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MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Sebastian Roßner - „Bis in idem“? Aufsätze<br />
Gründungsfreiheit der Parteien aus Art. 21 I 2<br />
GG 39 konkretisierend - den innerparteilichen<br />
Satzungen. Parteischiedsgerichtliches Verfahrensrecht<br />
ist daher wenigstens potentiell zu weiten<br />
Teilen parteienspezifisch.<br />
Weiterhin ist schlicht zu konstatieren, daß das<br />
Parteienrecht ein relativ junger Zweig der<br />
Rechtswissenschaft ist und für neue Rechtsgebiete<br />
der punktuelle, aus konkreten Problemlagen<br />
heraus geborene Rückgriff auf die bekannten<br />
Figuren älterer Dogmatiken zunächst kennzeichnend<br />
ist 40 . Ebenso typisch ist, daß die dadurch<br />
entstandenen Unstimmigkeiten später im<br />
Zuge der Entwicklung einer eigenen Spezialdogmatik<br />
– d.h. im Reifungsprozeß des jeweiligen<br />
Rechtsgebiets – beseitigt werden.<br />
Die Parteischiedsgerichte greifen jedenfalls teilweise,<br />
wie oben gezeigt, zur Bestimmung des<br />
Streitgegenstands in Parteiordnungsverfahren<br />
auf Art. 103 III GG zurück. Zwar wird damit<br />
eine Verfassungsnorm in Bezug genommen, für<br />
die als solche die Vermutung relativ hoher Abstraktheit<br />
und damit Allgemeinheit besteht.<br />
Art. 103 III GG betrifft jedoch bereits seinem<br />
Wortlaut nach nur das Strafrecht, wobei der Begriff<br />
eng zu verstehen ist 41 . Die Auslegung durch<br />
das BVerfG folgt weitgehend der strafprozessualen<br />
Dogmatik der Fachgerichte 42 . Im Ergebnis<br />
wird so ein Kernbestandteil strafprozessualer<br />
Spezialdogmatik in die noch nicht fertig entwickelte<br />
verfahrensrechtliche Spezialdogmatik des<br />
Parteienrechts implantiert.<br />
Prozeßrecht hat jedoch der Umsetzung des entsprechenden<br />
materiellen Rechts zu dienen.<br />
Art. 103 III GG mißt in seiner verfassungsgerichtlichen<br />
Auslegung im Rahmen der Abwägung<br />
zwischen Rechtssicherheit und materieller<br />
39 Dazu M. Morlok, in: Dreier, GG, Bd. II (1998), Art. 21<br />
Rn. 57f.<br />
40 So verweist etwa die PGO der CDU auf einzelne Vorschriften<br />
der ZPO (in §§ 15, 36 III) sowie allgemein<br />
auf die Vorschriften der VwGO und des GVG (in<br />
§ 44).<br />
41 Art. 103 III GG ist nicht auf das Disziplinarrecht, auch<br />
nicht auf das eng mit dem Strafrecht zusammenhängende<br />
Ordnungswidrigkeitenrecht anzuwenden; E.<br />
Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 III<br />
(1992) Rn. 288f.<br />
42 Siehe oben 1.).<br />
Gerechtigkeit der Rechtssicherheit besonders<br />
große Bedeutung zu. Dies mag durch die Intensität<br />
der Eingriffe mittels strafrechtlicher<br />
Sanktionen und durch die Belastungen gerechtfertigt<br />
sein, die bereits ein Strafprozeß für den<br />
Angeklagten mit sich bringt, der sich angesichts<br />
der Öffentlichkeit des Verfahrens und des<br />
ethischen Gewichts strafrechtlicher Vorwürfe<br />
der Gefahr breiter sozialer Ablehnung ausgesetzt<br />
sieht. Für ein Parteiordnungsverfahren gilt all<br />
dies jedoch nicht. Das mit einer Parteistrafe belegte<br />
Parteimitglied sieht sich normalerweise<br />
keiner breiten gesellschaftlichen Mißachtung<br />
ausgesetzt, schon deshalb nicht, weil Verfahren<br />
vor den Parteischiedsgerichten regelmäßig unter<br />
Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Es<br />
steht weiterhin nur der Verstoß gegen die in der<br />
Öffentlichkeit kontrovers beurteilte Partikularmoral<br />
einer durch die Verfolgung besonderer<br />
Ziele gekennzeichneten Gruppe in Rede: Der<br />
Verstoß gegen Grundsätze der einen Partei wird<br />
bei Anhängern der konkurrierenden Parteien oft<br />
sogar auf Beifall stoßen. Auch die sonstigen<br />
Folgen, d.h. vor allem die Sanktionen aufgrund<br />
strafrechtlicher und parteiordnungsrechtlicher<br />
Verfolgung sind regelmäßig von sehr unterschiedlichem<br />
Gewicht.<br />
Für die Gestaltung des Prozeßrechts gravierender<br />
noch als die Verschiedenheit der<br />
Folgen ist die Differenz der Ziele von Parteiordnungs-<br />
und Strafrecht: Parteiordnungsrecht dient<br />
vorrangig der Abwehr von Gefahren für die innere<br />
Ordnung der Partei, nicht aber der<br />
Vergeltung von Schuld. Dies kommt ganz deutlich<br />
darin zum Ausdruck, daß die Einleitung von<br />
Parteiordnungsverfahren nicht dem Legalitätsprinzip,<br />
sondern dem Opportunitätsprinzip gehorcht<br />
43 . Führende Parteimitglieder, die wie<br />
Oskar Lafontaine oder Helmut Kohl durch<br />
erhebliche Verstöße gegen die Grundsätze und<br />
die Ordnung der Partei - und im Falle Kohls<br />
auch durch vorsätzlichen Satzungsverstoß - ihren<br />
Parteien schweren politischen Schaden zugefügt<br />
haben, mußten gleichwohl nicht aus der<br />
Partei ausgeschlossen werden, denn dies entsprach<br />
nicht der Parteiraison. Die zuständigen<br />
43 Illustrativ hierzu die Gründe der Bundesschiedskommission<br />
der SPD im Verfahren 5/1981/P (Fn. 13).<br />
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