Ich hab das Christkind gesehenAls Kind habe ich <strong>St</strong>ein und Bein geschworen, dass ich dasChristkind gesehen habe: leibhaftig, in einem weißen Kleidist es an unserem Fenster vorbei geflogen. Das kam so:Ich wuchs in einem Drei-Generationen-Haus auf. Mein Bruderund ich, meine Eltern und meine Großmutter und derenSchwester lebten zusammen unter einem Dach. Unsere Familiewar sehr in Traditionen verhaftet. Zu den sich stets wiederholendenFesten mit einem feierlichen Ablauf zählte anerster <strong>St</strong>elle das Weihnachtsfest. Morgens wurde gebadet, egalwelcher Wochentag es war. Ein karges Frühstück und ein einfachesMittagessen waren dann zu überstehen. Alles fand inder Küche statt, denn das Wohnzimmer war abgeschlossenund noch bis zum halben Flur tabu für meinen Bruder undmich. Und als wir es einmal geschafft hatten, heimlich durchdas Schlüsselloch zu blinzeln, war uns doch wahrhaftig dieSicht durch ein Tuch von innen versperrt. Nach dem Mittagessensollten wir beide in unseren Zimmern leise sein, beten,d.h. mit dem Christkind reden, lesen und Bilder malen warerlaubt. Komisch nur, dass für die Erwachsenen ganz andereRegeln galten. Sie huschten durch die Wohnung, rascheltenmit Papier, beschäftigten sich in der Küche und schlepptenSachen aus dem Keller herauf und vom Boden herunter. Siemussten jetzt intensiv dem Christkind helfen, wie uns bedeutetwurden. Wenn in den Wochen davor meine Oma Blechevon Plätzchen backte, gab sie sich ebenfalls als Gehilfin desChristkindes aus. Das Christkind schien sie auch zu überwachen,denn es wusste genau, wie viele Plätzchen Oma gebackenhatte, und es wäre sehr traurig gewesen, wenn wir davongenascht hätten. Doch vorsichtshalber wurden die gefülltenDosen und Terrinen für uns unerreichbar auf hohe Schränkein den Schlafzimmern abgestellt. Als ich einmal fragte. obdenn das kleine Jesuskind schon weiter als bis hundert zählenkönnte, entgegnete meine Oma, ein göttliches Kind könnedas. Na gut, wenn der liebe Gott wusste, wie viele <strong>St</strong>erne amHimmel stehen und alle Haare auf meinem Kopf gezählt hatte,dann konnte sein Sohn auch bestimmt schon im Babyalteralle Plätzchen zählen. Irgendwann mussten wir uns warm anziehen.Dann ging es mit Oma und Großtante in die Kircheund anschließend zu den Turmbläsern, die wunderschön,aber viel zu lange, wie wir Kinder fanden, weihnachtlicheLieder vom Rathausturm herab trompeteten und posaunten.Endlich kehrten wir nach Hause zurück. Hände und Gesichtwaschen, kämmen, die ungeliebten Schleifen ins Haar, diekalte Rüschenbluse an und den Samtrock glatt gestrichen.Mein Bruder war auch schön herausgeputzt, er trug einHemd mit einer Krawatte am Gummiband, eine Weste undeine Samthose. So standen wir dann erwartungsvoll vor derWohnzimmertür. Endlich hörten wir das Glöckchen, das ersehnteSignal, die Tür öffnen zu dürfen. Nach ersten stürmischenSchritten blieben wir, von all dem Kerzenglanz, denGeschenken und dem Weihnachtsschmuck überwältigt, stehen.Und dann – dann sahen wir, wie das Christkind vor unseremFenster wirklich und wahrhaftigvorbeiflog. Sein weißesKleid flatterte im Wind und einkleines <strong>St</strong>ück seiner silbernen Flügelwar zu erkennen. Obwohl wirjedes Jahr einen klitzekleinen Momentzu spät kamen, um dasChristkind noch in der <strong>St</strong>ube zu erleben, hauchten wir an jedemHeiligabend ein ehrfurchtvolles: “Da!“ und versicherteneinander: Ich hab das Christkind gesehen!Viel später fanden wir heraus, dass mein Vater vom benachbartenBadezimmerfenster mit einem Tischtuch, das er übereinen Besen legte und mit etwas Silberpapier schmückte, diefromme Andacht in uns auslöste. Und noch später sagte meineGroßtante: „Meine größte Freude zu <strong>Weihnachten</strong> warimmer, eure Freude zu sehen.“Ilse Brachtendorf8
ARCO IRIS – Das Friedenszeichen GottesDer Regenbogen heißt im Spanischen arco iris.In unserem Land verbinden alle, die etwas vom christlichenReligionsunterricht behalten haben, mit dem Regenbogendie Geschichte von Noach, dem Ende derÜberschwemmung nach der Sintflut und dem Zeichen,das Gott seither in den Himmel gesetzt hat, dass er denMenschen den Frieden schenkt.Redet man in La Paz /Bolivien vom Regenbogen= arco iris, sofällt jedem sofort dieHilfsorganisation vonPfarrer Josef Neuenhoferfür <strong>St</strong>raßenkinderund die Ärmstender Armen ein.Padre José mit <strong>St</strong>raßenkindernWelche Ausstrahlung von diesem Mann ausgeht, welcheBegeisterungsfähigkeit in ihm wohnt und mit welcherLiebe er von seinen Kindern erzählt, davon konnten sichalle überzeugen, die ihm am 31.Oktober in der Messe inder Herz-Jesu-Kirche oder anschließend bei seinem Vortragim Pfarrsaal begegnet sind.Padre José, wie ihn in La Paz alle nennen, gibt mit seinenHelfern über 800 Kindern täglich eine warmeMahlzeit, mehr als 300 alleingelassene Kinder und Jugendlichenkommen in seinen Heimen unter, könnenzur Schule gehen oder einen Beruf erlernen. Mit mobilenSchulbussen erreicht er insgesamt an die 1000 Kinder,die an der Alphabetisierung teilnehmen. Immerwieder betont er, dass auch die Ärmsten und VernachlässigtenSchreiben, Lesen und Rechnen lernen müssen,weil sie sonst die Sklaven von morgen sind. Von seinemEngagement auf medizinischem Gebiet zeugt das Hospitalmit 100 Betten und drei Ambulanzfahrzeuge. Überallwerden die <strong>St</strong>raßenkinder kostenlos behandelt odergepflegt. Manche Projekte wären noch zu ergänzen,doch mehr als alle Zahlen und Aktivitäten zählt, dassdurch ihn und seine Mitarbeiter Kinder erfahren, dasssie geliebt und angenommen sind. Für sie ist Josef Neuenhoferendlich ein guter Vater, der für sie da ist, aufden sie sich verlassen können. Durch seine Zuwendung,seine Liebe erleben sie, dass sie liebens-würdig (der Liebewürdig!) sind und werden so selbst liebesfähig. Esgibt auch Misserfolge und Scheitern, doch die könnenPadre José nicht davon abhalten, mit seiner ganzenEnergie für seine Kinder zu arbeiten und unterwegs zusein: in Bolivien und anderen Ländern, in Deutschland,hier bei uns.Ist der Name „arco iris“ für dieses Hilfsprojekt nicht eintoller Name? Der Regenbogen ist Gottes Zeichen, dasser das Schicksal der Menschen zum Guten wenden will,dass er das Dach seiner Liebe über alle ausspannt, dieseinen Schutz brauchen und dass er durch Menschen,die er dazu beruft, den Himmel mit der Erde verbindet.Vielleicht hat Sie Pfarrer Josef Neuenhofer mit arco irisso angesprochen, dass Sie mehr wissen möchten. Aufwww.arco-iris.de können Sie weitere Einzelheiten lesen.Falls Sie helfen wollen, <strong>St</strong>raßenkinder vor Ausbeutung,Missbrauch und Verachtung zu bewahren, ist Ihr finanziellerBeitrag willkommen bei: „Verein zur Förderungder <strong>St</strong>raßenkinder in Bolivien e.V. Rottweil“ Kto.11122021 BLZ 642 632 73 Volksbank Dunningen.Ilse Brachtendorf9