Ein Imbiss für Menschen ohne Bleibe Kein Pfeffer in der Mühle - TMV
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Tiroler Mittelschülerverband<br />
<strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Imbiss</strong> <strong>für</strong> <strong>Menschen</strong> <strong>ohne</strong> <strong>Bleibe</strong><br />
<strong>E<strong>in</strong></strong> Erlebnisbericht über e<strong>in</strong>e Ausfahrt mit dem V<strong>in</strong>zibus: Zeit wärmt!<br />
Es ist Freitag. Tags zuvor hat mich<br />
e<strong>in</strong> Kartellbru<strong>der</strong> angerufen, da er<br />
noch Hilfe sucht <strong>für</strong> den V<strong>in</strong>zibus. Ich habe<br />
schon öfter was von dieser <strong>E<strong>in</strong></strong>richtung gehört<br />
und auch, dass <strong>der</strong> <strong>TMV</strong> hier regelmäßig<br />
mitfährt und bedürftigen <strong>Menschen</strong><br />
e<strong>in</strong> warmes Abendessen und Tee ausgiebt.<br />
Ich habe <strong>ohne</strong>dies nichts besseres zu tun.<br />
Es ist 17.30 Uhr und ich treffe mich mit Markus,<br />
e<strong>in</strong>em Kartellbru<strong>der</strong> <strong>der</strong> schon öfter<br />
mit dem V<strong>in</strong>zibus gefahren ist. Als wir im<br />
Auto sitzen steigt die Nervosität. Ich b<strong>in</strong><br />
noch nie mitgefahren und habe auch ke<strong>in</strong>e<br />
Erfahrung im Umgang mit Obdachlosen.<br />
Markus beruhigt mich. Auch er war anfangs<br />
unsicher, aber es gäbe ke<strong>in</strong>en Grund<br />
da<strong>für</strong>: „Du wirst sehen, es ist alles an<strong>der</strong>e<br />
als kompliziert.“ Wenig später stellen wir<br />
den V<strong>in</strong>zibus auch schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>E<strong>in</strong></strong>fahrt <strong>der</strong><br />
Hofburg ab. „Ab hier müssen wir zu Fuß<br />
gehen. Lei<strong>der</strong> haben wir ke<strong>in</strong>en Schlüssel<br />
<strong>für</strong> den Innenhof <strong>der</strong> Hofburg.“ Beim H<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>gang<br />
des Café Sacher ist auch schon<br />
e<strong>in</strong> Rollwagen mit <strong>der</strong> Verpflegung vorbereitet:<br />
Warmhaltebehälter, Essensbecher,<br />
<strong>E<strong>in</strong></strong>wegbesteck, Servietten, Schöpflöffel.<br />
Der Rest ist im Wagen. Gestern sche<strong>in</strong>t<br />
viel los gewesen zu se<strong>in</strong>. Während wir<br />
10 | | Nr. 108 | April . 2010<br />
die Sachen zum Auto tragen erkundige<br />
ich mich, mit wie vielen Obdachlosen wir<br />
heute zu rechnen hätten. „Das kann man<br />
nicht so genau sagen. Es regnet nicht und<br />
es ist kalt, außerdem haben wir Ende des<br />
Monats – all das deutet auf viele hungrige<br />
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Thema<br />
Short-Facts:<br />
ca. 14.600 Essen pro Jahr<br />
bis jetzt 1.675 Fahrten, das entspricht ca. 70.000 geholfenen Personen und ca.<br />
100.000 ausgegebenen „Portionen“<br />
V<strong>in</strong>zenzgeme<strong>in</strong>schaft <strong>TMV</strong> seit Anfang an dabei, fährt jeden Freitag<br />
außerdem fahren auch die ÖCV-Verb<strong>in</strong>dungen Leopold<strong>in</strong>a und Raeto-Bavaria regelmäßig<br />
mit dem V<strong>in</strong>zibus<br />
Aufruf!<br />
Mägen.“ Ich b<strong>in</strong> verwun<strong>der</strong>t. Kälte und<br />
trockenes Wetter leuchten mir e<strong>in</strong>, aber...<br />
„Wir speisen nicht nur Obdachlose. Auch<br />
<strong>Menschen</strong>, denen am Ende des Monats<br />
das Geld ausgeht o<strong>der</strong> ältere Mitbürger<br />
die mit <strong>der</strong> M<strong>in</strong>destpension nicht auskom-<br />
Die V<strong>in</strong>zenzgeme<strong>in</strong>schaft des <strong>TMV</strong>, welche das Unternehmen „V<strong>in</strong>zibus“ seit se<strong>in</strong>er<br />
Gründung entscheiden mitträgt, freut sich um jede Mitarbeit. Es hat sich e<strong>in</strong><br />
gewisser Stamm an Mitarbeitern herausgebildet, <strong>der</strong> regelmäßig die Ausfahrten<br />
übernehmen. Je mehr jedoch bereit s<strong>in</strong>d gelegentlich - und sei es nur e<strong>in</strong>ige wenige<br />
Male im Jahr - im Dienste <strong>der</strong> Nächstenliebe tätig zu se<strong>in</strong> wäre uns willkommen.<br />
<strong>Ke<strong>in</strong></strong>e Angst bei uns heißt es nicht „Mitgehangen - mitgefangen“, son<strong>der</strong>n<br />
„DANKE“.<br />
Bei Interesse o<strong>der</strong> <strong>für</strong> nähere Informationen melde dich bitte bei Kartellbru<strong>der</strong><br />
Stephan Michalek v/o Monty, AMI Mail: <strong>in</strong>fo@vgtmv.at 0664 / 1234 215<br />
men. Zu uns kommt je<strong>der</strong>, dessen Magen<br />
knurrt“, sche<strong>in</strong>t Markus me<strong>in</strong>e Verwun<strong>der</strong>ung<br />
zu ahnen.<br />
Unsere erste Station ist h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Markthalle.<br />
Schon als wir um die Ecke biegen<br />
sehe ich unsere Gäste. Zwischen dem<br />
Ladeplatz <strong>der</strong> Markthalle und dem Parkhaus<br />
stellen wir den Bus ab. „Abgestellt<br />
müssen sich auch die <strong>Menschen</strong> hier fühlen?“,<br />
frage ich Markus. „Ja. Wer mit dem<br />
V<strong>in</strong>zibus mitfährt erkennt schnell, wie gut<br />
es uns selbst geht und wie groß die Armut<br />
ist – selbst hier <strong>in</strong> Innsbruck.“<br />
„Heute gibt‘s noch was beson<strong>der</strong>es.“<br />
Wir stellen den Motor ab. Jetzt geht alles<br />
ganz schnell. Im Nu steht e<strong>in</strong> Stehtisch –<br />
Markus stellt Becher auf und schenkt Tee<br />
e<strong>in</strong>. Er drückt mir e<strong>in</strong>e Kelle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hand<br />
und die ersten Becher mit wärmen<strong>der</strong><br />
Gulaschsuppe verlassen die Ausgabestelle.<br />
„Hallo Markus!“ höre ich aus <strong>der</strong> Ferne.<br />
„Hallo Franz. Lange nicht gesehen“,<br />
antwortet Markus e<strong>in</strong>em älteren Mann<br />
mit Bart und heruntergekommener Kleidung<br />
und drückt ihm e<strong>in</strong>en Becher Tee<br />
<strong>in</strong> die Hand. Die zwei kennen sich – man<br />
kennt sich – ich b<strong>in</strong> neu. „Danke.“ höre<br />
ich von e<strong>in</strong>er Frau um die 50 – sie zittert<br />
– ihr ist kalt. „Heute gibt‘s noch was beson<strong>der</strong>es.“<br />
kündigt Markus an, während<br />
er e<strong>in</strong>e Schachtel mit Topfengolatschen<br />
öffnet. „Heute speist ihr, wie die oberen<br />
10.000“ scherzt er – e<strong>in</strong> paar lachen. Während<br />
ich Becher um Becher fülle, spricht<br />
mich die ältere Dame von vorher wie<strong>der</strong><br />
an: „Du bist neu hier?“ „Ja“, antworte<br />
ich, sieht man das?“ „Du wirkst noch unsicher<br />
– aber wir beißen nicht.“ Das merke<br />
ich schnell. Auch wenn wir nur wenig Zeit<br />
haben, so entwickelt sich doch e<strong>in</strong> nettes<br />
Gespräch. Anna, so heißt die Frau, erzählt<br />
mir vom Tod ihres K<strong>in</strong>des, dem Verlust des<br />
Arbeitsplatzes, <strong>der</strong> Scheidung, dem gesellschaftlichen<br />
Abstieg. Me<strong>in</strong>e Probleme<br />
ersche<strong>in</strong>en mir auf e<strong>in</strong>mal nichtig. Manch<br />
e<strong>in</strong>er kommt e<strong>in</strong> zweites Mal zur Ausgabestelle<br />
und möchte e<strong>in</strong>en Becher mit nach<br />
Hause nehmen. Dort warten oft K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> Partner. Ich gebe zusätzliche Schö-<br />
pfer aus. „Heute reicht es <strong>für</strong> alle auch e<strong>in</strong><br />
zweites Mal.“ ist sich Markus sicher, <strong>der</strong><br />
auch von an<strong>der</strong>en Tagen weiß. Dann lerne<br />
ich Martha kennen. Sie war gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Gegend und hilft mir beim Ausgeben <strong>der</strong><br />
letzten Schöpfer – normalerweise fährt<br />
sie Mittwochs als Beifahrer<strong>in</strong> mit.<br />
Wir packen zusammen. Müll liegt ke<strong>in</strong>er<br />
herum. Der aufgestellte Müllsack wird<br />
e<strong>in</strong>gepackt, die satten <strong>Menschen</strong> um uns<br />
verabschieden sich. Anna schüttelt mir die<br />
Hand „Machs gut Junge, sehen wir uns<br />
wie<strong>der</strong>?“ „Vielleicht“ sage ich, ich b<strong>in</strong> mir<br />
noch nicht sicher, aber das muss Anna ja<br />
nicht wissen.<br />
Dann fahren wir zum Kapuz<strong>in</strong>erkloster<br />
gegenüber <strong>der</strong> Sowi. Zwei Mitarbeiter<br />
des Bahnhofssozialdienstes erwarten uns<br />
schon. „Hier ist unsere 2. Station“ sagt<br />
Markus und nimmt e<strong>in</strong>e Warmhaltebox.<br />
<strong>E<strong>in</strong></strong> paar starke, wenngleich hungrige,<br />
Arme packen mit an und wir tragen die<br />
Speisen <strong>in</strong> die Wolfgangstube. Hier haben<br />
wir e<strong>in</strong> wenig Zeit durchzuatmen und<br />
auch hier s<strong>in</strong>d wir schnell <strong>in</strong> Gespräche<br />
verwickelt. „Unsere Klienten freuen sich<br />
immer schon auf uns, damit sie auch mal<br />
mit an<strong>der</strong>en als ihresgleichen sprechen<br />
können. Vom ehemaligen Hilfsarbeiter bis<br />
zu e<strong>in</strong>stigen Besserverdiener ist hier alles<br />
vertreten.“ Die Re<strong>in</strong>igung des Geschirrs<br />
wird hier von den Mitarbeitern des Sozialdienstes<br />
übernommen und so packen wir<br />
zusammen. Vom Gulasch ist nichts übrig<br />
geblieben und auch die letzten Backwaren<br />
fanden ihre Abnehmer. Als wir wie<strong>der</strong><br />
im Bus sitzen trägt Markus die Anzahl <strong>der</strong><br />
ausgegebenen Portionen <strong>in</strong> das Berichtsbuch<br />
e<strong>in</strong>. „Bisher haben wir <strong>in</strong> den letzten<br />
Jahren schon 240 Fahrten ausgeliefert,<br />
bei denen hauptsächlich Ambronen, Amelungen,<br />
Veldidenen und <strong>der</strong> Vorstand <strong>der</strong><br />
Tiroler Mittelschülerverband<br />
V<strong>in</strong>zenzgeme<strong>in</strong>schaft dabei waren. Wir<br />
hoffen noch auf an<strong>der</strong>e.“ Markus lässt<br />
den Motor an.<br />
Wir fahren wie<strong>der</strong> zur Hofburg und liefern<br />
die leeren Essensbehälter ab. Wir legen<br />
noch e<strong>in</strong>en Bestellsche<strong>in</strong> <strong>für</strong> den nächsten<br />
Tag dazu – die Müllsäcke s<strong>in</strong>d beim<br />
Ausgehen. Anschließend stoppen wir vor<br />
<strong>der</strong> Hoferfiliale <strong>in</strong> <strong>der</strong> Museumstraße. „Erledigst<br />
Du noch De<strong>in</strong>e <strong>E<strong>in</strong></strong>käufe?“, zeig ich<br />
mich spöttisch. Schnell sehe ich aber, was<br />
wir hier machen. Markus öffnet die Ladefläche<br />
und nimmt mich mit <strong>in</strong> die Filiale,<br />
wo schon e<strong>in</strong>e Schachtel mit Brot bereit<br />
steht: „Für den nächsten Tag.“ „Tschüss!“<br />
wir verabschieden uns von den Mitarbeitern<br />
dort, laden das Auto und stellen wie<strong>der</strong><br />
an se<strong>in</strong>en Platz. Markus schreibt noch<br />
e<strong>in</strong> SMS: „Hallo Klaus. <strong>Ke<strong>in</strong></strong>e beson<strong>der</strong>en<br />
Vorkommnisse heute, aber <strong>der</strong> Tank ist<br />
fast leer. LG, Markus“, dann verabschieden<br />
wir uns.<br />
<strong>E<strong>in</strong></strong> paar Tage später gehe ich durch die<br />
Stadt. Ich sehe seit me<strong>in</strong>er Mitfahrt mit<br />
dem V<strong>in</strong>zibus mehr Elend als zuvor – direkt<br />
vor unserer Haustüre – beängstigend<br />
– gleichzeitig merke ich wie gut es mir<br />
selbst eigentlich geht. Gedankenversunken<br />
schlen<strong>der</strong>e ich durch die Stadt, dann<br />
sehe ich sie auf e<strong>in</strong>er Parkbank sitzen:<br />
„Anna?“ „Ja? Hallo B... Bernhard?!“ Wir<br />
unterhalten uns kurz. „Und? Sehen wir<br />
uns am Freitag?“, frage ich. „Vielleicht“,<br />
sagt Anna e<strong>in</strong> wenig spöttisch, fast als<br />
wolle sie mir zu verstehen geben: „Na<br />
Kle<strong>in</strong>er, hat es Dir doch was gegeben?“<br />
Wir verabschieden uns schmunzelnd. Da<br />
hör ich sie rufen: „Bernhard?“ „Ja?“ „Danke<br />
noch mal!“ „Wo<strong>für</strong>?“, frage ich. „Für<br />
De<strong>in</strong>e Zeit.“ (ml)<br />
| Nr. 108 | April . 2010 | 11