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Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />
staatlichen Anforderungen an das Parteiverbotsverfahren<br />
gebieten strikte Staatsfreiheit im Sinne<br />
unbeobachteter selbstbestimmter Willenbildung<br />
und Selbstdarstellung der Parteien vor dem<br />
Bundesverfassungsgericht. Die Antragsteller<br />
müssten die ihnen zugewiesene Verfahrensverantwortung<br />
erkennen und dadurch wahren, dass<br />
im Zuge einer sorgfältigen Vorbereitung der Anträge,<br />
die Quellen in den Vorständen einer politischen<br />
Partei „abgeschaltet“ würden. Einen<br />
Widerspruch zu den Geboten der Staatsfreiheit<br />
der politischen Parteien sieht das Gericht auch<br />
darin, dass ein Antrag sich in „nicht unerheblichem<br />
Umfang“ auf Äußerungen von Parteimitgliedern<br />
stützt, die nachrichtendienstliche Kontakte<br />
mit staatlichen Behörden unterhalten oder<br />
unterhalten haben.<br />
Ob ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen<br />
Erfordernisse der Verfahrensgestaltung einen<br />
nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden für<br />
die Durchführung des Verfahrens bewirke, so<br />
dass die Fortsetzung des Verfahrens auch bei<br />
einer Abwägung mit den staatlichen Interessen<br />
an wirksamem Schutz gegen die von einer Partei<br />
ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich ausgeschlossen<br />
ist, lasse sich nicht generell abstrakt<br />
beantworten 0 . Dies könne nur auf Grund umfassender<br />
Würdigung der konkreten Verfahrenssituation<br />
beantwortet werden. Die ausführliche<br />
Würdigung der Gegebenheiten durch das<br />
Gericht kommt zum Ergebnis, dass die rechtsstaatswidrige<br />
Verfehlung des Gebots strikter<br />
Staatsfreiheit der Antragsteller einen nicht behebbaren<br />
Schaden mit sich bringe.<br />
Die für die Entscheidung nicht tragende Auffassung<br />
sieht kein Verfahrenshindernis und hält<br />
die Fortführung des Verbotsverfahrens für geboten<br />
0 . Ein Verfahrenshindernis sei nur dann gegeben,<br />
wenn die Eröffnung oder die Fortsetzung<br />
eines gerichtlichen Verfahrens gemessen an seinen<br />
Zielen tatsächlich unmöglich ist oder in<br />
einem unerträglichen Widerspruch zu rechtsstaatlichen<br />
Grundsätzen stehe. Bei weniger<br />
schwerwiegenden oder auf andere Weise aus<br />
0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a.,<br />
NJW 2003, 1577 (1581).<br />
0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a.,<br />
NJW 2003, 1577 (1583 ff.).<br />
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gleichbaren Verfahrensmängeln verbiete sich<br />
eine Verfahrenseinstellung. Die Gewährleistung<br />
von Recht erfolge durch Gerichtsbarkeit. Daher<br />
dürften sich die Gerichte der Justizgewähr<br />
grundsätzlich auch nicht entziehen, soweit nicht<br />
geschriebenes Prozessrecht oder andere<br />
zwingende Gründe eine Sachentscheidung unmöglich<br />
machten. Für die Annahme eines<br />
Verfahrenshindernisses sei daher ein strenger<br />
Maßstab anzulegen. Diese Feststellungen divergieren<br />
nicht wesentlich von denen die Entscheidung<br />
tragenden. Die Bewertungen der Vorgänge<br />
im konkreten Einzellfall fallen jedoch deutlich<br />
anders aus. Der Umstand der nachrichtendienstlichen<br />
Beobachtung der NPD begründe weder<br />
im Hinblick auf den Grundsatz der Staatsfreiheit<br />
der Parteien noch wegen Fragen der Zurechung<br />
der vorgelegten Erkenntnismittel noch auf<br />
Grund der Pflicht zur Gewährleistung eines<br />
fairen Verfahrens ein Verfahrenshindernis. Das<br />
Gewicht des mit dem Parteiverbotsverfahren<br />
verfolgten Präventionszweckes sei so hoch, dass<br />
es grundsätzlich gegenüber dem Gewicht der<br />
rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen den<br />
Vorrang behalte. Etwaige Beeinträchtigungen<br />
der NPD könnten erst nach vollständiger Aufklärung<br />
der entscheidungserheblichen Tatsachen<br />
bei der Sachentscheidung berücksichtigt werden.<br />
Der EGMR 0 hatte über die Rechtmäßigkeit der<br />
Auflösung der Refah Partisi (Wohlfahrtspartei)<br />
durch den VerfGH der Türkei zu entscheiden.<br />
Die Partei wurde vom VerfGH aufgelöst, weil<br />
sie ein Zentrum politischer Aktivitäten sei, die<br />
dem Grundsatz des Laizismus zuwiderliefe. Die<br />
Refah hatte im Zeitpunkt ihrer Auflösung nach<br />
den damaligen Wahlprognosen eine realistische<br />
Chance gehabt, alleinige Regierungspartei zu<br />
werden. In der der Refah eindeutig zuzurechnenden<br />
Erklärungen und Stellungnahmen sei das<br />
langfristige Vorhaben der Partei erkennbar gewesen,<br />
ein auf der Scharia beruhendes Regime<br />
im Rahmen einer Pluralität von rechtlichen Systemen<br />
in der Türkei zu errichten, zu erhalten,<br />
und dies notfalls mit Gewalt. Der Gerichtshof ist<br />
nach eingehender Prüfung der Frage, ob überzeugende<br />
und zwingende Gründe die Auflösung<br />
0 EGMR Große Kammer, Urteil vom 13.02.2003 –<br />
41340/98 u.a., NVwZ 2003 1489 ff.