Fotografik Neue Realitäten

Neue
RealitäteN
WIENAND
FotoGrafik
von Warhol bis Havekost
herausgegeben für das Kupferstichkabinett
der Staatlichen Museen zu Berlin
von Andreas Schalhorn
mit weiteren Beiträgen von Hubertus Butin
und Zara Reckermann

Diese publikation erscheint anlässlich der Ausstellung
»Neue Realitäten. fotoGrafik von Warhol bis Havekost«
Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin
10. Juni bis 9. Oktober 2011
galerie Stihl Waiblingen
18. februar bis 27. Mai 2012
Ausstellung und Katalog
Andreas Schalhorn
Verlagsredaktion
Julia frohnhoff
lektorat
ulrike Bleicker-Honisch
Hella Neukötter
grafik
Martina Zelle
gesamtherstellung
Wienand Verlag, Köln
www.wienand-verlag.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-88609-704-3 (Museumsausgabe)
ISBN 978-3-86832-061-9 (Buchhandelsausgabe)
© 2011 Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung preußischer Kulturbesitz,
Wienand Verlag, Köln, und die Autoren
Ausstellung in Berlin
Direktion
Heinrich Schulze Altcappenberg
Ausstellungskonzeption
Andreas Schalhorn
Ausstellungssekretariat
Ira fröhlich, Mara Johanna Weiß
Restaurierung/Rahmung
udo Schade
Bildredaktion
Andreas Heese, Bildarchiv preußischer Kulturbesitz
Ausstellungsaufbau
Marion Stenzel, Bettina gojowczyk, thomas Schreiber, Ingo Valls,
Michel Hansow, christian liehm
Beleuchtung
Reiner Reis
www.kupferstichkabinett.de
www.smb.museum
www.museumsshop.smb.museum
Ausstellung in Waiblingen
leitung
Ingrid-Sibylle Hoffmann
Ausstellungskonzeption
Ingrid-Sibylle Hoffmann, Zara Reckermann
Ausstellungsaufbau
Stefan Heuer, Jürgen griesheimer
Ausstellungssekretariat
Stephanie Hansen, Doris Orgonas
www.galerie-stihl-waiblingen.de
fotonachweis
Archiv Hubertus Butin: S. 55 (rechts), 58, 62; Archiv gerhard Richter:
S. 55 – 57; Artax Kunsthandel Kg, Düsseldorf: S. 69; Martin Borowski, Berlin:
S. 80; Johan Deumens, Haarlem: S. 77; Edition copenhagen, Kopenhagen:
S. 78, 79, 86, 87; Edition René Block, Berlin: S. 37; galerie Niels Borch
Jensen, Berlin: S. 24, 25; Werner lieberknecht, Dresden: S. 74, 75, 76;
Jochen littkemann, Berlin: S. 6 (unten), 10, 13, 16, 17, 63, 82.
Alle übrigen Aufnahmen der publikation erstellten Volker-H. Schneider, Berlin,
und Jörg p. Anders, Berlin.
Bildnachweis
für die Werke von Bernd & Hilla Becher: © Hilla Becher, Düsseldorf;
Marcel Duchamp: © Succession Marcel Duchamp/Vg Bild-Kunst, Bonn
2011; Eberhard Havekost: © der Künstler und galerie gebr. lehmann,
Dresden/Berlin; R. B. Kitaj: © the Estate of R. B. Kitaj/Marlborough gallery,
New York; Sigmar polke: © the Estate of Sigmar polke/Vg Bild-Kunst, Bonn
2011; Robert Rauschenberg: © Estate of Robert Rauschenberg/Vg
Bild-Kunst, Bonn 2011; Dieter Roth: © Dieter Roth foundation, Hamburg;
Al taylor: © the Estate of Al taylor/David Zwirner, New York; Andy Warhol:
© 2011 the Andy Warhol foundation for the Visual Arts, Inc./Artists Rights
Society (ARS), New York
für die Werke von christiane Baumgartner, christian Boltanski, Kp Brehmer,
Marcel Broodthaers, Hans-peter feldmann, Richard Hamilton, carsten Höller,
Jasper Johns, thomas Kilpper, Roy lichtenstein, Michael Morgner, Eduardo
paolozzi, Mel Ramos, peter Sorge, Klaus Staeck, Rosemarie trockel, Wolf
Vostell: © Vg Bild-Kunst, Bonn 2011
für alle übrigen Werke liegen die Bildrechte bei den Künstlern bzw. deren
Rechtsnachfolgern. Der Verlag und die Autoren haben sich bemüht, alle
Rechteinhaber ausfindig zu machen. Eventuell bestehende Ansprüche werden
selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
umschlagabbildungen: carsten Höller (Kat. 31, vorne),
Kai Schiemenz (Kat. 54, hinten)
frontispiz: Jan Svenungsson (Kat. 58)
iNhalt
7 HeinricH ScHulze AltcAppenberg
DAS KupfERStIcHKABINEtt:
EIN ORt DES MEDIENDISKuRSES
11 AndreAS ScHAlHorn
NEuE REAlItätEN.
fOtOgRAfIScHE BIlDER IM MEDIuM DER DRucKgRAfIK
47 HubertuS butin
EINE »SüNDE WIDER DEN gEISt DER gRApHIK«?
Der Offsetdruck und seine unterschätzten Möglichkeiten
83 zArA reckermAnn
Zu DEN DRucKgRAfIScHEN VERfAHREN
90 literAtur
92 kAtAlog der AuSgeStellten Werke

RIcHARD HAMIltON i‘m Dreaming of a White christmas 1967 (Kat. 20)
RIcHARD HAMIltON i‘m Dreaming of a black christmas 1971 (Kat. 21)
Das KupFeRstichKabiNett:
6 7
eiN ORt Des
meDieNDisKuRses
Vor 30 Jahren griffen Alexanders Dückers im Kupferstichkabinett
Dahlem (Druckgraphik. Wandlungen eines Mediums seit 1945)
und Anita Kühnel im Kupferstichkabinett auf der Museumsinsel
(Das Photo in der Graphik. Montagen – Adaptationen – Korrespondenzen)
das Thema Fotografie in der Druckgrafik in zwei
Ausstellungen auf. Was damals – motiviert von den Impulsen der
Konkreten Kunst, der Pop Art, Optical Art und Concept Art sowie
den technischen Möglichkeiten der Serigrafie und diverser Rasterdruckverfahren
– zum Ende des ersten, von Walter Benjamin
angestoßenen Mediendiskurses der Moderne offensichtlich systemübergreifend
hoch interessant erschien, das wird in der diesjährigen
Sommerausstellung des seit 20 Jahren wiedervereinigten Berliner
Kupferstichkabinetts vor dem Hintergrund des »digital turn« und
neuerer Diskussionen zu aktualisieren sein. Es ist seit langem die
erste Ausstellung zu diesem spannenden Thema in Berlin – und
überhaupt im deutschen Sprachraum.
Bekanntermaßen ist das, was wir heute »Mediendiskurs in den Künsten«
nennen und mit bildgebenden grafischen Verfahren assoziieren,
kein wirklich neues Phänomen. Dieser Diskurs ist seit Erfindung
der Druckgrafik um die Mitte des 15. Jahrhunderts in der künstlerischen
Praxis, bald auch in der Theorie und Kritik, später in der
musealen Arbeit virulent. Denn mehr als andere Gattungen, ja selbst
mehr als die hochmobile Zeichnung war die Druckgrafik in ihren
mit der Zeit feinstens ausgebildeten Verästelungen des Hoch-, Tiefund
Flachdrucks »das« Medium der Bildkommunikation in Europa.
Vor der Folie einer so reichen und bis heute zunehmend reflektierten
Geschichte haben sich die technische und künstlerisch-ästhetische
Einbindung auch neuer Medien wie der klassischen Fotografie und
des Films, in jüngerer Zeit auch der unmittelbare Ausdruck digitaler
Bildvorlagen oder gar nur ihr flüchtiger »Abdruck« auf dem Bildschirm
als zusätzliche Varianten der grafischen Künste etabliert.
Natürlich ist der Mediendiskurs nicht nur an Grafischen Sammlungen
beheimatet, sondern auch an anderen Forschungs-, Bildungsund
Lehreinrichtungen, in Gelehrtenstuben und Künstlerateliers.
Das Museum aber hat das einzigartige Privileg und die wunderbare
Aufgabe, die entsprechenden Objekte zu sammeln, auf Dauer zu bewahren
und öffentlich zugänglich zu machen. So rekrutiert sich die
hier vorgestellte Auswahl fast ausschließlich aus den Beständen des
Berliner Kupferstichkabinetts. Die maßgeblichen Konvolute insbesondere
an nordamerikanischer, aber auch deutscher Druckgrafik
der 1960er- bis 1990er-Jahre konnte mein Vorgänger im Amt, Alexander
Dückers, mit ebenso großer Passion wie Kennerschaft zusammentragen.
Bedeutende Zuwächse der letzten Zeit verdanken
sich in erster Linie dem privaten Engagement: den Schenkungen
von Hans + Uschi Welle (vermittelt von Clemens Fahnemann), der
Sammlung Paul Maenz Gerd de Vries (vermittelt von Erika Hoffmann),
der Sammlung der Schering Stiftung im Kupferstichkabinett
und den Erwerbungen der Graphischen Gesellschaft zu Berlin –
Vereinigung der Freunde des Kupferstichkabinetts e.V. Ein überaus
verlässlicher Partner, die Kulturverwaltung des Landes Berlin
und deren Förderkommission, half uns, bedeutende Erwerbungen
mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie Berlin zu tätigen.
Aus dem Kreis der engen Freunde des Hauses unterstützten das
Vorhaben in großartiger Weise Wolfgang Wittrock (Berlin), dessen
Schenkung von 30 Editionen Sigmar Polkes im Jahr 2007 Ausgangspunkt
und Anregung für Buch und Ausstellung war, und Hubertus
Butin (Berlin) durch den kompetenten fachlichen Austausch
und mit seinem Textbeitrag. Unser Dank geht ferner an die Autorin
Zara Reckermann (Waiblingen) und die Galerie Stihl Waiblingen
mit ihrer Leiterin Ingrid-Sibylle Hoffmann, welche die Präsentation
im Rahmen einer ausbaufähigen Kooperation 2012 übernimmt.
Die professionelle und engagierte Betreuung durch den Wienand
Verlag, hier besonders Julia Frohnhoff und bezüglich der Gestaltung
Martina Zelle, garantierte das gute und schöne Buch.
Ein weiterer Dank gebührt dem Medienkünstler Rozbeh Asmani,
der zusammen mit Studenten der Hochschule für Grafik und Buchkunst
in Leipzig – dankenswerterweise vermittelt durch Katrin von
Maltzahn – eine medienreflexive Dokumentation zum Verfahren
der Fotogravüre erstellte, welche unsere Ausstellung begleitet.
Mein Respekt gilt allen, die am Berliner Kupferstichkabinett in
das Projekt involviert waren: Andreas Heese (Bildbeschaffung), Ira
Fröhlich (Sekretariat), Mara Weiß (Ausstellungsorganisation) und
besonders Udo Schade, dem langjährigen Restaurator der Moderne
am Haus, der zum Ende des Jahres in den Ruhestand treten
wird. Und natürlich meinem Kollegen Andreas Schalhorn, dem Referenten
für die moderne und zeitgenössische Kunst am Kabinett.
Er zeichnet nicht nur für die Qualität von Ausstellung und Buch
verantwortlich, sondern auch für die Entwicklung des Sammlungsprofils
in den letzten Jahren. Mit der Entscheidung für Themenausstellungen,
die kontext- und anlassbezogen auch monografische
Akzente aufweisen können, war immer die Aufgabe verbunden, gezielt
auf das jeweilige Vorhaben hin zu erwerben. So gehen der Auftrag
des Sammelns, des Forschens, der öffentlichen Ausstellung und
des Einmischens in den zeitgenössischen Diskurs Hand in Hand.
Das ist Andreas Schalhorn mit seinen Neuerwerbungen, Studien
und Präsentationen etwa zu »Wittgenstein in New York«. Stadt
und Architektur in der neueren Kunst auf Papier (2005), Based on
Paper. Die Sammlung Marzona (2007) oder Vom Esprit der Gesten.
Hans Hartung, das Informel und die Folgen (2010) und nun
mit den Neuen Realitäten hervorragend gelungen.
HEINRIcH ScHulZE
AltcAppENBERg

Kp BREHMER aufsteller 25 1967 (Kat. 11)
tischen Malerei mit größter Radikalität der Neukonstitution fotografisch
erfasster Figuren- und Landschaftsmotive, die nun aus einzelnen
»Lichtpunkten« gleichsam pointillistisch aufgebaut werden
(Abb. S. 10). Das farbige Foto (in seiner Projektion als Diapositiv)
wird in eine ganz neue Bildwirklichkeit überführt.
Die in Ausstellung und Katalog vorgestellten druckgrafischen
Werke aus den Beständen des Berliner Kupferstichkabinetts, die nur
eine Auswahl darstellen9 , lassen erkennen, dass sich die einzelnen
Künstler mit dem verwendeten, teils vorgefundenen, teils eigens angefertigten
Fotomaterial zum einen auf einer formal-ästhetischen
Ebene auseinandersetzen. Zum anderen aber greifen sie auch auf
die Inhalte dieser Bilder zurück, die über die druckgrafische Aufbereitung
neue Sichtbarkeit und Bedeutung erlangen.
Die FotoGrafik lässt sich im weitesten Sinne als aneignendes Medium
begreifen, das fotografische Bilder in der Reproduktion verändert
und über die weitere künstlerische Bearbeitung neu konfiguriert.
Beispielhaft und in Form eines Streifzuges soll dieses Vorgehen
im Folgenden verdeutlicht werden. Da sich viele der Arbeiten trotz
aller stilistischen und technischen Unterschiede bestimmten Themengruppen
(Porträt, Ereignisbild), Funktionen und Fragestellungen
zuordnen lassen, bietet es sich an, sie anhand dieser Aspekte
auf ihren künstlerischen Gehalt hin zu untersuchen, ohne dabei nur
eine Drucktechnik zu fixieren. Im Gegenteil macht erst der Kontrast
etwa zwischen einem Siebdruck und einer Heliogravüre die
einem Druckverfahren immanenten Möglichkeiten deutlich. Auf
diese Weise werden die unterschiedlichen Grade der Veränderung
des Fotomaterials sichtbar – und deren neuer Realitätsgrad in der
Druckgrafik. Denn FotoGrafiken sind nur in den seltensten Fällen
– darin dem Poster oder Kunstdruck vergleichbar – allein hochwertige
Editionen, die der Reproduktion dienen wie etwa bei Bernd
und Hilla Becher oder Eduardo Paolozzi (Abb. S. 89, 30 – 31).
Dabei kommen folgende Strategien der Bearbeitung fotografischer
Bilder in der Druckgrafik zum Einsatz: Unschärfe, Raster, Vergrößerung,
Fragmentierung, Collagierung und farbliche Veränderung.
Zu letztgenannter Strategie gehört etwa auch die im Druck erfolgende
Rückübersetzung eines Fotos in sein Negativ, wie etwa Rosemarie
Trockels Siebdruck Frottee (Abb. S. 70) bezeugt. Das Alltäglich-Häusliche,
das sich in der Wäsche an der Leine manifestiert,
kippt hier ins Unheimliche, die Realität wird befremdlich.
Eine wichtige Option, die Strategien der druckgrafischen Bearbeitung
fotografischen Materials aufzuzeigen und zu variieren, stellt übrigens
die Serie dar – eine Werkform, die sich in der Druckgrafik auch in
Gestalt des Mappenwerks häufig findet (vgl. Abb. S. 17, 28 – 29).
pORtRäts: Das Gesicht als pROjeKtiONsFläche
Die Printmedien der Konsumgesellschaft lieferten der Pop Art das
Fundament für die Erstellung von Gemälden, Objekten und druckgrafischen
Arbeiten. Die Faszination für das triviale Bildmaterial
aus vor allem US-amerikanischen Zeitschriften und Comics belegen
die frühen Collagen von Eduardo Paolozzi, einem der Protagonisten
der britischen Pop Art, die er 1950 zusammenstellte und 1972 in
dem Mappenwerk Bunk (übersetzt Quatsch) in Form von aufwändigen,
auf farbige Papiere montierten Reproduktionen (Siebdruck
und Lithografie) veröffentlichte (Abb. S. 30 – 31). Sie dienten ihm
auch als Inspirationsquelle für weitere druckgrafische Arbeiten, die
im Laufe der 1960er-Jahre entstanden.
Der Einsatz von Bildmaterial aus den Printmedien findet sich auch
bei Andy Warhol, der seine Karriere in New York in den 1950er-
Jahren als Werbegrafiker begonnen hatte. 1964 schuf er mit dem
Porträt von Elizabeth Taylor (Liz) seinen ersten Siebdruck auf Papier,
der sich einer Prominenten seiner Zeit widmet. Drei Jahre später
entstand die zehnteilige Siebdruck-Folge der Marilyns (Abb. S. 32,
34 – 35). Sie basiert auf einem Schwarzweißfoto Marilyn Monroes
von Gene Kornman aus dem Jahr 195210 , das von Warhol auf einen
quadratischen Ausschnitt reduziert wurde. 1962 hatte er das Motiv
erstmals zur Anfertigung mehrerer Siebdruckbilder auf Acryl und
Leinwand genutzt, welche das Gesicht der in diesem Jahr aus dem
Leben geschiedenen US-amerikanischen Schauspielerin darstellen –
teilweise auch mittels serieller Reihungen. Warhol ließ seine Folge
von zehn mehrfarbigen Siebdrucken der Marilyn von seiner Factory
ausführen, war also nicht manuell involviert. Der farbige Expressionismus,
der die Serie auszeichnet, ist ein konzeptueller, geplanter
Akt. Das Gesicht des zur Ikone gewordenen Sex-Idols, das 1953 das
Cover des ersten Playboy geziert hatte, wird von Warhol jeweils neu
eingefärbt und damit verfremdet. Für jeden Druck wurden mehrere
Siebe verwendet, die als Schablonen miteinander kombiniert wurden,
sodass verschiedene, interagierende Farbflächen entstehen, die
der Monroe (aber auch dem quadratischen Bildfeld als solchem)
als »Schminke« dienen – das künstliche Muttermal der Monroe
eingeschlossen. Das Gesicht wird für Warhol zum Ausgangspunkt
farbiger Manipulationen, die sich beliebig fortführen ließen. Es entstehen
maskenhafte Setzungen, welche die Monroe wie eine Ware
immer wieder neu verpacken.
Warhol setzte mit dem Bild der Schauspielerin Monroe zwar motivisch
auf einen der in den Medien gefeierten Stars seiner Zeit.
Gleichwohl will er mit seinen posthum erschienenen Marilyns, die
der Werkgruppe der Todesbilder zugerechnet werden, keinen Starkult
betreiben: »Ich finde nicht, dass ich auf einigen meiner Bilder
– etwa auf denen von Marilyn Monroe oder Elizabeth Taylor
– die großen Sexsymbole unserer Zeit darstelle. Für mich ist die
Monroe nichts anderes als eine Person unter vielen. Und was die
Frage angeht, ob es ein symbolischer Akt ist, die Monroe in derart
grellen Farben zu malen, so kann ich nur sagen: Mir kam es auf die
Schönheit an, und sie ist schön; und wenn etwas schön ist, dann
sind’s hübsche Farben. Das ist alles. So oder ähnlich verhält sich
die Geschichte.« 11
Der weibliche Körper als sexualisiertes Kaufargument wurde in der
Druckgrafik der Pop-Ära, die an der Wirklichkeit der Bilder und
Produkte der Konsumwelt ansetzte, mehr oder minder affirmativ
aufgegriffen, wie die beiden Siebdrucke von Mel Ramos (Abb. S. 33)
und KP Brehmer (Abb. S. 14) belegen. Beide Werke beruhen auf der
fotomechanischen Adaptation von Bildern aus der Werbung. Bei
Ramos kommt als Besonderheit hinzu, dass er bei der Schaffung der
Grafik auf eines seiner Gemälde zurückgriff. 12 Sein Werk entstand
im Kontext eines zweiteiligen Mappenwerks mit Arbeiten von elf
Pop-Art-Künstlern, das der US-amerikanische Tabakkonzern Philip
Morris herausgab. Das Verhältnis zur Werbung und dem beworbenen
Produkt ist dementsprechend als unkritisch zu begreifen – die
Rolle der Frau inklusive.
KP Brehmer, wie Sigmar Polke und Gerhard Richter ein Vertreter
des Kapitalistischen Realismus, nutzte als gelernter Drucker in den
frühen 1960er-Jahren vor allem den Lichtdruck, bei farbigen, plakativer
angelegten Arbeiten später jedoch auch den Siebdruck und
den Linolschnitt. Er betont den Warenbezug seiner Arbeit dadurch,
dass er sie als »Aufsteller« konstruiert, mit dem verschiedene Samentütchen
scheinbar zum Verkauf angeboten werden. Allerdings
korrespondieren diese Waren keineswegs mit dem frivolen Motiv
einer Zigarre rauchenden Frau samt dazugehörigem Slogan, die
15
ANDREAS ScHAlHORN

RONAlD B. KItAJ
What is a comparison? 1964 – 67 (Kat. 35)
RONAlD B. KItAJ Go and Get Killed comrade –
We Need a byron in the movement 1964 – 67 (Kat. 34)
29

34 35
ANDY WARHOl marilyn 1967 (Kat. 67)

48 dahingestellt, ob sich der Künstler mit den dargestellten Bettlern
als gesellschaftlichen Außenseitern in ihrer prekären und ungesicherten
Situation ein Stück weit identifizierte oder ob er vor allem
den Umgang unserer Gesellschaft mit den Armen und Obdachlosen
reflektieren wollte. Zumindest medientechnisch kann festgehalten
werden, dass die Blätter auf eigenen Fotografien von Polke basieren,
dass der Druck im Offsetverfahren auf edlem Karton erfolgte und
die Motive trotzdem eine spezifisch trashige Erscheinung aufweisen:
Sie zeigen Flecken, Fusseln, Kratzer, Unschärfen, Unterbelichtungen
und Solarisationen 10 , die teils bei der Aufnahme der Motive oder
bei der Belichtung des Fotopapiers im Labor entstanden und teils
im chemischen Entwicklerbad hervorgerufen wurden. Die Effekte
der Verunklärung und Auflösung der Motive konnte der Künstler
bei einer hohen Auflage am besten im Offsetverfahren reproduzieren,
was die Verwendung dieser Technik plausibel erscheinen lässt.
Zwar lebt auch die Fotografie von der Serie, von der Möglichkeit
mehrerer Abzüge, doch die identische Wiederholung etwa der Solarisationen
im dritten Motiv der Reihe wäre in einer Fotoedition
kaum möglich gewesen.
III. DIe VIsualItät Des RasteRpunktes
Die berühmteste und bedeutendste Druckgrafik Sigmar Polkes gab
der Galerist August Haseke 1967 in seiner Galerie h in Hannover
heraus. Mit dem gesellschaftspolitischen Impetus einer Demokratisierung
der Kunst bot er damals den schwarz-weißen Offsetdruck
Freundinnen I für nur 40 DM an (Abb. S. 54). Das Motiv geht auf
eine kleine Zeitungsabbildung im Offsetverfahren zurück, die der
Künstler fotografiert hatte, um davon einen sehr stark vergrößerten
Papierabzug11 herzustellen, der dann wiederum im Offsetdruck reproduziert
wurde. Martin Hentschel meint, dass die originale Vorlage
»ein Ausschnitt aus einer Reklame« 12 , »eine Offerte neuer Bademode«
13 sei, was sich jedoch als unwahrscheinlich herausgestellt
hat. Wie sich August Haseke kürzlich erinnern konnte, 14 handelt
es sich bei der blonden Frau links im Bild um Elke Sommer, was
diese in Los Angeles mittlerweile bestätigt hat. 15 Sommer war in den
1960er-Jahren eine erfolgreiche Hollywood-Schauspielerin und trat
in ihren Filmen sehr häufig leicht bekleidet auf. Da sie es aufgrund
ihres internationalen Erfolges nicht nötig hatte, Modewerbung zu
machen, scheint es sich bei dem Motiv wohl eher um ein Film Still
zu handeln. Der Titel des Blattes anonymisiert die dargestellten zwei
Frauen allerdings, sodass der grundsätzliche Sachverhalt, dass es sich
um ein Bild aus den Massenmedien handelt, für Polke wohl wichtiger
gewesen ist als die Frage, welche Personen abgebildet sind. 16
Der Künstler hat hier das Offsetverfahren als fotomechanisches
Reproduktionsverfahren eingesetzt, um ganz deutlich werden zu
lassen, dass die Übernahme und Verarbeitung gefundener Bildvorlagen
die Auseinandersetzung mit einer Realität aus zweiter Hand,
also mit einer medial vermittelten Wirklichkeit, bedeutet. Charles
W. Haxthausen hebt treffend hervor, dass Polke, »immer wenn er
sich ein Bild aneignet, auch die Kennzeichen von dessen Reproduktionstechnik
als integralen Bestandteil dieses Bildes übernimmt«. 17 setdrucken allerdings Ausnahmen. Jasper Johns hat zwischen 1971
und 1973 das Offsetverfahren für fotomechanische Reproduktionen
eingesetzt, jedoch nur in Verbindung mit Kreide- und Tuschelithografien,
die den Drucken eine betont malerische Anmutung geben
(Abb. S. 49). Bei anderen Künstlern wie etwa Robert Rauschenberg,
Andy Warhol, Roy Lichtenstein und Ed Ruscha finden sich – wenn
man von Künstlerbüchern und Ausstellungsplakaten absieht – nur
ganz vereinzelt Offsetdrucke. In den 1960er- und 1970er-Jahren
nahm in Europa das Verhältnis zu dieser Drucktechnik auffälligerweise
eine etwas andere Entwicklung. Die offsetbasierte Transformation
fotografischer Vorlagen lässt sich bei einigen Künstlern mit
zahlreichen Beispielen belegen: bei Marcel Broodthaers ab 1964, bei
Dieter Roth und Gerhard Richter ab 1966, bei Joseph Beuys, Sigmar
Polke und Richard Hamilton ab 1967 sowie bei Christo ab 1968. Im
Folgenden sollen einige beispielhafte Arbeiten vorgestellt werden.
1972 gaben die Münchener Galeristen Heiner Friedrich und Fred
Jahn von Marcel Broodthaers eine schwarz-weiße Druckgrafik mit
dem Titel Ein Eisenbahnüberfall heraus (Abb. S. 46). Das Blatt zeigt
mehrere kurze Filmstreifen mit Szenen von zwei Männern, die neben
einem Zug stehen oder verdächtig an Bahngleisen hantieren.
Unter den Abbildungen werden in einem Textstreifen Titel, Regisseur,
Darsteller, Kamera und Produktion genannt. Der Titel spielt
auf den berühmten US-amerikanischen Film Der große Eisenbahnraub
von 1903 an, der als der erste Western der Filmgeschichte
gilt. Im Stil erscheint Broodthaers’ Offsetdruck allerdings wie ein
artifizielles Kinoplakat des Film noir. Seinen Film hat es in Wirklichkeit
nie gegeben, denn die Druckgrafik als Plakat ist ein Fake.
Der Drucktechnik kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da
sie auf perfekte Weise auf eine filmische Arbeit verweist, deren Existenz
durch das Blatt überzeugend vorgetäuscht wird.
1976 und 1977 produzierte Hans-Peter Feldmann 21 schwarz-weiße,
unbetitelte Drucke im Offset- und einige im Siebdruckverfahren,
die anschließend in der Kölner Galerie von Paul Maenz und Gerd
de Vries ohne Rahmen an die Wand gehängt wurden. Die fotografischen
Motive sind vor allem Liebespaare, Sonnenuntergänge,
Blumenwiesen, Palmenstrände, Tierbabys, Schloss Neuschwanstein
und ein junges Mädchen, das sich Ballettschuhe anzieht. Die Galeristen
nannten die Blätter aufgrund der sentimentalen, ja kitschigen
Inhalte und Ästhetik Sonntagsmotive
.
Bei den Freundinnen I wird dies sofort sichtbar durch die das Bild
konstituierenden Elemente: die unterschiedlich großen, schwarzen
Punkte. Sie bildeten in der Zeitung das Raster, das notwendig war,
um die fotografische Vorlage in eine Druckform übertragen zu
können. Die Tonwerte des Halbtonbildes wurden dabei in einzelne
Punkte zerlegt, die im Druck das Bild entstehen ließen und mehr oder
weniger weiche Übergänge zwischen Hell und Dunkel erzeugten.
9 (Abb. S. 52 und 53).
Feldmann hatte sie von banalen Postern oder Kalenderblättern
übernommen. Indem solche sehr verbreiteten Motive in sprödem
Schwarz-Weiß reproduziert und im Kunstkontext platziert wurden,
konnten sie zu anschaulichen Objekten der Reflexion werden. Die
höchst stereotypen Bildformen besitzen einen penetrant affirmativen
Charakter und bedienen somit spezifische gesellschaftliche
Sehnsüchte. Sie sind aufgrund ihrer allgemeinen Lesbarkeit Teil unseres
kollektiven Bewusstseins, wodurch ihnen eine große kulturelle
Definitionsmacht zukommt. Die zum Teil grob gerasterten und somit
billig wirkenden Blätter betonen das Prinzip des Reproduktiven
sowohl in Bezug auf die Druckgrafik als auch auf die Populärkultur,
in der solche Motive in riesigen Auflagen hergestellt wurden.
Unter den deutschen Künstlern sind es vor allem Sigmar Polke und
Gerhard Richter, die sich seit Mitte der 1960er-Jahre besonders intensiv
und nachhaltig mit dem Offsetverfahren auseinandergesetzt
haben. So produzierte Polke 1972 eine Reihe von vier ein- und
zweifarbigen Druckgrafiken, die Klaus Staeck in Heidelberg unter
dem Titel Kölner Bettler I – IV herausgab (Abb. S. 50, 51). Es sei Jasper Johns Decoy 1971 (kat. 32)

hans-peter Feldmann
Ohne titel (Ballerina) 1976 – 77 (kat. 18)
hans-peter Feldmann
Ohne titel (Wasserfall) 1976 – 77 (kat. 17)
53

Die Darstellung und Thematisierung des Druckrasters ist in der
Kunst der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts ein fester Topos und
wurde etwa von Sigmar Polke – der sich damit besonders intensiv
auseinandersetzte – keineswegs erfunden, sondern gleichzeitig auch
von vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen praktiziert. Bereits
1932 stellte Kurt Kranz am Dessauer Bauhaus mit einer Repro-
Kamera ein Selbstportrait mit einem sehr groben Punktraster her
(Abb. unten). Hier verselbstständigen sich die Punkte fast gänzlich
zu autonomen Bildelementen und lassen nur noch aus einem gewissen
Abstand das Gesicht des Künstlers erkennen. 1945 und 1946
griff Marcel Duchamp dieses Prinzip auf, als er die Umschläge für
einen Ausstellungskatalog von Man Ray (Abb. S. 58) und für einen
Gedichtband von André Breton entwarf. 18 54
Als Zeitgenossen Polkes,
die in den 1960er-Jahren in ihren Druckgrafiken den Rasterpunkt
ebenfalls deutlich visualisiert haben, sind in England etwa Harold
Cohen, Gerald Laing, Eduardo Paolozzi, Colin Self und Joe Tilson
zu nennen, in Frankreich Alain Jacquet, in den USA Jim Dine und
Roy Lichtenstein sowie in Deutschland Gerhard Richter, KP Brehmer
und Wolf Vostell.
55
sigmar polke freundinnen I 1967 (kat. 40)
gerhard richter elisabeth II 1966
Je feiner ein Raster ist, umso größer wird der Umfang der Tonwerte
und umso besser wird die Wiedergabe der Details. Eigentlich soll
dieses technische Mittel als bildnerischer Darstellungsmodus nicht
sichtbar sein. Doch durch Polkes starke Vergrößerung des Motivs
im Offsetdruck sind die Rasterpunkte der ursprünglichen Vorlage
nun unübersehbar geworden.
Die eigene Visualität des Druckrasters wird bei Gerhard Richters
Offsetdruck Elisabeth II von 1966 auf andere Weise vermittelt
(Abb. oben). Der Künstler nahm das Motiv der amtierenden englischen
Königin aus einer Zeitung mit einem unscharf eingestellten
Kameraobjektiv auf und reproduzierte das Foto anschließend mit
zwei versetzten Druckplatten im Offsetdruck. Somit erscheint die
Dargestellte leicht verdoppelt und die weichzeichnende Unschärfe
wird noch verstärkt. Vor der Belichtung der Druckplatten hatte
Richter die Lithofilme so überlagert beziehungsweise verschoben,
dass das feine Raster des Offsetdrucks in sich ein gitterartiges Muster
aufweist. Bei einer normalen Reproduktion gilt ein solches als Moiré
bezeichnetes Raster als Fehler, als drucktechnisch unerwünschtes
Malheur. Richter hingegen setzt das Moiré als bewusstes künstlerisches
Mittel ein, um die optische Auflösung der Figur zu verstärken
und gleichzeitig das normalerweise nicht sichtbare Raster als die
drucktechnische Grundvoraussetzung des Bildes zu betonen.
In ihrer Offenheit der Form changieren die Freundinnen I- und
Elisabeth II- Grafiken zwischen gegenständlichem Abbild und fast
abstraktem Bild. Diese visuelle Ambivalenz von illusionistischer
Darstellung auf der einen Seite und Eigenwertigkeit der bildnerischen
Mittel auf der anderen Seite lässt die Konstruiertheit und
Scheinhaftigkeit von Bildern der Massenmedien deutlich werden.
Somit können Polkes und Richters Blätter als sinnliche Reflexionen
der Wahrnehmungsbedingungen von gedruckten Fotografien aufgefasst
werden. Dabei ist die künstlerisch eingesetzte Technik des
Offsetverfahrens die Bedingung für das demonstrative Sichtbarwerden
der jeweils spezifischen Rasterästhetik mit ihren großen Punkten
oder mit dem Effekt des Moiré.
IV. DIe RaffInesse OptIscheR täuschungen
Seit Mitte der 1960er-Jahre setzt Gerhard Richter für seine Druckgrafiken
ausschließlich fotomechanische Reproduktionstechniken
ein: Offsetdruck, Siebdruck, Heliogravüre und Lichtdruck. Damit
hat er – wie auch die genannten Künstlerkollegen – den Gegensatz
von industrieller Technik und künstlerischer Handarbeit untergraben.
Außerdem wurden auf diese Weise die traditionellen Vorstellungen
von Autonomie, Authentizität und Originalität hinterfragt
und der Produktionsprozess entmystifiziert. Denn eine betont subjektzentrierte
Handschrift mit ihrem individuellen Ausdruckswert,
wie man sie von der Kaltnadelradierung oder vom Holzschnitt kennt,
wird hier verweigert, zumal Richters Druckgrafiken meist auf fotografischen
Vorlagen basieren, die die genannten Reproduktions-
kurt kranz selbstportrait 1932 hubertus butin

66 67
al taylor shrunken head 1995 (kat. 62)
al taylor Brigitte 1995 (kat. 62)