UM UTZU G N N - Restaurator im Handwerk eV
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Interview<br />
� Matthias Hoffmann-Tauschwitz ist Architekt<br />
und Kunsthistoriker und leitet seit 2004<br />
das Kirchliche Bauamt der Evangelischen Kirche<br />
Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz<br />
mit Sitz in Berlin. Das Bauamt ist zuständig<br />
für die Kirchenaufsicht über die Bauvorhaben<br />
der Kirchengemeinden und Kirchenkreise, für die<br />
landeskirchlichen Gebäude und das Immobilienmanagement,<br />
das heißt, die strategische Planung<br />
und Beratung in bezug auf den Gebäudebestand.<br />
RiH: Welche Kriterien müssen erfüllt sein,<br />
um ein Kirchengebäude einer anderweitigen<br />
Nutzung zuzuführen oder sogar zu entwidmen?<br />
MHT: Eine Entwidmung steht nur dann an,<br />
wenn ein Kirchengebäude auf Dauer nicht<br />
mehr nahe am kirchlichen Nutzungszweck<br />
öffentlich genutzt werden soll, also z. B. an<br />
Privatpersonen oder Gewerbetreibende verkauft<br />
wird. Bei der Mehrzahl der betreffenden<br />
Fälle handelt es sich jedoch um eine<br />
sogenannte Nutzungserweiterung, also eine<br />
zusätzliche Nutzung neben der kirchlichen.<br />
Hier ist eine Entwidmung nicht angezeigt.<br />
Dazu gibt es seit 2006 eine Richtlinie der<br />
Landeskirche, die sehr genau festlegt, was<br />
in einem Kirchengebäude sein darf und was<br />
nicht.<br />
RiH: Von welchen Faktoren hängt die Entscheidung<br />
über die Freigabe eines Kirchengebäudes<br />
ab?<br />
MHT: Der wesentlichste Faktor dafür, dass<br />
Kirchen aufgegeben werden, ist der demografische,<br />
also nicht nur der gegenwärtige zahlenmäßige<br />
Zustand einer Kirchengemeinde,<br />
sondern vor allen Dingen deren Entwicklung.<br />
Zwar kann die Zahl der Mitglieder durch<br />
Fusionen von Kirchengemeinden auf einem<br />
best<strong>im</strong>mten Niveau gehalten werden, das hat<br />
aber auch zur Folge, dass diese neugebildete<br />
Gemeinde über eine entsprechende Zahl an<br />
Kirchen verfügt, von denen nur noch wenige<br />
regelmäßig genutzt werden. Dann kommen<br />
natürlich Nutzungserweiterungen oder Umnutzungen<br />
in den Fokus der Überlegungen,<br />
wobei eine Erweiterung um eine kirchennahe<br />
oder -freundliche Nutzung <strong>im</strong>mer an erster<br />
<strong>Restaurator</strong> <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> – Ausgabe 4/2011<br />
Interview mit Kirchenoberbaurat Matthias Hoffmann-Tauschwitz<br />
Brauchen wir ein "Programm der Stilllegung"?<br />
Über die Umnutzung von Kirchengebäuden <strong>im</strong> Land Brandenburg<br />
Stelle steht. Eine Entwidmung wird nur in<br />
den Fällen in Erwägung gezogen, bei denen<br />
überhaupt kein Bedarf und keine Nachfrage<br />
mehr nach einer kirchlichen Nutzung des<br />
Gebäudes besteht und wenn es ein Gegenüber<br />
gibt, das sagt, ich möchte die Kirche in einer<br />
best<strong>im</strong>mten Weise ausschließlich weltlich<br />
nutzen. Solange es dieses Gegenüber nicht<br />
gibt, bleibt auch die Widmung bestehen.<br />
RiH: Welchen Stellenwert haben wirtschaftliche<br />
Erwägungen bei der Aufgabe<br />
eines Kirchengebäudes?<br />
MHT: Vor fast zehn Jahren haben wir etwas<br />
auf den Weg gebracht, was sich „kirchliches<br />
Immobilienmanagement“ nennt. Hier wird<br />
neben dem Abgleich von Gebäudebestand<br />
und Gebäudebedarf auch danach gefragt,<br />
was wir uns leisten können. Auch wenn wir<br />
die erweiterte Kameralistik erst in drei Jahren<br />
einführen werden, ist heute schon absehbar,<br />
dass wir uns den heutigen Gebäudebestand<br />
nicht mehr werden leisten können. Wirtschaftliche<br />
und kaufmännische Abwägungen<br />
rücken also hier zunehmend in den Vordergrund.<br />
RiH: Wie sieht das Verfahren aus, wenn eine<br />
Kirche entwidmet werden soll?<br />
MHT: Der Landessynode, also dem Kirchenparlament,<br />
und der Kirchenleitung war<br />
in dieser sensiblen Frage die allerbreiteste<br />
plebiszitäre Beteiligung sehr wichtig. Es gibt<br />
dazu ein geregeltes Verfahren in der kirchlichen<br />
Bauordnung, das alle Instanzen der<br />
Kirche miteinbezieht. Für die Entwidmung<br />
einer Kirche <strong>im</strong> Eigentum einer Kirchengemeinde<br />
ist zunächst ein Beschluss des<br />
Gemeindekirchenrates über die Absicht zu<br />
fassen. Dieser Beschluss ist der Kirchengemeinde,<br />
dem Kreiskirchenrat, der Kirchenleitung<br />
und dem Konsistorium bekanntzugeben<br />
und zu begründen. Nach einer Anhörung<br />
in der Gemeindeversammlung und nach der<br />
Stellungnahme der vorgenannten kirchlichen<br />
Instanzen kann der Gemeindekirchenrat<br />
letztendlich die Entwidmung beschließen.<br />
RiH: Bedeutet die Entwidmung einer Kirche<br />
zwangsläufig auch deren Veräußerung?<br />
MHT: Nein. Wir sind bemüht, das kirchliche<br />
Vermögen nicht zu schmälern, daher<br />
geben wir einem Erbbaurechtsvertrag den<br />
Vorzug, weil dann nach Ablauf des Vertrags,<br />
also nach 99 Jahren oder auch nach kürzeren<br />
Zeiträumen, das Grundstück mit dem Gebäude<br />
wieder an die Kirche zurückfällt. Die<br />
Veräußerung von Gebäuden wird jedoch <strong>im</strong>mer<br />
stärker in unsere Überlegungen miteinbezogen,<br />
denn die Baulast wird nach heutiger<br />
Erkenntnis in manchen Fällen auch in 99<br />
Jahren nicht zu tragen sein.<br />
RiH: Können Sie dazu Beispiele nennen?<br />
MHT: Ja, zwei Beispiele vielleicht, die durchaus<br />
gegensätzlich sind. Ein Beispiel ist die<br />
barocke Leopoldsburger Kirche in Milow,<br />
die aufgrund des ruinösen Zustandes und der<br />
Tatsache, dass die nahegelegene Dorfkirche<br />
aus der Renaissance der Kirchengemeinde<br />
ausreichte, schon zu DDR-Zeiten entwidmet<br />
wurde, ohne damals jedoch eine Perspektive<br />
für die weitere Nutzung zu haben. Den<br />
wirklichen Vollzug dieser Entwidmung gab<br />
es etwa vor zehn Jahren, als sich ein Investor<br />
für die gesamte recht große Liegenschaft<br />
interessierte, um eine Supermarktanlage zu<br />
errichten. Nicht nur bei uns, sondern auch<br />
vor allem bei der Denkmalpflege und dem<br />
Förderkreis Alte Kirchen läuteten sämtliche<br />
Alarmglocken. Hier konnte zumindest erreicht<br />
werden, dass die Kirche erhalten und<br />
mit zeitgenössischen Mitteln komplettiert<br />
wurde. Seitdem dient sie der Sparkasse als Filiale.<br />
Hätten wir damals die Nutzungsrichtlinie<br />
von 2006 schon gehabt, wäre es nicht<br />
dazu gekommen.<br />
Ein sehr moderates Beispiel ist die Dorfkirche<br />
in Briest, ebenso wie Milow in der Nähe<br />
von Brandenburg an der Havel gelegen. Es ist<br />
eine kleine Kirche aus dem 19. Jahrhundert,<br />
deren Kirchengemeinde aufgrund von Fusionen<br />
und der demografischen Entwicklung<br />
praktisch bei Null war. Da gab es einen privaten<br />
Interessenten, der die Kirche gekauft hat,<br />
um daraus ein Filmatelier zu machen. Es gab<br />
zudem die glückliche Fügung, dass die Mutter<br />
des Käufers noch <strong>im</strong> Ort lebte und hier<br />
aufgewachsen war. Daher konnte das Haus<br />
auch noch als Raum der Dorfgemeinschaft<br />
genutzt werden. Eine ideale Entwicklung <strong>im</strong><br />
Sinne unserer Leitlinie.<br />
Vielleicht noch ein ganz aktuelles Beispiel:<br />
Es steht gerade eine Entwidmung in Cottbus<br />
an, wo der eine oder andere sich fragt, warum<br />
da überhaupt entwidmet wird. Nach unserer<br />
Orientierungshilfe ist es wünschenswert, eine<br />
Kirche, die als evangelischer Gottesdienstort<br />
nicht mehr gebraucht wird, einem anderen<br />
christlichen Bekenntnis, einer Religionsgemeinschaft,<br />
die dem Arbeitskreis Christlicher<br />
Kirchen angehört, oder auch Jüdischen<br />
Gemeinden zur Verfügung zu stellen. Letzteres<br />
ist eine bewusste Ausnahme von der Re-