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Aufsätze Florian Eckert - Wie soll man osteuropäische Parteigruppierungen einteilen? MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />
erster Linie die eigene Wiederwahl. Werden die<br />
Interessen der Stammwähler verletzt oder nicht<br />
richtig in den Policies implementiert, so zieht<br />
die entsprechende Wählerklientel umgehend ihre<br />
Unterstützung – zumindest vorläufig – zurück.<br />
Doch jedwede Regierung muss auch die Wahl<br />
verlieren, wenn sie nicht die Interessenslage der<br />
mittleren Schicht berücksichtigt. Hierin liegt das<br />
zentrale Dilemma der Parteigruppen begründet.<br />
Generell gilt, dass zu Beginn der wirtschaftlichen<br />
Transformation mit ihren unmittelbaren sozialen<br />
Folgekosten gerade eine Parteigruppierung<br />
einem größeren Sympathiedefizit ausgesetzt<br />
ist, die ‚Pro Markt’-Parteien. Deren unabdingbare<br />
Reformwille schließt größtmöglich alle<br />
wirtschaftspolitischen und sozialen Bereiche des<br />
öffentlichen Lebens mit ein und stößt auf<br />
erhebliche Widerstände derer, die unter den Einschnitten<br />
und Veränderungen primär leiden und<br />
davon betroffen sind. Hinsichtlich der Breite der<br />
gewünschten radikalen Privatisierungsmaßnahmen<br />
gibt es viele Betroffene der Schocktherapeuten<br />
in der Bevölkerung. Überproportional<br />
erfährt die untere Schicht den Verlust der<br />
Sicherheit und Planbarkeit. Insofern birgt jener<br />
Reformeifer der ‚Pro Markt’-Parteien erhebliche<br />
soziale Einschnitte, die entgegen der Interessenlage<br />
der unteren sozioökonomischen Schicht<br />
liegen. Folglich haben jene Parteien unter dieser<br />
Bevölkerungsgruppe keine Unterstützung zu<br />
erwarten.<br />
Während die untere Schicht als Wählerklientel<br />
dieser Parteigruppierung wegbricht und die obere<br />
Schicht hingegen als potentieller Unterstützer<br />
zu klassifizieren ist, muss die Einstellung der<br />
mittleren Schicht gegenüber den ‚Pro<br />
Markt’-Positionen als eindeutig wirtschaftspolitisch<br />
erfolgsabhängig charakterisiert werden.<br />
Denn gelingt es dieser Parteigruppierung trotz<br />
der radikalen Reformen zugleich erkennbare Erfolge<br />
ihrer Politik aufzuzeigen, kann sie sich<br />
auch deren Unterstützung sicher sein. Während<br />
folglich die Unterstützung der oberen Schicht als<br />
Überzeugungstat bezeichnet werden kann, ist<br />
diejenige der mittleren Schicht eine ausschließlich<br />
quotenabhängige. Insofern muss sie<br />
auch als fragile Wählerklientel eingestuft<br />
werden. Deswegen wird keine ‚Pro<br />
38<br />
Markt’-Partei mit dem Interesse einer Wiederwahl<br />
uneingeschränkt als radikaler Reformer auf<br />
den Plan treten und muss mittels einer kontinuierlichen<br />
Überprüfung der makro-sozioökonomischen<br />
Daten die mittlere Schicht von ihrem<br />
wirtschaftspolitischen Kurs überzeugen, will sie<br />
diese nicht als Wählerklientel verlieren. Denn<br />
deren Interesse ist vielmehr der jeweiligen Wirtschaftslage<br />
mit all ihren Konsequenzen geschuldet.<br />
Ihr Wahlverhalten ist von „asymmetrischen<br />
Reaktionen“ 34 gezeichnet: Während der<br />
Wechsel von einer ‚Pro Markt’- hin zu einer<br />
‚Pro Staat’-Regierung aus Unmut über die<br />
erheblichen sozialen Kosten einer ungezügelten<br />
Privatisierungspolitik erklärbar ist, kann im umgekehrten<br />
Fall die Sorge um eine international<br />
nicht konkurrenzfähige Wirtschaftspolitik und<br />
eine nicht wesentliche Verbesserung der<br />
Arbeitsmarktsituation der wahlentscheidende<br />
Auslöser sein. Daraus ergibt sich das den radikalen<br />
Reformen der ‚Pro Markt’-Parteien implementierte<br />
Dilemma: Werden sie in Regierungsverantwortung<br />
ihren schocktherapeutischen<br />
Privatisierungsmaßnahmen nicht gerecht,<br />
können sie nicht auf die Unterstützung ihrer<br />
primären Wählerklientel hoffen. Überzeugen sie<br />
durch radikale Reformen, welche aber von sozialen<br />
Kosten für die Bevölkerung geprägt sind,<br />
so können sie nicht der Unterstützung der mittleren<br />
Schicht sicher sein. Bei einer konsequenten<br />
Umsetzung ihrer Parteiprogramme und ihrer<br />
Stammwählerschaft ist ihr Erfolgsverhältnis nur<br />
1:2. Umgekehrt ist dies ein Bonus für die ‚Pro<br />
Staat’-Parteien, durch ihre graduellen Reformen<br />
bzw. der Status Quo-Sicherung sind die sozialen<br />
Folgekosten unmittelbar nicht so einschneidend.<br />
Insofern werden sie zum einen von ihrer<br />
Wählerklientel gewählt, erhalten aber auch die<br />
Unterstützung der wahlentscheidenden mittleren<br />
Schicht. Ihr Erfolgsverhältnis liegt zunächst bei<br />
2:1. Diese Thesen basieren auf dem brisanten<br />
trade-off zwischen dem Privatisierungsfortschritt<br />
auf der einen und der Beschäftigungsentwicklung<br />
auf der anderen Seite. Nehmen die<br />
sozialen Kosten zu, so überschreitet diese<br />
Entwicklung „die Akzeptanzgrenzen relevanter<br />
34 Fritz Scharpf, Interaktionsformen, Opladen 2000,<br />
S. 381.