11.07.2015 Aufrufe

Über-, Unter- und Fehlversorgung bei psychisch Kranken

Über-, Unter- und Fehlversorgung bei psychisch Kranken

Über-, Unter- und Fehlversorgung bei psychisch Kranken

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

1. Allgemeine Daten zur Versorgung: PrävalenzPrävalenz <strong>psychisch</strong>er Krankheiten• Etwa 31% der Bevölkerung in Deutschland erkrankt innerhal<strong>bei</strong>nes Jahres an einer <strong>psychisch</strong>en Störung (vgl. Zusatzmodul"Psychische Störungen" des B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurveys,Jacobi et. al 2006)• Frauen erkranken mit 37% wesentlich häufiger als Männer mit25,3 %• 40% aller Personen mit <strong>psychisch</strong>en Störungen weisen mehrals eine <strong>psychisch</strong>e Störung auf => hohe Komorbidität• Häufigkeit <strong>psychisch</strong>er Störungen steigt mit dem Alter3 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


1. Allgemeine Daten zur Versorgung: Prävalenz• krankheitsbedingte Fehltage aufgr<strong>und</strong> von <strong>psychisch</strong>enStörungen haben sich seit 1990 verdoppelt (vgl. „KomplexeAbhängigkeiten machen <strong>psychisch</strong>krank“ – BPtK-Studie2010)• Psychische Erkrankungen zweithäufigster Gr<strong>und</strong> fürKrankschreibungen• Etwa 18 Mio. Deutsche leiden an <strong>psychisch</strong>en Störungen(B<strong>und</strong>esges<strong>und</strong>heitssurvey 2006)⇨ Apokalyptische Entwicklung! Wird unsere Gesellschaft<strong>psychisch</strong> immer kranker? Oder gibt es andere Ursachen fürdiese Zahlen?4 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


1. Allgemeine Daten zur Versorgung: ergänzendeVersorgungsangeboteZusätzlich gibt es• 12.500 psychosoziale Beratungsstellen• Kapazitäten für 175.000 erwachsene Patienten <strong>und</strong> 120.000Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in Institutsambulanzen• ca. 5.000 Plätze in Tageskliniken• 275.000 Patienten können jährlich stationär behandeltwerden• weitere 150.000 Patienten in Reha-Einrichtungen⇨ Insgesamt können in Deutschland weit über 1 Mio.Menschen der gesetzlichen <strong>Kranken</strong>versicherung jedes Jahrpsychotherapeutisch behandelt werden7 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


2. <strong>Unter</strong>versorgung• Gr<strong>und</strong>sätzlich überversorgte Planungsbereiche, aber:• Stadt-Land <strong>und</strong> West-Ost-Gefälle• Einige „Teilzeitpsychotherapeuten“ auf Vollzeitstelle!• Wartezeiten von durchschnittlich 3-6 MonatenPlanungskreise mit<strong>Unter</strong>versorgung IIPsychotherapeuten0<strong>Unter</strong>versorgung I 0Regelversorgung 32<strong>Über</strong>versorgung I 183<strong>Über</strong>versorgung II 187Drohende <strong>Unter</strong>versorgung 09 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


3. <strong>Über</strong>versorgungSeit Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes 1999 wurdenwesentliche Ziele von damals erreicht:• Ausweitung der psychotherapeutischen Kapazitäten• Enttabuisierung der Psychotherapie• Evidenzbasierung• direkter Zugang zum Psychotherapeuten⇨ Psychotherapie ist jedoch auch besonders anfällig fürangebotsinduzierte Nachfrage!10 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


3. <strong>Über</strong>versorgung• Durchschnittliche Behandlungsdauer der ambulantenPsychotherapie beträgt 80 St<strong>und</strong>en• <strong>Über</strong> alle Studien betrachtet steigt die Wirksamkeitpsychotherapeutischer Behandlungen <strong>bei</strong> Angststörungen<strong>und</strong> Depressionen <strong>bei</strong> Behandlungsumfängen von über 45St<strong>und</strong>en nicht mehr wesentlich (Metaanalyse von Margraf(2008))• 68% aller Patienten leiden an einer Angststörung oderDepression => max. 45 St<strong>und</strong>en würde den meistenreichen!11 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


3. <strong>Über</strong>versorgung• Nicht jede Diagnose ist auch behandlungsbedürftig!• <strong>bei</strong> leichteren Störungen erholt sich die „normale“ Psycheinnerhalb von 3-12 Monaten von selbst⇨ darf man heutzutage überhaupt noch „einfach nur traurigsein“? („The loss of sadness“, Allan W. Horwitz <strong>und</strong> Jerome K.Wakefield)12 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


4. <strong>Fehlversorgung</strong>Wird jeder Patient für seine Störungen mit dem für ihngeeigneten Verfahren von einem „passenden“ Psychotherapeutenin dem medizinisch notwendigen Umfangpsychotherapeutisch sowie medikamentös behandelt?⇨ verlässliche Daten für Deutschland fehlen an vielen Stellen⇨ es gibt Hinweise, dass dem nicht so ist13 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


4. Häufigkeit der Psychoanalyse <strong>bei</strong> Depression (F32) in %(Quelle: Techniker <strong>Kranken</strong>kasse, basierend auf EBM-Daten, AV.2)Verteilung Psychoanalyse für ICD F32 jePostleitzone für alle Therapeuten <strong>und</strong>mögliche Komorbiditäten0% PA inPLZ-Bereich 5929,5% PA inPLZ-Bereich 81264647 45 44 59414042585150 575253546648565549653335616028326425633427312430232220213667 68697476757170 737779787288379789299187389998968690193906078580 81959218089382 831613 10 1214 158404170994010302MW* = 6,4%≥ 10,4%10,3% - 8,4%8,3% - 4,4%4,3% - 2,2%≤ 2,1%HypotheseDas Therapieverfahren fürdie Diagnose ICD F32 ist –unter der Annahme einerhomogenen Komorbiditätim B<strong>und</strong>esgebiet –regional angebotsinduziertÄhnlich inhomogeneVerteilung der anderenTherapieverfahren für ICDF32* Mittelwert über für F32 insgesamt durchgeführte Therapien pro Postleitzone14 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


4. Häufigkeit der Verhaltenstherapie <strong>bei</strong> Depression (F32) in %(Quelle: Techniker <strong>Kranken</strong>kasse, basierend auf EBM-Daten, AV-2)Verteilung Verhaltenstherapie für ICDF32 je Postleitzone für alle Therapeuten<strong>und</strong> mögliche Komorbiditäten76,9% VTin PLZ-Bereich 4648264925 242322202128 27293032 31 38193918161713 10 1214 15MW* = 45,5%> 65,5%65,4% - 55,5%55,4% - 35,5%35,4% - 25,5%< 25,4%16,0% VTin PLZ-Bereich 08474645 4440584142515052545356555759653335616064633436379799989606079508040901030261,9% VTin PLZ-Bereich 676667 686976757170747391909293947772898685847978888780 8182 83* Mittelwert über für F32 insgesamt durchgeführte Therapien pro Postleitzone15 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


4. <strong>Fehlversorgung</strong>∙Dauer <strong>und</strong> Art der Behandlung beruht mehr oder wenigerauf Zufallsprinzip <strong>und</strong> nicht auf der Diagnose, daSelbstzuweisung des Patienten⇨ Patient kann mit gleicher Diagnose 25 oder 300 St<strong>und</strong>en PTerhalten• Schnittstelle psychotherapeutische-medikamentöseBehandlung, z.B. <strong>bei</strong> Depression, nicht leitliniengerecht;Patienten erhalten sowohl zu früh, als auch zu spätAntidepressiva sowie Psychotherapie16 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


4. Lösungsansätze: <strong>Über</strong>ar<strong>bei</strong>tung St<strong>und</strong>enkontingentekönnte Kapazitäten schaffenLeistungsumfang der GKVTiefenpsychologischf<strong>und</strong>iert PsychotherapieAnalytische PsychotherapieVerhaltenstherapieKinderKinderErwachseneJugendlicheErwachseneJugendlicheErwachseneJugendlicheKinderKurzzeittherapie25 25 25 entfällt 25 25 25Langzeittherapie50 90 90 160 90 70 45 45 45LZT in besonderenFällenLZTHöchstgrenzenimRegelfall80 140 120 240 140 120 60 60 60100 180 150 300 180 150 80 80 80Gruppentherapie ist in allen drei Verfahren ebenfalls möglich, wurde jedoch in der Tabelle nicht aufgeführt.17 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


5. Lösungsansätze: <strong>Über</strong>ar<strong>bei</strong>tung St<strong>und</strong>enkontingentekönnte Kapazitäten schaffenRechen<strong>bei</strong>spiel:• 300.000 Patienten werden pro Jahr mit amb. PT behandelt• 50 % aller Psychotherapien sind Kurzzeittherapien (KZT) <strong>und</strong>werden voll ausgeschöpft• davon könnten 1/3 der Patienten bereits nach 15 St<strong>und</strong>enals erfolgreich therapiert entlassen werden300.000 x 0,5 = 150.000 KZT à 25 St<strong>und</strong>en1/3 der Patienten bräuchten nur 15 St<strong>und</strong>en KZTKapazitäten für 30.000 Patienten à 15 St<strong>und</strong>en gewonnen18 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


5. Lösungsansätze: <strong>Über</strong>ar<strong>bei</strong>tung St<strong>und</strong>enkontingentekönnte Kapazitäten schaffen• bewilligte Kontingente werden meistens voll ausgeschöpft• St<strong>und</strong>enkontingente wurden seinerzeit nach demdamaligen Stand des Wissens / der Erfahrung festgelegt• Im Zuge der Prüfung der Richtlinienverfahren durch den G-BA sollte geprüft werden, ob die St<strong>und</strong>enkontingente nochdem heutigen Stand der Wissenschaft entsprechen!evidenzbasierte Anpassung wichtig!andernfalls kann gegenteiliger Effekt eintreten!ggf. Anpassung des Gutachterverfahrens erforderlich!19 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


5. Lösungsansätze: Ergänzende Versorgungsangebote Im Rahmen der Richtlinienverfahren sind innovativequalitätssichernde Projekte <strong>und</strong> besondereVersorgungsformen, die durch eine zwischen allenBeteiligten abgestimmte Behandlung eine bessere <strong>und</strong>wenn möglich kosteneffektivere Versorgung derVersicherten gewährleisten, zu begrüßen (z.B. IV-Vertragzur Depression der DAK) Für schwer <strong>psychisch</strong> Kranke neue Versorgungswegedenkbar bzw. werden derzeit schon erprobt (z.B. Netzwerk<strong>psychisch</strong>e Ges<strong>und</strong>heit der Techniker <strong>Kranken</strong>kasse)20 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


6. Zusammenfassung• im internationalen Vergleich hohe Versorgungsdichte <strong>und</strong>Versorgungsqualität <strong>bei</strong> Psychotherapien in Deutschland• scheinbare Zunahme <strong>psychisch</strong>er Erkrankungen wirdbeobachtet• diese Zunahme kann auch andere Ursachen haben• Daten hierfür fehlen• Psychotherapie ist ein knappes Gut!• effizienter Umgang hiermit ist erforderlich!• innerhalb des bestehenden Systems gibt es nochEffizienzreserven!21 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


Zu guter Letzt…… „Ohnehin sind psychotherapeutische Gespräche stets nur diezweitbeste Form der Kommunikation. Sie sind immer künstlich,wenn sie gut sind kunstvoll, aber niemals unmittelbar. Diebeste Form der Kommunikation sind auch für Schizophrene,Depressive <strong>und</strong> andere die Gespräche mit Metzgern, Bäckern<strong>und</strong> Verkäuferinnen, also mit normalen Menschen. Nur wenndas nicht mehr funktioniert, müssen die Psychoexperten ran,aber auch nur so lange, bis die erstbeste Form derKommunikation wieder klappt. Daher ist die Kürze eineethische Forderung jeder Therapie. …“Zitat aus: „Irre, wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen“ von Manfred Lütz, S. 7222 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!Thomas BallastVorstandsvorsitzender des vdek e. V.Tel.: 0 30 / 2 69 31 – 10 00, Fax.: 0 30 / 2 69 31 – 29 10, thomas.ballast(a)vdek.com23 Thomas Ballast, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen e.V.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!