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Aufsätze Sebastian Roßner - „Bis in idem“? MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />
Parteiorgane haben mit der Entscheidung, weder<br />
Kohl noch Lafontaine auszuschließen, ihr an der<br />
politischen Zweckmäßigkeit auszurichtendes<br />
Entschließungsermessen in nicht zu beanstandender<br />
Weise ausgeübt: Ein Parteiausschlußverfahren<br />
hätte in beiden Fällen nach<br />
einer vernünftigen Prognose einen noch größeren<br />
politischen Schaden für CDU bzw. SPD herbeigeführt,<br />
als der Verbleib der beiden Politiker<br />
in ihren Parteien.<br />
Der Nähe des Parteiordnungsrechts zum Gefahrenabwehrrecht<br />
sollte bei der Entwicklung eines<br />
parteischiedsgerichtlichen Streitgegenstandsbegriffes<br />
Rechnung getragen werden. Der Rückgriff<br />
auf den nicht einmal für das Ordnungswidrigkeitenrecht<br />
geltenden 44 , in der Auslegung des<br />
BVerfG an spezifisch strafrechtlichen Bedingungen<br />
sich orientierenden Tatbegriff des<br />
Art. 103 III GG scheidet damit aus. Die Bestimmung<br />
der gegenständlichen Reichweite der materiellen<br />
Rechtskraft parteischiedsgerichtlicher<br />
Einscheidungen hat zu berücksichtigen, daß<br />
Gefahrenabwehr sich an Prognosen orientiert.<br />
Entwickelt sich eine (politische) Gefahr anders<br />
als prognostiziert, kann ein erneuter Eingriff zu<br />
ihrer Abwehr nicht allein daran (rechtlich) scheitern,<br />
daß zuvor bereits in ungeeigneter Weise<br />
eingegriffen wurde. Dies ergibt sich aus der<br />
Abwägung des Interesses eines – um den<br />
schwersten Fall zu wählen – nach verhängter<br />
Ordnungsmaßnahme von einem Parteiausschluß<br />
bedrohten Parteimitglieds an Rechtssicherheit<br />
und Verbleib in der Partei mit dem Interesse der<br />
übrigen Parteimitglieder an Erfolg und weiterem<br />
Bestand der Partei.<br />
Ohne daß im Rahmen dieses Aufsatzes ein<br />
parteischiedsgerichtlicher Streitgegenstandsbegriff<br />
mit all seine Schattierungen und Implikationen<br />
entwickelt werden könnte, scheint es geraten,<br />
eventuell auftretende zukünftige Folgen<br />
eines parteiordnungswidrigen Verhaltens nicht<br />
in die gegenständliche Reichweite der materiellen<br />
Rechtskraft parteischiedsgerichtlicher Einscheidungen<br />
einzubeziehen.<br />
44 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III (2000),<br />
Art. 103 III Rn. 22.<br />
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