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MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Florian Eckert - Wie soll man osteuropäische Parteigruppierungen einteilen? Aufsätze<br />
2. Cleavage-Struktur<br />
Als eine zentrale Funktion von Parteien muss<br />
die Integrationsleistung genannt werden. „Die<br />
zentripetalen Kräfte, die in einer pluralistischen<br />
Gesellschaft mit konfligierenden Teilinteressen<br />
notwendigerweise bestehen und die sich in Interessenselektivität<br />
ausdrücken, werden durch die<br />
Gruppenintegration wieder zurückgebunden.“ 6<br />
Integration setzt gleiche Werte und politische<br />
Ansichten voraus, impliziert zugleich gegenläufige<br />
Meinungen und offenbart die in einer<br />
Gesellschaft existenten Konfliktstrukturen. Lipset<br />
und Rokkan betonen, dass von den einer jeden<br />
Gesellschaft gemeinen Konflikten und Differenzen<br />
jedoch nur wenige an politischer Relevanz<br />
gewinnen und im Hinblick auf die Entstehung<br />
von Parteiengruppen bedeutsam sind. Sie<br />
postulierten in ihrer ‚freezing hypothesis’ das<br />
Einfrieren bestimmter Konfliktlinien, die auf<br />
westeuropäische Gesellschaften übertragbar seien.<br />
Soziale Konfliktlinien, die Cleavage-Struktur,<br />
sind elementar für jede Gesellschaftsform.<br />
Sie beschreiben die „basic dilemmas of orientation<br />
in the roles taken by actors in the social system“.<br />
7<br />
Wenn im Folgenden die Cleavage-Struktur für<br />
Osteuropa erhoben wird, sollen nur für die<br />
Entwicklung des osteuropäischen Parteiensystems<br />
zentrale Konfliktlinien ermittelt werden.<br />
Die Cleavage-Theorie verfolgt dabei nicht die<br />
Frage, ob es eine Polarisierung innerhalb politischer<br />
Systeme gibt, sondern vielmehr worin<br />
diese besteht.<br />
Bei einer genaueren Untersuchung wird deutlich,<br />
dass das von Lipset und Rokkan postulierte<br />
Cleavage-Modell nicht sui generis für das komparative<br />
Interesse osteuropäischer Konfliktlinien<br />
allgemeine Gültigkeit besitzt. So hat der Stadt-<br />
Land-Konflikt für Osteuropa durch die Urbanisierungspolitik<br />
des Sozialismus an Bedeutung<br />
verloren. Der Konflikt Kirche versus laizistischer<br />
Staat hat durch die fortgeschrittene Säku<br />
6 Ulrich von Alemann, Das Parteiensystem der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Bonn 2003, 3. Auflage, S. 215.<br />
7 Seymour M. Lipset/Stein Rokkan (Hrsg.), Party Systems<br />
and Voter Alignments: Cross-National Perspectives,<br />
New York/London 1967, S. 7.<br />
larisierung, gerade auch durch den Laizismus<br />
des Kommunismus, an Relevanz verloren und<br />
kann folglich ebenfalls nicht als elementare<br />
Konfliktlinie postsozialistischer Gesellschaften<br />
gelten. 8<br />
Eine direkte Übertragung der historischen Cleavage-Struktur<br />
auf die Gesellschaften der Transformationsstaaten<br />
ist nicht möglich, da diese zu<br />
keinem Zeitpunkt die dafür notwendige minimale<br />
Stabilität erreicht hatten. 9 Hinzu kommt, dass<br />
die Erosion der traditionellen Sozialstrukturen in<br />
Verbindung mit den Modernisierungs- und<br />
Demokratisierungsprozessen im Zuge der osteuropäischen<br />
Transformation eine Rückkehr zu<br />
den präsozialistischen Konfliktlinien unmöglich<br />
gemacht haben. Auch das für westeuropäische<br />
Gesellschaften erkennbare Cleavage Ökologie<br />
versus Ökonomie ist angesichts der erheblichen<br />
ökonomischen Probleme in der osteuropäischen<br />
Bevölkerung nur schwach bis überhaupt nicht<br />
ausgeprägt.<br />
Von Beyme 10 empfiehlt ein Modell mit acht<br />
Konfliktlinien. Kritisch erwähnt werden muss,<br />
dass in dessen Cleavage-Modell Konfliktlinien<br />
beschrieben werden, die nicht als relevant für<br />
die jungen Transformationsstaaten in Osteuropa<br />
gelten können (Zentrum versus Peripherie, säkularisiert<br />
versus religiös). Zusätzlich sind auch inhaltliche<br />
Überschneidungen erkennbar und eine<br />
klare Trennung der postulierten Konfliktlinien<br />
ist nicht möglich (Stadt versus Land, Zentrum<br />
versus Peripherie, Zentralismus versus Dezentralismus).<br />
Um ein für alle osteuropäischen Staaten gültiges<br />
Konfliktfeld zu ermitteln, ist es sinnvoll eine<br />
einzige Konfliktlinie herauszuarbeiten. Auch für<br />
die westliche Parteienforschung ist es durchaus<br />
üblich, dass eine Spaltungslinie stärkere Bedeutung<br />
erlangen kann, da andere Cleavages<br />
weniger oder kaum von Interesse sind.<br />
Einzig der Konflikt zwischen marktwirtschaftli<br />
8 Klaus von Beyme, Parteien im Wandel, Wiesbaden<br />
2000, S. 96.<br />
9 Dieter Segert (Hrsg.), Konfliktregulierung durch<br />
Parteien und politische Stabilität in Ostmitteleuropa,<br />
Frankfurt am Main 1994, S. 71.<br />
10 Klaus von Beyme, Parteien im Wandel, Wiesbaden<br />
2000.<br />
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