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Von der „Klassischen Rückenschule“ zur „Neuen ... - KddR

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Leitthema<strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>„Klassischen</strong> <strong>Rückenschule“</strong> <strong>zur</strong><strong>„Neuen</strong> <strong>Rückenschule“</strong>Ulrich Kuhnt1.0 Einleitung„Wer aufhört, besser werden zu wollen, hat aufgehört,gut zu sein!“ Unter diesem einfachen Mottosind die Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Rückenschule zu betrachten.Neue Erkenntnisse über die Chronifizierungvon Rückenschmerzen machen eine Überarbeitung<strong>der</strong> vorhandenen Rückenschulprogrammenotwendig. Es ist ein normaler Vorgang, dass sichSchulungsinhalte entsprechend <strong>der</strong> wissenschaftlichenErkenntnisse und <strong>der</strong> Erfahrungen aus <strong>der</strong>Praxis verän<strong>der</strong>n und weiter entwickeln. Es ist aberauch verständlich, dass Kursleiter an bewährtenProgrammen festhalten und neuen Ansätzen gegenüberskeptisch eingestellt sind. Alte Wege zu verlassenund neue auszuprobieren fällt erfahrungsgemäßden meisten Personen nicht leicht.Beim Verlassen alter Wege entstehen häufig Zweifelan <strong>der</strong> bisherigen Arbeit. Es stellen sich die Fragen:“War meine bisherige Tätigkeit denn so falsch?Habe ich meinen Teilnehmern eher geschadet alsgeholfen?“ Natürlich können Verän<strong>der</strong>ungen vonSelbstzweifel begleitet sein. Allerdings sollte sich je<strong>der</strong>Kursleiter vor pauschalen Bewertungen hüten.Der Rückenschule gebührt im Rahmen <strong>der</strong> Präventionund Rehabilitation sicherlich - auch unter historischenAspekten - ein ganz beson<strong>der</strong>er Platz. In den70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>tssind zahlreiche Gruppentrainingsprogramme z. B.<strong>zur</strong> Gewichtsreduktion, <strong>zur</strong> Raucherentwöhnungund <strong>zur</strong> Stressbewältigung entstanden, evaluiertund im Rahmen <strong>der</strong> Gesundheitsför<strong>der</strong>ung vonden Krankenkassen finanziert worden. Die Rückenschuleals ein Instrument <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rückengesundheitund <strong>zur</strong> Prävention von Rückenerkrankungenist eines davon. In den letzten 20Jahren ist ein flächendeckendes Angebot an Rückenschulenentstanden und die Rückenschule hathohen Bekanntheitsgrad erworben. Ihr Verdienst istsicherlich, dass sie das damals häufig vorherrschende„Fango-Massage-Denken“ bei Patienten, Ärztenund Physiotherapeuten in Frage gestellt hat undmit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung „Du sollst Dich bewegen!“ an dieEigenverantwortung und die Aktivität <strong>der</strong> Rückenschulteilnehmerappelliert hat.Obwohl die Studien <strong>zur</strong> Wirksamkeit <strong>der</strong> „klassischen“Rückenschule wi<strong>der</strong>sprüchlich sind (FLO-THOW 2003), ist die <strong>zur</strong>ückliegende Arbeit <strong>der</strong> Rückenschullehrernicht kategorisch als schlecht undunwirksam zu beurteilen. Auch die pauschale Aussage,in <strong>der</strong> Rückenschule würden die Teilnehmergeschont und verängstigt, ist unsinnig.Es gibt allerdings Schwachstellen, die in Zukunftstärker bearbeitet werden sollten. Dieses sind guteGründe, die „Klassische <strong>Rückenschule“</strong> zu optimierenund zusätzliche Inhalte in <strong>der</strong> <strong>„Neuen</strong> <strong>Rückenschule“</strong>zu behandeln. Der Vermeidung <strong>der</strong>Chronifizierung von Rückenschmerzen wurde in<strong>der</strong> Vergangenheit zu wenig Rechnung getragen.Ebenso berücksichtigen die alten Rückenschulkonzepteden bio-psycho-sozialen Ansatz nicht ausreichend.Aus diesen Gründen ergibt sich die Notwendigkeitfür Verän<strong>der</strong>ungen und Ergänzungen <strong>der</strong>Schulungsinhalte.2.0 Neue Erkenntnisse <strong>zur</strong> Prävention vonRückenschmerzen2.1 Psychische und soziale Probleme leistenRückenschmerzen VorschubIn Anlehnung an den zweiten „Gesundheitsberichtfür Deutschland“ (Robert Koch-Institut 2006) zeigenviele Untersuchungen, dass nicht alle Bevölkerungsgruppengleichermaßen von Rückenschmerzenbetroffen sind. So haben Angehörige unterersozialer Schichten (gemessen insbeson<strong>der</strong>e an <strong>der</strong>Bildung, aber auch an <strong>der</strong> beruflichen Stellung undam Einkommen) häufiger Rückenschmerzen alsAngehörige höherer Schichten. Zudem stehen Rückenschmerzenin einem wechselseitigen Zusammenhangmit Depression und an<strong>der</strong>en Indikatoren<strong>der</strong> psychischen Gesundheit. Im „TelefonischenGesundheitsbericht“ (2003) gaben Personen mitHauptschul- o<strong>der</strong> ohne Schulabschluss doppelt sohäufig chronische Rückenschmerzen an wie Personenmit Abitur. Gleichermaßen lag bei Befragtenmit Depressionen die Rate an Rückenschmerzendoppelt so hoch wie bei Personen ohne Depression.Weitere Risikofaktoren sind Arbeitsbelastungen,Arbeitsunzufriedenheit und Arbeitslosigkeit sowie152 • Die Säule 16, 4 (2006)


Leitthemaund dadurch Schmerzen verursacht o<strong>der</strong> verstärktwerden. Entscheidend für den Umgang mit Schmerzenist stets die innere Überzeugung, dass Rückenschmerzenselbst beeinflusst werden können.Fakten zum Rückenschmerz im Überblick - Informationenfür KursteilnehmerRückenschmerzen sind weit verbreitet,aber...in den meisten Fällen haben sie eine harmlose Ursache,z. B. Rückenschmerzen nach Überlastung o<strong>der</strong>ungewohnter Belastung.Abb. 1: Stabilisationsübung im Einbeinstand:Ein Partner drückt mit einem Luftballon gegen die Schulter<strong>der</strong> Person im Einbeinstand.Lebensstilfaktoren wie Rauchen und Übergewicht.Deren Zusammenhang mit Rückenschmerzen istwahrscheinlich nur indirekt und vielmehr Ausdruckeines generell rückenbelastenden Gesundheitsverhaltens.In den meisten Fällen (ca. 80%) lassen sichRückenschmerzen nicht auf eine spezifische Krankheit<strong>zur</strong>ückführen; man spricht deshalb von „unspezifischenRückenschmerzen“.Wegen <strong>der</strong> Schwierigkeit, die Ursachen <strong>der</strong> Rückenschmerzenfestzustellen, warnen die Leitlinien fürÄrzte (DEGAM 2003) bei unkomplizierten Verläufen<strong>der</strong> Kreuzschmerzen vor übertriebener Diagnostik.Statt dessen soll <strong>der</strong> Schwerpunkt darauf gelegtwerden, die wenigen abwendbar gefährlichen Verläufe,die sofortiger Intervention o<strong>der</strong> weiterer Diagnostikbedürfen, zu erkennen und umgehend zubehandeln.Rückenschmerzen sind lästig, aber...sie gehen in vielen Fällen ohne beson<strong>der</strong>e Behandlungvon alleine <strong>zur</strong>ück, zumindest soweit, dass diebisherigen Aktivitäten wie<strong>der</strong> ausgeführt werdenkönnen.Verschleißerscheinungen können eventuellBeschwerden verursachen, aber...in <strong>der</strong> Regel sind degenerative Verän<strong>der</strong>ungen (Gelenkarthrosen,Abnutzung <strong>der</strong> Wirbelsäulen-Gelenkeo<strong>der</strong> Bandscheiben) natürliche Folgen des Alterungsprozessesund sind so normal wie graue Haare.Sie haben meistens keine schmerzauslösende Bedeutung.Bandscheibenvorfälle können Rückenschmerzenauslösen, aber...nur ein kleiner Prozentsatz <strong>der</strong> Vorfälle verursachttatsächlich Schmerzen. Auch Patienten mit einemschmerzhaften Bandscheibenvorfall haben ebenfallseine gute Heilungsaussicht ohne Operation.2.2 Die Einstellung zum Rückenschmerz istwichtigÜbertriebenes und unangemessenes Dramatisieren<strong>der</strong> Beschwerden und/o<strong>der</strong> Angst vor Schmerzenkönnen die Genesung beeinträchtigen. So ist gelegentlicherRückenschmerz kein Drama und verschwindetmeist von allein. Es handelt sich dabeium ein Warnsignal des Körpers, eine Auffor<strong>der</strong>ung,das eigene Wohlbefinden wie<strong>der</strong> ins Gleichgewichtzu bringen. Auf keinen Fall soll <strong>der</strong> Schmerz <strong>zur</strong> Vermeidung<strong>der</strong> körperlichen Aktivität führen. DiesesVerhalten wird „Furcht-Vermeidungsverhalten“ (WAD-DEL et al. 1993) genannt. Viele Personen mit Rückenschmerzensind davon überzeugt, dass Aktivität,Belastung und Bewegung dem Rücken schadenAbb. 2: Rückenentspannungsübung mit einem Partner:Eine Person legt ihre Beine in <strong>der</strong> Stufenlagerung auf einenPezziball. Der sitzende Partner pendelt die Beine wenigeZentimeter <strong>zur</strong> Seite und zieht dabei sanft an den Füßen.Die Säule 16, 4 (2006) • 153


LeitthemaEs gibt Erkrankungen <strong>der</strong> Wirbelsäule,aber...ernsthafte Störungen, wie z. B. Entzündungen, Infektioneno<strong>der</strong> Tumore sind sehr selten und könnenbei einer medizinischen Untersuchung diagnostiziertwerden.Röntgenbil<strong>der</strong> geben zwar Hinweise überden strukturellen Zustand <strong>der</strong> Wirbelsäule,aber...die körperliche Untersuchung <strong>zur</strong> funktionellen Beurteilung<strong>der</strong> Wirbelsäule ist aussagekräftiger als <strong>der</strong>unkritische Einsatz von bildgebenden Verfahren.Die Auswertung dieser bildgebenden Verfahren solltedeshalb stets unter Berücksichtigung <strong>der</strong> körperlichenUntersuchung erfolgen.Kurzfristige Schonung bei Rückenschmerzenkann nötig sein, aber...Bewegungsmangel o<strong>der</strong> langanhaltende Bettruhesind nicht geeignet, Rückenschmerzen zu beseitigen.Sie können sogar zum weiteren Bestehen <strong>der</strong>Schmerzen beitragen.Akute Rückenschmerzen können sehrschmerzhaft sein, aber...auch in diesen Fällen sollte man nicht länger als eino<strong>der</strong> zwei Tage im Bett bleiben.Ein Hohlkreuz, ein Rundrücken o<strong>der</strong> eineSkoliose sind zwar nicht optimal, aber...keine alleinige Erklärung für Rückenschmerzen.Ein großer Teil dieser Fehlhaltungen entsteht durchHaltungsschwächen und einseitige, monotone (Arbeits-)Haltungen.Gelegentliche Rückenschmerzen gehörenzum Leben dazu, aber...die Schmerzen dürfen nicht chronisch werden. DieChronifizierung wird am besten durch eine angemesseneEinstellung zum Schmerz und durch dasFortführen <strong>der</strong> normalen körperlichen Aktivitätvermieden (KLÜPPEL, KUHNT 2006).2.3 Psycho-soziale Aspekte spielen bei <strong>der</strong>Chronifizierung <strong>der</strong> Rückenschmerzen eineSchlüsselrolleJede fünfte Frau und je<strong>der</strong> siebte Mann leidet inDeutschland unter chronischen Rückenschmerzen.Ein Großteil <strong>der</strong> durch Rückenschmerzen verursachtenKosten kann auf einen kleinen Prozentsatzvon chronisch Betroffenen <strong>zur</strong>ückgeführt werden(Robert Koch-Institut 2006). Der Vermeidung <strong>der</strong>Chronifizierung von Rückenschmerzen muss schonallein aus volkswirtschaftlichem Interesse die größteAufmerksamkeit geschenkt werden.Für das Verständnis <strong>der</strong> Chronifizierungist es wichtig, zwischen akutenund chronischen Schmerzen zu unterscheiden.Akute Rückenschmerzensind Schmerzepisoden von wenigerals 12 Wochen Dauer und in<strong>der</strong> Regel an erkennbare Auslöser (z.B. Verletzung, Entzündung) gekoppelt.Chronische Rückenschmerzensind Schmerzen, die seit 12 Wochenund länger bestehen. Beim chronischenSchmerz liegt eine engeKopplung mit eindeutig bestimmbaren,schädigenden somatischenFaktoren häufig nicht vor. (DEGAM2003, KRÖNER-HERWIG 2003).Abb. 3: Geschicklichkeitsübung mit einem Pezziball:Zwei Personen fixieren im Stand mit ihrem Rücken einen Pezziball. Anschließendversuchen die Partner sichum ihre Körperlängsachse zu drehen,ohne dabei den Ball zu verlieren.Während die Ursachen für akuteRückenschmerzen unklar und sehrunterschiedlich sein können, soist <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Chronifizierungwissenschaftlich besser belegt (HA-SENBRING 2001). In ausführlicherWeise haben sich KENDALL et al.(1997) mit psycho-sozialen Risikofaktorenauseinan<strong>der</strong>gesetzt, densog. „Yellow flags“. Die Kriterienumfassen empirisch gewonnene154 • Die Säule 16, 4 (2006)


LeitthemaAbb. 4: Stabilisationsübung mit Therabän<strong>der</strong>n auf einem Pezziball:Zwei Personen sitzen sich auf Pezzibällen gegenüber. Sie ziehen gleichzeitig zwei Therabän<strong>der</strong> mit den Händen undein Theraband mit einem Bein in die Länge.Merkmale, die sich als negatives Kriterium für einenlangwierigen Krankheitsverlauf erwiesen haben. Diefolgenden Hinweise sind von den „Yellow flags“ abgeleitet.Tipps und Hilfen <strong>zur</strong> Vermeidung chronischer Rückenschmerzen–Informationen für Kursteilnehmer• Seien Sie davon überzeugt, dass körperliche AktivitätenIhnen nicht schaden.• Bedenken Sie, dass Schmerzen vor <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufnahmevon Aktivitäten nicht vollständig verschwundensein müssen.• Bewerten Sie den Schmerz und seine Folgen nichtdramatisch.• Seien Sie davon überzeugt, dass Sie den Schmerzkontrollieren können.• Haben Sie keine extreme Angst vor den Schmerzenund <strong>der</strong>en Folgen.• Vermeiden Sie Gedanken <strong>der</strong> Hilflosigkeit, Ohnmachto<strong>der</strong> Resignation.• Schonen Sie sich nicht zu sehr und ziehen Siesich nicht von Ihren normalen Alltagsaktivitäten<strong>zur</strong>ück.• Sorgen Sie für einen guten Schlaf.• Lassen Sie sich von Ihren Familienangehörigeno<strong>der</strong> Freunden nicht zu sehr „hegen und pflegen“.• Versuchen Sie gravierende partnerschaftliche/familiäreKonflikte zu lösen.• Seien Sie davon überzeugt, dass berufliche TätigkeitIhrem Körper nicht schadet.• Bemühen Sie sich um hohe Arbeitszufriedenheit.• Gehen Sie zu Ärzten und Therapeuten, die denaktiven Umgang mit Ihrem Rücken unterstützen.• Lassen Sie sich möglichst wenig durch unterschiedlicheDiagnosen und Therapie-Empfehlungenverunsichern.• Berücksichtigen Sie bei <strong>der</strong> Behandlung Ihrer Rückenschmerzen,dass Sie nicht nur über körperliche,son<strong>der</strong>n auch über psychische Einflussmöglichkeitenverfügen(KLÜPPEL, KUHNT 2006).2.4 Wirksamkeit von multimodalen AnsätzenDie vorangegangenen Informationen zeigen, dassbei <strong>der</strong> Prävention von Rückenschmerzen nur multimodale(=bio-psycho-soziale) Konzepte erfolgreichsein können, denn nur sie berücksichtigen gleichberechtigtkörperliche und psycho-soziale Aspekteeines Menschen. Das neue HTA (Health-Technology-Assessment)-Gutachten(LÜHMANN: „Präventionrezidivieren<strong>der</strong> Rückenschmerzen – Präventionsmaßnahmenin <strong>der</strong> Arbeitsplatzumgebung“,2006) bestätigt diese Aussage. Danach sollen multidisziplinäreProgramme, die neben Training undInformation verhaltenstherapeutische Elemente <strong>zur</strong>Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Krankheitseinstellung enthalten, imArbeitsplatzumfeld positive Effekte auf zukünftigeFehlzeiten vom Arbeitsplatz haben.3.0 Kennzeichen <strong>der</strong> <strong>„Neuen</strong> <strong>Rückenschule“</strong>3.1 Zugang zu weiteren ZielgruppenDer <strong>„Klassischen</strong> <strong>Rückenschule“</strong> wurde in <strong>der</strong> Vergangenheitvorgeworfen, dass sie Personen mitRisikofaktoren für den Rückenschmerz nur unbe-Die Säule 16, 4 (2006) • 155


Leitthema3.2 Ergänzende Ziele und Inhalte <strong>der</strong> präventivenRückenschuleAn dieser Stelle werden nur diejenigen Ziele undInhalte behandelt, die entwe<strong>der</strong> zusätzlich in dasCurriculum <strong>der</strong> <strong>KddR</strong> aufgenommen wurden o<strong>der</strong>eine größere Gewichtung erhalten haben.Abb. 5: Therabandübung auf Pezzibällen in <strong>der</strong> Vierergruppe:Vier Personen sitzen im Viereck auf Pezzibällen.Die gegenüber sitzenden Partner ziehen die Therabän<strong>der</strong>mit ihren Armen abwechselnd nach oben und nachunten.friedigend erreichen würde. Im Rahmen eines Kooperationsprojekteszwischen <strong>der</strong> orthopädischenUniversitätsklinik (Heidelberg) und dem RobertKoch-Institut (Berlin) wurden erstmalig repräsentativeTeilnahmeraten für Rückenschulangebote ermitteltund hiermit das Erreichen von Zielgruppenbeurteilt. Die Ergebnisse zeigten, dass Rückenschulkurseüberwiegend von Frauen, Mittelschichtangehörigen,Sportlern sowie von Personen mit gesundenErnährungs- und Bewegungsmustern besuchtwerden. Somit erreicht dieses Präventionsprogrammdie größte Akzeptanz bei den Gruppen mit demgeringsten Risiko (SCHNEIDER 2004). Daher solltesich die „Neue <strong>Rückenschule“</strong> zusätzlich zu dembisherigen Personenkreis auch weiteren Zielgruppen- insbeson<strong>der</strong>e erwachsene Personen mit einemüberdurchschnittlich hohen Risiko, Rückenschmerzenzu entwickeln (LÜHMANN 2003) - zuwenden.Bei diesen Personen soll das Auftreten von (neuen)Schmerzepisoden und <strong>der</strong> Übergang von leichtenBeschwerdebil<strong>der</strong>n zu beeinträchtigen<strong>der</strong>en Formenverhin<strong>der</strong>t werden. Nicht <strong>zur</strong> Zielgruppe gehörenPersonen mit bestehenden, höhergradigen Rückenschmerzen,bei denen eine Indikation für eine ärztlicheBehandlung besteht.Das Erreichen weiterer Zielgruppen wird durch denEinsatz eines Indikationsbogens und des Trennschärfenpapiers<strong>der</strong> <strong>KddR</strong> unterstützt. Darüber hinausmüssen verstärkt erfolgversprechende Zugangswegezu <strong>der</strong> Zielgruppe gesucht werden.Es wird davon ausgegangen, dass es die primär-präventiveRückenschule für Erwachsene nicht mehrgibt, da fast jede Person im Laufe des Lebens einmalRückenschmerzen bekommt.- Stärkung <strong>der</strong> physischen GesundheitsressourcenIn <strong>der</strong> <strong>„Neuen</strong> <strong>Rückenschule“</strong> gewinnen die Stabilisationsfähigkeit<strong>der</strong> Rumpfmuskulatur, die koordinativenFähigkeiten und die Steigerung <strong>der</strong> allgemeinenAusdauerleistungsfähigkeit an Bedeutung.So gehören das Propriozeptive Training (STREI-CHER 2004) und die Ausdauersportarten Walking/Nordic Walking zum Standardprogramm einerRückenschule. Die Inhalte Körperwahrnehmungund Körpererfahrung sind basisbildende Elemente<strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rückengesundheit. Beson<strong>der</strong>eBeachtung findet dabei die Feldenkrais-Methodeund/o<strong>der</strong> die Eutonie.- Verbesserung <strong>der</strong> psycho-sozialen GesundheitsressourcenIn Anlehnung an den bio-psycho-sozialen Ansatzstrebt die „Neue <strong>Rückenschule“</strong> die Stärkung emotionaler,motivationaler, kognitiver und sozialerRessourcen an. Dazu zählt <strong>der</strong> Aufbau von Hintergrundwissenzu Belastungen und Beanspruchungenin Alltag, Freizeit und Beruf und <strong>zur</strong> Problematikvon psychologischen und physiologischenÜber- und Unterfor<strong>der</strong>ungen.- Aufbau von SchmerzbewältigungsstrategienFür die „Neue <strong>Rückenschule“</strong> ist die Vermeidung<strong>der</strong> Chronifizierung <strong>der</strong> Rückenschmerzen einwichtiges Ziel. Daher erhalten die KursteilnehmerHintergrundwissen über die Entstehung, Aufrechterhaltungund Bedeutung von Rückenschmerzen.Sie sollen aktive Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) aufbauen.- Aufbau von und Bindung an langfristige gesundheitsorientierteAktivitätRegelmäßige körperliche Aktivität hat auf das Auftretenvon Rückenschmerzen beson<strong>der</strong>s positiveWirkungen. Ihre För<strong>der</strong>ung ist somit ein Kernziel<strong>der</strong> <strong>„Neuen</strong> <strong>Rückenschule“</strong>. PFEIFER (2003) belegtein seiner Studie eindrucksvoll die „pauschale Wirksamkeitvon Bewegungsprogrammen“. Durch die gezielteSchulung <strong>der</strong> Selbstwahrnehmung und Eigensteuerungsollen die Teilnehmer dauerhaft an denFreizeit- und Gesundheitssport gebunden werden.Zur Selbststeuerung kann zusätzlich eigenverantwortlichesHandeln durch gezielte verhaltenstherapeutischeMaßnahmen geför<strong>der</strong>t werden. Beispielesind die Integration von Übungen in den Tagesablauf(Prenack Prinzip/HÖFLING 1989) und <strong>der</strong> Einsatzeines Rückentagebuchs (HÖFLING 1996).156 • Die Säule 16, 4 (2006)


Leitthema- Sensibilisierung für haltungs- und bewegungsför<strong>der</strong>licheVerhältnisseDie „Neue <strong>Rückenschule“</strong> verknüpft die Verhaltens-und die Verhältnisprävention. So sollen z. B.ergonomische Bürostühle das aufrecht-dynamischeSitzverhalten im Büro för<strong>der</strong>n, ergonomische Fahrrä<strong>der</strong>die Ausdaueraktivität unterstützen und Hebe-Tragehilfen die Rückenbelastungen am Arbeitsplatzreduzieren.3.3 Pädagogische Kompetenzen <strong>der</strong> KursleitungDie umfassenden Ziele <strong>der</strong> <strong>„Neuen</strong> <strong>Rückenschule“</strong>sind nur von beson<strong>der</strong>s qualifizierten Rückenschullehrernzu erreichen. Die Personen mit Risikofaktorenfür Rückenschmerzen müssen nach dem pädagogischenPrinzip „Jeden da abholen, wo er steht“,behutsam an das Präventionsangebot herangeführtwerden. Die Kursleitung ist mehr als ein „Wissensvermittler“o<strong>der</strong> „Vorturner“; sie• arrangiert eine angstfreie, spaßbetonte und freudvolleKursatmosphäre,• berücksichtigt die Phänomene „Angst vor demVersagen“, „Angst vor <strong>der</strong> Isolation“, „Angst vor<strong>der</strong> Überanstrengung“,• för<strong>der</strong>t den gruppendynamischen Prozess z. B.durch den Einsatz von speziellen Übungs- undSpielformen, berücksichtigt aber auch die Individualitäteines jeden Kursteilnehmers,• för<strong>der</strong>t das Interesse und die Motivation <strong>der</strong>Kursteilnehmer durch das Aufzeigen <strong>der</strong> individuellenLernfortschritte, das Lebendighalten desBildes vom Ziel und das Unterstützen <strong>der</strong> Lernwirksamkeit,• besitzt die Kompetenz <strong>zur</strong> Gestaltung von Gruppengesprächenund das Meistern von schwierigenKurssituationen,• ist sich als „Gesundheitstrainer“ ihrer Vorbildfunktionbewusst und versteht es, den Kurs authentischzu leiten,• versteht sich als ein professioneller Dienstleisterund bemüht sich, die individuellen Bedürfnisseund Wünsche <strong>der</strong> Kursteilnehmer bei <strong>der</strong> Gestaltungdes Kurses flexibel zu berücksichtigen und• ist von dem ganzheitlichen, multimodalen Ansatz<strong>der</strong> Rückenschule überzeugt und berücksichtigtgleichberechtigt die Aspekte „Körper, Geistund Seele“.3.4 Zehn Empfehlungen <strong>zur</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Rückengesundheit1. Bleiben Sie aktiv – Ihr Körper braucht Bewegung2. Vermeiden Sie Dauerstress – Zu viel Stress erhöhtdie Muskelspannung3. Pflegen Sie Ihre Muskeln – Ein arthro-muskuläresGleichgewicht ist wichtig4. Halten Sie sich aufrecht-dynamisch – Bandscheibenleben von <strong>der</strong> Bewegung5. Heben und tragen Sie rückenfreundlich – Einsatzvon Rumpf- und Beinmuskeln6. Bleiben Sie locker – Rückenschmerzen sindmeist harmlos7. Ängstigen Sie sich nicht – Verschleißerscheinungensind keine Krankheit8. Treiben Sie regelmäßig gesunden Sport – Freudean Bewegung in einer Gruppe9. Denken Sie positiv – Lebensfreude för<strong>der</strong>t Aktivität10. Pflegen Sie einen gesunden Lebensstil – Einheitvon Körper, Geist und Seele (KUHNT 2006)Abb. 6: Stabilisationsübung auf <strong>der</strong> Matte mit Luftballon:Aus dem Vierfüßlerstand strecken die Kursteilnehmer/innen diagonal ein Bein und einen Arm. Zusätzlich versuchensie, mit dem aufstützenden Unterarm einen Luftballon zu fixieren.Die Säule 16, 4 (2006) • 157


Leitthema3.5 Vergleich von „Klassischer <strong>Rückenschule“</strong> und „Neuer <strong>Rückenschule“</strong>158 • Die Säule 16, 4 (2006)


LeitthemaAbb. 7: Kooperative Übung mit Ballkissen in <strong>der</strong> Dreiergruppe:Zwei Personen pendeln in ihrer Mitte einen Kursteilnehmer/in mit geschlossenen Augen auf einem Ballkissen.4.0 SchlussbetrachtungDie „Neue <strong>Rückenschule“</strong> sieht den Menschen inseiner Einheit aus Körper, Geist und Seele. Sie versuchtdie Rückengesundheit nach dem bio-psychosozialenAnsatz <strong>der</strong> Weltgesundheitsorganisationressourcenorientiert zu för<strong>der</strong>n. Dieses Ziel kann nurmultimodal und in einem interdisziplinären Teamaus Ärzten, Psychologen, Therapeuten und Rückenschullehrernerfolgen.Durch die gemeinsame Arbeit <strong>der</strong> neun wichtigstenRückenschulverbände in <strong>der</strong> Konfö<strong>der</strong>ation <strong>der</strong>deutschen Rückenschulen (<strong>KddR</strong>) wurden einheitlicheZiele, Inhalte und Ausbildungsrichtlinien fürdie präventive Rückenschule geschaffen. Die angeschlossenenVerbände ermöglichen ihren Kursleiternsomit erstmals ein standardisiertes Rückenschulkonzept,dass neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissenentspricht.Die bisherigen Arbeitsergebnisse <strong>der</strong> <strong>KddR</strong> bildeneine gute, gemeinsame Basis für ein flächenhaftesAngebot von Rückenschulkursen in Deutschland.Damit werden zugleich die Voraussetzungen für einenoch ausstehende Evaluationsstudie geschaffen. Die„Neue <strong>Rückenschule“</strong> nimmt durch die <strong>KddR</strong> einebisher noch nie da gewesene „Poleposition“ ein.KontaktadresseUlrich KuhntForbacher Str. 1430559 Hannoverkuhnt@ulrich-kuhnt.deDie Säule 16, 4 (2006) • 159

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