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MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Mark Deiters - Der Fall »Kremendahl« als Lackmustest der §§ 331, 333 StGB Aufsätze<br />
§§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB gar nicht darum<br />
gegangen, einen Bereich strafwürdiger Korruption<br />
zu beschreiben, sondern Kompetenznormen<br />
zu schaffen, die es Staatsanwaltschaft und<br />
Gerichten ermöglichen, nach eigener Wertung<br />
strafwürdiges Verhalten effektiv zu bekämpfen.<br />
Die Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen<br />
§§ 331, 333 StGB erhärtet diese Vermutung.<br />
Nach § 331 in der Fassung des RStGB von<br />
1871, die unverändert bis 1975 galt, machte sich<br />
ein Beamter im strafrechtlichen Sinne (heute:<br />
Amtsträger) nur dann wegen Vorteilsannahme<br />
strafbar, wenn er für eine (konkrete) an sich<br />
nicht pflichtwidrige Amtshandlung Geschenke<br />
oder Vorteile annahm, fordern oder sich versprechen<br />
ließ 41 . Unstreitig war von dieser gesetzlichen<br />
Regelung der Fall erfasst, dass Vorteil und<br />
Amtshandlung nach der Vorstellung der Beteiligten<br />
in einem synallagmatischen Bedingungsverhältnis<br />
zueinander standen, der Vorteil also<br />
deshalb gewährt wurde, damit der Amtsträger<br />
die Diensthandlung vornimmt (do, ut des) und<br />
sich infolgedessen nur auf künftige Diensthandlungen<br />
beziehen konnte 42 . Die Käuflichkeit<br />
staatlicher Entscheidungen erscheint bei dieser<br />
Sichtweise der Kern korruptiven Unrechts,<br />
wobei das Strafwürdige der durch den Tatbestand<br />
der Vorteilsannahme (früher: Geschenkannahme<br />
des Beamten) erfassten Kommerzialisierung<br />
auch pflichtgemäßer Handlungen<br />
darin gesehen wird, dass sie die Vorstufe zur<br />
Käuflichkeit rechtswidrigen Staatshandelns darstellt<br />
43 .<br />
41 Wortlaut § 331 StGB in der vor 1975 geltenden<br />
Fassung: »Ein Beamter, welcher für eine in sein Amt<br />
einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Handlung<br />
Geschenke oder andere Vorteile annimmt, fordert oder<br />
sich versprechen lässt, wird mit Geldstrafe oder mit<br />
Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft.«<br />
42 Binding, Lehrbuch Besonderer Teil, Neudruck der<br />
1. Aufl. Leipzig 1905, Aalen 1969, S. 727, 730; vgl.<br />
auch Frank, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich,<br />
18. Aufl., 1931, § 331 Anm. III m.w.N.<br />
43 Binding, Lehrbuch Besonderer Teil, Neudruck der<br />
1. Aufl. Leipzig 1905, Aalen 1969, S. 731. § 331<br />
StGB Wer eine Vorverlagerung der Strafbarkeit ablehnt,<br />
wird das vom Tatbestand der Vorteilsannahme<br />
erfasste Verhalten deshalb prinzipiell als nicht strafwürdig<br />
ansehen; so etwa in neuerer Zeit Kargl, ZStW<br />
114 (2002), 763 (793). Der Tatbestand der Vorteilsannahme<br />
wurde freilich zugleich immer auch als<br />
Nach Auffassung des Reichsgerichts 44 und der<br />
ihr folgenden herrschenden Lehre 45 reichte<br />
allerdings schon für die Verwirklichung des<br />
§ 331 in der Fassung des RStGB von 1871 aus,<br />
dass der Vorteil als Belohnung für eine bereits<br />
vorgenommene Diensthandlung gewährt wurde<br />
(do, quia dedisti). In der insoweit grundlegenden<br />
Entscheidung des Reichsgerichts vom<br />
9.<strong>12</strong>.1929 46 findet sich eine Erklärung dieser von<br />
der Voraussetzung des synallagmatischen Bedingungsverhältnisses<br />
Abstand nehmenden Deutung,<br />
die ihre kriminalpolitische Zielrichtung<br />
deutlich macht. Wörtlich meint das Reichsgericht:<br />
» ... wird das Geschenk erst nach Vornahme<br />
der Amtshandlung gegeben, so ist<br />
vielfach zwar zu vermuten, aber schwer nachzuweisen,<br />
daß es vorher zugesagt oder erwartet und<br />
deshalb für die Vornahme der Diensthandlung<br />
bestimmend war« 47 . Es müsse aber – so das<br />
Gericht in Anlehnung an eine Formulierung<br />
Feuerbachs – vermieden werden, dass das<br />
Erlaubte dem Verbotenen zur Maske diene 48 .<br />
Der Verzicht auf das Erfordernis eines synallagmatischen<br />
Bedingungsverhältnisses zwischen<br />
Vorteil und Diensthandlung in der Fallgruppe<br />
des »do, quia dedisti« war damit nicht dem Ziel<br />
einer möglichst präzisen Beschreibung strafwürdigen<br />
Unrechts, sondern der Beweiserleichterung<br />
geschuldet.<br />
Diese Zielvorgabe prägt bis heute das Korruptionsstrafrecht.<br />
1975 vollzog der Gesetzgeber<br />
hinsichtlich des Tatbestandes der Vorteilsannahme<br />
zunächst das nach, was angesichts der<br />
Rechtsprechung des Reichsgerichts bereits vorher<br />
praktiziertes Recht war: § 331 in der<br />
Fassung des EGStGB von 1975 erfasste dementsprechend<br />
auch ausdrücklich den Fall, dass der<br />
»Reserve des § 332« angesehen (Binding a.a.O.), die<br />
eine Bestrafung auch solcher Fälle ermöglicht, in<br />
denen die Bestechung nicht erweislich ist. Zur Ablehnung<br />
solcher Erwägungen sogleich im Text.<br />
44 RGSt 2, <strong>12</strong>9; RGSt 63, 367.<br />
45 Siehe LK 9 -Baldus, § 331 Rn. 22 m.w.N.<br />
46 RGSt 63, 367: ebenso bereits RGSt 2, <strong>12</strong>9, dort<br />
allerdings nicht entscheidungserheblich.<br />
47 RGSt 63, 367 (370), Hervorhebung durch Verf.<br />
48 RGSt a.a.O. Wörtlich lautete der Ausspruch Feuerbachs:<br />
»Von dem Wenigen geht ferner der Weg zum<br />
Vielen, und das Erlaubte dient dem Verbotenen zur<br />
Maske«.<br />
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