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Vor 10 Jahren vergiftete sich Carsten Hohn († 18) aus Meuselwitz in ...

Vor 10 Jahren vergiftete sich Carsten Hohn († 18) aus Meuselwitz in ...

Vor 10 Jahren vergiftete sich Carsten Hohn († 18) aus Meuselwitz in ...

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36 Report BILD am SONNTAG, 5. Oktober 2008 • •BILD am SONNTAG, 5. Oktober 2008 Report 37<br />

Immer Immer Immer wieder wieder wieder besucht<br />

besucht<br />

besucht<br />

Petra Petra Petra <strong>Hohn</strong> <strong>Hohn</strong> <strong>Hohn</strong> den den den Ort, Ort, Ort, an an an dem dem dem <strong>sich</strong> <strong>sich</strong> <strong>sich</strong> ihr<br />

ihr<br />

ihr<br />

Sohn Sohn Sohn <strong>Carsten</strong> <strong>Carsten</strong> <strong>Carsten</strong> († († († <strong>18</strong>) <strong>18</strong>) <strong>18</strong>) das das das Leben Leben Leben nahm.<br />

nahm.<br />

nahm.<br />

Es Es Es ist ist ist e<strong>in</strong> e<strong>in</strong> e<strong>in</strong> schöner, schöner, schöner, friedvoller friedvoller friedvoller Platz Platz Platz an<br />

an<br />

an<br />

e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>em See See See bei bei bei <strong>Meuselwitz</strong> <strong>Meuselwitz</strong> <strong>Meuselwitz</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>Thür<strong>in</strong>Thür<strong>in</strong>gen.gen.gen.<br />

E<strong>in</strong> E<strong>in</strong> E<strong>in</strong> Bild Bild Bild ihres ihres ihres Sohnes Sohnes Sohnes trägt trägt trägt sie<br />

sie<br />

sie<br />

auch auch auch an an an ihrer ihrer ihrer Halskette<br />

Halskette<br />

Halskette<br />

Gedicht für<br />

me<strong>in</strong>en<br />

toten Sohn<br />

´<br />

Nie mehr höre ich de<strong>in</strong> Lachen<br />

Nie mehr kann ich mit dir reden<br />

Nie mehr kann ich dich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Arme nehmen<br />

Nie mehr darf ich mich um dich sorgen<br />

Nie mehr darf ich für dich geradestehen<br />

Nie mehr mit dir albern, glücklich se<strong>in</strong><br />

Nie mehr<br />

Du, me<strong>in</strong> Sohn, bist tot<br />

Warum?<br />

Nie mehr werde ich es erfahren<br />

Gedicht von Petra <strong>Hohn</strong> für ihren Sohn <strong>Carsten</strong><br />

FOTOS: HOLM RÖHNER, PRIVAT<br />

E<strong>in</strong> Sohn br<strong>in</strong>gt <strong>sich</strong> um.<br />

Wie überlebt das<br />

Herz der Mutter?<br />

<strong>Vor</strong> <strong>10</strong> <strong>Jahren</strong> <strong>vergiftete</strong> <strong>sich</strong> <strong>Carsten</strong> <strong>Hohn</strong> († <strong>18</strong>) <strong>aus</strong> <strong>Meuselwitz</strong> <strong>in</strong><br />

Thür<strong>in</strong>gen mit Abgasen <strong>aus</strong> se<strong>in</strong>em roten Golf. E<strong>in</strong> Jahr später verlor<br />

se<strong>in</strong>e Mutter <strong>aus</strong> Schmerz ihr Baby. Die Ehe stand auf der Kippe.<br />

In erzählt Petra <strong>Hohn</strong> vom langen, schweren Weg durch die Trauer<br />

Von STEPHAN SEILER und<br />

HOLM RÖHNER (Fotos)<br />

Es war kalt und diesig <strong>in</strong> dieser<br />

Novembernacht. Und hell. Vollmond.<br />

<strong>Carsten</strong> (<strong>18</strong>) saß auf dem<br />

Fahrersitz se<strong>in</strong>es roten Golf und<br />

blickte noch e<strong>in</strong>mal über den kle<strong>in</strong>en<br />

Waldsee bei <strong>Meuselwitz</strong>, sah<br />

die alten L<strong>in</strong>den, das dichte Schilf,<br />

die Seerosenblätter im Wasser.<br />

Hier hatte er als K<strong>in</strong>d gespielt, hier<br />

hatte er später mit Freunden gezeltet.<br />

Hier sollte es zu Ende gehen.<br />

<strong>Carsten</strong> legte e<strong>in</strong>e Punkrock-Kassette<br />

e<strong>in</strong> und startete den Motor.<br />

Durch den gelben Gartenschlauch,<br />

den er von zu H<strong>aus</strong>e <strong>aus</strong> der Garage<br />

mitgebracht hatte, strömte vom Beifahrerfenster<br />

langsam das Abgas <strong>in</strong>s<br />

Innere . . .<br />

★★★<br />

In sieben Wochen wird se<strong>in</strong>e Mutter<br />

wieder hier stehen wie an jedem 27.<br />

<strong>Carsten</strong> neben se<strong>in</strong>er geliebten „Susi“, so<br />

nannte er se<strong>in</strong>en roten Zweier-Golf. In diesem<br />

Wagen nahm er <strong>sich</strong> am Seeufer das Leben<br />

November der vergangenen zehn<br />

Jahre, seit <strong>Carsten</strong> nicht mehr da ist.<br />

Sie wird drei Schwimmkerzen auf<br />

das Wasser setzen und e<strong>in</strong>e rote Rose<br />

ans Ufer legen. So macht sie es,<br />

seitdem an jenem Novembertag<br />

1998 zwei Polizeibeamte an ihrer<br />

Tür kl<strong>in</strong>gelten.<br />

„Ich kam die Treppe herunter.<br />

Me<strong>in</strong> Mann sagte: ,Setz dich bitte<br />

h<strong>in</strong>, es ist das Schlimmste passiert.‘<br />

Ich dachte erst an e<strong>in</strong>en Unfall.<br />

Doch die Polizeibeamten sagten:<br />

,Ihr Sohn hat den Freitod gewählt.‘“<br />

Der Ort, an dem <strong>Carsten</strong> <strong>aus</strong> dem<br />

Leben g<strong>in</strong>g, ist für Petra <strong>Hohn</strong> (50)<br />

zu e<strong>in</strong>er rituellen Stätte geworden.<br />

Hier kann sie die Welt noch e<strong>in</strong>mal<br />

durch se<strong>in</strong>e braunen Augen sehen.<br />

Hier ist sie ihm nahe. Hier hat sie <strong>in</strong><br />

den ersten <strong>Jahren</strong> gedacht, sie würde<br />

auch gleich sterben. Hier hat sie<br />

erfahren, dass <strong>sich</strong> Trauer ändern<br />

kann, „dass der Schmerz sanfter<br />

<strong>Carsten</strong> und se<strong>in</strong>e Eltern Petra und Steffen bei<br />

e<strong>in</strong>em Wanderurlaub <strong>in</strong> den Alpen 1995<br />

nahe der Zugspitze<br />

wird“ und dass es e<strong>in</strong>en Weg zurück<br />

gibt <strong>in</strong>s Leben.<br />

Für Petra <strong>Hohn</strong> galt e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e<br />

Gewissheit, die alle Eltern haben:<br />

dass sie zuerst stirbt, nicht ihr K<strong>in</strong>d.<br />

Doch das Schicksal kennt ke<strong>in</strong>e<br />

Gewissheiten.<br />

2007 nahmen <strong>sich</strong> 462 Jungen<br />

zwischen <strong>10</strong> und 25 <strong>Jahren</strong> das Leben<br />

und 119 Mädchen. Das s<strong>in</strong>d zwei<br />

BITTE BLÄTTERN SIE UM


38 Report BILD am SONNTAG, 5. Oktober 2008 Wenn<br />

Se<strong>in</strong> letzter Anruf: „Ich habe euch lieb“<br />

FORTSETZUNG VON SEITE 37<br />

tote Jugendliche am Tag. Zwei zu viel. Wie überleben<br />

Mütter und Väter diesen Verlust?<br />

Petra <strong>Hohn</strong> hat lange gebraucht, um ihre<br />

schwarzen Gefühle zu verarbeiten. Sie g<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />

Trauersem<strong>in</strong>are, besuchte e<strong>in</strong> Kloster, sprach mit<br />

anderen Eltern, deren K<strong>in</strong>der gestorben waren.<br />

Sie schloss <strong>sich</strong> dem<br />

Vere<strong>in</strong> Verwaiste Eltern<br />

<strong>in</strong> Deutschland an, deren<br />

<strong>Vor</strong>sitzende sie seit<br />

2006 ist. Und sie<br />

schrieb e<strong>in</strong> Buch, <strong>in</strong><br />

dem sie ihre schwersten<br />

Augenblicke beschreibt:<br />

„Die Nachricht von<br />

<strong>Carsten</strong>s Tod ließ unser<br />

Lebensh<strong>aus</strong> e<strong>in</strong>stürzen.<br />

Das Leben<br />

setzte <strong>aus</strong>. Und e<strong>in</strong>e<br />

neue Zeitrechnung<br />

begann, <strong>in</strong> der es<br />

nichts als Leere zu geben<br />

schien . . .“<br />

Es gibt Szenen, die<br />

sie nie mehr vergessen<br />

wird: Das letzte Telefo-<br />

nat mit <strong>Carsten</strong>, am Nachmittag vor dem Selbstmord:<br />

„Er rief mich im Büro an und sagte, er<br />

werde bei e<strong>in</strong>em Freund übernachten. Und<br />

dann: dass er uns lieb hat.“ Das Bild, wie er aufgebahrt<br />

da lag – „ganz bei <strong>sich</strong>, umgeben von e<strong>in</strong>er<br />

unendlichen, friedlichen Stille“. Oder der<br />

Tag der Beerdigung, als ihr Mann Steffen (55)<br />

<strong>Carsten</strong>s Autoschlüssel <strong>in</strong>s offene Grab warf.<br />

Das Auto sollte nie mehr jemand fahren. Es wurde<br />

verschrottet.<br />

Petra <strong>Hohn</strong>, die erfolgreiche Bautechniker<strong>in</strong>,<br />

und ihr Mann Steffen, er ist Elektriker, waren bis<br />

zu jenem Novembertag die perfekte Familie gewesen.<br />

Nun wussten sie nicht mehr, wie sie den<br />

übermächtigen Gefühlen standhalten sollten.<br />

Da waren die eigenen Schuldgefühle und die<br />

quälende Frage nach dem Warum. Die versteckten<br />

<strong>Vor</strong>würfe von außen: „Bekannte sagten, wir<br />

hätten zu viel gearbeitet und seien<br />

zu wenig für <strong>Carsten</strong> da gewesen.“<br />

Da war die Wut darüber, dass<br />

<strong>Carsten</strong> e<strong>in</strong>fach gegangen war, ohne<br />

e<strong>in</strong>en Abschiedsbrief zu h<strong>in</strong>terlassen:<br />

„Es wäre so schön gewesen,<br />

wenn wir e<strong>in</strong>en hätten.<br />

Wenn er uns von Schuld freigesprochen<br />

hätte.“<br />

Das Ehepaar entfremdete <strong>sich</strong><br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Trauer immer mehr.<br />

Während er <strong>sich</strong> <strong>in</strong> die Arbeit<br />

flüchtete, erstarrte sie. „Essen,<br />

tr<strong>in</strong>ken, ich wollte e<strong>in</strong>fach<br />

nicht. Schließlich durfte auch<br />

me<strong>in</strong> Sohn weder essen noch<br />

tr<strong>in</strong>ken. Jeder Genuss kam mir<br />

wie Verrat vor. Körperpflege?<br />

Wofür sollte das gut se<strong>in</strong>?<br />

Me<strong>in</strong> Mann trauerte still, ich<br />

laut. Er las Bücher, ich schrie<br />

rum. Stand beim Essen mit Freunden unvermittelt<br />

auf und g<strong>in</strong>g. Ich war unberechenbar.“<br />

Sie kam erst zu <strong>sich</strong>, als <strong>Carsten</strong>s bester<br />

Freund zu ihr sagte: „Wenn de<strong>in</strong> Sohn dich so<br />

sehen könnte! Er würde dich aufrütteln. Er fand<br />

se<strong>in</strong>e optimistische Mutter immer so klasse.“<br />

<strong>Carsten</strong>s Freunde – was für e<strong>in</strong> Glücksfall! Mit<br />

ihnen hatte <strong>sich</strong> der schlanke, gut <strong>aus</strong>sehende<br />

E<strong>in</strong>zelhandelskaufmann abends immer an der<br />

<strong>Meuselwitz</strong>er Bushaltestelle getroffen, um zu re-<br />

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Wie sehr <strong>Carsten</strong> von<br />

se<strong>in</strong>er Familie und se<strong>in</strong>en<br />

Freunden vermisst<br />

wird, zeigt se<strong>in</strong>e<br />

blumengeschmücktes<br />

Grab <strong>in</strong> <strong>Meuselwitz</strong><br />

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,<br />

den, zu lachen, über Autos zu quatschen und<br />

Musik zu hören – „Green Day“, „Tote Hosen“,<br />

„Wizo“. Alle liebten <strong>Carsten</strong>s Sprüche.<br />

Jetzt war die Clique ganz selbstverständlich<br />

da. „Die Freunde me<strong>in</strong>es<br />

Sohnes waren die e<strong>in</strong>zigen, die uns angenommen<br />

haben, wie wir waren. Sie<br />

trösteten uns, sie waren hilflos wie<br />

wir. Durch sie lebte er weiter. Sie erzählten<br />

uns, was für e<strong>in</strong> toller Mensch<br />

<strong>Carsten</strong> war.“<br />

Nahm er Drogen? Die Freunde lachten:<br />

„<strong>Hohn</strong>is Droge war das Auto. Da durfte man<br />

nicht mal was tr<strong>in</strong>ken.“<br />

Durch die Freunde erfuhren Petra <strong>Hohn</strong><br />

und ihr Mann auch, wie sehr <strong>Carsten</strong> unter<br />

der Trennung von se<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> gelitten<br />

hatte, obwohl er ihnen gegenüber den Coolen<br />

spielte und sagte: „Reisende soll man<br />

nicht aufhalten.“ <strong>Carsten</strong> hatte mit e<strong>in</strong>er<br />

Freund<strong>in</strong> des Mädchens e<strong>in</strong>en „Ausrutscher“<br />

– „und blöd wie er war, hat er es ihr<br />

gebeichtet“, sagt die Mutter. Er nahm <strong>sich</strong> am<br />

Jahrestag der Trennung das Leben.<br />

Petra <strong>Hohn</strong> hat dieses Mädchen gehasst,<br />

bis sie merkte, dass sie nur e<strong>in</strong>en Schuldigen<br />

suchte. „Ich habe mich ja selbst gehasst und<br />

als Versager<strong>in</strong> gefühlt.“<br />

E<strong>in</strong> Jahr nach der Tragödie passierte e<strong>in</strong>e<br />

zweite: Petra <strong>Hohn</strong> wurde schwanger und<br />

verlor das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der zehnten Woche. „Ich<br />

war so versunken <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Trauer, dass ich<br />

nicht spürte, wie neues Leben <strong>in</strong> mir wuchs.<br />

Ich war wie betäubt.“ Erst als es zu spät war,<br />

erkannte sie die verlorene Chance.<br />

Das Sehnen, ihrem Sohn <strong>in</strong> den Tod zu<br />

folgen, wurde übermächtig. Sie schluckte<br />

vier Packungen Tabletten. Nur durch Zufall<br />

fand ihr Mann sie rechtzeitig. Und endlich<br />

erkannte Petra <strong>Hohn</strong>: „Nicht <strong>aus</strong>gelebte<br />

Trauer macht krank oder böse. Sie verhärmt<br />

die Seele.“ Sie traf e<strong>in</strong>e wichtige Entscheidung:<br />

„Ich beschloss zu leben. Für mich,<br />

me<strong>in</strong>en Mann und auch für me<strong>in</strong>en Sohn. Ja,<br />

ich wollte kämpfen.“<br />

Mit ihrem Buch will Petra <strong>Hohn</strong> anderen<br />

Eltern Mut machen, dass es weitergeht,<br />

selbst <strong>in</strong> Augenblicken, <strong>in</strong> denen jedes<br />

Vertrauen <strong>in</strong>s Leben zerbrochen ist.<br />

Wo steht Petra <strong>Hohn</strong> heute?<br />

„Ich bef<strong>in</strong>de mich im zehnten Jahr nach<br />

unserer Stunde null. Während ich für Außenstehende<br />

wieder die starke Frau b<strong>in</strong>, die<br />

,es überstanden‘ hat, wissen nur wenige<br />

Menschen, wie ich wirklich damit umgehe.<br />

Ich ziehe mich e<strong>in</strong>fach zurück, suche die Stille,<br />

die Natur und halte Zwiesprache<br />

mit <strong>Carsten</strong>, manchmal<br />

auch unter Tränen. Ich<br />

schäme mich dessen nicht. Er<br />

ist es wert, dass so viel Traurigkeit<br />

zurückbleibt.“<br />

„Plötzlich ohne K<strong>in</strong>d“ von<br />

Petra <strong>Hohn</strong> (14,95 Euro;<br />

Gütersloher Verlagsh<strong>aus</strong>). Hilfe für betroffene<br />

Eltern gibt es beim Verband Verwaiste<br />

Eltern <strong>in</strong> Deutschland: www.veid.de<br />

K<strong>in</strong>derseelen <strong>in</strong> Not – 4 Warnzeichen<br />

Der Psychologe<br />

Dr. Georg Romer (44)<br />

von der Unikl<strong>in</strong>ik<br />

Hamburg-Eppendorf<br />

behandelt jedes Jahr<br />

bis zu 300 K<strong>in</strong>der und<br />

Jugendliche, die Todesgedanken<br />

haben.<br />

Er sagt, worauf Eltern<br />

achten sollten:<br />

e Verschlüsselte<br />

Botschaften: „Suizidgefährdete<br />

Jugendliche kündigen<br />

oft <strong>in</strong> verschlüsselten<br />

Nebensätzen ihre Ab<strong>sich</strong>t<br />

an und testen so die<br />

Reaktion ihres Umfeldes.<br />

Sätze wie ‚Es hat alles kei-<br />

nen S<strong>in</strong>n‘ oder ‚Am besten<br />

wäre, wenn es mich<br />

nicht geben würde‘, sollte<br />

man immer ernst nehmen!<br />

Unbed<strong>in</strong>gt nachfragen,<br />

was das K<strong>in</strong>d damit<br />

genau me<strong>in</strong>t.“<br />

e Sozialer Rückzug:<br />

„E<strong>in</strong> Alarmzeichen ist,<br />

wenn das K<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e Lebensfreude<br />

mehr zeigt,<br />

<strong>sich</strong> zurückzieht, <strong>sich</strong> von<br />

Freunden und Hobbys<br />

distanziert.“<br />

e Todes-Musik: „Wenn<br />

das K<strong>in</strong>d Lieder hört, <strong>in</strong><br />

denen die Selbsttötung romantisiert<br />

wird, sollte man<br />

K<strong>in</strong>der<br />

nicht mehr leben<br />

wollen<br />

3 Schicksale prom<strong>in</strong>enter Eltern<br />

Dass se<strong>in</strong>e Tochter<br />

Petra seelisch krank<br />

war, wusste Volkssänger<br />

He<strong>in</strong>o (69).<br />

Petra hörte Stimmen,<br />

sprach mit Toten.<br />

Der Vater ließ<br />

sie <strong>in</strong> die Psychiatrie<br />

e<strong>in</strong>weisen. Nach<br />

dem Kl<strong>in</strong>ikaufenthalt<br />

glaubte er die<br />

Tochter auf dem<br />

Weg der Besserung.<br />

Der brasilianische<br />

Adoptivsohn des<br />

Münchner Designer-<br />

Ehepaars Sonia (57)<br />

und Willy Bogner<br />

(66) nahm <strong>sich</strong> am<br />

1. Oktober 2005 <strong>in</strong><br />

der elterlichen Villa<br />

das Leben. Der 17jährige<br />

Bernhard<br />

hatte am Abend mit<br />

Freunden das Oktoberfest<br />

besucht und<br />

war alkoholisiert<br />

Melisande wuchs<br />

behütet auf, kam<br />

<strong>aus</strong> bester Familie.<br />

Dennoch sah<br />

die 21-jährige<br />

Tochter der<br />

Sch<strong>aus</strong>pieler<strong>in</strong><br />

Lilo Pulver (78)<br />

ke<strong>in</strong>en Ausweg<br />

mehr: Am 6. Juni<br />

1989 stürzte sie<br />

<strong>sich</strong> vom Berner<br />

Münster. In e<strong>in</strong>em<br />

Interview sagte<br />

Lilo Pulver später,<br />

He<strong>in</strong>o befand <strong>sich</strong><br />

gerade auf e<strong>in</strong>em<br />

Kreuzfahrtschiff bei<br />

Genua, als ihn die<br />

Todesnachricht erreichte.<br />

Am 29. November<br />

2003 hatte<br />

<strong>sich</strong> die 35-jährige<br />

Petra <strong>in</strong> ihrer Düsseldorfer<br />

Wohnung<br />

erstickt. Sie wählte<br />

denselben Freitod<br />

wie 1988 ihre Mutter<br />

Kar<strong>in</strong> – mit e<strong>in</strong>er<br />

Plastiktüte. Der geschockte<br />

Vater:<br />

„Se<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu betrauern<br />

ist das<br />

Schlimmste, was<br />

e<strong>in</strong>em passieren<br />

kann. Dieser s<strong>in</strong>nlose<br />

Tod hat mir fast<br />

das Herz zerrissen.“<br />

nach H<strong>aus</strong>e gekommen.<br />

Er strangulierte<br />

<strong>sich</strong> „bewusst<br />

und gewollt“<br />

(Staatsanwaltschaft)<br />

<strong>in</strong> den Seilen<br />

e<strong>in</strong>er Hängematte.<br />

Von Identitätsproblemen<br />

war die Rede,<br />

von Versagensängsten<br />

(5 Schulen<br />

<strong>in</strong> 4 <strong>Jahren</strong>). Die erschütterten<br />

Eltern<br />

setzten dem Sohn <strong>in</strong><br />

ihrem Katalog e<strong>in</strong><br />

Denkmal. Sie zeigten<br />

Bilder des strahlenden<br />

Jungen,<br />

schrieben: „Er hat<br />

uns unendlich viel<br />

Glück geschenkt.“<br />

niemand habe die<br />

Tragödie kommen<br />

sehen. „Wir schoben<br />

ihre zunehmendeWesensveränderung<br />

auf<br />

ihre Schwierigkeiten<br />

<strong>in</strong> der Schule,<br />

dachten immer,<br />

das wären alles<br />

Backfischallüren.<br />

Auch, als sie Drogen<br />

nahm. Wie es<br />

dann passiert war,<br />

fielen wir <strong>aus</strong> allen<br />

Wolken.“ Die<br />

verzweifelte Mutter:„Möglicherweise<br />

hätte ich<br />

e<strong>in</strong>iges anders<br />

machen können.“<br />

es unbed<strong>in</strong>gt darauf ansprechen.<br />

Im Zweifel professionelle<br />

Hilfe suchen.“<br />

e Mobb<strong>in</strong>g und<br />

Depressionen: „Suizidversuche<br />

unter Jugendlichen<br />

s<strong>in</strong>d fast immer<br />

Verzweiflungstaten. Mobb<strong>in</strong>g-Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> der<br />

Schule spielen dabei e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Rolle. Ich habe<br />

das bei me<strong>in</strong>en Patienten<br />

bemerkt. Die Gefahr ist<br />

groß, dass Verzweiflung<br />

und Depressionen der Jugendlichen<br />

von den Eltern<br />

zu spät bemerkt oder nicht<br />

ernst genommen werden.“<br />

FOTOS: HOLM RÖHNER, PRIVAT, MANFRED GÖRGEN, SCHNEIDER-PRESS, BABIRADPICTURE

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