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MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Thilo Streit – Rechtsstellung kommunaler Wählervereinigungen Aufsätze<br />
Die Rechtsstellung der kommunalen<br />
Wählervereinigungen nach<br />
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
1<br />
Thilo Streit, LL.M. (Texas) *<br />
I. Einleitung<br />
In der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere<br />
in den beiden südlichsten Bundesländern Bayern<br />
und Baden-Württemberg spielen neben den<br />
auch bundes- bzw. landesweit agierenden Parteien<br />
kommunale Wählervereinigungen, die auch<br />
als Rathausparteien oder Wählergemeinschaften<br />
bezeichnet werden, eine nicht unerhebliche<br />
Rolle in der Kommunalpolitik. Sie stellen Landräte,<br />
Bürgermeister, aber insbesondere auch Gemeinderatsmitglieder.<br />
Von den insgesamt<br />
51.356 Mitgliedern der Gemeinderäte in Kommunen<br />
mit über 10.000 Einwohnern stellen die<br />
Wählergemeinschaften 5.145, also etwas über 10<br />
%. Das ist immerhin fast ein Drittel der Anzahl,<br />
die die SPD und ein Viertel der Anzahl, die<br />
CDU/CSU stellen. Darüber hinaus ist es ein<br />
Vielfaches dessen, was die anderen im<br />
Bundestag vertretenen Parteien stellen 2 . Festzustellen<br />
ist darüber hinaus der Trend, dass der<br />
prozentuale Anteil der Wählervereinigungen in<br />
den Gemeinderäten zunimmt, je kleiner die Gemeinden<br />
sind. Am stärksten sind sie in Kommunen<br />
zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern<br />
repräsentiert. Besonders deutlich wird dies in<br />
1 Der Aufsatz stellt die schriftliche, leicht abgeänderte<br />
Fassung eines am 15. Mai 2003 in Tallinn gehaltenen<br />
Referats auf einer Tagung des Rechtskanzlers der Republik<br />
Estland dar.<br />
* Der Verfasser Thilo Streit ist Wiss. Mitarbeiter am Institut<br />
für Deutsches und Europäisches Parteienrecht<br />
und Parteienforschung (PRUF) an der Heinrich-Heine-<br />
Universität Düsseldorf.<br />
2 Die SPD stellt 16.715, CDU/CSU stellen 21.981, die<br />
GRÜNEN 2.817, die FDP 1.735, die PDS 1.544 Ratsmitglieder<br />
(Stand 1. Januar 2001). Alle Zahlen nach<br />
Deutscher Städtetag (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch<br />
deutscher Gemeinden, 2002, S. 27.<br />
Baden-Württemberg, wo die kommunalen Wählervereinigungen<br />
in den kommunalen Vertretungen<br />
die stärkste Kraft darstellen 3 .<br />
Darüber hinaus bestehen heute Dachverbände<br />
der kommunalen Wählervereinigungen auf<br />
Länderebene, die die Aktivitäten der einzelnen<br />
Vereinigungen unterstützen 4 , jedoch üblicherweise<br />
nicht für Wahlen auf Landes- oder<br />
Bundesebene antreten, wenngleich letzteres inzwischen<br />
z.T. angedacht und praktiziert wird 5 .<br />
Dies zeigt, dass die kommunalen Wählervereinigungen<br />
immer noch eine ganz erhebliche Rolle<br />
in der Kommunalpolitik spielen, wenngleich sie<br />
gegenüber der Weimarer Zeit doch an Bedeutung<br />
verloren haben 6 .<br />
In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts<br />
gab es diverse Versuche, die kommunalen<br />
Wählervereinigungen aus dem kommunalen<br />
Willensbildungsprozess zu verdrängen bzw.<br />
deren Teilnahme zu erschweren. Auch heute<br />
stellt sich die Frage, welche Rechtsstellung diese<br />
Organisationen innehaben und inwiefern sie den<br />
politischen Parteien gleichzustellen sind.<br />
Diskriminierungen verbieten sich jedenfalls,<br />
wenn die Wählervereinigungen den Parteien<br />
gleichstehen, ja Parteien im Sinne des Grundgesetzes<br />
sind. Daher ist zunächst zu klären, inwieweit<br />
die Rathausparteien Parteien i.S.d. Art. 21<br />
GG sind (II.). In einem weiteren Schritt stellt<br />
sich die Frage, welche Rechte kommunale Wählervereinigungen<br />
nach dem Grundgesetz heute<br />
haben und wo ihr Status von dem der politischen<br />
Parteien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
differiert (III.). In einem<br />
letzten Schritt ist darauf einzugehen, inwiefern<br />
3 S. BVerfGE 99, 69 (73): Bei der Kommunalwahl<br />
1988 erreichten die freien Wähler 40,7 %, die CDU<br />
30,5 %, die SPD 18,7 %.<br />
4 Vgl. etwa. BVerfGE 99, 69 (79).<br />
5 Vgl. etwa H. H. v. Arnim, Werden kommunale Wählergemeinschaften<br />
im politischen Wettbewerb<br />
diskriminiert?, DVBl. 1999, 417 (420).<br />
6 Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1957 festgestellt,<br />
dass die politischen Parteien auch im Kommunalbereich<br />
erheblich mehr Fuß gefasst haben, als dies<br />
in Zeiten der ersten Republik der Fall war, BVerfGE 6,<br />
104 (114).<br />
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