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2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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Aufsätze Florian Eckert - Wie soll man osteuropäische Parteigruppierungen einteilen? MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />

erster Linie die eigene Wiederwahl. Werden die<br />

Interessen der Stammwähler verletzt oder nicht<br />

richtig in den Policies implementiert, so zieht<br />

die entsprechende Wählerklientel umgehend ihre<br />

Unterstützung – zumindest vorläufig – zurück.<br />

Doch jedwede Regierung muss auch die Wahl<br />

verlieren, wenn sie nicht die Interessenslage der<br />

mittleren Schicht berücksichtigt. Hierin liegt das<br />

zentrale Dilemma der Parteigruppen begründet.<br />

Generell gilt, dass zu Beginn der wirtschaftlichen<br />

Transformation mit ihren unmittelbaren sozialen<br />

Folgekosten gerade eine Parteigruppierung<br />

einem größeren Sympathiedefizit ausgesetzt<br />

ist, die ‚Pro Markt’-Parteien. Deren unabdingbare<br />

Reformwille schließt größtmöglich alle<br />

wirtschaftspolitischen und sozialen Bereiche des<br />

öffentlichen Lebens mit ein und stößt auf<br />

erhebliche Widerstände derer, die unter den Einschnitten<br />

und Veränderungen primär leiden und<br />

davon betroffen sind. Hinsichtlich der Breite der<br />

gewünschten radikalen Privatisierungsmaßnahmen<br />

gibt es viele Betroffene der Schocktherapeuten<br />

in der Bevölkerung. Überproportional<br />

erfährt die untere Schicht den Verlust der<br />

Sicherheit und Planbarkeit. Insofern birgt jener<br />

Reformeifer der ‚Pro Markt’-Parteien erhebliche<br />

soziale Einschnitte, die entgegen der Interessenlage<br />

der unteren sozioökonomischen Schicht<br />

liegen. Folglich haben jene Parteien unter dieser<br />

Bevölkerungsgruppe keine Unterstützung zu<br />

erwarten.<br />

Während die untere Schicht als Wählerklientel<br />

dieser Parteigruppierung wegbricht und die obere<br />

Schicht hingegen als potentieller Unterstützer<br />

zu klassifizieren ist, muss die Einstellung der<br />

mittleren Schicht gegenüber den ‚Pro<br />

Markt’-Positionen als eindeutig wirtschaftspolitisch<br />

erfolgsabhängig charakterisiert werden.<br />

Denn gelingt es dieser Parteigruppierung trotz<br />

der radikalen Reformen zugleich erkennbare Erfolge<br />

ihrer Politik aufzuzeigen, kann sie sich<br />

auch deren Unterstützung sicher sein. Während<br />

folglich die Unterstützung der oberen Schicht als<br />

Überzeugungstat bezeichnet werden kann, ist<br />

diejenige der mittleren Schicht eine ausschließlich<br />

quotenabhängige. Insofern muss sie<br />

auch als fragile Wählerklientel eingestuft<br />

werden. Deswegen wird keine ‚Pro<br />

38<br />

Markt’-Partei mit dem Interesse einer Wiederwahl<br />

uneingeschränkt als radikaler Reformer auf<br />

den Plan treten und muss mittels einer kontinuierlichen<br />

Überprüfung der makro-sozioökonomischen<br />

Daten die mittlere Schicht von ihrem<br />

wirtschaftspolitischen Kurs überzeugen, will sie<br />

diese nicht als Wählerklientel verlieren. Denn<br />

deren Interesse ist vielmehr der jeweiligen Wirtschaftslage<br />

mit all ihren Konsequenzen geschuldet.<br />

Ihr Wahlverhalten ist von „asymmetrischen<br />

Reaktionen“ 34 gezeichnet: Während der<br />

Wechsel von einer ‚Pro Markt’- hin zu einer<br />

‚Pro Staat’-Regierung aus Unmut über die<br />

erheblichen sozialen Kosten einer ungezügelten<br />

Privatisierungspolitik erklärbar ist, kann im umgekehrten<br />

Fall die Sorge um eine international<br />

nicht konkurrenzfähige Wirtschaftspolitik und<br />

eine nicht wesentliche Verbesserung der<br />

Arbeitsmarktsituation der wahlentscheidende<br />

Auslöser sein. Daraus ergibt sich das den radikalen<br />

Reformen der ‚Pro Markt’-Parteien implementierte<br />

Dilemma: Werden sie in Regierungsverantwortung<br />

ihren schocktherapeutischen<br />

Privatisierungsmaßnahmen nicht gerecht,<br />

können sie nicht auf die Unterstützung ihrer<br />

primären Wählerklientel hoffen. Überzeugen sie<br />

durch radikale Reformen, welche aber von sozialen<br />

Kosten für die Bevölkerung geprägt sind,<br />

so können sie nicht der Unterstützung der mittleren<br />

Schicht sicher sein. Bei einer konsequenten<br />

Umsetzung ihrer Parteiprogramme und ihrer<br />

Stammwählerschaft ist ihr Erfolgsverhältnis nur<br />

1:2. Umgekehrt ist dies ein Bonus für die ‚Pro<br />

Staat’-Parteien, durch ihre graduellen Reformen<br />

bzw. der Status Quo-Sicherung sind die sozialen<br />

Folgekosten unmittelbar nicht so einschneidend.<br />

Insofern werden sie zum einen von ihrer<br />

Wählerklientel gewählt, erhalten aber auch die<br />

Unterstützung der wahlentscheidenden mittleren<br />

Schicht. Ihr Erfolgsverhältnis liegt zunächst bei<br />

2:1. Diese Thesen basieren auf dem brisanten<br />

trade-off zwischen dem Privatisierungsfortschritt<br />

auf der einen und der Beschäftigungsentwicklung<br />

auf der anderen Seite. Nehmen die<br />

sozialen Kosten zu, so überschreitet diese<br />

Entwicklung „die Akzeptanzgrenzen relevanter<br />

34 Fritz Scharpf, Interaktionsformen, Opladen 2000,<br />

S. 381.

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