30 Jahre unter den Toten - Herzlich willkommen bei „Die Liebe Gottes“

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G. Es ist mir höchst gleichgültig, wie Sie mich nennen; nennen Sie michirgendwie.Dr. Das wollen wir aber nicht.G. Mir ist es ganz gleich, nennen Sie mich wie Sie wollen. Ich bin mit allemzufrieden.Dr. Sie sind geistig träge!G. Was meinen Sie damit?H.W. Kennen Sie jemand, namens B.?G. Ja, vor langer Zeit.H.W. Wer war das?G. Irgend jemand!H.W. Waren Sie nicht mit ihm durch Heirat verwandt? Wen hat er denn geheiratet?G. Er heiratete eine Frau, die ich gut kannte.Dr. Wie hieß sie denn?G. Namen sind mir sämtlich aus dem Gedächtnis entschwunden. Doch ichweiß jetzt, es war meine Schwester. Hören Sie, ich weiß gar nicht, was mitmir los ist!Dr. Sie sind "tot"!G. Tot? Dann bin ich gestorben?Dr. Erinnern Sie sich nicht, wie Sie gestorben sind?G. Das habe ich gar nicht gewußt, daß ich tot bin. Wie kann ich mich daranerinnern, wie ich gestorben bin?Dr. Nun, Sie sind aber "tot".G. Also wirklich? Das ist ja höchst spaßig — ist mir aber ganz gleichgültig.Dr. Sie benützen augenblicklich den Körper einer Dame.G. Ich habe von Damen genug. Ich bin gewandert und gewandert, immer zwischenDamen, bis ich ganz krank wurde und genug davon hatte.Dr. Ich glaube, Sie sind schon mit dieser Müdigkeit geboren.G. Das glaube ich selbst, weil ich immer müde war. Ich habe auch nie vielnach Arbeit gefragt. Es war mir ganz lieb, nicht arbeiten zu brauchen. Ichbin ein geborener Reiseonkel, denn ich habe mich nie lange an einem Ortewohl fühlen können und habe mir gern die Welt angesehen. Ich habe niegern viel tun mögen, nur eben, was mir gerade in den Weg kam, genug, ummein Auskommen zu haben.Dr. Waren Sie so eine Art Landstreicher?G. Ich war etwas Besseres als ein Landstreicher, doch so was ähnliches. H.W.Erinnern Sie sich, daß Sie einen Zwillingsbruder hatten?G. So ähnlich war es — doch was ist eigentlich mit mir los? Ich kann michüberhaupt an nichts mehr erinnern, alles ist mir entschwunden. Ich weißwahrhaftig nicht mal mehr, wie ich heiße.Dr. Sitzen Sie mal ruhig, und denken Sie nach.G. (Nach einem Augenblick.) Ich heiße Bergquist. Ich glaube, mein Vornameist Frank — ja, ja, Frank. Aber es ist Jahre her, daß ich ihn gehört habe. Esist schrecklich lange her, seitdem ich ihn zuletzt hörte. Es scheint mir so— 286 —

fern zu sein, als lägen zwischen diesem Namen und mir viele, viele Meilen.Es kommt mir so vor, als hatte ich mich durch meine Wanderwege vonmeinem Namen weit entfernt. — Je weiter ich wanderte, desto mehr vergaßich. Nach einiger Zeit war ich soweit gewandert, daß ich vergessen hatte,wer ich eigentlich war. Ich wanderte mit Frauen, Frauen, immer nur mitFrauen, bis ich schließlich dachte, ich wäre selber eine, das habe ich wahrhaftigmanchmal gedacht. Und vielleicht bin ich auch wirklich eine Frau,nach allem, was ich weiß. Was hat das alles nur für einen Sinn?H.W. Haben Sie nicht in der Paulina-Straße in Ravenswood gewohnt? (Chicago)G. Ja. Chicago, das stimmt, dort war ich einige Zeit.Dr. Wissen Sie, wo Sie jetzt sind?G. In Chicago.Dr. Sie sind in Kalifornien.G. In Kalifornien!? Na, bin ich nun nicht richtig hinter diesen Frauen hergelaufen,bis nach Kalifornien! Das war ein ordentlicher Marsch! Ich weißgenau, gefahren bin ich nicht. Ich bin Meile für Meile gelaufen undschließlich nach Kalifornien gekommen. Das war ein anständiger Marsch.Ich bin so müde; warum erzählen Sie mir auch, daß ich so weit gewandertbin? Das macht mich erst recht müde, und nun fühle ich das Bedürfnis auszuruhen.H.W. Das ist doch ganz natürlich für Sie. Kennen Sie mich?G. Ich dachte gleich, als ich Sie sah, dieses Gesicht muß ich doch schon malgesehen haben. Gingen Sie nicht in die Methodisten-Kirche? Ich dächte,dort habe ich Sie gesehen.MW. Erinnern Sie sich der Bäckerei in der W. Avenue? (Gegenüber demHause, wo der junge Mann wohnte.)G. Das ist schon einige Zeit her.H.W. Schauen Sie mich nochmal genau an und sehen Sie mal zu, ob ich dasnicht bin, die den Laden hatte.G. Ja, und Sie hatten zwei Mädels.H.W. Ja, die habe ich. Würden Sie eine von ihnen wiedererkennen, wenn Sie siesehen würden? Würden Sie L. wiedererkennen?G. Ich kannte sie zu wenig. L. hat mir immer gut gefallen, aber nach IhrenMädels durfte man ja immer nur höchstens mal mit einem Auge hinsehen.NW.Andere haben sie aber mit beiden Augen angeschaut. Sie sind alle beideverheiratet.G. Ich hab' immer nur mit einem Viertel Auge nach ihnen hingeschielt; solchenBurschen wie mich haben die ja gar nicht angesehen.Dr. Haben denn andere Sie angeschaut?G. Das weiß ich nicht. Frauen, Frauen, Frauen — ich immer mitten unterihnen. Es ist doch eine komische Welt.Dr. Wie nannte man Sie, als Sie sich wie eine Frau vorkamen?G. Ich hörte gar nicht hin. Natürlich habe ich einen weiten Weg gehabt, wennich bis nach Kalifornien gelaufen bin. Manchmal habe ich ordentlich het-— 287 —

G. Es ist mir höchst gleichgültig, wie Sie mich nennen; nennen Sie michirgendwie.Dr. Das wollen wir aber nicht.G. Mir ist es ganz gleich, nennen Sie mich wie Sie wollen. Ich bin mit allemzufrie<strong>den</strong>.Dr. Sie sind geistig träge!G. Was meinen Sie damit?H.W. Kennen Sie jemand, namens B.?G. Ja, vor langer Zeit.H.W. Wer war das?G. Irgend jemand!H.W. Waren Sie nicht mit ihm durch Heirat verwandt? Wen hat er <strong>den</strong>n geheiratet?G. Er heiratete eine Frau, die ich gut kannte.Dr. Wie hieß sie <strong>den</strong>n?G. Namen sind mir sämtlich aus dem Gedächtnis entschwun<strong>den</strong>. Doch ichweiß jetzt, es war meine Schwester. Hören Sie, ich weiß gar nicht, was mitmir los ist!Dr. Sie sind "tot"!G. Tot? Dann bin ich gestorben?Dr. Erinnern Sie sich nicht, wie Sie gestorben sind?G. Das habe ich gar nicht gewußt, daß ich tot bin. Wie kann ich mich daranerinnern, wie ich gestorben bin?Dr. Nun, Sie sind aber "tot".G. Also wirklich? Das ist ja höchst spaßig — ist mir aber ganz gleichgültig.Dr. Sie benützen augenblicklich <strong>den</strong> Körper einer Dame.G. Ich habe von Damen genug. Ich bin gewandert und gewandert, immer zwischenDamen, bis ich ganz krank wurde und genug davon hatte.Dr. Ich glaube, Sie sind schon mit dieser Müdigkeit geboren.G. Das glaube ich selbst, weil ich immer müde war. Ich habe auch nie vielnach Ar<strong>bei</strong>t gefragt. Es war mir ganz lieb, nicht ar<strong>bei</strong>ten zu brauchen. Ichbin ein geborener Reiseonkel, <strong>den</strong>n ich habe mich nie lange an einem Ortewohl fühlen können und habe mir gern die Welt angesehen. Ich habe niegern viel tun mögen, nur eben, was mir gerade in <strong>den</strong> Weg kam, genug, ummein Auskommen zu haben.Dr. Waren Sie so eine Art Landstreicher?G. Ich war etwas Besseres als ein Landstreicher, doch so was ähnliches. H.W.Erinnern Sie sich, daß Sie einen Zwillingsbruder hatten?G. So ähnlich war es — doch was ist eigentlich mit mir los? Ich kann michüberhaupt an nichts mehr erinnern, alles ist mir entschwun<strong>den</strong>. Ich weißwahrhaftig nicht mal mehr, wie ich heiße.Dr. Sitzen Sie mal ruhig, und <strong>den</strong>ken Sie nach.G. (Nach einem Augenblick.) Ich heiße Bergquist. Ich glaube, mein Vornameist Frank — ja, ja, Frank. Aber es ist <strong>Jahre</strong> her, daß ich ihn gehört habe. Esist schrecklich lange her, seitdem ich ihn zuletzt hörte. Es scheint mir so— 286 —

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