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Werkstoffe der Elektrotechnik 1

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<strong>Werkstoffe</strong> <strong>der</strong> <strong>Elektrotechnik</strong> 1Prof. Dr. H. Schaumburg1. Atome und Festkörper1.1 Atomaufbau und Periodensystem 21.2 Größen von Atomen und Ionen 181.3 Atombindung und Kristallstruktur1.3.1 Atombindung und Aggregatzustand 211.3.2 Ionische Bindung 241.3.3 Kovalente Bindung 351.3.4 Metallische Bindung 491.4 Raumgitter und reziproke Gitter1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 551.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 621.5 Bragg-Reflexion 682 Einführung in die Gibbs'sche Thermodynamik2.1 Entropie 762.2 Chemisches Potential 862.3 Konfigurationsenergie 962.4 Freie Energie von Legierungen 1002.5 Zustandsdiagramme 1122.6 Ternäre Legierungen 1252.7 Punktfehler und Diffusion2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 1272.7.2 Diffusion 1352.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung 1482.8 Übergang in das thermische Gleichgewicht2.8.1 Phasenmischung 1532.8.2 Ausscheidung und Entmischung 1572.8.3 Dipolschichten 162


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 21. Atome und Festkörper1.1 Atomaufbau und PeriodensystemAtome bestehen aus elektrisch positiv geladenen Atomkernen (typischer Durchmesser10 -14 m), <strong>der</strong> aus N Kernbausteinen (Nukleonen: Protonen, Neutronen und an<strong>der</strong>eElementarteilchen) zusammengesetzt ist und elektrisch negativ geladenen Elektronen(typischer Abstand vom Atomkern 10 -10 m), welche durch das elektrostatische Felddes Atomkerns gebunden werden. Die Wechselwirkung zwischen dem Atomkern undden Elektronen ist also elektrostatischer Natur und führt zu einer Anziehungskraft, diesich durch die folgende Beziehung beschreiben läßt (s. Standardliteratur <strong>der</strong> Physik o<strong>der</strong>Band 11 dieser Reihe):Dabei ist für den kugelsymmetrischen Abstand r zwischen Atomkern und Elektron,E(r) die elektrische Feldstärke (s. Anhang C1), o die Influenzkonstante (s. AnhangB), N·|q| die Kernladung (die Kernladungs– o<strong>der</strong> Ordnungszahl N ist eine ganze positiveZahl, |q| die Elementarladung nach Anhang B). Die Ortsabhängigkeit von (1) ist inBild 1.1-1c dargestellt.Die Form von (1) läßt sich ableiten aus <strong>der</strong> Poissongleichung, die im Abschnitt 6 dieses Bucheseine große Rolle spielen wird: Sie gehört zu <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Maxwellschen Gleichungen und besitzt einefundamentale Bedeutung in <strong>der</strong> <strong>Elektrotechnik</strong>. Wir wollen sie hier zur Herleitung von (1) im Vorgriffverwenden (<strong>der</strong> noch ungeübte Leser kann ohne Verständniseinbuße die folgende Rechnungüberschlagen):Integrieren wir (1) über das Volumen, dann folgt aus (2):Da das elektrische Feld um die positive Kernladung herum einen radialsymmetrischen Verlaufbesitzt (also nur vom Abstand zum Kern abhängt und nicht von <strong>der</strong> speziellen Richtung <strong>der</strong> Verbindungsliniezwischen Kern und Elektron) wählt man zweckmäßigerweise als Volumen in (3) eine Kugel,in <strong>der</strong>en Mittelpunkt sich <strong>der</strong> Atomkern und damit die Kernladung befindet (Bild 1.1-1a). In diesemFall ergibt sich aus (3) speziell:


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 3Bei <strong>der</strong> Umformung des Integrals über das Kugelvolumen in ein Integral über die Kugeloberfläche habenwir den bekannten Gaußschen Integralsatz (s. Standardliteratur zur Mathematik o<strong>der</strong> Band 14 dieserReihe) angewendet. Für jeden Kugelradius r = |r| hat dann die Feldstärke auf <strong>der</strong> dazugehörigenKugeloberfläche denselben Betrag E(r). Damit kann das Flächenintegral in (3) leicht ausgewertetwerden, so daß man erhält:Der Ortsverlauf <strong>der</strong> elektrischen Feldstärke aus (4) ist in Bild 1.1-1b dargestellt


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 4Bild 1.1-1: Elektrostatische Wechselwirkung von Atomkern und Elektron (die grundlegenden Definitionenund Zusammenhänge zwischen den elektrischen Feldgrößen sind im AnhangC1 zusammengestellt)a) Der Atomkern mit <strong>der</strong> Kernladung N|q| wird in den Ursprung eines Koordinatensystemsgelegt. Aus Symmetriegründen ist zur erwarten, daß die elektrostatischeWechselwirkung mit den Elektronen (Ladung -|q|) nur von dem Abstand zum Atomkern,nicht aber von <strong>der</strong> Raumrichtung abhängt. Aus diesem Grund haben die entsprechendenGrößen eine Kugelsymmetrie: Auf den eingezeichneten Kugeloberflächenhaben sie dieselbe Größe.b) Ortsverlauf <strong>der</strong> elektrischen Feldstärke E(r) nach (5)c) Ortsverlauf <strong>der</strong> Kraft F(r)auf ein Elektron nach (5) und (6)d) Ortsverlauf des elektrostatischen Potentials (r)e) Ortsverlauf <strong>der</strong> potentiellen Energie W pot (r).Bringt man eine Ladung Q in ein Gebiet mit <strong>der</strong> Feldstärke E(r), dann wirkt eine Feldkraft F (zuunterscheiden von Entropie- o<strong>der</strong> Diffusionskräften in Systemen vieler Teilchen, s. Abschnitt 2.2)auf die Ladung <strong>der</strong> GrößeDie Anwendung dieser Beziehung auf ein Elektron mit <strong>der</strong> Ladung -|q| im Feld (5) <strong>der</strong> Kernladung ergibtdann eine ebenfalls kugelsymmetrisch wirkende Kraft F(r) gemäß (1), die in Bild 1.1-1c dargestelltist.


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 5Die Anwesenheit von Kräften führt bei einer hinreichend großen Teilchenbeweglichkeitzu einer mechanischen Bewegung <strong>der</strong> betroffenen Teilchen. Bei den Feldkräften liegtdie Ursache hierfür darin, daß bei einer Ortsverlagerung in einem Kraftfeld die Teilchenvon einem Ort höherer potentieller Energie W pot (r) in einen mit einer niedrigerenübergehen. Die entsprechende Energiedifferenz wird dann zumindest teilweise in Wärmeumgesetzt; dieses ist ein Kriterium dafür, daß Prozesse von selbst (d.h. ohne weitereEinwirkung von außen) ablaufen (s. Abschnitt 2.1). Zwischen den Ortsabhängigkeitenvon Feldkraft und potentieller Energie allgemein die BeziehungDa die Kraft nur von <strong>der</strong> Ortsableitung <strong>der</strong> potentiellen Energie abhängt, ist W pot nurbis auf eine Konstante definiert. Wenn nicht an<strong>der</strong>s spezifiziert, wählen wir die folgendeKonvention: W pot = 0 entspricht <strong>der</strong> Vakuumenergie, die als Energie eines unbewegtenTeilchens im Weltenraum abseits von je<strong>der</strong> Wechselwirkung mit an<strong>der</strong>en Teilchendefiniert ist.In dem betrachteten System aus einer positiven Kernladung und dem Elektron ergibtsich damit als (ebenfalls kugel- o<strong>der</strong> radialsymmetrischer) Verlauf <strong>der</strong> potentiellenEnergie:Der entsprechende Kurvenverlauf ist in Bild 1.1-1e abgebildet.Eine elektrische Feldstärke ist nach Anhang C1 darstellbar als <strong>der</strong> Gradient eineselektrostatischen Potentials (die Differenz des elektrostatischen Potentials zwischenzwei Ortsvektoren wird auch als elektrische Spannung U bezeichnet):so daß wir aus (4) den (ebenfalls radialsymmetrischen) Verlauf des elektrostatischenPotentials bestimmen können:Aus (8) und (10) folgt für das System Atomkern–Elektron die Beziehung


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 6Dieses ist ein Beispiel für den allgemeinen Zusammenhang (Anhang C1) zwischen <strong>der</strong>potentiellen Energie eines System mit <strong>der</strong> Ladung Q in einem elektrostatischen Feld mitdem Potential :Die Bewegung von Elektronen in einem elektrostatischen Kraftfeld, bzw. im Feld <strong>der</strong>dazugehörigen potentiellen Energie hängt stark davon ab, wie groß die Gesamtenergie(kinetische und potentielle Energie) des Teilchens ist (Bild 1.1-2).Bild 1.1-2:Elektronenbahnen im Feld <strong>der</strong> potentiellen Energie W pot nach Bild 1.1-1e um einenAtomkern.a) Gesamtenergie des Elektrons W o größer Null: Das Elektron hat auch ohne


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 7Wechselwirkung mit dem Atomkern bereits eine kinetische Energie. Es wird durchden Atomkern nur abgelenkt (gestreut), aber nicht eingefangenb) perspektivische Darstellung <strong>der</strong> Bahn eines gestreuten Elektrons für die Verhältnissein a): Bewegung auf einer abgelenkten Bahnc) Gesamtenergie des Elektrons W o kleiner Null: Das Elektron kann sich nur imEinflußbereich des Atomkerns zwischen den Wendepunkten bewegen (außerhalb<strong>der</strong> Wendepunkte würde sich eine negative kinetische Energie ergeben)d) perspektivische Darstellung <strong>der</strong> Bahn eines gebundenen Elektrons für die Verhältnissein c): Bewegung auf einer geschlossenen BahnNach den Gesetzen <strong>der</strong> klassischen Physik kann ein gebundenes Elektron entsprechendBild 1.1.2-c und d jeden beliebigen Energiewert W o < 0 annehmen. Seit vielen Jahrzehntengehört es aber zu den gesicherten Erkenntnissen <strong>der</strong> Physik, daß im Bereich <strong>der</strong>atomaren Dimensionen (Größenordnung Nanometer) die Gesetze <strong>der</strong> klassischenPhysik nicht gültig sind, es müssen vielmehr die Gesetze <strong>der</strong> Quantenphysik angewendetwerden. Diese besagen, daß nur solche Energiewerte W n eingenommen werdenkönnen, welche sich als Lösung <strong>der</strong> folgenden Differentialgleichung (zeitunabhängigeSchrödingergleichung) ergeben (s. Standardliteratur <strong>der</strong> Physik o<strong>der</strong> Band 11dieser Reihe):Dabei ist m die Masse des Elektrons, h ist das Planck'sche Wirkungsquantum, eineNaturkonstante, geteilt durch 2 . Die Funktion n wird als Wellenfunktion desTeilchens bezeichnet. Diese beschreibt die Eigenschaften des Teilchens zwar nichtunmittelbar, aus ihr lassen sich aber anschaulich interpretierbare Teilcheneigenschaftenableiten. Zum Beispiel ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich das Teilchen in einemVolumenelement dV befindet, gleich | n | 2·dV.


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 8Bild 1.1-3:Verlauf <strong>der</strong> potentiellen Energie eines Elektrons im elektrostatischen Feld einesAtomkerns wie in Bild 1.1-1e: Eingetragen sind die quantentheoretisch erlaubtenEnergieeigenwerte (Energieniveaus) W n . Die Indizes n heißen in diesem BeispielHauptquantenzahlen.Die Schrödingergleichung ist eine Eigenwertgleichung, d.h. nur für bestimmte Energieeigenwerteo<strong>der</strong> Energieniveaus W n ergeben sich dazugehörige Lösungsfunktionen n . Die Konsequenz ist, daß nicht alle Energiewerte W o (d.h. ein kontinuierlichesEnergiespektrum) angenommen werden können, son<strong>der</strong>n nur bestimmte WerteW n (d.h. ein diskretes Energiespektrum). Dieser Sachverhalt ist in Bild 1.1-3 veranschaulicht.Bei einem isolierten Wasserstoffatom wird das diskrete Energiespektrum beschriebendurch die Gleichung:Dabei wird als Einheit <strong>der</strong> Energie die Größe Elektronenvolt eV verwendet, d.h. diejenigeEnergie, welche ein Elektron gewinnt o<strong>der</strong> verliert, wenn es sich durch einen Plattenkondensatormit <strong>der</strong> Plattenspannung 1 Volt (s. Anhang Cl) bewegt. Dieses ist eine anschaulichgut zu interpretierende Einheit, die sich sowohl in <strong>der</strong> Werkstoff–, wie in <strong>der</strong>Bauelementphysik zunehmend durchgesetzt hat.


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 9Die Frage ist nun, wie sich die Elektronen eines Atoms auf die Energiewerte verteilen.Dabei müssen zwei Gesichtspunkte berücksichtigt werden:1. Nach den Gesetzen <strong>der</strong> Thermodynamik werden in einem Energiespektrum die energetischtiefer liegenden Energieniveaus stärker besetzt (s.Abschnitt 4.1.3), weil an<strong>der</strong>enfallsdurch einen Übergang von einem höher- auf ein tieferliegendes Nivau Wärmeproudziert werden könnte.2. Das quantentheoretisch begründete Pauli'sche Prinzip postuliert, daß pro Energieniveaunur zwei Elektronen zugelassen sind, die ein unterschiedliches magnetisches Moment(Elektronenspin) besitzen müssen (s. Abschnitt 7).Die Anzahl <strong>der</strong> nach (13) zugelassenen Energieeigenwerte wird dadurch vergrößert,daß sich Elektronen mit gleichem Energieeigenwert in einer an<strong>der</strong>en physikalischen Eigenschaft,dem Bahndrehimpuls, unterscheiden können (man kann zeigen, daß jedeBewegung in einem Zentralfeld mit einem konstanten Wert des Drehimpulses verbundenist). Auf diese Weise spalten die zu einer Hauptquantenzahl gehörenden Energieniveausjeweils in Gruppen auf (Drehimpuls-Entartung). Die Charakterisierung dieser"Unterniveaus" erfolgt jetzt durch weitere charakteristische Größen, die Drehimpulsquantenzahlen.Alle diese zusätzlichen Niveaus können wie<strong>der</strong> mit jeweils zweiElektronen unterschiedlichem Spins besetzt werden.Die für die Drehimpulsentartung maßgeblichen Quantenzahlen können durch eine Lösungeiner Schrödingergleichung bei Verwendung von Radialkoordianten berechnetwerden. Es ergeben sich die folgenden Regeln, die in den Standardbüchern über dieQuantentheorie bewiesen werden:1. Die erste Drehimpulsquantenzahl charakterisiert den Betrag des Bahndrehimpulses1, <strong>der</strong> hierfür zugelassene Wertebereich steigt mit <strong>der</strong> Hauptquantenzahl n an. DieRechnung zeigt, daß l die Werteannehmen kann.2. Zusätzlich hat die Elektronenbahn einen weiteren Freiheitsgrad: Sie kann (ebenfallsgequantelte, d.h. bestimmten diskreten Werten entsprechende) unterschiedliche Orientierungenim Raum annehmen. Diese Tatsache wird durch die zweite Drehimpulsquantenzahl,die Bahnprojektionsquantenzahl l z beschrieben, welche die Wertezuläßt.


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 10Mit den genannten Regeln und <strong>der</strong> Tatsache, daß jedes einzelne Niveau mit zwei Elektronenunterschiedlichen Spins besetzt werden kann, ist die Aufstellung eines Schemasfür die erlaubten Energieniveaus möglich (Bild 1.1-4a) und <strong>der</strong>en Besetzung durchElektronen für Atome mit unterschiedlicher Kernladungszahl N möglich. Dabei wirdDie energetische Lage <strong>der</strong> entsprechenden Niveaus ist in Bild 1.1-4b dargestellt.a)


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 11Bild 1.1-4:Quantentheoretisch zugelassene Energieniveaus bei <strong>der</strong> Wechselwirkung von Elektronen mit demelektrostatischen Feld eines Atomkerns:a) Schema <strong>der</strong> quantentheoretisch erlaubten Energieniveaus im elektrostatischenFeld eines Atomkerns mit Aufspaltung nach den Drehimpulsquantenzahlen. DieEnergieniveaus, welche zu einer gemeinsamen Hauptquantenzahl gehören, bestehenaus Unterschalen mit unterschiedlichen Beträgen "l" des Drehimpulses, die als s-, p-,d-...Unterschalen bezeichnet werden.b) Typische energetische Lage <strong>der</strong> Energienievaus für die meisten Atomsorten(nach [1.1]): Typisch sind bestimmte Gruppen von Energieniveaus (Hauptschalen),die relativ dicht beeinan<strong>der</strong> liegen und durch einen größeren Energieabstandvoneinan<strong>der</strong> getrennt werden. Die zuunterst liegenden Energienievaus werden zuerstbesetzt, wobei nach dem Puali-Prinzip nicht mehr als zwei Elektronen unterschiedlichenSpins ein Energienievau besetzen dürfen. Die Anzahl <strong>der</strong> zur Verfügung stehendenElektronen wird durch die Kernladungszahl N bestimmt.


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 12Als maximal mögliche Anzahl von Elektronen mit gleicher Hauptquantenzahl n ergibtsich:Typisch für die Anordnung <strong>der</strong> Elektronenniveaus in Bild 1.1-4b ist eine Periodizität bestimmterEigenschaften: z.B. treten in verschiedenen Hauptschalen Unterschalen mitdenselben Drehimpulsquantenzahlen (sofern nach (15) und (16) erlaubt) in vergleichbarerenergetischer Lage auf: s-Elektronen haben stets die niedrigsten Energiewerte in einerHauptschale, darüber liegen die Niveaus <strong>der</strong> p-Elektronen. Dieses ist die Ursache diehäufig auftretende Periodizität in den chemischen Eigenschaften <strong>der</strong> Elemente.Die Elemente des Periodensystems lassen sich charakterisieren durch die Anzahl N<strong>der</strong> positiven Ladungen im Atomkern; bis hin zu Werten über N = 100 sind die entsprechendenElemente in <strong>der</strong> Natur gefunden o<strong>der</strong> künstlich hergestellt worden. EineZusammenstellung mit den dazugehörigen Besetzungen <strong>der</strong> Elektronenzuständen ist in<strong>der</strong> Tabelle 1.1-1 (nächste Seite) wie<strong>der</strong>gegeben.Tab. 1.1-1Elektronenkonfiguration <strong>der</strong> Elemente (Namen <strong>der</strong> Elemente im Periodensystemim Umschlag dieses Buches). In den eckigen Klammern sind jeweils die Elemente(Edelgase) aufgeführt, <strong>der</strong>en Termschema die inneren Schalen beschreibt (nach[1.1]).


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 13Bei den Elementen 19 und 20 (Kalium und Kalzium) finden wir die in Bild 1.1-4b dargestelltSystematik wie<strong>der</strong>: Die 4s-Schale wird eher besetzt als die 3d-Schale. Auch <strong>der</strong>Elektronenspin hat einen Einfluß auf die Besetzung <strong>der</strong> Atomniveaus: Nach <strong>der</strong> HundschenRegel erfolgt die Besetzung <strong>der</strong> Weise, daß <strong>der</strong> resultierende Gesamtspin dengrößt möglichen Wert hat, <strong>der</strong> mit dem Pauliprinzip vereinbar ist, d.h. die Spins habeneher die Tendenz, benachbarte Energieniveaus mit gleichgerichteter Spinausrichtung zubesetzen, als dieselben mit entgegengesetzter (Bild 1.1-5). Diese Tatsache hat einen erheblichenEinfluß auf die magnetischen Eigenschaften <strong>der</strong> Elemente (Abschnitt 7).


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 14Bild 1.1-5:Hundsche Regel: Bei <strong>der</strong> Besetzung von Unterschalen werden eher verschiedeneEnergieniveaus mit gleichgerichtetem Spin, als gleiche mit entgegengesetztem besetzt.Auf diese Weise erhalten die Atome insgesamt ein magnetisches Moment.Diese Tatsache hängt damit zusammen, daß Elektronen mit demselben Energieniveauengbeieinan<strong>der</strong> liegende Verteilungen (Bahnen) besitzen, so daß eine Abstoßungstattfindet, welche die Energie insgesamt vergrößert (s. Abschnitt 7.1.4).Die Bindungsenergien <strong>der</strong> Elektronen eines Atoms entsprechen dem Absolutbetrag<strong>der</strong> Energieniveaus: Je niedriger das Energieniveau im Termschema liegt, umso größerist die Bindungsenergie. Die Bindungsenergie des am schwächsten gebundenen (alsoim Termschema am weitesten oben liegenden) Elektrons wird auch als Ionisationsenergiebezeichnet. Bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Abhängigkeit <strong>der</strong> Bindungenergie von<strong>der</strong> Ordnungszahl (Kernladungszahl) N gibt es im Prinzip zwei gegenläufige Tendenzen:Einerseits führt die zunehmende Auffüllung <strong>der</strong> Schalen in Bild 1.1-4b zu höherenEnergieniveaus, an<strong>der</strong>erseits bewirkt aber auch die zunehmende elektrische Anziehungdes Kerns eine festere Bindung aller Elektronen <strong>der</strong> Atomhülle. Die gemessenen Ionisationsenergienin Tab. 1.1-1 zeigen, daß innerhalb einer Hauptschale im wesentlichen <strong>der</strong>zweite Effekt dominiert: Die Ionisierungsenergien nehmen dort mit steigen<strong>der</strong> OrdnungszahlN zu (Bild 1.1-6a). Dasselbe Ergebnis gilt auch für die Bindungsenergien<strong>der</strong> stärker gebundenen inneren Elektronen des Atoms (Bild 1.1-6b).a)


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 15b)Bild 1.1-6:Abhängigkeit <strong>der</strong> Bindungsenergien (Absolutbetrag des Energieniveaus z.B. inBild 1.1-3 o<strong>der</strong> 4b) von Elektronen an den Atomkern in Abhängigkeit von <strong>der</strong> KernladungszahlN: Diese Energie muß aufgebracht werden, wenn das betrachtete Elektronaus dem entsprechenden Zustand von dem Atom entfernt werden soll.a) Ionisationsenergie (Bindungsenergie des am schwächsten gebundenen äußerstenElektrons (nach [1.2])b) Bindungsenergien <strong>der</strong> inneren Elektronen (nach [1.1]).


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 16Die Bindungsenergie ist nur ein sehr grobes Maß für die Tendenz eines Atoms, Elektronenabzugeben: Nach Entfernung des Elektrons ist nämlich das Atom elektrisch positivgeladen (ionisiert), d.h. die Verhältnisse am Atom werden so stark verän<strong>der</strong>t, daßeine Verschiebung <strong>der</strong> Atomniveaus auf <strong>der</strong> Energieskala zu erwarten ist. Ein exakterWert für die Ionisationsenergie ergibt sich daher aus <strong>der</strong> Differenz <strong>der</strong> Gesamtenergiedes Atoms vor und nach <strong>der</strong> Entfernung des Elektrons. Dasselbe gilt auch für die Anlagerungeines Elektrons an ein neutrales Atom: Dadurch wird das Elektron negativ ionisiert.Bei diesem Prozeß wird in <strong>der</strong> Regel eine Energie gewonnen, die als Elektronenaffinitätbezeichnet wird (Tab. 1.1-2). In <strong>der</strong> Chemie werden die experimentell gefundenenWerte <strong>der</strong> Ionisierungsenergie und <strong>der</strong> Elektronenaffinität vielseitig verwendet.Tab. 1.1-2: Elektronenaffinitäten einiger Elemente des Periodensystems (nach [1.2])


1.1 Atomaufbau und Periodensystem 17Der Energiegewinn ist beim Übergang von Elektronen von einem Atom auf das an<strong>der</strong>eist allerdings nicht <strong>der</strong> einzige Gesichtspunkt bei <strong>der</strong> chemischen Bindung: Wie in denAbschnitten 2.1 und 2.2 ausführlich erläutert, spielt auch die Zahl <strong>der</strong> Anordnungsmöglichkeitendes Elektrons in dem Gesamtsystem aller beteiligten Atome (charakterisiertdurch eine Größe, die als Entropie bezeichnet wird) eine ebenso wichtige Rolle. Alsentscheidende Größe wird sich in Abschnitt 2.2 das chemische Potential <strong>der</strong> Elektronenergeben.Wegen des Schalenaufbaus <strong>der</strong> Atomniveaus (Bild 1.1-4) sind die Voraussetzungen füreine Elektronenabgabe daher beson<strong>der</strong>s günstig bei Atomen, <strong>der</strong>en Valenzelektronenauf s-Unterschalen liegen. Entsprechend werden Elektronen leichter aufgenommen vonan<strong>der</strong>en Atomen mit Valenzelektronen in nicht vollständig besetzten p-Unterschalen.Der Aufbau <strong>der</strong> äußersten Elektronenschale ist daher oft entscheidend für das chemischeVerhalten <strong>der</strong> Elemente. Bild 1.1-7 zeigt, daß es dabei periodisch wie<strong>der</strong>kehrende Regelmäßigkeitengibt, wie z.B. die vollständige Besetzung von Hauptschalen o<strong>der</strong> die Besetzung<strong>der</strong> jeweils obersten Schale nur mit einem s-Elektron.Bild 1.1-7:Elektronenstruktur von Elementen mit ähnlichen chemischen Eigenschaften.a) gemeinsames Merkmal: vollständig gefüllte Schalen (Edelgase)b) gemeinsames Merkmal: Nur das unterste Energieniveau <strong>der</strong> jeweils höchstenSchale ist besetzt (Alkaligruppe)Wegen <strong>der</strong> Periodizität <strong>der</strong> in Bild 1.1-7 auftretenden o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Merkmale ist es sinnvoll,die Elemente in einer zweidimensionalen Darstellung so anzuordnen, daß Elementemit ähnlichen chemischen Eigenschaften in einer Gruppe (Spalte) untereinan<strong>der</strong>liegen(siehe Tabelle im Umschlag des Buches).


1.2 Größen von Atomen und Ionen 181.2 Größen von Atomen und IonenDie Größe <strong>der</strong> Atome wird bestimmt durch die Abmessungen <strong>der</strong> Elektronenhülle. Mitzunehmen<strong>der</strong> Ordnungszahl steigt die Anzahl <strong>der</strong> Elektronen, gleichzeitig werdenElektronenzustände mit zunehmend höheren Energien besetzt. Nach Bild 1.1-3 nimmtdann auch <strong>der</strong> Abstand <strong>der</strong> Wendepunkte, d.h. <strong>der</strong> Durchmesser <strong>der</strong> Elektronenbahn zu,so daß man eine Zunahme des Atomradius mit <strong>der</strong> Ordnungszahl erwarten könnte. Demwirkt aber entgegen, daß mit steigen<strong>der</strong> Kernladungszahl die elektrostatische Anziehungan den Kern zunimmt, so daß dadurch die Vergrößerung des Atoms kompensiertwird. Bild 1.2-1 zeigt die theoretisch und experimentell bestimmten Werte: Tatsächlichist <strong>der</strong> Größenzuwachs <strong>der</strong> Atome mit <strong>der</strong> Ordnungszahl nicht erheblich.Bild 1.2-1:Abhängigkeit <strong>der</strong> Atomradien von <strong>der</strong> Ordnungszahl (nach [l])Durch Entfernung eines Elektrons aus <strong>der</strong> Elektronenhülle kann das Atom elektrischpositiv aufgeladen werden, in diesem Zustand wird das Atom als positiv geladenes Iono<strong>der</strong> Kation bezeichnet. Entsprechend ist eine negative Aufladung des Atoms durchAnlagerung eines zusätzlichen Elektrons an die Hülle möglich, dadurch wird ein Aniongebildet. In beiden Fällen ist auch eine mehrfache Ionisation durch Entfernung o<strong>der</strong> Anlagerungmehrerer Elektronen möglich. Die innerhalb von chemischen Verbindungenhäufig vorkommenden Ionisationszustände (auch Oxidationszahlen genannt) <strong>der</strong>Elemente sind in Tab. 1.2-1 zusammengefaßt.


1.2 Größen von Atomen und Ionen 19Tab. 1.2.1 Oxidationszahlen <strong>der</strong> wichtigsten Elemente des Periodensystems (nach [2])Die Eigenschaft vieler Elemente, mehrere Oxidationsstufen annehmen zu können, läßtin <strong>der</strong> Regel einen größeren Spielraum für die Bildung chemischer Verbindungen zu.Eine charakteristische Größe für die Fähigkeit eines Atoms, über eine chemischeVerbindung Elektronen an sich zu ziehen, bezeichnet man als Elektronegativität, siewird in einer Skala gemessen, die von 0 bis ca. 4 reicht: Die Elemente <strong>der</strong> 7. Gruppe –wie z.B.das Chlor – haben eine starke Tendenz, sich negativ aufzuladen und daher einehohe Elektronegativität. Dagegen können die Elemente <strong>der</strong> 1. Gruppe – die Alkalimetal-


1.2 Größen von Atomen und Ionen 20le – leicht positiv ionisiert werden, sie haben daher nur eine geringe Elektronegativitätvon 1 o<strong>der</strong> noch weniger. Tabelle 1.2-2 zeigt die Elektronegativitäten <strong>der</strong> Elemente.Tab. 1.2-2: Elektronegativitäten <strong>der</strong> Elemente (nach [3])Durch eine positive Ionisation nimmt <strong>der</strong> Atomradius ab, bei negativer Ionisationdagegen zu. Tab. 1.2-3 zeigt, daß dieser Effekt recht erheblich sein kann.Eine Zusammenstellung wichtiger Ionenradien <strong>der</strong> Elemente ist in Tab. 1.2-3wie<strong>der</strong>gegeben. Dabei muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Ionenradien inAbhängigkeit von <strong>der</strong> chemischen Bindung zu den Nachbarionen variieren können, d.h.die angegebenen Werte sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.Tab. 1.2-3: Größen einiger Atome und Ionen. Zahlenangaben in Nanometern (nach [3,4]).


1.3.1 Atombindung und Aggregatzustand 211.3 Atombindung und Kristallstruktur1.3.1 Atombindung und AggregatzustandEine Bindung von Atomen untereinan<strong>der</strong> entsteht dadurch, daß die Atome imgebundenen Zustand, also bei einem relativ kleinen Abstand voneinan<strong>der</strong>, insgesamt einegeringere potentielle Energie besitzen als in einem Ausgangszustand, bei dem sieweit voneinan<strong>der</strong> entfernt und völlig getrennt sind. Die Abnahme <strong>der</strong> potentiellen Energiemit dem Atomabstand beschreibt nach Anhang C1 eine anziehende Feldkraft Fzwischen den Atomen. Wird <strong>der</strong> Abstand zwischen den Atomen aber so klein, daß sichdie Elektronenhüllen berühren, dann überlagert sich <strong>der</strong> anziehenden eineentgegengesetzt gerichtete abstoßende Kraft, welche eine weitere Annäherung <strong>der</strong>Atome verhin<strong>der</strong>t. Die abstoßende Kraft entsteht dadurch, daß eine Verformung <strong>der</strong>Elektronenhüllen durch eng benachbarte Atome mit einer starken Vergrößerung <strong>der</strong>Energie verbunden ist: In vielen Fällen verhalten sich viele Atome sogar wie "10(’&CE$&")", d.h. bei Unterschreiten eines Mindestabstandes <strong>der</strong> Atome nimmt die Abstoßungskraftsprungartig zu (Bild 1.3-1).


1.3.1 Atombindung und Aggregatzustand 22Bild 1.3.1-1Wechselwirkungen zwischen zwei Atomen:a) Ein Atom 1 möge bei r = 0 ortsfest sein; wir betrachten die Feldkräfte F, dieauf ein Atom 2 wirken in Abhängigkeit vom Abstand r zum Atom 1. Eine anziehendeKraft ist negativ (wirkt in negativer r-Richtung), sie nimmt mit kleiner werdendem rim Betrag zu. Die abstoßende Kraft wirkt auf Atom 2 mit einem positiven Vorzeichen,d.h. in positiver r-Richtungb) Die Summe <strong>der</strong> wirkenden Feldkräfte aus a) ergibt bei r = a ein Kräftegleichgewicht(die abstoßende ist gleich <strong>der</strong> anziehenden Kraft).c) Die Umrechnung <strong>der</strong> Feldkraft aus b) in die dazugehörige potentielle Energie(Anhang C1) ergibt ein Minimum bei r = a (Gleichgewichtsabstand zwischen denAtomen).Typisch für die Konfiguration gebundener Atome ist daher eine Anordnung in einemdurch das Kräftegleichgewicht vorgegebenen Gleichgewichtsabstand a. Um dieVerbindung <strong>der</strong> Atome wie<strong>der</strong> zu lösen, muß <strong>der</strong> Betrag <strong>der</strong> (negativen)H&.4:.",#.#’"&# W B aufgebracht werden. Einen solchen Vorgang nennt manI&,,*?&1+&*., er kann durch Einbringen mechanischer, optischer, thermischer Energieo<strong>der</strong> einer an<strong>der</strong>en Energieform ausgelöst werden. Die thermische Dissoziationist von beson<strong>der</strong>er Bedeutung, weil sie – die entsprechende Temperatur und damitthermische Energie vorausgesetzt – von selbst abläuft (Bild 1.3.1-2).Bild 1.3.1-2:Verschiedene Ortsabhängigkeit <strong>der</strong> potentiellen Energie (Energiekurven) entsprechendBild 1.3-1c im Vergleich zu einer thermischen Energie W th <strong>der</strong> beteiligtenAtome. Die Kurve a) führt zu einer (fast) vollständigen thermischen Dissoziation <strong>der</strong>Verbindung: "1,-!’


1.3.1 Atombindung und Aggregatzustand 23Für Anwendungen in <strong>der</strong> <strong>Elektrotechnik</strong> und Elektronik sind mit großem Abstand amwichtigsten die Festkörperwerkstoffe. Gase und Flüssigkeiten haben Bedeutung alsIsolatoren, weiterhin ergeben sich spezielle Anwendungen bei Gasentladungsröhren,Flüssigkristallanzeigen u.a.. Für diese Materialien wird auf die umfangreicheSpezialliteratur verwiesen, z.B. [5].Typisch für den Festkörperzustand ist eine feste Bindung zwischen den Atomen, die in<strong>der</strong> Regel nicht leicht durch äußere Einwirkung aufgebrochen werden kann. Dabei istkennzeichnend, daß die in Bild 1.3.1-1 dargestellte Wechselwirkung nicht nur zwischenzwei Atomen stattfindet, son<strong>der</strong>n jedes Atom eine gewisse Anzahl von Nachbarn, z.B. 4,8 o<strong>der</strong> 12 hat, mit denen es jeweils eine Bindung eingeht. Unter dieser Voraussetzungergibt die Minimierung <strong>der</strong> Energie häufig streng symmetrische Konfigurationen, beidenen eine festgelegte geometrische Anordnung <strong>der</strong> Atome in einem X"+3/7-- immerwie<strong>der</strong> aufs neue wie<strong>der</strong>holt wird, d.h. man erhält eine :’"+0(+312’# C/")./)". DieOrtsabhängigkeit <strong>der</strong> potentiellen Energie wie in Bild 1.3.1-1c muß diese Periodizitätwie<strong>der</strong>spiegeln. Man erhält dann Darstellungen wie in Bild 1.3.1-3.Bild 1.3.1-3:Ortsverlauf <strong>der</strong> potentiellen Energie in einem periodisch angeordneten Kristall.Die Periodizitätskonstante a wird auch als =+//’".0%3/7%/’ bezeichnet. In jedemMinimum <strong>der</strong> Kurve befindet sich in <strong>der</strong> Regel ein Atom des Kristalls und nurausnahmsweise kein Atom, d.h. eine Kristall-Leerstelle (s. Abschnitt 2.7.1).Für viele Eigenschaften des Festkörpers ist es von Bedeutung, auf welche Art <strong>der</strong>Wechselwirkung die Bindung zwischen den Atomen zustande kommt.Aus diesem Grund werden im folgenden die verschiedenen Wechselwirkungsmechanismenmit den dazu gehörenden Festkörperstrukturen ausführlich beschrieben.


1.3.2 Ionische Bindung 241.3.2 Ionische BindungEine wichtige Form <strong>der</strong> Wechselwirkung ist die ionische Anziehung: Ist ein starkelektronegatives zentrales Atom von weniger stark elektronegativen Nachbaratomenumgeben, dann wird das Zentralatom negative Ladung von seinen Nachbarnheranziehen und diese entsprechend positiv aufladen. In diesem Fall entsteht dieWechselwirkung über eine elektrostatische Anziehungskraft (Coulombkraft) nach(1.1-6) zwischen den entgegengesetzt geladenen Nachbaratomen. <strong>Werkstoffe</strong>, <strong>der</strong>enBindung rein o<strong>der</strong> vorwiegend ionisch ist, gibt es in sehr großer Zahl: z.B. entsteht eineVielzahl <strong>der</strong> anorganisch-chemischen Verbindungen durch eine ionische Wechselwirkung,dadurch erklärt sich die große praktische Bedeutung <strong>der</strong> Oxidationszahlen in <strong>der</strong>Chemie. Das Element Sauerstoff ist stark elektronegativ, deshalb hat eine Vielzahl <strong>der</strong>Sauerstoffverbindungen (Oxide) ionischen Charakter. Damit fällt ein sehr großer Teil<strong>der</strong> keramischen <strong>Werkstoffe</strong>, die in <strong>der</strong> Elektronik zunehmend Bedeutung erhalten, indie Gruppe <strong>der</strong> Ionenverbindungen (häufig Ionenkristalle). Typisch für viele dieserstark polaren (d.h. positive und negative Ladung enthaltende) Stoffe ist die Tatsache,daß sie Elektronen schlecht leiten, weil diese negativ geladenen Teilchen allzu leicht vonpositiven Ladungen im Ionenkristall eingefangen und dadurch fest gebunden werden, sodaß sie für einen Ladungstransport nur mit Einschränkungen zur Verfügung stehen.Legt man äußere elektrische Fel<strong>der</strong> an, dann werden die Atome aufgrund <strong>der</strong> durch Gleichung(1.1-5) beschriebenen Kraft aus ihren Gleichgewichtspositionen herausgezogenund bilden dann elektrische Dipole (gleich große positive und negative elektrische Ladungen,die in <strong>der</strong> Regel nicht voneinan<strong>der</strong> getrennt werden, s. Abschnitt 6.2), d.h.Ionenverbindungen sind leicht polarisierbar und haben oft eine großeDielektrizitätskonstante. Darüber hinaus sind sie – bei einem hinreichend ungestörtenKristallaufbau – häufig optisch transparent und damit bedeutend für vieleAnwendungen in <strong>der</strong> Optoelektronik. Schließlich haben sie nach Einbau vonmagnetisch aktiven Atomen – wie Eisen, Cobalt o<strong>der</strong> Nickel – in <strong>der</strong> Praxis sehr gutanzuwendende magnetische Eigenschaften. Beispiele dafür sind die Ferrite undGranate.Zwei grundlegende For<strong>der</strong>ungen an eine periodische Anordnung von Ionen in einemIonenkristall sind:1. Der Kristall muß gleich viele positive Ladungen (<strong>der</strong> positiv ionisierten Atome o<strong>der</strong>V-*&+’#’) wie negative (<strong>der</strong> negativ ionisierten Atome o<strong>der</strong> 0’&+’#’) enthalten,an<strong>der</strong>enfalls wäre er elektrostatisch geladen und würde schnell aus <strong>der</strong> UmgebungLadungen umgekehrten Vorzeichens anziehen und in den Kristall einbauen.2. Im Kristall dürfen nicht gleichartig geladene Teilchen auf benachbarten Plätzensitzen. In diesem Fall würde die wegen des relativ kleinen Gitterabstandes beson<strong>der</strong>sstarke elektrostatische Abstoßung zu unstabilen Verhältnissen führen.


1.3.2 Ionische Bindung 25Ein Beispiel für ein Kristallgitter, das diese beiden For<strong>der</strong>ungen erfüllt, ist das 4*5+67%))$" (Bild 1.3.2-1b), so benannt, weil <strong>der</strong> Ionenkristall Kochsalz (NaCl) dieseStruktur besitzt.Bild 1.3.2-1:Ionengitter: Die Kationen (positive Ionen) sind jeweils als leere Kreise dargestellta) Cäsiumchlorid-Gitterb) Natriumchlorid-Gitterc) Zinkblende-Gitterd) an<strong>der</strong>er Darstellung des Zinkblende-Gitters: Jedes Ion ist in <strong>der</strong> Mitte einesTetrae<strong>der</strong>s angeordnet, an dessen Spitzen sich die jeweils an<strong>der</strong>s geladenen Nachbarionenbefinden. Dieselbe Gitterstruktur wird auch bei einer kovalenten Gitterbindungangenommen und hat bei vielen Halbleitern eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung.Es gibt aber auch eine Vielzahl von an<strong>der</strong>en Gittertypen, welche die obengenannten beidenBedingungen erfüllen (weitere Gitterstrukturen in den folgenden Bil<strong>der</strong>n). Diegleiche Anzahl von Anionen und Kationen ist in den Gittermodellen häufig nicht unmittelbarersichtlich, da auch einzelne Ionen aus benachbarten Gitterzellen eingezeichnetsind (s. Abschnitt 1.4).


1.3.2 Ionische Bindung 26Wodurch wird nun bei den vielen vorhandenen Möglichkeiten die von einer ionischenVerbindung speziell angenommene Gitterstruktur bestimmt? Eine wichtige Rollespielen dabei die Atom- o<strong>der</strong> Ionengrößen (Abschnitt1.2) : Das große Cäsium-Kation(Tab. 1.2-3, Ordnungszahl 55) findet in <strong>der</strong> Mitte eines Würfels (Bild 1.3.2-1a) mehrRaum als in den Würfelkantenmitten <strong>der</strong> NaCl-Struktur. Dadurch wird Energieeingespart: Das Cäsium-Atom braucht seine Nachbarn weniger auseinan<strong>der</strong>zudrücken(hierbei wird nach Bild 1.3.1-1 <strong>der</strong> Gitterabstand vergrößert, das ist mit einer größerenpotentiellen Energie verbunden) . Es gilt allgemein die Regel [1](von <strong>der</strong> es allerdingsaus an<strong>der</strong>en Gründen auch viele Ausnahmen gibt): Große Kationen mit einem Verhältnisvon Kationen- zu Anionenradius r + /r - größer als 0,73 bevorzugen dieCäsiumchloridstruktur, mittelgroße Kationen mit einem Radienverhältnis größer als0,414 die Natriumchloridstruktur und kleine Kationen mit einem Radienverhältnis vonmehr als 0,225 die Zinkblendestruktur.Technisch wichtige <strong>Werkstoffe</strong> mit einer NaCl-Struktur sind $.*(*#($)(*,(Verbindungen wie Alkalihalogenide: Bei diesen Materialien erfolgt <strong>der</strong>Leitungstransport häufig nicht über die Bewegung von Elektronen, son<strong>der</strong>n von Ionen,meistens über die Ionensorte mit <strong>der</strong> kleineren Ionengröße. Viele neue Anwendungenfür die Ionenleitung befinden sich noch im Forschungsstadium. Eine an<strong>der</strong>ewichtige Gruppe von Ionenleitern mit NaCl-Struktur sind halbleitende Bleisalze wiePbTe, PbSe und PbS, aus denen sich optische Bauelemente für den Infrarotbereichherstellen lassen.Sehr viele wichtige Halbleiterverbindungen wie Galliumarsenid, Indiumantimonid u.a.kristallisieren in einer Zinkblendestruktur. Auch Zinksulfid (Zinkblende) selber zähltzu den Verbindungshalbleitern. Die Tatsache, daß die Zinkblendestruktur relativ häufigangenommen wird, liegt auch darin begründet, daß eine an<strong>der</strong>e Bindungsart, diekovalente Bindung (Abschnitt 1.3.3) zu einer ähnlichen Kristallstruktur führen kann.Diese Struktur ist also nicht nur typisch für reine Ionenkristalle, son<strong>der</strong>n auch für rein kovalentgebundene Kristalle, sowie Mischformen zwischen beiden Bindungsarten: Verbindungshalbleiteraus Elementen <strong>der</strong> III. und V. Gruppe des Periodensystems (III-V-Halbleiter) haben meistens zu ca. 30% einen ionischen Anteil <strong>der</strong> Bindung, II-VI-Halbleiterca. 60%, <strong>der</strong> jeweils restliche Anteil <strong>der</strong> Bindung ist kovalent.Die bisher beschriebenen Ionenkristalle zeichnen sich durch ein stöchiometrischesVerhältnis von Kationen zu Anionen von 1:1 aus. Än<strong>der</strong>t sich dieses Verhältnis, dannwerden weitere, häufig kompliziertere Kristallstrukturen angenommen. Bild 1.3.2-2zeigt die Kristallstrukturen für Stöchiometrieverhältnisse von 2 :1 und 1: 2 .


1.3.2 Ionische Bindung 27Bild 1.3.2-2:Ionengitter mit unterschiedlichen Stöchiometrieverhältnissen. Die leeren Kreisestellen jeweils die Kationen (positive Ionen) dar.a) Stöchiometrieverhältnis 2:1: Antifluoritgitter (Na 2 0, beim Fluoritgitter CaF 2sindKationen und Anionen vertauscht)b) Stöchiometrieverhältnis 2:1: Rutilgitter (TiO 2 )c) Stöchiometrieverhältnis 3:2: Korundstruktur (Saphir A1 2 0 3 , mit ChromdotierungRubin).Der zum Antifluoritgitter inverse Gittertyp (Plätze von Kationen und Anionenvertauscht) ist das Fluoritgitter. In diesem Gitter kristallisiert bei hohen Temperaturenein für die Anwendung wichtiger Sauerstoff-Ionenleiter: ZrO 2 , das Grundmaterial fürdie U6&F56S;%-5’. Diese regelt die Verbrennung in Kfz-Motoren, so daß eineoptimale Katalyse umweltschädlicher Auspuffgase erfolgen kann.Zwei Materialien mit einer Rutilstruktur finden Anwendung als gasempfindliche Festkörpersensoren:Titan- und Zinndioxid.


1.3.2 Ionische Bindung 28Verbindungen mit zwei Atomsorten bezeichnet man als bin!"#, solche mit drei als-#"0!"#, solche mit vier als%23/-#"0!"#, usw. 6#7,#"307#0, wobei das stöchiometrischeVerhältnis <strong>der</strong> Legierungsbestandteile keine Rolle spielt. Auch ternäre Verbindungenkönnen eine typische Struktur von binären, wie die NaCl-Struktur, annehmen. Indiesem Fall kann <strong>der</strong> Gitterplatz einer Ionensorte von zwei unterschiedlichen ladungsäquivalenten(bei Abweichungen davon müssen gezielt sogenannte ;’0&-,-3-,’0#((#6##"&-#((#0 eingebaut werden) Ionen besetzt werden.Eine wichtige Struktur für ternäre und quaternäre Ionenkristalle ist die Perovskitstrukturmit <strong>der</strong> Zusammensetzung ABX 3 (Bild 1.3.2-3):Bild 1.3.2-3: Perovskitstruktur: A ist ein großes metallisches Kation, B ein kleineres. Die X-Atome sind Anionen, häufig Sauerstoffionen.Die Perovskitstruktur gilt als beson<strong>der</strong>s variabel. In dieser Struktur lassen sichVerbindungen <strong>der</strong> verschiedensten Elemente und Stöchiometrien energetisch günstigkristallisieren. Deshalb sind die Perovskite auch als die am häufigsten vorkommendeStruktur bei den Mineralien auf <strong>der</strong> Erde. Die Eigenschaften <strong>der</strong> Perovskite überspanneneinen sehr weiten Bereich. Vielfaltige Anwendungen in <strong>der</strong> Elektronik sind schonvorhanden, weitere noch im Forschungsstadium. Hierzu einige Beispiele:Bariumtitanat (BaTiO 3 , Bild 1.3.2-4, weiteres in Abschnitt 6.3.3): Das kleine Ti 4+ -Ion hat in <strong>der</strong> Würfelmitte relativ viel Raum und kann dort leicht aus seiner Gleichgewichtspositionverschoben werden. Bei Einwirkung eines elektrischen Feldes erfolgtdamit eine große Auslenkung eines hochgeladenen Ions, d.h. es wird ein großesDipolmoment induziert. Dem entspricht eine große Dielektrizitätskonstante.Tatsächlich haben Bariumtitanat-Keramikkondensatoren relative Dielektrizitätskon-


1.3.2 Ionische Bindung 29stanten von mehreren Tausend. Aufgrund einer kleinen – in den abgebildetenKristallstrukturen nicht erkennbaren – Gitterverzerrung besitzt Bariumtitanat (wie vielean<strong>der</strong>e Perovskite auch) ein permanentes elektrisches Dipolmoment: es ist ferroelektrisch(Band 3, Abschnitt 3.5). Die Aufhebung <strong>der</strong> Ferroelektrizität oberhalb einerbestimmten Temperatur (Curie-Temperatur) führt zu einem Anstieg des Wi<strong>der</strong>standesum mehrere Größenordnungen: Dieser Effekt wird bei E)*"*&+"&’, (Band 3, Abschnitt3.3.4) ausgenutzt.Bild 1.3.2-4: Bariumtitanat: Die Struktur ist genauso perovskitisch wie die in Bild 1.3.2-3,jedoch ist hier das kleinere Metallkation in die Würfelmitte gelegt. Die Würfelkantewird von B-Atomen aus Bild 1.3.2-3 besetzt.Läßt man eine mechanische Spannung einwirken auf einen ferroelektrischen (und einigenicht-ferroelektrische <strong>Werkstoffe</strong> wie Quarz) Kristall, dann verän<strong>der</strong>t sich daspermanente Dipolmoment: auf die Oberfläche des Kristalls wird eine Flächenladung induziert(Abschnitt 6.2). Auch die Umkehrung dieses Prozesses ist realisierbar: DurchInduzieren einer Flächenladung (Anlegen einer Spannung an zwei kontaktierte Oberflächen)wird eine mechanische Verzerrung erzeugt. Diesen Effekt bezeichnet man alsX+&8$&*&C"’+8+"!", er ist beson<strong>der</strong>s ausgeprägt, wenn man in <strong>der</strong> Bariumtitanatstrukturdas Barium durch Blei und das Titan teilweise durch Zirkon ersetzt: Dabei entsteht diekeramische Mischverbindung Bleizirkonat-Titanat (PZT).Eine piezoelektrisch erzeugte elektromechanische Umwandlung findet vielfältigeAnwendungen bei Schwingquarzen, keramischen Mikrofonen, Schallgeneratoren,Drucksensoren und mechanischen Aktuatoren, bei denen ein elektrisches Signal direktin eine mechanische Bewegung umgesetzt wird.


1.3.2 Ionische Bindung 30Auch die neuartigen Hochtemperatursupraleiter, <strong>der</strong>en Wi<strong>der</strong>stand auf außerordentlichkleine Werte abnimmt bei Abkühlung auf Temperaturen bei ca. minus 150 Grad Celsius,haben eine perovskitische Struktur (Bild 1.3.2-5).Bild 1.3.2-5: Perovskitische Struktur des Hochtemperatursupraleiters Y-Ba-Cu-O [55]


1.3.2 Ionische Bindung 31Sehr wichtige Anwendungen finden die Perovskite und an<strong>der</strong>e verwandte Strukturen in<strong>der</strong> Optoelektronik und integrierten Optik (s. Abschnitt 6.4). Das hängt damitzusammen, daß z.B. <strong>der</strong> optisch transparente Ilmenit (perovskitähnlich) Lithiumniobat(LiNbO 3 ) aufgrund seiner Kristallstruktur optisch doppelbrechend ist, d.h. <strong>der</strong>Brechungsindex des Materials hängt ab von <strong>der</strong> Polarisationsrichtung des Lichtstrahls.Die Größe dieses Effekts läßt sich durch Anlegen von elektrischen Fel<strong>der</strong>n variieren:Man bezeichnet dieses als den 8)"-’2-"%34$),56-" o<strong>der</strong> F35;-8,NJBB-;$. Da man inLithiumniobat Leiter für optische Strahlung (Streifenleiter) gezielt einführen kann, läßtsich <strong>der</strong> Pockelseffekt zum Aufbau eines Umschalters für Lichtstrahlen einsetzen (Bild1.3.2-6). Hierfür gibt es in <strong>der</strong> optischen Datenübertragung und Nachrichtentechnikvielfältige Anwendungen.Bild 1.3.2-6:Elektrooptischer Schalter für Streifen-Lichtleiter in einer Platte aus Lithiumniobat:Ohne angelegte elektrische Spannung wird <strong>der</strong> Lichtstrahl auf eine benachbarteLichtleitung übergekoppelt. Dieser Effekt läßt sich durch Anlegen einer äußerenSpannung unterdrücken (nach [7]). Derselbe Effekt läßt sich auch zum Aufbau vonoptischen Modulatoren bis in den GHz-Bereich verwenden (Abschnitt 6.4).Durch die Kopplung von elektrischen und Schallwellen lassen sich weitere wichtigeBauelemente <strong>der</strong> Elektronik realisieren: Elektronische Ablenkung von Laserstrahlenüber den akusto-optischen Effekt und zeitliche Verzögerung elektrischen Signale überOberflächen-Schallwellen (PK\],+2B’5-%’53+,$)5%V’:-,).Komplizierter aufgebaut als die Perovskite sind die Spinelle mit einer ZusammensetzungAB2X4 (Bild 1.3.2-7). Das Spinellgitter wird im wesentlichen festgelegt durch die großenAnionen X, die in vielen Fällen aus Sauerstoffatomen bestehen. In dieses Anionengitter sinddie Kationen eingebaut: Die kleineren Kationen des Typs A werden auf Zwischengitterplätzenmit tetraedrischer Umgebung, die größeren des Typs B auf solche mit oktaedrischer Umgebung(dort ist mehr Raum vorhanden) eingebaut. Von den insgesamt 64 vorhandenen tetraedrischenZwischengitterplätzen sind jedoch nur 8 besetzt, von den 32 oktaedrischen nur 16.


1.3.2 Ionische Bindung 32Bild 1.3.2-7:Charakteristische Merkmale <strong>der</strong> kubischen Spinellstruktur: Die kleinste periodischangeordnete Zelle mit <strong>der</strong> Kantenlänge von ca. l nm besteht aus 8 kubischenUnterzellen mit <strong>der</strong> Zusammensetzung von jeweils AB2X4. Die tetraedrische undoktaedrische Umgebung von Zwischengitteratomen mit Sauerstoffionen isthervorgehoben.Das Sauerstoffgitter selbst kann auf zweierlei Weise aufgebaut werden: in kubischerSymmetrie mit weitgehend isotropen (d.h. von <strong>der</strong> Kristallrichtung unabhängigen)Eigenschaften o<strong>der</strong> in hexagonaler Symmetrie mit anisotropen Eigenschaften, beidenen die Eigenschaften in Richtung einer vorgegebenen Kristallachse markantabweichen (s. Abschnitt 1.3.4). Die Isotropie kubischer Spinelle macht man sich bei denkubischen Ferriten zunutze mit einer Zusammensetzung von z.B. Ni l-x Zn x Fe 2-y O 4(Nickel-Zink-Ferrit, x-variiert je nach Zusammensetzung, y ist ein "Unterschuß" anEisen,d.h. eine Abweichung vom stöchiometrischen Gleichgewicht). Damit könnenEigenschaften wie die ,)#"$/4.(0$% Z$6,$)-4+4/!/ (Abschnitt 7.1.2) beeinflußtwerden: Diese Ferrite besitzen ein großes magnetisches Moment (Gesamtheit allerElektronenspins) pro Volumen, das durch äußere Magnetfel<strong>der</strong> leicht in beliebigeRichtungen gedreht werden kann (Weichmagnet). Relative Permeabilitäten von einigenTausend können ohne weiteres erreicht werden, d.h. diese <strong>Werkstoffe</strong> eignen sich zurVerstärkung <strong>der</strong> Selbstinduktion von Spulen und Transformatoren (Ferritkerne,Abschnitt 7.2.3).Bei den anisotropen hexagonalen Ferriten (z.B. Bariumferrit BaFe l2 0 l9 ) richten sichdie Elektronenspins häufig in Richtung einer kristallographischen Achse aus und lassensich von dort aus nur schwer durch äußere Magnetfel<strong>der</strong> auslenken (Hartmagnete,


1.3.2 Ionische Bindung 33Abschnitt 7.3.2). Aus diesen <strong>Werkstoffe</strong>n lassen sich daher Permanentmagneteherstellen. Eine beson<strong>der</strong>s wichtige Anwendung für sehr kleine Kristalle mitpermanentmagnetischen Eigenschaften ist die magnetische Datenaufzeichnung(Datenbän<strong>der</strong>, floppy disks usw., Abschnitt 7.3.3): Über das starke Magnetfeld einesAufnahmekopfes werden diese Teilchen in gewünschter Weise magnetisiert, dieMagnetisierung kann durch kleinere Magnetfel<strong>der</strong> nicht mehr verän<strong>der</strong>t werden. Fürdiese Anwendung kommen aber auch weichmagnetische Materialien (Fe 2 0 3 o<strong>der</strong>CrO 2 ) in Frage, denen man über eine spezielle Formgebung <strong>der</strong> magnetisierbarenTeilchen, z.B. eine Nadelform, hartmagnetische Eigenschaften eingeprägt hat.Eine weitere wichtige Gruppe von Ionenkristallen bilden die Q"-*-,%, z.B. dieEisengranate mit <strong>der</strong> Zusammensetzung M 3 Fe 5 0 l2 (M = Metallion). Die kubischeEinheitszelle <strong>der</strong> Granate umfaßt 160 Ionen, d.h. aus 8 Einheiten <strong>der</strong> oben angegebenenZusammensetzung, mit einer Kantenlänge von ca. 1,2 nm (Bild 1.3.2-8).Bild 1.3.2-8: Anordnung <strong>der</strong> Kationen eines Granatkristalls (nach [9]).Granate sind beliebte <strong>Werkstoffe</strong> für optisch beson<strong>der</strong>s störungsarme Stäbe von Feststofflasern,in die Fremdatome zur Erzeugung metastabiler Elektronenzustände eingebautwerden können. Am häufigsten angewendet wird Neodym-dotiertes Yttrium-Aluminium-Granat (Nd:YAG), wobei <strong>der</strong> Neodymgehalt bis zu einerstöchiometrischen Konzentration gesteigert werden kann [10].Weitere Anwendungen sind mit den magnetischen Eigenschaften <strong>der</strong> 2)$%*granate,z.B. Yttrium-Eisengranat (YIG) verbunden. Diese ferrimagnetischen Materialien (dieMagnetisierungsrichtungen zweier magnetischer Untergitter wirken gegeneinan<strong>der</strong>,nach außen ist die Differenz bei<strong>der</strong> meßbar) lassen sich gut in dünnen Schichten auf einer


1.3.2 Ionische Bindung 34nichtmagnetischen Unterlage herstellen, wobei nur zwei Magnetisierungsrichtungensenkrecht zur Schicht energetisch günstig sind (Abschnitt 7.3.4). Magnetisiert man dieSchicht zunächst in einer Richtung, dann lassen sich durch auf einen kleinen Ortbegrenzte Magnetfel<strong>der</strong> (o<strong>der</strong> örtliche Temperaturhöhungen) Bereiche mit <strong>der</strong>entgegengesetzt gerichteten Magnetisierung erzeugen. Diese magnetischen "Blasen"(magnetic bubbles) lassen sich gezielt über die Fläche <strong>der</strong> Granatschicht ablenken. ÜberAnwesenheit o<strong>der</strong> Abwesenheit solcher Blasen kann eine digitale Informationgespeichert und verarbeitet werden, dieses ist das Prinzip <strong>der</strong> magnetischenF>4#5"#E5%,-56 und von Logikschaltungen nach demselben Prinzip.Schließlich kann beim YIG und an<strong>der</strong>en magnetischen Granaten noch die Eigenschaft<strong>der</strong> Elektronenspins ausgenutzt werden, daß sie bei Einwirken eines Magnetfeldes eineperiodische Bewegung (Präzession) ausführen, <strong>der</strong>en Frequenz im GHz-Bereich liegtund durch Variation <strong>der</strong> Magnetfeldstärke bis 30 GHz und darüber abgestimmt werdenkann. Bei einer Ankopplung von Mikrowellen ergeben sich technisch gut verwendbareResonanzeigenschaften (Anwendung als Filter, Frequenz-Scanner etc., s. Abschnitt7.3.4).


1.3.3 kovalente Bindung 351.3.3 Kovalente BindungDie durch elektrostatische Anziehung bewirkte Ionenbindung ist anschaulich gut zuverstehen und quantitativ relativ leicht zu berechnen. Die interatomare Wechselwirkungz.B. zwischen den Kohlenstoffatomen des Diamantkristalls, die bekanntlich zu einersehr starken Bindung (und einer daraus resultierenden großen mechanischen Härte)führt, ist jedoch weit schwieriger zu behandeln. Nach Tab. 1.2-1 können diese Atome dieWertigkeiten +4 und -4 annehmen, d.h. theoretisch wäre denkbar, daß zwischenbenachbarten Atomen im Kristallgitter Ladungen hin und her wan<strong>der</strong>n und damit imzeitlichen Mittel eine elektrostatische Anziehung ermöglichen. Für einen solchen Bindungsmechanismusgibt es aber keine Hinweise. Für eine ähnliche Bindungsform wiezwischen den Kohlenstoffatomen gibt es eine große Anzahl weiterer Beispiele, wie z.Bdie Bindung von Wasserstoffatomen zu Wasserstoffmolekülen H 2 , die Bindung desWassermoleküls H 2 O, die Bindung zwischen den Siliziumatomen in einem Silizium-Festkörpüer und viele an<strong>der</strong>e.Die Ursache für die gegenseitige Anziehung liegt in <strong>der</strong> Quantentheorie: Bei einer starkenAnnäherung <strong>der</strong> positiv geladenen Atomkerne "spüren" die äußeren (Valenz-) Elektronengleichzeitig das Potentialfeld von beiden Kernen: Die Berechnung <strong>der</strong> Wellenfunktionenfür die Valenzelektronen über die Schrödingergleichung (1.1-13) ergibtdann, daß die örtliche Elektronendichte | n (r)| 2 sich zum Teil auf den Bereich zwischenden Atomkernen konzentriert: Die sich elektrostatisch abstoßenden Atomkernewerden durch eine vergrößerte negative Ladung zwischen beiden "zusammengehalten",es entsteht eine konvalente Bindung (Bild1.3.3-1) .Bild 1.3.3-1:Kovalente Bindung: Die quantentheoretische Berechnung von Wellenfunktionen im Feld<strong>der</strong> potentiellen Energie zweier benachbarter Atomkerne führt zu einer Elektronenkonzentration zwischenden beteiligten Kernen, die ihrerseits eine anziehende Kraft auf beide Atomkerne ausübt.


1.3.3 kovalente Bindung 36Bild 1.3.3-2 erklärt anschaulich, wie die Elektronenkonzentration zwischen den Atomkernenbei einem Wasserstoffmolekül zustandekommt. Dabei spielt die Symmetriedes Moleküls eine große Rolle: Rechts und links von <strong>der</strong> Symmetrieachse in Bild1.3.3-1 müssen die Elektronenverteilungen symmetrisch sein, weil auch die Atomkernesymmetrisch zur Symmetrieachse liegen.Die obigen Betrachtungen gelten streng genommen nur für ein ionisertes WasserstoffmolekülH 2 + , bei dem sich nur ein einziges Elektron im Feld bei<strong>der</strong> Wasserstoffkernebewegt. Die Größe <strong>der</strong> Bindungsenergie und <strong>der</strong> Gleichgewichtsabstand einer Anzahlvon Atompaaren, die eine kovalente Bindung eingehen können ist in Tab. 1.3.3-1 zusammengefaßt.Tab. 1.3.3-1:Bindungsenergie und Gleichgewichtsabstand verschiedener Atome, die eine kovalenteBindung eingehen können [11].Wie die Ionenbindung führt auch die kovalente Bindung einer Vielzahl von Atomen zueiner periodischen Anordnung <strong>der</strong> Atome in Ein-(Kristallen).Bei den Halbleiterelementen Silizium- und Germanium ergibt sich in diesem Fall eineBindungsenergie zwischen benachbarten Atomen von 1,8 und 1,6 eV. Nach Tab. 1.1-1sind z.B. bei Silizium (Ordnungszahl 12) an <strong>der</strong> kovalenten Bindung vier Valenzelektronen(jeweils zwei s- und zwei p-Elektronen) beteiligt. Daraus müßte folgen, daß jeweilszwei Bindungen etwas unterschiedliche Eigenschaften haben, da die Form <strong>der</strong>Elektronenbahnen von den Drehimpulsquantenzahlen abhängen. Ein solcher Effektwird aber in <strong>der</strong> Natur nicht beobachtet: Alle vier Bindungen haben exakt die gleichenEigenschaften und Kenngrößen. Dieses Ergebnis erklärt man sich durch den Vorgang,<strong>der</strong> als Hybridisierung bezeichnet wird: Durch eine Überlagerung (Mischung) <strong>der</strong>


1.3.3 kovalente Bindung 37vier Grundzustände (s 2 und p 2 ) entstehen vier gleichwertige gemischte Zustände, dieals sp 3 -Hybridzustände bezeichnet werden. Die räumliche Verteilung <strong>der</strong> Gebietemit hoher Elektronenaufenthaltwahrscheinlichkeit (entsprechend <strong>der</strong> Elektronendichte,s. Abschnitt 1.1) ergibt die Form von Bindungsarmen (Hybridorbitale), die indie Ecken eines Tetrae<strong>der</strong>s zeigen, in dessen Mitte sich das Atom befindet (Bild 1.3.3-2).Bild 1.3.3-2:sp 3 -HybridorbitaleAuch für an<strong>der</strong>e Valenzelektronen-Konfigurationen gibt es gerichtete Hybridorbitalemit bestimmten Symmetrieeigenschaften (Bild 1.3.3-3)Bild 1.3.3-3Hybridorbitale verschiedener Konfigurationen von Valenzelektronen: Der dazugehörigeAtomrumpf befindet sich jeweils im Zentrum, die Hybridorbitale zeigen zuden Eckpunkten <strong>der</strong> Figur [1].


1.3.3 kovalente Bindung 38Die räumliche Orientierung <strong>der</strong> Hybridorbitale bestimmt bei einer kristallinen Bindungvieler Atome die periodische Struktur (Kristallstruktur). Gleichartige Atome mit sp 3 -Hybridorbitalen bilden das Diamantgitter (Bild 1.3.3-4), das in seiner Struktur übereinstimmtmit dem Zinkblendegitter in Bild 1.3.2-1. Der Unterschied ist, daß das Zinkblendegittermit zwei entgegengesetzt geladenen Ionen alternierend besetzt ist, das Diamantgitteraber nur mit Atomen einer Sorte wie C, Si o<strong>der</strong> Ge.Bild 1.3.3-4:Aufbau des Diamantgitters aus sp 3 -HybridorbitalenDie Diamantstruktur ist relativ offen, sie hat nur eine Raumausfüllung von 65%. DieÄhnlichkeit zwischen Diamantgitter und dem ionischen Zinkblendegitter hat eine wichtigeKonsequenz: Diese Struktur kann von Verbindungen angenommen werden, <strong>der</strong>enBindung sowohl ionischen, wie kovalenten Charakter hat. Eine solche "gemischte" Bindungist typisch für eine Vielzahl von halbleitenden Verbindungen (Tab. 1.3.3-2).


1.3.3 kovalente Bindung 39Tab. 1.3.3-2Anteil des ionischen Charakters <strong>der</strong> Bindung bei verschiedenen binären Legierungen[12,32].Eine dem Zinkblendegitter sehr ähnliche Kristallstruktur hat das Wurtzitgitter:Auch dieses Gitter kann realisiert werden bei einer tetraedrischen Ausrichtung <strong>der</strong> Bindungsarme(sp 3 -Hybridorbitale), jedoch sind die ebenen Atomlagen in unterschiedlicherWeise aufeinan<strong>der</strong> gestapelt (s. Abschnitt 1.3.4 und Bild 1.3.3-5).Bild 1.3.3-5:Kristallstrukturen von Atomen mit tetraedrisch ausgerichteten Bindungsarmen(sp 3 -Hybridorbitale): Wir betrachten wir die senkrecht orientierten Bindungsarmein verschiedenen übereinan<strong>der</strong>liegenden Ebenen: Bei <strong>der</strong> Wurtzitstruktur liegendiese Bindungsarme je<strong>der</strong> zweiten Ebene übereinan<strong>der</strong>, bei <strong>der</strong> Zinkblendestrukturjedoch nur in je<strong>der</strong> dritten. Dieses wird durch die "Stapelung" <strong>der</strong> Ebenen (Abschnitt1.3.4) bestimmt (nach [14])


1.3.3 kovalente Bindung 40Die tetraedrisch gebundenen Halbleiter kristallisieren in beiden Strukturen (Tab. 1.3.3-3)Kristallstrukturen einiger Verbindungshalbleiter (nach [14])a) Zinkblende-Struktur (kubisch)b) Wurtzitstruktur (hexagonal)Die rein kovalent gebundenen Elementhalbleiter Silizium und Germanium haben eineüberragende Bedeutung in <strong>der</strong> Elektronik: Diese sind die mit Abstand wichtigsten<strong>Werkstoffe</strong> für die Herstellung von Halbleiterbauelementen.Das gilt für das gesamteSpektrum <strong>der</strong> Bauelemente: von Gleichstrom- bis zu Mikrowellenbauelementen im Bereichkleinsten Leistungen bis zu Kilowattbauelementen. Während in <strong>der</strong> Frühzeit <strong>der</strong>Halbleitertechnik die Germaniumbauelemente noch überwogen, hat heute Silizium dasGermanium fast verdrängt, eine Entwicklung, die parallel zum Übergang von diskretenauf integrierte Bauelemente verlief. Die überwiegend kovalent, aber auch signifikant ionischgebundenen Verbindungshalbleiter mit jeweils einem Element aus <strong>der</strong> III. und <strong>der</strong>V., sowie <strong>der</strong> II. und <strong>der</strong> VI. Gruppe des Periodensystems (genannt III-V-o<strong>der</strong> II-VI-Halbleiter) gewinnen zunehmend an Bedeutung. Das hängt vielfach mit den optischenEigenschaften <strong>der</strong> Halbleiter zusammen: Der Bereich des Lichtspektrums, in dem diese<strong>Werkstoffe</strong> optische Strahlung aussenden o<strong>der</strong> mit großer Empfindlichkeit detektierenkönnen, ist stark materialabhängig (Bild 1.3.3-6).


1.3.3 kovalente Bindung 41Bild 1.3.3-6:Spektrum des sichtbaren Lichts, zusammen mit <strong>der</strong> relativen spektralen Empfindlichkeitdes menschlichen Auges. Auf <strong>der</strong> rechten Seite sind diejenigen Halbleiterwerkstoffeeingezeichnet, die in dem entsprechenden Spektralbereich Lichtstrahlungaussenden o<strong>der</strong> mit großer Empfindlichkeit detektieren können (nach [13])Ein wichtiger Parameter dabei ist <strong>der</strong> Energie-Bandabstand W g (s. Band 2, Abschnitt2.2). Diese Energie muß aufgebracht werden zur Aktivierung eines Valenzbandelektronsin das Leitungsband, dort kann es zur Leitfähigkeit beitragen (siehe Abschnitt4.1.3).Die Bindungsenergie zwischen Silizium und Sauerstoff ist recht groß (Tab. 1.3.3-1),deshalb kommen Silizium-Sauerstoff-Verbindungen in <strong>der</strong> Natur häufig vor, z.B. alsQuarz (SiO 2 ). Die Silikate sind aufgebaut aus vierfach negativ geladene SiO 4 -Zellen:Dabei ist jedes Si-Atom tetraedrisch von 4 Sauerstoff-Atomen umgeben. Die Verbindungzu benachbarten Tetrae<strong>der</strong>n erfolgt jeweils über das Sauerstoffatom. Kettenvon solchen Tetrae<strong>der</strong>n können sich zu Ringen, Bän<strong>der</strong>n und Blättern zusammenlagern(Bild 1.3.3-7).


1.3.3 kovalente Bindung 42Bild 1.3.3-7: Strukturen von Silikationen (nach [1]). a) SiO 4 4-- -Tetrae<strong>der</strong>, b) Kettenstruktur, c)Doppelketten (Beispiel: Asbest), d) Ringstruktur (Beispiel: Beryll), e) Blattstruktur(Beispiele: Talkum, Ton [Kaolinit], Glimmer)Zu den bän<strong>der</strong>förmigen Silikaten gehören die Asbestminerale, zu den blattförmigen dasGleitmittel Talcum.Bild 1.3.3-8a zeigt eine <strong>der</strong> möglichen einkristallinen Formen <strong>der</strong> Verbindung SiO 2 :des Quarzkristalls. Häufig stellt sich aber <strong>der</strong> kristalline Zustand überhaupt nicht ein(Quarzglas): In diesem Fall findet eine kristallographisch ausgerichtete Orientierungbenachbarter Tetrae<strong>der</strong> nur in einzelnen Bereichen statt. dazwischen findet eine eher regelloseAnordnung <strong>der</strong> Tetrae<strong>der</strong> statt. Die Ursache dafür liegt darin, daß zwar <strong>der</strong> kristallineZustand die geringste Energie besitzt, an<strong>der</strong>erseits aber auch ein erheblicherEnergieaufwan<strong>der</strong>for<strong>der</strong>lich ist, um die einzelnen Tetrae<strong>der</strong> so zu positionieren, daß sie dieregelmäßige Struktur annehmen können. Eine solche glasartige Struktur ist zwar imPrinzip nicht stabil, sie würde aber erst nach einer langdauernden Temperaturbehandlungbei sehr hohen Temperaturen in den kristallinen Zustand übergehen.


1.3.3 kovalente Bindung 43Bild 1.3.3-8:Struktur des Quarzkristalls (a), des Quarzglases (b) und von Silikatgläsern (c)(Zellen wie in Bild 1.3.3-7, nach [15,32])Durch Einlagerung von Verunreinigungen läßt sich eine örtliche Kristallisation weitgehendverhin<strong>der</strong>n. Man erhält dann eine völlig regellose (amorphe) Struktur. Typischist eine Verunreinigung mit Natrium, das so hergestellte Soda-Kalk-Glas wird als Fensterglaseingesetzt. Bei solchen Gläsern können die positiv geladenen Alkali-Ionen dienegativen Ladungen <strong>der</strong> ungebundenen Sauerstoffatome neutralisieren.Nach Tab. 1.3.3-1 ist die kovalente Bindung zweier Kohlenstoffatome ebenfalls sehrstark, darin liegt eine <strong>der</strong> Ursachen für die große Härte des Diamants. Auch Graphit bildetSchichten von stark kovalent gebundenen Kohlenstoffatomen (Bild 1.3.3-9).


1.3.3 kovalente Bindung 44Bild 1.3.3-9:Graphit: Kohlenstoffatome bildet eine Schichtstruktur mit starker kovalenter Bindung.Die Bindungen <strong>der</strong> Schichten untereinan<strong>der</strong> sind relativ schwachEine große Gruppe von für die Anwendung außerordentlich wichtigen <strong>Werkstoffe</strong>n bildendie Kohlenwasserstoffe, auch organische chemische Verbindungen genannt.Einfache Kohlenwasserstoffe sind Methan, Äthylen und Azetylen (Bild 1.3.3-10).


1.3.3 kovalente Bindung 45Bild l.3.3-10:Monomere Kohlenwasserstoffe:a) Methan, Polymerisation zu Äthan und n-Butan,b) Äthylen, Polymerisation zu Polyäthylen,c) Acetylen,d) Benzol: konjugiertes System, d.h. Einfach- und Doppelbindung wechseln einan<strong>der</strong>ab. Die Bindungen sind nicht lokalisiert (Resonanzhybrid), so daß <strong>der</strong> Benzolringinsgesamt symmetrisch ist.Diese nie<strong>der</strong>molekularen Verbindungen (Monomere) lassen sich über eine Polymerisation(z.B. unter Einfluß von Wärme, Druck o<strong>der</strong> eines Katalysators) zu hochmolekularenKetten (Polymere) zusammenschließen (Beispiele in Bild 1.3.3-10). Die Eigenschaften<strong>der</strong> Polymere hängen stark ab von <strong>der</strong> durchschnittlichen Kettenlänge, <strong>der</strong>Bindung zwischen den Polymerketten (schwache van <strong>der</strong> Waals-Bindung [Abschnitt1.3.5] o<strong>der</strong> chemische Bindung unterschiedlicher Stärke), <strong>der</strong> Regelmäßigkeit <strong>der</strong> Anordnung<strong>der</strong> Ketten untereinan<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Steifigkeit <strong>der</strong> Ketten. Bei vielen Polymerenlassen sich am Kohlenstoffatom o<strong>der</strong> an an<strong>der</strong>en Atomen <strong>der</strong> Ketten Seitenketten mitunterschiedlicher Symmetrie anlagern (Bild 1.3.3-11).


1.3.3 kovalente Bindung 46Bild l.3.3 -11Polypropylen: Anlagerung von CH 3 (Methyl)-Gruppen an eine Polyäthylenkette.Die Anordnung <strong>der</strong> Seitengruppen kann regelmäßig (taktisch, Abbildung a) undb)) und unregelmäßig (ataktisch, Abbildung c) erfolgen. Taktisch aufgebaute Kettenlassen sich häufig kristallisieren, ataktische bevorzugen dagegen eine amorphe Zusammenlagerung<strong>der</strong> Ketten. Die Darstellung ist vereinfacht: In Wirklichkeit bildendie Ketten Helizes (nach [68])In Tab. 1.3.3-4 sind <strong>der</strong> Aufbau und die Eigenschaften wichtiger Polymere zusammengefaßt.


1.3.3 kovalente Bindung 47Tab. 1.3.3-4:Aufbau und Eigenschaften wichtiger Polymere (nach [68]): Angegeben sind zweicharakteristische Temperaturen: Bei <strong>der</strong> Glastemperatur gehen amorph aufgebautePolymere von einem mechanisch steifen in einen hochviskosen (Abschnitt 3.2.2) Zustandüber. Bei <strong>der</strong> (höheren) Schmelztemperatur werden kristalline o<strong>der</strong> teilkristallinePolymere flüssig.Organische Materialien finden in <strong>der</strong> <strong>Elektrotechnik</strong> und Elektronik vielfältige Anwendungenals isolierende Gehäuse, Träger , Lacke und Vergußmassen, aber auch als Dielektrika(Folienkondensator). Wachsende Bedeutung erlangen auch elektrisch leitfähige,sowie optisch o<strong>der</strong> magnetisch aktive Polymere.


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1.3.4 Metallische Bindung 491.3.4 Metallische BindungMetalle zeichnen sich unter an<strong>der</strong>em dadurch aus, daß jedes Atom eine relativ großeAnzahl freier Valenzelektronen besitzt. Im Kristallgitter sind diese nur schwach an ihreAtomrümpfe gebunden, so daß die quantentheoretisch erlaubten Energieniveaus durchdie potentielle Energie <strong>der</strong> Valenzelektronen im Feld aller Atomrümpfe (Atomkerneund innere Elektronen) bestimmt werden. Die Valenzelektronen verhalten sich wie ein"Elektronengas", das gleichmäßig um die positiv geladenen Rümpfe (Bild 1.3.4-1)verteilt ist.Bild 1.3.4-1:Metallisch gebundene Atome: Die Valenzelektronen bilden ein Elektronengas umdie AtomrümpfeTypisch für eine metallische Bindung ist die Tatsache, daß die Atomrümpfe einenmöglichst geringen Abstand voneinan<strong>der</strong> annehmen, weil auf diese Weise <strong>der</strong> Gewinnan elektrostatischer Energie durch die Valenzelektronen am größten ist. Die Atomewerden sich also in einer dichtesten Packung anordnen. Weiterhin ist kennzeichnend,daß die Atombindung isotrop ist wie die geladener Kugeln, es besteht also keinePräferenz <strong>der</strong> Bindung in irgendeiner Raumrichtung. Unter dieser Voraussetzung kanndie Verschiebung von Atomreihen in einem Kristall (Gitterebenen) gegeneinan<strong>der</strong> vergleichsweiseeinfach erfolgen, Metalle lassen sich daher meist relativ leicht plastischverformen (Beispiel: Biegung eines Metalldrahtes). Diese Plastizität, die bei ionischo<strong>der</strong> kovalent gebundenen Kristallen in weitaus geringerem Maß auftritt, ist sehr typischfür Metalle und eine <strong>der</strong> Ursachen dafür, daß Metalle <strong>der</strong> Menschheit seit Jahrtausendenals gut zu bearbeitende (formbare), darüber hinaus aber auch härtbare <strong>Werkstoffe</strong>dienen. Die Elektronen des Elektronengases sind zum großen Teil frei beweglich imKristall, sie können daher in umfangreichem Maße Ladungen o<strong>der</strong> Wärme durch dasMetall transportieren. Metalle sind daher immer gute Strom- und Wärmeleiter. Die Einschränkung,warum nicht alle Elektronen an den Transportvorgängen teilnehmen kön-


1.3.4 Metallische Bindung 50nen, entsteht dabei durch die Quantentheorie: Bei einem Transportvorgang nehmen dieElektronen immer kinetische Energie auf und gehen damit auf einen höherenEnergieeigenwert über. Die Quantentheorie for<strong>der</strong>t aber, daß dieser Energieeigenwert(<strong>der</strong> Endzustand) nicht bereits mit zwei Elektronen besetzt sein darf, an<strong>der</strong>enfalls würdedas Pauli-Prinzip verletzt werden. Das ist eine Einschränkung für diejenigenValenzelektronen, die nicht genau die höchsten besetzten Energieeigen einnehmen (genauer:Energieeigenwerte in <strong>der</strong> Umgebung <strong>der</strong> Fermienergie besitzen), denn einenergetisch tiefer liegendes Elektron wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein darüberliegendes Energieniveau vollständig besetzt vorfinden. Das ist <strong>der</strong> Grund dafür, daß nurdie Elektronen auf den höchsten besetzten Energieeigenwerten signifikant am StromundWärmetransport teilnehmen. Trotz dieser Einschränkung stehen aber im Metall sehrviel mehr Elektronen zur Verfügung als in den meist isolierenden Ionenkristallen undden nur mäßig leitfähigen Halbleitern. Die Bindungsenergien für die metallischeBindung sind in Tab. 1.3.4-1 zusammengestellt. Mit <strong>der</strong> Bindungsenergie steigt imallgemeinen auch <strong>der</strong> Schmelzpunkt.Tab. 1.3.4-1: Bindungsenergien und Schmelzpunkte einiger Metalle [32]Wie sieht nun eine dichtestmögliche Packung von kugelförmigen Atomen aus? InAbschnitt 1.3.1 wurde darauf hingewiesen, daß Atome sich bei starker Annäherunghäufig wie harte Kugeln verhalten, d.h. die Fragestellung reduziert sich auf das Problem,wie eine Anzahl von harten Kugeln (Billardbälle) räumlich möglichst dicht gepacktwerden kann. In einer Ebene ist die Lösung offensichtlich: Die Kugeln werden – sichberührend – nebeneinan<strong>der</strong>gelegt und in <strong>der</strong> nächsten Reihe so plaziert, daß die Kugeljeweils oberhalb <strong>der</strong> Mitte zwischen zwei vorhandene Kugeln zu liegen kommt. Manerhält dann die in Bild 1.3.4-2 dargestellte Packung— ein System mit dreizähliger o<strong>der</strong>


1.3.4 Metallische Bindung 51hexagonaler Symmetrie.Bild 1.3.4 -2:Stapelung dichtgepackter EbenenDie nächstfolgende Ebene kann auf die bereits vorhandene dichtgepackte Ebene sogelegt werden, daß die obere Kugel in die Mitte von drei sich einan<strong>der</strong> berührendenvorhandenen Kugeln <strong>der</strong> unteren Schicht gelegt wird (Kreise in Bild 1.3.4-2). Bei <strong>der</strong>dritten Ebene tritt aber ein signifikanter Unterschied au£ Die dritte Ebene könnte in einerdichtesten Kugelpackung so gelegt werden wie die 1. Ebene, sie könnte aber auch aufPlätze kommen, die in Bild 1.3.4-2 mit x bezeichnet sind. In diesem Fall würde die dritteEbene we<strong>der</strong> über <strong>der</strong> ersten, noch über <strong>der</strong> zweiten Ebene liegen. Tatsächlich treten in<strong>der</strong> Natur beide Arten von Ebenenstapelung systematisch auf. Bild 1.3.4-3 verdeutlichtdie verschiedenen Stapelfolgen.Bild 1.3.4-3:Hexagonale (a) und kubische (b) dichteste KugelpackungBezeichnen wir die Positionen <strong>der</strong> untersten Ebene in Bild 1.3.4-2 mit a, die <strong>der</strong>


1.3.4 Metallische Bindung 52daraufliegenden Ebene mit b und die Ebene, die gebildet wird, wenn die Kugeln in den-Positionen x liegen, mit c, dann läßt sich eine dreidimensionale dichteste Kugelpackungerreichen mit <strong>der</strong> Stapelung ababa. . . (nicht aber mit aaa!), d.h. die dritte Ebene liegtexakt über <strong>der</strong> ersten Ebene. In einer Darstellung, in <strong>der</strong> nur die Positionen <strong>der</strong>Kugelmitten (Gitterpunkte) eingetragen sind (Bild 1.3.4-3a), erkennt man diehexagonale Symmetrie dieser Struktur, sie heißt deshalb hexagonal dichtesteKugelpackung. Deutlich wird die Anisotropie dieser Struktur: In <strong>der</strong> Richtungsenkrecht zu den dichtgepackten Ebenen (Richtung <strong>der</strong> c-Achse) ist die Gitterkonstantec größer als innerhalb einer dichtgepackten Ebene (dort hat sie den Wert a).An<strong>der</strong>s liegen die Verhältnisse bei einer Stapelung abcabcabc... (Bild 1.3.4-3b): Diesesist eine – wenn auch nicht leicht interpretierbare – kubische Struktur. Man erkennt diedichtgepackten Ebenen in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Kugelmitten wie<strong>der</strong> in einer <strong>der</strong> Ebenen,die senkrecht auf den Raumdiagonalen stehen. Die Gitterpunkte dieser Ebene sind inBild 1.3.4-3b noch einmal beson<strong>der</strong>s herausgezeichnet, man sieht darin die typischeSymmetrie dichtgepackter Ebenen. Die auf diese Ebene folgende ist ebenfalls in <strong>der</strong>Gitterpunktdarstellung zu erkennen. Die kubische dichteste Kugelpackung hat eine vielhöhere Isotropie als die hexagonale: In diesem Fall sind die Gitterkonstanten in den dreiRaumrichtungen gleich, es sind jeweils die Kanten des Würfels.In <strong>der</strong> kubischen Struktur kann man die Positionen <strong>der</strong> Gitteratome beschreiben durchdie Ecken des Würfels und jeweils die Mitte <strong>der</strong> Würfelflächen – deshalb heißt dieseStruktur kubisch flächenzentriert (face centered cubic, fcc), Abkürzung kfz (fcc). Diehexagonale Struktur heißt hexagonal dicht gepackt (hexagonal closely packed),Abkürzung hdp (hcp). Jede dichteste Kugelpackung enthält nur 26% leeren Raum.Die Anzahl <strong>der</strong> nächsten Nachbaratome (Koordinationszahl) ist stets 12.Neben <strong>der</strong> dichtesten Kugelpackung kommt bei Metallen häufig noch eine an<strong>der</strong>e nichtdichteste Packung vor: die kubisch raumzentrierte Struktur (Bild 1.3.4-4), Abkürzungkrz.Bild 1. 3. 4 -4: Kubisch raumzentrierte Struktur


1.3.4 Metallische Bindung 53Dabei ist neben den Würfelkanten auch die Volumenmitte des Würfels (Hälfte <strong>der</strong>Raumdiagonalen) mit einem Atom besetzt. Die krz-Struktur enthält 32% leeren Raum,sie hat eine Koordinationszahl 8. In <strong>der</strong> Natur kommen bei den Metallen die dreiKristallstrukturen kfz, hdp und krz etwa gleich häufig vor (Tab. 1.3.4-2).Tab. 1.3.4-2: Kristallstruktur <strong>der</strong> Metalle (jeweils Raumtemperatur, nach [32])a) kubisch flächenzentriertb) kubisch raumzentriertc) hexagonal dichtgepacktNicht selten än<strong>der</strong>t sich die Kristallstruktur (für bestimmte Elemente und Verbindungenoft durch griechische Buchstaben gekennzeichnet) eines Metalls in Abhängigkeitvon <strong>der</strong> Temperatur (allotrope Umwandlung, Bild 1.3.4-5).


1.3.4 Metallische Bindung 54Bild 1.3.4-5: Kristallstrukturen und allotrope Umwandlungen von Metallen und Metallverbindungen(Legierungen)Metalle finden in <strong>der</strong> Elektronik vielfaltige Anwendungen als leitfähige Träger (z.B.Metallchassis) und Leiter (z.B. Kupferdrähte und Leiterbahnen in integriertenSchaltungen). Beson<strong>der</strong>s wichtig sind die magnetisch aktiven Metalle: Permalloy- o<strong>der</strong>Mumetall-Schichten haben eine relative Permeabilität von über 10 000, auchmetallische Hartmagneten (z.B. Hufeisen- o<strong>der</strong> Stabmagnete) sind wegen ihrerPreisgünstigkeit und magnetischen Stärke (Koerzitivkraft) weit verbreitet. Von großemInteresse im Hinblick auf ihre mechanischen und magnetischen Eigenschaften sind seiteiniger Zeit auch die amorphe (d.h. nichtkristalline) Metalle.


1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 551.4 Raumgitter und reziproke Gitter1.4.1 Kristallgitter und KristallrichtungenIm Abschnitt 1.3 ist deutlich geworden, daß Festkörperverbindungen – in Abhängigkeitvon den Atomgrößen und Bindungsarten – eine Vielzahl von Strukturen annehmenkönnen. Es stellt sich jetzt die Aufgabe, diese Vielfalt von Atompositionen und Symmetrienquantitativ zu erfassen. Aus <strong>der</strong> Kristallographie ist bekannt, daß sich alleRaumgitter aus sieben verschiedenen Gittertypen mit insgesamt 14 Zellen aufbauenlassen (6"8%8’7D,o<strong>der</strong>,>’(/$’27;$::$(, Bild 1.4.1-1).Bild 1.4.1-1: Die 7 Typen von Raumgittern mit 14 möglichen Einheitszellen (nach [16]).


1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 56Die Raumgitter in Bild 1.4.1-1 sind zurückzuführen auf vier fundamentale Strukturen,die durch Zellen charakterisiert werden:1. ;(.0.1.-) Zellen, bei denen die Bravaiszelle aus einem Parallelepiped mit beliebigenWinkeln aufgebaut ist sowie ’)B,?A*,2) Zellen2. Zellen wie 1., aber mit einem Gitterpunkt in <strong>der</strong> Raummitte <strong>der</strong> Struktur ((,%0G$)*1(.)(1) Zellen)3. Zellen wie 1., aber mit Gitterpunkten in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Seitenflächen (&2K"’)*$)*G1(.)(1) Zellen)4. Zellen wie 1., aber mit Gitterpunkten in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Basisflächen (


1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 57In diesem Fall sind die beiden kfz-Zellen (beim Zinkblendegitter mit unterschiedlichenIonen besetzt) in Richtung <strong>der</strong> Raumdiagonalen um ein Viertel <strong>der</strong> Länge <strong>der</strong>Raumdiagonalen verschoben.Die mathematische Beschreibung <strong>der</strong> Gitterpositionen erfolgt über


1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 58Bild 1.4 .1-4:Einige Kristallrichtungen in kubischen KristallenDie Eigenschaften von kubischen Kristallen sind unabhängig davon, in welcherKristallrichtung die x-, y- und z-Achsen gelegt werden, d.h. diese drei Achsen sindkristallographisch völlig äquivalent: Kennzeichnend ist allein die Symmetrie imKristall. Es ist sinnvoll, alle äquivalenten kristallographischen Richtungen zu einerFamilie zusammenzufassen, diese wird durch die Komponenten, gesetzt in spitzeKlammern, charakterisiert. In <strong>der</strong> Mengenschreibweise gilt dann:Durch Anwendung <strong>der</strong> Operationen <strong>der</strong> Vektorrechnung, wie die Betragbildung, dieBerechnung von Differenzen sowie Skalar- und Vektorprodukten, können die Abständezwischen zwei Punkten, Winkel zwischen zwei Raumrichtungen, usw. leicht ermitteltwerden. Insbeson<strong>der</strong>e ist ein wichtiges Kriterium für die Orthogonalität (die Richtungenstehen dann senkrecht aufeinan<strong>der</strong>), daß das Skalarprodukt <strong>der</strong> beiden Raumrichtungenverschwindet (Null wird).Wenn wir die Positionen von allen Atomen des ’42#,&,/"3,"%T$33,02 (das aus einergroßen Anzahl von Basiszellen in periodischer Anordnung besteht) beschreibenwollen, dann brauchen wir nur den Aufbau <strong>der</strong> Basiszelle und die Position allerEckpunkte <strong>der</strong>selben in einem periodischen Raumgitter zu kennen. Diese Positionen


sind darstellbar über die Linearkombination:1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 59wobei die l i irgendwelche ganze Zahlen (einschließlich Null) sind. Die a i bezeichnetman als ?*8’8@#+.,$#) &#8%A’..#$8, sie fallen bei primitiven Gittern zusammen mitden drei Vektoren, welche die Parallelepipeds (in einfacheren Fällen Qua<strong>der</strong> o<strong>der</strong>Würfel) <strong>der</strong> Einheitszellen (Bild 1.4.1-1) aufspannen.Der Aufbau einer Basiszelle wird festgelegt durch die Vektoren (ausgehend von einemGitterpunkt, z.B. einem Eckpunkt <strong>der</strong> Einheitszelle) <strong>der</strong> Positionen aller Atome und eineKennzeichnung <strong>der</strong> entsprechenden Atomsorte (Element). In vielen wichtigen Fällenentspricht die Basiszelle einer <strong>der</strong> Einheitszellen aus Bild 1.4.1-1.Für das kubisch raumzentrierte(krz-) Gitter sind dann die Vektoren <strong>der</strong> Einheitszelled.h. je<strong>der</strong> Basispunkt des Gitters nach (2) ist mit einem Atom besetzt, außerdem einePosition, die um den Vektor r 2 relativ dazu verschoben ist. Beim kubisch flächenzentrierten(kfz)-Gitter sind die Vektoren <strong>der</strong> EinheitszelleDie Vektoren <strong>der</strong> Basiszelle liefern auch die richtige Stöchiometrie: Sind dieWürfelkanten und Würfelmitten einer krz-Struktur mit jeweils einer von zweiverschiedenen Atomsorten besetzt (Cäsiumchlorid-Struktur), dann entspricht dieseseinem stöchiometrischen Verhältnis von 1:1. Die Abbildung <strong>der</strong> Basiszellen in Bild1.4.1-1 täuscht eine an<strong>der</strong>e Stöchiometrie vor, weil die Gitteratome (nicht aber diean<strong>der</strong>en Atome <strong>der</strong> Basiszelle) <strong>der</strong> benachbarten Zellen ebenfalls eingetragen sind.Befinden sich verschiedene Atomsorten jeweils auf einem genau definierten Gitterplatz<strong>der</strong> Basiszelle (2#,$&)#.#%(#2’#$;)2, bei beliebiger Anordnung ;)2#,$&)#.#%(#2’#N$;)2), dann läßt die krz-Struktur nur das Stöchiometrieverhältnis 1:1 zu, die kfz-Struktur mit 4 Atomen in <strong>der</strong> Basiszelle hingegen auch die Verhältnisse 2:2 und 1:3. Beistöchiometrisch zusammengesetzten Legierungen kann daher oft aus dem Stöchiometrieverhältnisauf die Kristallstruktur zurückgeschlossen werden.Die Beschreibung von hexagonalen Gittern ist etwas umständlicher, weil dieBasisvektoren nicht orthogonal zueinan<strong>der</strong> ausgerichtet sind. Will man diekristallographischen Richtungen als Basisvektoren beibehalten, dann müssen in <strong>der</strong>dichtgepackten Ebene drei Richtungen x, y, und I definiert werden, die alle jweils einen


1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 60Winkel von 120° zueinan<strong>der</strong> bilden. Die Beschreibung einer Kristallrichtung in dieserEbene kann durch Angabe <strong>der</strong> Achsenabschnitte entlang <strong>der</strong> x-und y-Achse(=&,,%*012%">?5(5&?’@ o<strong>der</strong> entlang <strong>der</strong> x-, y-und I-Achse (=&,,%*:/*(C(&0:>?5(5&?’)erfolgen. In <strong>der</strong> zuletzt genannten Notation ist die Angabe des Achsenabschnittesl Ientlang <strong>der</strong> I-Achse redundant, <strong>der</strong> entsprechende Wert kann nach Bild 1.4.1-5a aus denan<strong>der</strong>en Abschnitten l x und l y berechnet werden über l I =- (l x +l y ). Bild 1.4.1-5b und csowie Bild 1.4.1-6 geben Beispiele für Kristallrichtungen in beiden Notationen.Bild 1.4.1-5:a) Kristallachsen im hexagonal dichtgepackten (hdp-)Gitter: Je<strong>der</strong> Gitterpunkt muß aus vier Vektorenentlang <strong>der</strong> x-, y-, z- und I-Achse zusammengesetzt sein, wobei <strong>der</strong> Achsenabschnitt l I entlang <strong>der</strong> I-Achse stets <strong>der</strong> negativen Summe <strong>der</strong> Achsenabschnitte entlang <strong>der</strong> x- und y-Achse (l x und l y ) entsprechenmuß. Ein Vektor auf <strong>der</strong> dichtegepackten hexagonalen Ebene hat dann die Komponenten[l x l y l I 0].b) Richtungen in einer hexagagonalen Ebene (nach [18])


1.4.1 Kristallgitter und Kristallrichtungen 61Bild 1.4.1-6:Beispiele für die Miller-Bravais-Notation (Anwendung von Bild 1.4.1-5b, eingezeichnetist die Konstruktion des Vektors [-1-120])Bild 1.4.1-7 zeigt eine mögliche Beschreibung <strong>der</strong> Einheitszelle in MillerscherNotation. Die Vektoren dieser (primitiv genannten) hexagonalen Einheitszelle sind inden Koordinaten <strong>der</strong> Vektoren a, b und c:Bild 1.4.1-7 Primitive Einheitszelle des hexagonalen Gitters (nach [14])


1.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 11.4.2 Kristallebenen und Millersche IndizesDie Gitterpunkte eines Raumgitters sind in einem dreidimensionalen Raum definiert.Unter Kristallebenen in diesem Raum versteht man solche Ebenen, auf denen Gitterpunkteliegen. Je nach Orientierung im Raum sind diese mehr o<strong>der</strong> weniger dicht mitGitterpunkten belegt. Durch Konstruktion einer Schar paralleler Ebenen mit einemdefinierten Abstand erreicht man, daß sämtliche Gitterpunkte auf Ebenen dieser Scharliegen (Bild 1.4.2-1).Bild 1.4. 2-1:Schar von Gitterebenen in einem kubischen (z.B. kfz- o<strong>der</strong> krz-) Gitter: je<strong>der</strong> Gitterpunktliegt auf genau einer Ebene dieser ScharEine solche Gitterebenenschar läßt sich durch eine ebene Welle (Bild 1.4.2-2) beschreiben,wenn die Position je<strong>der</strong> Ebene durch eine bestimmte Phase <strong>der</strong> ebenen Welle festgelegtwird.Bild 1.4.2-2:Beschreibung einer ebenen Welle durch einen Wellenzahlvektor g: Die eingezeichneteLinienschar kennzeichnet die Ebenen gleicher Phase.


1.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 2Wählen wir für den Ort <strong>der</strong> Ebene die Phase Null, dann entspricht dem Ort <strong>der</strong>benachbarten Ebene die Phase 2, <strong>der</strong> n-ten Nachbarebene die Phase 2n, usw.Die quantitative Beschreibung einer ebenen Welle erfolgt durch eine Funktionwobei r ein Ortsvektor im Gitterraum ist und g <strong>der</strong> Normalenvektor (senkrecht zurEbenenschar) mit einer Länge (Betrag des Vektors), die durch die folgende Überlegungbestimmt wird: Gemäß unserer Phasenbedingung (Phase Null am Ort <strong>der</strong> Ebenen) giltfür die Ortsvektoren r n <strong>der</strong> n-ten Ebene (<strong>der</strong> Ebenenschar) die Phasenbedingung:Wir wählen jetzt als speziellen Ortsvektor d auf <strong>der</strong> 1. Ebene (n = 1) denjenigen, <strong>der</strong> vomKoordinatenursprung in Richtung von g zeigt, dessen Lönge (Betrag) entspricht danndem Ebenenabstand d. Dann folgt aus (2):Damit kann <strong>der</strong> Wellenzahlvektor g für die Beschreibung <strong>der</strong> Ebenenschar in folgen<strong>der</strong>Weise charakterisiert werden: Er hat die Richtung <strong>der</strong> Ebenennormalen und eineLänge, die nach (3) umgekehrt proportional zum Ebenenabstand ist. g hat die Dimensiondes Wellenzahlvektors, also die einer reziproken Länge.Wir suchen jetzt eine quantitative Beschreibung für den Wellenzahlvektor, <strong>der</strong> eine speziellvorgegebene Ebenenschar beschreibt. Eine Ebene ist nach den Gesetzen <strong>der</strong>analytischen Geometrie durch die Bedingung definiert, daß die Projektion jedes Vektorsauf <strong>der</strong> Ebene auf die Normale g denselben Wert hat (Bild 1.4.2-3).Bild 1.4.2-3: Vektordefinition einer Ebene


1.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 3Die erste Ebene, die nicht durch den Nullpunkt geht, läßt sich daher durch Vektorgleichung(2) mit n = 1 analytisch beschreiben. Da das Kristallgitter aus diskreten Punktenaufgebaut ist, braucht (2) nur für die Ortsvektoren <strong>der</strong> Gitterpunkteerfüllt zu sein (die a i sind die Basisvektoren des Gitters). Zerlegen wir denWellenzahlvektor in eine Linearkombination aus den noch zu bestimmendenBasisvektoren g i und ganzzahligen Koeffizienten h, k und l, dann lautet die Bedingung(2) für die Gitterpunkte (1.16):Wie man durch Einsetzen leicht nachprüfen kann, wird (1.17) für alle ganzzahligen h, k,1 erfüllt, wenn die g i die Form haben:Die drei Vektoren (1.18) bilden die gesuchten Basisvektoren des reziprokenGitterraums mit <strong>der</strong> reziproken Länge als Dimension. Die Aussage <strong>der</strong> Gleichungen (2)und (1.18) ist damit: Je<strong>der</strong> Gitterpunkt des reziproken Gitters (d.h. jedeLinearkombination <strong>der</strong> Basisvektoren (1.18) mit ganzzahligen h, k, 1) entspricht demWellenzahlvektor einer Ebenenschar, er kennzeichnet also eine <strong>der</strong> Kristallebenen(scharen).Die Komponenten (hkl) bezeichnet man als die Millerschen Indizes.Aus <strong>der</strong> Beziehung (1.17) folgt unmittelbar, daß je<strong>der</strong> Gitterpunkt (gekennzeichnetdurch die l i ) genau auf einer Ebene <strong>der</strong> Ebenenschar (gekennzeichnet durch die ganzzahligenh, k, l) liegt, <strong>der</strong>en Index n durch Ausrechnen von (1.17) bestimmt werden kann.Für den Abstand benachbarter Ebenen <strong>der</strong> Ebenenschar mit dem Wellenvektor g giltGleichung (3).Speziell bei kubischen Systemen mit <strong>der</strong> Gitterkonstanten a lassen sich die Vektoren desreziproken Gitters beson<strong>der</strong>s einfach ausdrücken:d.h. die reziproken Gittervektoren haben dieselbe Richtung wie die Basisvektoren desRaumgitters (aber eine an<strong>der</strong>e Dimension!). Die Millerschen Indizes, die eigentlich fürdas reziproke Gitter definiert worden waren, zeigen also – eingesetzt in Koordinatensystemdes Raumgitters – in die Richtung <strong>der</strong> Ebenennormalen.


1.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 4Die Anwendung von (3) ergibt bei kubischen Gittern einen beson<strong>der</strong>s einfachen Zusammenhangzwischen Gitterabstand und Millerschen Indizes:Bei kubischen Gittern geben die Millerschen Indizes also unmittelbar dieNormalenrichtung und den Ebenenabstand an, sie erweisen sich daher im praktischenGebrauch als außerordentlich zweckmäßig.Häufig steht man in <strong>der</strong> Praxis vor dem umgekehrten Problem: Es liegt ein Gittermodellvor und man möchte durch Vorgabe von drei – nicht auf einer Geraden liegenden –Gitterpunkten eine Ebene festlegen, für die man die Millerschen Indizes h,k und l sucht,z.B. um auf einfache Weise den Ebenenabstand zu berechnen. Auch hiervon gibt es eineVielzahl paralleler Ebenen; wir wählen davon diejenige aus, die am nächsten amKoordinatenursprung liegt. Dadurch werden auf den Basisvektoren Achsenabschnitte l idefiniert, die voraussetzungsgemäß mit Gitterpunkten besetzt sind (Bild 1.4.2-4).Bild 1.4.2-4:Gitterebene, bestimmt durch die Achsenabschnitte l x = 3, I y = 2, l z = 2, MillerscheIndizes (233)


1.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 5Wir wenden jetzt in den drei Koordinatenrichtungen die Formel (2) an und berücksichtigen,da die Gitterpunkte aller Achsenabschnitte auf <strong>der</strong>selben Ebene liegen, daß die Zahln für alle gleich ist. Damit bekommen wir drei Bestimmunggleichungen für die drei Unbekanntenh, k und l.Um auf die Millerschen Indizes zu kommen, müssen wir also die reziproken Werte <strong>der</strong>Achsenabschnitte l i bestimmen und diese mit <strong>der</strong> Zahl n multiplizieren. Ausgeometrischen Überlegungen – nachvollziehbar in Bild 1.4.2-1 – erkennt man, daß ngerade dem kleinsten gemeinschaftlichen Vielfachen (Hauptnenner) <strong>der</strong> Brüche 1/l ientspricht. Die Vorschrift zur Ermittlung <strong>der</strong> Millerschen Indizes ist also:1. Bestimme die Achsenabschnitte l i <strong>der</strong> Atome, durch welche die erste Ebene –gerechnet vom Nullpunkt aus – verläuft.2. Bilde die reziproken Werte <strong>der</strong> Achsenabschnitte.3. Multipliziere die reziproken Werte mit dem Hauptnenner.Bild 1.4.2-5 zeigt einige Ebenen einer kubischen Struktur zusammen mit denMillerschen Indizes, diese werden in runde Klammern gesetzt.Bild 1.4.2-5:Verschiedene Gitterebenen eines kubischen Kristalls mit den dazugehörigenMillerschen Indizes. Gibt es keinen Achsenabschnitt, d.h. liegt dieser beim Wert unendlich,dann ergibt sich als reziproker Wert gemäß (9) <strong>der</strong> Millersche Index Null.


1.4.2 Kristallebenen und Millersche Indizes 6Zur Kennzeichnung <strong>der</strong> Familien kristallographisch äquivalenter Gitterebenen analogzu den Richtungen in (1.4.1-1) verwendet man geschweifte Klammern:In <strong>der</strong> hexagonal dicht gepackten Struktur werden die Gitterebenen nach einementsprechenden Schema beschrieben (Bild 1.4.2-6).Bild 1.4.2-6:Gitterebenen in <strong>der</strong> hexagonalen Struktur


1.5 Bragg-Reflexion 681.5 Bragg-ReflexionWenn Wellen auf Hin<strong>der</strong>nisse (Streuzentren) treffen, werden sie durch diese abgelenkt(gestreut): Die Wellen können ihre Form und Ausbreitungsrichtung än<strong>der</strong>n.Ausgangspunkt für eine quantiative Erfassung ist das =+>1#".?.2&#"$@’%"A%6: Trifft eineankommende Welle auf ein punktförmiges Hin<strong>der</strong>nis, dann geht von dort eine Kugelwelle<strong>der</strong>selben Wellenlänge und Phase aus (Bild 1.5-1).Bild l.5-l:Huygens'sches Prinzip, demonstriert an WasserwellenIst das Hin<strong>der</strong>nis nicht punktförmig, son<strong>der</strong>n flächenhaft o<strong>der</strong> räumlich ausgedehnt,dann gehen von jedem Punkt des Streuzentrums Kugelwellen aus, die sich ungestörtüberlagern (Q+6#’6).%0%)".6’%"A%6). Betrachtet man speziell die Streuung einer ebenenWelle (Abschnitt 1.4.2) an einer ebene Oberfläche als Hin<strong>der</strong>nis, dann überlagernsich die ausgehenden Kugelwellen in <strong>der</strong> Weise, daß die Umhüllenden wie<strong>der</strong> Wellenfronten(Flächen gleicher Phase) einer ebenen Welle bilden. Bei <strong>der</strong> Reflexion vonLichtstrahlen an einem Spiegel (totalreflektierende Ebene) führt dieses Prinzip zu demReflexionsgesetz (Einfallswinkel = Ausfallswinkel, Bild 1.5-2).Bild 1.5-2:Reflexion an einer totalreflektierenden Ebene


1.5 Bragg-Reflexion 69An<strong>der</strong>s sehen die Verhältnisse aus, wenn die Ebene nicht totalreflektierend, son<strong>der</strong>nteilweise durchlässig ist und zusätzlich mehrere Ebenen mit dem konstanten Abstand dhintereinan<strong>der</strong> angeordnet sind (Bild 1.5-3). Dieses entspricht dem Problem <strong>der</strong> Streuungeiner ebenen Welle an einer an<strong>der</strong>en.Bild 1.5-3:Reflexion an einer Schar von teildurchlässigen Ebenena) es findet keine Reflexion statt, da die Phasen <strong>der</strong> reflektierten Welle auf <strong>der</strong>Wellenfront nicht übereinstimmen und sich daher gegenseitig auslöschenb) Es tritt eine Reflexion <strong>der</strong> einfallenden Welle ein, da die Phasen <strong>der</strong> reflektiertenWellen auf <strong>der</strong> Wellenfront übereinstimmenc) Winkelbeziehungen zur Berechnung des Bragg'schen Gesetzes


1.5 Bragg-Reflexion 70Die Voraussetzung dafür, daß die reflektierten Wellen sich wie<strong>der</strong> zu einer ebenen Wellezusammensetzen, ist, daß die Phasen <strong>der</strong> reflektierten Welle in ebenen Wellenfrontenübereinstimmen (Bild 1.5-3b), d.h. daß sich die gestreuten Wellen phasenrichtig überlagern.Die Bedingung dafür ist, daß bei <strong>der</strong> Streuung an tieferliegenden Ebenen die zusätzlichenLaufwege (Verbindungslinie <strong>der</strong> Punkte MPN in Bild 1.5-3c relativ zur direktenAbstrahlung <strong>der</strong> Kugelwelle bei O) <strong>der</strong> reflektierten Welle gerade einem ganzzahligenVielfachen <strong>der</strong> Wellenlänge entsprechen (


1.5 Bragg-Reflexion 71Bild 1. 5-4:Vektordarstellung <strong>der</strong> Bragg'schen ReflexionsbedingungDie Bragg-Bedingung (5) gilt sehr allgemein für die Streuung von Wellen an Wellen.Voraussetzung ist nur, daß die streuende Welle (im obigen Beispiel die Ebenenschar) einHin<strong>der</strong>nis darstellt, von dem eine Streuung ausgehen kann.Eine Voraussetzung für einen starken Effekt, d.h. einen großen Reflexionswinkel0° « ϕ « 90° ist:d.h. die Wellenlänge <strong>der</strong> streuenden Welle (im obigen Beispiel die Ebenenschar) muß in<strong>der</strong>selben Größenordnung liegen wie die <strong>der</strong> gestreuten Welle. Hierfür lassen sich fürvöllig verschiedene Systeme Beispiele finden. Ausführlich diskutiert wird im folgendendie Streuung von Wellen und Teilchen (die nach den Auussagen <strong>der</strong> Quantenphysikauch Wellencharakter haben) an Gitterebenen, die zur ’(")A()"0*0/N3& herangezogenwerden kann. Ein ganz an<strong>der</strong>er Effekt, <strong>der</strong> aber nach denselben Prinzipien abläuft,ist <strong>der</strong> 0A)3(-P-;(%3=>&#


1.5 Bragg-Reflexion 721.5-5), dann gilt diese Randbedingung für Röntgenstrahlen.Bild 1.5-5:Spektrum <strong>der</strong> elektromagnetischen WellenGrundsätzlich in Frage kommen aber auch Teilchenstrahlen, weil auch diese nach denAussagen <strong>der</strong> Quantentheorie Wellencharakter haben. Bild 1.5-6 zeigt die Wellenlängenvon Elektronenen- und Neutronenstrahlen, zusammen mit dem Röntgenbereich desPhotonenspektrums.


1.5 Bragg-Reflexion 73Bild 1.5-6: Wellenlängen von Photonen, Elektronen-und Neutronenwellen (nach [14]).Die Streuung von Elektronen höherer Energie undvon Röntgenstrahlen wird umfassendzur Analyse von Kristallstrukturen eingesetzt. Dabei muss berücksichtigt werden, daßdie Streuung genau genommen nicht an Ebenen, son<strong>der</strong>n an einzelnen Gitterpunkten erfolgt,die auf einer Ebene liegen (Bild 1.5-7).Bild 1.5-7:Streuung an Gitterpunkten einer EbeneDiese können jeweils Eckpunkte einer Einheitszelle sein. Durch eine Interferenz <strong>der</strong>Streuwellen diskreter Punkte können zusätzliche Effekte und Auswahlregeln entstehen(Strukturfaktor, Überstrukturreflexe u.a. [14,17]).Die Bragg-Bedingung ist in <strong>der</strong> Praxis nicht einfach zu erfüllen: Bei festliegendem k(monochromatische Strahlung) muß ein Kristall sehr genau orientiert werden, um eineBragg-Reflexion zu ermöglichen. Geringe Abweichungen von <strong>der</strong> idealen Orientie-


1.5 Bragg-Reflexion 74rung, z.B. durch eine Gitterverzerrung, lassen die Intensität <strong>der</strong> gestreuten Welle starkabsinken und auf diese Weise die Gitterverzerrung sichtbar werden (Bild 1.5-8).Bild 1.5-8:Abbildung von Gitterverzerrungen über Bragg-Reflexiona) am Ort <strong>der</strong> Gitterverzerrung wird die Gitterebene aus <strong>der</strong> idealen Bragg-Orientierungherausgedreht, d.h. die Gitterverzerrung erscheint als Gebiet mit abgeschwächterIntensität I des gebeugten Strahls (K%,,1%,$=A//0,$)*’).b) nur am Ort <strong>der</strong> Gitterverzerrung gibt es Bereiche, wo die Bragg-Bedingung erfülltist, d.h. die Gitterverzerrung erscheint als Gebiet mit maximaler Intensität I desgebeugten Strahls (L)*.%,1%,$=A//0,$)*’)


1.5 Bragg-Reflexion 75Die beschriebenen Effekte werden in <strong>der</strong> R!"#$%"#&’&$()’*+% und /0%1#(&"%"2+31(&41&’+% umfassend ausgenutzt. Bei <strong>der</strong> Kristallstruktur- und Kristallorientierungsbestimmungläßt man meistens einen <strong>der</strong> beiden Parameter λ und θ in einem bestimmtenBereich variieren:λ fest, θ variabel:• Debye-Scherrer-Verfahren (Strukturbestimmung): das untersuchte Material wird, zueinem Pulver vermahlen, durchstrahlt. Einige <strong>der</strong> Körner erfüllen dann immer dieBraggbedingung• Drehkristallmethode (Orientierungsbestimmung): θ wird durch Rotation eines einkristallinenStabes um die eigene Achse variiertθ fest, λ variabel:• Laue-Verfahren (Orientierungsbestimmung): <strong>der</strong> Kristall wird mit polychromatischemLicht (kontinuierliche Röntgenbremsstrahlung) bestrahlt.


2.1 Entropie 762 Einführung in die Gibbs'sche Thermodynamik2.1 EntropieDie Eigenschaften <strong>der</strong> <strong>Werkstoffe</strong> werden in entscheidendem Maße durch die Gesetze<strong>der</strong> Thermodynamik bestimmt. Eine wichtige Größe dabei ist die Entropie. Dazu dasfolgende Gedankenexperiment:Wir stellen uns einen Eimer vor, <strong>der</strong> mit weißen Kugeln gefüllt ist. Darauf möge eineweitere Schicht mit roten Kugeln angeordnet sein. Diesen Zustand wollen wir alsgeordnet bezeichnen. Decken wir jetzt den Eimer ab und schütteln ihn kräftig, dannsagt unsere Erfahrung, daß sich die weißen und roten Kugeln durchmischen werden. ImEndzustand werden die roten Kugeln völlig regellos unter den weißen Kugeln verteiltsein, d.h. einen völlig ungeordneten Zustand annehmen. Auch wenn wir jetzt fortfahren,den Eimer zu schütteln, wird <strong>der</strong> ungeordnete Zustand beibehalten werden. Es istaußerordentlich unwahrscheinlich, daß nach einigen (o<strong>der</strong> Hun<strong>der</strong>ten) Schüttelversuchenzu irgendeinem Zeitpunkt <strong>der</strong> geordnete Zustand wie<strong>der</strong> eintritt.Wenn wir also (durch Schütteln) den Kugeln die Möglichkeit geben, ihre Plätze zuwechseln, dann wird – ohne irgendwelche weiteren Einflüsse – <strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Kugelnvon einem geordneten in einen ungeordneten übergehen. Das gilt ganz generell: JedesSystem in <strong>der</strong> Natur geht selbständig von einem geordneten in einen ungeordneten, bzw.von einem Zustand höherer Ordnung in einen Zustand niedrigerer Ordnung über, wenndas nicht mit einem allzu großen Anstieg <strong>der</strong> Energie verbunden ist. Würden sichnämlich die roten Kugeln gegenseitig stark anziehen (z.B. durch eingebautePermanentmagnete), dann würde auch ein nachhaltiges Schütteln nicht zu einemAbweichen aus einem ursprünglichen geordneten Zustand führen.Die Ursache dafür, daß die Kugeln in dem Eimer von einem geordneten in einenungeordneten Zustand übergehen, hat eine einfache Erklärung: Es gibt viel mehrAnordnungsmöglichkeiten für alle Kugeln, wenn sie regellos untereinan<strong>der</strong> verteilt seinkönnen, als wenn sie nach einem vorgeschriebenen Schema plaziert werden müssen..Setzen wir voraus, daß sämtliche Zustände insgesamt etwa die gleiche (potentielle)Energie besitzen, dann werden sie auch alle etwa mit <strong>der</strong> gleichen Wahrscheinlichkeitangenommen. Damit ist das Annehmen eines geordneten Zustandes einfach unwahrscheinlich,weil es viel weniger Möglichkeiten in dieser Anordnung gibt. Diesen Zusammenhangkann man nach den Gesetzen <strong>der</strong> Permutatorik quantitativ erfassen.Wir nehmen an, die Gesamtzahl <strong>der</strong> Kugeln im Eimer wäre N, die Anzahl <strong>der</strong> rotenKugeln n. Im ungeordneten Zustand können alle Kugeln beliebig miteinan<strong>der</strong>vertauscht werden, unabhängig von <strong>der</strong> Farbe. Damit ist die Anzahl <strong>der</strong>Anordnungsmöglichkeiten w un gleich <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Permutationen:


2.1 Entropie 77Das Zustandekommen dieser Formel kann man sich leicht erklären: Wenn wir N Kugelnauf N dafür vorgesehene Plätze verteilen und dieses sukzessiv durchführen, dann habenwir für die erste Kugel N Möglichkeiten, für die zweite N-1, weil jeweils ein Platz schonbesetzt ist, für die nächste N-2, usw. Für jede Wahl können alle an<strong>der</strong>enPlatzverteilungen permutiert werden, d.h. insgesamt geht das Produkt <strong>der</strong>Möglichkeiten ein.Die Anzahl <strong>der</strong> Anordnungsmöglichkeiten im geordneten Zustand, wenn die Position<strong>der</strong> roten Kugeln in <strong>der</strong> obersten Schicht festgehalten wird, ergibt sich durch diePermutationsmöglichkeiten jeweils <strong>der</strong> roten und weißen Kugeln untereinan<strong>der</strong>, alsoIn <strong>der</strong> Thermodynamik wird als Bezugsgröße für den Ordnungszustand die Entropie Sdefiniert. Für den vorliegenden Fall ergibt sich (s. Band 2 dieser Reihe o<strong>der</strong>Standardliteratur zur Thermodynamik):mit <strong>der</strong> Boltzmannkonstanten k. Das setzt aber voraus, daß die Energie <strong>der</strong>verschiedenen Anordnungsmöglichkeiten (Mikrozuständen) etwa gleich ist (innerhalb<strong>der</strong> Größenorndung <strong>der</strong> thermischen Energie kT), was in praktischen Beispielendurchaus nicht immer erfüllt ist. Für den wichtigen Grenzfall kleiner Konzentrationen(verdünnter Lösungen) gilt aber (3) recht genau. Eine ausführlichere Diskussion dieserProblematik erfolgt im Folgeband "Halbleiter".Speziell für unser Kugelmodell sind die Entropien für den ungeordneten und geordnetenZustand:Der quantitative Vergleich von (1) und (2) zeigt, daß bei hinreichend großem N imungeordneten Zustand die Anzahl <strong>der</strong> Anordnungsmöglichkeiten, und damit dieEntropie, ungleich viel größer ist als im geordneten Zustand. Hat jede dieserKonfigurationen dieselbe Energie, dann wird aufgrund <strong>der</strong> größerenAnordnungsmöglichkeiten jedes System von sich aus vom geordneten Zustand in denungeordneten übergehen, d.h. seine Entropie erhöhen. Dieses ist eine <strong>der</strong>fundamentalen Aussagen <strong>der</strong> Thermodynamik: Ein geschlossenes System mitkonstanter Gesamtenergie wird sich von selbst (d.h. spontan) so verän<strong>der</strong>n, daß seineEntropie dabei zunimmt. Erst wenn die Entropie den maximal möglichen Wertangenommen hat, befindet sich das System im thermischen Gleichgewicht und wird sichnicht weiter verän<strong>der</strong>n.


2.1 Entropie 78Der Zuwachs an Entropie beim Übergang vom geordneten in den ungeordneten Zustand(allgemeiner: von einem Zustand höherer in einen mit niedrigerer Ordnung) wird alsMischentropie S M bezeichnet:Diese Formel kann mathematisch leichter behandelt werden, wenn man sie mit Hilfe <strong>der</strong>Stirling'schen Formel umwandeltDieses ist eine gute Näherung für Zahlen x, die viel größer sind als 10, d.h. die Näherungist in unserem Fall gut anwendbar. Nach einigem Umrechnen bekommt (5) dann dieForm [17,18]Es ist zweckmäßig, an dieser Stelle eine Teilchenkonzentration (gemessen inAtomprozent) c einzuführen durch die DefinitionDann läßt sich (7) überführen inDie zuletzt aufgeführte Funktion (S M /N)(c) hängt nur noch von c, nicht aber von <strong>der</strong>Kugelzahl N ab, sie hat die Bedeutung einer Mischentropie pro Teilchen (d.h. in demoben betrachteten System pro Kugel – ohne Berücksichtigung <strong>der</strong> Farbe). Nach demGesetz von Bernoulli-l'Hospital geht diese Funktion gegen Null bei c = 0 und c = 1.Dazwischen steigt sie auf ein Maximum an bei c = 0,5 (Bild 2.1-1).


2.1 Entropie 79Bild 2.1-1: Abhängigkeit <strong>der</strong> Mischentropie pro Teilchen einer Legierung (bzw. von n rotenKugeln in einem System mit insgesamt N roten und weißen Kugeln, nach [18])Der Maximalwert <strong>der</strong> Entropie pro Teilchen ergibt sich zuDie Zunahme <strong>der</strong> Entropie ist beson<strong>der</strong>s stark bei c ≈0 und c ≈ 1, da dort die (S M /N)(c)-Kurve wegen des ln-Terms eine unendlich große Steigung besitzt.Wir ersetzen jetzt das Eimermodell durch einen Kristall (Matrix-o<strong>der</strong> Wirtskristall)mit insgesamt N Gitterplätzen, in welchem sich N-n Atome einer vorgegebenen Sorte(Element), sowie n einer an<strong>der</strong>en Sorte (an<strong>der</strong>es Element) befinden. c wird dann alsFremdatomkonzentration bezeichnet, gemäß <strong>der</strong> Voraussetzung c ≈0 wird diese alssehr klein angenommen. Wie än<strong>der</strong>t sich jetzt die Mischentropie <strong>der</strong> verdünnten Lösung,wenn wir ein Fremdatom entfernen (dabei än<strong>der</strong>t sich auch N um l, d.h.es gilt dN =dn)? Die Ableitung von (9) nach n erbringt:Die partiellen Differentiale bedeuten jeweils, daß die Ableitung nach <strong>der</strong> spezifiziertenVariablen erfolgt, während alle an<strong>der</strong>en Variablen konstant gehalten werden.(12) läßt sich physikalisch interpretieren als Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Mischentropie eines Kristalls,wenn wir ein Fremdatom daraus entfernen. Dabei können zwei Fälle unterschiedenwerden:


2.1 Entropie 801. Das Fremdatom wird von <strong>der</strong> Oberfläche des Kristalls entfernt, dadurch än<strong>der</strong>t sichebenfalls das Kristallvolumen um das Volumen des Atoms, bzw. die Anzahl <strong>der</strong> GitterplätzeN nimmt ebenfalls um 1 ab. Dann folgt aus (12):2. Das Fremdatom hinterläßt beim Verlassen des Kristalls einen unbesetzten Gitterplatz(Gitterleerstelle), d.h. die Zahl N <strong>der</strong> Gitterplätze wird nicht geän<strong>der</strong>t. In diesemFall gilt mit (12):Für den gemeinsamen Term in (13) und (14) gilt:Im folgenden sollen in Bild 2.1-1 die Bereiche mit einer beson<strong>der</strong>s starken Entropieän<strong>der</strong>ung(bei c ≈0 und c ≈ 1) näher betrachtet werden. Dabei beschränken wir uns auf denFall c ≈ 0 (verdünnte Lösung), da sich <strong>der</strong> Fall c ≈ 1 symmetrisch dazu verhält. In diesemFall reduziert sich (18) auf


2.1 Entropie 81Weiterhin gilt mit (10) bei verdünnten Lösungen:Die Ursache hierfür liegt in <strong>der</strong> Tatsache, daß bei kleinen Konzentrationen die Steigung<strong>der</strong> S M -Kurve stark zunimmt. Der erste Term auf <strong>der</strong> rechten Seite von (13) kann nach(21) bei verdünnten Lösung vernachlässigt werden, so daß die Unterscheidung <strong>der</strong> beidenFälle in (13) und (14) irrelevant wird. Damit gilt generell:d.h. die (differentielle) Entropie pro Fremdatom nimmt mit abnehmen<strong>der</strong> Konzentrationstark zu (Bild 2.1-2).Bild 2. 1 -2: Differentielle Mischentropie pro Fremdatom in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Konzentrationim Konzentrationsbereich einer verdünnten Lösung.


2.1 Entropie 82Die zu Beginn des Abschnittes abgeleitete Aussage, daß sich ein System von selbst in <strong>der</strong>Weise verän<strong>der</strong>t, daß es einen Zustand maximaler Entropie annimmt, hat eine sehrgrundlegende Bedeutung: Sehr häufig ist nämlich die Zunahme <strong>der</strong> Entropie mit einerOrtsverlagerung <strong>der</strong> Atome (bzw. Kugeln) verbunden, d.h. auch <strong>der</strong> Teilchentransportkann entscheidend mit den Entropieverhältnissen in einem System zusammenhängen.Hierzu betrachten wir zwei nebeneinan<strong>der</strong> angeordnete Systeme 1 und 2 mit unterschiedlichenFremdatomkonzentrationen c 1 und c 2 (ohne Beschränkung <strong>der</strong> Allgemeinheitbetrachten wir verdünnte Lösungen mit c l < c 2 ). Was passiert, wenn wirein Fremdatom aus dem einen System in das an<strong>der</strong>e überführen? Die Entfernung desFremdatoms aus dem System mit c 2 verringert zwar dort die Entropie um S n2 M ,beim Einbringen desselben Fremdatoms in das System mit c l wird aber dafür dieEntropie S n1Mgewonnen. Insgesamt ergibt sich also die Entropieverän<strong>der</strong>ung:M MS − S >n1 n2c1 < c2( 16)Das Überwechseln des Fremdatoms aus dem System 2 (mit c 2 ) in das System 1 (mitc l ) ist also mit einer Vergrößerung <strong>der</strong> Entropie des Gesamtsystems verbunden, dasaus <strong>der</strong> Gesamtheit <strong>der</strong> Systeme 1 und 2 besteht. Nach dem oben entwickelten Kriteriumist das Überwechseln damit ein Prozeß, welcher von selbst abläuft, d.h. ohne äußereEinwirkung stattfindet.Auch dieses Beispiel läßt sich mit dem anfangs beschriebenen Eimermodell veranschaulichen:Sind nämlich in dem Eimer zwei Bereiche mit unterschiedlichenKonzentrationen roter Kugeln übereinan<strong>der</strong> angeordnet, dann führt ein Schütteln desEimers zu einer Durchmischung bei<strong>der</strong> Bereiche, die erfahrungsgemäß zu einergleichmäßigen Konzentration im gesamten Eimer führt. Die roten Kugeln haben alsoeine Tendenz, aus dem Bereich hoher Konzentration in einen mit niedriger überzuwechseln,d.h. ihnen ist eine festgelegte Bewegungsrichtung vorgegeben.Uns ist die Vorstellung vertraut, daß die Bewegung eines Körpers (bzw. Teilchens) dasResultat des Einwirkens einer Kraft ist. Im obigen Beispiel wurde gezeigt, daß sichFremdatome aus einem Bereich hoher Konzentration in einen Nachbarbereich mit einerniedrigeren Konzentration bewegen, ohne daß etwa eine von außen wirkende Kraft(wie z.B. die Schwerkraft) auf sie Einfluß hat. Die treibende Kraft für diesen Prozeß entstehtallein durch die Entropiezunahme, d.h. es findet ein nicht durch die bekanntenäußeren Fel<strong>der</strong> zu beschreiben<strong>der</strong> Prozeß statt.Es liegt nahe, den Begriff <strong>der</strong> Kraft so zu verallgemeinern, daß auch die Teilchenbewegungaufgrund des beschriebenen Prozesses erfaßt wird. Wenn wir die Lage desTeilchens mit den Koordinaten x a (Anfangszustand vor dem Ortswechsel) und x e(Endzustand nach dem Ortswechsel) kennzeichnen, dann ist die Kraft auf das Teilchenproportional zur Entropiezunahme ∆S n pro Teilchen beim Ortswechsel, geteilt durch0(23)


2.1 Entropie 83den beim Ortswechsel zurückgelegten Weg x e -x a :Um auf die gebräuchliche Einheit <strong>der</strong> Kraft (Energie pro Länge) zu kommen, multiplizierenwir die Entropiezunahme mit <strong>der</strong> Umgebungstemperatur T des Systems. Weiterhinverwenden wir für die Entropiezunahme beim Ortswechsel <strong>der</strong> Teilchen den Ausdruck(17), wobei wir die Indizes a und e für den Anfangs- und Endzustand verwenden:Dieses ist die Definition <strong>der</strong> chemischen o<strong>der</strong> Entropiekraft auf ein Teilchen.Wird diese sehr allgemeine Definition angewendet auf die oben behandelten verdünntenLösungen, dann wird die Entropie in (25) maßgeblich bestimmt durch die Mischentropiemit einer Konzentrationsabhängigkeit nach (22). Eingesetzt in (25) ergibt sich für diesenSpezialfall als chemische Kraft die Diffusionskraft:Die Größe kT kommt in <strong>der</strong> Werkstoff-und Bauelementphysik häufig vor, sie wird alsthermische Energie bezeichnet und hat bei Raumtemperatur einen Wert von ca. 26meV.Die Gleichung (20) zeigt, daß die Diffusionskraft entgegengesetzt zum Konzentrationsgradientenzeigt: Teilchen diffundieren (unter den bisher gültigen Voraussetzungen,d.h. bei <strong>der</strong> energetischen Gleichwertigkeit aller Konfigurationen) vom Gebiet hoher indas Gebiet niedriger Konzentration. Dadurch werden Konzentrationsunterschiedeabgebaut, <strong>der</strong> Gleichgewichtszustand, bei dem schließlich keine Kräfte mehr wirken,ist:also ein vollständiger Ausgleich <strong>der</strong> Konzentrationen.Die bisher betrachtete Mischentropie beschreibt die Anordnungsvielfalt, welche durchdie unterschiedlichen Verteilungsmöglichkeiten von Fremdatomen in einemWirtsgitter (Matrix) entsteht. In <strong>der</strong> Natur gibt es sehr viel mehr Möglichkeiten, die Anordnungsvielfaltin einem System zu vergrößern (Bild 2.1-3):(27)


2.1 Entropie 84Bild 2.1-3: Methoden zur Vergrößerung <strong>der</strong> Entropie (nach [19])Eine Vergrößerung <strong>der</strong> Anordnungsvielfalt kann auf sehr verscheidene Arten Erreichtwerden:1. Mischung eines Systems aus verschiedenartigen Teilchen (Mischentropie nach(5))2. Vergrößerung des zugelassenen Teilchenvolumens: Je größer dieses Volumenist, umso mehr Anordnungsmöglichkeiten (z.B. Ortsvektoren) gibt es für den Aufenthalt<strong>der</strong> Teilchen. Das Volumen pro Teilchen kann z.B. durch Vergrößerung desGesamtvolumens für das System zunehmen (Bild a)3. Die Anordnungsvielfalt einer Gruppe von Teilchen nimmt zu, wenn die äußerenRandbedingungen eine weniger geordnete Konfiguration zulassen. Beispiel inBild b): Eine langgestreckte Polymerkette hat weniger Anordnungsmöglichkeitenals eine beleibig ausgerichtete. Auch in einem Kristallgitter können bestimmte Anordungenvon Atomen auf benachbarten Plätzen eine größere Anzahl g at von Anordnungen(Konfigurationen) annehmen als an<strong>der</strong>e. Die aus <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Anordnungennach (3) resultierende Entropie wird als Konfigurationsentropie S at bezeichnet.Die Konfigurationsentropie pro Teilchen ist dann:(28)


2.1 Entropie 854. Die Gesamtentropie eines Systems setzt sich aus <strong>der</strong> Summe aller TeilchenentropienS n zusammen. Eine Vergrößerung <strong>der</strong> Teilchenzahl erhöht damit im allgemeinendie Gesamtentropie. Beispiel in Bild c): Hinzufügen neuer Teilchen, in Bildd) Zerfall o<strong>der</strong> Dissoziation von Teilchen.5. Auch die Vergrößerung <strong>der</strong> Teilchenenergie kann die Anordnungsvielfalt erhöhen:Sie kann z.B. dazu führen, daß Energiebarrieren überwunden werden, welchedie räumliche Anordnungsvielfalt <strong>der</strong> Teilchen einschränken.Alle denkbaren Mechanismen entsprechend Bild 2.1-3 führen zu Teilchenentropien S n ,welche nach (25) die Ursache für das Auftreten von Kräften sein können, d.h. die zu Beginndes Abschnitts behandelte Mischentropie stellt nur einen (in <strong>der</strong> Praxis sehr wichtigen)Son<strong>der</strong>fall dar. Im Gegensatz zur Mischentropie kann die Berechnung z.B. vonKonfigurationsentropien allerdings extrem aufwendig werden und Kenntnisse voraussetzen,die nach dem heutigen Stand des Wissens nicht o<strong>der</strong> nur unzureichend vorhandensind. In vielen Fällen kann nur aus experimentell beobachteten Zusammenhängenauf die vorhandenen Teilchenentropien zurückgeschlossen werden.Einfach zu berechnen ist die Entropie eines idealen Gases nicht wechselwirken<strong>der</strong>Teilchen, das z.B. bei höheren Temperaturen durch die Edelgas-Elemente des Periodensystemsrealisiert wird, in relativ grober Näherung auch durch an<strong>der</strong>e Gase wie dieLuftatmosphäre. Die Berechnung ergibt (Band 2, Abschnitt 1.2, S. 42 (20) ):mit einer charakteristischen Konstanten c L . Auch Ladungsträgern in Halbleitern kanneine Entropie nach (29) zugeordnet werden (Elektronengas, s. Band 2, Abschnitt 1).Eine Berechnung wie in (26) ergibt für ideale Gase dieselbe Diffusionskraft wie fürFremdatome in verdünnten Lösungen.


2.2 chemisches Potential 86!"!#$%&’()*%&)#+,-&.-(/0Im vorangegangenen Abschnitt wurde über die Beziehung (2.1-25) ein verallgemeinerterKraftbegriff eingeführt: Die auf ein Teilchen wirkende chemische o<strong>der</strong> Entropiekraftwird bestimmt durch die Entropiezunahme des Systems bei einer Verlagerung desTeilchens. Im folgenden wird gezeigt werden, daß auch <strong>der</strong> konventionelle Begriff <strong>der</strong>Feldkraft (= Abnahme <strong>der</strong> potentiellen Energie eines Teilchens mit <strong>der</strong> Teilchenverlagerung)in das Konzept <strong>der</strong> chemischen Kraft eingefügt werden kann.Eine wesentliche Größe dabei ist die gesamte kinetische Energie W kingaller Teilchendes Systems. Wir wollen das Gesamtsystem als ruhend annehmen, d.h. es soll sich nichtmit einer vorgegebenen Geschwindigkeit durch den Raum bewegen. Dann zeigt die Erfahrung,daß die Teilchen des Systems trotzdem (oberhalb des absoluten Nullpunkts <strong>der</strong>Temperatur) nicht unbewegt bleiben, son<strong>der</strong>n eine Wärmebewegung ausführen. Dieseerfolgt bei verschiedenen Teilchen in allen Raumrichtungen, d.h. in ihrer Summe addierensich alle Einzelbewegungen in <strong>der</strong> Weise, daß keine Bewegung des Gesamtsystemsstattfindet. In Kristallgittern besteht W kingaus <strong>der</strong> kinetischen Energie <strong>der</strong> Atombewegungum den Gitterplatz herum, die so erfolgt, daß sich jedes Gitteratom zwar imzeitlichen Mittel auf seinem Gitterplatz befindet, zu einem beliebig ausgewählten Zeitpunktaber auf einer Position in <strong>der</strong> Umgebung des Gitterplatzes. Die jeweilige Lage än<strong>der</strong>tsich aufgrund <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> kinetischen Energie des Teilchens verbundenen Geschwindigkeitmehr o<strong>der</strong> weniger schnell.Typisch für Festkörper und Flüssigkeiten ist, daß die Auslenkung <strong>der</strong> Atome durch dieGegenwart von Nachbaratomen behin<strong>der</strong>t wird, d.h. <strong>der</strong> Bewegungsspielraum <strong>der</strong> Atomeist in charakteristischer Weise eingeschränkt. Diese Randbedingung gilt weit wenigerfür die am Ende des Abschnitts 2.1 eingeführten idealen Gase nichtwechselwirken<strong>der</strong>Teilchen: In diesem Fall können sich die Gasteilchen frei in allen Raumrichtungenbewegen, ohne in irgendeiner Weise an einen bestimmten Punkt im Raum gebunden zusein. Dennoch erfolgt auch bei einzelnen Gasteilchen die Bewegung mit gleicher Wahrscheinlichkeitin alle Raumrichtungen: Die Gasteilchen stoßen nämlich nach einer gewissen(in <strong>der</strong> Praxis meist sehr kurzen) Zeit mit an<strong>der</strong>en Gasteilchen zusammen. Nachden Gesetzen des elastischen o<strong>der</strong> inelastischen Stoßes än<strong>der</strong>n sie dabei ihre Richtungund Geschwindigkeit. Insgesamt kann also auch ein Gasbehälter (z.b. ein Luftballon) ruhen,obwohl die Gasteilchen darin eine erhebliche kinetische Energie enthalten können.Wie<strong>der</strong>um ist das Kennzeichen, daß die mit <strong>der</strong> kinetischen Energie verbundene Bewegung<strong>der</strong> einzelnen Atome (o<strong>der</strong> Moleküle) mit gleicher Wahrscheinlichkeit in alleRaumrichtungen erfolgt, so daß sie insgesamt zu keiner Bewegung des Systems führen.Diese Form <strong>der</strong> kinetischen Energie, die sich natürlich von <strong>der</strong> kinetischen Energie z.B.eines Geschosses grundsätzlich unterscheidet, wird auch als Wärmeenergie bezeich-


2.2 chemisches Potential 87net, sie hängt eng zusammen mit <strong>der</strong> makroskopisch meßbaren Temperatur%des Systems:Jedes Vielteilchensystem kann im Gleichgewicht mit seiner Umgebung auf dieseWeise eine Energie W kingaufnehmen, <strong>der</strong>en Größe von <strong>der</strong> Umgebungstemperaturabhängt. Bei <strong>der</strong> Zu- und Abführung von W kingaus o<strong>der</strong> in die Umgebung gelten dieGesetze <strong>der</strong> Energieerhaltung.Die im vorangegangenen eingeführte gesamte kinetische Energie W kin g , die zwar zueiner erheblichen Bewegung <strong>der</strong> einzenen Teilchen eines Systems, nicht aber zu einerBewegung des Gesamtsystems führt, hat auch einen Einfluß auf die Realisierung <strong>der</strong>Anzahl <strong>der</strong> Anordnungsmöglichkeiten aller Teilchen und damit auf die Entropie: In einemvorgegebenen Zeitraum können nämlich umso mehr verschiedene Anordnungsmöglichkeitenrealisiert werden, je größer die mittlere Teilchengeschwindigkeit, unddamit die kinetische Energie, ist. Im Ergänzung zu <strong>der</strong> im Abschnitt 2.1 behandeltetenAnordnungsvielfalt im Ortsraum wird jetzt zusätzlich eine Anordnungsvielfalt imZeitraum%betrachtet: Die Beobachtung <strong>der</strong> Natur zeigt, daß das System – wenn es die äußerenRandbedingungen zulassen – von sich aus in einen Zustand übergeht, bei dem esinnerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne möglichst viele verschiedene Anordnungenannimmt. Die Aufnahme von kinetischer Energie W kingim oben definierten Sinne istalso mit einem Anstieg eines Beitrags S kin <strong>der</strong> Entropie verbunden. Die Berechnungvon S kin kann über die Maximierung <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Anordnungsmöglichkeiten zweierSysteme erfolgen, die sich in einem thermischen Kontakt miteinan<strong>der</strong> befinden, wobeizwar ein Energieaustausch zwischen beiden Systemen zugelassen ist (z.B. durch eineelastische Trennwand), nicht aber ein Teilchenaustausch ([19], Band 2, Abschnitt1.2.1). Für den Zuwachs <strong>der</strong> Entropie ∆S kin eines Systems bei Übernahme <strong>der</strong> (ungerichteten)kinetischen Energie ∆W kinggilt die Beziehung:wobei T die Temperatur des betrachteten Systems, gemessen in <strong>der</strong> absoluten Temperaturskala(Einheit Kelvin) beschreibt. Beziehen wir die Gleichung (1) wie<strong>der</strong> auf ein einzelnesTeilchen des Systems, dann ergibt sichd.h. ∆W kin beschreibt den Zuwachs <strong>der</strong> kinetische Energie pro Teilchen%im gesamtenTeilchensystem beim Hinzufügen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wegnahme eines Teilchens n und ist zuunterscheiden vom Zuwachs <strong>der</strong> gesamten kinetischen Energie W kingdes Gesamtsystems!Für die thermodynamischen Betrachtungen in diesem und den folgenden Bänden<strong>der</strong> Reihe ist ein Übergang auf teilchenbezogene Größen, also die Ableitung <strong>der</strong> Ge-


2.2 chemisches Potential 88samtgröße nach <strong>der</strong> Variablen n <strong>der</strong> Teilchenzahl, von Vorteil. Die partielle Ableitungbedeutet dabei, daß bei einer Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Teilchenzahl um dn = 1 (Hinzufügen o<strong>der</strong>Entfernung eines einzelnen Teilchens) alle an<strong>der</strong>en Parameter des Systems erhaltenbleiben: Bei einer genaueren Betrachtung wie in (2.1-13 und 14) muß diese Randbedingungnicht gewährleistet sein, obwohl sie in <strong>der</strong> Praxis in vielen Fällen eine untergeordneteRolle spielt.Wir betrachten jetzt den Fall, daß in einem Vielteilchensystem, das z.B. durch einen Kristallo<strong>der</strong> ein ideales Gas gegeben sein kann, ein Feld definiert ist, mit dem die Teilchendes Systems wechselwirken. Das könnte z.B. das Gravitationsfeld <strong>der</strong> Erde sein, welchesjedes massenbehaftete Teilchen anzieht. Sind die Teilchen elektrisch geladen,dann wirkt sich das Feld einer elektrischen Feldstärke entsprechend aus. Kennzeichnendin jedem Fall ist, daß die potentielle Energie pro Teilchen*W pot(im Folgeband 2 bei Elektronen W L genannt, W potgist die gesamte potentielle Energiedes Systems) vom Ort abhängt: Bild 2.2-1 zeigt ein Beispiel dafür bei einer eindimensionalenAbhängigkeit in x-Richtung.Bild 2.2-1Beispiel für einen Ortsverlauf <strong>der</strong> potentiellen Energie pro Teilchen in einem Teilchensystem. Einesolche Abhängigkeit kann entstehen durch den Einfluß äußerer Fel<strong>der</strong> o<strong>der</strong> durch einen inhomogenenAufbau des Systems, bei dem z.B. die Wechselwirkungsenergie eines Teilchens mit seinen Nachbarnvom Ort abhängt. In <strong>der</strong> Mechanik wird eine Feldkraft F feld durch den Gradienten <strong>der</strong> potentiellenEnergie pro Teilchen definiert gemäßdie ebenfalls ihren Ursprung in einem Zuwachs <strong>der</strong> Entropie findet.


2.2 chemisches Potential 89Ein ähnlicher Verlauf <strong>der</strong> potentiellen Energie pro Teilchen kann auch bei Abwesenheitäußerer Fel<strong>der</strong> auf an<strong>der</strong>e Weise entstehen: Än<strong>der</strong>t sich nämlich <strong>der</strong> Aufbau o<strong>der</strong> die Zusammensetzungdes Systems mit dem Ort (inhomgenes System), dann kann auch übereine lokal unterschiedliche Wechselwirkung eines Teilchens mit seinen Nachbarn eineortsabhängige Wechselwirkungsenergie pro Teilchen entstehen. Das Ergebnis ist in beidenFällen, daß eine Feldkraft F feld nach (3) entsteht.Auch die Feldkraft hat ihren Ursprung in einem Zuwachs <strong>der</strong> Entropie beim Übergangdes Teilchens von einem Ort hoher zu einem Ort niedriger potentieller Energie (also vonx 2 nach x 1 in Bild 2.2-1). Wird nämlich am Ort x 2 ein Teilchen entnommen und beix 1 ein Teilchen hinzugefügt, dann ist die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Energie des GesamtsystemsDas negative Vorzeichen kennzeichnet die Tatsache, daß diese Energie "frei wird" undnach dem Prinzip <strong>der</strong> Energieerhaltung in eine an<strong>der</strong>e Form überführt werden muß, dakeine Energie "verloren gehen" darf. Eine <strong>der</strong> Möglichkeiten, die freiwerdende Energie(5) abzuführen, ist eine Umwandlung in kinetische Energie des Gesamtsystems (bei inhomogenenSystemen in einem Volumenbereich, in dem sich ein lokales Gleichgewichtausbildet), so daß giltDiese Umwandlung ist nach (1) mit einem Anstieg <strong>der</strong> Entropie verbunden, nach (2b) ergibtsich für jedes Teilchen, das sich von x 2 nach x 1 bewegt, die EntropievergrößerungS nkindes Gesamtsystems, wobei gilt:Nach (2.1-25) ergibt sich daraus als chemische Kraft, die wir für diesen Fall <strong>der</strong> EntropieerzeugungFeldkraft nennen wollen:d.h. es ergibt sich die bekannte und bereits in Bild 2.2-1 erläuterte Formel. Dieselbe Argumentationläßt sich durchführen, wenn wir anstelle <strong>der</strong> potentiellen Energie die Gesamtenergiepro Teilchen W n verwenden, die definiert ist durch:


2.2 chemisches Potential 90In diesem Fall bekommt die Feldkraft die erweiterte FormDie Feldkraft (10) ist aber nur ein Teil <strong>der</strong> insgesamt wirkenden chemischen Kraft,da die letztere auch an<strong>der</strong>e Beiträge zur insgesamt wirkenden Kraft, wie z.B. die Diffusionskraft,mit einschließt.Von Bedeutung ist, daß die Feldkraft nur dann die Form (10) annimmt, wenn die freiwerdendeEnergie tatsächlich in kinetische Energie des Gesamtsystems, d.h. in Wärmeenergie,umgesetzt wird. Bei an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> Energieumwandlung, wie z.B. dieErzeugung von angeregten Elektronen, Aussendung von Photonen (Lichtquanten),usw. müssen geson<strong>der</strong>te Betrachtungen angestellt werden.Im folgenden soll ein Ausdruck für die chemische Kraft hergeleitet werden, bei dem alledenkbaren Entropiebeiträge berücksichtigt werden. Dazu gehen wir aus von zwei Systemen1 und 2 (z.B. Kristalle, Gasräume, etc.), in denen jeweils die pro Teilchen (<strong>der</strong> durchdie Variable n charakterisierten Sorte) definierten Größen S niM(nach (2.1-12)) undS niat(nach (2.1-22), darin sollen auch alle weiteren Entropiebeiträge enthalten sein),sowie die Temperatur T i einen festen Wert haben (i =1 o<strong>der</strong> 2). Diese For<strong>der</strong>ung setzt inbeiden Systemen ein lokales thermisches Gleichgewicht voraus, deshalb wird die im folgendenzugrundegelegte Thermodynamik auch als Gleichgewichtsthermodynamikbezeichnet.Wir entnehmen dem System 2 ein Teilchen <strong>der</strong> durch n charakterisierten Sorte und fügendieses Teilchen dem System 1 zu. Dabei wollen wir voraussetzen, daß sich durchdiesen Transportvorgang we<strong>der</strong> im System 1 noch im System 2 die an<strong>der</strong>en Variablenän<strong>der</strong>n (kleine Störung), d.h. alle Größen des Typs S n werden durch partielle Ableitungenbeschrieben. Nach denselben Prinzipien wie in (2.1-23) und (7) ist dann die Entropieän<strong>der</strong>ung∆S n ges , die durch den Teilchenübergang bewirkt wird:Wir fassen die anordnungsbedingten Entropiebeiträge S nMund S natzu einer gemeinsamenGröße zusammenund setzen diese in (9) ein. Es folgt:


2.2 chemisches Potential 91Wir streben jetzt an, daß in den Klammern jeweils nur Größen aus einem <strong>der</strong> beidenSysteme enthalten sind. Dazu addieren und subtrahieren wir den Term T 2 S n2 un<strong>der</strong>halten nach UmstellungWir definieren für jedes <strong>der</strong> beiden Systeme eine freie Energie F durchund erhalten als differentielle Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> freien Energie bei Hinzufügen o<strong>der</strong> Entfernungeines Teilchens <strong>der</strong> durch n beschriebenen Sorte das >9’2"%>9’$IG&’)&",1 (auchFermienergie benannt) µ n <strong>der</strong> entsprechenden Teilchen:d.h. in den beiden Systemen 1 und 2 nimmt das chemische Potential die Werte anDamit läßt sich (15) vereinfachen zu:Sind die Zugehörigkeit <strong>der</strong> Teilchen zum System, sowie die Größe <strong>der</strong> Temperatur alleinüber den Ort bestimmt, dann gilt speziellso daß (18a) die Form annimmt


Mit <strong>der</strong> Definition (2.1-25) für die chemische Kraft folgt daraus:2.2 chemisches Potential 92also die Summe aus Feldkraft (nach (8)) und entropiebestimmter Kraft (nach (2.1-26)).Im Zustand des thermischen Gleichgewichts erbringt kein Teilchenübergang einen Entropiezuwachs,d.h. es giltBei konstanter Entropie S n (z.B. bei homogenen Systemen) stellen beide Terme in (22)totale Differentiale dar, d.h. die Integration ergibt Funktionen, die unabhängig vom Integrationsweg(Verlauf <strong>der</strong> Funktionen µ n (x) und T(x) zwischen den Integrationsgrenzenx 1 und x 2 ) sind:Dieses Ergebnis ist die Grundlage für die Theorie <strong>der</strong> Thermoelemente (Band 3, Abschnitt3.2). Beschränken wir uns auf den Fall konstanter Temperatur (isothermerFall, es liegen keine Temperaturgradienten vor), dann reduziert sich (20) einfach aufDie Kraft auf ein Teilchen ist im isothermen Fall so gerichtet, daß sie in Richtung des negativenGradienten des chemischen Potentials wirkt. Bei T = const liegen in (24) totaleDifferentiale vor, d.h. <strong>der</strong> Entropiegewinn beim Teilchenübergang von µ n (x 2 ) nachµ n (x 1 ) istunabhängig vom Ortsverlauf von µ n (x).


2.2 chemisches Potential 93Betrachten wir schließlich den noch einfacheren Fall eines Systems bei konstanter Temperaturim thermischen Gleichgewicht, dann folgt aus (24):Ein thermisches Gleichgewicht stellt sich im isothermen Fall (bei Anwesenheit vonTemperaturgradienten gilt diese Aussage nach (22) nicht!) erst dann ein, wenn diechemischen Potentiale <strong>der</strong> beteiligten Teilchen alle gleich sind.Mit (17) folgt aus (26)Bild 2.2-2 veranschaulicht diesen Sachverhalt für einen ortsabhängigen Verlauf <strong>der</strong>Energie W n (pro Teilchen) und Entropie S n (pro Teilchen): Die geometrisch ermittelteSumme von W n (x) und -T·S n (x) muß einen konstanten Wert µ n ergeben.Bild 2.2-2: Geometrischer Zusammenhang von Energie, Entropie und chemischem Potentialim thermischen GleichgewichtIm thermischen Gleichgewicht brauchen die Feld-und Diffusionskräfte keineswegsNull zu sein, sie müssen sich nur gegenseitig exakt kompensieren:Diese Beziehung ist die Ursache dafür, daß sich auch sehr unterschiedlich aufgebauteSysteme (z.B. ein pn-Übergang in <strong>der</strong> Halbleitertechnik, s. Abschnitt 2.8.3) miteinan<strong>der</strong>im thermischen Gleichgewicht befinden können.Die Beziehung (18a) hat eine sehr allgemeine Bedeutung: Sie gilt nicht nur wie (21) fürden Fall, daß Entropie durch den Ortswechsel eines Teilchens gewonnen werden kann,son<strong>der</strong>n für den allgemeineren Fall, daß ein Teilchen seinen Zustand än<strong>der</strong>t, z.B. von einemenergetisch angeregten in den Grundzustand übergeht. Unter isothermen Verhält-


2.2 chemisches Potential 94nissen ist dann die Differenz proportional zur beim Übergang gewonnenen Entropie:Dieser Prozeß läuft nur dann von selber ab, wenn dabei Entropie gewonnen wird, d.h.wenn die Größen in (29) positiv sind. Bei solchen Prozessen muß das chemische Potentialdes Endzustandes (mit µ n 1 ) also kleiner sein als das des Anfangszustandes(mitµ n 2 ).Gehen wir jetzt über die Ausgangsdefinitionen (17a und b) zurück auf die freie EnergienF 1 und F 2 <strong>der</strong> beiden Systeme, dann folgt aus (29):Die Integration von (30) über eine Anzahl übergehen<strong>der</strong> Teilchen ergibt die BezeihungJede Entropievergrößerung ist also mit einer Abnahme <strong>der</strong> freien Energie des Systemsverbunden, dem Zustand maximaler Entropie bei konstanter Temperatur entspricht damitein Zustand minimaler freier Energie. Einer Maximierung <strong>der</strong> Entropie entsprichtalso eine Minimierung <strong>der</strong> freien Energie. Beide Bedingungen sind gleichwertig, je nachProblemstellung erweist sich eine von beiden als einfacher zu behandeln.Nehmen wir an, in den beiden Bereichen gäbe es mehrere Teilchensorten A, B, C .... mitden jeweiligen Teilchenzahlen n A , n B , n C ... und chemischen Potentialen µ A , µ B , µ C .Dann entspricht <strong>der</strong> Bedingung einer minimalen freien Energie des Gesamtsystems:d.h. im allgemeinen Fall (wenn die n i unabhängig voneinan<strong>der</strong> sind) müssen alle chemischenPotentiale übereinstimmen.Die Tatsache, daß ein thermisches Gleichgewicht angenommen wird, sagt noch nichtsüber dessen Stabilität aus: Ein Gleichgewicht kann stabil o<strong>der</strong> labil sein. Unter einemstabilen Gleichgewicht verstehen wir einen Zustand, <strong>der</strong> im Fall einer Abweichungrücktreibende Kräfte <strong>der</strong>art entstehen läßt, daß <strong>der</strong> ursprüngliche Zustandwie<strong>der</strong>hergestellt wird. Dazu das folgende Beispiel: Zwei identische Systeme 1 und 2seien miteinan<strong>der</strong> im Gleichgewicht und mögen überall das konstante chemischePotential µ 1 n (n o ) =µ 2 n (n o ) haben. Geht ein Teilchen über vom System 1 in das System2, dann gilt


2.2 chemisches Potential 95Gilt jetztdann wird das Teilchen aus dem System 2 wie<strong>der</strong> in das System 1 zurückkehren, da es in2 ein größeres chemisches Potential besitzt, d.h. dieses thermische Gleichgewicht iststabil. Das Kriterium ist deshalbEine Taylor-Entwicklung des chemischen Potentials nach <strong>der</strong> Teilchenzahl ergibt:d.h. das Kriterium in (35) läßt sich auch ausdrücken durch die Bedingungen


2.3 Konfigurationsenergie 962.3 KonfigurationsenergieIn den folgenden Abschnitten wird das Kriterium <strong>der</strong> minimalen freien Energie bzw. <strong>der</strong>gleichen chemischen Potentiale immer wie<strong>der</strong> zur Bestimmung des thermischenGleichgewichtszustandes herangezogen. Im Falle des Nichtgleichgewichts könnenüber die chemischen Kräfte die Teilchenströme berechnet werden, die notwendig sind,um das Gleichgewicht herzustellen.In jedem Fall müssen die freie Energie o<strong>der</strong> das chemische Potential eines Systems entsprechend(2.2-16 und 17)explizit bekannt sein. Ein Ausdruck für die beson<strong>der</strong>s einfach zu berechnende MischungsentropieS M als Teil <strong>der</strong> Gesamtentropie war bereits in (2.1-9) bestimmtworden. Aussagen müssen aber noch gemacht werden über die Konfigurationsentropie(2.1-22), sowie die Energie W g des Kristalls, die sich nach (1) aus <strong>der</strong> gesamtenpotentiellen und kinetischen Energie (innere Energie) zusammensetzt.Wie bereits in Bild 2.2-1 erläutert, kann die potentielle Energie bestimmt werden durchdie Wechselwirkungsenergie <strong>der</strong> Teilchen in einem von außen wirkenden Feld, wie z.B.dem Graviationsfeld <strong>der</strong> Erde, o<strong>der</strong> bei elektrisch geladenen Teilchen mit einem elektrischenFeld. Aber auch bei Abwesenheit äußerer Fel<strong>der</strong> kann eine ortsabhängige potentielleEnergie pro Teilchen entstehen, die nach (2.2-4) zu einer Feldkraft führt: In diesemFall wird die potentielle Energie durch die Wechselwirkung jedes Teilchens mit den unmittelbarbenachbarten Teilchen bestimmt, sie hängt also von <strong>der</strong> Konfiguration <strong>der</strong>Umgebung des Teilchens ab. Die entsprechende Konfigurationsenergie spielt in <strong>der</strong>Physik <strong>der</strong> kondensierten <strong>Werkstoffe</strong> eine bedeutende Rolle, da häufig das Verhalten<strong>der</strong> <strong>Werkstoffe</strong> bei Abwesenheit (o<strong>der</strong> Vernachlässigbarkeit) äußerer Fel<strong>der</strong> untersuchtwerden soll.Die gesamte Konfigurationsenergie W potgeines Systems setzt sich zusammen aus <strong>der</strong>Summe <strong>der</strong> Bindungsenergien W B aller Atome miteinan<strong>der</strong>. Dabei muß berücksichtigtwerden, daß jedes Atom mehrere Nachbarn hat; bei Kristallen, die im folgenden wegen<strong>der</strong> großen praktischen Relevanz behandelt werden sollen, entspricht <strong>der</strong>en Anzahl <strong>der</strong>Koordinationszahl z. Die potentielle Energie eines einzelnen Atoms aufgrund einerWechselwirkung mit seinen Nachbarn ist dann z·W B . Wir müssen jetzt die Anzahl<strong>der</strong> Paarwechselwirkungen, die in einem Kristall auftreten, berechnen (eineWechselwirkung übernächster Nachbarn wird an dieser Stelle vernachlässigt).Wir gehen von einem Kristall aus mit N Atomen <strong>der</strong> Sorten A und B, die Konzentration


2.3 Konfigurationsenergie 97<strong>der</strong> A-Atome in Atomprozent sei c. Zunächst betrachten wir ein reines A-Material, d.h. c= 100% = 1. Jedes Atom hat z nächste Nachbarn, d.h. die Anzahl N AA <strong>der</strong> PaarbindungenistDer Faktor 1/2 entsteht dadurch, daß jede Bindung bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> obigenVorschrift zweimal gezählt wird.Im folgenden wird angenommen, daß c


2.3 Konfigurationsenergie 98Durch Einsetzen <strong>der</strong> Formeln (3) bis (4) für den Fall <strong>der</strong> Phasenmischung und eineUmrechnung erhält man:Der Verlauf <strong>der</strong> Funktion W kr (c) hängt entscheidend ab von <strong>der</strong> Größe und demVorzeichen des Terms in <strong>der</strong> geschweiften Klammer. Dabei können prinzipiell dreiunterschiedliche Fälle eintreten (Bild 2.3-1).Bild 2.3-1:Abhängigkeit des Terms 2W AB -W AA -W BB von den Bindungsverhältnissen:a) gemischte Bindung W AB schwächer als gleichnamige (W AA und W BB )b) gemischte Bindung starker als gleichnamigec) gleichnamige Bindungen unterschiedlich, gemischte Bindung liegt dazwischen.Die Interpretation <strong>der</strong> drei Fälle in Bild 2.3-1 ist wie folgt:a) Bindungen zwischen gleichen Partnern sind energetisch günstig, d.h. <strong>der</strong> Kristall wirdeine Konfiguration bevorzugen, bei <strong>der</strong> es nebeneinan<strong>der</strong> Bereiche mit großen o<strong>der</strong>kleinen Konzentrationen c <strong>der</strong> A-Atome gibt.b) Bindungen zwischen unterschiedlichen Partnern sind stärker als zwischengleichnamigen, d.h. <strong>der</strong> Kristall wird sich möglichst gut durchmischen.c) Die Bindung zwischen verschiedenen Partnern hat keine Auswirkung.Die Beziehung (6) stellt eine Parabel dar, <strong>der</strong>en Form stark abhängt von <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong>


Parameter W AA , W BB und W AB , wobei die drei Fälle a), b) und c) unterschieden werdenmüssen. Die dazugehörigen Parabeln können charakterisiert werden durch:a) die Parabel ist negativ (konvex),b) die Parabel ist positiv (konkav),c) die Parabel artet in eine Gerade aus.2.3 Konfigurationsenergie 99In <strong>der</strong> Literatur werden die Begriffe "konvex" und "konkav" auch in <strong>der</strong> jeweilsumgekehrten Bedeutung verwendet.Beispiele <strong>der</strong> Kurvenformen W kr (c) für die drei genannten Fälle sind in Bild 2.4-1enthalten.


2.4 freie Energie von Legierungen 1002.4 Freie Energie von LegierungenEine Mischung von N Atomen verschiedener Elemente in einem Festkörper wird alsLegierung bezeichnet, die überwiegende Atomsorte als Matrix. Mit Hilfe <strong>der</strong>Ergebnisse aus den Abschnitten 2.1 bis 2.3 kann man die freie Energie (und damit diechemischen Potentiale <strong>der</strong> Atome) einer Legierung berechnen. Trotz <strong>der</strong> dort angewendeten(teilweise einschneidenden) Näherungen ergeben sich bei vielen Legierungenüber eine solche Rechnung qualitativ richtige Voraussagen über dasGleichgewichtsverhalten, das in einem Zustandsdiagramm beschrieben werden kann.Dabei müssen die im Abschnitt 2.1 bezüglich <strong>der</strong> Anwendung von (2.1 bis 2.3)gemachten Einschränkungen berücksichtigt werden. Für schlüssige quantitativeAussagen muß daher die Theorie wesentlich erweitert werden, so daß sie über denRahmen dieses Buches hinausgeht. Eine ausführlichere Diskussion ist in [17,71] zufinden.Es zeigt sich, daß bei realen Legierungen häufig die Fremdatomkonzentration durcheine Fremdatomaktivität a ersetzt werden muß gemäßmit einem Aktivitätskoeffizienten l, <strong>der</strong> vielfach nur experimentell bestimmt werdenkann.Für die weitere Auswertung ist es von Bedeutung, daß wir die Abhängigkeit <strong>der</strong> freienEnergie eines Legierungssystems gemäß Definition (2.2-16) bestimmen. Dabei könnenwir näherungsweise für die gesamte innere Energie W g die KonfigurationsenergieW kr (c) und für die gesamte Entropie zunächst allein die Mischentropie S M (c) nach(2.1-9) ansetzen.In Bild 2.4-1 wird diese Funktion in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Konzentration c durchgraphische Addition gewonnen: Wir tragen die Funktionen W kr (c) und -TS M (c) zunächsteinzeln über <strong>der</strong> c-Skala auf und addieren graphisch die Werte bei<strong>der</strong> Kurven auf,so daß wir nach (2) eine F(c)-Kurve erhalten.In Bild 2.4.1 können bei den erhaltenen F(c)-Kurven zwei typische Fälle unterschiedenwerden: Bei relativ starker und neutraler Bindung zwischen A-und B-Atomen ist dieKurve konkav, bei relativ schwacher Bindung dagegen hat sie zwei Minima (Bild 2.4-1c)


2.4 freie Energie von Legierungen 102Bild 2.4-1Bestimmung <strong>der</strong> F(c)-Kurve einer Legierung durch graphische Addition vonW kr (c) und -TS M (c) für die drei in Bild 2.3-1 dargestellten FälleF(c)-Kurven erweisen sich in <strong>der</strong> Praxis als außerordentlich nützlich: Durch eineTangentenkonstruktion können aus den F(c)-Kurven allgemein (d.h. auch ohne die hierzugrundegelegten vereinfachenden Voraussetzungen) die chemischen Potentiale direktermittelt werden, wie die folgende Rechnung zeigt. Wir gehen aus von den Anzahlen n Aund n B von A-und B-Atomen, wobei mit <strong>der</strong> Gesamtzahl N <strong>der</strong> Legierungsatome gilt:n + n = NAB(3)


Als Konzentration c verstehen wir die Konzentration <strong>der</strong> A-Atome:2.4 freie Energie von Legierungen 103Damit ergibt sich als chemisches Potential n(A-Atome) =: A für A-AtomeWir führen durcheine freie Energie pro Legierungsatom ein und erhalten mit (6):d.h. das chemische Potential ergibt sich durch den Achsenabschnitt <strong>der</strong> f-Achse, wennman die Tangente entlang <strong>der</strong> f(c)-Kurve im Punkt c legt (Bil<strong>der</strong> 2.4-2 und 3).


2.4 freie Energie von Legierungen 104Bild 2.4-2Auszug aus Bild 2.4-1: f(c)-Kurven für eine relativ starke und eine neutrale AB-Bindung (a) und für eine relativ schwache AB-Bindung (b), wobei in (b) die beidenMinima <strong>der</strong> Kurven stärker hervorgehoben sind. Nach (8) und (9) lassen sich die chemischenPotentiale A und B für A und B-Atome auf einfache Weise geometrischkonstruieren: Es ergeben sich jeweils die Achsenabschnitte auf <strong>der</strong> f-Achse fürdie Konzentrationen c=0 und c=1.Entsprechend läßt sich das chemische Potential m A für B-Atome konstruieren nach<strong>der</strong> Formel


2.4 freie Energie von Legierungen 105Da die Größe <strong>der</strong> chemischen Potentiale nach (2.2-24) bestimmend ist für die chemischenKräfte auf die Atome, ist die in Bild 2.4-2 beschriebene einfache geometrischeKonstruktion von A und B in <strong>der</strong> Praxis sehr hilfreich, wie das folgende Beispielzeigen wird.Hierfür gehen wir wie<strong>der</strong> von dem in Abschnitt 2.1 beschriebenen Randbedingung aus,daß nebeneinan<strong>der</strong> zwei Legierungssysteme mit den Konzentrationen c l und c 2 liegen.In diesem Fall kann die Auswertung <strong>der</strong> dazugehörenden f(c)-Kurve entscheiden,in welcher Weise beide Legierungen miteinan<strong>der</strong> reagieren. Wir brauchen nur diechemischen Potentiale zu ermitteln und festzustellen, welches größer o<strong>der</strong> kleiner ist.Der Vektor <strong>der</strong> chemische Kraft zeigt nach <strong>der</strong> grundlegenden Aussage von Abschnitt2.2 immer von dem Gebiet mit dem höheren chemischen Potential in das mit demniedrigeren. Bild 2.4-3 zeigt hierfür ein Beispiel für eine f(c)-Kurve, die sich nach Bild2.4-1a und b) für eine relativ schwache o<strong>der</strong> neutrale AB-Bindung ergibt.Bild 2.4-3: Relative Lage <strong>der</strong> chemischen Potentiale zweier Legierungen mit unterschiedlicherKonzentration bei konkaver Krümmung <strong>der</strong> f(c)Kurve (entspricht den Fällenin Bild 2.4-1a und b o<strong>der</strong> Bild 2.4-2a). Das chemische Potential für A-Atome istkleiner in c l , das für B-Atome in c 2 , d.h. es findet eine Diffusion von A-Atomenvon c 2 nach c 1 , dagegen aber eine Diffusion von B-Atomen von c 1 nach c 2 statt.


2.4 freie Energie von Legierungen 106Im thermischen Gleichgewicht stellt sich eine mittlere Konzentration zwischen c lund c 2 ein.Bei einem Kurvenverlauf wie in Bild 2.4-2b können die Verhältnisse an<strong>der</strong>s liegen als indem Beispiel in Bild 2.4-3. Wie dort eingezeichnet, gibt es zwei verschiedeneKonzentrationen, die jeweils dasselbe chemische Potential ihrer Atome besitzen, weilbeide Konzentrationen eine gemeinsame Tangente besitzen. Trotz desKonzentrationsunterschiedes ist die chemische Kraft Null, d.h. es diffundieren keineAtome, um den Konzentrationsunterschied auszugleichen. An diesem Beispiel erkenntman, daß für eine Vorhersage des Diffusionsverhaltens eine Kenntnis <strong>der</strong> f(c)-Kurve(o<strong>der</strong> eines daraus abgeleiteten Zustandsdiagramms) notwendig ist. Diese Aussage giltebenfalls, wenn sich die Konzentration <strong>der</strong> Legierung in einem Bereich befindet, in demdie f(c)-Kurve konvex gekrürnmt ist (mittlerer Konzentrationsbereich in Bild 2.4-2b).Wir betrachten daher in Bild 2.4-4 eine spezielle Konzentration c in diesem Bereich.Aufgrund <strong>der</strong> Tangentenkonstruktion ergibt sich ein chemisches Potential oA . Wirnehmen jetzt an, die Legierung sei nicht vollständig homogen: DurchDichteschwankungen um den Mittelwert mögen auch lokal Bereiche mit denKonzentrationen c l und c 2 . Dieses ist für reale Legierungen eine durchaus realistischeAnnahme, wenn auch die Konzentrationsdifferenzen nicht immer so stark wie inBild 2.4-4 sind. In diesem Fall unterscheiden sich die dazugehörigen chemischenPotentiale erheblich, die resultierende chemische Kraft bewirkt eine Diffusion von A-Atomen aus dem Gebiet mit c l in das Gebiet mit c 2 , also aus einem Gebiet niedrigerer A-Konzentration in ein Gebiet mit höherer A-Konzentration und damit entgegengesetztzur Diffusionsrichtung in Bild 2.4-3!Die Ursache für dieses unterschiedliche Verhalten läßt sich leicht erklären: Im Falleneutraler AB-Bindungen (Bild 2.4-1b) wird die f(c)-Kurve durch die Mischentropie bestimmt,d.h. es ergibt sich qualitativ eine konkave Kurvenform wie in Bild 2.4-2a. DasDiffusionsverhalten ist dann wie in Abschnitt 2.1, d.h. es ergibt sich bei kleinen Konzentrationeneine Diffusionskraft wie in (2.1-26), die zu einer Bergabdiffusion (Definitionin Bild 2.4-4) führt. Bei f(c)-Kurven wie in Bild 2.4-4 spielt nach Bild 2.4-1c die Konfigurationsenergieeine entscheidende Rolle, d.h. neben den Diffusionskräften treten jetztstarke Feldkräfte auf, welche durch die Wechselwirkung benachbarter Atome entstehen.Bei <strong>der</strong> Bergaufdiffusion sind die Feldkräfte größer als die Diffusionskräfte unddiesen entgegengerichtet. Bei einer relativ starken AB-Bindung wie in Bild 2.4-1a wirkendie Feldkräfte in dieselbe Richtung wie die Diffusionskräfte, d.h. es bleibt bei <strong>der</strong>Bergabdiffusion, allerdings sind die chemischen Kräfte stärker als die reinen Diffusionskräfte.


2.4 freie Energie von Legierungen 107Bild 2.4-4: Verhalten einer Legierung in einem Konzentrationsbereich mit konvexerKrümmung <strong>der</strong> f(c)-Kurve: Im Gegensatz zu den Verhältnissen in Bild 2.4-3 diffundierenjetzt die A-Atome von c nach c, also entlang (Bergaufdiffusion) und nichtentgegen (Bergabdiffusion) des Konzentrationsgradienten.Dieses ist <strong>der</strong> Fall des in Abschnitt 2.2 betrachteten labilen (instabilen) Gleichgewichts:Bei einem konvexen Verlauf <strong>der</strong> f(c)-Kurve würde eine homogene Legierung mit <strong>der</strong>Konzentration c in zwei Phasen zerfallen, eine davon hat eine geringere, die an<strong>der</strong>e einehöherere Konzentrationen von A-Atomen. Deshalb treten Legierungen mit solchen instabilenKonzentrationen in <strong>der</strong> Realität kaum auf, außer wenn sie durch spezielle Herstellungsbedingungeneingestellt werden.Auch die Konzentrationen c l und c 2 in Bild 2.4-4 sind nicht stabil: Aufgrund eineranhaltenden A-Diffusion entlang (nicht entgegen!) des Konzentrationsgradientenstellen sich letztlich die Konzentrationen c 1 und c 2 aus dem Bild 2.4-2b ein. Erstdann stimmen die chemischen Potentiale <strong>der</strong> beiden Phasen wie<strong>der</strong> überein, d.h. dieDiffusion kommt im thermischen Gleichgewicht zu einem Stillstand.Das Ergebnis <strong>der</strong> vorangegangenen Diskussion läßt sich in einer praktischengemeinsamen-Tangenten-Regel zusammenfassen: In einem Konzentrationsbereich mitkonvexer Krümmung <strong>der</strong> f(c)-Kurve lassen sich die stabilen Legierungen dadurchermitteln, daß man eine gemeinsame Tangente an die Minima <strong>der</strong> f(c)-Kurve legt. DieSchnittpunkte <strong>der</strong> Tangente mit <strong>der</strong> f(c)-Kurve geben dann auf <strong>der</strong> c-Skala die stabilenKonzentrationen an. Bei einer konkav gekrümmten f(c)-Kurve ist jede Tangente auch"gemeinsame" Tangente, d.h. alle Legierungen sind stabil.Die letztgenannte Aussage läßt sich auch nach <strong>der</strong> obigen Argumentation leicht direkt


2.4 freie Energie von Legierungen 108zeigen: In einem Bereich mit konkaver Krümmung <strong>der</strong> f(c)-Kurve führt die lokaleSchwankung <strong>der</strong> Konzentration um einen Mittelwert zu einem umgekehrten Effekt imVergleich zur Bergaufdiffusion: In diesem Fall sind die chemischen Potentiale soverteilt, daß sie eine Bergabdiffusion verursachen, welche die Konzentrationsschwankungenausgleicht und die ursprüngliche homogene Konzentration wie<strong>der</strong>herstellt.Zum gleichen Ergebnis kommt man schließlich auch bei einer Anwendung desStabilitätskriteriums (2.2-37): Leitet man nämlich das chemische Potential für A-Atome(8) ein zweites Mal nach n A ab, dann gilt:Bei einem stabilen Gleichgewicht ist diese Funktion nach (2.2.-37) größer als Null, d.h.es giltEntsprechend gilt für das labile Gleichgewicht:Die oben hergeleiteten Beziehungen können wir jetzt verallgemeinern: DiePhasentrennung ist typisch für f(c)-Kurven mit konvexen Abschnitten, diese entstehennach Bild 2.4-1c dadurch, daß gleichartige Bindungspartner eine stärkere Bindunghaben als verschiedenartige. Nun kann es durchaus vorkommen, daß aufgrund zusätzlicherRandbedingungen eine Konzentration im mittleren Bereich <strong>der</strong> Konzentrationsskalaenergetisch beson<strong>der</strong>s günstig ist, weil z.B. ein bestimmtes stöchiometrischesVerhältnis <strong>der</strong> beteiligten Atome eingehalten wird (beson<strong>der</strong>s wichtig bei Ionenkristallen).Dann ist die Atombindung bei dieser Konzentration stärker, als in einembenachbarten Konzentrationsbereich. In diesem Fall treten zusätzlich zu den in Bild 2.4-1c auftretenden Minima weitere dazwischenliegende auf (Bild 2.4-5).


2.4 freie Energie von Legierungen 109Bild 2.4-5: Mehrere Minima in <strong>der</strong> f(c)-Kurve: Das relativ steil verlaufende Minimum mit<strong>der</strong> Zusammensetzung A x B y ist eine energetisch beson<strong>der</strong>s günstige,stöchiometrisch zusammengesetzte Zwischenphase (intermediäre Verbindung). DieBereiche mit Phasentrennung (Mischungslücken) lassen sich über die "gemeinsameTangentenregel bestimmen und sind schraffiert gezeichnet. Die Mischphasenwerden häufig von links nach rechts fortlaufend mit griechischen Buchstabengekennzeichnet (nach [18]).Die Bestimmung <strong>der</strong>jenigen Bereiche, in denen die Konzentrationen stabil sind(Mischkristallbereiche), und <strong>der</strong>jenigen, wo eine Phasentrennung in zwei Phasenverschiedener Konzentrationen (Mischungslücken) erfolgt mit <strong>der</strong> "gemeinsamen-Tangenten-Regel" genauso einfach wie bei f(c)-Kurven mit zwei Minima. Die einzelnenPhasen werden wie in Bild 2.4-5 mit griechischen Buchstaben gekennzeichnet. Diephysikalischen Ursachen für das Auftreten von Mischkristallbereichen für mittlereKonzentrationen können sehr viele Gestalten haben, teilweise sind sie auch noch nichtvollständig verstanden. Eine Diskussion dieses Problemkreises bei Metallen ist beiHaasen [17] zu finden.Die bisher erhaltenen Ergebnisse stimmen mit den Ergebnissen aus <strong>der</strong> Praxis sehr gutüberein, obwohl eine <strong>der</strong> Voraussetzungen – die Darstellung <strong>der</strong> Gesamtentropie S(c)durch die Mischentropie S M (c) – oft nicht hintreichend fundiert ist. Im Bereich <strong>der</strong>Legierungsbildung <strong>der</strong> meisten <strong>Werkstoffe</strong> (s. Zustandsdiagramme im folgenden Abschnitt)ist die Diffusionsgeschwindigkeit <strong>der</strong> Atome so gering, daß keine langreichweitigeAtombewegung stattfindet und daher die Fremdatome "nur ihre unmittelbare Umgebungkennen". Konzentrationsunterschiede im Bereich kleiner o<strong>der</strong> großer c werdendaher nur wenig wahrgenommen. Die trotzdem gute Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Praxis


2.4 freie Energie von Legierungen 110kann möglicherweise dadurch erklärt werden, daß auch die KonfigurationsentropieS at (c) oft qualitativ einen ähnlichen Verlauf hat wie die Mischeentropie in Bild 2.1-1: Bei hohen Fremdatomkonzentrationen nimmt z.B. bei unterschiedlich großen Atomendie Anzahl <strong>der</strong> möglichen Konfigurationen zu, weil <strong>der</strong> Größenunterschied eineentropiearme, eng gepackte Struktur verhin<strong>der</strong>t.Wenn sich eine Phase mit <strong>der</strong> Konzentration c in <strong>der</strong> Mischungslücke aufspaltet in zweiPhasen mit c 1 und c 2 , dann hängt die Materialmenge <strong>der</strong> beiden Phasen nach <strong>der</strong>Trennung ab von <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> beteiligten Konzentrationen. Die quantitativeBestimmung erfolgt nach dem Hebelgesetz:Wir gehen von N Atomen einer Legierung aus, in <strong>der</strong> insgesamt die Konzentration vonA-Atomen c A = c beträgt. Die Legierung möge aufgespalten sein in zwei Phasen mit denKonzentrationen c 1 und c 2 ; x sei <strong>der</strong> Anteil (in Atomprozent) <strong>der</strong> N Atome, <strong>der</strong> sichin <strong>der</strong> Phase mit c 1 befindet, (1 - x ) <strong>der</strong> Anteil in <strong>der</strong> Phase mit c 2 . Dann gilt die Beziehung:Die Buchstaben l, m und n beziehen sich auf die Abstände in den Konzentrationen,welche durch Bild 2.4-6 definiert werden.Bild 2.4-6: Schema zur graphischen Ermittlung von Konzentrationsunterschieden (nach [18])Wie erwartet, nimmt <strong>der</strong> Anteil von c 1 zu, je näher c 1 an c liegt. Die graphischeErmittlung von Konzentrationsdifferenzen ist deshalb von beson<strong>der</strong>er Bedeutung, weildiese Längen unmittelbar in einer f(c)-Darstellung o<strong>der</strong> einem Zustandsdiagramm (s.u.)abgelesen werden können, ohne daß die Konzentration selbst zahlenmäßig erfaßt zuwerden brauchen.


2.4 freie Energie von Legierungen 111Bei den Herleitungen in den vorangegangenen Abschnitten wurde von Legierungenausgegangen, bei denen Fremdatome in einer Matrix verteilt werden. In Wirklichkeitgelten die Beziehungen viel allgemeiner: Anstelle <strong>der</strong> Atome können auchAtomgruppen o<strong>der</strong> Moleküle treten, die Bindungsenergien müssen dann durch die Entsprechenden<strong>der</strong> Gruppen o<strong>der</strong> Moleküle ersetzt werden. Auch für dieKoordinationszahl muß sinngemäß ein an<strong>der</strong>er Wert gefunden werden.Bei Ionenverbindungen sind die Minima <strong>der</strong> freien Energie <strong>der</strong> stöchiometrisch zusammengesetztenintermetallischen Verbindungen häufig beson<strong>der</strong>s scharf ausgeprägt (in<strong>der</strong> Regel zu einem Strich reduziert), weil jede Abweichung von <strong>der</strong> exaktenStöchiometrie zu hohen elektrostatischen Energien führt. Kann man die Legierung aberzusammensetzen aus elektrisch neutralen Verbindungen (oft Moleküle) , wie SiO 2 ,FeO o<strong>der</strong> Fe 2 0 3 , dann wird die starke elektrostatische Wechselwirkung abgeschwächtund man erhält wie<strong>der</strong> Voraussetzungen, die mit denen ungeladener Atome vergleichbarsind.


2.5 Zustandsdiagramme 1122.5 ZustandsdiagrammeDie im Abschnitt 2.4 entwickelten Verfahren <strong>der</strong> Analyse von f(c)-Kurven lassen sichauch zur Bestimmung des Legierungsverhaltens am Schmelzpunkt heranziehen. Dabeimuß zunächst die f(c)-Kurve <strong>der</strong> Schmelze bestimmt werden. Setzt man voraus, daßsich die Atome in <strong>der</strong> Schmelze vollständig mischen lassen, dann führt eine äquivalenteBetrachtung wie in Abschnitt 2.3 für die Schmelze zu einem konkaven Verlauf <strong>der</strong> KonfigurationsenergieW k (c) wie in Bild 2.4-1a. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite bietet eine Schmelzefür die einzelnen Atome sehr viel mehr Anordnungsmöglichkeiten als ein Kristall, d.h.es ist zu erwarten, daß <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> Konfigurationsentropie (2.1-22) viel größer ist als ineinem Kristall.Eine Konsequenz ist, daß die Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> freien Energie einerSchmelze viel größer ist, als die im festen Zustand: Bei hohen Temperaturen wird sie mitSicherheit weit unter <strong>der</strong> f(c)-Kurve des festen Zustands liegen. Umgekehrt liegen dieVerhältnisse bei niedrigen Temperaturen: Dort beschreibt die f(c)-Kurve des festen Zustandsdie minimale freie Energie. In einem mittleren Temperaturbereich konkurrierendie f(c)-Kurven <strong>der</strong> Schmelze und des festen Zustandes miteinan<strong>der</strong> wie die Minimaverschiedener Phasen in den f(c)-Kurven in Bild 2.4-5, d.h. die zulässigenKonzentrationsbereiche von fester o<strong>der</strong> flüssiger Phase, sowie <strong>der</strong>en Mischungslückenwerden nach <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> gemeinsamen Tangente bestimmt.Im folgenden werden verschiedene Typen von f(c)-Kurven nach diesem Verfahrenanalysiert. Dabei nimmt man für eine qualitative Abschätzung an, daß sich die Form <strong>der</strong>f(c)-Kurven nicht allzu sehr mit <strong>der</strong> Temperatur än<strong>der</strong>t, diese Annahme braucht bei einergenaueren Rechnung nicht gemacht zu werden. Entscheidend ist bei <strong>der</strong> Analyse dierelative Lage <strong>der</strong> f(c)-Kurven <strong>der</strong> festen und flüssigen Phase zueinan<strong>der</strong>, diese ist - wieoben begründet - stark temperaturabhängig.Zunächst betrachten wir eine Legierung des Typs in Bild 2.4-2 a) und b): d.h. dieLegierungsatome verhalten sich neutral zueinan<strong>der</strong>, bzw. verschiedene Atome habeneine stärkere Bindung zueinan<strong>der</strong> als gleichartige. Bild 2.5-1 zeigt die f(c)-Kurven fürden festen und flüssigen Zustand für verschiedene Temperaturen und <strong>der</strong>en Auswertungnach <strong>der</strong> gemeinsamen-Tangenten-Regel.


2.5 Zustandsdiagramme 113Bild 2.5-1:Vollständig mischbares Legierungssystem: f(c)-Kurven für den flüssigen (L) undden festen (S) Zustand für verschiedene Temperaturen und Auswertung nach <strong>der</strong>gemeinsamen-Tangenten-Regel. Die Konzentrationsbereiche, in denen keine homogenenPhasen, son<strong>der</strong>n Phasenmischungen realisiert werden, sind schraffiertgezeichnet. Die Temperaturen nehmen von T 1 bis T 5 ab. Im thermischen Gleichgewichtwird jeweils <strong>der</strong> Zustand mit <strong>der</strong> minimalen freien Energie angenommen, also<strong>der</strong> Zustand, <strong>der</strong> zu <strong>der</strong> niedriger liegenden f(c)-Kurve gehört.a) im gesamten Konzentrationsbereich ist L kleiner als S, d.h. die Legierungexistiert nur in flüssiger Formb) bei c = 0 ist L = S, sonst ist L stets kleiner als S: d.h. für c = 0 können die flüssigeund feste Phase koexistieren, sonst existiert die Legierung nur in flüssiger Form.c) für c kleiner als c 1 ist die Legierung fest, für c größer als c 2 flüssig. ImZwischenbereich zerfällt die Legierung in eine Phasenmischung aus einer flüssigenPhase mit c 2 und einer festen Phase mit c 1 .d) und e) im gesamten Konzentrationsbereich ist S kleiner als L, d.h. die Legierungexistiert als Mischkristall (in <strong>der</strong> festen Phase).f) Zustandsdiagramm mit


2.5 Zustandsdiagramme 114Gerade parallel zur Abszisse (c-Koordinate) durch die Temperatur T l im Zustandsdiagramm,dann liegen alle Punkte dieser Geraden in einem Gebiet (Flächenbereich), dasmit "flüssig" gekennzeichnet wird. Bei einer niedrigeren Temperatur T 2 berührt dieentsprechende Gerade bei c = 0 die Verbindung von ED3(,=.- und G(H=(,=.-Linie,d.h. die Legierung kann dort beide Aggregatzustände annehmen. Bei T 3 durchstößtdie zur c-Koordinate parallele Gerade von links kommend bei c 1 die Soliduslinie,d.h. für c kleiner als c 1 befindet sich die Legierung im festen Zustand. Zwischen c 1und c 2 befindet sich die Gerade in einem Zweiphasengebiet (in Bild 2.5-1fgekennzeichnet durch L+S), d.h. die Legierung existiert als Phasenmischung in festerund flüssiger Form, jeweils mit den angegebenen Konzentrationen. Für c größer als c 2schließlich ist die Gerade in dem <strong>der</strong> flüssigen Phase entsprechenden Gebiet. Manerkennt also, daß das Zustandsdiagramm in Bild 2.5-1 genau die Verhältnissewie<strong>der</strong>gibt, die sich aus den temperaturabhängigen f(c)-Kurven über die Anwendung<strong>der</strong> gemeinsamen-Tangenten-Regel ergeben, es handelt sich also um eine Darstellungmit einer stark komprimierten Information.Zustandsdiagramme mit <strong>der</strong> in Bild 2.5-1f erkennbaren Linsenform sind typisch fürCD33.0!%,(5+/(."#&-’$+G$5($’=%5$%. Praktische Beispiele dafür sind Silber-Gold-Legierungen (Bild 2.5-2a) und Germanium-Silizium-Legierungen (Bild 2.5-2b).Letztere zeichnen sich durch eine beson<strong>der</strong>s niedrige Wärmeleitfahigkeit aus, die beithermoelektrischen Bauelementen (z.B. Thermogeneratoren) wünschenswert seinkann.


2.5 Zustandsdiagramme 115Bild 2.5-2:Zustandsdiagramme vollständig mischbarer Systeme:a) Silber-Goldb) Germanium-SiliziumNach demselben Verfahren werden im folgenden verschiedene Typen von f(c)-Kurvenausgewertet. Dabei ergibt sich eine erstaunliche Vielfalt an Verhaltensweisen <strong>der</strong> <strong>Werkstoffe</strong>,die jeweils in komprimierter Form durch ein Zustandsdiagrarnm charakterisiertwerden kann. Als nächstes Beispiel betrachten wir eine Legierung mit relativ schwacherAB-Bindung wie in Bild 2.4-1c. Die entsprechende Auswertung über die gemeinsamen-Tangenten-Regel in Bild 2.5-3 erfolgt wie in Bild 2.5-1, sie wird im folgenden nichtmehr beschrieben. Die sich jeweils ergebenden Mischungslücken werden schraffiertgekennzeichnet. Legierungssysteme mit einem eutektischen Zustandsdiagrammverhalten sich völlig an<strong>der</strong>s als die vollständig mischbaren. Kennzeichnend ist dasVerhalten bei <strong>der</strong> Temperatur T 4 in Bild 2.5-3, <strong>der</strong> .81.F1$()*."&?.’@.-,18-: Dazubetrachten wir die gemeinsame Tangente an die S-Kurve (f(c)-Kurve des festenZustands), welche die Grenzkonzentration für Mischkristalle festlegt. Die Entscheidung,ob überhaupt noch eine flüssige Phase auftritt, wird dadurch bestimmt, daß die L-Kurve (f(c)-Kurve des flüssigen Zustands) oberhalb o<strong>der</strong> unterhalb dieser Tangenteliegt.


2.5 Zustandsdiagramme 116Bild 2.5-3:Eutektisches Legierungsystem: f(c)-Kurven für den festen (S) und flüssigen (L)Zustand, Auswertung nach <strong>der</strong> gemeinsamen-Tangenten-Regel für fallendeTemperaturen (a) bis (e). (f) stellt das dazugehörige Zustandsdiagramm dar.Tangente liegt. Ist die Temperatur so hoch, daß die L-Kurve gerade noch die Tangenteberührt, dann gibt es bei <strong>der</strong> zu dem Berührungspunkt gehörenden Konzentration c e(%-)%H)/(78%#EC&@%&)"3)/C&) noch eine flüssige Phase. Wird die Temperatur erhöht(T 3 ), dann breitet sich <strong>der</strong> Konzentrationsbereich <strong>der</strong> flüssigen Phase aus. Wird dieTemperatur dagegen abgesenkt (T 5 ), dann verschwindet die flüssige Phase völlig, d.h.unterhalb <strong>der</strong> eutektischen Temperatur ist die Legierung vollständig fest geworden.Dem entspricht die lange waagerechte Linie bei T 4 im Zustandsdiagramm. TypischeMerkmale für eutektische Systeme sind:• relativ schmaler Mischkristallbereich bei den reinen Ausgangssubstanzen• über einen relativ großen Konzentrationsbereich ist die Kurve im Zustandsdiagramm,unterhalb <strong>der</strong>er nur noch eine feste Phase existieren kann (+C./$-(./&/%), eine Geradeparallel zur c-Achse• in einem relativ großen Konzentrationsbereich kann eine flüssige Phase beiTemperaturen weit unterhalb <strong>der</strong> Schmelzpunkte <strong>der</strong> reinen Legierungsbestandteile(d.h. bei c = 0 und c = 1) existieren.Gerade die letztgenannte Eigenschaft kann in <strong>der</strong> Praxis zu unerwarteten Ausfällenführen: Die gar nicht so unplausible Annahme, daß <strong>der</strong> Schmelzpunkt einer Legierung


2.5 Zustandsdiagramme 117etwa in <strong>der</strong> Größenordnung <strong>der</strong> Schmelzpunkte <strong>der</strong> Legierungsbestandteile liegt, istirrig – bei eutektischen Systemen ist die Bildung einer flüssigen Phase, und damit <strong>der</strong>Verlust je<strong>der</strong> mechanischen Festigkeit, bei weit niedrigeren Temperaturen möglich. Beibestimmten Werkstoffanwendungen, z.B. in Verbindung mit Lötmitteln (Abschnitt4.2.2), ist es dagegen wünschenswert, den Schmelzpunkt eines Materials weitherabzusetzen (Bild 2.5-4a).In <strong>der</strong> Natur gibt es eine große Anzahl von Legierungen mit eutektischemZustandsdiagramm (Bild 2.5-4).Bild 2.5-4:Eutektische Zustandsdiagrammea) Blei-Zinn b) Aluminium-Silizium c) Eis-SalzlaugeDas System Aluminium-Silizium ist beson<strong>der</strong>s wichtig in <strong>der</strong> Halbleitertechnik, weil esdamit gelingt, einen metallischen ohmschen Kontakt auf Silizium aufzubringen.


2.5 Zustandsdiagramme 118Dampft man nämlich eine Aluminiumschicht auf Silizium auf, dann bildet sich einZweiphasensystem: direkt auf dem Silizium befindet sich eine dünne Schicht ausAluminium-dotierten (schwach legiertem) Silizium (AlSi), darüber ist sie schwach siliziumdotiert(AlSi) o<strong>der</strong> besteht aus reinem Aluminium, weil <strong>der</strong> Legierungsprozeßnicht durch die gesamte Schicht erfolgt ist. Auf <strong>der</strong> obersten Schicht kann durchAnpressen ein Golddraht befestigt werden (Bild 4.2.2-4), <strong>der</strong> zum Anschluß desAußenkontaktes führt. Die Aluminium-Kontaktierung ist lange Jahre eineStandardtechnik gewesen. Problematisch ist allerdings die relativ niedrige eutektischeTemperatur, die am Ort von Gitterstörungen teilweise noch weit unterschritten wird.Dadurch entsteht eine Störanfälligkeit des Halbleiterbauelements im Bereich höhererBetriebstemperaturen, wie sie bei einer Belastung des Bauelements mit größeren elektrischenLeistungen durchaus auftreten können.Das eutektische System Eis-Salzlauge zeigt deutlich, daß die Schmelztemperatur einerEis-Salz-Legierung weit unter 0 o Celsius abgesenkt werden kann. Anwendungen beiwinterlichen Straßenverhältnissen liegen auf <strong>der</strong> Hand.Die Möglichkeit, daß bei eutektischen Legierungssystemen Schmelzen auch noch imBereich relativ niedriger Temperaturen auftreten können, hat einen signifikantenEffekt: Bei diesen Temperaturen sind die Atome schon recht unbeweglich geworden (s.Abschnitt 3, Diffusion), häufig ist die Schmelze schon ausgesprochen zähflüssig. Wirdnun die Eutektikumstemperatur unterschritten, dann erzwingt die Minimierung <strong>der</strong>freien Energie einen Zerfall <strong>der</strong> Schmelze in zwei Phasen, hierfür ist aber einMindestmaß an Atombewegung notwendig. Mit Sicherheit werden bei geringen Atombeweglichkeitendie pro Atom zurückgelegten Wegstrecken nicht groß sein, d.h. diebeiden Phasen sind recht fein verteilt. Bild 2.5-5 zeigt Beispiele für typischefeinkristalline eutektische Gefüge. Bei größeren Atombeweglichkeiten (z.B. wenn diePhasentrennung in an<strong>der</strong>en Legierungssystemen bei höheren Temperaturen stattfindet)haben die Gefüge eine deutlich gröbere Struktur: Die Anzahl <strong>der</strong> Gebiete einer zweitenPhase ist niedriger, dafür ist <strong>der</strong>en Volumen größer.Bild 2.5-5: Feinkristalline eutektische Gefüge (nach [17])a) Lamellen b) Stäbe c) punktförmige Dispersion d) nadelförmige Dispersion


2.5 Zustandsdiagramme 119Bei <strong>der</strong> eutektischen Legierung 83 at% Te und 17 at% Ge (Bild 2.5-6) schließlich ist dieBeweglichkeit <strong>der</strong> Atome in <strong>der</strong> Schmelze bei <strong>der</strong> eutektischen Temperatur so gering,daß <strong>der</strong> nichtkristalline Zustand <strong>der</strong> Schmelze durch rasches Abkühlen "eingefroren"werden kann, d.h. die Schmelze geht in den festen Zustand über als 05,+


2.5 Zustandsdiagramme 120Bild 2.5-7:Peritektisches Legierungssystem: Die Bestimmung des Zustandsdiagramms d) ausden F(c)-Kurven a) bis c) erfolgt nach <strong>der</strong> gemeinsamen-Tangenten-Regel wie in denBil<strong>der</strong>n 2.5-1 und 2.5-3Ein Beispiel für ein Zustandsdiagramm mit mehreren peritektoiden (d.h. einenperitektischen Aufbau enthaltenden) Untersystemen ist das Diagramm Kupfer-Zink(@$))%&-, Bild 2.5-8).Bild 2.5-8:Zustandsdiagramm von Kupfer-Zink (Messing)


2.5 Zustandsdiagramme 121Bei Anwesenheit von intermediären Phasen (Abschnitt 2.2) entstehenZustandsdiagramme wie in Bild 2.5-9 und 2.5-10.Bild 2.5-9:Legierungssystem mit intermediärer Phase: Bestimmung des Zustandsdiagrammswie in den Bil<strong>der</strong>n 2.5-1 und 2.5-3. Auf beiden Seiten <strong>der</strong> intermediären Phase ergebensich in diesem Beispiel jeweils eutektoide Bereiche.


2.5 Zustandsdiagramme 122Bild 2.5-10:Zustandsdiagramm mit intermediärer Phase, sowie einem eutektoiden und einemperitektoiden BereichEin wichtiges Beispiel für ein Legierungssystem des Typs in Bild 2.5-9 ist <strong>der</strong>Verbindungshalbleiter Galliumarsenid (Bild 2.5-11). Der ionische Bindungsanteil beiGaAs ist recht hoch (Tab. 1.3.3-2), d.h. nur geringe Abweichungen von <strong>der</strong> idealenStöchiometrie von 1:1 sind möglich, weil sonst starke elektrostatischeWechselwirkungsenergien auftreten. Die intermediäre Phase ist daher zu einem Strichreduziert, genauso wie die Mischkristalle von Gallium und Arsen. Häufig wird daher <strong>der</strong>technisch interessante Bereich um die intermediäre Phase herum stark vergrößertdargestellt (Bild 2.5-11b)


2.5 Zustandsdiagramme 123Bild 2.5-11a) Zustandsdiagramm von Galliumarsenidb) Stark vergrößerter Ausschnitt aus dem Zustandsdiagramma) im Konzentrationsbereich<strong>der</strong> intermediären Verbindung GaAs (nach [20]).Auch die Eigenschaften vieler keramischer Legierungen lassen sich durchZustandsdiagramme beschreiben. Dabei sind die Bestandteile <strong>der</strong> Legierung nicht mehrAtome, son<strong>der</strong>n elektrisch weitgehend abgesättigte Moleküle wie SiO 2 , CaO und Al 2 O 3(Bild 2.5-12). Der Aufbau <strong>der</strong> Zustandsdiagramme ist häufig ähnlich wie bei Metallenund Halbleitern.Bild 2. 5-12: Zustandsdiagramme keramischer Legierungen (nach [21])Das Zustandsdiagramm FeO-Fe 2 O 3 läßt deutlich die intermediäre Spinellphase


2.5 Zustandsdiagramme 124Magnetit Fe 3 O 4 erkennen. Diese ist eine <strong>der</strong> wenigen elektrisch gut leitendenSpinellphasen. Sie wird in abgewandelter Form für die Herstellunghochtemperaturfester temperaturabhängiger Wi<strong>der</strong>stände (Heißleiter) eingesetzt. Bild2.5-14 zeigt schließlich die Granatphase im Zustandsdiagramm Magnetit-YttriumoxydYFeO 3 .Bild 2.5-13:Zustandsdiagramm des Systems FeO-Fe 2 0 3 mit <strong>der</strong> intermediären Spinellphase Magnetit Fe 3 O 4(nach [20])Bild 2.5-13: Zustandsdiagramm des Systems FeO-Fe 2 0 3 mit <strong>der</strong> intermediären Spinellphase MagnetitFe 3 O 4 [nach 20]Bild 2. S-14: Zustandsdiagramm des Systems Magnetit-Yttriumeisenoxyd mit <strong>der</strong> intermediärenGranatphase Yttrium-Eisen-Granat Y 3 Fe 5 O 12 (nach [22])


2.6 Ternäre Legierungen 1252.6 Tern!"#$%#&’#"()&#)Bisher wurden ausschließlich Zweistoff- o<strong>der</strong> 8’)!"# Legierungen behandelt. In <strong>der</strong>Anwendung werden aber zunehmend auch Dreistoff (4#")!"#)- und Vierstoff(B(/4#")!"#)-Legierungen eingesetzt. Bei den ternären Legierungen ist das Zustandsdiagrammnur noch dreidimensional darstellbar. Zunächst muß eine Vorschriftgefunden werden, über die man die Konzentrationen <strong>der</strong> Einzelbestandteile einerternären Legierung zweidimensional so darstellen kann, daß die Summe <strong>der</strong> drei Konzentrationenimmer 100% ergibt. Die Vorschrift wird in Bild 2.6-1 erläutert.Bild 2.6-1Beschreibung <strong>der</strong> Zusammensetzung eines ternären Legierungssystems: JedemPunkt innerhalb des Dreiecks entspricht einer bestimmten Legierung des ternärenSystems. Durch den Punkt werden Konzentrationslinien parallel zu deneingezeichneten errichtet. Die Konzentration kann dann am Rand abgelesen werden,die Summe <strong>der</strong> Konzentrationen entspricht immer 100%. Obiges Beispiel: c A =70%, c B = 10%, c c = 20%.Dieses Beschreibungsverfahren allein ist recht nützlich, weil man dieKonzentrationsbereiche bestimmter ternärer Legierungen mit charakteristischenEigenschaften graphisch darstellen kann. Bild 2.6-2 zeigt dieses am Beispielverschiedener feuerfester Steine.


2.6 Ternäre Legierungen 126Bild 2. 6-2:Konzentrationsbereiche verschiedener feuerfester Keramiken in einem ternärenKonzentrationsdiagramm (nach [21])Perspektivisch gezeichnete ternäre Zustandsdiagramme haben die in Bild 2.6-3dargestellte Form.Bild 2. 6-g: Ternäres Zustandsdiagramm (nach [17]).


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 1272.7 Punktfehler und Diffusion2.7.1 Löslichkeit und LeerstellenkonzentrationBei <strong>der</strong> Ableitung <strong>der</strong> Zustandsdigramme aus einer Analyse <strong>der</strong> f(c)-Kurven bei verschiedenenTemperaturen in Abschnitt 2.5 war die Näherung verwendet worden, daß dieForm <strong>der</strong> f(c)-Kurven in dem betrachteten Temperaturintervall nicht wesentlich von <strong>der</strong>Temperatur abhängt. Diese Voraussetzung soll im folgenden ausführlicher betrachtetwerden. Dazu berechnen wir die vollständige Funktion <strong>der</strong> freie Energie F(c) nach (2.3-1), wobei wir zusätzlich zu (2.4-1) auch noch die Konfigurationsentropie S at nach (2.1-22) hinzunehmenZur Vereinfachung <strong>der</strong> Rechnung mögen in dem Ausdruck (2.3-6) für die Konfigurationsenergiedie Wechselwirkungsenergien zwischen gleichartigen Atomen denselbenWert haben:Außerdem beschränken wir die Betrachtung auf den interessanteren Fall relativschwacher AB-Bindung (Bild 2.4-1c), <strong>der</strong> zu einer Phasentrennung (Entmischung)führt. Die an<strong>der</strong>en Fälle können leicht nach demselben Schema berechnet werden. Danngilt mit <strong>der</strong> Definitionmit den Gleichungen (1) (die Konfigurationsentropie wird zunächst vernachlässigt) und(2.3-3), sowie (2.1-10)Diese Gleichung ist in Bild 2.7.1-1 dargestellt, wobei die Größe kT/zW l als Parametergewählt wurde.


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 128Bild 2.7.1-1:Abhängigkeit <strong>der</strong> freien Energie pro Atom für eine Legierung von <strong>der</strong>Konzentration mit kT/zW l als ParameterBei T = 0 artet die f(c)-Kurve in eine negative Parabel. Gleiche chemische Potentiale(d.h. ein thermisches Gleichgewicht) ergeben sich nach Anwendung <strong>der</strong> Kriterien ausAbschnitt 2.4 und (2.5-1) nur für die reinen Ausgangssubstanzen, d.h. jede Legierungmit beliebiger Konzentration c würde vollständig in zwei reine Phasen mit den Ausgangsbestandteilenzerfallen. Dieser Fall ist aber in <strong>der</strong> Praxis nicht relevant, weil amabsoluten Nullpunkt die Beweglichkeit <strong>der</strong> Atome (s. Abschnitt 2.7.2) so niedrig ist, daßdieser Entmischungsvorgang in absehbaren Zeiträumen nicht stattfinden würde. Beihöheren Temperaturen wird die Parabel zunehmend flacher, weiterhin bilden sich in <strong>der</strong>Umgebung <strong>der</strong> reinen Substanzen bei c = 0 und c = 1 die beiden aus Bild 2.4-1c bekanntenMinima <strong>der</strong> f(c)-Kurve. Die Minima verschieben sich mit steigen<strong>der</strong> Temperaturimmer weiter zur Mitte <strong>der</strong> c-Skala hin. Bei kT = 0, 5·zW l schließlich laufen die Minimazusammen. Die f(c)-Kurve bekommt dann eine Form, die sonst typisch ist fürvollständig mischbare Systeme (Bild 2.5-1). Dieser Fall ist in <strong>der</strong> Praxis aber nur dannrelevant, wenn bei diesen hohen Temperaturen die f(c)-Kurve <strong>der</strong> Schmelze nicht ohnehinniedrigere Werte hat wie in Bild 2.5-1a.Anstelle <strong>der</strong> Temperatur kann bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> Kurven in Bild 2.7.1-1 auch dieEnergie W l herangezogen werden, also nach (3) <strong>der</strong> Unterschied in <strong>der</strong> Bindungsenergienverschiedener und gleichartiger Atomnachbarn. Den niedrigen Temperaturenentsprechen dann große Energiedifferenzen, die Bindung verschiedenartiger Nachbarnist in diesem Fall energetisch sehr benachteiligt.


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 129Die maximal möglichen Konzentrationen c s (Löslichkeiten) in den Mischkristallbereichenwerden nach <strong>der</strong> gemeinsamen-Tangenten-Regel durch die Minima <strong>der</strong> f(c)-Kurve in Bild 2.7.1-1 bestimmt, d.h. sie können mathematisch erfaßt werden durch dasVerschwinden <strong>der</strong> ersten Ableitung:Diese Funktion ist in Bild 2.7.1-2 dargestellt (durchgezogene Linie), sie beschreibt fürjeden Wert des Parameters kT/zW 1 die dazugehörigen Löslichkeiten an. Man erkenntdeutlich, daß die Löslichkeiten mit fallen<strong>der</strong> Temperatur abnehmen, ein Effekt <strong>der</strong> auchin Zustandsdiagrammen häufig deutlich zu erkennen ist (z.B. Bild 2.5-4a und b). DiesesErgebnis zeigt, daß für eine genaue Bestimmung <strong>der</strong> Zustandsdiagramme aus den f(c)-Kurven immer <strong>der</strong>en Temperaturabhängigkeit berücksichtigt werden muß. Eine Betrachtungmit den Voraussetzungen von Abschnitt 2.5 hat nur orientierenden Charakter.Bild 2.7.1-2: Auswertung <strong>der</strong> f(c)-Kurven in Bild 2.7.1-1:a) Abhängigkeit <strong>der</strong> Löslichkeit (Minimum <strong>der</strong> f(c)-Kurven) von dem ParameterkT/zW 1 : Die durch die Kurve festgelegten Konzentrationen beschreiben die maximalmöglichen Konzentrationen in den Mischkristallenb) Spinodale: Abhängigkeit des Wendepunktes (Verschwinden <strong>der</strong> zweiten Ableitung)<strong>der</strong> f(c)Kurven von dem Parameter kT/zW 1 , d.h. nach (2.4-11 und 12) dieGrenzkonzentration für den Übergang vom stabilen in das labile thermische Gleichgewicht)


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 130Die funktionelle Abhängigkeit <strong>der</strong> Löslichkeit c s von dem Parameter kT/zW 1 ergibt einebeson<strong>der</strong>s einfache Form im Bereich sehr niedriger (o<strong>der</strong> – wegen <strong>der</strong> Symmetrie <strong>der</strong>Kurven in Bild 2.7.1-2 – sehr hoher) Konzentrationen:d.h. die Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> Löslichkeit wird durch ein Exponentialgesetzbestimmt.Nehmen wir jetzt wie in (1) die bisher vernachlässigteKonfigurationsentropie hinzu unddefinieren als Konfigurationsentropie pro Atom:dann tritt in (2.7.1-5) ein zusätzlicher Term auf:Den Unterschied zwischen (7) und (10) kann man experimentell nachprüfen:Extrapoliert man die Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> gemessenen Löslichkeiten c s auf denhypothetischen Fall einer unendlich hohen Temperatur, dann erhält man nach (7) denWert 1, nach (10) aber den Wert des Vorfaktors. Letzteres wird in <strong>der</strong> Praxis häufigbestätigt (Bild 2.7.1-3). Hierdurch wird die Bedeutung <strong>der</strong> häufig aus Gründen <strong>der</strong> Praktikabilität(wegen <strong>der</strong> Schwierigkeit in <strong>der</strong> explitziten Berechnung) vernachlässigtenKonfigurationsentropie deutlich.


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 131Bild 2. 7.1-3:Abhängigkeit <strong>der</strong> Löslichkeit in Aluminium von <strong>der</strong> inversen Temperatur (nach[18]): die Extrapolation <strong>der</strong> Temperatur auf hohe Werte ergibt den Wert des Vorfaktorsin (10), <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Konfigurationsentropie abhängt.Bild 2.7.1-4 zeigt die Löslichkeiten verschiedener Fremdatome in Silizium. Diese Datensind von großer technischer Bedeutung, weil in dem Halbleiter Silizium die elektrischeLeitfähigkeit durch das Einbringen von Fremdatomen (Dotierung) gesteuert werdenkann. In diesem Fall bestimmt die Löslichkeit eines Elementes die Bandbreite für denEinsatz dieses Elements als Dotierstoff. Beson<strong>der</strong>s wichtig sind die Elemente B, P, As,Sb aus <strong>der</strong> III. und V. Gruppe des Periodensystems. Die maximale Löslichkeit dieserAtome ist ca. 10 27 m -3 , das sind ungefähr 2% !Die Spinodale in Bild 2.7.1-2b beschreibt die Wendepunkte <strong>der</strong> f(c)Kurven, also denÜbergang <strong>der</strong> f(c)-Kurve von einem konkaven in einen konvexen Bereich. DieBedeutung <strong>der</strong> Krümmung war in den Bil<strong>der</strong>n 2.4-3 und 2.4-4 erläutert worden.


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 132Bild 2.7.1-4: Löslichkeiten verschiedener Fremdatome (Dotierungsatome) in SiliziumBisher sind Legierungen betrachtet worden, bei denen Fremdatome A in eine Matrix ausB-Atomen eingeführt wurden. Einzelne Fremdatome werden auch alsnulldimensionale Gitterfehler o<strong>der</strong> Punktfehler bezeichnet. Eine an<strong>der</strong>e Art vonPunktfehlern bilden die Gitterleerstellen, das sind Plätze in einem Kristallgitter, dienicht mit einem Atom besetzt sind. Befindet sich ein Gitteratom neben einer Leerstelle,dann fehlt dem Atom die Bindungsenergie, die es sonst hätte, wenn sich dort einNachbaratom befinden würde, d.h. das Atom ist an eine Leerstelle weniger starkgebunden als an ein Nachbaratom. Diese Verhältnisse entsprechen wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bedingungeiner relativ schwachen AB-Bindung wie in Bild 2.4-1c, d.h. die Betrachtungendieses Abschnitts treffen auch zu für den Fall, daß z.B. die A-Atome einer LegierungGitterleerstellen entsprechen und damit c die Leerstellenkonzentration c v beschreibt.Die Ergebnisse (7) und (10) können also unmittelbar übertragen werden:


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 133W v beschreibt die Bildungsenergie einer Leerstelle, S v den Beitrag <strong>der</strong> Konfigurationsentropie.Zur Einführung von Fremdatomen muß das Fremdatommaterial mit dem Material <strong>der</strong>Matrix in Verbindung gebracht werden, sei es in fester o<strong>der</strong> flüssiger Form. Das ist beiLeerstellen nicht <strong>der</strong> Fall: Sie bilden sich von selbst, indem sich ein Atom aus dem Innerndes Kristalls an <strong>der</strong> Oberfläche anlagert und seinerseits eine Gitterleerstelle hinterläßt(Bild 2.7.1-5a) o<strong>der</strong> indem dieses Atom auf einen Zwischengitterplatz überwechselt(Bild 2.7.1-5b).Bild 2.7.1-5Mechanismen zur Bildung von Leerstellen:a) Schottkyfehlstelle: Das Gitteratom wan<strong>der</strong>t an die Oberflächeb) Frenkel-Defekt: Das Gitteratom geht auf einen ZwischengitterplatzDie zur Bildung von Leerstellen erfor<strong>der</strong>lichen Randbedingungen sind also immervorhanden, d.h. <strong>der</strong> Kristall bildet "von selbst" Leerstellen in <strong>der</strong> von (11) angegebenenKonzentration.Die treibende Kraft für die Bildung von Leerstellen entsteht wie<strong>der</strong> durch die Entropie.Wir wollen dieses noch einmal unabhängig von den obigen Rechnungen direkt berechnen:Die Tatsache, daß ein Kristall mit N Gitterplätzen eine Anzahl Leerstellen enthält,bedeutet, daß von den N Gitterplätzen nur n besetzt werden. Für das 1. Gitteratom habenwir dann N Möglichkeiten, für das zweite N—1 usw., für das letzte schließlich (N—n +1) Möglichkeiten, insgesamt alsoMöglichkeiten. Damit ergibt sich für den Kristall mit N-n Leerstellen die MischentropieOhne die Leerstellen ist die Anzahl <strong>der</strong> Permutationen <strong>der</strong> n Gitteratome untereinan<strong>der</strong>n!, d.h. die Vergrößerung <strong>der</strong> Entropie durch Einführen <strong>der</strong> Leerstellen ist(13)


2.7.1 Löslichkeit und Leerstellenkonzentration 134d.h. es ergibt sich dieselbe Mischungsentropie wie in (2.1-5), die umgerechnet werdenkann wie in (2.9). Bei Anwesenheit von Leerstellen entspricht c <strong>der</strong> Konzentration n/N<strong>der</strong> besetzten Gitterplätze, als Leerstellenkonzentration folgt daraus:Die Konzentration <strong>der</strong> Leerstellen ist erfahrungsgemaß sehr klein, so daß wir (15) mitc


2.7.2 Diffusion 1352.7.2 DiffusionIn Abschnitt 2.1 wurde gezeigt, daß in einem System, bei dem die Gesamtenergieunabhängig von <strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> Einzelbestandteile ist (dieses kann unter den Randbedingungen<strong>der</strong> neutralen Bindung in Bild 2.4-1b realisiert sein), eine Diffusionskraftwirkt, die dem Gradienten <strong>der</strong> Konzentration entgegenwirkt (2.1-26). Beschreibt c A dieKonzentration <strong>der</strong> A-Atome in einer B-Matrix, dann wird sich ein A-Atom aufgrund <strong>der</strong>Diffusionskraft in Richtung -dc A /dx in Bewegung setzen, dieser Vorgang wird als ?$@7@,1$’"%bezeichnet. Wie ist ein solcher Prozeß denkbar unter <strong>der</strong> Voraussetzung, daß dieGitterplätze in einem Kristall fast alle besetzt sind? Dafür gibt es mehrereMöglichkeiten, die beiden wichtigsten sind die ?$@@,1$’"%Q0)*%%)$")"%S))*12)//)"-und einen TA$1FG)"#$22)*B)FG3"$1B,1.Leerstellendiffusion: Befindet sich neben dem A-Atom in Richtung <strong>der</strong> wirkenden Diffusionskrafteine Leerstelle, dann kann das Atom in die Leerstelle hineinspringen undauf diese Weise sein chemisches Potential verkleinern (dadurch wird nach Abschnitt 2.2die Gesamtentropie des Systems vergrößert). Ein solcher Prozeß erfor<strong>der</strong>t aber in <strong>der</strong>Regel die Überwindung einer Energieschwelle: Beim Übergang in die Leerstelle müssenerst die Nachbaratome auseinan<strong>der</strong>gedrückt werden (Bild 2.7.2-1a).Bild 2. 7.2-1: Diffusionsmechanismen in kubisch flächenzentrierten Kristallen (nach [17])a) Leerstellendiffusionb) ZwischengitterdiffusionDie Häufigkeit von Diffusionssprüngen dieser Art wird mit Sicherheit nicht sehr großsein, denn


2.7.2 Diffusion 136• das A-Atom muß warten, bis eine <strong>der</strong> meist thermisch erzeugten Leerstellen zufälligauf einen geeigneten Nachbarplatz (in Richtung <strong>der</strong> Diffusionskraft) wan<strong>der</strong>t• es muß zusätzlich so lange warten, bis zu irgendeinem Zeitpunkt die zeitlichfluktuierende thermische Anregungsenergie einen so hohen Wert annimmt, daß dasAtom die Energiebarriere überwinden kann.Zwischengitterdiffusion: Ein solcher Prozeß ist wahrscheinlich, wenn dasdiffundierende Atom einen relativ kleinen Durchmesser und die Kristallstruktur viel"freien Raum" hat ("offene" Gitterstruktur). Auch in diesem Fall kann dieaufzuwendende Energie erheblich sein, d.h. nur in relativ großen Zeitabständen hat diethermische Energie einen hinreichend großen Wert, um eine Bewegung des Atoms inRichtung <strong>der</strong> Diffusionskraft zu ermöglichen.Beide Diffusionsmechanismen haben eines gemeinsam: Das Atom verharrt in <strong>der</strong> Regelüber einen relativ großen Zeitraum auf einer Position im Kristall, bis es einen Sprung indie Nachbarposition durchführen kann. Die Diffusionssprünge erfolgen damitunkorreliert, d.h. zwischen zwei Sprüngen kommt das Atom wie<strong>der</strong> in einenGleichgewichtszustand, es "vergißt" die Tatsache, daß es vorher einen Sprungdurchgeführt hat und dabei kinetische Energie in einer bestimmten Richtungaufgenommen hat. Das bedeutet, daß die Bewegung unbeschleunigt abläuft, wenn dieinsgesamt durchlaufene Strecke erheblich größer als eine Sprungweite ist. Hierfür einBeispiel: Wird ein Sprung über die Distanz < Λξ > innerhalb des Zeitraumes < τ >durchgeführt (<strong>der</strong> größte Teil von < τ > vergeht beim "Warten" auf die Leerstelle,bzw. die thermische Energie, die Sprungzeit selber ist in <strong>der</strong> Regel weit kleiner), dannwird in einem Zeitraum t die Länge Lξ durchlaufen entsprechend:v ist die K)7-.;#*5#$9)#+(<strong>der</strong> Bewegung, sie ist unter den gegebenen Voraussetzungenkonstant. Eine solche unbeschleunigte Bewegung ist nur zu erwarten über Abstände, diegrößer als < Λξ > sind.Dieselben Gesichtspunkte gelten auch für die Teilchenbewegung in einem Gas: Beihinreichend großem Gasdruck (hinreichend große Teilchendichte) ist dieWahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes von Teilchen sehr groß, d.h. innerhalb sehrkurzer Zeiten (z.B. Picosekunden) wird die Bewegung <strong>der</strong> Teilchen so stark gestört, daßeine Korrelation zu <strong>der</strong> vorangegangenen Geschwindigkeit und Bahnrichtung vor demStoß praktisch nicht mehr vorhanden ist. Damit bewegen sich auch Gasteilchen bei Einflußeiner äußeren Kraft meistens mit konstanter Geschwindigkeit (nichtballistischerGrenzfall), wenn gilt τ >> < τ > und Λξ >> < Λξ >.


2.7.2 Diffusion 137Die Frage ist, mit welcher Proportionalitätskonstante die Teilchengeschwindigkeit bei<strong>der</strong> unbeschleunigten Bewegung von <strong>der</strong> die Teilchenbewegung verursachenden Kraftabhängt. In (2.1-25) und (2.2-10 und 20) wurde die treibende Kraft durch dieEntropieerzeugung beim Teilchenübergang definiert – unabhängig von <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Entropieerzeugung,die Kraft konnte z.B. durch einen Gradienten <strong>der</strong> potentiellen Energieo<strong>der</strong> einen Konzentrationsgradienten entstehen. Wir setzen allgemein eineAbhängigkeit <strong>der</strong> Geschwindigkeit von <strong>der</strong> chemischen Kraft an in Form einerTaylorentwicklung (Potenzreihe):mit den Proportionalitätskonstanten a, b, c... und einer für den Einzelfall zu bestimmendenKraft f o . Das konstante erste Glied muß verschwinden, weil ohne eineKrafteinwirkung die Geschwindigkeit Null ist, gleichzeitig aber auch alle Glie<strong>der</strong> mitgeraden Potenzen (die Geschwindigkeit hängt im Normalfall von <strong>der</strong> Richtung bzw.dem Vorzeichen <strong>der</strong> Kraft ab, bei geraden Potenzen wird aber das Vorzeicheneliminiert), so daß wir erhalten:Für relativ kleine Kräfte F < F o (wobei F o für jedes System einzeln festgelegt werdenmuß) gilt dann einfach:mit <strong>der</strong> 5(1(0-+./$(+" B. Die Gleichung (4) wird durch die Praxis in weiten Anwendungsbereichenbestätigt, sie ist <strong>der</strong> Ursprung einer Vielzahl experimentell gefundenerlinearer Zusammenhänge zwischen Kräften und Teilchenströmen (z.B. demOhmschen Gesetz). Die Gleichung sagt weiterhin aus, daß die Beweglichkeitunabhängig von <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> chemischen Kraft ist, d.h. sie ist für Feld- undDiffusionskräfte gleich (Einsteinsche Beziehung, siehe unten).Die Beziehung (4) ergibt sich auch auf an<strong>der</strong>em Weg über die Annahme einer 0(>#./1+&*+0$(+"#C3%C%3"+%&’-(&)S(+24&0, wie die folgende Betrachtung zeigt. Setzenwir nämlich in <strong>der</strong> Bewegungsgleichung (Kraft gleich Masse mal Beschleunigung) fürein Teilchen an:(m = Teilchenmasse, R = Reibungskoeffizient für die geschwindigkeitsproportionaleReibung), dann ist die Lösung <strong>der</strong> Differentialgleichung für die Randbedingung, daß beit = 0 die Kraft eingeschaltet wird (Beweis durch Einsetzen von (6) in (5)):


2.7.2 Diffusion 138Für t»m/R gilt damit:d.h. die Beziehung (4), wenn man als Beweglichkeit B den reziproken ReibungskoeffizientR ansetzt. Bild 2.7.2-2 zeigt den zeitlichen Verlauf <strong>der</strong> Teilchengeschwindigkeitfür den Fall, daß bei t = 0 die Kraft ein- und bei t = t l die Kraft ausgeschaltet wird.Bild 2.7.2-2:Zeitlicher Verlauf einer Teilchengeschwindigkeit bei geschwindigkeitsproportionalerReibung mit dem Reibungskoeffzienten R. Die (chemische) Kraft wird bei t = 0ein- und bei t = t l ausgeschaltet.Das Modell <strong>der</strong> geschwindigkeitsproportionalen Reibung hat mit dem vorher erläutertenSprungmodell sehr viel gemeinsam: Innerhalb einer sehr kurzen Zeit (mittlere Stoßzeitim Sprungmodell, m x B im Modell <strong>der</strong> geschwindigkeitsproportionalen Reibung)ist die Geschwindigkeit zeitabhängig, danach geht sie in einen konstanten (mittleren)Wert über. Wenn beide Modelle gültig sind, muß geltenBeim Abschalten <strong>der</strong> Kraft geht die Geschwindigkeit innerhalb <strong>der</strong>selben Zeitspanneauf den Ausgangswert zurück. Dieses typische Verhalten entspricht <strong>der</strong> Relaxationszeitnäherungbei einer fortgeschrittenen Behandlung <strong>der</strong> Transporteigenschaften mit<strong>der</strong> Boltzmanngleichung.Im folgenden wird die Beweglichkeit B für die Atomdiffusion in einem Festkörper berechnet.Wir betrachten hierzu die Diffusion von Fremdatomen A in einer Matrix mit B-Atomen entlang <strong>der</strong> x-Achse (Bild 2.7.2-3).


2.7.2 Diffusion 139Bild 2.7.2-3:Modell zur Berechnung <strong>der</strong> Beweglichkeit bei reiner Diffusion (es wirkt nur eineDiffusionskraft). Betrachtet werden A-Atome auf zwei benachbarten Kristallebenenmit dem Abstand a (a). Beim Übergang eines A-Atoms von <strong>der</strong> einen auf die an<strong>der</strong>eEbene muß eine Energiebarriere W B überwunden werden (b).Bei niedrigen Temperaturen (absoluter Nullpunkt) verhin<strong>der</strong>t die Energiebarriere denÜbergang <strong>der</strong> Teilchen, so daß ein Diffusionsvorgang nicht stattfinden kann. Bei höherenTemperaturen dagegen gibt es eine – wenn auch kleine – Wahrscheinlichkeit dafür,wie die folgende Betrachtung zeigt. Hierzu betrachten wir das Fremdatom als eine Kugel,die durch Fe<strong>der</strong>n mit seinen Nachbaratomen verbunden ist (Bild 2.7.2-4).


2.7.2 Diffusion 140Bild 2.7.2-4:Modell eines Fremdatoms, das in einem Kristall mit seinen Nachbaratomen durchFe<strong>der</strong>n verbunden ist (harmonischer Oszillator). Die potentielle Energie nimmt beieiner Auslenkung aus dem Gleichgewicht quadratisch zu. Die quantenmechanischeLösung des Problems ergibt Energieeigenwerte mit konstantem Abstand.Aus diesem Modell können wir die Atomschwingungen um die Gleichgewichtslage berechnen,an<strong>der</strong>erseits aus dem quantentheoretisch bestimmten Spektrum <strong>der</strong> erlaubtenSchwingungsenergien die Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine hinreichend großeSchwingungsenergie angenommen wird, mit Hilfe <strong>der</strong>er eine vorhandene Barriere überwundenwerden kann.Zunächst wollen wir die Frequenz bestimmen, mit <strong>der</strong> das Atom um seine Gleichgewichtslageschwingt, d.h. mit <strong>der</strong> es Stöße gegen seine Nachbaratome ausübt. Ist D dieFe<strong>der</strong>konstante, dann ergeben sich rücktreibende Kraft F und potentielle Energie zu:Die Lösung <strong>der</strong> Bewegungsgleichung (5) ohne Reibungseffekte ergibt eine harmonische(Sinus-)Schwingung mit konstanter Frequenz:


2.7.2 Diffusion 141Um die Größe <strong>der</strong> Kreisfrequenz (14) abschätzen zu können, müssen wir vorgreifen aufden Abschnitt 3.1: Die elastischen Konstanten (in diesem Fall <strong>der</strong> Elastizitätsmodul)werden dort nicht definiert wie in (10) über eine Fe<strong>der</strong>kraft, son<strong>der</strong>n über die Kraft proFläche (mechanische Spannung !) und die elastischen Verschiebungen o<strong>der</strong> Verzerrungen" = x/a (a = Gitterkonstante). Als Abschätzung für die Anzahl <strong>der</strong> Atome proFläche nehmen wir den Wert l/a 2 an, so daß gilt:Eine Auswertung von (17) ergibt mit den Daten aus Abschnitt 3.1 typische Schwingungsfrequenzenin <strong>der</strong> Größenordnung von 10 3 bis 10 4 GHz, d.h. Frequenzen, dienach Bild 1.5-5 im Infrarotbereich des Lichts liegen (R7&;#)56=(-@,-@#-).Zur Berechnung <strong>der</strong> Wahrscheinlichkeit dafür, daß das schwingende Atom eine vorgegebeneEnergiebarriere <strong>der</strong> Größe W B überwinden kann, müssen wir erst das Spektrum<strong>der</strong> quantentheoretisch zugelassenen Energien berechnen. Hierfür drücken wir in(11) die Fe<strong>der</strong>konstante durch die Eigenfrequenz # o aus und erhalten für die potentielleEnergie den Ausdruck:Eingesetzt in die Schrödingergleichung (1.1-13) erhält man die Energieeigenwerte (s.Standardliteratur <strong>der</strong> Quantentheorie o<strong>der</strong> Folgeband "Quanten" dieser Reihe):


2.7.2 Diffusion 142Mit welcher Wahrscheinlichkeit werden die einzelnen Energieniveaus (charakterisiertdurch die Quantenzahl n) auch angenommen? Dieses ist wie<strong>der</strong> eine Frage <strong>der</strong> maximalenEntropie bzw. <strong>der</strong> Minimierung <strong>der</strong> freien Energie: Je mehr verschiedene Energieniveauseingenommen werden, desto höher ist die Entropie, an<strong>der</strong>erseits wird durch dieBesetzung höherenergetischer Energiezustände die Energie größer als minimal möglich.Die Berechnung ergibt (s. Folgeband "Halbleiter" o<strong>der</strong> Standardliteratur), daß dieWahrscheinlichkeit dafür, daß ein im Gitter schwingendes Fremdatom eine Energieoberhalb einer Barrierenhöhe W B besitzt, gleich einem Boltzmannfaktor exp(–W B /kT) ist (3,8(49/++’(/(&’(&E). Dabei ist k wie<strong>der</strong> die Boltzmannkonstante und T dieabsolute Temperatur.Die Form des Minimums <strong>der</strong> freien Energie in Bild 2.7.2-3b weicht von <strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong>potentiellen Energie des harmonischen Oszillators (Bild 2.7.24) erheblich ab in <strong>der</strong> Umgebungdes Maximums <strong>der</strong> Barriere, dem B/((#8-1+E(. Die Quantentheorie sagt voraus,daß in diesem örtlich "verbreiterten" Gebiet <strong>der</strong> potentiellen Energie die Dichte <strong>der</strong>Energiezustände zunimmt, d.h. die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich das Atom in einemdieser "angeregten" o<strong>der</strong> "aktivierten" Zustände befindet, wird vergrößert. Diesesentspricht einer vergrößerten Anzahl von Anordnungsmöglichkeiten (im Energie"raum"),also einer vergrößerten Entropie am Sattelpunkt. Wir beschreiben daher dieWahrscheinlichkeit, daß ein Fremdatom aufgrund <strong>der</strong> Minimierung <strong>der</strong> freien Energieeine Energiebarriere <strong>der</strong> Höhe W B überwinden kann, sinngemäß durchDen Vorgang <strong>der</strong> Überwindung von Barrieren durch thermische Anregung bezeichnetman als ("#$9&’2"#%WE(&Q&#$1+5 mit <strong>der</strong> Aktivierungsenergie !W B und <strong>der</strong> Aktivierungsentropie!S B .Mit Hilfe des Konzepts <strong>der</strong> thermischen Aktivierung kann die Diffusionsstromdichte(Anzahl <strong>der</strong> pro Zeit-und Flächeneinheit diffundierenden Fremdatome, s. Anhang C3)<strong>der</strong>jenigen Fremdatome berechnet werden, die in Bild 2.7.2-3 von <strong>der</strong> Ebene durch x = 0in die Ebene durch x = a überwechseln. Wir gehen zunächst aus von <strong>der</strong> Ebene durch x =0und definieren in dem Volumen aus Einheitsfläche <strong>der</strong> Ebene mal Gitterkonstante a dieDichte " A <strong>der</strong> A-Atome. Im Fall <strong>der</strong> Zwischengitterdiffusion können im Prinzip allediese Atome in die Nachbarebene hinüberdiffundieren, im Fall <strong>der</strong> Leerstellendiffusionaber nur solche Fremdatome, bei denen sich gegenüber in <strong>der</strong> Ebene durch x = a eineLeerstelle befindet. Die Dichte solcher Paare aus Fremdatomen und Leerstellen ist analogzu (2.1-4):Um auf die Dichte <strong>der</strong> Atome zu kommen, welche die Energiebarriere W B überwindenkönnen, müssen sie mit dem Boltzmannfaktor (20) multipliziert werden. Sowohl fürZwischengitter als auch für Leerstellendiffusion erhalten wir für die Dichte diffusions-


2.7.2 Diffusion 143fähiger Atome einen Ausdruck <strong>der</strong> FormDie Diffusionsstromdichte von <strong>der</strong> Ebene bei x = 0 in die Ebene bei x = a ist dann für denFall, daß <strong>der</strong> Dichtegradient die einzige treibende Kraft ist (v at ist die Geschwindigkeit<strong>der</strong> diffusionsfähigen Atome):Der Faktor 1/2 entsteht dadurch, daß die kinetische Energie, welche den angeregten Zuständendes Gitteratoms entspricht, durch eine Teilchenbewegung zustande kommt, imeinfachsten Fall sowohl in die in die positive wie in die negative x-Richtung führen kann.Jeweils nur die Hälfte <strong>der</strong> Sprünge führt daher in die betrachtete Richtung. Bei einer dreidimensionalenBetrachtung in einem Kristallgitter muß dieser Faktor in Abhängigkeitvon <strong>der</strong> Koordinationszahl modifiziert werden. Weiter unten wird dieser Term allgemeinmit r bezeichnet. Entsprechend zu (23) ergibt sich als Stromdichte <strong>der</strong> Teilchen von<strong>der</strong> Ebene bei x = a zurück in die Ebene bei x = 0:Insgesamt ergibt sich die Stromdichte nach Taylor-Entwicklung von (24) zu:Dieser Ausdruck muß verglichen werden mit <strong>der</strong> aus (4) abgeleiteten Teilchenstromdichtewobei sich die für den Fall <strong>der</strong> reinen Diffusion zugrundeliegende chemische Kraft aus(2.1-26) ergibt (das Verhältnis <strong>der</strong> Atomkonzentrationen kann durch das Verhältnis <strong>der</strong>Volumenkonzentrationen ersetzt werden):


2.7.2 Diffusion 144Der Vergleich mit (24) liefertmit dem Diffusionskoeffizient D, <strong>der</strong> üblicherweise als Proportionalitätskonstante zwischenDiffusionsflußdichte und negativem Konzentrationsgradient definiert wird. r ist<strong>der</strong> Faktor, <strong>der</strong> mit dem Anteil <strong>der</strong> Sprünge in die betrachtete Richtung verbunden ist(s.o.). Der Zusammenhang von Beweglichkeit B und Diffusionskoeffizient D in (29)wird auch als K$1*0’$15H’4$’&81; bezeichnet.Schließlich bleibt noch die Größenordnung <strong>der</strong> Geschwindigkeit v at abzuschätzen, mit<strong>der</strong> sich diejenigen Atome bewegen, welche eine hinreichend große thermische Energiebesitzen, um die Barrieren für den Übergang in eine Nachbarposition zu überwinden. Einesinnvolle Größenordnung ergibt sich durch die Annahme, daß sich die Atome in demZeitraum 1/! o mit <strong>der</strong> Schwingungsfrequenz ! o nach (17) um einen Gitterabstandweiterbewegen können, d.h. es giltDer Wert von v at liegt in <strong>der</strong> Größenordnung <strong>der</strong> Schallgeschwindigkeit v s (Tab. 2.7.2-1)in Festkörpern.Tab. 2.7.2-1:Schallgeschwindigkeiten in ausgewählten MaterialienTatsächlich kann ein stark angeregtes Atom auch durch ein Wellenpaket (Überlagerungvon Gitterschwingungen in einem Bereich des Kristalls) von Schallwellen dargestelltwerden, das sich mit <strong>der</strong> Gruppengeschwindigkeit


2.7.2 Diffusion 145bewegt. Bei longitudinalen akustischen Gitterschwingungen ist die Gruppengeschwindigkeithäufig etwa gleich <strong>der</strong> Phasengeschwindigkeit, d.h. die Schallgeschwindigkeitist nicht stark von <strong>der</strong> Wellenlänge abhängig.Wenn wir den Diffusionskoeffizienten in (2.112) umformen indann erkennen wir, daß die Bestimmung <strong>der</strong> meisten Terme im präexponentiellen FaktorD o nur mit einer großen Unsicherheit erfolgen kann. Die theoretische Deutung <strong>der</strong>experimentellen Daten ist immer noch Gegenstand <strong>der</strong> Forschung. Die Temperaturabhängigkeitvon (32) wird aber experimentell gut bestätigt (Bild 2.7.2-5). Daten fürpräexponentielle Faktoren D o und Aktivierungsenergien W diff sind in Tab. 2.7.2-2zusammengefaßt.Tab. 2.7.2.-2:Präexponentielle Faktoren und Aktivierungsenergien verschiedener Diffusionskoeffizienten(nach [14])Die in diesem Abschnitt hergeleiteten Beziehungen geben die Verhältnisse nur in starkvereinfachter Form wie<strong>der</strong>. Eine ausführliche Diskussion, wobei viele Probleme <strong>der</strong>Diffusion noch ungeklärt sind, ist in den Büchern <strong>der</strong> physikalischen Metallkunde[17,71] zu finden.


2.7.2 Diffusion 146


2.7.2 Diffusion 147Bild 2.7.2-5Temperaturabhängigkeit von Diffusionskoeffizientena) verschiedene Fremdatome (Dotierungsatome) in Silizium (nach [20])b) Diffusion in keramischen <strong>Werkstoffe</strong>n (nach [5])


2.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung2.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung 148Bei <strong>der</strong> Berechnung des Diffusionskoeffizienten im vorangegangenen Abschnitt warvon einer reinen Diffusionskraft nach (2.1-26) o<strong>der</strong> (2.7.2-27) ausgegangen worden, dienach (2.2-21) aber nur einen Teil <strong>der</strong> chemischen Kraft darstellt. Hinzu tritt noch eineFeldkraft nach (2.2-8). Da aber die Beziehungen (2.7.2-4 und 7) für die chemische Kraftinsgesamt hergeleitet worden waren, gilt für isotherme Systeme (T = const):Die Energie W n pro Teilchen hatte nach (2.2-9) die Bedeutung:Die aufgrund <strong>der</strong> Wärmebewegung entstehende kinetische Energie kann in isothermenSystemen als konstant angenommen werden. Als potentielle Energie ist bisher vor allemdie Konfigurationsenergie (Abschnitt 2.3) betrachtet worden, die sich durch dieWechselwirkung <strong>der</strong> Legierungsatome untereinan<strong>der</strong> ergibt. Durch Wechselwirkungmit äußeren Fel<strong>der</strong>n können aber auch weitere Beiträge zu W pot entstehen: Wie inAbschnitt 1.3 erläutert, nehmen die Atome in vielen Fällen bei <strong>der</strong> Kristallbindung eineelektrische Ladung auf, die einige Elektronenladungen (mit positivem o<strong>der</strong> negativemVorzeichen) betragen o<strong>der</strong> auch sehr viel kleiner sein kann. Bei einer Diffusionsbewegungbehalten die Teilchen ihre Ladung bei, d.h. mit <strong>der</strong> Teilchenbewegung ist aucheine Ladungsbewegung verbunden. Ladungen <strong>der</strong> Größe q haben in einem äußerenelektrostatischen Potentialfeld a (Anhang C1) die potentielle Energie:Zusammen mit (2.3-5) gilt damit:so daß sich für die Teilchengeschwindigkeit die Beziehung ergibt:


2.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung 149Dabei ist <strong>der</strong> negative Gradient des elektrostatischen Potentials a ersetzt wordendurch die elektrische Feldstärke E (Anhang C1).Die Teilchengeschwindigkeit setzt sich nach (8) zusammen aus drei unabhängigenKomponenten: zwei Driftgeschwindigkeiten, die von dem elektrischen Feld und <strong>der</strong>Größe <strong>der</strong> Bindungsenergien in <strong>der</strong> Umgebung <strong>der</strong> sich bewegenden Teilchen bestimmtwerden und einer Diffusionsgeschwindigkeit. Die beiden letztgenannten Arten vonGeschwindigkeiten werden in einer Legierung durch die örtliche Zusammensetzung <strong>der</strong>Legierungsatome festgelegt. Der Einfluß <strong>der</strong> Kristallenergie wirkt sich als Driftgeschwindigkeitaus, diese kann <strong>der</strong> Diffusionsgeschwindigkeit gleich- und entgegengerichtetsein (s. Abschnitt 2.8). Nur bei Vernachlässigung dieses Beitrags zur Diffusionsgeschwindigkeiterhält man die Beziehung (2.7.2-28), die man auch als Fick'schesGesetz bezeichnet.Der erste Term in (8) ist abhängig von <strong>der</strong> elektrischen Feldstärke und damit von außenelektrisch steuerbar. Hieraus ergeben sich wichtige Anwendungsmöglichkeiten in <strong>der</strong><strong>Elektrotechnik</strong>. Anstelle <strong>der</strong> Teilchenstromdichte betrachtet man häufiger die elektrischeStromdichte:Bei <strong>der</strong> Driftstromdichte ist es gebräuchlich, anstelle des Diffusionskoeffizienten dieBeweglichkeit B zu verwenden, beide hängen über die Einstein-Beziehung (2.7.2-29)zusammen. Mit Hilfe von (10) kann die stationäre Bewegung von Legierungsatomen ineiner Legierung unter sehr allgemeinen Voraussetzungen berechnet werden. Die feldabhängigeDriftstromdichte ist vorwiegend bei schlecht o<strong>der</strong> nichtleitenden Materialienvon Bedeutung: Bei Metallen würde die Anwesenheit von signifikanten elektrischenFel<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong> hohen elektrischen Leitfähigkeit zu hohen Strömen und damit (überdie Joulesche Wärme, s. Abschnitt 4.3.1) zu einer starken Temperaturerhöhung führen,welche das Verhalten <strong>der</strong> Legierung stärker beeinflußt als das elektrische Feld selbst.Ein wichtiger Effekt in Metallen ist aber die Wirkung des "Elektronenwindes" [17], welcherdie Impulsübertragung von den stromtragenden Elektronen auf die Legierungsatomebeschreibt (die daraus resultierende Atombewegung heißt Elektrotransport) . An


2.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung 150Halbleiter- und Isolatorwerkstoffe hingegen können relativ große elektrische Fel<strong>der</strong> angelegtwerden, so daß auf vorhandene Ionen signifikante Kräfte ausgeübt werden können:In diesem Fall liegen die von außen steuerbare Driftstromdichten häufig in <strong>der</strong>selbenGrößenordnung wie die Diffusionsstromdichte. Das wird beson<strong>der</strong>s deutlich bei Legierungen,in denen geladene Atome eine hohe Beweglichkeit haben: den Ionenleitern,die auch als Feststoffelektrolyte bezeichnet werden. In Tab. 2.7.3-1 sind wichtigeIonenleiterverbindungen— zusammen mit <strong>der</strong> Sorte des vorwiegend leitenden Ions dargestellt.Tab. 2.7.3-1 Ionenleitende Legierungen, eingeteilt nach <strong>der</strong> Sorte des beweglichen Ions (nach[24])Bereits aus dem Bild 2.7.2-5b wurde deutlich, daß <strong>der</strong> Diffusionskoeffizient des Sauerstoffsbei einigen keramischen Legierungen recht groß werden kann, insbeson<strong>der</strong>e beihöheren Temperaturen ab ca. 700°C. Da das Sauerstoffatom in diesen Ionenleitern zweifachnegativ geladen ist, erfolgt mit <strong>der</strong> Bewegung des Ions ein Ladungstransport. Umgekehrtist ein elektrischer Stromfluß in Ionenleitern mit einem Massentransport (<strong>der</strong>stromführenden Ionen) verbunden.In <strong>der</strong> Anwendung bestehen die Ionenleiter häufig aus homogenen Legierungen, d.h. dieZusammensetzung <strong>der</strong> Ionensorten und <strong>der</strong>en Konzentration ist örtlich konstant. Damitentfallen die beiden letzten Terme in (10), so daß nur <strong>der</strong> feldabhängige Driftterm übrigbleibt. Die durch den Teilchen-Driftstrom transportierte elektrische Stromdichte istdann:


2.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung 151Die Proportionalitätskonstante zwischen elektrischer Stromdichte und elektrischemFeld wird als spezifische elektrische Leitfähigkeit sp bezeichnet. Bild 2.7.3-1 zeigtdie Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> spezifischen Leitfähigkeiten von Ionenleitern.Bild 2.7.3-1:Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> spezifischen Ionenleitfähigkeit verschiedener Ionenverbindungen (nach[24])


2.7.3 Stromdichtegleichung und Ionenleitung 152Beim Austritt von Ionen aus einer freien Oberfläche des Ionenleiters (die mit einer elektrischleitfähigen porösen Kontaktschicht versehen sein soll) in den Gasraum wandelnsich Ionen in neutrale Atome um und hinterlassen auf <strong>der</strong> Kontaktschicht eine Ladung,die ein Maß für die Anzahl <strong>der</strong> durchtretenden Ionen darstellt. In entsprechen<strong>der</strong> Weisewird eine entgegengesetzt gepolte Ladung beim Eintritt <strong>der</strong> Atome in den Ionenleiter ereugt.Dadurch lassen sich voneinan<strong>der</strong> getrennte Ladungen erzeugen, d.h. Ionenströmein elektrische Energie umwandeln (Feststoffelektrolyt-Batterie o<strong>der</strong> Brennstoffzellen).Eine an<strong>der</strong>e wichtige Anwendungen dieses Effekts gewinnt zunehmend an Bedeutung:Bei Gassensoren (z.B. Lambda-Sonde zur Steuerung des Dreiwegekatalysatorsin Verbrennungsmotoren) werden auf diese Weise Gaskonzentrationen gemessen.


2.8.1 Phasenmischung 1532.8 Übergang in das thermische Gleichgewicht2.8.1 PhasenmischungWir wollen jetzt die Stromdichtegleichung (2.7.3-1)unmittelbar korrelieren mit den f(c)-Kurven in Abschnitt 2.4. Die chemische Kraft istbei Systemen mit Phasenmischung (konkave f(c)-Kurve wie in Bild 2.4-3, diese führtnach (2.4-11) zu einem stabilen thermischen Gleichgewicht) so gerichtet, daß dadurch<strong>der</strong> Gradient abgebaut wird, d.h. <strong>der</strong> Übergang in das thermische Gleichgewicht erfolgtmit abnehmenden chemischen Kräften und damit über immer kleiner werdende Stromdichten,d.h. einer abnehmenden Reaktionsgeschwindigkeit. Bei Systemen mit Phasenentmischung(konvexe f(c)-Kurve wie in Bild 2.4-4, z.B. wie bei einem eutektischenSystem) hingegen kann, wie Bild 2.4-4 zeigt, zu Beginn <strong>der</strong> Entmischung <strong>der</strong>Gradient des chemischen Potentials zunächst zunehmen (schnelle Reaktionsgeschwindigkeit),bevor auch er wie<strong>der</strong> auf einen abnehmenden Wert zurückgeht (langsame Reaktionsgeschwindigkeit).Zur Veranschaulichung <strong>der</strong> Verhältnisse bei <strong>der</strong> Phasenmischung betrachten wir einSystem wie in den Bil<strong>der</strong>n 2.4-1a und b o<strong>der</strong> 2.4-3. Nach (2.2-17) o<strong>der</strong> einer graphischenKonstruktion wie in Bild 2.4-3 ergibt sich dann eine Konzentrationsabhängigkeit deschemischen Potentials wie in Bild 2.8.1-1.Bild 2. 8.1-1:Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials für A-Atome bei einemLegierungssystem mit Phasenmischung


2.8.1 Phasenmischung 154Betrachten wir wie in Bild 2.7.2-3 zwei benachbarte Gitterbenen mit jeweils denKonzentrationen c 1 und c 2 , dann werden aus dem Gebiet mit c 2 Atome übergehen indas Gebiet mit c 1 , d.h. die Konzentration c 2 wird verkleinert, während sich c 1vergrößert. Entsprechend verkleinert sich — wie Bild 2.8.1-1 zeigt — die Differenz <strong>der</strong>chemischen Potentiale. Auf diese Weise läßt sich <strong>der</strong> zeitliche Übergang in dasGleichgewicht, bei dem die Konzentrationen auf beiden Ebenen gleich geworden sind,exakt berechnen. Der entscheidende Gesichtspunkt bei dieser Berechnung ist die Teilchenerhaltung:Fremdatome, die aus dem Gebiet mit c 2 herausdiffundieren, werdendem Gebiet mit c 1 hinzugefügt. Dieses Prinzip ist auch eine <strong>der</strong> Grundlagen <strong>der</strong>thermodynamischen Betrachtung in Abschnitt 2.1. Eine allgemeine Konsequenz <strong>der</strong>Teilchenerhaltung ist die Kontinuitätsgleichung (Anhang C3)o<strong>der</strong> in eindimensionaler Form, bezogen auf A-Fremdatome wie in Abschnitt 2.7.3Mit <strong>der</strong> Stromdichtegleichung (2.7.3-10) folgt für Teilchenstromdichten j T bei Konzentrationenc


2.8.1 Phasenmischung 155ebene Wellen, die so überlagert werden müssen, daß sie den gegebenen Randbedingungenentsprechen. Bei Diffusionsproblemen ergibt die Überlagerung häufig Gaußverteilungeno<strong>der</strong> Gaußsche Fehlerfunktionen (Bil<strong>der</strong> 2.8.1-2 und 3).Bild 2.8.1-2:Lösungen <strong>der</strong> Diffusionsgleichung für die Randbedingungen einer Eindiffusionvon <strong>der</strong> Oberfläche:a) Die Oberfläche eines reinen Kristalls wird von einer Schicht mit Fremdatomenmit <strong>der</strong> Volumenkonzentration A bedeckt.b) bei <strong>der</strong> Diffusion in das reine Material nimmt die Oberiflächenkonzentration<strong>der</strong> Fremdatome ab, weil sich die Fremdatome auf ein größeres Volumen verteilen(begrenzte Quelle). Der Konzentrationsverlauf entspricht einer GaußschenGlockenkurve ( A ist die integrierte Flächenkonzentration <strong>der</strong> Fremdatome, s.Band 2, (6.1.3-10)):c) Unbegrenzte Quelle: Der Anteil <strong>der</strong> eindiffundierenden Fremdatome ist so klein, daß dieOberflächenkonzentration Ao praktisch unverän<strong>der</strong>t bleibt. Der Konzentrationsverlaufist:Der Parameter in (b) und (c) ist jeweils Dt.


2.8.1 Phasenmischung 156Bild 2.8.1-3:Lösung <strong>der</strong> Diffusionsgleichung für die Randbedingung, daß ein Stab mit <strong>der</strong>Fremdatomkonzentration Ao mit einem an<strong>der</strong>en reinen Stab ( A = 0) festverbunden wird (a). Bei erhöhten Temperaturen diffundieren A-Atome in das reineMaterial, (b) zeigt das entsprechende Dichteprofil für verschiedene Zeiten t. DieOrts- und Zeitabhängigkeit des Profils wird durch die Formel beschrieben:(erf = Gauß'sche Fehlerfunktion, erfc = Komplement <strong>der</strong> Gauß'schen Fehlerfunktion).


2.8.2 Ausscheidung und Entmischung 1572.8.2 Ausscheidung und EntmischungIn Abschnitt 2.4 war ein graphisches Verfahren beschrieben worden, mit dem diechemischen Potentiale aus den f(c)-Kurven bestimmt werden konnten. Bild 2.8.2-1zeigt die Konzentrationsabhängigkeit des chemischen Potentials A (c) einer Legierungmit einer relativ schwachen AB-Bindung (nach Bild 2.4-1c). Diese Werte habenteilweise hypothetischen Charakter, da die Legierungen in <strong>der</strong> Mischungslücke nichtstabil und daher <strong>der</strong> Messung nicht zugänglich sind.Bild 2.8.2-1:Abhängigkeit des chemischen Potentials A von <strong>der</strong> Konzentration in einerLegierungssystems mit Mischungslücke (relativ schwache AB-Bindung)Gehen wir aus von einer Nichtgleichgewichts-Konzentration c o , die wir z.B. durchein schnelles Abkühlen <strong>der</strong> Schmelze "eingefroren" haben (wegen <strong>der</strong> Instabilität in <strong>der</strong>Praxis häufig nur mit Schwierigkeiten realisierbar), dann hat das chemische Potentialzunächst den Wert A o . Inhomogenitäten <strong>der</strong> Legierungszusammensetzung (s.Abschnitt 2.4, Bild 2.4-4) erzeugen aber eine bereichsweise Aufspaltung <strong>der</strong> Legierung,z.B. in zwei Konzentrationen c l und c 2 rechts und links von c o . Dadurch entsteht einGradient des chemischen Potentials, d.h. A-Atome diffundieren aus c 1 in den Bereichrnit c 2 . Aufgrund <strong>der</strong> Teilchenerhaltung nimmt dabei die Konzentration c 1 weiter abund die von c 2 weiter zu, d.h. <strong>der</strong> Gradient des chemischen Potentials vergrößert sichweiter, usw. Das entspricht dem in (2.4-12) behandelten Fall des instabilen thermischenGleichgewichts. Ausgehend von c o wan<strong>der</strong>n die Konzentrationen <strong>der</strong> beiden Phasenauf <strong>der</strong> c-Skala also nach rechts und links aus (wobei sich jeweils die chemischenPotentiale wie in Bild 2.8.2-1 verän<strong>der</strong>n) bis die Konzentrationen c 3 und c 4 erreichtwerden, bei denen letztlich die chemischen Potentiale wie<strong>der</strong> gleich sind und damit diechemische Kraft verschwindet – jetzt aber in einem stabilen thermischen


2.8.2 Ausscheidung und Entmischung 158Gleichgewicht. In einem Zwischenstadium können die chemische Kräfte erheblicheWerte annehmen, d.h. die Teilchenstromdichten können stark zunehmen. Typisch ist injedem Fall, daß A-Atome aus einem Bereich niedriger Konzentration in einen Bereichhoher Konzentration überwechseln. Dieser Prozeß wird als Bergaufdiffusion o<strong>der</strong>spinodale Entmischung bezeichnet. Die Bergaufdiffusion ist keineswegs ein anomalerProzeß, sie entsteht einfach dadurch, daß die Feldkräfte (aufgrund <strong>der</strong> Konfigurationsenergie)stärker sind als die Diffusionskräfte und in die entgegengesetzte Richtung wirken.Bild 2.8.2-2a stellt diesen Vorgang in <strong>der</strong> zeitlichen Reihenfolge dar.Bild 2. 8. 2-2: Entmischung von übersättigten (Nichtgleichgewichts-) Legierungen: t o : Beginn<strong>der</strong> Entmischung, t 1 : Entmischung im fortgeschrittenen Zustand, t 3 : Entmischungim Endzustand vollständige Phasentrennung (nach [17])a) "Bergaufdiffusion" (spinodale Entmischung)b) "Bergabdiffusion" (Keimbildung und Wachstum)Größere Bedeutung in <strong>der</strong> Praxis hat ein zu <strong>der</strong> spinodalen Entmischung alternativerProzeß: Die Entmischung durch Keimbildung und Wachstum (Bild 2.8.2-2b). Mannimmt an, daß sich durch lokale An<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Zusammensetzung <strong>der</strong> instabilenAusgangslegierung – unterstützt durch Schwankungen <strong>der</strong> thermischen Energie – einkleiner Bereich (Keim) mit <strong>der</strong> Gleichgewichtskonzentration (z.B. c 4 in Bild 2.8.2-1)gebildet hat. Das ist nur möglich, wenn die unmittelbare Umgebung des Keims stark anA-Atomen verarmt ist. Ein Keimwachstum kann nun dadurch entstehen, daß weitere A-Atome – diesmal "bergab" des Konzentrationsgradienten – zum Keim hindiffundieren.Die Entstehung solcher Keime wird dadurch begünstigt, daß das chemische Potential imKeim A niedriger ist als in <strong>der</strong> instabilen Ausgangslegierung ( A o ). Mit jedemÜbergang eines A-Atoms aus c o nach c 4 wird daher Entropie gewonnen. Bei steigen<strong>der</strong>Zahl von A-Atomen im Keim nimmt deshalb die freie Energie ab (Bild 2.8.2-3, Kurve a).Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite muß berücksichtigt werden, daß <strong>der</strong> Keim ein "Fremdkörper" inseiner Umgebung ist, d.h. eine Legierungsphase, die sich zumindest im Gitterparameter,


2.8.2 Ausscheidung und Entmischung 159wahrscheinlich aber auch in <strong>der</strong> Kristallorientierung o<strong>der</strong> sogar <strong>der</strong> Kristallstruktur unterscheidet:Es bildet sich in jedem Fall eine Grenzfläche, die mit einer Energieerhöhungdes Systems (<strong>der</strong> Grenzflächenergie) verbunden ist. Bild 2.8.2-4 zeigt verschiedeneMöglichkeiten für den Aufbau einer Grenzfläche.Bild 2.8.2-3: Keimbildung und -wachstum einer Gleichgewichtsphase in einer instabilen Legierunga) Abnahme <strong>der</strong> freien Energie durch Bildung einer Gleichgewichtsphaseb) Zunahme <strong>der</strong> freien Energie über Vergrößerung <strong>der</strong> Grenzflächec) Summe aus a) und b): Zur Bildung eines stabilen Keims mit einer Größe oberhalb<strong>der</strong> kritischen Keimgröße r cr muß eine Barriere <strong>der</strong> freien Energie von <strong>der</strong> Größe Füberwunden werden.Bild 2.8.2-4: Aufbau von Grenzfiächen zwischen zwei Phasen (nach [21])a) kohärent: beide Phasen haben dieselbe Kristallstruktur und -orientierung, aber eineunterschiedliche Gitterkonstanteb) teil-o<strong>der</strong> semikohärent: Voraussetzungen wie (a), jedoch unterscheiden sich dieGitterkonstanten so stark, daß nicht alle Kristallebenen fortgesetzt werden könnenc) inkohärent: benachbarte Phasen unterscheiden sich in Kristallstruktur und -orientierung Die Grenzflächenenergie nimmt von a) bis c) zu.


2.8.2 Ausscheidung und Entmischung 160Mit steigen<strong>der</strong> Keimgröße nimmt notwendigerweise auch die Grenzfläche zu, damitauch die (freie) Grenzflächenenergie (Kurve b) in Bild 2.8.2-3. Trägt man die gesamteAn<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> freien Energie über <strong>der</strong> Keimgröße auf, dann erhält man die Kurve c) inBild 2.8.2-3, sie hat ein Maximum bei <strong>der</strong> kritischen Keimgröße (bei kugelförmigenKeimen <strong>der</strong> Keimradius).Nach erfolgter Keimbildung schließt sich eine Phase des Keimwachstums an: DasVolumen <strong>der</strong> neugebildeten Phase (Ausscheidung) nimmt bei einer weiterenTemperaturbehandlung ständig zu, bis sich ein Gleichgewichtszustand eingestellt hat,<strong>der</strong> durch die Gleichgewichtskonzentrationen c 3 und c 4 in Bild 2.8.2-1 und einMengenverhältnis nach dem Hebelgesetz (2.4-14) festgelegt ist. Ein Beispiel für dasWachstum von Ausscheidungsteilchen mit <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Wärmebehandlung(Auslagerungszeit) ist in Bild 3.2.1-15 wie<strong>der</strong>gegeben.Die bisher beschriebene Ausscheidungskinetik in übersättigen Lösungen giltsinngemäß auch für den Prozeß <strong>der</strong> Erstarrung (Festwerdung) einer Schmelze. Wiein Abschnitt 2.5 dargelegt, kann einem <strong>der</strong> Minima <strong>der</strong> f(c)-Kurve in Bild 2.8.2-1 aucheine flüssige Phase entsprechen. Auch in diesem Fall wird die Erstarrung durchKeimbildung und -wachstum charakterisiert. Bild 2.8.2-5 zeigt diesen Prozeß in dreiunterschiedlichen Stadien.Bild 2.8.2-5:Keimbildung und -wachstum einer festen Phase in einer Schmelze in dreiaufeinan<strong>der</strong>folgenden Stadien:a) Keimbildungb) Keimwachstumc) die Keime wachsen zusammen; da ihre Kristallorientierung nicht korreliert ist,entstehen Kristallkörner unterschiedlicher Orientierung. Ein Festkörper mit dieserStruktur wird als Polykristall bezeichnet.


2.8.2 Ausscheidung und Entmischung 161Bisher waren die Ausscheidungsvorgänge dadurch gekennzeichnet, daß sie in einer"ungestörten" übersättigten Matrix o<strong>der</strong> Schmelze stattfanden, man bezeichnet diesenProzeß als homogene Ausscheidung. In <strong>der</strong> Praxis ist aber von gleicher Bedeutung dieheterogene Ausscheidung an Störungen in <strong>der</strong> instabilen Matrix o<strong>der</strong> Schmelze:Liegen solche Störungen vor, dann kann <strong>der</strong> Keim seine Oberflächenenergie (Bild 2.8.2-3, Kurve b) verkleinern dadurch, daß er sich an eine Störung anlagert. Dieses setztvoraus, daß die Grenzflächenenergie zwischen Keim und Störung kleiner ist als diezwischen Keim und Matrix, was häufig gegeben ist. Typische Störungen in einerSchmelze sind die Wände <strong>der</strong> Schmelztiegel o<strong>der</strong> nichtlösliche Fremdkörper in <strong>der</strong>Schmelze (z.B. von Materialien mit höherem Schmelzpunkt). In einer festenübersättigten Matrix dienen Gitterfehler wie Korngrenzen, an<strong>der</strong>e Fremdatome,mechanische Inhomogenitäten an <strong>der</strong> Oberfläche usw. als Störungen für eineheterogene Ausscheidung (Bild 2.8.2-6).Bild 2.8.2-6:Nebeneinan<strong>der</strong> von homogener (innerhalb <strong>der</strong> Körner) und heterogener (an denKorngrenzen) Ausscheidung in einer übersättigten Matrix (nach [21])In diesem Abschnitt konnte nur ein kurzer Überblick über die Ausscheidungsprozessegegeben werden, in <strong>der</strong> Praxis ist dieses Gebiet weitaus komplexer. Dafür muß aber aufdie Spezialliteratur (z.B. [17],[18],[21]) verwiesen werden.


2.8.3 Dipolschichten 1622.8.3 DipolschichtenBei <strong>der</strong> Herleitung <strong>der</strong> Stromdichtegleichung in Abschnitt 2.7.3 wurde offenkundig, daßbei <strong>der</strong> Bewegung elektrisch geladener (und nicht bereits am selben Ort durch dasElektronengasneutralisierter) Legierungsatomen elektrische Fel<strong>der</strong> eine wichtige Rollespielen können. Dabei braucht es sich keineswegs nur um Fel<strong>der</strong> zu handeln, die vonaußen angelegt werden: Jede isolierte Ladung erzeugt um sich herum ein elektrischesFeld, das mit wachsendem Abstand von <strong>der</strong> Ladung abnimmt. Die allgemeineBeziehung zwischen räumlicher Ladungsdichte und elektrischem Feld wird durch diePoissongleichung (eine <strong>der</strong> Maxwell'schen Gleichungen in Abschnitt 6.4) beschrieben:o<strong>der</strong> in eindimensionaler FormDie Dielektrizitätszahl r ist eine Materialgröße, die im Abschnitt 6 dieses Buchesausführlich diskutiert wird. Bei homogenen <strong>Werkstoffe</strong>n ist r ortsunabhängig undkann als Konstante vor das Differential gezogen werden.Eine praktische Anwendung dieses Gesetzes auf Dipolladungsschichten erfolgt in Bild2.8.3-1. Man erkennt, daß jede Raumladung die Ursache einer Feldverän<strong>der</strong>ung unddamit eines Potentialsprunges ist.


2.8.3 Dipolschichten 163Bild 2.8.3-1Anwendung <strong>der</strong> Poissongleichung auf einen Stab; alle Eigenschaften (Ladung,Feldstärke, usw) mögen über den Querschnitt des Stabes konstant sein und sich nurmit x än<strong>der</strong>n (eindimensionale Symmetrie).a) Aufbau des Stabesb) angenommene Raumladungsverteilungc) dazugehörige Feldverteilung nach (2) (graphische Integration)d) dazugehöriges Potentialfeld (graphische Integration). Merkregel: <strong>der</strong> Vektordes elektrischen Feldes zeigt immer von <strong>der</strong> positiven zur negativen Ladung, daselektrostatische Potential ist auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> positiven Ladung am größten.Führen wir bei einem ionenleitenden Material einen Diffusionsversuch (vorzugsweisebei höheren Temperaturen) in Anwesenheit eines äußeren elektrischen Feldes E adurch, dann werden die Kationen in Richtung des Feldes, die Anionen in <strong>der</strong>Gegenrichtung bewegen. Dadurch entsteht ein inneres Feld E i , welches dem äußerenentgegengerichtet ist (Bild 2.8.3-2)


2.8.3 Dipolschichten 164Bild 2.8.3-2: Diffusion in einem Ionenleiter unter Einfluß eines äußeren elektrischen Feldes E a :Die entstehende Raumladung erzeugt ein entgegengesetzt gerichtetes inneres FeldE i . Nach Abkühlung des Ionenleiters auf niedrige Temperaturen unter Beibehaltungdes äußeren Feldes bleibt die Raumladung erhalten, sie wird "eingefroren".Ein interessanter Fall <strong>der</strong> Gleichgewichtseinstellung bei Legierungen rnit elektrischgeladenen Atomen tritt auf, wenn beide Ionensorten eine sehr unterschiedlicheBeweglichkeit B besitzen (z.B. durch einen Größenunterschied). Werden jetzt zweiMaterialien aneinan<strong>der</strong>gebracht mit unterschiedlichen chemischen Potentialen, dannführt nur <strong>der</strong> Potentialunterschied des beweglichen Ions (Ionensorte A) zu einer nennenswertenTeilchenbewegung (Bild 2.8.3-3).


Bild 2. 8. 3-3:2.8.3 Dipolschichten 165Teilchendiffusion in einem System aus zwei Legierungen mit einer unterschiedlichenKonzentrationen von Ionen. Nur die Ionensorte A (Kation mit <strong>der</strong> positiven Ladungq) möge beweglich sein, die an<strong>der</strong>e hingegen (nahezu) unbeweglich.a) Aufbau des Systems mit dem Ortsverlauf <strong>der</strong> Kationenkonzentration vor demDiffusionsprozeßb) angenommener Verlauf des chemischen Potentials A vor (durchgezogen) undnach (gestrichelt) Beginn <strong>der</strong> Diffusionc) Raumladung nach Einsetzen <strong>der</strong> Diffusiond) durch die Raumladung erzeugter Beitrag zum Potentialverlauf (vgl. Bild 2.8.3-1). Den gleichen Verlauf (aber eine an<strong>der</strong>e Dimension!) hat die durch dieDipolschicht zusätzlich entstandene potentielle Energie W n = q·.e) <strong>der</strong> durch das elektrische Potential zusätzlich erzeugte Beitrag W n zur potentiellenEnergie addiert sich zum chemischen Potential nach b). Die Wirkung ist, daßsich die Differenz <strong>der</strong> chemischen Potentiale zwischen den Bereichen 1 und 2 verkleinert,bis sie schließlich Null wird. Danach ist die chemische Kraft Null, d.h. es findetkein Teilchentransport mehr statt. Auf diese Weise entsteht ein thermischesGleichgewicht ohne einen vollständigen Ausgleich <strong>der</strong> Teilchenkonzentrationen.Die Konsequenz ist <strong>der</strong> Aufbau einer Dipolschicht, welche ihrerseits ein elektrostatischesPotential und damit eine zusätzlichen Beitrag zur potentiellen Energie pro Ion leistet,<strong>der</strong> zum chemischen Potential addiert (o<strong>der</strong> davon subtrahiert) werden muß (s. 2.2-11). Auf diese Weise werden die zunächst unterschiedlichen chemischen Potentiale soweit gegeneinan<strong>der</strong> verschoben, daß sie letztlich denselben Wert annehmen und keinStrom mehr fließen kann.Die Dipolschicht führt daher genauso zu einem thermischen Gleichgewicht wie <strong>der</strong>Ausgleich <strong>der</strong> Konzentration im Fall <strong>der</strong> Phasenmischung (Abschnitt 2.8.1) und <strong>der</strong>Zerfall <strong>der</strong> Legierung bei Phasentrennung (Abschnitt 2.8.2): Unterschiede in denchemischen Potentialen werden so lange ausgeglichen, bis die Gradientenverschwunden sind und nach (2.8.1-1) kein Strom mehr fließen kann.Anschaulich kann dieser Effekt auch so beschrieben werden, daß zunächst einKonzentrationsgradient die Diffusion <strong>der</strong> Kationen von links nach rechts bewirkt, daßsich dann aber nach dem Schema von Bild 2.8.3-1 ein elektrisches Feld aufbaut, welcheeine Feldkraft auf die Ionen erzeugt, das <strong>der</strong> Diffusionskraft entgegengerichtet ist. ImGleichgewicht sind beide Kräfte gleich groß, d.h. die chemische Kraft gleich Null, bzw.das chemische Potential konstant.Das zuletzt beschriebene Prinzip <strong>der</strong> Gleichgewichtseinstellung findet eine wichtigeAnwendung in <strong>der</strong> Halbleiterphysik, die Rolle <strong>der</strong> Kationen im obigen Beispiel nehmendann die Elektronen ein, die sehr viel beweglicher sind als die positiv geladenenFremdatome (Donatoren), welche die Elektronen elektrisch kompensieren. Auf dieseWeise entsteht eine Dipolschicht aus positiv ionisierten Donatoren und Elektronen (dieseladen die Akzeptoren im p-leitenden Bereich negativ auf). Das Ergebnis <strong>der</strong> Gleichgewichtseinstellungist das bekannte Bän<strong>der</strong>modell des pn-Ubergangs (das chemischePotential <strong>der</strong> Elektronen wird in diesem Fall Fermienergie genannt, Bild 2.8.3-4).


2.8.3 Dipolschichten 166


2.8.3 Dipolschichten 167Bild 2.8.3-4:Bän<strong>der</strong>modell des pn-Übergangs als Beispiel für die Einstellung eines thermischenGleichgewichts durch Bildung einer Dipolschicht.a) Raumladungsverteilung (|q| ist <strong>der</strong> Betrag <strong>der</strong> Elektronenladung, D die Dichte<strong>der</strong> Donatoren, A die Dichte <strong>der</strong> Akzeptoren)b) Feldstärkeverlaufc) Verlauf des elektrostatischen Potentials, bi ist das eingebaute o<strong>der</strong>Kontaktpotentiald) Energie-Bän<strong>der</strong>modell: W L und W v sind die Leitungs- und Valenzbandkanten,W F ist die Fermienergie (entspricht dem chemischen Potential <strong>der</strong> Elektronen imLeitungsband). W B ist die Barrierenhöhe des pn-Übergangs.Aus Bild 2.8.3-3 wird deutlich, daß eine monoton ansteigende Korrelation zwischenDipolladung (nur die positive Ladung wird gezählt) und Differenz <strong>der</strong> chemischenPotentiale im Ausgangszustand besteht, die verbindende Funktion wird Kapazität Cgenannt:

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