Die myotone <strong>Dystrophie</strong>Die myotone <strong>Dystrophie</strong> ist die Form von Muskeldystrophie,also des Muskelschwundes, die bei Erwachsenen am häufigstenvorkommt. Nach ihren Erstbeschreibern wird sie auchSteinert’sche oder Curschmann-Steinert’sche Krankheit genannt.Wie die anderen Muskeldystrophien ist sie erblich.Von den übrigen Muskeldystrophien kann sie leicht dadurchabgegrenzt werden, dass die PatientInnen nach einerMuskelkontraktion eine verzögerte Muskelerschlaffung zeigen.Dieses Phänomen wird als Myotonie bezeichnet.Ausserdem besteht ein charakteristisches Verteilungsmusterdes Muskelschwundes. Die zuerst und am häufigstenbefallenen Muskeln sind die des Gesichts, des Halses, derUnterarme, der Hände, der Unterschenkel und der Füsse.Eine Besonderheit dieser Krankheit besteht darin, dass eineVielzahl von weiteren Störungen unabhängig vom Muskelvorkommen (grauer Star, Hodenschwund, Erkrankungendes Herzens, Störungen beim Sprechen und Schlucken,Verdauungsstörungen, Hörstörungen, gehäuft Gallensteineund anderes).Auftreten der ErkrankungEtwa die Hälfte der PatientInnen zeigt erkennbare Zeichender Erkrankung bis zum zwanzigsten Lebensjahr. DieseZahl erhöht sich, wenn nach dem Krankheitsbild intensivgesucht wird, zum Beispiel dann, wenn ein anderes Mitgliedder Familie erkrankt ist.Eine Broschüre der Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Muskelkranke</strong>DGM e.V., Verfasser Prof. Dr. Frank Lehmann-Horn,Ulm (2/2002)Überarbeitung <strong>für</strong> die Schweiz: PD Dr. Maja Steinlin, Bern(7/2003)Eine kleine Gruppe von PatientInnen ist schon im Säuglingsaltererkennbar betroffen (siehe kongenitale myotone<strong>Dystrophie</strong>). Bei einer ganz beachtlichen Zahl von Patient-Innen wird die Erkrankung aber erst im höheren Lebensaltererkennbar, wobei nicht selten die Diagnose einesgrauen Stars (Linsentrübung) ersten Anstoss zu weiterenklärenden Untersuchungen gibt.3
VererbungJeder Mensch besitzt 2x23 Chromosomen, von denen erje einen Satz von Vater und Mutter geerbt hat. Die Chromosomensind aufgebaut aus Genen, den Trägern der genetischenInformation. Ist ein bestimmtes Gen auf Chromosom19 mutiert (das heisst verändert), verursacht dies diemyotone <strong>Dystrophie</strong>.Wenn der betroffene Elternteil das mutierte Gen weitervererbt,erkrankt der Nachkomme, auch wenn das zweite,vom anderen Elternteil ererbte Gen unverändert ist. DieseForm der Krankheitsübertragung wird autosomal dominanteVererbung genannt.Vererbt der betroffene Elternteil jedoch das andere, unveränderteGen, tritt bei Kind und Kindeskindern die Krankheitnicht mehr auf. Das Risiko, die Krankheit von einembetroffenen Elternteil zu erben, beträgt demnach 50 Prozent.Typisch <strong>für</strong> die myotone <strong>Dystrophie</strong> ist eine Zunahmeder Schwere des Krankheitsbildes und ein früherer Beginnder Krankheit in den nachfolgenden Generationen.UrsacheDie genetische Ursache der myotonen <strong>Dystrophie</strong> bestehtin einer Vervielfältigung eines aus drei Genbausteinen(so genannten Basen) bestehenden Bereichs des so genanntenDM-Gens auf Chromosom 19. Bei der Vererbung derGenveränderung an die nachfolgende Generation kommtes bei vielen Familien zu einer weiteren Zunahme derVervielfältigung und damit zur oben genannten Zunahmeder Schwere des Krankheitsbildes.Welcher Mechanismus zu der Vervielfältigung und derZunahme der Vervielfältigung führt, ist bisher nichtbekannt.DiagnoseDurch eine Untersuchung in der Sprechstunde kann dieDiagnose gestellt werden, wenn das typische Verteilungsmusterder Muskelverminderungen und der Muskelschwächevorliegt und die Myotonie festzustellen ist. Häufigweckt ein besonderes Aussehen, bedingt durch Schwundund Schwäche der Gesichtsmuskulatur, den ersten Verdacht.Er kann mit Hilfe des Elektromyogramms (EMG)bestätigt werden. Nicht selten kommt es vor, dass diePatientInnen wegen der Beschwerden, die die myotone<strong>Dystrophie</strong> begleiten, zuerst eine Fachperson aufsuchen(AugenärztInnen, Hals-Nasen-Ohren-ÄrztInnen, HerzoderMagen-Darm-SpezialistInnen).Der Nachweis der Genveränderung ist <strong>für</strong> die myotone <strong>Dystrophie</strong>beweisend. Dieser direkte Gentest ist in einigenspezialisierten Labors möglich, auch schon vor dem Auftretenvon Krankheitszeichen. Die Untersuchung kann aneiner Blutprobe erfolgen, da die weissen Blutkörperchenwie alle anderen Körperzellen die gesamte genetischeErbinformation enthalten.Der Ausschluss der krankheitsspezifischen Genveränderungspricht zwar eindeutig gegen die Diagnose myotone<strong>Dystrophie</strong>, lässt aber die Möglichkeit einer ähnlichenErkrankung, Dystrophia myotonica Typ II, oder proximalemyotone Myopathie (PROMM), offen.Wodurch sind die PatientInnenbeeinträchtigt?Die Erkrankung verläuft sowohl bei den einzelnen Betroffeneninnerhalb der Familie als auch von Familie zu Familiesehr unterschiedlich.Es gibt PatientInnen, bei denen bis ins hohe Alter keinewesentlichen Beeinträchtigungen bestehen, und solche, beidenen schon in jungen Jahren beträchtliche Behinderung45