2005, Heft 12, S. 87–88 - PRuF

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26.11.2012 Aufrufe

Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung MIP 2004/2005 12. Jahrgang 6. Wahlrecht Das BVerfG 0 beschäftigte sich mit der Organklage, ob die Beibehaltung der 5-%-Klausel bei einer Kommunalwahl in Schleswig-Holstein gegen die Chancengleichheit verstoße. Die Klage wurde wegen Fristversäumung abgewiesen mit der Begrünung, dass die Frist auch dann eingreift, wenn ein Gebot fortdauernd nicht befolgt wird. Demnach wird eine Frist spätestens dadurch in Lauf gesetzt, dass der Gesetzgeber sich endgültig weigert tätig zu werden. Auch diesmal ließ es dabei offen, ob ein gesetzgeberisches Unterlassen ein zulässiger Antragsgegenstand eines Organstreits sein kann. Der BerlVerfGH 0 hatte die Frage zu entscheiden, ob durch das Festhalten an einem Stimmenquorum bei verkürzten Fristen die Chancengleichheit verletzt wird. Dies lehnte es ab, da nur die faktische Möglichkeit zähle Stimmen zu sammeln und diese Möglichkeit im vorliegenden Fall durch die Verkürzung der Frist nicht beeinträchtigt war. Der Einwand der Klägerin, sie sei bis 3 Tage vor dem Einreichungstermin keine Partei gewesen greift nicht durch, da sie trotzdem die faktische Möglichkeit hatte die nötigen Stimmen für das Erreichen des Quorums zu sammeln. Das BVerwG 0 entschied, dass es unzulässig sei gemeinsame, fraktionsübergreifende Listen zum Nachteil anderer Fraktionen bei der Besetzung von Ausschüssen zu bilden. Zur Begründung führte es aus, dass durch dieses Verhalten Bundesrecht in Form des Art. 28 I GG verletzt worden sei. Diese Norm erfordere, dass jeder Ausschuss das Abbild des Plenums wiedergeben müsse und nicht ein Bild von rechnerischen Zahlenverhältnissen. Eine gemeinsame Liste sei auch nicht Ausdruck eines freien Mandats. Weiterhin habe jede Fraktion Anspruch auf Berücksichtigung nach ihrer Mitgliederzahl. Eine Überrepräsentation der Kleinen werde dabei schon 0 Beschluss vom 11.03.2003 – 2 BvK ½ - in: NVwZ 2003, S. 1372. 0 Beschluss vom 24.01.2003 – VerfGH 155/01 – in: NVwZ-RR 2003, S. 466-468. 0 Urteil vom 10.12.2003 – 6 B 68/02 – in: NVwZ 2004, 100 S. 621. dadurch ausgeschlossen, dass der Landesgesetzgeber mathematische Verfahren für die Verteilung festsetzen dürfe. Der Einwand der Berufung, dass die Norm eine solche Listenverbindung nicht ausdrücklich ausschließe kann nicht durchgreifen, da eine verfassungskonforme Auslegung geboten ist, die eine solche Verbindung verbietet. Eine Anrufung des BVerfG wurde ausgeschlossen. In einem anderen Verfahren wies das BVerwG 0 eine Klage mit dem Hinweis, dass das Urteil des VGH Kassel zur Gültigkeit einer Oberbürgermeisterwahl nicht gegen Bundesrecht verstoße, ab. Das Urteil sei mit dem Bundesrecht vereinbar, da dieses die Freiheit und Gleichheit der Wahl schütze. Die Entscheidung des BVerfG 0 stelle keinen allgemeinen bundesrechtlichen Wahlgrundsatz mit dem Inhalt auf, dass eine Wahl nur ungültig sei, wenn die Weiterführung unerträglich wäre. Der Landesgesetzgeber habe insoweit bei der Beurteilung im kommunalen Wahlprüfungsverfahren Spielräume. Eine niedrigere Schwelle der Ungültigkeit sei durchaus gerechtfertigt, da der Bestandsschutz des Parlamentes höher sei als der eines Oberbürgermeisters. Das VGH Kassel 0 entschied zum diesem Thema, dass eine Wahl trotz Unregelmäßigkeiten gültig sei, wenn die Unregelmäßigkeiten nicht Mandatsrelevant seien. Weiterhin führte es aus, dass die Beteiligung eines Oberbürgermeisters an Wahlveranstaltungen in nicht-amtlicher Eigenschaft keine unzulässige Wahlbeeinflussung darstelle. Das VG Weimar 0 entschied mit nicht rechtskräftigem Urteil, dass die ehemalige MfS- Tätigkeit eines Bürgermeisters keinen zwingenden Grund für die Ungültigkeitserklärung einer Wahl darstellt. Insoweit fehle es an einer Rechtsgrundlage. Eine Anwendung von 0 Urteil vom 08.04.2003 – 8 C 14/02 – in: NVwZ 2003, S. 983. 0 BVerfGE 103, 111. 0 Urteil vom 10.07.2003 – 8 UE 2947/01 – in: NVwZ- RR 2004, S. 58 = KommJur 2004, S. 21-24 = DVBl 2004, S. 451. 0 Urteil vom 26. 3. 2003 - 6 K 654/02 – in: LKV 2004, S. 94 ff.

MIP 2004/2005 12. Jahrgang Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung § 8 III TührBG verstoße beim gewählten Bürgermeister gegen Art. 28 I GG, da eine Beschränkung des passiven Wahlrechts nur aus Art. 3 I GG folgen könne. Aus Art. 28 I GG folge weiterhin, dass der Landesgesetzgeber nur einen zwingenden Grund genehmigen dürfe, ein solcher sei aber vom ThürVerfGH für die MfS- Tätigkeit abgelehnt worden. Weiterhin lasse eine verfassungskonforme Auslegung des § 24 Thür­ KommWahlG keinen Raum für § 8 ThürBG. Auch sei § 24 III 1 ThürKommWahlG nicht einschlägig, da dieser nur eingreife, wenn bis zur Wahl kein Sinnenswandel stattgefunden habe, hier aber davon auszugehen sei, dass der Gewählte heute die demokratische Ordnung unterstütze. 7. Parteiverbotsverfahren Julia Figura Das BVerfG 0 hatte im Verbotsverfahren gegenüber der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) nach Bekanntwerden der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden mit Funktionären und Mitgliedern der NPD, auf deren Aussagen wesentliche Argumentationen der Antragsteller beruhen, über den Antrag auf Einstellung des Verfahrens zu entscheiden 0 . Die für die Entscheidung tragende Auffassung geht davon aus, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliege und beschließt die Einstellung. Weder für die Möglichkeit noch für die Voraussetzungen der Einstellung des Verfahrens wegen nicht behebbarer Verfahrenshindernisse seien spezielle Normen vorhanden. Das Gericht greift daher auf seine Rechtsprechung zum Strafprozess zurück. Dort sei anerkannt, dass absolute Verfahrenshindernisse in beson­ 0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a., E 107, 339 ff.; NJW 2003, 1577 ff.; siehe auch die Beschlussbesprechungen von Lars Oliver Michaelis, Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens, in: NVwZ 2003, 943 ff.; Michael Sachs, in: JuS 2003, 809 ff.; Jörn Ipsen, JZ 2003, 485ff. und Volkmann, DVBl 2003, 605 ff. 0 Zur Einstellung in einem Parteiverbotsverfahren benötigt man für eine dem Antragsgegner nachteilige Entscheidung gemäß § 15 IV 1 BVerfGG eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats. ders gelagerten Ausnahmefällen unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden könnten 0 . Einstellungsvoraussetzungen des Parteiverbotsverfahrens seien daher ein Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht, der einen nicht behebbaren rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung des Verfahrens bewirke, so dass die Fortsetzung des Verfahrens auch bei einer Abwägung mit den staatlichen Interessen an wirksamem Schutz gegen die von einer möglicherweise verfassungswidrig tätigen Partei ausgehenden Gefahr rechtsstaatlich nicht hinnehmbar sei 0 . Das Gericht stellt fest, dass es i.d.R. mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren unvereinbar sei, wenn eine politische Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder eines Vorstandes der Partei fungierten, unmittelbar vor oder während der Durchführung eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei beobachtet würden. Mit Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts 0 stellt das Gericht fest, dass jede Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mittel einen schwerwiegenden Eingriff in das aus der Parteienfreiheit folgende Selbstbestimmungsrecht einer politischen Partei darstellt und deshalb nicht nur eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage voraussetze, sondern auch besonderer Rechtfertigung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Gericht lässt offen, ob allein die staatliche Präsens auf der Führungsebenen der Partei schon zur Verfassungswidrigkeit der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit führt, da dies nicht zu entscheiden stand. Jedenfalls sei dies unausweichlich so, wenn die staatliche Präsens auch unmittelbar vor und im Verfahren gemäß Art. 21 II GG aufrechterhalten bliebe. Die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Parteienfreiheit seien nach Einleitung eines Verbotsverfahrens ergänzt und verstärkt durch spezifische verfahrensrechtliche Garantien, die allgemein als Grundsätze eines rechtsstaatlichen, fairen Verfahrens bezeichnet würden. Die recht­ 0 Unter Hinweis auf BVerfGE 51, 324 (346). 0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a., NJW 2003, 1577 (1580). 0 BVerwGE 110, 126 ff. 101

MIP 2004/<strong>2005</strong> <strong>12</strong>. Jahrgang Parteienrecht im Spiegel der Rechtsprechung<br />

§ 8 III TührBG verstoße beim gewählten<br />

Bürgermeister gegen Art. 28 I GG, da eine<br />

Beschränkung des passiven Wahlrechts nur aus<br />

Art. 3 I GG folgen könne. Aus Art. 28 I GG<br />

folge weiterhin, dass der Landesgesetzgeber nur<br />

einen zwingenden Grund genehmigen dürfe, ein<br />

solcher sei aber vom ThürVerfGH für die MfS-<br />

Tätigkeit abgelehnt worden. Weiterhin lasse eine<br />

verfassungskonforme Auslegung des § 24 Thür­<br />

KommWahlG keinen Raum für § 8 ThürBG.<br />

Auch sei § 24 III 1 ThürKommWahlG nicht einschlägig,<br />

da dieser nur eingreife, wenn bis zur<br />

Wahl kein Sinnenswandel stattgefunden habe,<br />

hier aber davon auszugehen sei, dass der Gewählte<br />

heute die demokratische Ordnung unterstütze.<br />

7. Parteiverbotsverfahren<br />

Julia Figura<br />

Das BVerfG 0 hatte im Verbotsverfahren gegenüber<br />

der Nationaldemokratischen Partei<br />

Deutschlands (NPD) nach Bekanntwerden der<br />

Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden<br />

mit Funktionären und Mitgliedern der<br />

NPD, auf deren Aussagen wesentliche Argumentationen<br />

der Antragsteller beruhen, über den<br />

Antrag auf Einstellung des Verfahrens zu entscheiden<br />

0 .<br />

Die für die Entscheidung tragende Auffassung<br />

geht davon aus, dass ein nicht behebbares<br />

Verfahrenshindernis vorliege und beschließt die<br />

Einstellung. Weder für die Möglichkeit noch für<br />

die Voraussetzungen der Einstellung des Verfahrens<br />

wegen nicht behebbarer Verfahrenshindernisse<br />

seien spezielle Normen vorhanden. Das<br />

Gericht greift daher auf seine Rechtsprechung<br />

zum Strafprozess zurück. Dort sei anerkannt,<br />

dass absolute Verfahrenshindernisse in beson­<br />

0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a.,<br />

E 107, 339 ff.; NJW 2003, 1577 ff.; siehe auch die Beschlussbesprechungen<br />

von Lars Oliver Michaelis, Einstellung<br />

des NPD-Verbotsverfahrens, in: NVwZ 2003,<br />

943 ff.; Michael Sachs, in: JuS 2003, 809 ff.; Jörn Ipsen,<br />

JZ 2003, 485ff. und Volkmann, DVBl 2003, 605<br />

ff.<br />

0 Zur Einstellung in einem Parteiverbotsverfahren benötigt<br />

man für eine dem Antragsgegner nachteilige Entscheidung<br />

gemäß § 15 IV 1 BVerfGG eine Mehrheit<br />

von zwei Dritteln der Mitglieder des Senats.<br />

ders gelagerten Ausnahmefällen unmittelbar aus<br />

der Verfassung abgeleitet werden könnten 0 . Einstellungsvoraussetzungen<br />

des Parteiverbotsverfahrens<br />

seien daher ein Verfassungsverstoß von<br />

erheblichem Gewicht, der einen nicht behebbaren<br />

rechtsstaatlichen Schaden für die Durchführung<br />

des Verfahrens bewirke, so dass die<br />

Fortsetzung des Verfahrens auch bei einer<br />

Abwägung mit den staatlichen Interessen an<br />

wirksamem Schutz gegen die von einer möglicherweise<br />

verfassungswidrig tätigen Partei ausgehenden<br />

Gefahr rechtsstaatlich nicht hinnehmbar<br />

sei 0 . Das Gericht stellt fest, dass es i.d.R. mit<br />

den Anforderungen an ein rechtsstaatliches<br />

Verfahren unvereinbar sei, wenn eine politische<br />

Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die<br />

als Mitglieder eines Vorstandes der Partei fungierten,<br />

unmittelbar vor oder während der<br />

Durchführung eines Verfahrens vor dem<br />

Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der<br />

Verfassungswidrigkeit der Partei beobachtet<br />

würden. Mit Hinweis auf eine Entscheidung des<br />

Bundesverwaltungsgerichts 0 stellt das Gericht<br />

fest, dass jede Beobachtung mit nachrichtendienstlichen<br />

Mittel einen schwerwiegenden Eingriff<br />

in das aus der Parteienfreiheit folgende<br />

Selbstbestimmungsrecht einer politischen Partei<br />

darstellt und deshalb nicht nur eine hinreichend<br />

bestimmte gesetzliche Grundlage voraussetze,<br />

sondern auch besonderer Rechtfertigung im Hinblick<br />

auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.<br />

Das Gericht lässt offen, ob allein die staatliche<br />

Präsens auf der Führungsebenen der Partei<br />

schon zur Verfassungswidrigkeit der nachrichtendienstlichen<br />

Zusammenarbeit führt, da dies<br />

nicht zu entscheiden stand. Jedenfalls sei dies<br />

unausweichlich so, wenn die staatliche Präsens<br />

auch unmittelbar vor und im Verfahren gemäß<br />

Art. 21 II GG aufrechterhalten bliebe. Die<br />

verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der<br />

Parteienfreiheit seien nach Einleitung eines Verbotsverfahrens<br />

ergänzt und verstärkt durch spezifische<br />

verfahrensrechtliche Garantien, die allgemein<br />

als Grundsätze eines rechtsstaatlichen,<br />

fairen Verfahrens bezeichnet würden. Die recht­<br />

0 Unter Hinweis auf BVerfGE 51, 324 (346).<br />

0 BVerfG Beschluss vom 18.03.2003 – 1 BvB 1/01 u.a.,<br />

NJW 2003, 1577 (1580).<br />

0 BVerwGE 110, <strong>12</strong>6 ff.<br />

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