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Aufsätze Florian Eckert - Wie soll man osteuropäische Parteigruppierungen einteilen? MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />
chen Reformen auf der einen und dem staatlichen<br />
Interventionismus auf der anderen Seite<br />
zielt auf ein für alle osteuropäischen Staaten gültiges<br />
Konfliktfeld. Diese Konfliktlinie wird von<br />
einigen Autoren als “primary cleavage in postcommunist<br />
society” 11 beschrieben. Es ist der<br />
Konflikt erster Ordnung. <strong>12</strong> Zentral für die osteuropäischen<br />
Gesellschaften ist der Wechsel von<br />
der Plan- hin zur Marktwirtschaft. Im Zusammenhang<br />
mit der wirtschaftlichen Transformation<br />
kommt es zum Anstieg sozialer und<br />
ökonomischer Ungleichheiten. Deren Folge ist<br />
„[the emerge] of a new pattern of ‚winners’ and<br />
‚losers’“. 13 Dabei muss jedoch zunächst bedacht<br />
werden, dass die Definition der Verlierer komplexerer<br />
Natur ist, als es auf den ersten Blick<br />
scheint. Sie kann politische wie kulturelle<br />
Aspekte mit einschließen oder sich auf wirtschaftliche<br />
Fragen konzentrieren. Im Folgenden<br />
wird ausschließlich der letzte Aspekt bedacht.<br />
Hierbei sind zunächst Verteilungskämpfe über<br />
Sozialhilfen oder die wachsende Zahl der<br />
Arbeitslosen zu nennen. Gaber ermittelte Gewinner<br />
und Verlierer der Transformation in Osteuropa<br />
anhand repräsentativer Umfragen. „Trotz<br />
der Unterschiede zwischen den Ländern ist der<br />
Anteil derjenigen, die seit dem Systemwechsel<br />
zumindest wirtschaftliche Verluste hinnehmen<br />
mussten, in allen Ländern beachtlich.“ 14<br />
Die osteuropäische Gesellschaft lässt sich<br />
vereinfachend in zwei Gruppen einteilen, in<br />
jene, die von der Systemtransformation profitiert<br />
haben und in jene, deren soziale Position sich<br />
verschlechterte. Die Klassifikation bedient sich<br />
11 Paul Lewis, Political Parties in Post-Communist Eastern<br />
Europe, London/New York 2000, S. 145.<br />
<strong>12</strong> Richard Stöss/Dieter Segert, Entstehung, Struktur und<br />
Entwicklung von Parteiensystemen, in: Richard<br />
Stöss/Dieter Segert/Oskar Niedermayer (Hrsg.), Parteiensysteme<br />
in postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas,<br />
Opladen 1997, S. 400.<br />
13 George Blazyca, The Politics of Economic Transformation,<br />
in: Stephen White/Judy Batt/Paul Lewis (Hrsg.),<br />
Developments in central and east european politics 2,<br />
Houndmills/London 1998, S. 206.<br />
14 Rusanna Gaber, Verlierer der Transformation in Mittelosteuropa,<br />
in: Matthias Neumann/Heiko Pleines, Gewinner<br />
und Verlierer post-sozialistischer Transformationsprozesse.<br />
Beiträge für die 10. Brühler Tagung<br />
junger Osteuropa-Experten, Bremen 2002, S. 1<strong>12</strong>.<br />
32<br />
dabei gezielt dem methodischen Postulat der<br />
„abnehmenden Abstraktion“. 15 In Anlehnung an<br />
Mayntz und Scharpf wird argumentiert, „dass<br />
man [...] bei akteursbezogenen Erklärungen zunächst<br />
mit vereinfachenden Unterstellungen<br />
arbeiten“ 16 soll.<br />
Ohne die sozio-ökonomische Konfliktlinie ließe<br />
sich die osteuropäische Parteienformation nicht<br />
vergleichbar erfassen. „In each case, social<br />
change, and the social problems arising from<br />
economic re-structuring are likely to continue to<br />
exert a significant influence on politics<br />
throughout the region.“ 17 Deshalb macht es Sinn,<br />
die osteuropäischen Konfliktlinien zunächst zusammenzufassen<br />
und auf eine einzige zu reduzieren,<br />
die wirtschaftliche. An einem Pol finden<br />
sich die Anhänger marktwirtschaftlicher Reformen,<br />
die als die Gewinner charakterisiert<br />
werden können und entgegengesetzt die Verlierer,<br />
die „modernization losers“ 18 , die sich stärker<br />
für staatliche Interventionen in der Wirtschaft<br />
aussprechen. Im Folgenden soll dementsprechend<br />
von den ‚Gewinnern’ und den ‚Verlierern’<br />
des Systemwechsels gesprochen werden.<br />
Diese beiden Begriffe gehen neben unterschiedlichen<br />
Qualifikationsgraden der beiden Gruppen<br />
auch mit einer Einteilung in Jung und Alt einher,<br />
denn „the perceptions of changes were age-specific“.<br />
19 Ältere Menschen begriffen den sozioökonomischen<br />
Wandel meist als Gefahr.<br />
Folglich zählen zu der Gruppe der ‚Gewinner’<br />
15 Sigwart Lindenberg, Die Methode der abnehmenden<br />
Abstraktion: Theoriegesteuerte Analyse und empirischer<br />
Gehalt, in: Hartmut Esser/Klaus Troitzsch<br />
(Hrsg.), Modellierung sozialer Prozesse, Bonn 1991,<br />
S. 29-78.<br />
16 Renate Mayntz/Fritz Scharpf, Gesellschaftliche Selbstregelung<br />
und politische Steuerung, Frankfurt am<br />
Main/New York 1995, S. 66.<br />
17 Terry Cox, The Politics of Social Change, in: Stephen<br />
White/Judy Batt/Paul Lewis (Hrsg.), Developments in<br />
central and east european politics 2, Houndmills/London<br />
1998, S. 233.<br />
18 Timm Beichelt/Michael Minkenberg, Explaining the<br />
Radical Right in Transition: Theories of Right-wing<br />
Radicalism and Opportunity Structures in Post-socialist<br />
Europe, Essay für das 97te APSA-Jahrestreffen, San<br />
Francisco 2001, S. 2<strong>12</strong>.<br />
19 Tomáš Kostelecký, Political Parties after Communism.<br />
Developments in East-Central Europe,<br />
Washington/Baltimore/London 2002, S. 115.