Sprache, Kommunikation und Wissenserwerb im Chemieunterricht

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• Recherche und Bewertung von Informationen,• eigene Darstellung und Argumentation,• Übersetzung von Fachsprache und Alltagssprache unterBeachtung von Situation und Adressaten• sowie Kooperation !TeamworkBesonders die ersten drei Untergruppen erfordern Kenntnissevon domänenspezifischen Formen und Normen, etwa vomAufbau eines Graphen, einer Formel oder eines Fachtextes.Gezielte Kompetenzentwicklung ist hier von Beginn an notwendig,die notwendigen Modelle und Ansätze blieben aberbisher überschaubar.Was die Fachsprache imChemieunterricht ausmachtDie Zielstellungen der Bildungsstandards für den KompetenzbereichKommunikation verweisen ausdrücklich aufden besonderen Charakter der Fachsprache im naturwissenschaftlichenUnterricht. Sieht man von der speziellen Syntaxvon dargebotenen Informationen in der Chemie (und ihrenNachbarfächern) ab, also vom vorherrschenden Nominalstil,von zahlreichen Passivkonstruktionen und substantiviertenVerben, dann fällt zunächst die häufige Verwendung von"diskontinuierlichen Texten" auf, also die Kombination vongeschriebenem Text und grafischen Elementen unterschiedlichsterArt. Das "Lesen" solcher Informationen erfordert einHin- und Herspringen zwischen den einzelnen Elementen,nur so erschließt sich der Informationsgehalt.Jedes einzelne grafische Element hat zudem seine spezifischenEigenschaften. So rekurrieren Skizzen teils auf realeVerhältnisse, teils auf Modellvorstellungen. Nicht selten werdendie verschiedenen Ebenen dabei vermischt, sodass eineInterpretation gleich die Beherrschung mehrerer Darstellungs­Codes notwendig macht.Wie im Beispiel zur Fotosynthese vorgeführt (Abb. 2), werdenoft die unterschiedlichsten Darstellungsebenen miteinanderverknüpft, zusätzlich begriffliche ßilder" benutzt unddiese wiederum ins Verhältnis gesetzt zu weiteren Informationenanderer Art, etwa auf der Ebene chemischer Symbole.Tatsächlich spielen im naturwissenschaftlichen Unterrichtmindestens fünf Ebenen der Darstellung eine wichtige Rolle(Abb.3), nicht immer lassen sie sich allerdings in hierarchischerAbfolge verstehen, wie Leisen dies vorgeschlagen hat[5, S. 8].Die Vielzahl der Codes, in denen im Chemieunterrichteine Information präsentiert werden kann - wenn auch mitje unterschiedlichem Gehalt und unterschiedlicher Tiefe derAussage - führt zu einem zweiten Spezifikum von Fachsprache:Sie erfordert in vielen Fällen die Übersetzung von einerDarstellungsform in eine andere, also domänenspezifischeÜbersetzungsleistungen. Dazu gehören wie oben beschriebenz. B. die Interpretation eines Graphen, die Umsetzungvon im Experiment ermittelten Werten in eine Tabelle undweiter in ein Diagramm, die Ermittlung relevanter Informationenin einem Text und deren Umsetzung in eine Skizzeund umgekehrt, und schließlich - spezifisch für den Chemieunterricht- die "Übersetzung" von Reaktionsgeschehen in2: Verknüpfung unterschiedlicher Darstellungsebenen am Beispiel"Fotosynthese"gegenständliche Ebenemathematische Darstellungsymbolische Darstellungsprachliche DarstellungVerbalspracheFachspracheUnterrichtssprache. Alltagssprachebildliche Darstellunggegenständliche Darstellungnonverbale Sprache3: Für den naturwissenschaftlichen Unterricht bedeutsame Darstellungsebenen[5, S. 8]Wort- und Formelgleichungen. Während es für das Aufstellenvon Reaktionsgleichungen selbstverständlich erscheint, dassdie entsprechenden Kompetenzen ohne gezieltes Üben nichtaufgebaut werden können, ist dies für die anderen "Übersetzungsleistungen"oft nicht im Bewusstsein von Lehrkräften.Allerdings müssen nicht nur hinreichend Möglichkeiteneröffnet werden, diesen Wechsel der Darstellungsform angeeigneten Beispielen zu vollziehen und später zu üben, hinzukommenmuss eine Metakommunikation mit den Lernenden,die anband des jeweiligen Falls deutlich macht, welcheß".~.c '"I.cQ.~~~Q.~E~~.~E~uj:s'" "" ClE2EQ.1ö.E©Unterricht Chemie_19_2008_Nr. 106/1077

INFODenken und SpracheWie der Einfluss der Unterrichtskommunikation auf den Wissenserwerbeingeschätzt wird, hat deutlich mit dem eingenommenenStandpunkt zu tun. Abhängig von der Aus derbehaviouristischen Perspektive des frühen 20. Jahrhundertserschienen Denken und Sprache identisch. Für Watson, einenradikalen Vertreter dieser Ansicht (1930), schied eine geistigeAktivität ohne Beteiligung von Sprache grundsätzlich aus.Dem Gegenargument, dass Menschen auch ohne Spracheganz offensichtlich Denkleistungen vollbringen, begegnete ermit der Vorstellung, dass es sich beim Denken im Stillen umsubvokales Sprechen handele. Damit stand er in der Traditionvon W. von Humboldt, der die Sprache als "das bildende Organder Gedanken" bezeichnete.Ein bedeutender Verfechter des Einflusses von Sprache aufmentale Vorgänge war der russische EntwicklungstheoretikerLew Vygotski. Für ihn spielte Sprache bei der Entwicklung einesIndividuums eine große Rolle, ebenso maß er dem individuellenVerbalisieren eine bedeutende Funktion zu (Vygotski 1964).Im Zentrum seiner Theorie standen die mentale Aktivität undderen Beeinflussung durch interne und externe Bedingungen- im Hinblick auf Schule und Lernen sprachliche Instruktionund Kooperation mit einem Partner. Mit seiner Vorstellung voneiner Zone der nächsten Entwicklung (zone of proximal development)begründete er, dass gute Instruktion der aktuellenEntwicklung voraus sein sollte.Aus der psychologischen Lehr-Lernforschung heraus wird seitlangem die Bedeutung des Verbalisierens für das Problemlösenpropagiert. Dörner (1976) konnte zeigen, dass Verbalisierungeneinen strukturierenden Charakter in Problemlösesituationenhaben können. Ähnlich charakterisiert Levina (1981)Verbalisierungen als Hilfsmittel zur Wissensverknüpfung und-u mstru kturieru ng.Kognitionspsychologen betrachten Sprache als Abbild unsererGedanken und umgekehrt vom Denken beeinflusst. Piaget(1970) sah die kognitiven Fähigkeiten als Grundlage vonsprachlicher Entwicklung, da die Sprachentwicklung im Kindesalterder Entwicklung der Kognition nachgeschaltet sei.In dem Maße, in dem Sprache eine Rolle spiele, könne siedie Entwicklung vorantreiben oder erleichtern, das kognitiveWachstum aber selbst nicht bewirken.Auch Anderson (1996) sieht Denken als notwendige Voraussetzungfür die Sprache an. Er argumentiert ähnlich wie Piaget,dass die Fähigkeit zu denken sowohl in phylogenetischer alsauch in ontologischer Hinsicht vor der Sprachfähigkeit auftritt.Für ihn ist Sprache ein Werkzeug unter vielen, um Gedankenmitzuteilen; in dieser Rolle stellt sie Materialien für das Denkenzur Verfügung.Allen beschriebenen Standpunkten ist die Annahme gemeinsam,dass ein enger Zusammenhang zwischen Sprache undDenken besteht und daher Verbalisierungen den Wissenserwerbfördern, indem sie kognitive Prozesse herausfordern.Verbalisierungen sind einerseits für den Sprecher hilfreich, umdurch Fragen, Vermutungen oder eigene SchlussfolgerungenVerstehen und Klarheit über das eigene Denken zu entwickeln.Rückmeldungen oder Kommentare der Lehrperson oder desLernpartners können ebenfalls hilfreich sein, geeignete Konstellationvorausgesetzt. Manchmal genügt es schon, die Dingeauszusprechen und eigene Ideen verbal zu testen, um sieselbst beurteilen zu können. Angenommen wird dabei auch,dass Mitlernende von diesen Verbalisierungen profitieren, dasie durch anders gewählte Formulierungen oder einfach durchWiederholungen von Zusammenhängen ihr eigenes Wissenüberprüfen und ggf. neu strukturieren können.Literatur• Watson, J. B: Is thinking merely the action of language mechanisms? BritishJoumal ofPsychology, 11 (1920), S. 87 -104• Vygotski, L.: Denken und Sprechen. Berlin 1964• Dömer, D.: Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart 1976• Levina, R.: L. S. Vygotsky's ideas about the planning function of speech inchildren. In: J. Wertsch (Hsrg.): The concept of activity in Sovietpsychology.Armonk 1981, S. 279-299• Piaget, J.: Psychologie der Intelligenz. Zürich 1970• Anderson, J. R.: Kognitive Psychologie. Heidelberg 1996Art Tätigkeit damit verbunden ist. "Ihr habt eben, wie es auchein Naturwissenschaftler gemacht hätte, eine Datenreihe ineinen Graphen umgewandelt und seht jetzt, wie man damitwesentliche Veränderungen herausstellen kann." Mit solchenKommentaren wird nicht nur ein Bewusstsein für die eigenensich entwickelnden Kompetenzen geschaffen, sondern auchder Instrumentcharakter von Präsentationsebenen erfahrbargemacht. Unter diesem Blickwinkel kann den Lernenden auchverdeutlicht werden, warum Protokolle bestimmten fachspezifischensprachlichen Normen folgen sollten, und umgekehrt,wie man Fachtexte betrachten muss, ohne sich von derenSprache abschrecken zu lassen.Die Beiträge dieses Heftes -Pragmatische AntwortenMit den skizzierten Charakteristika von Fachsprache im Hintergrundlassen sich jetzt auch die eingangs gestellten Fragennach dem Verhältnis von allgemeiner und bereichsspezifischerLesefähigkeit im Ansatz beantworten. Chemieunterricht kannkein Deutschunterricht sein, grundlegende sprachliche Verständnisproblememüssen in anderen Situationen bearbeitetund überwunden werden. B. Ralle und P. Wlotzka berichtenüber entsprechende kritisch reflektierte Interventionen, diediese These stützen (vgl. S. 62 ff. in diesem Heft). Fehlt das8

• Recherche <strong>und</strong> Bewertung von Informationen,• eigene Darstellung <strong>und</strong> Argumentation,• Übersetzung von Fachsprache <strong>und</strong> Alltagssprache unterBeachtung von Situation <strong>und</strong> Adressaten• sowie Kooperation !TeamworkBesonders die ersten drei Untergruppen erfordern Kenntnissevon domänenspezifischen Formen <strong>und</strong> Normen, etwa vomAufbau eines Graphen, einer Formel oder eines Fachtextes.Gezielte Kompetenzentwicklung ist hier von Beginn an notwendig,die notwendigen Modelle <strong>und</strong> Ansätze blieben aberbisher überschaubar.Was die Fachsprache <strong>im</strong><strong>Chemieunterricht</strong> ausmachtDie Zielstellungen der Bildungsstandards für den Kompetenzbereich<strong>Kommunikation</strong> verweisen ausdrücklich aufden besonderen Charakter der Fachsprache <strong>im</strong> naturwissenschaftlichenUnterricht. Sieht man von der speziellen Syntaxvon dargebotenen Informationen in der Chemie (<strong>und</strong> ihrenNachbarfächern) ab, also vom vorherrschenden Nominalstil,von zahlreichen Passivkonstruktionen <strong>und</strong> substantiviertenVerben, dann fällt zunächst die häufige Verwendung von"diskontinuierlichen Texten" auf, also die Kombination vongeschriebenem Text <strong>und</strong> grafischen Elementen unterschiedlichsterArt. Das "Lesen" solcher Informationen erfordert einHin- <strong>und</strong> Herspringen zwischen den einzelnen Elementen,nur so erschließt sich der Informationsgehalt.Jedes einzelne grafische Element hat zudem seine spezifischenEigenschaften. So rekurrieren Skizzen teils auf realeVerhältnisse, teils auf Modellvorstellungen. Nicht selten werdendie verschiedenen Ebenen dabei vermischt, sodass eineInterpretation gleich die Beherrschung mehrerer Darstellungs­Codes notwendig macht.Wie <strong>im</strong> Beispiel zur Fotosynthese vorgeführt (Abb. 2), werdenoft die unterschiedlichsten Darstellungsebenen miteinanderverknüpft, zusätzlich begriffliche ßilder" benutzt <strong>und</strong>diese wiederum ins Verhältnis gesetzt zu weiteren Informationenanderer Art, etwa auf der Ebene chemischer Symbole.Tatsächlich spielen <strong>im</strong> naturwissenschaftlichen Unterrichtmindestens fünf Ebenen der Darstellung eine wichtige Rolle(Abb.3), nicht <strong>im</strong>mer lassen sie sich allerdings in hierarchischerAbfolge verstehen, wie Leisen dies vorgeschlagen hat[5, S. 8].Die Vielzahl der Codes, in denen <strong>im</strong> <strong>Chemieunterricht</strong>eine Information präsentiert werden kann - wenn auch mitje unterschiedlichem Gehalt <strong>und</strong> unterschiedlicher Tiefe derAussage - führt zu einem zweiten Spezifikum von Fachsprache:Sie erfordert in vielen Fällen die Übersetzung von einerDarstellungsform in eine andere, also domänenspezifischeÜbersetzungsleistungen. Dazu gehören wie oben beschriebenz. B. die Interpretation eines Graphen, die Umsetzungvon <strong>im</strong> Exper<strong>im</strong>ent ermittelten Werten in eine Tabelle <strong>und</strong>weiter in ein Diagramm, die Ermittlung relevanter Informationenin einem Text <strong>und</strong> deren Umsetzung in eine Skizze<strong>und</strong> umgekehrt, <strong>und</strong> schließlich - spezifisch für den <strong>Chemieunterricht</strong>- die "Übersetzung" von Reaktionsgeschehen in2: Verknüpfung unterschiedlicher Darstellungsebenen am Beispiel"Fotosynthese"gegenständliche Ebenemathematische Darstellungsymbolische Darstellungsprachliche DarstellungVerbalspracheFachspracheUnterrichtssprache. Alltagssprachebildliche Darstellunggegenständliche Darstellungnonverbale <strong>Sprache</strong>3: Für den naturwissenschaftlichen Unterricht bedeutsame Darstellungsebenen[5, S. 8]Wort- <strong>und</strong> Formelgleichungen. Während es für das Aufstellenvon Reaktionsgleichungen selbstverständlich erscheint, dassdie entsprechenden Kompetenzen ohne gezieltes Üben nichtaufgebaut werden können, ist dies für die anderen "Übersetzungsleistungen"oft nicht <strong>im</strong> Bewusstsein von Lehrkräften.Allerdings müssen nicht nur hinreichend Möglichkeiteneröffnet werden, diesen Wechsel der Darstellungsform angeeigneten Beispielen zu vollziehen <strong>und</strong> später zu üben, hinzukommenmuss eine Metakommunikation mit den Lernenden,die anband des jeweiligen Falls deutlich macht, welcheß".~.c '"I.cQ.~~~Q.~E~~.~E~uj:s'" "" ClE2EQ.1ö.E©Unterricht Chemie_19_2008_Nr. 106/1077

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