Deutsche Aufsteiger - Baker & McKenzie

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wesentlich. Der Anteil jener ohne Bildungsabschluss hat sich bei den Jüngeren im Vergleich zu Älteren mehr als halbiert. Zugleich erreichen die in Deutschland geborenen Türkischstämmigen doppelt so häufig das Abitur wie die selbst Zugewanderten, welche nur noch die Hälfte der Gesamtgruppe stellen. Bei der zweiten Generation gibt es darüber hinaus im Vergleich eine deutlich niedrige Jugenderwerbslosenquote. Die Mädchen bilden dabei keine so große Besonderheit mehr wie Körtek früher. Von den Türkischstämmigen zwischen 16 und 20 Jahren besuchen über 20 Prozent der Mädchen die gymnasiale Oberstufe. Damit überbieten sie die Jungs um ungefähr fünf Prozent. Das Fazit des Berlin-Instituts fällt nüchtern aus: „Dennoch schneidet die zweite türkische Generation im Bildungsbereich deutlich schlechter ab als die in Deutschland geborenen Mitglieder aller anderen Herkunftsgruppen.“ Sezer relativiert: „Es geht zwar nicht so steil bergauf. Angesichts der schlechten Startbedingungen kann man jedoch sagen, dass ein nachhaltiges Umdenken eingesetzt hat. Darauf kann man aufbauen.“ Auch Sahin ˛ beobachtet unter den jüngeren Jurastudenten vergleichsweise mehr Engagement. „In Frankfurt hat sich bereits herumgesprochen, dass ein türkischstämmiger Deutscher bei Baker Partner ist. Dadurch kommen oft junge türkischstämmige Jurastudenten zu mir, fragen nach Rat und versuchen die Chancen, die ihnen in Deutschland geboten werden, wahrzunehmen.“ Besonders ausgefragt wird er, wenn er nach Feierabend an Veranstaltungen der Hertie-Stiftung teilnimmt und sich der Neugier junger Migranten stellt. Die Hertie-Stiftung vergibt seit 2002 Stipendien für Migranten und trägt zur Bildungsförderung von Einwanderern bei. „Dabei geht es gar nicht so sehr darum, die jungen Menschen mit Geld zu fördern. Sie werden insbesondere mit Menschen aus der Wirtschaft wie uns von Baker zusammengebracht, um Kontakte zu knüpfen.“ Und mit Kontakten versuchen sich immer mehr türkischstämmige Akademiker in Netzwerken selbst zu versorgen. Die ‚Türkisch-Deutsche Studierende und Akademiker Plattform‘ will zum Beispiel ihren Mitgliedern durch Kontaktvermittlung und verschiedenen Projekten bei der Karriere helfen. Das Netzwerk organisiert Mentor- Mentee-Beziehungen oder veranstaltet Infoabende, zuletzt gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Die Zahl der Mitglieder ist von bundesweit 60 bei der Gründung vor einigen Jahren auf mittlerweile 700 geschnellt. Rückkehr an den Bosporus Ihre eigenen Pläne hat Özgül Koç Kahraman aus Oberhausen vor zwei Jahren verfolgt. Aus ihrer letzten Referendariatsstation bei der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul wurde ihr erster Job. Gegen Ende der Stationszeit im Sommer 2008 bot die Auslandshandelskammer der Jungjuristin die Verant- azur: An wen wird sich der Studiengang richten und wie werden Sie ihn konkret gestalten? Wolters: Der Studiengang richtet sich an alle Studierende. Es ist grundsätzlich ohne Bedeutung, ob sie türkische Wurzeln haben oder nicht. Das Programm findet komplett in istanbul statt und wird einen Schwerpunkt auf dem Privaten und Öffentlichen Wirtschaftsrecht haben. Auch wirtschaftsstrafrechtliche Aspekte werden eine Rolle spielen. insgesamt sollen 40 Studenten daran teilnehmen, davon jeweils zur Hälfte aus Deutschland und der türkei. titEl „WIR HELFEN, vERBORGENE ScHäTZE ZU HEBEN“ Professor Dr. Gereon Wolters doziert seit acht Jahren zum Strafrecht an der Ruhr-Universität Bochum, die mitten in einem der Ballungsräume türkischer Migranten liegt. Als Studiendekan ist er Ansprechpartner und Experte für die studienbezogenen Belange seiner Jurastudenten, von denen seinen Schätzungen zufolge rund zehn Prozent türkischstämmig sind. Mit azur sprach er über das Neuste seiner Fakultät: einem Masterstudiengang, der ab Wintersemester 2011/2012 in Kooperation mit der Istanbul Kültür Üniversitesi angeboten wird. Welche Motivation steht hinter dem Projekt? Wir wollen insbesondere Jurastudentinnen und -studenten mit türkischem Migrationshintergrund dabei helfen, verborgene Schätze zu heben. Dabei haben wir sowohl die exzellenten Absolventen unter ihnen als auch jene vor Augen, die nicht über die Note ‚ausreichend‘ hinauskommen. letztere sind nach meiner Einschätzung im Vergleich zu den Studierenden ohne Migrationshintergrund überdurchschnittlich vertreten. Für sie bleibt derzeit meist nur der Weg in die kleineren Anwaltskanzleien oder die Einzelanwaltschaft. Gerade sie können also ihren Marktwert durch den Studiengang steigern und näher an die Fleischtöpfe der Wirtschaft rücken. Braucht man als Türkischstämmiger für diese Zusatzqualifikation unbedingt einen Studien gang? Ja! Die in Deutschland lebenden Jurastudenten mit türkischem Migrationshintergrund sprechen ihre türkische oder kurdische Muttersprache oft nur innerhalb der Familie und des Freundeskreises. Für die in einem Rechtsberuf nötige türkische Sprachkenntnis müssen sie somit nicht nur das rechtliche und wirtschaftliche Vokabular verbessern oder gar lernen, sondern ganz allgemein ihre mündlichen und schriftlichen Fertigkeiten auf das erforderliche Niveau bringen. Weder die türkische Fachsprache noch das türkische Recht fallen einem schließlich schon mit der Herkunft zu. Ein Selbststudium würde mühsam sein und eine nur begrenzte Reichweite haben. Möchten Sie auch den Studenten entgegenkommen, die ihre Karriere in der Türkei planen? im Vordergrund steht der Gedanke der Zusatzqualifikation für ein Berufsfeld in Deutschland. ich habe auch nicht den Eindruck, dass unsere in zweiter oder dritter Generation in Deutschland lebenden Studierenden mit türkischem Migrationshintergrund, die großteils deutsche Staatsbürger sind, eine Karriere in der türkei planen. Wenn wir aber Einzelnen zu einer attraktiven tätigkeit in der türkei verhelfen können, ist das doch eine wunderbare Sache. Das deutsche juristische Staatsexamen ist weltweit als Spitzenausbildung anerkannt – insbesondere in der türkei. Ein Exportschlager kann es aber nur werden, wenn der Studierende auch berufsspezifische Qualifikationen des fremden Rechtskreises erwirbt. Auch in der türkei wird schließlich ein hoher juristischer Anspruch gestellt. Diese zusatzqualifizierten Juristen würden wiederum in Deutschland fehlen … … was auf der einen Seite sehr schade wäre. Natürlich brauchen wir in Deutschland für verantwortungsvolle Positionen auch gut ausgebildete Migranten − insbesondere mit türkischen Wurzeln. Jeder in Deutschland ausgebildete Jurist, der seine berufliche Zukunft in der türkei findet, wird andererseits zum wichtigen menschlichen und wirtschaftlichen Brückenschlag zwischen den ländern beitragen – also auch uns ‚gewinnen‘ lassen. Da der Studiengang zudem nicht nur türkisch verwurzelten Studenten offensteht, kann er den Austausch auch in die andere Richtung anstoßen und das gegenseitige Verständnis nachhaltig verbessern. Das Gespräch führte Parissa Kerkhoff. Karrieremagazin für junge Juristen azur 02 10 23 Foto: Ruhr Universität Bochum

wortung der Rechtsabteilung an – Koç Kahraman schlug zu. Für ihre abschließende mündliche Prüfung in der letzten Augustwoche flog sie noch einmal an ihren Studienort Düsseldorf zurück. Am Mittwoch fand die erfolgreiche Prüfung statt, am Donnerstag organisierten ihre Schwestern ihr eine Überraschungsabschiedsfeier – und am Montag saß sie bereits in der geschäftigen Bosporus-Metropole an ihrem Schreibtisch. In dem Land, das ihre Eltern für Jobs in Deutschland verließen. „Das war eine tolle Gelegenheit. In Deutschland hätte ich bestimmt einen Posten gefunden, aber sicher nicht gleich die Leitung einer Rechtsabteilung zum Berufseinstieg“, erzählt die heute 28-Jährige. Dafür sei die Konkurrenz in Deutschland zu hoch, wenn man wie sie mit zwei befriedigend bestandenen Examen die Prädikatsnote knapp verpasst hat. Doch ihre potenziellen Chancen schätzt sie als gut ein. Hatte sie doch im Referendariat in der angesehenen Sozietät Orth Kluth Kanzleiluft geschnuppert, neben dem Referendariat in der Rechtsabteilung der Bäckereikette Kamps gejobbt und dort ihre Rechtsanwaltsstation verbracht. Eine Ausnahme ist Koç Kahraman nicht. Die Mehrheit der türkischstämmigen Studenten und Akademiker wollen ihre Karriere nicht wie Sahin ˛ oder Körtek in Deutschland, sondern im Heimatland ihrer Eltern fortsetzen. Das geht zumindest aus der neusten Studie von Futureorg hervor. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes untermauern den Trend. 2009 haben rund 40.000 Menschen Deutschland in Richtung Türkei verlassen – 10.000 Menschen weniger wählten die umgekehrte Route. Heimatgefühl? Als wesentliche Motive der befragten Akademiker ermittelte Futureorg „fehlendes Heimatgefühl“ und „berufliche Gründe“. Ausschlaggebend findet Futureorg-Gründer Sezer jedoch vor allem den Wandel des Landes: „Die Türkei ist ein attraktives Auswanderungsziel für Akademiker geworden. Die politische Lage hat sich im Vergleich zu den konfliktreichen 1990ern stabilisiert, statt einer Wirtschaftskrise gibt es nun einen Aufschwung und eine Liberalisierung des Marktes.“ Gleichzeitig komme aber das Bildungssystem nicht hinterher und produziere nicht genügend Akademiker, die nun händeringend gesucht werden. Juristen sind davon nicht ausgenommen, trotz des stark regulierten Standesrechts in der Türkei. So brauchen ausländische Kanzleien einen Kooperationspartner vor Ort, um ein Büro eröffnen zu können. In Deutschland ausgebildete Juristen können jedoch wie Koç Kahraman auch ohne türkische Anwaltszulassung problemlos in Organisationen oder Unternehmen arbeiten. Der Zugang zum türkischen Recht dürfte dabei nicht schwerfallen, schließlich basiert das Gesetzbuch auf dem deutschen und schweizerischen Recht. Genau an der Schnittstelle zwischen deutschem und türkischem Recht berät nun Koç Kahraman. Deutsche und türkische Unternehmen unterstützt sie bei Import- und Exportfragen, Zoll- und Verwaltungsthemen oder auch Visaangelegenheiten. Darüber hinaus leitet sie Seminare und übernimmt regelmäßige Veröffentlichungen. Zur Seite stehen ihr eine Assistentin und regelmäßig einer der Referendare, die bei ihr die Auslandsstation verbringen. Vor allem bei türkischstämmigen Referendaren aus Deutschland ist die Istanbuler Auslandshandelskammer beliebt. Der Kulturschock Die Arbeit in der Heimat der Eltern kann sich jedoch auch als befremdend herausstellen. So erlebte es Koç Kahraman selbst. „Am Anfang fiel es mir nicht so sehr auf, vor allem weil es bei der Auslandshandelskammer deutsche Strukturen und Kollegen gibt. Aber sprachlich wurde es teilweise schwierig“, berichtet sie. „Mir fehlten die Vokabeln aus dem Wirtschaftsrecht und auch aus dem Büroleben. Zum Beispiel fiel mir hier erst auf, dass ich die Übersetzung für ‚Locher‘ nicht kenne. Im Gespräch unter Freunden habe ich es ja nicht gebraucht.“ Noch bis heute lernt sie neue Vokabeln und muss sich in die Schriftsprache einüben. „Erst mit der Zeit merkte ich, dass ich ins kalte Wasser gesprungen bin.“ Und es gab noch mehr kommunikative Tücken. Es sei etwa ganz normal, sich im Geschäftsleben gegenseitig ,Schätzchen‘ zu nennen, ganz gleich, ob unter Frauen oder Männern. „Das finde ich schon seltsam, denn so etwas gehört nicht in eine Geschäftskorres pondenz. Beamte melden sich dagegen oft nur mit ‚Ja?!‘ am Telefon und fangen schnell an, einen unaufgefordert zu duzen. Auch da versuche ich immer wieder Distanz zu wahren, weil ich das Verhalten als unpassend empfinde.“ Ihre Prägung löst auch Gegenreaktionen aus. So bleibt sie vom ‚Deutschländer‘-Phänomen nicht verschont. „‚Deutschländer‘ werde ich schon mal genannt, wenn ich auf Ordnung bestehe oder wenn jemand nur erfährt, dass ich erst vor Kurzem aus Deutschland kam.“ Es sei als Scherz gemeint, doch Koç Kahraman wehrt sich gegen die Ausgrenzung: „Wenn es zu weit geht, sage ich meine Meinung.“ Unter anderem zur Vorbereitung auf einen juristischen Job in der Türkei bieten verschiedene Uni - versi täten gemeinsam mit Kooperationspartnern deutsch-türkische Jura-Masterstudiengänge an (5Gemeinsame Sache). Auch die Ruhr-Universität Bochum will einen entsprechenden Studiengang ab dem Wintersemester 2011/2012 anbieten (5Interview „Wir helfen, verborgene Schätze zu heben“, Professor Gereon Wolters, Seite 23). Und er soll nicht nur der Zusatzqualifikation dienen – sondern auch den Austausch und das Verständnis füreinander auf beiden Seiten anstoßen. F titEl Ihre Meinung zum Thema? Noch Fragen offen? Schreiben Sie unserer Autorin parissa.kerkhoff@juve.de Karrieremagazin für junge Juristen azur 02 10 25

wesentlich. Der Anteil jener ohne Bildungsabschluss hat<br />

sich bei den Jüngeren im Vergleich zu Älteren mehr als<br />

halbiert. Zugleich erreichen die in Deutschland geborenen<br />

Türkischstämmigen doppelt so häufig das Abitur<br />

wie die selbst Zugewanderten, welche nur noch die Hälfte<br />

der Gesamtgruppe stellen. Bei der zweiten Generation<br />

gibt es darüber hinaus im Vergleich eine deutlich niedrige<br />

Jugenderwerbslosenquote.<br />

Die Mädchen bilden dabei keine so große Besonderheit<br />

mehr wie Körtek früher. Von den Türkischstämmigen<br />

zwischen 16 und 20 Jahren besuchen über 20 Prozent<br />

der Mädchen die gymnasiale Oberstufe. Damit überbieten<br />

sie die Jungs um ungefähr fünf Prozent. Das Fazit des<br />

Berlin-Instituts fällt nüchtern aus: „Dennoch schneidet<br />

die zweite türkische Generation im Bildungsbereich<br />

deutlich schlechter ab als die in Deutschland geborenen<br />

Mitglieder aller anderen Herkunftsgruppen.“ Sezer relativiert:<br />

„Es geht zwar nicht so steil bergauf. Angesichts der<br />

schlechten Startbedingungen kann man jedoch sagen,<br />

dass ein nachhaltiges Umdenken eingesetzt hat. Darauf<br />

kann man aufbauen.“<br />

Auch Sahin ˛<br />

beobachtet unter den jüngeren Jurastudenten<br />

vergleichsweise mehr Engagement. „In<br />

Frankfurt hat sich bereits herumgesprochen, dass ein<br />

türkischstämmiger <strong>Deutsche</strong>r bei <strong>Baker</strong> Partner ist. Dadurch<br />

kommen oft junge türkischstämmige Jurastudenten<br />

zu mir, fragen nach Rat und versuchen die Chancen,<br />

die ihnen in Deutschland geboten werden, wahrzunehmen.“<br />

Besonders ausgefragt wird er, wenn er nach<br />

Feierabend an Veranstaltungen der Hertie-Stiftung<br />

teilnimmt und sich der Neugier junger Migranten stellt.<br />

Die Hertie-Stiftung vergibt seit 2002 Stipendien für<br />

Migranten und trägt zur Bildungsförderung von Einwanderern<br />

bei. „Dabei geht es gar nicht so sehr darum, die<br />

jungen Menschen mit Geld zu fördern. Sie werden insbesondere<br />

mit Menschen aus der Wirtschaft wie uns von<br />

<strong>Baker</strong> zusammengebracht, um Kontakte zu knüpfen.“<br />

Und mit Kontakten versuchen sich immer mehr türkischstämmige<br />

Akademiker in Netzwerken selbst zu versorgen.<br />

Die ‚Türkisch-<strong>Deutsche</strong> Studierende und Akademiker<br />

Plattform‘ will zum Beispiel ihren Mitgliedern<br />

durch Kontaktvermittlung und verschiedenen Projekten<br />

bei der Karriere helfen. Das Netzwerk organisiert Mentor-<br />

Mentee-Beziehungen oder veranstaltet Infoabende, zuletzt<br />

gemeinsam mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft<br />

KPMG. Die Zahl der Mitglieder ist von bundesweit<br />

60 bei der Gründung vor einigen Jahren auf mittlerweile<br />

700 geschnellt.<br />

Rückkehr an den Bosporus<br />

Ihre eigenen Pläne hat Özgül Koç Kahraman aus<br />

Oberhausen vor zwei Jahren verfolgt. Aus ihrer letzten<br />

Referendariatsstation bei der Deutsch-Türkischen Industrie-<br />

und Handelskammer in Istanbul wurde ihr erster<br />

Job. Gegen Ende der Stationszeit im Sommer 2008 bot<br />

die Auslandshandelskammer der Jungjuristin die Verant-<br />

azur: An wen wird sich der Studiengang<br />

richten und wie werden<br />

Sie ihn konkret gestalten?<br />

Wolters: Der Studiengang richtet<br />

sich an alle Studierende. Es ist<br />

grundsätzlich ohne Bedeutung, ob<br />

sie türkische Wurzeln haben oder<br />

nicht. Das Programm findet komplett<br />

in istanbul statt und wird einen<br />

Schwerpunkt auf dem Privaten<br />

und Öffentlichen Wirtschaftsrecht<br />

haben. Auch wirtschaftsstrafrechtliche<br />

Aspekte werden eine Rolle<br />

spielen. insgesamt sollen 40 Studenten<br />

daran teilnehmen, davon<br />

jeweils zur Hälfte aus Deutschland<br />

und der türkei.<br />

titEl<br />

„WIR HELFEN, vERBORGENE ScHäTZE ZU HEBEN“<br />

Professor Dr. Gereon Wolters doziert seit acht Jahren zum Strafrecht an der Ruhr-Universität<br />

Bochum, die mitten in einem der Ballungsräume türkischer Migranten liegt. Als Studiendekan<br />

ist er Ansprechpartner und Experte für die studienbezogenen Belange seiner Jurastudenten,<br />

von denen seinen Schätzungen zufolge rund zehn Prozent türkischstämmig sind. Mit azur<br />

sprach er über das Neuste seiner Fakultät: einem Masterstudiengang, der ab Wintersemester<br />

2011/2012 in Kooperation mit der Istanbul Kültür Üniversitesi angeboten wird.<br />

Welche Motivation steht hinter dem Projekt?<br />

Wir wollen insbesondere Jurastudentinnen und -studenten mit türkischem Migrationshintergrund<br />

dabei helfen, verborgene Schätze zu heben. Dabei haben wir sowohl die exzellenten Absolventen<br />

unter ihnen als auch jene vor Augen, die nicht über die Note ‚ausreichend‘ hinauskommen.<br />

letztere sind nach meiner Einschätzung im Vergleich zu den Studierenden ohne Migrationshintergrund<br />

überdurchschnittlich vertreten. Für sie bleibt derzeit meist nur der Weg in die kleineren<br />

Anwaltskanzleien oder die Einzelanwaltschaft. Gerade sie können also ihren Marktwert durch den<br />

Studiengang steigern und näher an die Fleischtöpfe der Wirtschaft rücken.<br />

Braucht man als Türkischstämmiger für diese Zusatzqualifikation unbedingt einen<br />

Studien gang?<br />

Ja! Die in Deutschland lebenden Jurastudenten mit türkischem Migrationshintergrund sprechen<br />

ihre türkische oder kurdische Muttersprache oft nur innerhalb der Familie und des Freundeskreises.<br />

Für die in einem Rechtsberuf nötige türkische Sprachkenntnis müssen sie somit nicht nur das<br />

rechtliche und wirtschaftliche Vokabular verbessern oder gar lernen, sondern ganz allgemein ihre<br />

mündlichen und schriftlichen Fertigkeiten auf das erforderliche Niveau bringen. Weder die türkische<br />

Fachsprache noch das türkische Recht fallen einem schließlich schon mit der Herkunft zu. Ein<br />

Selbststudium würde mühsam sein und eine nur begrenzte Reichweite haben.<br />

Möchten Sie auch den Studenten entgegenkommen, die ihre Karriere in der Türkei planen?<br />

im Vordergrund steht der Gedanke der Zusatzqualifikation für ein Berufsfeld in Deutschland. ich<br />

habe auch nicht den Eindruck, dass unsere in zweiter oder dritter Generation in Deutschland lebenden<br />

Studierenden mit türkischem Migrationshintergrund, die großteils deutsche Staatsbürger<br />

sind, eine Karriere in der türkei planen. Wenn wir aber Einzelnen zu einer attraktiven tätigkeit in<br />

der türkei verhelfen können, ist das doch eine wunderbare Sache. Das deutsche juristische Staatsexamen<br />

ist weltweit als Spitzenausbildung anerkannt – insbesondere in der türkei. Ein Exportschlager<br />

kann es aber nur werden, wenn der Studierende auch berufsspezifische Qualifikationen<br />

des fremden Rechtskreises erwirbt. Auch in der türkei wird schließlich ein hoher juristischer Anspruch<br />

gestellt.<br />

Diese zusatzqualifizierten Juristen würden wiederum in Deutschland fehlen …<br />

… was auf der einen Seite sehr schade wäre. Natürlich brauchen wir in Deutschland für verantwortungsvolle<br />

Positionen auch gut ausgebildete Migranten − insbesondere mit türkischen Wurzeln.<br />

Jeder in Deutschland ausgebildete Jurist, der seine berufliche Zukunft in der türkei findet,<br />

wird andererseits zum wichtigen menschlichen und wirtschaftlichen Brückenschlag zwischen<br />

den ländern beitragen – also auch uns ‚gewinnen‘ lassen. Da der Studiengang zudem nicht nur<br />

türkisch verwurzelten Studenten offensteht, kann er den Austausch auch in die andere Richtung<br />

anstoßen und das gegenseitige Verständnis nachhaltig verbessern.<br />

Das Gespräch führte Parissa Kerkhoff.<br />

Karrieremagazin für junge Juristen azur 02 10 23<br />

Foto: Ruhr Universität Bochum

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