langem, umdie »echten« Deutschen als Opfer ihrer türkisch/arabisch/muslimischen Minderheit zu stilisieren und damit ihrenRassismus als eine Art von »Selbstverteidigung« zu legitimieren.5 Am Beispiel der Karriere dieses Topos lässtsich zeigen, wie der <strong>Rechtspopulismus</strong> als Scharnierstellezwischen dem rechtsextremen und dem demokratischenSpektrum fungiert. Wie der Politikwissenschaftler OliverGeden hervorhebt, ist der angenommene Komplott vonEliten und Minderheiten gegen »das Volk« ein Kernbestandrechtspopulistischer Argumentation. 6 Dieser »Opfermythos«knüpft an eine in rechtsextremen und revisionistischenKreisen beliebte Argumentationsfigur an, derzufolge die Deutschen in ihrer Geschichte immer wiederOpfer anderer Nationen, ihrer eigenen selbstzerstörerischen(linken) Eliten und Minderheiten geworden seienund immer noch werden. Eine solche Selbstinszenierungwird unter den Schlagworten »Anti-Germanismus« 7 ,»Deutschenhass« 8 oder eben auch »Deutschenfeindlichkeit«propagiert. Während diese Begriffe in älteren rechtsextremenund revisionistischen Publikationen verstärktauf eine historische und außenpolitische Dimension verweisen,erfahren sie in Texten jüngeren Datums eine Bedeutungsverschiebung,die als Reflex auf die Diskussionum Deutschland als Einwanderungsland gelesen werdenkann. Zwar heißt es auch schon im Klappentext des Buches»Der ewige Deutschenhaß. Hintermänner und Nutznießerdes Antigermanismus«, dass die »deutschfeindliche[n]Kräfte« nicht nur unter den europäischen Nachbarländernauszumachen seien, sondern »auch in unserem eigenenLand […] der Haß auf das deutsche Volk [wächst], geschürtvon linken Intellektuellen, Antifa-Kämpfern undAusländergruppen«. Dennoch liegt das Hauptaugenmerkdes 1992 erschienenen Buches auf der vermeintlichen»Deutschenfeindlichkeit« anderer Nationen, namentlichFrankreich, England, Polen, Russland und Amerika. Seitgeraumer Zeit ist eine inhaltliche Verschiebung in der Be-


Seite 46 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlingriffsverwendung auszumachen, denn neuerdings wird derBegriff »Deutschenfeindlichkeit« in rechtsextremen Kontextenvorrangig auf MigrantInnen – genauer auf Menschen,die als MuslimInnen markiert sind – bezogen. Sokonstatierte der Landesvorsitzende der NPD in Hessen,Jörg Krebs, im Oktober 2010 beispielsweise: »Und ja, esgibt diesen antideutschen ‚Rassismus‘, diese Deutschenfeindlichkeitunter Ausländern in Deutschland« und monierte,dass dieses Phänomen nicht unter den Volksverhetzungsparagraphenfalle. 9Gleichsetzung von »Deutschenfeindlichkeit«mit RassismusDie Implikation des Begriffs »Deutschenfeindlichkeit« alseine vermeintliche Form des Rassismus wird durch dasAnliegen, »Deutschenfeindlichkeit« zum Gegenstand desVolksverhetzungsparagraphen zu machen und damit mitRassismus und Antisemitismus auf eine Stufe zu stellen,verstärkt. Dieser Viktimisierungsdiskurs eint Rechtsextrememit Gruppierungen, die nicht offen rechtsextremagieren, sich also beispielsweise nicht positiv auf das»Dritte Reich« beziehen und auch nicht die Demokratieals politisches System Deutschlands angreifen. Im Februar2008 brachte die rechtspopulistische Wählervereinigung»Bürger in Wut« eine Petition in den Bundestag ein, um»deutschenfeindliche Äußerungen« als Volksverhetzungahnden zu lassen. Unterstützt wurde diese Petition vondem Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche, der Ende2006 aus der CDU ausgetreten ist und im Februar 2008eine eigene Wählervereinigung gegründet hat, die sich»Bündnis Familie Arbeit Vaterland« nennt. Ein Besuchder Webseite zeigt deren politische Ausrichtung. Dortheißt es zum Staatsbürgerschaftsrecht u.a.: »Wir forderndie Abschaffung des Geburtsortsprinzips und dagegen dasAbstammungsprinzip als einzige Möglichkeit des Erwerbsder Staatsbürgerschaft durch Geburt.« 10Die Forderung nach einer Aufweichung des Volksverhetzungsparagraphen,dessen rechtspolitische Funktionin Deutschland insbesondere vor dem Hintergrund derhistorischen Erfahrung des NS-Massenmordes an Judensowie Sinti und Roma auf den Schutz von Minoritätenausgerichtet ist, zieht eine Relativierung und Fehldeutungvon Rassismus und Antisemitismus nach sich. So heißt esin der Petition der Wählervereinigung »Bürger in Wut«:»Die pauschale Verunglimpfung von Deutschen ist ebensoeine Form des Rassismus wie das Schüren von Haß gegenAusländer in unserem Land. Beide Phänomene sindnicht nur gesellschaftlich zu ächten, sondern auch strafrechtlichzu ahnden.« 11 Mit Kristina Schröder hat dasBestreben, »Deutschenfeindlichkeit« zu einem Bestandteildes Volkverhetzungsparagraphen zu erheben, eine prominenteVerfechterin aus dem demokratischen und damitpolitisch unverdächtigen Spektrum erhalten. 12 Die Legitimierungdes Terminus »Deutschenfeindlichkeit« durcheine Ministerin hat 2010 dazu beigetragen, einen ideologischaufgeladenen Begriff aus der rechtsextremen undrechtspopulistischen Rhetorik in den etablierten politischenund medialen Diskurs zu überführen. Auf der Webseiteder CDU heißt es in diesem Zusammenhang: »DieBundesfamilienministerin stellt […] klar, dass zwischenRechtsextremismus und Deutschenfeindlichkeit nicht zuunterscheiden sei. Schröder: ‚Es gibt keine Fremdenfeindlichkeiterster und zweiter Klasse. Ausländerfeindlichkeit,Antisemitismus und Islamfeindlichkeit müssen mit allerHärte bekämpft werden. Aber auch Deutschenfeindlichkeitist Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus. Denn hierwird jemand diskriminiert, weil er einer bestimmten Ethnieangehört.‘« 13Bei solchen Versuchen, »Deutschenfeindlichkeit« mitRassismus gleichzusetzen, werden die Machtverhältnissezwischen Mehrheitsbevölkerung und Minorisierten ausgeblendet.Denn diese sind keineswegs symmetrisch, sondernhierarchisch strukturiert. Zwar können Angehörigedes gesellschaftlich hegemonialen Bevölkerungsteils – inDeutschland also weiße Deutsche –individuelle Ausgrenzungserfahrungenmachen, sie sind jedoch weder einemstrukturellen Rassismus ausgesetzt, der beispielsweise aufdem Arbeits- oder Wohnungsmarkt wirksam ist, nochwird ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv der Nation infragegestellt. Rassismus ist also immer an eine Machtpositiongekoppelt. 14 Es kommt für die Einordnung einer Äußerungals rassistische Äußerung deshalb nicht allein daraufan, ob sie dem Inhalt nach gegenüber einer Gruppe abwertendist, sondern auch, von welcher gesellschaftlichenPosition heraus sie artikuliert wird. 15 Der Vorwurf des»umgekehrten Rassismus«, der gegenüber einer von Marginalisierungund rassistischer Diskriminierung betroffenenBevölkerungsgruppe erhoben wird – in den USA wirddiese Diskussion unter dem Schlagwort »Reverse Racism«in Bezug auf Schwarze geführt – erlaubt eine Dethematisierungder Rassismuserfahrung dieser Gruppe durch einediskursive Täter-Opfer-Umkehr, im Zuge derer die eigeneMachtposition, Diskriminierungspraxis und Privilegiender weißen Mehrheitsgesellschaft ausgeblendet werden. 16Es erscheint in diesem Zusammenhang nicht verwunderlich,dass die Debatte über einen vermeintlichen Rassismusgegen weiße Deutsche ausgerechnet von solchenPolitikerInnen angeheizt wurde, die zu dem Rassismus,denen People of Color 17 in Deutschland ausgesetzt sind,bislang geschwiegen haben oder diesen teilweise selbst reproduzieren.Der Topos »Deutschenfeindlichkeit« im Kontextvon antimuslimischem RassismusUm zu verstehen, warum der die gesellschaftlichenMachtverhältnisse verdrehende Topos »Deutschenfeindlichkeit«eine solche Karriere machen konnte, gilt es,den derzeitigen politischen Kontext näher zu betrachten:Viele rechtspopulistische Gruppierungen – nicht nur inDeutschland, sondern europaweit – haben das Feindbild


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 47Islam und den antimuslimischen Rassismus als Modernisierungsstrategiefür sich entdeckt 18 , da sie inmitten vonaufgeheizten Integrations- und Islamdebatten auf dieAnschlussfähigkeit ihrer Feindbilder in der breiten Bevölkerungsetzen. Die Diskussion des Themas »Deutschenfeindlichkeitan Schulen« fiel zeitlich in die Debatte umdas von antimuslimisch-rassistischen Thesen durchzogeneBuch des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin.Diese Debatte hat den Diskursraum für Angriffe aufdie muslimische Minderheit in Deutschland erweitert.Und so wurde der Vorwurf der »Deutschenfeindlichkeit«auch nicht gegenüber allen MigrantInnen erhoben, sondernvorrangig an als MuslimInnen markierte Menschenadressiert. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende derhessischen CDU beispielsweise, Hans-Jürgen Irmer,machte gegenüber der als Sprachrohr der Neuen Rechtengeltenden Zeitung Junge Freiheit »den Islam« für die»Deutschenfeindlichkeit« verantwortlich und beton te,diese gehe nur von muslimischen SchülerInnen aus. 19Auch etablierte Medien stimmten in diese antimuslimischeRhetorik ein. 20 Die Debatte um »Deutschenfeindlichkeit«unter MuslimInnen steht also in einem direktenZusammenhang mit der Artikulation eines antimuslimischenRassismus, denn die Selbst- und Fremdethnisierungvon Angehörigen einer marginalisierten Gruppe wurdenicht als Folge eines sozialen Prozesses (u.a. als Reaktionauf die erlebte Diskriminierung und Zugehörigkeitsverweigerungals Deutsche) gedeutet, sondern zu einem»kulturellen Wesenszug« der problematisierten Gruppeuminterpretiert.Mit der im Windschatten der Sarrazin-Debatte geführtenDiskussion um eine »Deutschenfeindlichkeit« vonMuslimInnen ist es gelungen, einen Kampfbegriff derpolitischen Rechten in einen breiteren medialen und politischenDiskurs zu überführen. Dabei hat er im Kontextder Integrationsdebatte eine Bedeutungsverschiebung erfahren– weg von den überwiegend äußeren Feinden hinzu einem vermeintlichen Feind im Inneren.1Bereits im Wahlkampf zu den Landtagswahlen 2008 ging die hessischeCDU mit der Forderung nach einer Abschiebung von »ausländischenJugendlichen«, die die Mehrheitsbevölkerung als »Scheiß-Deutsche« beschimpfen, auf Stimmenfang. Auch Kristina Schröder,damals Bundestagsabgeordnete, machte die »Deutschenfeindlichkeit«schon 2008 zu ihrem Thema, ohne jedoch auf eine vergleichbare Resonanzzu stoßen wie 2010.2Der Begriff des Weißseins bezieht sich auf keine biologische, sonderneine soziale und politische Konstruktion, die eine dominante und privilegiertegesellschaftliche Position beschreibt. Genauso betrifft dieBezeichnung »Migrationshintergrund« im öffentlichen Diskurs nichtper se alle MigrantInnen und ihre Nachkommen. Weiße SchweizerInnenoder BelgierInnen dürften beispielweise selten gemeint sein,wenn von Jugendlichen mit »Migrationshintergrund« die Rede ist.Vgl. zur deutschen Rezeption der Critical Whiteness Studies Eggers,Maureen Maisha et al. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. KritischeWeißseinsforschung in Deutschland, Münster 2005.3Vgl. den Artikel »Deutschenfeindlichkeit in Schulen. Über die Ursacheneiner zunehmenden Tendenz unter türkisch- und arabischstämmigenJugendlichen« in der GEW-Zeitschrift blz vom November2009. Die GEW führte am 3. Oktober 2010 eine Veranstaltung unterdem Titel »Der Streit um die sogenannte Deutschenfeindlichkeit«durch, die ein breites mediales Echo fand.4Vgl. beispielsweise die Artikel »Berliner Ghettos. Wie Araber undTürken deutsche Schüler mobben«, in: Morgenpost vom 4. Oktober2010 oder »Lehrer beklagen Mobbing gegen deutsche Kinder«, in:Der Tagesspiegel vom 30.9.2010.5Vgl. dazu Shooman, Yasemin: Islamfeindschaft im World WideWeb, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 17 (2008), S. 69-96,hier S. 89 ff..6Geden, Oliver: <strong>Rechtspopulismus</strong>. Funktionslogiken – Gelegenheitsstrukturen– Gegenstrategien, Berlin 2007, Studie der StiftungWissenschaft und Politik.7Vgl. beispielsweise das revisionistische Buch »Anti-Germanismus.Eine Streitschrift zu Dachau und Auschwitz«, hrsg. v. Gert Sudholt,Berg 1986.8Vgl. beispielsweise das Buch »Der ewige Deutschenhass. Hintermännerund Nutznießer des Antigermanismus« des rechtsextremenHistorikers Gustav Sichelschmidt, Kiel 1992.9www.npd-hessen.de/index.php/menue/24/thema/939/id/2161/anzeigemonat/10/anzeigejahr/2010/infotext/Deutschenfeindlichkeit-Tuerkische_Messerstecher_greifen_Mutter_und_Sohn_in_Frankfurt_an/Aktuelles.html10www.arbeit-familie-vaterland.de/inhalt/buendnis/dafuer-stehenwir/10-punkte.html11www.epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=59512Vgl. Interview mit Kristina Schröder im Focus vom 18.10.2010.13www.cdu.de/archiv/2370_31685.htm.14Der Machtaspekt ist ein wesentlicher Bestandteil der Definitionvon Rassismus, weshalb Rassismus mehr umfasst als ein Konglomeratvon Vorurteilen. Vgl. dazu ausführlich Räthzel, Nora (Hg.): Theorienüber Rassismus, Hamburg 2000.15Dies soll nicht in Abrede stellen, dass es Mobbingvorfälle an Schulengegenüber weißen deutschen Kindern gibt und dass diese eineverletzende Erfahrung darstellen. Es handelt sich dabei aber nicht umRassismuserfahrungen.16Vgl. dazu Wachendorfer, Ursula: Weiß-Sein in Deutschland. ZurUnsichtbarkeit einer herrschenden Normalität, in: Arndt, Susan(Hg.): AfrikaBilder. Studien zu Rassismus in Deutschland, Münster2001.17Der Begriff People of Color stammt aus den USA und dient derSelbstbezeichnung von Menschen, die Rassismuserfahrungen machen.18Vgl. exemplarisch für Deutschland Alexander Häusler (Hg.):<strong>Rechtspopulismus</strong> als »Bürgerbewegung«. Kampagnen gegen Islamund Moscheebau und kommunale Gegenstrategien, Wiesbaden 2008und für Österreich Hafez, Farid: Islamophober Populismus. Verlagfür Sozialwissenschaften, Wien 2010.19Vgl. Deutschenfeindlichkeit: CDU-Politiker Irmer macht Islamverantwortlich, in: Junge Freiheit vom 13.10.2010.20Vgl. beispielweise den Artikel »Das Gift der muslimischen Intoleranz«von Regina Mönch in der FAZ vom 4.10.2010 sowie das Interviewmit Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister von Neukölln»Das ist ein kulturell muslimisches Problem«, in: Der Tagesspiegelvom 6.10.2010.


Seite 48 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinWas isteigentlichRassismus?Dr. Hendrik CremerDer Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter amDeutschen Institut für Menschenrechte, Berlin.Die Diskussion zu Aussagen von Thilo Sarrazin zeigt: Eswird Zeit, in Deutschland eine Debatte über das Verständnisvon Rassismus im 21. Jahrhundert zu führen.»Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufsSpiel setzen« – so heisst der Titel eines Buches von ThiloSarrazin, das in Deutschland im August 2010 im renommiertenDVA-Verlag erschienen ist. Die Präsentation desBuches erfolgte in einer live vom Fernsehen übertragenenPressekonferenz, der zahlreiche Auftritte in Talkshowsund Interviews mit Sarrazin folgten. Bereits vor der Präsentationdes Buches hatten das NachrichtenmagazinSpiegel und die Bild-Zeitung exklusiv Auszüge aus demBuch veröffentlicht und Sarrazin dabei als »Realo-Politiker«und Provokateur präsentiert, der bestehende Tabusbreche – insbesondere in der deutschen Integrations- undZuwanderungspolitik. Sarrazin, seit über dreissig Jahrenin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, war zudieser Zeit Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbankund damit Inhaber eines hohen öffentlichen Amtes.Auch zuvor hatte er – etwa als Finanzsenator von Berlin– öffentliche Ämter in Deutschland inne.»Wir« und die »Anderen«Sarrazin hat sich zur Aufgabe gemacht, die Gesellschaft inDeutschland nach dem Muster »Wir« und die »Anderen«zu unterteilen. Innerhalb der »Anderen« bildet er weitereUntergruppen wie »Türken«, »Araber« oder wahlweise»muslimische Migranten«, deren Mitgliedern er in verallgemeinernderund herabwürdigender Weise bestimmtenegative Eigenschaften zuschreibt. Dabei gehen SarrazinsAussagen einher mit Thesen zur »genetischen Identität«eines Volkes, in denen er die Vererbung von Eigenschaften– insbesondere von Intelligenz – mit der »Kultur« vonMenschen in einen Zusammenhang setzt.Sarrazin nimmt in seinen Thesen unter anderem Bezugauf Francis Galton (1822–1911), den er als »Vater derfrühen Intelligenzforschung« bezeichnet. Dass FrancisGalton als Begründer der modernen Eugenik gilt und rassistischeVererbungslehren vertreten hat, bleibt in seinemBuch hingegen unerwähnt. Den Vorwurf rassistischerDenkstrukturen weist Sarrazin stets von sich. Zugleichgreift er zu einem Stilmittel, das bei der Verbreitung solchenGedankenguts nicht unüblich ist. Er beklagt dieMauern der politischen Korrektheit, um gleichzeitig rassistischeVerbalattacken vorzunehmen. Zudem enthaltenseine Aussagen diffuse, polemische und faktisch falscheAusführungen zur gegenwärtigen Einwanderungspolitikin Deutschland. Dabei zeichnet er ein Bild, als ob Zuwanderungnach Deutschland keiner Steuerung unterliege,sodass Menschen einfach nach Deutschland einwandernund hier Sozialleistungen beziehen könnten. Dies ist abermitnichten der Fall.Die Ausführungen Sarrazins sind nicht nur gekennzeichnetdurch mangelnde Sachlichkeit. Sarrazin manipuliertden Leser, etwa dann, wenn er Diskriminierung im Bil-


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 49dungssystem und im Bereich der Beschäftigung einfachleugnet. Ausserdem greift er beliebig auf Statistikenzurück, die er so einsetzt, dass sie seiner Weltsicht entsprechen.Andere Interpretationsmöglichkeiten ignorierter. Datenerhebungen oder Ergebnisse wissenschaftlicherUntersuchungen, die zu seiner eigenen Wirklichkeit nichtpassen, finden keine Erwähnung.Reaktionen auf Sarrazins BuchNach der Veröffentlichung des Buches wurden Sarrazinund seine Thesen wochenlang zum Topthema in der deutschenMedienlandschaft. Nicht wenige Kommentatorenhaben seine Diffamierungen zwar verurteilt, kamen aberzum Schluss, dass Sarrazin im Kern die eigentlichen Problemeanspreche. Damit spielten sie der Dramaturgie vonSarrazins Auftritt als Provokateur und Tabubrecher direktin die Hände: Die Reaktionen, die er ausgelöst hat, richtetensich vor allem gegen den Ton und die Schärfe seinerÄusserungen.Dabei negiert Sarrazin in seinen Ausführungen undGrundaussagen fundamentale Prinzipien des DeutschenGrundgesetzes und der universell gültigen Menschenrechte:Dem Deutschen Grundgesetz und der Kodifizierunguniversell gültiger Menschenrechte nach 1945 liegt dieErkenntnis zugrunde, dass alle Menschen in ihren Rechtenund in ihrer Würde gleich geboren sind. WesentlicheForderungen Sarrazins nach Rechtsänderungen, die erim Bereich der Zuwanderungspolitik erhoben hat, liegenjenseits des menschenrechtlich Zulässigen und des unveränderbarenKerns des Grundgesetzes. 1 Dass Sarrazin einMenschenbild präsentiert, das mit dem Grundgesetz undden Menschenrechten als Fundament der deutschen Gesellschaftsordnungnicht in Einklang zu bringen ist undzudem politische Forderungen erhebt, die zuvor alleinrechtsextremen Parteien zugeordnet wurden, fand in derDebatte nur teilweise Berücksichtigung.Einige Medien und Kommentatoren sahen sogar in geäußerterKritik an Sarrazins Thesen die Meinungsfreiheitin Frage gestellt. Diese Stoßrichtung der Debatte bezogsich unter anderem auf die Bundeskanzlerin, die ÄusserungenSarrazins als schlichte und dumme Pauschalurteilegebrandmarkt hat, die äusserst verletzend und diffamierendseien.Die Sarrazin-Debatte hat deutliche Spuren und Wirkungenim öffentlichen und politischen Raum hinterlassen.Dazu gehört auch, dass einzelne staatliche Akteure impolitischen Raum immer wieder die Stigmatisierungvon Muslimen in Deutschland betreiben. 2 Dabei stehenStereotypisierungen und Stigmatisierungen von Menschengruppenauf Grund ihrer Religionszugehörigkeit,Kultur oder nationalen Herkunft durch den Staat undseine Repräsentanten im Widerspruch zu den menschenrechtlichenVerpflichtungen Deutschlands. Insbesondereals Vertragsstaat der UN-Anti-Rassismus-Konvention istDeutschland Verpflichtungen eingegangen, welche diestaatliche Gewalt umfassend binden. Zudem enthält dieKonvention Verpflichtungen, Rassismus im politischenRaum und im öffentlichen Leben entgegenzutreten. Dahintersteckt die Erkenntnis, dass einmalige Bekenntnissezu den Menschenrechten nicht ausreichen, diese müssenvielmehr gelebt, praktiziert und verteidigt werden. WelcheAusmaße Diskriminierung und Rassismus in einer Gesellschaftannehmen, ist letztendlich von den Überzeugungenund Einstellungen ihrer Mitglieder abhängig. Dabeikommt der Politik, dem Staat und seinen Institutioneneine wichtige Funktion zu, indem sie Massstäbe setzen.Die Erweiterung des Verständnisses vonRassismus ist nötigDie Erfahrungen der Sarrazin-Debatte sollten vor diesemHintergrund zum Anlass genommen werden, eine möglichstbreite und zugleich sachliche Diskussion über dasVerständnis von Rassismus im 21. Jahrhundert zu führen.Die Sarrazin-Debatte hat schliesslich deutlich gezeigt, dassin Deutschland ein zu enges Verständnis von Rassismusvorherrscht. So werden in Deutschland mit dem Begriff»Rassismus« oft die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismusassoziiert. Von Rassismus ist häufig nur danndie Rede, wenn es um politisch organisierten Rechtsextremismusgeht. Ein solch enges Verständnis von Rassismuswurde in den vergangenen Jahren gleich von mehrereninternationalen Fachgremien zur Bekämpfung von Rassismuskritisiert. Der UN-Ausschuss gegen Rassismus,der die Umsetzung der UN-Anti-Rassismus-Konventionüberprüft, hat Deutschland im Jahr 2008 empfohlen,den Rassismusbegriff und den Ansatz in der Bekämpfungvon Rassismus zu erweitern. Gleiches hat die Europarat-Kommission gegen Rassismus im Jahre 2009 ebenso angemahntwie der UN-Sonderberichterstatter gegen Rassismusin seinem im Juni 2010 im UN-Menschenrechtsratvorgestellten Bericht über Deutschland.Gewiss sind Stereotypisierungen, Ausgrenzungen und Diskriminierungen,die in demokratischen Gesellschaften existieren,nicht mit den systematischen und monströsen Verbrechenzur Zeit des Nationalsozialismus gleichzusetzen.Ein Verständnis von Rassismus, das sich auf politischorganisierten Rechtsextremismus beschränkt, blendet jedochden Stand der Wissenschaft und der internationalenund europäischen Debatte aus. Hier lässt sich bereits seiteiniger Zeit eine Erweiterung im Verständnis von Rassismusausmachen. Immerhin gibt es auf der politischenEbene erste Anzeichen in diese Richtung. So hat etwa dieBundesregierung in ihrem Aktionsplan gegen Rassismusvon Oktober 2008 anerkannt, dass sich auch jenseits desrechtsextremistischen Lagers rassistische Ressentiments


Seite 50 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlinund Stereotype finden und dass sich die Bekämpfung vonRassismus nicht in der Bekämpfung des Rechtsextremismuserschöpft, sondern auf die Gesellschaft insgesamtbeziehen muss.Rassismus ist im 21. Jahrhundert oftkulturalistisch begründetRassismus setzt kein Gedankengut voraus, das auf biologistischenTheorien von Abstammung und Vererbungbasiert. Es ist erst recht nicht erforderlich, dass Menschendabei begrifflich nach unterschiedlichen »Rassen« eingeteiltwerden. Rassistische Argumentationsmuster der Gegenwartverlaufen – wenn man so will – häufig versteckter.Typischerweise basieren sie auf Zuschreibungen aufGrund unterschiedlicher »Kulturen«, »Nationen«, »Ethnien«oder Religionszugehörigkeit. Kennzeichnend fürRassismus ist die Konstruktion von Gruppen, nach der in»Wir« und die »Anderen« unterteilt wird. Es handelt sichum Konstruktionen, weil vermeintlich homogene Gruppengebildet werden, deren individuellen Mitgliedernpauschal bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.Die Konsequenz solcher Zuschreibungen ist damit auch,dass die jeweiligen Menschengruppen sozusagen in ihnen»gefangen« gehalten und nicht mehr als Individuen wahrgenommenwerden. Solche Kategorisierungen von Menschenerreichen jedenfalls dann rassistische Dimensionen,wenn sie mit Hierarchisierungen oder Abwertungen einzelnerGruppen einhergehen.Häufig wird Rassismus der Gegenwart kulturalistisch begründet.In Sarrazins Aussagen lassen sich sowohl kulturalistischeals auch biologistische Argumentationsmusterfinden.Dennoch wird die Dimension von Sarrazins Thesen inder deutschen Öffentlichkeit bis heute allzu oft verkannt.Um die rassistischen Inhalte seiner Aussagen zu kaschierenund dem Vorwurf von Rassismus vorzubeugen, hater in Interviews regelmässig hervorgehoben, dass er janicht von »Rassen« oder »Ethnien« spreche, sondern aufdie »Kultur« von Menschen Bezug nehme. Dabei nimmtSarrazin mit seinen biologistischen Thesen sogar Rückgriffauf ein Gedankengut, welches die geistige Grundlagedes Nationalsozialismus bildete: die Kategorisierung undHierarchisierung von Menschengruppen (»Rassen«) nachpseudowissenschaftlichen Kriterien. Nur damit lässt sichauch erklären, dass sich der wegen seiner antimuslimischenRhetorik über die Landesgrenzen hinaus bekannteNiederländer Geert Wilders in einem Interview mit demNachrichtenmagazin Spiegel im November 2010 deutlichvon den biologistischen Thesen Sarrazins distanziert hat.Sarrazin, ein Rassist?Nicht wenigen Kommentatoren in Deutschland bereitetedie Einordnung von Sarrazins öffentlichen Aussagen inInterviews oder seinem Buch Schwierigkeiten. Sind seineAussagen nun rassistisch oder nicht? Antworten daraufwurden teilweise bei ihm selbst gesucht: »Herr Sarrazin,sind Sie ein Rassist?« Diese Vorgehensweise führt indesnicht weiter. Bei der Frage, ob Aussagen rassistisch sind,kann es grundsätzlich nicht darum gehen, ob derjenige,der sie äussert, sich selbst als Rassist bezeichnet. Diese Frageist im Grunde unbedeutend. Insbesondere dann, wennder Inhalt der Aussagen klar dokumentiert ist und nicht inFrage steht. Die deutsche rechtsextreme Partei Republikanerhat sich Sarrazins Thesen jedenfalls zu Eigen gemachtund einen entsprechenden Slogan (»Ich bin ein Sarraziner«)herausgegeben.Die Sarrazin-Debatte hat besonders deutlich gezeigt, dassRegierung und Parlament gefordert sind, Ausgrenzungund Diskriminierung aktiv entgegenzutreten, um denSchutz vor Diskriminierung als fundamentalen Grundsatzunserer Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten. Auchden Medien kommt hier eine wichtige Aufklärungs- undKontrollfunktion zu, der sie durch Reflexion der eigenenRolle in der Debatte und durch faktengetreue, faireund kritische Berichterstattung gerecht werden können.Ausserdem können und sollten sich Parteien, Nichtregierungsorganisationen,Gewerkschaften und Religionsgemeinschaftenklar gegen Diskriminierung und Ausgrenzungaussprechen. Nur auf diese Weise kann der durch dieSarrazin-Debatte verschobene Rahmen der öffentlichenDebatte um Integration und Zuwanderung wieder nachhaltigauf sein menschenrechtliches und verfassungsrechtlichesFundament zurückgeführt werden.Dieser Artikel ist zuerst erschienen in TANGRAM – Bulletin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus,Nummer 27, Juni 20111Siehe dazu genauer www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/presse/stellungnahmen/stellungnahmemenschenrechtemuessen-grundlage-der-debatte-um-integrationund-zuwanderung-sein.html2Siehe dazu auch www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Stellungnahmen/stellungnahme_zu_aussagen_v_thilo_sarrazin__02_09_2010.pdf


Geert Wilders und René Stadtkewitzim »Hotel Berlin«2. Oktober 2010


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 53Rechts-populärEmpfehlungen zum Umgangmit rechtspopulistischenParteien und ArgumentenMobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR)»Wenn wir jetzt aufgeben, dann kommen wir nirgendwomehr rein.« Mit diesen Worten von Lars Seidensticker,Bundesgeschäftsführer und Berliner Landesvorsitzendervon Pro Deutschland, endete im Juni 2011 der Versuch,eine Veranstaltung im Rathaus Kreuzberg abzuhalten.Der Versuch scheiterte, weil der Zugang zum Rathaus vonmehreren hundert Menschen versperrt wurde, die durchein breites Bündnis aus Politik, Initiativen des Bezirks undantifaschistischen Gruppen mobilisiert wurden. »Schonheute die Pogrome von Morgen verhindern« war auf einemder Transparente zu lesen. Die kleine Gruppe um denBundesvorsitzenden Manfred Rouhs und Lars Seidenstickermusste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Damitwar gelungen, was bislang in Berlin nie gelingen wollte:Den Rechtspopulisten die Möglichkeit zu nehmen, bezirklicheRäume für ihre Inszenierung zu nutzen.Auch »Die Freiheit«, die andere rechtspopulistische Partei,die derzeit in Berlin zur Wahl antritt musste bereits die Erfahrungmachen, dass ihnen Räume wieder abgesagt wurden,weil der zivilgesellschaftliche Druck zu groß war. Daherscheint sich diese Partei derzeit auf die Planung einerGroßveranstaltung mit Geert Wilders in der heißen Phasedes Wahlkampfes zu fokussieren. Damit versuchen sie anihren bislang größten medialen Erfolg anzuknüpfen:Anfang Oktober 2010 gab die Partei sogar noch vor ihreroffiziellen Gründung am 28. Oktober mit einer Rednerveranstaltungim »Hotel Berlin« ihren Einstand. Geladenwar der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders,gekommen waren über 500 Zuhörer/ innen, die meistenvon ihnen »weiße Männer, mittleren Alters« geprägt von»Verängstigung und Orientierungslosigkeit« 1 .Das Feld des <strong>Rechtspopulismus</strong> ist schnelllebig. Denngerade die emotionale Unmittelbarkeit der schnellen undbündigen Antworten auf tatsächliche oder vermeintlicheProbleme, die derlei Parteien ausmacht, bringt es mit sich,dass es auch schnell vorbei sein kann, wenn sich die Erregungnicht in Politik umsetzen lässt.Dennoch bleibt das Phänomen des <strong>Rechtspopulismus</strong>Herausforderung und Prüfstein praktizierter Demokratie,mögen die entsprechenden Parteien auch wechseln, fusionieren,vergehen und wiederauferstehen. Konkret stelltsich im Hinblick auf die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhausund den Bezirksverordnetenversammlungen2011 die Frage: Wie umgehen mit rechtspopulistischenOrganisationen, Veranstaltungen und Argumentationsweisen?Dabei unterstreicht der Überraschungserfolg der Schill-Partei 2001 in Hamburg oder der Einzug von »Pro Köln«in den Stadtrat 2004 die Notwendigkeit der Auseinandersetzungmit Strategien und Inhalten der rechtspopulistischenParteien.Treffend beschreibenDas Startkapital der rechtspopulistischen Akteure ist nichtzuletzt die Handlungsunsicherheit auf Seiten der demokratischenund zivilgesellschaftlichen Initiativen. Diesebeginnt schon bei der Frage,mit wem man es eigentlich zu tun hat. Dabei äußert sichdiese Überforderung durchaus verschieden. Auf der einenSeite werden Personen wie Geert Wilders oder ThiloSarrazin als »unbequeme« Diskutanten der sogenanntenIntegrationsdebatte missverstanden. Der von ihnen propagierteRassismus wird nicht als wesentlicher Kern sondernals schlecht getroffener Ton in einer notwendigenDebatte begriffen. Auf der anderen Seite werden rechtspopulistischeAkteure oftmals mit einem ungenügendenAnalyse- und Begriffsrepertoire versucht zu fassen, das amorganisierten Rechtsextremismus gewonnen wurde – eine


Seite 54 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinStigmatisierung als »Neonazis« trifft das Problem nicht.Es geht also darum, inhaltlich wie praktisch einen Modusder Kritik zu entwickeln, der weder verharmlosend wirkt,noch die Unterschiede zwischen Parteien wie der NPDund den rechtspopulistischen Organisationen verwischt.Parteien wie »Pro Deutschland« oder »Die Freiheit«, Politikerwie Manfred Rouhs oder René Stadtkewitz sprecheneine Klientel an, die zwischen dem Rechtsextremismusund dem etablierten Konservatismus steht. Damit erfüllensie eine Brückenfunktion, die sowohl personeller wieinhaltlicher Natur ist.Des Weiteren stellen diese Parteien in wesentlich stärkeremMaße einen Indikator verschiedener Krisen dar alsdies beispielsweise die NPD tut. Die Krise der Repräsentation,deren Auswirkungen alle etablierten Parteienspüren, fällt zusammen mit den Maßnahmen der Krisenpolitik,die von eben jenen etablierten Parteien in Stellunggebracht wurden: das Aufbauen von Bedrohungendurch »den Islam«, die Verschärfung von Überwachungund Sicherheitspolitik und die zunehmende Verschärfungder Sozialpolitik. Die damit einhergehenden Ängste undUnsicherheiten greifen die Rechtspopulist/innen auf undversuchen, diese mit unmittelbaren und autoritären Forderungenzu binden.Begreifen und kritisieren lässt sich diese Strömung nur,wenn diese Funktionen verstanden und auch begrifflichreflektiert werden, ohne dadurch den wesentlichen Rassismuszu verharmlosen oder die Auseinandersetzung durchdie einfache Beschreibung als »Neonazis« zu verkürzen.Wird die Diskussion jedoch unter dem Begriff des Rechtsextremismusgeführt, erschwert dies die notwendige Debatteum den gesellschaftlich wirkmächtigen Rassismus,der auch in der Mitte der Gesellschaft ein ernsthaftes Problemdarstellt.Eigene Begriffe setzenFür eine erfolgreiche Auseinandersetzung ist es außerdemwichtig, selbst die Begriffe zu bestimmen, mit denen über<strong>Rechtspopulismus</strong> diskutiert wird. Dies gilt konkret sowohlfür die Themen des <strong>Rechtspopulismus</strong> als auch fürdie Organisationen: Zunächst ist es wichtig, nicht einfachdie Selbstinszenierung als »Bürgerbewegung« zu übernehmensondern immer wieder darauf hinzuweisen, dassman es bspw. bei »Pro Deutschland« mitnichten mit einerBürgerbewegung zu tun hat sondern mit einer Partei. Sieentspricht genau jenen Bestimmungen, die sie vorgibt beiden »etablierten« Parteien anzuprangern: zentralistisch,bürokratisch und hierarchisch auf wenige Führungspersonenzugeschnitten.Wie oben angedeutet, muss außerdem deutlich gemachtwerden, dass der Einsatz von Parteien wie »Pro Deutschland«und »Die Freiheit« unter anderem für härtere Strafenund mehr Überwachung so wenig einen substanziellenBeitrag zur Sicherheit der Bürger/innen leistet, wie die rassistischeStigmatisierung dazu beiträgt, Integration – alsodie gesellschaftliche Teilhabe von Migrant/innen – zu befördern.Anstatt die Auseinandersetzung um diese Fragen als Reflexauf die von Rechtspopulist/innen geschürte Angst vor»Überfremdung« und vermeintlicher »ausländischer Kriminalität«zu führen, gilt es, eine konkrete und nachvollziehbarePerspektive einzunehmen, die an Menschenrechtenund Solidarität orientiert ist. »Es muss darum gehen,rechtliche und politische Strukturen zu schaffen, die esMigrant/innen ermöglichen, selbstbestimmt ihr Leben zugestalten« heißt es in dem Aufruf »Demokratie statt Integration«,der von namhaften Politiker/innen und Forscher/innen unterzeichnet wurde.Der Tatsache, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaftleben, muss in den Repräsentanzverhältnissen in Medien,Politik, Kultur, Verwaltung und Zivilgesellschaft Rechnunggetragen werden. Der Umdeutung sozialer Problemein kulturelle Probleme kann also begegnet werden, indemein modernes Kulturverständnis gefördert und gelebtwird, das eine Spaltung der Menschen in dieser Gesellschaftin »Fremde« und »Deutsche« nicht zulässt.Auch für Politik und Verwaltung gilt, dass demokratischeHaltung auch die Parteinahme für Minderheiten in konkretenKonflikten bedeutet. Die Erfahrungen aus Kölnund Nordrhein-Westfalen aber auch aus Berlin zeigen,dass es für die erfolgreiche Inszenierung rechtspopulistischerParteien meist eines lokalen Anlasses bedarf, andem sich die nötige emotionale Erregung entfachen lässt.Dafür eignen sich Moscheebauvorhaben wie in Pankow-Heinersdorf 2006 ebenso wie Straßenumbenennungenoder die Errichtung eines Flüchtlingsheims.HandelnEin wichtiges Signal ist zum Beispiel der im Juni 2011erarbeitete »Berliner Konsens«. Darin erklären alle im BerlinerAbgeordnetenhaus vertretenen Parteien: »Im Wahlkampfwerden wir gemeinsam Rassismus, Populismusund Rechtsextremismus die Rote Karte zeigen und gegendie diskriminierenden Positionen rechtsextremer undrechtspopulistischer Parteien Stellung beziehen.« Ebenfallsermutigen sie die Bürgerinnen und Bürger, rechtsextremenund rechtspopulistischen Parteien im Alltag und ander Wahlurne eine Absage zu erteilen.Hierzu gehört auch die Ermutigung zu und Ermöglichungvon zivilgesellschaftlichem Protest gegen rechtspopulistischeVeranstaltungen. Die Haltung, die das BezirksamtKreuzberg, die Bezirksverordnetenversammlung undder Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz im Umgangmit »Pro Deutschland« gezeigt haben, ist hier beispielhaft.Ebenfalls bemerkenswert an dieser Veranstaltung ist, dassmit dem Protest gegen <strong>Rechtspopulismus</strong> auch die Forde-


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 55rung nach kommunalem Wahlrecht unabhängig von derStaatsbürgerschaft verbunden wurde.Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, einen Umgangmit rechtspopulistischen Veranstaltungen zu finden, derdie zivilgesellschaftlichen Ressourcen schont und an dentatsächlichen Notwendigkeiten orientiert ist: Die von»Pro Deutschland« im Oktober 2010 gegen eine ohnehinabgesagte Veranstaltung in einer Neuköllner Moscheeabgehaltene Mahnwache beispielsweise legte allein durchdie spärliche Teilnahme von einzig sieben Demonstrant/innen ein besseres Zeugnis ab, als dies eine aufwändigezivilgesellschaftliche Mobilisierung vermocht hätte.Ebenso können Hotels und Tagungshäuser im Rahmenihrer Möglichkeiten die Durchführung von rechtspopulistischenParteiversammlungen untersagen oder die Unterbringungvon Funktionär/innen verweigern, auch dieKölner Post, die sich weigerte 300.000 Postwurfsendungenvon »Pro Köln« auszuliefern, kann hier als Vorbilddemokratischer Haltung angeführt werden.In lokalen Konflikten gilt es, den Betroffenen Unterstützungzu signalisieren und der Ethnisierung von Konfliktenschnell und sachlich zu begegnen. Dass beispielweiseGewaltphänomene, insbesondere die Gewalt junger Männer,wenig mit der Herkunft der Eltern und Großeltern,viel jedoch mit sozialer Deklassierung und alltäglichenAusgrenzungserfahrungen zu tun haben, lässt sich ohnegroßen Aufwand verständlich machen. Soziale Verhältnisseals veränderbar darzustellen und den Menscheneine Teilhabe an dieser Veränderung zu ermöglichen sinddie Maßgaben lokaler Politik, die der Gefahr ethnisierterKonflikte langfristig begegnen möchte.Anerkennung der Menschen mit Migrationshintergrundbedeutet auch die Anerkennung und Aufarbeitung derMigrationsgeschichte, wie dies zum Beispiel im Neuköllner»Denkmal der Migration« zum Ausdruck gebrachtwird, welches gemeinsam von Ausbildungsprojekten,Migrant/innenselbstorganisationen, Jugendeinrichtungenund dem Migrationsbeirat entworfen wurde.Daran angelehnt empfehlen sich auch bezirkliche Werkstattgespräche,in denen Bürger/innen mit und ohneMigrationsgeschichte zusammen mit Vertreter/innen ausPolitik und Verwaltung Probleme adressieren und nachgemeinsamen Lösungsmodellen suchen. Hier könnteauch der so oft beschworenen »Politikverdrossenheit« begegnetwerden: politische Prozesse müssen durch Teilhabeerfahrbar gemacht werden. Je besser gewappnet die Parteienin den Wahlkampf gehen, desto geringer sind dieEinfallstore und Argumentationslücken für Rechtspopulisten.Der Umgang mit rechtspopulistischen Infoständenund den damit verbundenen Argumenten kann eingeübt,die Mitglieder der Parteien können vorbereitet werden,ebenso können themenbezogene Informationsbroschürenrechtspopulistischen Initiativen den argumentativenWind aus den Segeln nehmen.Auch die Aufklärung über Geschichte und Vernetzungder rechtspopulistischen Parteien kann dazu beitragen,die Maskerade der lokal angebundenen und aufrichtigempörten »Bürgerbewegung« zu enttarnen.So wichtig wie die eindeutige und öffentliche Positionierunggegen rechtspopulistische Veranstaltungen, Parteitageund Aktionen ist, so nötig ist das selbstbewussteBekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft, Teilhabe undSolidarität, um auch langfristig gegen <strong>Rechtspopulismus</strong>und Rassismus wirken zu können. Denn auch nach derWahl wird es Vorstöße geben, gesellschaftliche Debattenrassistisch zuzuspitzen. Dagegen ist nur gewappnet, werAntirassismus zu den Grundlagen demokratischer Politikzählt und rassistischer Stimmungsmache auch im eigenenBezirk, im eigenen Alltag und in der eigenen Partei eineklare Absage erteilt.Ein Beispiel, wie ein selbstbewusstes Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaftund zu den Berliner/innen mitMigrationshintergrund aussehen könnte, lieferte ausgerechnetdie Boulevardzeitung BZ: Diese wartete anlässlichdes EM-Qualifikationsspieles zwischen Deutschland undder Türkei im Oktober 2010 mit einem überraschendenTitel auf: Zweigeteilt lautete die obere Hälfte der Titelseite:»Heute schießen wir den Halbmond voll«, währendauf der unteren Seite der Titel prangte: »Heute rupfen wirden Adler«. In der Mitte war zu lesen: »Deutschland –Türkei. Der Sieger steht schon fest: Berlin«.Mit diesem Titel ist mehr ausgedrückt als in vielen Willensbekundungen,die zu Toleranz aufrufen. Er drücktAnerkennung aus: Anerkennung einer Realität der Zuwanderungund Anerkennung der Erfahrungswelt vonBerlinerinnen und Berlinern mit türkischem Migrationshintergrund.<strong>Rechtspopulismus</strong> und Rassismus werdensolange eine immer wiederkehrende Bedrohung sein, wiediese Bedrohung nicht als das erkannt wird, was sie ist:Symptom einer Gesellschaft, in der Anerkennung undTeilhabe noch einen exklusiven Charakter haben. GelebteDemokratie, der Mut zur Veränderung und die Solidaritätmit den betroffenen Menschen sind die Voraussetzungen,diese Exklusivität zu überwinden.2S. Rennefanz, Berliner Zeitung v. 4.10.2010.Dieser Artikel wurde von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) im Juli 2010 überarbeitet und ist zuerst erschienenin "Antimuslimischer Rassismus & rechtspopulistische Organisationen", eine Handreichung über Struktur, Programmatik und mögliche Gegenstrategien,hrsg. von apabiz e.V. und MBR, Berlin Dezember 2010


Seite 56 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinHandlungsoptionenentwickelnPraktischer Ansatz des Bündnisses»<strong>Rechtspopulismus</strong> <strong>stoppen</strong>«Bündnis »<strong>Rechtspopulismus</strong> <strong>stoppen</strong>«Wie alles begannDas Bündnis »<strong>Rechtspopulismus</strong> <strong>stoppen</strong>« gründete sichim Juni 2010 aus einem konkreten Anlass – die rechte Organisation»Pro Deutschland« mobilisierte zu einem Parteitagim Rathaus Schöneberg. Bis dato waren nur Ablegerin Nordrhein-Westfalen und Köln bekannt, die es dortvereinzelt in die Kommunalparlamente geschafft hatten.Das Auftreten in Berlin mit dem Fokus auf die Wahl zumAbgeordnetenhaus 2011 machte zunächst eine breite Aufklärungskampagnegegen »Pro Deutschland« nötig. Aufklärung,um was für eine Organisation es sich bei dieserangeblichen »Bürgerbewegung« handelt, dass ihre politischeProgrammatik fast ausschließlich von rassistischenInhalten geprägt ist und warum es wichtig ist, dem »ProDeutschland«-Parteitag gerade in einer öffentlichen Einrichtungwie dem Rathaus entgegenzutreten.Dem Aufruf ein Bündnis zu initiieren, folgten viele Organisationen1und die Protestaktion gegen den Parteitagwurde ein großer Erfolg. Dieser definierte sich nicht nuranhand der Anzahl der Protestierenden an jenem Tag, sondernauch über das breite Medienecho das erzeugt wurde.Der Name ist kein Titel – sondern AufforderungDas Bündnis setzte nach dieser Protestaktion seine Arbeitfort. Der Name des Bündnisses »<strong>Rechtspopulismus</strong> <strong>stoppen</strong>«sollte kein einmaliger Aktionstitel sein, zumal derParteitag von »Pro Deutschland« nur der Auftakt für ihrenBerliner Wahlkampf war.Parallel sorgte die sog. Sarrazin-Debatte in der zweitenJahreshälfte 2010 für die breite Etablierung von antimuslimischemRassismus. Auch hiergegen interveniertenwir frühzeitig bei der Vorstellung des Kassenschlagers»Deutschland schafft sich ab« Ende August 2010. Im September2010 gründete sich zudem eine weitere rechtspopulistischePartei: »Die Freiheit« um das damalige PankowerCDU-Mitglied René Stadtkewitz. Dieser sitzt aktuellim Abgeordnetenhaus und wurde aufgrund seiner islamfeindlichenAktivitäten aus der CDU ausgeschlossen. Seitdem Gründungsakt der »Freiheit« begleiteten wir auchdiese aktiv.Im Oktober 2010 verabschiedete das Bündnis sein Selbstverständnis,in dem die Leitlinien der gemeinsamen Politikzusammengefasst wurden. Darin heißt es: »Das Bündnishat das Ziel, zur Aufklärung über wirkliche Ziele undInhalte rechtspopulistischer Parteien bzw. Organisationenbeizutragen, gegen deren Aktivitäten in Berlin zu mobilisierenund die Wahlergebnisse für die rechtspopulistische,rassistische Organisation »Pro Deutschland« und ihrenAbleger in Berlin bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhausund für alle Berliner Bezirksverordnetenversammlungenauf ein Minimum einzuschränken.«Als rechtspopulistische Organisationen im Sinne desSelbstverständnisses sind solche zu verstehen, deren politischeAgenda von nationalpopulistischen und sozialchauvinistischenInhalten bestimmt ist. Dieser Anspruch unddie Notwendigkeit die Begriffe ordentlich zu definieren,


<strong>Rechtspopulismus</strong> in Berlin | Seite 57machten eine weitergehende Auseinandersetzung nötig.Rechtspopulistische Inhalte finden sich gerade nicht nurbei kleineren Organisationen wie »Pro Deutschland« oderder »Freiheit« wieder, deren rechte Ausrichtung nichtschwer zu erraten ist. <strong>Rechtspopulismus</strong> ist vielmehr eingesellschaftliches Problem, das in nahezu jeder der demokratischenParteien oder Gewerkschaften Berührungspunktefindet – bei manchen mehr bei anderen weniger.Sei es, dass gegen eine vermeintliche »Deutschenfeindlichkeit«gewettert wird, dass die sog. Integration von MigrantInnenin bestimmten Bezirken misslungen sei, dassHartzIV-Empfänger alle Sozialschmarotzer sind... Es gibteinen breit getragenen rassistischen und sozialchauvinistischenKonsens, bei dem die klassischen rechtspopulistischenOrganisationen nur einen kleinen Teil des Problemsausmachen. Dass Sarrazin in der SPD war und bleibt,hohe Reputation in Politik und Partei genießt und seineThesen breit rezitiert werden, ist kein zufälliger Ausrutschersondern Ausdruck einer Gesellschaft, die es regelmäßigverpasst Solidarität statt Ausgrenzung zu praktizieren.Die weitaus größere Aufgabe für uns ist es deshalb gesellschaftlichzu wirken.Der Protest gegen rechtspopulistische Organisationenwie »Pro Deutschland« oder »die Freiheit« soll diese nichtnur konkret in ihrer Außenwirkung schwächen. Vielmehrwollen wir als Bündnis die Agitation gegen Rechtspopulistennutzen um inhaltliche Beiträge gegen Rassismus undsoziale Diskriminierung in die breitere Öffentlichkeit zutragen. Die Aufforderung an gesellschaftliche Kräfte eindeutigStellung gegen Rechtspopulisten und deren Inhaltezu nehmen, sorgt in den großen Parteien und Verbändenfür lang gefürchtete aber fruchtbare Auseinandersetzungen.Nur so lässt sich das gesamtgesellschaftliche Klimakippen, das den Nährboden für den Erfolg der Rechtspopulistenbietet.Was alles möglich ist...Dem politischen Ziel des Bündnisses entsprechend, istauch das praktische Handlungsfeld weit gefasst. Immerwieder haben wir es in den letzten Monaten geschafft öffentlicheDebatten über den Protest gegen »Pro Deutschland«hinaus anzustiften.Mit der Fast-Verhinderung des Parteitages im Juli 2010wurde der Berliner Ableger von »Pro Deutschland« schonkurz nach dessen Gründung in der Öffentlichkeit seinerMaskerade der liberalen Bürgerpartei beraubt. BürgerInnenüber die Stadtgrenzen hinaus wurden informiert,dass diese Partei alles andere als die Stärkung von Bürgerrechtenzum Ziel hat: Dass ihr Parteiprogramm die Einschränkungvon Rechten für all jene vorsieht, die nichtdem christlichen Glauben anhängen und dadurch unterGeneralverdacht fallen. Dass mit der Propagierung vonabsurden Angstszenarios, der Ausschluss und die andauerndeUngleichbehandlung von Mitbürgern forciert wird.Damit »Pro Deutschland« nicht unbehelligt in Berlin wirkenkann, wurde die Einweihung des Hauptstadt-Bürosgestört. Im August 2010 eröffnete das Büro in einemPlattenbau an der Allee der Kosmonauten im StadtteilMarzahn/Hellersdorf gegenüber von Berlins größtem Arbeitsamt.Die Bezirksbürgermeisterin, AnwohnerInnenund unser Bündnis begleiteten die Eröffnung mit einerlautstarken Kundgebung.Abmarsch von »Pro Deutschland«nach der Kundgebung am FrankfurterTor (Mitte rechts: Torsten Meyer -ehemals Berliner DVU-Vorsitzender)17. Juni 2011


Seite 58 | <strong>Rechtspopulismus</strong> in BerlinDas erste Wochenende im Oktober 2010 nutzte zunächstdie »Freiheit« um sich der Öffentlichkeit mit prominenterUnterstützung des niederländischen Star-RechtspopulistenGeert Wilders im Hotel Berlin vorzustellen. Einen Tagspäter führte »Pro Deutschland« eine Solidaritätskundgebungfür Sarrazin auf dem Breitscheidplatz durch. Wirprotestierten gegen beide Veranstaltungen und zogen dieinhaltlichen Verbindungen.Auch eine kurzfristig von »Pro Deutschland« einberufeneMahnwache zur »Neueinführung des BundeslandesPreußen« im Februar 2011 am Reiterdenkmal vor derHumboldt Universität kam nicht ohne Protest aus. Derbeginnenden Karnevalszeit entsprechend zogen kostümierteGegendemonstranten die preußischen Tugendenins Lächerliche und prägten so das Gesamtbild ausDeutschlandfahnen und Pathos-Reden über Gehorsamund verlorene Ostgebiete.Diverse Male mussten ursprünglich geplante Terminevon »Pro Deutschland« und der »Freiheit« bereits verlegtwerden, da Lokal- und Hotelbetreiber ihre Zusagenfür Reservierungen zurücknahmen. So beispielsweise imJanuar 2011, als die »Freiheit« zunächst im CharlottenburgerHotel Crowne Plaza ihren Landesparteitag abhaltenwollte, nach der Kündigung des Vertrags durch dieHotelleitung aber kurzfristig in ein Sprachenzentrum imPrenzlauer Berg verlegen musste. Dort wiederum hattenGegendemonstranten schon die Leitung des Hauses vonder Kündigung des Vertrages überzeugen können. Der»Freiheit« blieb nichts anderes übrig als den Parteitag zuverschieben.Weniger erfolgreich waren unsere Verhinderungsaktionengegen Thilo Sarrazin, der durch die Berliner Wirtschaftsgesprächee.V. immer wieder Auftritte vermitteltbekommt. Außer an der Technischen Universität, woihn das Präsidium im Januar 2011 wieder auslud, konnteer vor allem nach seiner Rehabilitierung durch die SPDüberall auftreten. Nicht jedoch ohne GegendemonstrantInnen.Bei einer Veranstaltung der Industrie und Handelskammer(IHK) im April 2011 bekräftigte er seineThesen, während wir draußen zusammen mit dem AKMarginalisierte und der Bahnhofsmission ein antirassistisches»Super-Sarrazin-Spar-Menü-Frühstücks-Buffet«mit all jenen abhielten, die von Sarrazin angegriffen undstigmatisiert werden. Die etwas breiter mobilisierte Aktiongegen eine Sarrazin-Lesung des Berliner Abendblattsim Neuköllner Estrel Hotel am 18.Mai 2011 sorgte zumindestfür ein martialisches Polizeiaufgebot und dieUmwandlung zu einer nicht-öffentlichen Veranstaltung.Trotz der Einlasskontrollen konnten AktivistInnen imSaal ein Transparent entrollen. Sarrazin und Trittbrettfahrerwerden uns noch weiter beschäftigen, während dierechtspopulistischen Parteien vorrangig bis zur Wahl aktivsein werden.Der alltägliche ProtestDer Berliner Ableger von »Pro Deutschland« hat in derersten Jahreshälfte 2011 in allen Bezirken Kreisverbändegegründet – meist unter Protesten. Hierzu wurde vomBündnis punktuell mit AnwohnerInnen und vor ort aktivenOrganisationen und Gewerbetreibenden zusammengearbeitet.Nicht nur die jeweilige Gründungsveranstaltungstand dabei im Fokus sondern die Aktivierungeines alltäglichen Protests gegen »Pro Deutschland« durchdie AnwohnerInnen. Mustergültig hervorzuheben sinddie Aktionen gegen die Gründung des Kreisverbandes inSteglitz-Zehlendorf im Rathaus des Bezirks Anfang März2011, die mit kurzfristig mobilisierten 500 Teilnehmendenzu den erfolgreichsten Aktionen gehörte.Der kontinuierliche Protest zermürbt nicht nur die oftmalsprekären Strukturen der rechtspopulistischen Organisationen,er hält das Thema auch in der Öffentlichkeitund regt andere gesellschaftliche Akteure an sich zu positionieren.So klagte »Pro Deutschland« im März 2011 dassdie Berliner Volksbank das Girokonto der Partei gekündigthatte und nach Berliner Sparkasse, Hypovereinsbank,Commerzbank, Postbank, Deutsche Bank, Berliner Bankund Landesbank Berlin die Kontoführung für die Parteiabgelehnt habe. Erst ein Verwaltungsgerichtsurteil EndeApril 2011 konnte die Sparkasse verpflichten der Parteiein Konto einzurichten.Nach den Kreisverbandsgründungen folgten die Vorbereitungenfür die Wahlen. »Pro Deutschland« aber vor allem»Die Freiheit« hatten es sichtlich schwer genügend Unterschriftenzum Wahlantritt zusammenzukriegen. Die Vorstellungdes Wahlprogramms von »Pro Deutschland« imRathaus Kreuzberg im Juni 2011 wurde durch mutige Blockadenund ein findiges Bezirksamt sogar ganz verhindert.Die Resonanz, die auf unsere Aktionen zu vernehmenwar, fiel überwiegend positiv aus. Selbst wenn man derEinschätzung anhängen sollte, dass die neuen rechtspopulistischenParteien kaum mehr Wahlchancen als die NPDhaben, muss es doch überzeugen, dass die rechtspopulistischenInhalte, die immer öfter fast kritiklos von PolitikerInnenvon sich gegeben werden, nicht nur ein Klima derAusgrenzung schaffen, sondern auch faktische Auswirkungenfür die Betroffenen haben. Sarrazin ist nicht die Spitzedes Eisberges. Eine Familienministerin die »Deutschenfeindlichkeit«als ihr Hauptaufgabenfeld auserkoren hat,entfaltet nun mal weitaus größere gesellschaftliche Wirkungsmachtals (glücklicherweise) marginalisierte Organisationenwie »Pro Deutschland«. Diese Zusammenhängesollen in unserer Arbeit immer wieder sichtbar werden.Die Entstehung dieser <strong>Broschüre</strong> ist als Teil der inhaltlichenArbeit unseres Bündnisses zu verstehen. Sie dientnicht nur der Beleuchtung von Hintergründen und Faktensondern soll vielmehr einen Anreiz darstellen, selbstaktiv zu werden und mit guten Argumenten ausgestattetin die gesellschaftlichen Debatten zu intervenieren.


Mehr als 40.000 Briefkasten-Aufkleber wurden inzwischenkostenlos verteilt.Anzeige1Das Bündnis »<strong>Rechtspopulismus</strong> <strong>stoppen</strong>« besteht aus antifaschistischen und antirassistischen Initiativen, translesbischwulen Gruppen,Migrant_innenselbstorganisationen, zivilgesellschaftlichen und politischen Gruppen, Parteien, Gewerkschaften und Einzelpersonen.


Rechtspopulistische Bestrebungenins Wasser fallen lassenwww.rechtspopulismus<strong>stoppen</strong>.blogsport.de

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