N aturwissenschaftlich- technische Bildung- Für Mädclten keine ...

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24.11.2012 Aufrufe

• 8 Ingrid Otto Der Wandel und die Entwicklung in der Mädchenbildung vom Dilettantismus zur Emanzipation wird deutlich in der Bildfolge und im Bildvergleich. I. Vom perfektionierten Haushalt zur professionellen Hauswirtschaft Ausgehend vom Idealbild der Hausfrau-Gattin-Mutter wurden die bürgerlichen Töchter noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum dienenden Weib erzogen. Abb. 3 Werbeanzeige .rar Henriette Davidis Praktisches Kochbuch Genrebild. "Daheim" 1887 (Beilage zu Nr. 17)

Vom Dilettantismus zur Emanzipation 9 Die Werbeanzeige gibt eindeutige Schuldzuweisungen. Der Herr des Hauses hat das Recht auf die gutbürgerliche Beköstigung. Das perfekte Menü ist Indikator für die Zufriedenheit des Ehemannes und die Basis für das häusliche Glück. "Liebe geht durch den Magen" - dieser Spruch zierte, fein gestickt, so manches Küchentuch. Die Perfektionierung des Hauswesens folgte der Zielrichtung: Dasein für den Ehemann und die Familie. Das Bild wird beherrscht von zwei Frauen, die jüngere auf dem Sofa sitzend, die ältere davor stehend. Der ursprüngliche Zusammenhang von Bildherstellung und -verwendung ist nicht nachzuvollziehen. Das Genrebild dürfte ursprünglich einen anderen Untertitel gehabt haben, da schon die frühen Werbeplakate zumeist das Produkt als den eigentlichen Werbegegenstand in großen Lettern nannten oder selbst abbildeten und das Davidis-Kochbuch in dieser Werbung nicht gezeigt wird. In der hier veröffentlichten Text-Bild-Komposition bringt der gedruckte Dialog die Personen der Bildszene zum Sprechen. Es handelt sich um eine frisch vermählte Tochter, die nach einem Ehestreit weinend ihre Mutter aufgesucht hat. Bei einem gewöhnlichen Besuch im Elternhaus hätte die junge Frau Schirm, Hut und Handtasche sicher erst an der Garderobe abgelegt, in diesem Fall war dazu keine Zeit. Kaum angelangt, teilt sie ihren Kummer mit. Daß der Ehemann "ernstlich böse" reagiert, findet alle Rechtfertigung in der Reaktion der Mutter. Schließlich war das Essen auch "heute wieder total mißraten", was sogar auf eine Wiederholungstat hinweist. Schürze und Haube der Mutter sind Requisiten für die Tätigkeiten in der Küche. Als perfekte Hausfrau kennt sie sich aus in der Kochkunst und aufgrund ihrer Erfahrungen weiß sie die Lösung für das Problem der Tochter, die nun wieder als "liebes Kind" tituliert wird, was bedeutet, daß sie dieser Rolle noch längst nicht entwachsen ist. Der Imperativsatz: "Koche niemals ohne Henriette Davidis' Praktisches Kochbuch!" erfährt eine doppelte Verstärkung durch die wiederholte Mahnung und den erhobenen Zeigefinger. Das Ganze wirkt, selbst im Rahmen einer Illustrierten, derartig unausgewogen hinsichtlich der Dramatik der Bildaussage und des banalen Inhalts der Werbung, daß man aus heutiger Sicht diese Anzeige als Persiflage auf die überzogene Bedeutung der Kochkunst werten könnte. Die vorliegende Anzeige muß jedoch mit aller Ernsthaftigkeit bewertet werden, da sie die

Vom Dilettantismus zur Emanzipation 9<br />

Die Werbeanzeige gibt eindeutige Schuldzuweisungen. Der Herr des<br />

Hauses hat das Recht auf die gutbürgerliche Beköstigung. Das perfekte<br />

Menü ist Indikator für die Zufriedenheit des Ehemannes und die Basis für<br />

das häusliche Glück. "Liebe geht durch den Magen" - dieser Spruch zierte,<br />

fein gestickt, so manches Küchentuch. Die Perfektionierung des Hauswesens<br />

folgte der Zielrichtung: Dasein für den Ehemann und die Familie.<br />

Das Bild wird beherrscht von zwei Frauen, die jüngere auf dem Sofa<br />

sitzend, die ältere davor stehend. Der ursprüngliche Zusammenhang von<br />

Bildherstellung und -verwendung ist nicht nachzuvollziehen. Das Genrebild<br />

dürfte ursprünglich einen anderen Untertitel gehabt haben, da schon<br />

die frühen Werbeplakate zumeist das Produkt als den eigentlichen Werbegegenstand<br />

in großen Lettern nannten oder selbst abbildeten und das<br />

Davidis-Kochbuch in dieser Werbung nicht gezeigt wird.<br />

In der hier veröffentlichten Text-Bild-Komposition bringt der gedruckte<br />

Dialog die Personen der Bildszene zum Sprechen. Es handelt sich um eine<br />

frisch vermählte Tochter, die nach einem Ehestreit weinend ihre Mutter<br />

aufgesucht hat. Bei einem gewöhnlichen Besuch im Elternhaus hätte die<br />

junge Frau Schirm, Hut und Handtasche sicher erst an der Garderobe abgelegt,<br />

in diesem Fall war dazu <strong>keine</strong> Zeit. Kaum angelangt, teilt sie ihren<br />

Kummer mit.<br />

Daß der Ehemann "ernstlich böse" reagiert, findet alle Rechtfertigung in<br />

der Reaktion der Mutter. Schließlich war das Essen auch "heute wieder<br />

total mißraten", was sogar auf eine Wiederholungstat hinweist. Schürze<br />

und Haube der Mutter sind Requisiten für die Tätigkeiten in der Küche.<br />

Als perfekte Hausfrau kennt sie sich aus in der Kochkunst und aufgrund<br />

ihrer Erfahrungen weiß sie die Lösung für das Problem der Tochter, die<br />

nun wieder als "liebes Kind" tituliert wird, was bedeutet, daß sie dieser<br />

Rolle noch längst nicht entwachsen ist. Der Imperativsatz: "Koche niemals<br />

ohne Henriette Davidis' Praktisches Kochbuch!" erfährt eine doppelte Verstärkung<br />

durch die wiederholte Mahnung und den erhobenen Zeigefinger.<br />

Das Ganze wirkt, selbst im Rahmen einer Illustrierten, derartig unausgewogen<br />

hinsichtlich der Dramatik der Bildaussage und des banalen Inhalts<br />

der Werbung, daß man aus heutiger Sicht diese Anzeige als Persiflage auf<br />

die überzogene Bedeutung der Kochkunst werten könnte. Die vorliegende<br />

Anzeige muß jedoch mit aller Ernsthaftigkeit bewertet werden, da sie die

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