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business - TextilWirtschaft

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BUSINESS<br />

„WIR MÜSSEN DAS SYSTEM LEBEN“<br />

Andrang im Steigenberger Airporthotel in Frankfurt: Handel und Industrie haben nach wie vor noch großen Informationsbedarf rund um das Thema Vertriebsallianzen.<br />

300 Branchenvertreter kamen zum Partnerschafts-Kongress von <strong>TextilWirtschaft</strong> und BTE nach Frankfurt.<br />

Er hat gezeigt, dass das Geschäft immer professioneller und anspruchsvoller wird.<br />

Lohnt es sich denn noch, über vertikale Partnerschaften<br />

zu sprechen?“, fragte Kerstin<br />

Lehmann vom Beratungsunternehmen<br />

OC&C gleich zu Beginn des Partnerschafts-<br />

Kongresses. Es lohnt sich offenbar, denn zu<br />

der Veranstaltung von <strong>TextilWirtschaft</strong> und<br />

BTE kamen rund 300 Vertreter aus Handel,<br />

Industrie sowie der IT- und Dienstleistungsbranche<br />

nach Frankfurt.<br />

Das Thema beschäftigt die Modewelt seit vielen<br />

Jahren, und immer noch gibt es großen<br />

Bedarf an Informationen und Erfahrungsaustausch<br />

rund um die vertikale Zusammenarbeit<br />

zwischen Industrie und Handel. TW-<br />

Chefredakteur Jürgen Müller sagte in seiner<br />

Begrüßung: „Eine Aneinanderreihung von<br />

Shops ergibt noch kein Sortiment.“ Ein Trugschluss<br />

vieler Händler. Kerstin Lehmann benannte<br />

einen weiteren Trugschluss, dem so<br />

mancher Markenanbieter noch unterliege:<br />

„Zu viele halten sich schon für vertikal, weil sie<br />

eigene Läden haben, Menü-Aufträge vergeben<br />

oder zwölf Kollektionen im Jahr anbieten.“<br />

Händler halten sich für vertikal, wenn sie eigene<br />

Designer beschäftigen oder direkt sourcen.<br />

Aber: „Das System funktioniert nur als<br />

Regelkreis. Vertikalisierung ist kein Sammelsurium<br />

an Tools und Einzelmaßnahmen.“<br />

28 <strong>TextilWirtschaft</strong> 13 _2011<br />

Das bedeutet: Alle Einheiten des Prozesses<br />

müssen ineinander greifen wie Zahnräder,<br />

angefangen von der Beschaffung über die Logistik,<br />

die Produktentwicklung, Vertrieb und<br />

Flächensteuerung bis zum Marketing.<br />

„Bei der Umstellung auf vertikale Prozesse<br />

drehen Sie praktisch Ihr Unternehmen einmal<br />

um 180 Grad“, erklärt Kerstin Lehmann.<br />

Dies sei nicht zwingend für jedes Unternehmen<br />

notwendig. Aber: „Als Marktteilnehmer<br />

muss ich mich damit beschäftigen, wie Vertikale<br />

mein Geschäft verändern.“ Vor allem<br />

die höheren Rohertragsmargen und die kurzen<br />

Leadtimes seien Wettbewerbsvorteile der<br />

vertikal agierenden Unternehmen. „In der<br />

idealen Welt des Händlers kann er die Kundenwünsche<br />

zu100%erfüllen. Vertikale kommen<br />

dem sehr nahe, da sie permanent die<br />

Erkenntnisse von der Fläche umsetzen und<br />

schnell reagieren können“, so Lehmann.<br />

Kristinn Már Gunnarsson kennt beide Seiten<br />

–Handel und Industrie. Er hat viele Jahre für<br />

die Bestseller-Gruppe gearbeitet und vertreibt<br />

nun über sein Unternehmen Arcticgroup Labels<br />

wie Jane Norman, Oasis und Karen Millen<br />

in Deutschland, über eigene Stores und<br />

über Shops. Er ist davon überzeugt, dass man<br />

nicht gleichzeitig Wholesale und Retail betreiben<br />

kann. Die Modelle seien zu unterschiedlich.<br />

„Beim klassischen Wholesale liegen das Risiko<br />

und die Lagerhaltung beim Händler. Die<br />

Vertriebsstruktur der Lieferanten ist durch<br />

Handelsvertreter und Schauräume kostenintensiv.<br />

Der Händler ordert langfristig vor,<br />

die Industrie produziert nach den Aufträgen,<br />

die Ware kommt, und schnell sind die Highlights<br />

am POS ausverkauft. Nachliefern von<br />

Bestsellern ist in diesem System kaum möglich“,<br />

beschreibt Gunnarsson die Situation.<br />

Bei Vertragsflächen im Handel hingegen, die<br />

von der Industrie bewirtschaftet werden, halte<br />

der Lieferant die Ware vor, er sehe permanent,<br />

was abverkauft wurde und könne eine kontinuierliche<br />

Versorgung gewährleisten sowie<br />

Renner nachproduzieren. Ein schnelleres und<br />

marktnäheres Prinzip.<br />

Mit der Marke Jane Norman gehe man noch<br />

einen Schritt weiter, erklärt Gunnarsson. Hier<br />

werde der Produzent mit in die Kette einbezogen.<br />

Auch er erhalte die Abverkaufsdaten und<br />

könne direkt nachproduzieren. Renner<br />

schnell nachliefern zu können, aber auch die<br />

Penner schnell von der Fläche zu nehmen, sei<br />

Fotos: Thomas Fedra


Kerstin Lehmann: „Das System funktioniert nur als<br />

Regelkreis. Vertikalisierung ist kein Sammelsurium an<br />

Tools und Einzelmaßnahmen.“<br />

Simone Fellner: „Wir wollen nur den stärksten Partner<br />

vor Ort und die beste Fläche im Haus bzw. die beste<br />

Store-Lage im Ort.“<br />

Thomas Humbeck: „Wichtig ist kontinuierliche Kommunikation<br />

zwischen dem Händler und den Produkt-<br />

Managern. Wir brauchen das Feedback von der Fläche.“<br />

Peter K. Sudholt: „Die Ansprüche der Kunden sind in<br />

Gelnhausen die gleichen wie in Hamburg. Sie wollen<br />

immer wieder etwas Neues sehen.“<br />

Jan Rosenberg: „Wir haben uns intensiv mit der Kritik<br />

des Handels auseinandergesetzt. Heute sehen wir uns<br />

als besten Retailer ohne eigenen Retail.“<br />

Kristinn Már Gunnarsson: „Es ist sehr wichtig, Renner<br />

schnell nachliefern zu können, aber auch die Penner<br />

schnell von der Fläche zu nehmen.“<br />

Andreas Schaller: „Wir können in unseren eigenen<br />

Stores Erfahrungen machen, die sonst nicht möglich<br />

wären. Davon profitiert auch der Handel.“<br />

Insa Held: „Das System ist nur Werkzeug, das Geschäft<br />

wird von Menschen gemacht. Wir brauchen persönliche<br />

Betreuung und qualifizierte Ansprechpartner.“<br />

Rolf Jansen (links) und Mike Mönninghoff: „Wir wollen<br />

die Prozesskette optimieren und so unsere Marge weiter<br />

steigern.“<br />

<strong>TextilWirtschaft</strong> 13 _2011 29


BUSINESS<br />

sehr wichtig, so Gunnarsson. „Der Kunde ist<br />

heute anspruchsvoller und informierter.“<br />

Mit dieser Tatsache beschäftigen sich Händler<br />

heute intensiv, ob in der City oder auf dem<br />

Land. „Die Ansprüche der Kunden sind in<br />

Gelnhausen die gleichen wie in Hamburg“,<br />

erklärt denn auch Peter K. Sudholt, geschäftsführender<br />

Gesellschafter der Joh-Gruppe.<br />

„Viele kommen wöchentlich und wollen dann<br />

immer etwas Neues sehen.“<br />

Sudholt, der überzeugt ist, ohne Partner ein<br />

Warenhaus nicht betreiben zu können, übt<br />

jedoch Kritik an den Modeanbietern, die seiner<br />

Erfahrung nach zum Teil nicht auf die<br />

Bedürfnisse der Einzelhändler eingehen. Bei<br />

Limitplanungen würden Anfangsbestände<br />

nicht berücksichtigt, NOS komme obendrauf,<br />

Accessoires würden einfach verordnet, Winterjacken<br />

schon im Juli geliefert, Bestseller in<br />

zu großen Mengen wieder und wieder auf die<br />

Fläche gebracht. „Und Konditionsverbesserungen<br />

sind nur nach Besuch des Möbelverkäufers<br />

möglich.“<br />

Sudholt war unzufrieden, weil seine Einkäufer<br />

oft nicht auf Augenhöhe mit den Lieferanten<br />

verhandeln konnten. Inzwischen hat er<br />

Category Manager definiert, die übergreifend<br />

für alle vier Häuser Bereiche wie Mode, Sport,<br />

Wäsche, Accessoires und Living verantworten.<br />

Sie planen und kontrollieren die Flächen,<br />

stimmen die Werbe-Inhalte ab, führen die<br />

Konditionsverhandlungen, gehen auf Messen<br />

und sind die Ansprechpartner für die Industrie.<br />

„Seit der Neuorganisation hat sich die<br />

Sortiments-Aussage verbessert, die Shop-Verantwortlichen<br />

haben mehr Zeit auf der Fläche,<br />

der interne Informationsfluss hat sich verbessert,<br />

die Industrie hat kompetentere Ansprechpartner<br />

und nicht zuletzt haben sich<br />

LUG und Kalkulation verbessert“, zieht Sudholt<br />

ein Zwischenfazit.<br />

Auf Augenhöhe mit den Händlern agieren<br />

will auch die CBR-Gruppe, die ihren Handelspartnern<br />

eine Fairness-Garantie gibt, die besonders<br />

mit dem Start der eigenen Online-<br />

Shops für die Marken Street One, Cecil und<br />

One Touch an Bedeutung gewinnt. „Wir haben<br />

uns intensiv mit der Kritik des Handels in<br />

den vergangenen Jahren auseinandergesetzt“,<br />

sagt CEO Jan Rosenberg. Zu wenig Marke, zu<br />

wenig Kommunikation, zu wenig Kulanz wurde<br />

dem Unternehmen angekreidet. Die An-<br />

30 <strong>TextilWirtschaft</strong> 13 _2011<br />

Der Kongress wurde gemeinsam von<br />

<strong>TextilWirtschaft</strong> und BTE veranstaltet.<br />

Rund 300 Branchenvertreter kamen<br />

nach Frankfurt.<br />

TW-Chefredakteur Jürgen Müller: „Eine<br />

Aneinanderreihung von Shops ergibt<br />

noch kein Sortiment.“<br />

regungen wurden umgesetzt, man sei heute<br />

„mit den Händlern der beste Retailer ohne<br />

eigenen Retail“, meint Rosenberg.<br />

Auch Zero wächst mit Handelspartnern. Geboten<br />

werde ein erfolgreiches Franchise-Modell,<br />

bei dem auch der Anbieter mit ins Risiko<br />

gehe. Aber es werde auch einiges von den<br />

Händlern abverlangt, wie Expansionsleiterin<br />

Simone Fellner berichtet. „Wir wollen nur den<br />

stärksten Partner vor Ort und die beste Fläche<br />

im Haus bzw. die beste Store-Lage im Ort“, so<br />

Fellner. Dafür nimmt Zero nicht verkaufte<br />

Ware nach 90 Tagen zurück und gibt eine<br />

Mindestertrags-Garantie. Das Konzept gehe<br />

auf: „Wenn ich einen Partner überzeugt habe,<br />

einen Shop zu betreiben, eröffnet er später<br />

meistens noch weitere.“<br />

Mango, über viele Jahre hinweg reiner<br />

Filialist, hat das Shop-in-Shop-Konzept wieder<br />

für sich entdeckt, um so auch Geschäfte mit<br />

Multilabel-Händlern machen zu können. Was<br />

vor rund sechs Jahren im Ausland begann,<br />

unter anderem bei House of Fraser, Coin und<br />

John Lewis, wird seit zwei Jahren auch hierzulande<br />

bei Platzhirschen und Filialisten wie<br />

SinnLeffers, P&Cund AppelrathCüpper umgesetzt.<br />

„Voraussetzungen sind eine 80 bis<br />

100m² große Fläche in einem führenden Modehaus,<br />

EDI-Anschluss und ein passendes<br />

Umfeld“, erklärt Thomas Humbeck, Mango-<br />

Expansionsleiter für den deutschsprachigen<br />

Raum. „Wichtig ist eine kontinuierliche Kommunikation<br />

zwischen dem Händler und den<br />

Produkt-Managern. Wir brauchen das Feedback<br />

von der Fläche“, betont er.<br />

Kommunikation ist auch für Insa Held der<br />

Schlüssel zum Erfolg, denn: „Das System ist<br />

nur ein technisches Werkzeug, das Geschäft<br />

wird von Menschen gemacht“, sagt die Händlerin,<br />

die mit ihrem Mann über die Store Kontor<br />

GmbH Monolabel-Stores von Cecil, Street<br />

One und Esprit betreibt. „Wir brauchen persönliche<br />

Betreuung, qualifizierte Ansprechpartner<br />

und kurze Wege.“ Wenn das System<br />

funktioniere, könne sie sich auf die Kernaufgaben<br />

konzentrieren: Verkauf und Kundenbetreuung.<br />

„Aber wir dürfen uns nicht auf<br />

dem System ausruhen. Wir müssen es leben.“<br />

Von der Industrie wünscht sie sich faire Limits<br />

und einen maßvollen Umgang mit Abschriften<br />

sowie einen bundesweiten Austausch von<br />

Benchmark-Daten.<br />

Rolf Jansen und Mike Mönninghoff leben das<br />

Franchise-System von Jack Wolfskin. Mit 24<br />

Läden erzielen sie 20 Mill. Euro Umsatz und<br />

sind damit größter Franchise-Nehmer der<br />

Outdoor-Marke in Europa. „Ein Laden rechnet<br />

sich für uns erst ab 600000 Euro netto, wir<br />

wollen die Prozesskette optimieren, unsere<br />

Marge weiter steigern“, sagt Mönninghoff.<br />

Sie haben das Geschäft strukturiert und für<br />

mehr Effizienz eine eigene Software entwickelt.<br />

„Die Software erspart ein physisches<br />

Zentrallager. Sie errechnet die optimale Verteilung<br />

von Ware in den Stores“, erklärt Jansen.<br />

So werde auch die interne Umverteilung<br />

von Ware organisiert. Der betreffende Store<br />

erhält eine entsprechende Information und<br />

schickt dann die Artikel an die Zielfiliale.<br />

So konnten auch die Abschriften reduziert<br />

werden, berichtet Jansen. Zudem kann das<br />

Tool täglich die Soll- und Ist-Daten von der<br />

Fläche liefern. Inzwischen haben die Unternehmer<br />

ihre Software lizensiert und bieten sie<br />

auch anderen Firmen an.<br />

Der Schuhanbieter Lloyd nutzt seine eigenen<br />

Läden, um das Sortiment und die Präsentation<br />

permanent zu optimieren. „Wir können<br />

hier Erfahrungen machen, die sonst nicht<br />

möglich wären“, sagt Geschäftsführer Andreas<br />

Schaller. Und von diesen Erfahrungen profitiere<br />

auch der Einzelhändler, der wichtigster<br />

Partner sei. Rund 80%der Lloyd-Herrenschuhe<br />

werden über den Fachhandel verkauft. In<br />

den eigenen Stores erstellt Lloyd genaue Analysen<br />

aus den Abverkaufszahlen und leitet daraus<br />

Empfehlungen für den Handel ab. So<br />

konnte z.B. ein Schuhmodell, das zuvor ein<br />

Flop war, durch eine neue Präsentation in einen<br />

Bestseller verwandelt werden. Bei einigen<br />

Testkunden steuert Lloyd inzwischen auch die<br />

Fläche komplett: „Das wird künftig ein großes<br />

Thema für uns“, so Schaller.<br />

Der Kongress hat gezeigt, dass das Thema<br />

Vertriebsallianzen weiterhin heiß diskutiert<br />

werden wird. „Die Zusammenarbeit zwischen<br />

Industrie und Handel wird sich weiter<br />

professionalisieren“, sagt Sudholt. Die Expertin<br />

Kerstin Lehmann resümiert: „Vertikalität<br />

bleibt auch künftig ein Wettbewerbsvorteil.<br />

Aber nur dann, wenn ein Unternehmen die<br />

Prozesse tatsächlich beherrscht.“ �<br />

ANJA PROBE<br />

Fotos: Thomas Fedra


Luca Strehle (Strenesse), Christine Schmoldt<br />

(Strenesse), Bernd Meister (More & More)<br />

Britta Kükenshöner (Höltl Retail Solutions),<br />

Harald Lampp (Modehaus Sauer)<br />

Roman Schmitz (Schmitz das Modehaus), Andreas<br />

Firneburg (O’Neill), Peter Heckmann (Mode Heckmann)<br />

Christian Moritz (Görtz), Günter Herrmann<br />

(Trio Vertrieb)<br />

Bernd Brodrick (Gelco), Andreas Albrecht (Leininger)<br />

Sandra Krischel (Konen), Michael Schreiber (Passport)<br />

Marko Schröer (Bültel), Uwe Kauert (Cinque)<br />

Karin Strunge (Tom Tailor), Cathrin Brock (Mexx)<br />

Robert Theijssen (Garcia), Sven Hugo Joosten (Jones)<br />

Silvia Zortea (RMS), Ulf Dörner (Esprit) Jens Herzig (Gerry Weber), Erhardt Schäfer (Jakob Jost) Axel Börgers (Nick Hartmann Consultants), Daniel<br />

Pflumm (Joda), Holger Knapp (Deutscher Fachverlag)<br />

Markus Naewie (CBR), Jürgen Riesterer (Riesterer) Prof. Dr. Siegfried Jacobs (BTE), Jürgen Dax (BTE) Martin Schulte im Rodde, Frank Beeck (beide<br />

Charles Vögele)<br />

<strong>TextilWirtschaft</strong> 13 _2011 31

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