2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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Aufsätze Sebastian Roßner - „Bis in idem“? MIP 2004/2005 12. Jahrgang gewalt“ des Vereins „CDU“ durch Selbstbeschränkung ist somit versperrt. Dasselbe Ergebnis dürfte auch bei der Suche in den Satzungen der meisten anderen politischen Parteien auftreten. Es stellt sich die Frage nach anderen Möglichkeiten der Geltungsbegründung des Doppelbestrafungsverbotes. Ne bis in idem - verfassungsrechtlich positiviert in Art. 103 III GG, strafprozessual aus dem von §§ 264, 265 und 266 StPO umrissenen prozessualen Tatbegriff im Zusammenspiel mit den Vorschriften über die Rechtskraft des Urteils abzuleiten - stammt aus dem Bereich des Staat- Bürger-Verhältnisses und dient der Begrenzung staatlicher Strafgewalt gegenüber dem Bürger. Eine direkte Anwendung von Art. 103 III GG scheitert bereits am Wortlaut – die Vorschrift bezieht sich auf die Anwendung der „allgemeinen Strafgesetze“ 17 - und am systematischen Zusammenhang. Eine analoge Anwendung begegnet zunächst konstruktiven Bedenken: Art. 103 III GG wendet sich an den durch klare Merkmale definierten und im Staatsgefüge hochgradig spezialisierte Aufgaben wahrnehmenden Adressatenkreis der Strafgerichte. Für diese stellt Art. 103 III GG eine mit entsprechend engem Anwendungsbereich versehene Beschränkung der Strafgewalt von Verfassungs wegen dar. Für den einfachen Gesetzgeber ist Art. 103 III GG eine negative Kompetenznorm, die bestimmte, die Rechtssicherheit mindernde Änderungen des Strafprozeßrechts verbietet. Für den Bürger dagegen stellt Art. 103 III GG ein subjektives, grundrechtsgleiches Recht dar 18 . Ob eine Norm, die den Bürger gegen eine Belastung durch den Staat schützt, zur gleichen Zeit Private unmittelbar verpflichten kann, ist fraglich. Parallelen zur Frage der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privat- bzw. Arbeitsrecht 19 sind unübersehbar. Bekanntlich hat das BAG im Laufe der Fortentwicklung seiner Rechtspre­ 17 Damit ist nur das Kern- und Nebenstrafrecht gemeint, BVerfGE 27, 180 (185). 18 BVerfGE 56, 22 (32); H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. III (2000), Art. 103 III Rn. 14. 19 Dazu m.w.N. H.-W. Friedrich, in: Umbach/Clemens, GG, Bd. I (2002), Anhang zu Art. 9 GG Rn. 4. 62 chung von der Figur der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Abstand genommen 20 , das BVerfG hat von Beginn an eine lediglich mittelbare Drittwirkung angenommen 21 . Allerdings ist die Frage nach der Geltung von Art. 103 III GG im Parteiordnungsrecht damit noch nicht ablehnend entschieden, da es – anders als bei der Diskussion über eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte - um eine analoge Anwendung von Art. 103 III GG auf die Parteischiedsgerichtsverfahren geht. Die Autonomie des Vereins bzw. der Partei bei der Ausgestaltung der inneren Verhältnisse – verfassungsrechtlich gesondert in Art. 9 und 21 GG geschützt - wurzelt allerdings in der Freiheit des Einzelnen, zivilrechtlich gesprochen in der Privatautonomie: Die Unterwerfung unter die Strafgewalt des Vereins erfolgt aus freiem Willen durch das Rechtsgeschäft des Vereinsbeitritts 22 , die staatliche Strafgewalt hingegen wird durch Hoheitsakt gegenüber jedermann im Geltungsbereich der Strafnormen begründet. Dies deutet bereits eine fehlende Interessengleichheit in Hinsicht auf eine analoge Anwendung von Art. 103 III GG an. Bedeutende Unterschiede bestehen daneben auch in der Intensität von hoheitlicher und korporativer Strafgewalt. Jedenfalls kann Art. 103 III GG zur Begründung seiner analogen Geltung auch im Parteienrecht nicht auf Evidenz verweisen. 1. „Tat“ in Art. 103 III GG Zentral für die analoge Anwendbarkeit einer Norm ist die Gleichheit der Interessenlagen bei direkter Geltung und ins Auge gefaßter analoger Anwendung. Die Feststellung einer (Un-) Gleichheit der Interessenlagen setzt zunächst eine Vergewisserung über den Inhalt der fraglichen Norm voraus. Art. 103 III GG kann in direkter Anwendung – je nach Interpretation des Merkmals „derselben Tat“ - verschiedene Fälle der strafrechtlichen Entscheidung betreffen. Klammert man die 20 Ältere Rechtsprechung etwa BAGE 1, 185 (193); für die neuere Rechtsprechung des BAG siehe BAGE 62, 59 (67ff.). 21 BVerfGE 7, 198ff.; 89, 214 (230ff.). 22 BGHZ 13, 5 (11); K. Stöber, Vereinsrecht, 6. Aufl. 1992, Rn. 245 a.

MIP 2004/2005 12. Jahrgang Sebastian Roßner - „Bis in idem“? Aufsätze Komplexe des Strafbefehls und der Einstellungen aus und konzentriert sich auf das strafrechtliche Urteil, verbleiben drei hier interessierende Varianten einer möglichen Geltung von ne bis in idem 23 : 1. Das Gericht kommt zu einer Verurteilung / einem Freispruch, wobei alle relevanten tatsächlichen Umstände in den Prozeß eingeführt und vom Gericht gewürdigt wurden. 2. Das Gericht kommt zu einer Verurteilung / einem Freispruch, wobei alle relevanten tatsächlichen Umstände in den Prozeß eingeführt, nicht aber zur Gänze vom Gericht gewürdigt wurden. 3. Das Gericht kommt zu einer Verurteilung / einem Freispruch, wobei nicht alle relevanten tatsächlichen Umstände in den Prozeß eingeführt, die eingeführten jedoch vollständig gewürdigt wurden 24 . Auf welche Varianten Art. 103 III GG anzuwenden ist, hängt von der Auslegung des Tatbegriffs ab. In der ersten genannten Variante sind gerichtlich gewürdigtes und strafrechtlich relevantes Tatsachenmaterial kongruent. Diese Konstellation stellt den Kern des Art. 103 III GG dar und ist hier unproblematisch 25 . In den beiden anderen Varianten wird das ge­ 23 Das setzt voraus, daß „bestraft“ dahingehend ausgelegt wird, daß auch Freisprüche erfaßt sind. Dies ist, soweit ersichtlich, einhellige Meinung, z.B. BGH NStZ 1991, 539f.; F.C. Schroeder, Die Rechtsnatur des Grundsatzes „ne bis in idem“, JuS 1997, 227ff. (227, 230); E. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103 III (1992), Rn. 295. 24 Die mögliche vierte Variante einer unvollständigen gerichtlichen Würdigung des seinerseits unvollständig eingeführten Tatsachenmaterials kann hier außen vor bleiben. 25 Schwierigkeiten liegen dagegen auf der Ebene der Identifizierung der (rechtlich) für eine Tat relevanten Umstände, die nicht ohne Bezug zur Norm geleistet werden kann. Dazu J. Hruschka, Der Begriff der Tat im Strafverfahrensrecht, JZ 1966, 700ff. schehene Unrecht nicht zur Gänze in der Entscheidung verarbeitet. Bezieht man in diesen beiden Konstellationen das unverarbeitete Tatsachenmaterial in den Begriff der „Tat“ ein, findet als Folge Art. 103 III GG Anwendung. Die bestehende Spannung zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit wird dann zu Lasten der materiellen Gerechtigkeit aufgelöst, da jeweils zumindest ein Teil des geschehenen Unrechts um des Rechtsfriedens willen dauerhaft der Ahndung durch staatliche Strafverfolgung entzogen ist. In der zweiten Variante scheint diese Lösung zwingend zu sein: Eine Beschränkung der „Tat“ auf die tatsächlich vom Gericht im Rahmen des Urteils gewürdigten Umstände würde die Reichweite der materiellen Rechtskraft in die Hand des Gerichts legen. Es bestünde für das Gericht die Möglichkeit, die Tat nicht erschöpfend abzuurteilen. Gerichtliche Nachlässigkeit bei der Beweiserhebung und -würdigung würden zu Lasten des Angeklagten gehen. Wendet man hingegen Art. 103 III GG auf die dritte Variante an, setzt dies eine Erweiterung des Tatbegriffs auf nicht in den Prozeß eingeführtes Tatsachenmaterial voraus. a) Der prozessuale Tatbegriff des RG Den Weg einer über das Prozeßgeschehen hinausgehenden Erweiterung des Tatbegriffs hat das RG für die Auslegung des heutigen § 264 StPO mit der Schöpfung des prozessualen Tatbegriffs beschritten 26 . Der BGH ist ihm darin gefolgt 27 . Danach bedeutet (prozessuale) Tat das vom Eröffnungsbeschluß (bzw. heute von der Anklage 28 ) betroffene geschichtliche Vorkommnis einschließlich aller damit nach natürlicher Lebensauffassung zusammenhängenden, einen einheitlichen Vorgang bildenden tatsächlichen Umstände, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Verhalten des Angeklagten als strafbar erscheinen zu lassen. 26 Exemplarisch RGSt 72, 339 (340). 27 BGHSt 23, 141 (145). 28 Zu den im Rahmen der StPO-Änderung von 1964 bewirkten Änderungen Cording, Strafklageverbrauch, S. 22. 63

Aufsätze Sebastian Roßner - „Bis in idem“? MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />

gewalt“ des Vereins „CDU“ durch Selbstbeschränkung<br />

ist somit versperrt. Dasselbe<br />

Ergebnis dürfte auch bei der Suche in den<br />

Satzungen der meisten anderen politischen<br />

Parteien auftreten. Es stellt sich die Frage nach<br />

anderen Möglichkeiten der Geltungsbegründung<br />

des Doppelbestrafungsverbotes.<br />

Ne bis in idem - verfassungsrechtlich positiviert<br />

in Art. 103 III GG, strafprozessual aus dem von<br />

§§ 264, 265 und 266 StPO umrissenen prozessualen<br />

Tatbegriff im Zusammenspiel mit den<br />

Vorschriften über die Rechtskraft des Urteils<br />

abzuleiten - stammt aus dem Bereich des Staat-<br />

Bürger-Verhältnisses und dient der Begrenzung<br />

staatlicher Strafgewalt gegenüber dem Bürger.<br />

Eine direkte Anwendung von Art. 103 III GG<br />

scheitert bereits am Wortlaut – die Vorschrift<br />

bezieht sich auf die Anwendung der „allgemeinen<br />

Strafgesetze“ 17 - und am systematischen<br />

Zusammenhang.<br />

Eine analoge Anwendung begegnet zunächst<br />

konstruktiven Bedenken: Art. 103 III GG wendet<br />

sich an den durch klare Merkmale definierten<br />

und im Staatsgefüge hochgradig spezialisierte<br />

Aufgaben wahrnehmenden Adressatenkreis der<br />

Strafgerichte. Für diese stellt Art. 103 III GG<br />

eine mit entsprechend engem Anwendungsbereich<br />

versehene Beschränkung der Strafgewalt<br />

von Verfassungs wegen dar. Für den einfachen<br />

Gesetzgeber ist Art. 103 III GG eine negative<br />

Kompetenznorm, die bestimmte, die Rechtssicherheit<br />

mindernde Änderungen des Strafprozeßrechts<br />

verbietet. Für den Bürger dagegen<br />

stellt Art. 103 III GG ein subjektives, grundrechtsgleiches<br />

Recht dar 18 . Ob eine Norm, die<br />

den Bürger gegen eine Belastung durch den<br />

Staat schützt, zur gleichen Zeit Private unmittelbar<br />

verpflichten kann, ist fraglich. Parallelen<br />

zur Frage der unmittelbaren Drittwirkung<br />

der Grundrechte im Privat- bzw. Arbeitsrecht 19<br />

sind unübersehbar. Bekanntlich hat das BAG im<br />

Laufe der Fortentwicklung seiner Rechtspre­<br />

17 Damit ist nur das Kern- und Nebenstrafrecht gemeint,<br />

BVerfGE 27, 180 (185).<br />

18 BVerfGE 56, 22 (32); H. Schulze-Fielitz, in: Dreier,<br />

GG, Bd. III (2000), Art. 103 III Rn. 14.<br />

19 Dazu m.w.N. H.-W. Friedrich, in: Umbach/Clemens,<br />

GG, Bd. I (2002), Anhang zu Art. 9 GG Rn. 4.<br />

62<br />

chung von der Figur der unmittelbaren Drittwirkung<br />

der Grundrechte Abstand genommen 20 ,<br />

das BVerfG hat von Beginn an eine lediglich<br />

mittelbare Drittwirkung angenommen 21 .<br />

Allerdings ist die Frage nach der Geltung von<br />

Art. 103 III GG im Parteiordnungsrecht damit<br />

noch nicht ablehnend entschieden, da es –<br />

anders als bei der Diskussion über eine unmittelbare<br />

Drittwirkung der Grundrechte - um<br />

eine analoge Anwendung von Art. 103 III GG<br />

auf die Parteischiedsgerichtsverfahren geht. Die<br />

Autonomie des Vereins bzw. der Partei bei der<br />

Ausgestaltung der inneren Verhältnisse –<br />

verfassungsrechtlich gesondert in Art. 9 und 21<br />

GG geschützt - wurzelt allerdings in der Freiheit<br />

des Einzelnen, zivilrechtlich gesprochen in der<br />

Privatautonomie: Die Unterwerfung unter die<br />

Strafgewalt des Vereins erfolgt aus freiem<br />

Willen durch das Rechtsgeschäft des Vereinsbeitritts<br />

22 , die staatliche Strafgewalt hingegen wird<br />

durch Hoheitsakt gegenüber jedermann im<br />

Geltungsbereich der Strafnormen begründet.<br />

Dies deutet bereits eine fehlende Interessengleichheit<br />

in Hinsicht auf eine analoge<br />

Anwendung von Art. 103 III GG an. Bedeutende<br />

Unterschiede bestehen daneben auch in der Intensität<br />

von hoheitlicher und korporativer Strafgewalt.<br />

Jedenfalls kann Art. 103 III GG zur Begründung<br />

seiner analogen Geltung auch im<br />

Parteienrecht nicht auf Evidenz verweisen.<br />

1. „Tat“ in Art. 103 III GG<br />

Zentral für die analoge Anwendbarkeit einer<br />

Norm ist die Gleichheit der Interessenlagen bei<br />

direkter Geltung und ins Auge gefaßter analoger<br />

Anwendung. Die Feststellung einer (Un-)<br />

Gleichheit der Interessenlagen setzt zunächst<br />

eine Vergewisserung über den Inhalt der fraglichen<br />

Norm voraus.<br />

Art. 103 III GG kann in direkter Anwendung –<br />

je nach Interpretation des Merkmals „derselben<br />

Tat“ - verschiedene Fälle der strafrechtlichen<br />

Entscheidung betreffen. Klammert man die<br />

20 Ältere Rechtsprechung etwa BAGE 1, 185 (193); für<br />

die neuere Rechtsprechung des BAG siehe BAGE 62,<br />

59 (67ff.).<br />

21 BVerfGE 7, 198ff.; 89, 214 (230ff.).<br />

22 BGHZ 13, 5 (11); K. Stöber, Vereinsrecht, 6. Aufl.<br />

1992, Rn. 245 a.

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