2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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Aufsätze Mark Deiters - Der Fall »Kremendahl« als Lackmustest der §§ 331, 333 StGB MIP 2004/2005 12. Jahrgang Möglichkeiten nicht von allen Steuerpflichtigen in gleicher Weise genutzt werden könnten 37 , oder Parteien hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Beiträgen und Spenden gegenüber unabhängigen Wählervereinigungen signifikant bevorzugt würden 38 . Die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht bislang von einer unzulässigen Verfälschung der Wettbewerbslage im Wahlkampf ausgegangen ist, betrafen also immer Vorschriften, welche speziell die Rechtspositionen der am politischen Wettbewerb beteiligten Subjekte regelten. Vor diesem Hintergrund erscheint es aber naheliegend, allgemeine Regelungen, die sich – wie die Straftatbestände der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung – in ihrem Anwendungsbereich nicht speziell auf den Kontext des politischen Wettbewerbs beziehen, nicht als Eingriff in den Schutzbereich passiver Wahlgleichheit zu bewerten. Ihnen kommt bei dieser Sichtweise nur insofern Bedeutung zu, als sie die von den Wahlbewerbern »vorgefundene Wettbewerbslage« mit konstituieren. Selbst wenn man aber mit dem Senat einen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf passive Wahlgleichheit bejaht, wird man auch unter den strengen Vorgaben dieses speziellen Gleichheitssatzes die Differenzierung zwischen dem Amtsinhaber und dem Herausforderer in den §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB als zulässig ansehen müssen. Schutzgut der Bestechungsdelikte ist nach heute vorherrschender Auffassung das Vertrauen in die Unkäuflichkeit von Trägern staatlicher Funktionen und damit zugleich in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen 39 . Dabei geht es in der Sache um den Schutz des demokratischen Systems selbst, weil der Einfluss des demokratischen Souveräns auf staatliches Handeln nur so lange gewährleistet ist, wie die staatlichen Organe sich an Recht und Gesetz halten. Hält man es vor diesem Hintergrund für strafwürdig, wenn ein Amtsträger für seine Dienstausübung einen Vorteil annimmt, so ist die Stellung als Amtsinhabers notwendigerweise ein zwingender Grund der 37 BVerfGE 85, 264 (297 ff.) 38 BVerfGE 78, 350 (358); 99, 69 (78). 39 Statt vieler nur Lackner/Kühl, § 331 Rn. 1 m.w.N. 26 Differenzierung gegenüber Personen, die ein entsprechendes Amt (noch) nicht inne haben. Dies gesteht im Grundsatz auch der Senat zu, wenn er es unter Hinweis auf die Pflichtenstellung des Amtsinhabers mit Recht ablehnt, diesen entsprechend der Rechtslage beim Herausforderer vollständig von den Fesseln des Korruptionsstrafrechts zu befreien. Er meint aber, nur die von ihm vorgegebene restriktivere Differenzierung entspreche dem Grundsatz passiver Wahlgleichheit. Insoweit ist dem Senat zwar zuzugeben, dass sowohl dem Tatbestand der Abgeordnetenbestechung (§ 108e StGB) als auch dem Verbot der Annahme sog. Einflussspenden (§ 25 Abs. 2 Nr. 7 ParteiG) die gegenüber den §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB restriktivere Wertung zugrunde liegt, wonach die Rechtsordnung Zuwendungen, die lediglich aufgrund der allgemeinen politischen Einstellung eines Abgeordneten oder einer Partei gewährt werden, als mit demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben für vereinbar hält 40 . Doch betreffen diese Vorschriften, wie auch das Gericht einräumt, gerade nicht die Situation der besonderen Pflichtenstellung des Amtsträgers. Es scheint deshalb der Vorwurf gerechtfertigt, der 3. Strafsenat habe unter dem Deckmantel verfassungskonformer Auslegung die Wertung des Gesetzes durch seine eigene rechtspolitische Auffassung ersetzt. IV. Schlussfolgerungen und Ausblick Ist die Entscheidung deshalb zu kritisieren? Sie wäre es, sofern der Gesetzgeber in den §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB tatsächlich eine Wertung über die Strafwürdigkeit dort beschriebenen Verhaltens getroffen hätte. Auf der Grundlage einer solchen Prämisse wird aber – wie nicht nur der Fall »Kremendahl«, sondern auch die Problematik der universitären Drittmittel belegt – Verhalten, das der Gesetzgeber an anderer Stelle positiv bewertet, in den Anwendungsbereich des Korruptionsstrafrechts einbezogen. Dieser Umstand lässt vermuten, dem Gesetzgeber sei es bei der Formulierung der 40 BGH 3 StR 301/03, S. 24 = BGH NJW 2004, 3569 (3574 f.).

MIP 2004/2005 12. Jahrgang Mark Deiters - Der Fall »Kremendahl« als Lackmustest der §§ 331, 333 StGB Aufsätze §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB gar nicht darum gegangen, einen Bereich strafwürdiger Korruption zu beschreiben, sondern Kompetenznormen zu schaffen, die es Staatsanwaltschaft und Gerichten ermöglichen, nach eigener Wertung strafwürdiges Verhalten effektiv zu bekämpfen. Die Entstehungsgeschichte der gegenwärtigen §§ 331, 333 StGB erhärtet diese Vermutung. Nach § 331 in der Fassung des RStGB von 1871, die unverändert bis 1975 galt, machte sich ein Beamter im strafrechtlichen Sinne (heute: Amtsträger) nur dann wegen Vorteilsannahme strafbar, wenn er für eine (konkrete) an sich nicht pflichtwidrige Amtshandlung Geschenke oder Vorteile annahm, fordern oder sich versprechen ließ 41 . Unstreitig war von dieser gesetzlichen Regelung der Fall erfasst, dass Vorteil und Amtshandlung nach der Vorstellung der Beteiligten in einem synallagmatischen Bedingungsverhältnis zueinander standen, der Vorteil also deshalb gewährt wurde, damit der Amtsträger die Diensthandlung vornimmt (do, ut des) und sich infolgedessen nur auf künftige Diensthandlungen beziehen konnte 42 . Die Käuflichkeit staatlicher Entscheidungen erscheint bei dieser Sichtweise der Kern korruptiven Unrechts, wobei das Strafwürdige der durch den Tatbestand der Vorteilsannahme (früher: Geschenkannahme des Beamten) erfassten Kommerzialisierung auch pflichtgemäßer Handlungen darin gesehen wird, dass sie die Vorstufe zur Käuflichkeit rechtswidrigen Staatshandelns darstellt 43 . 41 Wortlaut § 331 StGB in der vor 1975 geltenden Fassung: »Ein Beamter, welcher für eine in sein Amt einschlagende, an sich nicht pflichtwidrige Handlung Geschenke oder andere Vorteile annimmt, fordert oder sich versprechen lässt, wird mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft.« 42 Binding, Lehrbuch Besonderer Teil, Neudruck der 1. Aufl. Leipzig 1905, Aalen 1969, S. 727, 730; vgl. auch Frank, Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl., 1931, § 331 Anm. III m.w.N. 43 Binding, Lehrbuch Besonderer Teil, Neudruck der 1. Aufl. Leipzig 1905, Aalen 1969, S. 731. § 331 StGB Wer eine Vorverlagerung der Strafbarkeit ablehnt, wird das vom Tatbestand der Vorteilsannahme erfasste Verhalten deshalb prinzipiell als nicht strafwürdig ansehen; so etwa in neuerer Zeit Kargl, ZStW 114 (2002), 763 (793). Der Tatbestand der Vorteilsannahme wurde freilich zugleich immer auch als Nach Auffassung des Reichsgerichts 44 und der ihr folgenden herrschenden Lehre 45 reichte allerdings schon für die Verwirklichung des § 331 in der Fassung des RStGB von 1871 aus, dass der Vorteil als Belohnung für eine bereits vorgenommene Diensthandlung gewährt wurde (do, quia dedisti). In der insoweit grundlegenden Entscheidung des Reichsgerichts vom 9.12.1929 46 findet sich eine Erklärung dieser von der Voraussetzung des synallagmatischen Bedingungsverhältnisses Abstand nehmenden Deutung, die ihre kriminalpolitische Zielrichtung deutlich macht. Wörtlich meint das Reichsgericht: » ... wird das Geschenk erst nach Vornahme der Amtshandlung gegeben, so ist vielfach zwar zu vermuten, aber schwer nachzuweisen, daß es vorher zugesagt oder erwartet und deshalb für die Vornahme der Diensthandlung bestimmend war« 47 . Es müsse aber – so das Gericht in Anlehnung an eine Formulierung Feuerbachs – vermieden werden, dass das Erlaubte dem Verbotenen zur Maske diene 48 . Der Verzicht auf das Erfordernis eines synallagmatischen Bedingungsverhältnisses zwischen Vorteil und Diensthandlung in der Fallgruppe des »do, quia dedisti« war damit nicht dem Ziel einer möglichst präzisen Beschreibung strafwürdigen Unrechts, sondern der Beweiserleichterung geschuldet. Diese Zielvorgabe prägt bis heute das Korruptionsstrafrecht. 1975 vollzog der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes der Vorteilsannahme zunächst das nach, was angesichts der Rechtsprechung des Reichsgerichts bereits vorher praktiziertes Recht war: § 331 in der Fassung des EGStGB von 1975 erfasste dementsprechend auch ausdrücklich den Fall, dass der »Reserve des § 332« angesehen (Binding a.a.O.), die eine Bestrafung auch solcher Fälle ermöglicht, in denen die Bestechung nicht erweislich ist. Zur Ablehnung solcher Erwägungen sogleich im Text. 44 RGSt 2, 129; RGSt 63, 367. 45 Siehe LK 9 -Baldus, § 331 Rn. 22 m.w.N. 46 RGSt 63, 367: ebenso bereits RGSt 2, 129, dort allerdings nicht entscheidungserheblich. 47 RGSt 63, 367 (370), Hervorhebung durch Verf. 48 RGSt a.a.O. Wörtlich lautete der Ausspruch Feuerbachs: »Von dem Wenigen geht ferner der Weg zum Vielen, und das Erlaubte dient dem Verbotenen zur Maske«. 27

Aufsätze Mark Deiters - Der Fall »Kremendahl« als Lackmustest der §§ 331, 333 StGB MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />

Möglichkeiten nicht von allen Steuerpflichtigen<br />

in gleicher Weise genutzt werden könnten 37 ,<br />

oder Parteien hinsichtlich der steuerlichen Behandlung<br />

von Beiträgen und Spenden gegenüber<br />

unabhängigen Wählervereinigungen signifikant<br />

bevorzugt würden 38 .<br />

Die Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht<br />

bislang von einer unzulässigen Verfälschung<br />

der Wettbewerbslage im Wahlkampf<br />

ausgegangen ist, betrafen also immer Vorschriften,<br />

welche speziell die Rechtspositionen der am<br />

politischen Wettbewerb beteiligten Subjekte<br />

regelten. Vor diesem Hintergrund erscheint es<br />

aber naheliegend, allgemeine Regelungen, die<br />

sich – wie die Straftatbestände der Vorteilsannahme<br />

und Vorteilsgewährung – in ihrem<br />

Anwendungsbereich nicht speziell auf den Kontext<br />

des politischen Wettbewerbs beziehen, nicht<br />

als Eingriff in den Schutzbereich passiver Wahlgleichheit<br />

zu bewerten. Ihnen kommt bei dieser<br />

Sichtweise nur insofern Bedeutung zu, als sie<br />

die von den Wahlbewerbern »vorgefundene<br />

Wettbewerbslage« mit konstituieren.<br />

Selbst wenn man aber mit dem Senat einen Eingriff<br />

in den Schutzbereich des Rechts auf passive<br />

Wahlgleichheit bejaht, wird man auch unter<br />

den strengen Vorgaben dieses speziellen<br />

Gleichheitssatzes die Differenzierung zwischen<br />

dem Amtsinhaber und dem Herausforderer in<br />

den §§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB als zulässig<br />

ansehen müssen. Schutzgut der Bestechungsdelikte<br />

ist nach heute vorherrschender Auffassung<br />

das Vertrauen in die Unkäuflichkeit von<br />

Trägern staatlicher Funktionen und damit zugleich<br />

in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen<br />

39 . Dabei geht es in der Sache um den<br />

Schutz des demokratischen Systems selbst, weil<br />

der Einfluss des demokratischen Souveräns auf<br />

staatliches Handeln nur so lange gewährleistet<br />

ist, wie die staatlichen Organe sich an Recht und<br />

Gesetz halten. Hält man es vor diesem Hintergrund<br />

für strafwürdig, wenn ein Amtsträger<br />

für seine Dienstausübung einen Vorteil<br />

annimmt, so ist die Stellung als Amtsinhabers<br />

notwendigerweise ein zwingender Grund der<br />

37 BVerfGE 85, 264 (297 ff.)<br />

38 BVerfGE 78, 350 (358); 99, 69 (78).<br />

39 Statt vieler nur Lackner/Kühl, § 331 Rn. 1 m.w.N.<br />

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Differenzierung gegenüber Personen, die ein<br />

entsprechendes Amt (noch) nicht inne haben.<br />

Dies gesteht im Grundsatz auch der Senat zu,<br />

wenn er es unter Hinweis auf die Pflichtenstellung<br />

des Amtsinhabers mit Recht ablehnt, diesen<br />

entsprechend der Rechtslage beim Herausforderer<br />

vollständig von den Fesseln des Korruptionsstrafrechts<br />

zu befreien. Er meint aber,<br />

nur die von ihm vorgegebene restriktivere Differenzierung<br />

entspreche dem Grundsatz passiver<br />

Wahlgleichheit. Insoweit ist dem Senat zwar zuzugeben,<br />

dass sowohl dem Tatbestand der Abgeordnetenbestechung<br />

(§ 108e StGB) als auch dem<br />

Verbot der Annahme sog. Einflussspenden<br />

(§ 25 Abs. 2 Nr. 7 ParteiG) die gegenüber den<br />

§§ 331 Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB restriktivere<br />

Wertung zugrunde liegt, wonach die Rechtsordnung<br />

Zuwendungen, die lediglich aufgrund der<br />

allgemeinen politischen Einstellung eines Abgeordneten<br />

oder einer Partei gewährt werden, als<br />

mit demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben<br />

für vereinbar hält 40 . Doch betreffen diese<br />

Vorschriften, wie auch das Gericht einräumt, gerade<br />

nicht die Situation der besonderen Pflichtenstellung<br />

des Amtsträgers. Es scheint deshalb<br />

der Vorwurf gerechtfertigt, der 3. Strafsenat<br />

habe unter dem Deckmantel verfassungskonformer<br />

Auslegung die Wertung des Gesetzes<br />

durch seine eigene rechtspolitische Auffassung<br />

ersetzt.<br />

IV. Schlussfolgerungen und Ausblick<br />

Ist die Entscheidung deshalb zu kritisieren? Sie<br />

wäre es, sofern der Gesetzgeber in den §§ 331<br />

Abs. 1, 333 Abs. 1 StGB tatsächlich eine<br />

Wertung über die Strafwürdigkeit dort beschriebenen<br />

Verhaltens getroffen hätte. Auf der<br />

Grundlage einer solchen Prämisse wird aber –<br />

wie nicht nur der Fall »Kremendahl«, sondern<br />

auch die Problematik der universitären Drittmittel<br />

belegt – Verhalten, das der Gesetzgeber<br />

an anderer Stelle positiv bewertet, in den<br />

Anwendungsbereich des Korruptionsstrafrechts<br />

einbezogen. Dieser Umstand lässt vermuten,<br />

dem Gesetzgeber sei es bei der Formulierung der<br />

40 BGH 3 StR 301/03, S. 24 = BGH NJW 2004, 3569<br />

(3574 f.).

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