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2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Florian Eckert - Wie soll man osteuropäische Parteigruppierungen einteilen? Aufsätze<br />

2. Cleavage-Struktur<br />

Als eine zentrale Funktion von Parteien muss<br />

die Integrationsleistung genannt werden. „Die<br />

zentripetalen Kräfte, die in einer pluralistischen<br />

Gesellschaft mit konfligierenden Teilinteressen<br />

notwendigerweise bestehen und die sich in Interessenselektivität<br />

ausdrücken, werden durch die<br />

Gruppenintegration wieder zurückgebunden.“ 6<br />

Integration setzt gleiche Werte und politische<br />

Ansichten voraus, impliziert zugleich gegenläufige<br />

Meinungen und offenbart die in einer<br />

Gesellschaft existenten Konfliktstrukturen. Lipset<br />

und Rokkan betonen, dass von den einer jeden<br />

Gesellschaft gemeinen Konflikten und Differenzen<br />

jedoch nur wenige an politischer Relevanz<br />

gewinnen und im Hinblick auf die Entstehung<br />

von Parteiengruppen bedeutsam sind. Sie<br />

postulierten in ihrer ‚freezing hypothesis’ das<br />

Einfrieren bestimmter Konfliktlinien, die auf<br />

westeuropäische Gesellschaften übertragbar seien.<br />

Soziale Konfliktlinien, die Cleavage-Struktur,<br />

sind elementar für jede Gesellschaftsform.<br />

Sie beschreiben die „basic dilemmas of orientation<br />

in the roles taken by actors in the social system“.<br />

7<br />

Wenn im Folgenden die Cleavage-Struktur für<br />

Osteuropa erhoben wird, sollen nur für die<br />

Entwicklung des osteuropäischen Parteiensystems<br />

zentrale Konfliktlinien ermittelt werden.<br />

Die Cleavage-Theorie verfolgt dabei nicht die<br />

Frage, ob es eine Polarisierung innerhalb politischer<br />

Systeme gibt, sondern vielmehr worin<br />

diese besteht.<br />

Bei einer genaueren Untersuchung wird deutlich,<br />

dass das von Lipset und Rokkan postulierte<br />

Cleavage-Modell nicht sui generis für das komparative<br />

Interesse osteuropäischer Konfliktlinien<br />

allgemeine Gültigkeit besitzt. So hat der Stadt-<br />

Land-Konflikt für Osteuropa durch die Urbanisierungspolitik<br />

des Sozialismus an Bedeutung<br />

verloren. Der Konflikt Kirche versus laizistischer<br />

Staat hat durch die fortgeschrittene Säku­<br />

6 Ulrich von Alemann, Das Parteiensystem der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Bonn 2003, 3. Auflage, S. 215.<br />

7 Seymour M. Lipset/Stein Rokkan (Hrsg.), Party Systems<br />

and Voter Alignments: Cross-National Perspectives,<br />

New York/London 1967, S. 7.<br />

larisierung, gerade auch durch den Laizismus<br />

des Kommunismus, an Relevanz verloren und<br />

kann folglich ebenfalls nicht als elementare<br />

Konfliktlinie postsozialistischer Gesellschaften<br />

gelten. 8<br />

Eine direkte Übertragung der historischen Cleavage-Struktur<br />

auf die Gesellschaften der Transformationsstaaten<br />

ist nicht möglich, da diese zu<br />

keinem Zeitpunkt die dafür notwendige minimale<br />

Stabilität erreicht hatten. 9 Hinzu kommt, dass<br />

die Erosion der traditionellen Sozialstrukturen in<br />

Verbindung mit den Modernisierungs- und<br />

Demokratisierungsprozessen im Zuge der osteuropäischen<br />

Transformation eine Rückkehr zu<br />

den präsozialistischen Konfliktlinien unmöglich<br />

gemacht haben. Auch das für westeuropäische<br />

Gesellschaften erkennbare Cleavage Ökologie<br />

versus Ökonomie ist angesichts der erheblichen<br />

ökonomischen Probleme in der osteuropäischen<br />

Bevölkerung nur schwach bis überhaupt nicht<br />

ausgeprägt.<br />

Von Beyme 10 empfiehlt ein Modell mit acht<br />

Konfliktlinien. Kritisch erwähnt werden muss,<br />

dass in dessen Cleavage-Modell Konfliktlinien<br />

beschrieben werden, die nicht als relevant für<br />

die jungen Transformationsstaaten in Osteuropa<br />

gelten können (Zentrum versus Peripherie, säkularisiert<br />

versus religiös). Zusätzlich sind auch inhaltliche<br />

Überschneidungen erkennbar und eine<br />

klare Trennung der postulierten Konfliktlinien<br />

ist nicht möglich (Stadt versus Land, Zentrum<br />

versus Peripherie, Zentralismus versus Dezentralismus).<br />

Um ein für alle osteuropäischen Staaten gültiges<br />

Konfliktfeld zu ermitteln, ist es sinnvoll eine<br />

einzige Konfliktlinie herauszuarbeiten. Auch für<br />

die westliche Parteienforschung ist es durchaus<br />

üblich, dass eine Spaltungslinie stärkere Bedeutung<br />

erlangen kann, da andere Cleavages<br />

weniger oder kaum von Interesse sind.<br />

Einzig der Konflikt zwischen marktwirtschaftli­<br />

8 Klaus von Beyme, Parteien im Wandel, Wiesbaden<br />

2000, S. 96.<br />

9 Dieter Segert (Hrsg.), Konfliktregulierung durch<br />

Parteien und politische Stabilität in Ostmitteleuropa,<br />

Frankfurt am Main 1994, S. 71.<br />

10 Klaus von Beyme, Parteien im Wandel, Wiesbaden<br />

2000.<br />

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