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urlaubsreif - Deutsche Ullrich-Turner-Syndrom Vereinigung e.V.

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Bettina von Hanffstengel<br />

Rödlas am Brand<br />

Elke lke Müller-Seelig<br />

Marienheide<br />

Offener Brief an William Somerset Maugham<br />

Sehr geehrter Herr Maugham,<br />

auch wenn Sie schon seit 1965 in Welten weilen, in denen ich Sie nicht mehr erreichen kann, so ist es mir dennoch<br />

ein Anliegen, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Wie gerne hätte ich einmal die Weihnachtszeit am Mittelmeer<br />

verbracht und bei dieser Gelegenheit im Gedenken an Sie Ihrer Grabstätte in Saint-Jean-Cap-Ferrat bei Nizza<br />

einen Besuch abgestattet. Dann hätte ich Ihnen ja erzählen können, was mich bewegt und hätten es auch nur<br />

die Chrysanthemen an Ihrer letzten Ruhestätte gehört. Da mir das Reisen nun schon seit Jahren verwehrt ist,<br />

erlaube ich mir, Ihnen in diesem Brief mein Herz auszuschütten. Mit viel Vergnügen habe ich Ihr Buch „Auf<br />

Messers Schneide“ gelesen. Aber war es wirklich notwendig, mein Fernweh derartig anzuheizen, wie Sie es mit<br />

scheinbar harmlosen Sätzen wie dem folgenden taten: „Als ich 1919 auf dem Weg in den Fernen Osten war, hielt<br />

ich mich ein paar Wochen, aus Gründen, die mit dieser Erzählung nichts zu tun haben, in Chicago auf.“ Musste<br />

das wirklich sein? Konnten Sie da nicht ein wenig zurückhaltender sein? Mussten Sie unbedingt den Kosmopoliten<br />

herauskehren? Seit Jahren habe ich Deutschland nicht mehr verlassen und das nicht, weil ich mir kein<br />

schöneres Land vorstellen könnte, sondern schlicht und ergreifend, weil mir das Geld fehlt, zu verreisen. Der<br />

Ferne Osten steht auf meiner Wunschliste ganz weit oben. Japan wollte ich schon immer mal erkunden, aber<br />

auch Bhutan interessiert mich oder Indien. Der Nahe Osten wäre für meine Bedürfnisse völlig ausreichend, um<br />

endlich die Länder genauer kennen lernen zu können, deren Märchen und Geschichten ich so gerne erzähle.<br />

Doch am meisten zieht es mich nach Sibirien, in Länder wie Tschukotka an der russischen Seite der Beringsee,<br />

oder Tuva und die Mongolei. Oh, was gäbe ich darum, könnte ich dort nur einmal einem Geschichtenerzähler<br />

zum Klang der pferdeköpfigen Geige lauschen und das Musikfestival „Roaring Hooves“ besuchen, das das<br />

bedeutendste Festival seiner Art in ganz Zentralasien ist und auf einzigartige Weise mongolische MusikerInnen<br />

mit MusikerInnen aus anderen Ländern zusammen bringt.<br />

<strong>urlaubsreif</strong><br />

Ach, kkönnte<br />

nnte ich doch wenigstens einmal wie Sie schreiben und sei es auch nur in<br />

einem Brief oder einer E-Mail an eine Freundin und nicht wie Sie in einem Roman: „Als ich auf dem Weg nach<br />

Zentralasien war, hielt ich mich aus Gr Gründen, nden, die hier nicht interessieren, ffür<br />

r ein paar Wochen in Island auf.<br />

Da traf ich zuf zufällig llig in einer Bar in Rejkjavik meine Freundin, die indische Forscherin Giti Thadani, die auf ihrem<br />

Weg von Finnland nach Indien hier Station machte und mir so viel über ber ihre Feenwege in Finnland erz erzählte, hlte,<br />

dass ich beschloss, Finnland einen Besuch abzustatten, wenn es mir die Reisen, die ich noch vorhatte, gestatten<br />

würden.“ rden.“ Aber das, lieber Herr Maugham, sind nur Traumgespinste, gesponnen von einer Fernwehkranken, die<br />

mit Neidgef Neidgefühlen hlen folgenden Satz lesen muss: „ … und dann, als ich wieder eine Weile von London genug hatte,<br />

fuhr ich nach Tirol.“ Gut, Tirol ist nun nicht der Traum meiner schlaflosen NNächte<br />

chte und Giti Thadani werde ich<br />

dort wahrscheinlich nicht treffen kkönnen,<br />

nnen, aber es wwäre<br />

re zumindest eine Abwechslung, so viel ist sicher. Und was<br />

sind die Abwechslungen einer Arbeitslosen? Tirol? Sicher nicht! Ich bin ja schon froh, wenn mein Benzingeld<br />

bis zum Chiemsee reicht und die Reisekasse ffür<br />

r eine Woche Campingplatz in der Nachsaison. Ich habe nichts<br />

gegen den Chiemsee, nicht dass Sie mich da falsch verstehen. Der Chiemsee ist der See meiner Kindheit und<br />

ich liebe ihn sehr! Auch heute ist er noch sehr sch schön n mit seinem klaren Wasser, den vielen Kieselsteinen und<br />

den blauen Bergen auf der anderen Seeseite. Aber nun bin ich erwachsen und will die Welt sehen!<br />

Zwar kann ich es mir nicht vorstellen, so wie Sie es augenscheinlich taten, in zwei Ländern zu leben und einmal<br />

in Deutschland und dann wieder im Altaigebirge (Mongolei) zu Hause zu sein, aber ein wenig Abwechslung<br />

wäre nicht schlecht. Da wäre ich auch mit Italien zufrieden oder mit Frankreich. In Italien würde ich meinen<br />

Neffen Richard in Cortona besuchen und in Frankreich endlich Arles wiedersehen, die wunderschöne Stadt in<br />

der Provence. Es ist wirklich zum Verzweifeln, dass mir sogar Reisen innerhalb Europas nicht mehr vergönnt<br />

sind und ich schon seit 17 Jahren dieses Land nicht mehr verlassen habe, geschweige denn den Kontinent. Da<br />

ist es dann wirklich nicht leicht, folgende Sätze zu schlucken: „So packte ich denn eine Reisetasche und begab<br />

mich auf den Kutter, von dem aus wir im Sommer in der Baie de Fosses zu baden pflegten pflegten, und segelte die Küste<br />

entlang gegen Marseille. ( ... ) Eine Nacht verbrachten wir im Hafen von Cannes, eine zweite in Sainte Maxime<br />

und eine dritte in Sanary. Dann kamen wir nach Toulon. Dies ist ein Hafen, für den ich schon immer eine Vorliebe<br />

hatte. Die Schiffe der französischen Flotte verleihen ihm sowohl eine romantische als auch kameradschaftliche<br />

Atmosphäre, und ich werde nie mmüde<br />

de, durch die alten Straßen zu bummeln.“ Ja, diese meine Hervorhebungen<br />

Hervorhebungen,<br />

lieber Herr Maugham, zeigen doch ganz genau, wie sehr mich der Neid zwickt. Oh, ich pflege auch zu reisen,<br />

sehr weit, nämlich bis zum nächsten Baggersee, wenn ich es mich danach gelüstet, schwimmen zu gehen. Will ich<br />

Leute beobachten, dann laufen sie durch die Fußgängerzone in Forchheim oder Nürnberg! Sie dagegen haben<br />

offensichtlich den Teil der Welt bereist, den Sie sehen wollten und sich in den Ländern und Städten, die Ihnen<br />

etwas bedeuteten, regelmäßig aufgehalten. Nicht dass ich Ihnen das nicht gönnen würde, aber ich wünsche<br />

es mir von Herzen auch für mich selbst! Lassen Sie es sich gut gehen, in welchen Sphären ihr Geist jetzt auch<br />

immer verweilen mag. Hochachtungsvoll, Ihre Bettina von Hanffstengel<br />

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