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viii. festspiele<br />
König Lear<br />
Tragödie von William Shakespeare – Deutsch von Rainer Iwersen<br />
<strong>Im</strong> Anfang steckt schon das Ende, die ganze Katastrophe: Der alte König Lear will T H E A T E R S A A L<br />
vor der Zeit abdanken, Macht, Besitz und die Sorge um den Staat ablegen und di, 11.12.2012, 19.30 uhr [sg b, tg 5, ja]<br />
sein Reich unter seinen drei Töchtern zu gleichen Teilen aufteilen. Er stellt die<br />
Publikumsgespräch im Anschluss<br />
Liebe seiner Töchter auf die Probe und fragt, welche ihn am meisten liebe. Goneril<br />
an die Vorstellung<br />
und Regan beteuern pflichtgemäß ihre Liebe und bekommen ihre Teile, Cordelia,<br />
die jüngste, von ihm am meisten geliebte Tochter, verweigert sich dem rhetorischen stückfassung und regie: Karin Beier<br />
Wettbewerb und antwortet auf die Frage, was sie sage: »Nichts.« Mit diesem »Nichts« bühne: Johannes Schütz<br />
nimmt die Tragödie <strong>als</strong> ein groteskes philosophisches Narrenspiel ihren Lauf: Lear mit: Barbara Nüsse <strong>als</strong> Lear<br />
enterbt und verstößt Cordelia, er selbst wird von Goneril und Regan in die Wüste<br />
Schauspiel Köln<br />
geschickt und zum Outcast degradiert. Dieses »Nichts« ist das Fanal zum Crash einer<br />
Weltordnung, Gesetz und Moral, Logik und Vernunft implodieren, Gewalt, Cha- preise:<br />
os, Wahnsinn und Zerfall treten an ihre Stelle. Und keine rettende Utopie erhellt 33 euro 28 euro 23 euro 18 euro<br />
die apokalyptische Dunkelheit. Am Ende sind alle tot. Bei Shakespeare wurden die<br />
weiblichen Figuren von männlichen Schauspielern dargestellt. Karin Beier bleibt in<br />
ihrer Inszenierung in der Tradition dieses Rollenspiels – mit umgekehrten Vorzeichen:<br />
Frauen spielen Männer und Frauen und eröffnen neue Perspektiven auf König<br />
Lear, dieses vierhundert Jahre junge Stück, in dem auch immer die Frage nach Wahrheit<br />
oder Täuschung, nach dem Kern der eigenen Identität gestellt wird.<br />
»Das Eröffnungsbild kreiert die Stille des Anfangs. Paradiesischen Zustand. Eine Unschuldsvermutung.<br />
Dann wird es Licht. Das Drama beginnt – und der Zerfall setzt ein<br />
[…] Was mit großer Geste beginnt, kann nicht klein enden. Karin Beiers König Lear<br />
zur Eröffnung der Spielzeit am Kölner Schauspielhaus hat den Mut, die Konsequenz<br />
und den Willen zum Weltdeutungsdrama, das hier ein Weltendedrama meint, in dem<br />
das, was ist, nur eine Silbe, eine Sekunde, einen Licht-, Kleider und Stimmwechsel getrennt<br />
ist vom Nichts. Den Zwischenraum – mit der Ver-<br />
Nichtung von Ordnung – füllen 140 pausenlose Minuten<br />
schmerzhaft intensiv, unfeierlich, unerbittlich, radikal.<br />
Bis auf die Knochen frei gelegt, lässt die Inszenierung keine<br />
Gefallsucht, strapazierte Aktualitätsfloskeln und entleerte<br />
Dekonstruktionsformeln zu. Nach diesem Abend<br />
weiß man wieder, warum überhaupt man ins <strong>Theater</strong><br />
geht.« (Andreas Wilink, Nachtkritik, 26.9.2009)<br />
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