2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF 2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

26.11.2012 Aufrufe

Aufsätze Ulrich v. Alemann/Thelse Godewerth - Die Parteiorganisation der SPD MIP 2004/2005 12. Jahrgang die durch den damaligen SPD-Generalsekretär und heutigen Parteivorsitzenden Franz Müntefering angestoßen wurde. Sie führte bereits unmittelbar nach ihrem Beginn zu einer intensiven Debatte über die Modernisierung der SPD sowohl in der Partei selbst als auch darüber hinaus in den Medien und in der breiten Öffentlichkeit. Die wesentlichen Aspekte dieser Reformbemühungen werden beschrieben und erläutert. Die Darstellung orientiert sich vor allem an den Fragen, wie die SPD das innerparteiliche Leben organisiert und die Willensbildung gestaltet, wie das gesellschaftliche Umfeld eingebunden, der innerparteiliche Nachwuchs rekrutiert und wie die korrekte Verwendung der Parteifinanzen sichergestellt wird. Insgesamt wird diesem Text die paradoxe Devise vom erfolgreichen Scheitern vorangestellt. Reformen in Großverbänden mit freiwilliger Mitgliedschaft - erst recht in „politisch-moralischen Großorganisationen“, wie Kirchen, Gewerkschaften, Parteien - sind immer prekär (U. von Alemann/J. Schmid 1998), denn die Verpflichtungsfähigkeit der Organisation ist gering, die Tendenz zur Balkanisierung der Organisation noch höher als in anderen formalen Organisationen. Ein mögliches Scheitern als Regierungspartei vor Augen versucht die SPD durch Organisationsreform den Trend zu wenden. Die Prognose, dass dies gelingt, ist zum heutigen Zeitpunkt (Sommer 2004) schlecht. 2. Machtverteilung Die institutionelle Verteilung der Macht innerhalb der Parteien ist durch das Parteiengesetz geregelt, in dem es heißt: „Mitgliederversammlungen und Vorstand sind notwendige Organe der Partei und der Gebietsverbände“ (Parteiengesetz § 8 Abs. 1). Unterste Organisationseinheit aller Parteien ist in aller Regel der Ortsverein (in der CDU Ortsverband, bei kleinen Parteien Kreisverband). Bei der weiteren Organisationsgliederung bildete die SPD lange Zeit eine Ausnahme gegenüber den anderen Parteien, da statt der Kreisverbände hier die sogenannten Unterbezirke die folgende Organisationsstufe bildeten (Th. Poguntke 2001: 265). 6 Diese Unterbezirke galten lange Zeit als wichtige Unterzentren der Macht. Die mächtigsten Verbände der mittleren Parteiorganisation waren aber die Bezirke, die teilweise auch über beträchtliche eigene Finanzmittel verfügten. Landesverbände waren früher eher schwach ausgebildet. Die Bezirke sind allerdings in den letzten Jahren, unter anderem auch in Nordrhein- Westfalen, in ihrer Bedeutung kräftig zurückgedrängt und die Landesverbände aufgewertet worden. Hier hat sich Franz Müntefering als Parteivorsitzender in Nordrhein-Westfalen schwer ins Zeug legen müssen. Die Reform war überfällig und schon lange gefordert (U. von Alemann 2001: 32). Auf allen Organisationsebenen sind Parteitage die höchsten Organe der innerparteilichen Willensbildung. Der Parteitag wählt den Parteivorstand, der die politische Leitung der Parteien zwischen den Parteitagen übernimmt und sich aufgrund des Parteiengesetzes mindestens alle zwei Jahre zur Wahl stellen muss. Einziger Unterschied zwischen der SPD und Bündnis90/Die Grünen, der FDP und der CDU/CSU besteht in der Wahl des geschäftsführenden Vorstandes (bzw. des Präsidiums). Die SPD bestimmt dessen Mitglieder direkt über den frisch gewählten Parteivorstand, d.h. die Präsidiums-Vertreter müssen auch aus dem Kreis der Vorstandsmitglieder stammen. Bei den anderen genannten Parteien übernehmen die Parteitage selbst die Wahl der Präsidiumsmitglieder (Th. Poguntke 2001: 266). Die Parteibasis kann ihren Einfluss insbesondere auf Parteitagen geltend machen. Trotz Kontrolle der Tagesordnung und Sichtung von Anträgen durch die mächtige „Antragskommission“ im Vorfeld der Veranstaltungen sind die Partei-Führungen nicht vor Überraschungen sicher. Mittels Dringlichkeits- und Geschäftsordnungsanträgen stehen den Delegierten somit Möglichkeiten offen, den Ablauf zu verändern und die geplante Parteitagsdramaturgie zu durchkreuzen. Die SPD hat in den 90er Jahren verschiedene Instrumente eingeführt, um ihren Mitgliedern auf allen Organisationsebenen mehr Möglichkeiten einer unmittelbaren Beteiligung und Mitwirkung

MIP 2004/2005 12. Jahrgang Ulrich v. Alemann/Thelse Godewerth – Die Parteiorganisation der SPD Aufsätze zu verschaffen. Auslöser für diese Entwicklung war die allgemeine Einschätzung in der SPD zu Beginn der 90er Jahre, nicht mehr kampagnenfähig zu sein und die Mitglieder nicht ausreichend mobilisieren zu können. Der Bremer Parteitag im Jahr 1991 beschloss deshalb eine Reform der Parteiarbeit einzuleiten, in deren Mittelpunkt die stärkere Beteiligung der Mitglieder an politischen Entscheidungsprozessen stand (K. Blessing 2001: 90). Ausgehend von dieser Initiative verankerte zwei Jahre später der Bundesparteitag in Wiesbaden das Instrument der Mitgliederbefragung sowie die Urwahl des Kanzlerkandidaten auf Bundesebene in der Satzung der SPD. Die SPD ist die einzige Partei, die das Amt des Kanzlerkandidaten in der Satzung vorgesehen hat. Auf Bundesebene blieb es aber bei der einen Mitgliederbefragung 1993. Hier wurde zwischen Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerhard Schröder und Rudolf Scharping die Nominierung für den Parteivorsitz entschieden. Die Wahl ging zugunsten von Rudolf Scharping aus. Darüber hinaus wurden die weiteren Organisationsebenen ermächtigt, ebenfalls Mitgliederentscheide und Urwahlen von Spitzenkandidaten durchzuführen, was auch tatsächlich auf lokaler Ebene und Länderebene bereits häufiger genutzt wurde (A. Kießling 2003: 84). Den Initiativen zur verstärkten Beteiligung der Mitglieder folgte im Jahr 2000 eine zweite Phase der Reformdiskussion, die stärker auf die Öffnung der Partei für Menschen ohne parteipolitische Bindung zielte. Franz Müntefering schlug vor, bei der Aufstellung von Kandidaten nicht nur Mitglieder abstimmen zu lassen, sondern auch Nicht-Mitgliedern ein Wahlrecht zukommen zu lassen. Dieser Vorschlag löste erheblichen Widerstand im Bundesvorstand der SPD aus und wurde daraufhin einer Arbeitsgruppe übergeben, über deren Ergebnisse bis heute keine klare Information vorliegt (A. Kießling 2003: 85). Somit blieb es bislang bei der Einrichtung themenspezifischer Projektgruppen durch den Bundesvorstand, in denen auch Nicht- Mitglieder mitarbeiten können. Für eine weitergehende Mitwirkung müssten allerdings auch das Parteiengesetz und die Wahlgesetze geändert werden. Insgesamt gesehen hält die SPD strikt am Konzept der Mitgliederpartei fest und hat insbesondere in den 90er Jahren verstärkt daran gearbeitet, die Einflüsse der Parteibasis an innerparteilichen Entscheidungsprozessen weiterzuentwickeln. Dass diese Versuche einer (Neu-)Gestaltung der Machtverteilung auch von der Parteibasis begrüßt wurden, zeigen Umfrageergebnisse aus dem Jahr 2000, also etwa 10 Jahre nachdem die Reformanstrengungen in der SPD eingeleitet wurden. Demnach wollen 81 Prozent der SPD- Mitglieder über die Auswahl von Wahlbewerbern mitbestimmen und Urwahlen zur Nominierung von Spitzenkandidaten beurteilen 74 Prozent der Mitglieder positiv (A. Kießling 2003: 88). Ob die SPD mit den geschilderten Reformen ihr Ziel erreicht hat, die Parteiarbeit und ihre Strukturen so zu verändern, dass diese in der Lage sind, die innerparteiliche Willensbildung vollständig aufzunehmen und abzubilden, kann nicht abschließend bewertet werden. Fest steht aber, dass die SPD durch die Parteireformen der 90er Jahre eine Reihe direkt-demokratischer Elemente zum Bestandteil von Entscheidungsprozessen entwickelt und umgesetzt hat, wodurch die Partizipationsmöglichkeiten der Parteibasis in jedem Fall größer geworden sind. 3. Einbindung gesellschaftlicher Gruppen Neben der vertikalen Parteiorganisation gibt es in den Parteien auch eine horizontale Ebene verschiedener Arbeitsgemeinschaften, Vereinigungen und parteinaher Stiftungen. Damit erweitern die Parteien ihr parteibezogenes Netzwerk in der Breite, um möglichst viele Zielgruppen anzusprechen und in die Ausrichtung der Partei mit einbeziehen zu können. Die SPD führt ihre Arbeitsgemeinschaften wie z.B. die Jusos oder auch die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen sehr direkt, d.h. diese Organisationen haben keine eigene Mitgliedschaft, Statuten oder Grundsatzprogramme. Dennoch gab es in den 60er und 70er Jahren, insbesondere bei den Jungsozialisten, Tendenzen zur Verselbständigung, die in der Zwischenzeit den Erfolg einer eigenen Juso-Mitglied­ 7

MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Ulrich v. Alemann/Thelse Godewerth – Die Parteiorganisation der SPD Aufsätze<br />

zu verschaffen. Auslöser für diese Entwicklung<br />

war die allgemeine Einschätzung in der SPD zu<br />

Beginn der 90er Jahre, nicht mehr kampagnenfähig<br />

zu sein und die Mitglieder nicht ausreichend<br />

mobilisieren zu können. Der Bremer Parteitag<br />

im Jahr 1991 beschloss deshalb eine Reform der<br />

Parteiarbeit einzuleiten, in deren Mittelpunkt die<br />

stärkere Beteiligung der Mitglieder an politischen<br />

Entscheidungsprozessen stand (K.<br />

Blessing 2001: 90). Ausgehend von dieser Initiative<br />

verankerte zwei Jahre später der Bundesparteitag<br />

in Wiesbaden das Instrument der Mitgliederbefragung<br />

sowie die Urwahl des Kanzlerkandidaten<br />

auf Bundesebene in der Satzung der<br />

SPD. Die SPD ist die einzige Partei, die das Amt<br />

des Kanzlerkandidaten in der Satzung vorgesehen<br />

hat. Auf Bundesebene blieb es aber bei der<br />

einen Mitgliederbefragung 1993. Hier wurde<br />

zwischen Heidemarie Wieczorek-Zeul, Gerhard<br />

Schröder und Rudolf Scharping die Nominierung<br />

für den Parteivorsitz entschieden. Die<br />

Wahl ging zugunsten von Rudolf Scharping<br />

aus. Darüber hinaus wurden die weiteren<br />

Organisationsebenen ermächtigt, ebenfalls Mitgliederentscheide<br />

und Urwahlen von<br />

Spitzenkandidaten durchzuführen, was auch tatsächlich<br />

auf lokaler Ebene und Länderebene bereits<br />

häufiger genutzt wurde (A. Kießling 2003:<br />

84). Den Initiativen zur verstärkten Beteiligung<br />

der Mitglieder folgte im Jahr 2000 eine zweite<br />

Phase der Reformdiskussion, die stärker auf die<br />

Öffnung der Partei für Menschen ohne parteipolitische<br />

Bindung zielte. Franz Müntefering<br />

schlug vor, bei der Aufstellung von Kandidaten<br />

nicht nur Mitglieder abstimmen zu lassen, sondern<br />

auch Nicht-Mitgliedern ein Wahlrecht zukommen<br />

zu lassen. Dieser Vorschlag löste<br />

erheblichen Widerstand im Bundesvorstand der<br />

SPD aus und wurde daraufhin einer Arbeitsgruppe<br />

übergeben, über deren Ergebnisse bis<br />

heute keine klare Information vorliegt (A. Kießling<br />

2003: 85). Somit blieb es bislang bei der<br />

Einrichtung themenspezifischer Projektgruppen<br />

durch den Bundesvorstand, in denen auch Nicht-<br />

Mitglieder mitarbeiten können. Für eine weitergehende<br />

Mitwirkung müssten allerdings auch<br />

das Parteiengesetz und die Wahlgesetze geändert<br />

werden. Insgesamt gesehen hält die SPD strikt<br />

am Konzept der Mitgliederpartei fest und hat<br />

insbesondere in den 90er Jahren verstärkt daran<br />

gearbeitet, die Einflüsse der Parteibasis an innerparteilichen<br />

Entscheidungsprozessen weiterzuentwickeln.<br />

Dass diese Versuche einer (Neu-)Gestaltung der<br />

Machtverteilung auch von der Parteibasis begrüßt<br />

wurden, zeigen Umfrageergebnisse aus<br />

dem Jahr 2000, also etwa 10 Jahre nachdem die<br />

Reformanstrengungen in der SPD eingeleitet<br />

wurden. Demnach wollen 81 Prozent der SPD-<br />

Mitglieder über die Auswahl von Wahlbewerbern<br />

mitbestimmen und Urwahlen zur Nominierung<br />

von Spitzenkandidaten beurteilen 74<br />

Prozent der Mitglieder positiv (A. Kießling<br />

2003: 88).<br />

Ob die SPD mit den geschilderten Reformen ihr<br />

Ziel erreicht hat, die Parteiarbeit und ihre Strukturen<br />

so zu verändern, dass diese in der Lage<br />

sind, die innerparteiliche Willensbildung vollständig<br />

aufzunehmen und abzubilden, kann nicht<br />

abschließend bewertet werden. Fest steht aber,<br />

dass die SPD durch die Parteireformen der 90er<br />

Jahre eine Reihe direkt-demokratischer<br />

Elemente zum Bestandteil von Entscheidungsprozessen<br />

entwickelt und umgesetzt hat, wodurch<br />

die Partizipationsmöglichkeiten der<br />

Parteibasis in jedem Fall größer geworden sind.<br />

3. Einbindung gesellschaftlicher Gruppen<br />

Neben der vertikalen Parteiorganisation gibt es<br />

in den Parteien auch eine horizontale Ebene verschiedener<br />

Arbeitsgemeinschaften, Vereinigungen<br />

und parteinaher Stiftungen. Damit erweitern<br />

die Parteien ihr parteibezogenes Netzwerk<br />

in der Breite, um möglichst viele Zielgruppen<br />

anzusprechen und in die Ausrichtung der Partei<br />

mit einbeziehen zu können.<br />

Die SPD führt ihre Arbeitsgemeinschaften wie<br />

z.B. die Jusos oder auch die Arbeitsgemeinschaft<br />

für Arbeitnehmerfragen sehr direkt, d.h.<br />

diese Organisationen haben keine eigene Mitgliedschaft,<br />

Statuten oder Grundsatzprogramme.<br />

Dennoch gab es in den 60er und 70er Jahren,<br />

insbesondere bei den Jungsozialisten, Tendenzen<br />

zur Verselbständigung, die in der Zwischenzeit<br />

den Erfolg einer eigenen Juso-Mitglied­<br />

7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!