«... ist doch die Waage, diesesunvergleichliche Instrument, dasalle Beobachtungen und Entdeckungenfest hält, die Zweifelbesiegt und die Wahrheit an‘sLicht stellt, was uns zeigt, dasswir uns geirrt haben, oder dasswir uns auf dem wahren Wegebefinden.»Justus von Liebig,aus «Chemische Briefe Nr. 9, etwa 1842Sein Zitat zeigt auf, dass er die Künsteder Alchemie weit hinter sich gelassenhatte, hin zu einer exakten Wissenschaft.Liebig war klar, dass hierbeidem Wägen als dem ersten Schrittin der Analyse eine entscheidendeBedeutung zukommt. Die Analysenwaagengalten als das «Heiligtumdes Chemikers» – das allerdings demForscher sehr viel Geduld abverlangte.Bei den damals üblichen«langarmigen» Typen schwang derWaagebalken so langsam aus, dassvon einem «Martyrium der Wägung»die Rede war. Es heißt, Liebig habesich dieses erleichtert, indem er «proWägung eine Zigarre» geraucht habensoll. Doch hielt ihn dies nicht davonab, entschlossen an der Verbesserungder Feinwaagen zu arbeiten,ohne die er seine bahnbrechendenIdeen niemals hätte entwickeln können.Unterstützung erhielt er dabei inGießen von dem SchreinermeisterHoss, der die Waagen so sehr verbesserte,dass sie – später unter demLabel «Mettler Waagen SpoerhaseGmbH» – zu weltweiten Bestsellernwurden. Diese Waagen vermochtenbereits Erstaunliches zu leisten. Nochheute kann man mit zweien vonihnen bei einer Höchstlast von 100 gauf 0,5 mg genau wägen. Die GießenerUniver sität, deren Ruf Liebig mitgerade einmal 21 Jahren gefolgt war,hatte dem jungen Professor der Chemieeigens ein Laboratorium eingerichtet.Die Waagen waren dort ineinem besonderen Raum, dem Wägezimmer,aufgestellt. Dieses war nachNorden hin ausgerichtet und somitvor Sonneneinstrahlung geschütztund wurde nicht beheizt, da Temperaturschwankungendas Wägeergebnisbeeinträchtigen.Die Erfolgsgeschichte der Präzisionsinstrumenteaus Gießen fand ihreFortsetzung, als die in der Schweizgegründete Mettler-Waagen GmbHdas Familienunternehmen Spoerhasein den 50er Jahren aufkaufte undnoch heute dort ansässig ist. DieAnalysenwaagen des Weltmarktführersgelten als die besten.In Liebigs ehemaligem Institut ist seit1920 ein Museum eingerichtet, daszu den sechs wichtigsten Chemie-Museen der Welt zählt. Das Liebig-Museum findet sich in der Liebigstraßein Gießen, direkt neben demMathematikum, und ist als Geburtsstätteder Organischen Chemie inFachkreisen weltweit bekannt. DieJustus Liebig-Gesellschaft zu Gießenist Träger des Museums. Ein Erlebnissind die Experimentalvorlesungen, dieProf. Dr. Wolfgang Laqua, Prof. em.für anorganische Chemie an der JLUund erster Vorsitzender der Gesellschaft,an der historischen Stätte hält.Rüdiger Paul von <strong>METTLER</strong> <strong>TOLEDO</strong>hatte Gelegenheit, mit Prof. Laquaüber das Wägen mit historischen undheutigen Waagen zu sprechen.Rüdiger Paul: Was denken Sie –würde Justus Liebig heute nochgenau so über das Wägen denken?Prof. Laqua: Ja natürlich und selbstverständlichnicht nur er allein! Dassdie Waage für einen Chemiker einganz wichtiges, für einen analytischenChemiker ein unverzichtbares Instrumentist, weiß man nicht erst seitLiebigs Zeiten, sondern das wussteman schon, seit Lavoisier (1743–1794) das Gesetz von der Erhaltungder Masse bei chemischen Reaktionenentdeckte.■ Sind Sie mit uns der Meinung,dass das Wägen der wichtigste Schrittin der chemischen Analyse ist?Eine quantitative chemische Analyse,ganz gleich, ob es sich um einenreinen Stoff (Bestimmung der chemischenFormel) oder um ein Stoffgemisch(Bestimmung der Anteile dereinzelnen Stoffe) handelt, umfasstviele wichtige Schritte. Dem Wägenkommt dabei die gleiche Bedeutung zuwie dem Zählen in der Mathematik.Will ich die Anteile von Jungen undMädchen in einer Schulklasse bestimmen,muss ich zählen können; kannich das nicht, ist dieses Vorhabensinnlos. Will ich den Quecksilberanteilin einem für Zahnplomben benutztenAmalgam bestimmen und verstehe esnicht, mit einer modernen Waageumzugehen, sollte ich lieber die Fingerdavon lassen.Das heißt: Ohne akkurates Wägenkein akkurates Ergebnis – ohneWaage überhaupt kein Ergebnis!3
■ Welchen Stellenwert geben Sieder Auswahl der richtigen Waage?Bevor ein Experimentator mit einerchemischen Analyse beginnt, muss ersich die Frage stellen, welche Genauigkeitim Ergebnis er erreichen will.Danach richtet sich die Auswahl desInstrumentes. Es macht keinen Sinn,mit Kanonen auf Spatzen zu schießenund das nicht allein aus Kostengründen,sondern auch aus Zeitgründen,denn der Umgang mit einer hochsensiblenPräzisionswaage erfordertimmer einen höheren Zeitaufwand alsdie Benutzung einer Waage geringererGüteklasse.■ Liebig verzweifelte noch daran,dass er zwischen pflanzlichen undtierischen Stoffen keine Unterschiedefand. Was können die ultramodernen Waagen von heute imVergleich zu Liebig’s Waagen leisten?Auf das Problem der identischen Zusammensetzungvieler im pflanzlichenund tierischen Organismus vorkommendenStoffe (zum Beispiel der Proteine),war Liebig nach der geradezurevolutionären Erfindung des sog.«Fünf-Kugel-Apparates» zur «Elementaranalyseorganischer Körper»gestoßen. Dabei war dieser auch Kaliapparatgenannte Fünfkugelapparatbis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundertshinein ein unerlässlichesInstrument zur Bestimmung der chemischenFormel einer unbekanntenVerbindung; doch ohne den gleichzeitigenEinsatz einer analytischen Präzisionswaagewäre auch Liebig nicht inder Lage gewesen, derart kompliziertechemische Formeln wie sie beispielsweiseden Alkaloiden (Chinin!) zueigen sind, heraus zu finden.Gemessen an den so unglaublichkompliziert zusammen gesetztenVer bindungen, die heutzutage beispielsweisein der Biochemie eineRolle spielen, nimmt sich die Formeldes von Liebig analysierten Chininsjedoch geradezu simpel aus. Dasheißt: Mit den von Liebig in Gießenbenutzen Analysenwaagen ließe sichin der biochemischen Analytik keinBlumentopf gewinnen.Oder anders gesagt: Je komplizierterdie Zusammensetzung eines Biomoleküls,desto höher die Ansprüchean die Leistungsfähigkeit einer analytischenWaage!■ Welche Faktoren können einErgebnis verfälschen und wie kanndas verhindert werden?Eine Elementaranalyse zur Bestimmungder chemischen Formel einerVerbindung wird absolut sinnlos,wenn die zu analysierende Substanznicht in hochreiner Form vorliegt, dasheißt: Enthält die Verbindung unbekanntenAnteile irgendwelcher Fremdsubstanzen,dann lässt sich auch mitder besten Waage nichts ausrichten –das Ergebnis wird falsch und somitunbrauchbar sein. Die Probenvorbereitungin Bezug auf Reinheit der zuanalysierenden Verbindung besitztalso höchste Priorität!Weiterhin ist, wie Liebig schon damalssagte, darauf zu achten, dass dieWaage unter «ordentlichen» Bedingungengenutzt wird. Störeinflüsse wieLuftzug, starke Temperaturunterschiede,elektrostatische und magnetischeStörquellen sollte man, woimmer möglich, ausschließen.■ Welche Technologien sind für einemoderne Hochleistungswaage maßgeblich?Ich hätte mich gefreut, wenn es zumeiner «aktiven Zeit» schon Waagenmit «Monoblock-Technologie» unddeutlich reduzierter Anzahl von Bauteilenin der Messzelle gegeben hätte –das führt am Ende zu sehr viel bessererLangzeitstabilität und höherer Leistungdieser Waagen.■ Welche Bedeutung kommt «FACT»,der automatischen Justage der Em -pfindlichkeit, bzw. proFACT in derApplikation zu?Im Grunde geht die Beantwortung dieserFrage in die gleiche Richtung wiedie vorangegangene: Mehr Sicherheitfür die Wägeergebnisse, eine Waage,welche sich automatisch selbst über-4