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2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Sebastian Roßner - „Bis in idem“? Aufsätze<br />

Komplexe des Strafbefehls und der Einstellungen<br />

aus und konzentriert sich auf das strafrechtliche<br />

Urteil, verbleiben drei hier interessierende<br />

Varianten einer möglichen Geltung<br />

von ne bis in idem 23 :<br />

1. Das Gericht kommt zu einer Verurteilung<br />

/ einem Freispruch,<br />

wobei alle relevanten tatsächlichen<br />

Umstände in den Prozeß<br />

eingeführt und vom Gericht gewürdigt<br />

wurden.<br />

2. Das Gericht kommt zu einer Verurteilung<br />

/ einem Freispruch,<br />

wobei alle relevanten tatsächlichen<br />

Umstände in den Prozeß<br />

eingeführt, nicht aber zur Gänze<br />

vom Gericht gewürdigt wurden.<br />

3. Das Gericht kommt zu einer Verurteilung<br />

/ einem Freispruch,<br />

wobei nicht alle relevanten tatsächlichen<br />

Umstände in den Prozeß<br />

eingeführt, die eingeführten<br />

jedoch vollständig gewürdigt<br />

wurden 24 .<br />

Auf welche Varianten Art. 103 III GG anzuwenden<br />

ist, hängt von der Auslegung des Tatbegriffs<br />

ab.<br />

In der ersten genannten Variante sind gerichtlich<br />

gewürdigtes und strafrechtlich relevantes Tatsachenmaterial<br />

kongruent. Diese Konstellation<br />

stellt den Kern des Art. 103 III GG dar und ist<br />

hier unproblematisch 25 .<br />

In den beiden anderen Varianten wird das ge­<br />

23 Das setzt voraus, daß „bestraft“ dahingehend ausgelegt<br />

wird, daß auch Freisprüche erfaßt sind. Dies ist, soweit<br />

ersichtlich, einhellige Meinung, z.B. BGH NStZ 1991,<br />

539f.; F.C. Schroeder, Die Rechtsnatur des<br />

Grundsatzes „ne bis in idem“, JuS 1997, 227ff. (227,<br />

230); E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG,<br />

Art. 103 III (1992), Rn. 295.<br />

24 Die mögliche vierte Variante einer unvollständigen<br />

gerichtlichen Würdigung des seinerseits unvollständig<br />

eingeführten Tatsachenmaterials kann hier außen vor<br />

bleiben.<br />

25 Schwierigkeiten liegen dagegen auf der Ebene der<br />

Identifizierung der (rechtlich) für eine Tat relevanten<br />

Umstände, die nicht ohne Bezug zur Norm geleistet<br />

werden kann. Dazu J. Hruschka, Der Begriff der Tat<br />

im Strafverfahrensrecht, JZ 1966, 700ff.<br />

schehene Unrecht nicht zur Gänze in der Entscheidung<br />

verarbeitet. Bezieht man in diesen<br />

beiden Konstellationen das unverarbeitete Tatsachenmaterial<br />

in den Begriff der „Tat“ ein, findet<br />

als Folge Art. 103 III GG Anwendung. Die bestehende<br />

Spannung zwischen Rechtssicherheit<br />

und materieller Gerechtigkeit wird dann zu<br />

Lasten der materiellen Gerechtigkeit aufgelöst,<br />

da jeweils zumindest ein Teil des geschehenen<br />

Unrechts um des Rechtsfriedens willen dauerhaft<br />

der Ahndung durch staatliche Strafverfolgung<br />

entzogen ist.<br />

In der zweiten Variante scheint diese Lösung<br />

zwingend zu sein: Eine Beschränkung der „Tat“<br />

auf die tatsächlich vom Gericht im Rahmen des<br />

Urteils gewürdigten Umstände würde die Reichweite<br />

der materiellen Rechtskraft in die Hand<br />

des Gerichts legen. Es bestünde für das Gericht<br />

die Möglichkeit, die Tat nicht erschöpfend abzuurteilen.<br />

Gerichtliche Nachlässigkeit bei der Beweiserhebung<br />

und -würdigung würden zu Lasten<br />

des Angeklagten gehen.<br />

Wendet man hingegen Art. 103 III GG auf die<br />

dritte Variante an, setzt dies eine Erweiterung<br />

des Tatbegriffs auf nicht in den Prozeß eingeführtes<br />

Tatsachenmaterial voraus.<br />

a) Der prozessuale Tatbegriff des RG<br />

Den Weg einer über das Prozeßgeschehen hinausgehenden<br />

Erweiterung des Tatbegriffs hat<br />

das RG für die Auslegung des heutigen § 264<br />

StPO mit der Schöpfung des prozessualen Tatbegriffs<br />

beschritten 26 . Der BGH ist ihm darin gefolgt<br />

27 . Danach bedeutet (prozessuale) Tat das<br />

vom Eröffnungsbeschluß (bzw. heute von der<br />

Anklage 28 ) betroffene geschichtliche Vorkommnis<br />

einschließlich aller damit nach natürlicher<br />

Lebensauffassung zusammenhängenden, einen<br />

einheitlichen Vorgang bildenden tatsächlichen<br />

Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich<br />

fallende Verhalten des Angeklagten als<br />

strafbar erscheinen zu lassen.<br />

26 Exemplarisch RGSt 72, 339 (340).<br />

27 BGHSt 23, 141 (145).<br />

28 Zu den im Rahmen der StPO-Änderung von 1964 bewirkten<br />

Änderungen Cording, Strafklageverbrauch,<br />

S. 22.<br />

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