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Leitartikel - RotFuchs

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Seite 8 ROTFUCHS / April 2008<br />

Wie gnadenloser Konkurrenzkampf als Wettbewerb<br />

ausgegeben wird<br />

K.-o.-Prinzip als Maxime<br />

Für die Verfechter heute gängiger Theorien<br />

funktioniert die Wirtschaft um so<br />

besser, je weniger der Staat sich einmischt<br />

und je mehr „Wettbewerb“ stattfindet. Eine<br />

These, die jetzt durch die Debatte über<br />

gesetzliche Mindestlöhne erneut auf den<br />

Prüfstand geraten ist.<br />

Vom Sport, dem Urbegriff des Wettbewerbs,<br />

wissen wir, daß es zwingend<br />

verbindlicher Regeln bedarf, wenn ein<br />

Wettstreit fair verlaufen und tatsächlich<br />

Chancengleichheit herrschen soll. Konsequenz:<br />

Wer sich auf unlautere oder<br />

betrügerische Weise Vorteile verschafft,<br />

wie das z. B. beim Doping der Fall ist,<br />

muß mit Disqualifizierung und anderen<br />

Sanktionen rechnen.<br />

Beim „Wettbewerb“ im kapitalistischen<br />

Wirtschaftsleben sucht man vergeblich<br />

nach einem vergleichbaren Kodex. Vielmehr<br />

scheint es, daß fast jedes Mittel der<br />

Vorteilsnahme erlaubt ist, es sei denn, es<br />

handelt sich um Verstöße gegen die eigenen<br />

Regeln und Gesetze. Aber selbst die<br />

werden oft genug, selbst strafrechtlich,<br />

eher inkonsequent und lax behandelt, wie<br />

man es ständig bei Betrügereien auf den<br />

Finanz- und Kreditmärkten erlebt.<br />

Auch der Wettbewerb bei den Postdienstleistern<br />

spielt sich weitgehend ungeregelt<br />

ab. Das ist insofern bedeutsam, als die<br />

Beförderung von Briefen und anderen<br />

Sendungen einem menschlichen Grundbedürfnis<br />

dient: der Kommunikation.<br />

Nicht zuletzt deshalb wurde diese Dienstleistung<br />

bereits vor Jahrhunderten einem<br />

Staatsunternehmen übertragen. Und<br />

zweifellos ist dieses seiner Verantwortung,<br />

alles in allem, auch zuverlässig<br />

gerecht geworden. Und zwar in dem Sinne,<br />

daß es eine flächendeckende, bis in den<br />

letzten Winkel des Landes reichende Versorgung<br />

der Bürger mit allen Arten postalischer<br />

Leistungen gewährleistet hat.<br />

Dieses bewährte Prinzip hat die Bundesregierung<br />

aufgekündigt. Das Staatsmonopol<br />

wurde abgeschafft, das gewinnträchtige<br />

Unternehmen Deutsche Post<br />

weitgehend privatisiert und der Markt<br />

für neue Anbieter geöffnet. Das geschah<br />

mit der Begründung, im Interesse der<br />

Wirtschaftlichkeit und der Kunden müsse<br />

auch im Postgeschäft mehr Wettbewerb<br />

stattfinden.<br />

Inzwischen tummeln sich in Deutschland<br />

sage und schreibe rund 750 neue Postdienstleister<br />

auf dem Markt. Ein volkswirtschaftlich<br />

unsinniger Vielfachaufwand,<br />

der die Frage provoziert, was der<br />

wahre Grund für diese „Neuerung“ ist?<br />

Die Erklärung liegt auf der Hand: Bei<br />

einem Jahresumsatz von mehr als fünf<br />

Milliarden Euro läßt sich mit Postdiensten<br />

enorm viel Geld verdienen. Die Profitraten<br />

sind außerordentlich hoch. Wäre<br />

dieser Reibach nicht in Sicht, würde sich<br />

auch keine Heerschar von Unternehmern<br />

auf das Geschäft einlassen.<br />

Nun ist die Zustellung von Briefen, Paketen<br />

und anderen Sendungen, insbesondere<br />

wenn sie auch den kleinsten Ort erreichen<br />

sollen, mit erheblichem Aufwand verbunden.<br />

Ganze Fahrzeugflotten müssen<br />

finanziert und unterhalten, ein Netz von<br />

Annahmestellen geschaffen und Bearbeitungszentren<br />

eingerichtet werden. Vor<br />

allem aber wird viel Personal für die Zustellung<br />

gebraucht. Die Deutsche Post hat<br />

z. B. mehr als 120 000 Mitarbeiter, besitzt<br />

allein 12 000 Filialen und muß täglich<br />

108 000 Briefkästen leeren. Stellt sich die<br />

Frage, wie die neuen Anbieter angesichts<br />

solcher Investitionen und Kosten hohen<br />

Gewinn erwirtschaften wollen.<br />

Einerseits, indem sich viele von ihnen in<br />

erster Linie in lukrativen, weil dicht besiedelten<br />

Zustellgebieten etablieren und<br />

das unattraktive flache Land weitgehend<br />

dem Konkurrenten Deutsche Post überlassen,<br />

der nach wie vor verpflichtet ist, auch<br />

diese Kunden zu versorgen.<br />

Andererseits – und das war die entscheidende<br />

Profitquelle –, indem man im Unterschied<br />

zur Deutschen Post Dumpinglöhne<br />

zahlte, die zum Teil unter fünf Euro<br />

in der Stunde lagen. Einkommen also, von<br />

denen angesichts der hohen Lebenshaltungskosten<br />

in der BRD niemand menschenwürdig<br />

existieren kann. Es sei denn,<br />

der Staat sattelt aus Steuermitteln drauf,<br />

was eine durch nichts gerechtfertigte<br />

Alimentierung bzw. Subventionierung der<br />

Profiteure wäre.<br />

Man kassiert also, indem man sich zum<br />

Nachteil der Konkurrenten wie der Mitarbeiter<br />

und zu Lasten des Staates wie der<br />

Allgemeinheit einen ungerechtfertigten<br />

Vorteil verschafft. Die Einführung von<br />

Mindestlöhnen für Zusteller wurde vorerst<br />

gerichtlich blockiert.<br />

Bei echtem Wettbewerb, wie im Sport,<br />

würde dies sofort zu einer Disqualifizierung<br />

derer führen, die sich solcher Mittel<br />

bedienen. Nur auf den Märkten wird dafür<br />

niemand zur Verantwortung gezogen.<br />

Da gilt so etwas obendrein noch als „clever“<br />

und „innovativ“. Mit fairem Wettbewerb<br />

hat das aber nichts zu tun.<br />

Hinzu kommt, daß kaum eine der zuletzt<br />

in Deutschland erfolgten Privatisierungen<br />

nennenswerte Wettbewerbswirkun-<br />

Unser hochverdienter Genosse und<br />

Autor<br />

Prof. Dr. Hans Lutter<br />

begeht am 29. April seinen<br />

80. Geburtstag.<br />

Als langjähriger Rektor der Pädagogischen<br />

Hochschule Güstrow, Mitinitiator<br />

des Christlich-Marxistischen<br />

Dialogs und stellv. Vorsitzender des<br />

Freidenkerverbandes hat er hohes<br />

Ansehen erworben.<br />

Herzlichen Glückwunsch, lieber Hans!<br />

gen erzielt und schon gar nicht Vorteile<br />

für die Kunden gebracht hat. In der Energiewirtschaft<br />

haben vier Großkonzerne<br />

den Markt unter sich aufgeteilt und den<br />

Stromkunden vorher nie gekannte Preissteigerungen<br />

aufgehalst. In der privatisierten<br />

Wohnungswirtschaft sind fast<br />

überall die Mieten gestiegen. Und in der<br />

Telefonbranche, wo wenigstens kundenfreundlichere<br />

Berechnungen eingeführt<br />

wurden, ist ein Tarifdschungel entstanden,<br />

der nur unter großem Zeitaufwand zu<br />

durchforsten ist, ständig die Gefahr teurer<br />

Fehleinwählungen heraufbeschwört<br />

und von Abzockern in übler Weise mißbraucht<br />

wird.<br />

Außerdem muß auch über als Wettbewerb<br />

getarnte Konkurrenzkämpfe geredet werden,<br />

wie sie sich mit existenzbedrohenden<br />

Folgen zwischen kleinen Gewerbetreibenden,<br />

Händlern, Drogisten, Bäckern, Fleischern<br />

oder Tante-Emma-Läden und den<br />

großen Discountern abspielen.<br />

Zwar kann der Kleine am Markt oft den<br />

besseren Service, mitunter auch die<br />

bessere Qualität bieten, aber er vermag<br />

nicht gegen das wesentliche Vorteilselement<br />

anzukommen: die Dumpingpreise<br />

des großen Konkurrenten, die „Geiz ist<br />

geil“-Reklame und die entsprechende Geschäftstätigkeit.<br />

Keine Statistik gibt Auskunft darüber,<br />

wie viele der Schwächeren dadurch in den<br />

Ruin getrieben wurden und werden. Aber<br />

es sind in den Jahrzehnten des Bestehens<br />

der Bundesrepublik mit Sicherheit Zehntausende,<br />

vielleicht sogar Hunderttausende<br />

gewesen.<br />

Was sich hier abspielt, ist, um zum Sport<br />

zurückzukehren, einem Boxkampf zwischen<br />

einem Feder- und einem Schwergewichtler<br />

vergleichbar, bei dem das<br />

K. o. des Leichtgewichtigeren von vorneherein<br />

feststünde. Kein Wunder, daß die<br />

schwergewichtigen Albrecht-Brüder als<br />

Aldi-Eigner, nicht zuletzt wegen ihres<br />

gravierenden Wettbewerbsvorteils, mit<br />

einem Vermögen von mehr als dreißig<br />

Milliarden Euro die Liste der reichsten<br />

Deutschen anführen.<br />

Die Losung „Der Markt wird es schon<br />

richten“ fand und findet in alledem eine<br />

makabre Deutung. Viele „Wettbewerbsteilnehmer“<br />

wurden und werden auf dem<br />

Markt tatsächlich „gerichtet“, nämlich<br />

hingerichtet, auch und besonders, weil es<br />

keine Regeln gibt, die sie davor bewahren<br />

könnten. Das enttarnt die Privatisierung<br />

als das, was sie in Wahrheit ist: ein Stimulans<br />

für Profitjägerei.<br />

So ist es eine bewußte Irreführung, wenn<br />

Politiker und Medien dem, was als erbarmungsloser<br />

Konkurrenzkampf um Maximalprofit<br />

stattfindet, den Positivbegriff<br />

„Wettbewerb“ zuerkennen. Ebensogut<br />

könnte man einen Stierkampf als Tierschutz-Event<br />

bezeichnen.<br />

Eberhard Fensch

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