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2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang<br />

staatlichen Anforderungen an das Parteiverbotsverfahren<br />

gebieten strikte Staatsfreiheit im Sinne<br />

unbeobachteter selbstbestimmter Willenbildung<br />

und Selbstdarstellung der Parteien vor dem<br />

Bundesverfassungsgericht. Die Antragsteller<br />

müssten die ihnen zugewiesene Verfahrensverantwortung<br />

erkennen und dadurch wahren, dass<br />

im Zuge einer sorgfältigen Vorbereitung der Anträge,<br />

die Quellen in den Vorständen einer politischen<br />

Partei „abgeschaltet“ würden. Einen<br />

Widerspruch zu den Geboten der Staatsfreiheit<br />

der politischen Parteien sieht das Gericht auch<br />

darin, dass ein Antrag sich in „nicht unerheblichem<br />

Umfang“ auf Äußerungen von Parteimitgliedern<br />

stützt, die nachrichtendienstliche Kontakte<br />

mit staatlichen Behörden unterhalten oder<br />

unterhalten haben.<br />

Ob ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen<br />

Erfordernisse der Verfahrensgestaltung einen<br />

nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden für<br />

die Durchführung des Verfahrens bewirke, so<br />

dass die Fortsetzung des Verfahrens auch bei<br />

einer Abwägung mit den staatlichen Interessen<br />

an wirksamem Schutz gegen die von einer Partei<br />

ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich ausgeschlossen<br />

ist, lasse sich nicht generell abstrakt<br />

beantworten 0 . Dies könne nur auf Grund umfassender<br />

Würdigung der konkreten Verfahrenssituation<br />

beantwortet werden. Die ausführliche<br />

Würdigung der Gegebenheiten durch das<br />

Gericht kommt zum Ergebnis, dass die rechtsstaatswidrige<br />

Verfehlung des Gebots strikter<br />

Staatsfreiheit der Antragsteller einen nicht behebbaren<br />

Schaden mit sich bringe.<br />

Die für die Entscheidung nicht tragende Auffassung<br />

sieht kein Verfahrenshindernis und hält<br />

die Fortführung des Verbotsverfahrens für geboten<br />

0 . Ein Verfahrenshindernis sei nur dann gegeben,<br />

wenn die Eröffnung oder die Fortsetzung<br />

eines gerichtlichen Verfahrens gemessen an seinen<br />

Zielen tatsächlich unmöglich ist oder in<br />

einem unerträglichen Widerspruch zu rechtsstaatlichen<br />

Grundsätzen stehe. Bei weniger<br />

schwerwiegenden oder auf andere Weise aus­<br />

0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a.,<br />

NJW 2003, 1577 (1581).<br />

0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a.,<br />

NJW 2003, 1577 (1583 ff.).<br />

102<br />

gleichbaren Verfahrensmängeln verbiete sich<br />

eine Verfahrenseinstellung. Die Gewährleistung<br />

von Recht erfolge durch Gerichtsbarkeit. Daher<br />

dürften sich die Gerichte der Justizgewähr<br />

grundsätzlich auch nicht entziehen, soweit nicht<br />

geschriebenes Prozessrecht oder andere<br />

zwingende Gründe eine Sachentscheidung unmöglich<br />

machten. Für die Annahme eines<br />

Verfahrenshindernisses sei daher ein strenger<br />

Maßstab anzulegen. Diese Feststellungen divergieren<br />

nicht wesentlich von denen die Entscheidung<br />

tragenden. Die Bewertungen der Vorgänge<br />

im konkreten Einzellfall fallen jedoch deutlich<br />

anders aus. Der Umstand der nachrichtendienstlichen<br />

Beobachtung der NPD begründe weder<br />

im Hinblick auf den Grundsatz der Staatsfreiheit<br />

der Parteien noch wegen Fragen der Zurechung<br />

der vorgelegten Erkenntnismittel noch auf<br />

Grund der Pflicht zur Gewährleistung eines<br />

fairen Verfahrens ein Verfahrenshindernis. Das<br />

Gewicht des mit dem Parteiverbotsverfahren<br />

verfolgten Präventionszweckes sei so hoch, dass<br />

es grundsätzlich gegenüber dem Gewicht der<br />

rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen den<br />

Vorrang behalte. Etwaige Beeinträchtigungen<br />

der NPD könnten erst nach vollständiger Aufklärung<br />

der entscheidungserheblichen Tatsachen<br />

bei der Sachentscheidung berücksichtigt werden.<br />

Der EGMR 0 hatte über die Rechtmäßigkeit der<br />

Auflösung der Refah Partisi (Wohlfahrtspartei)<br />

durch den VerfGH der Türkei zu entscheiden.<br />

Die Partei wurde vom VerfGH aufgelöst, weil<br />

sie ein Zentrum politischer Aktivitäten sei, die<br />

dem Grundsatz des Laizismus zuwiderliefe. Die<br />

Refah hatte im Zeitpunkt ihrer Auflösung nach<br />

den damaligen Wahlprognosen eine realistische<br />

Chance gehabt, alleinige Regierungspartei zu<br />

werden. In der der Refah eindeutig zuzurechnenden<br />

Erklärungen und Stellungnahmen sei das<br />

langfristige Vorhaben der Partei erkennbar gewesen,<br />

ein auf der Scharia beruhendes Regime<br />

im Rahmen einer Pluralität von rechtlichen Systemen<br />

in der Türkei zu errichten, zu erhalten,<br />

und dies notfalls mit Gewalt. Der Gerichtshof ist<br />

nach eingehender Prüfung der Frage, ob überzeugende<br />

und zwingende Gründe die Auflösung<br />

0 EGMR Große Kammer, Urteil vom 13.02.2003 –<br />

41340/98 u.a., NVwZ 2003 1489 ff.

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