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Neue Wohnformen


InhaltNeue WohnformenStadt wohnen56Künftige WohnbedürfnisseHartmut HäußermannZur Notwendigkeit neuer Wohnformen:Gemeinschaftliche Bedürfnisseder individualisierten GesellschaftWalter Stamm-TeskeStadttheater in fünf Akten:Akteure, Bühne, Kulisse, Organisationund TechnikPeter EbnerZukünftige WohnformenJános BrennerStädtebauliche Aufwertung:Stadtumbau Ost und West12202630


Wohnkonzepte für morgenGemeinschaftlich bauenAegidienhof LübeckHolzhaus EsmarchstraßeUrban wohnenWohnen an der StadtmauerUrbane EinfamilienhäuserGemeinsam lebenSeniorInnenparadies Südstadt 2030LübbenaubrückeStädte lebendig gestaltenKommunale WohnungspolitikLesezeichen für Salbke3638404244464850Impressum/Bildnachweis


Neue WohnformenViel beschworen ist die Idee der „Renaissance derStadt“, die ein neues Interesse am Wohnen, am Arbeitenund am Leben in der Stadt beschreibt. Diese Ideemuss Realität werden! Und hierfür brauchen wir neueWohnkonzepte und Wohnformen, die den geändertenAnforderungen gerecht werden.Unsere Gesellschaft wird immer komplexer: FamiliäreVerbände lösen sich auf, eine Tendenz zu neuen Gemeinschaftenwird erkennbar, wir konstatieren einehöhere Lebenserwartung, die ethnische Mischung inunseren Städten nimmt zu, Ressourcenknappheit droht.Künftige Wohnkonzepte müssen diesen vielfältigenAnsprüchen und Bedürfnissen gerecht werden – wirbrauchen gemeinschaftliche und generationenübergreifendeWohnformen, urbanes Wohnen für Familien,Wohnmodelle für Single-Haushalte und die Verbindungvon Wohnen und Arbeiten. Solche neuen Wohnbedürfnisselassen sich nicht mit Angeboten von der Stangeerfüllen – weder Fertighäuser noch Standardlösungenim Geschosswohnungsbau werden solchen unterschiedlichenWohnvorstellungen gerecht: IndividuelleLebensstile erfordern individuelle Wohnräume, diesorgfältig zu konzipieren und zu planen sind.Dabei geht es neben neuen Wohnkonzepten auch umderen Standorte. Lücken und Brachen bieten Chancenfür die Verdichtung und den Weiterbau der Stadt. Geradefür eine alternde Gesellschaft sind innerstädtischeWohnstandorte eine wichtige Voraussetzung, um einhohes und trotzdem erschwingliches Niveau des Lebensund der Selbständigkeit im Alter zu ermöglichen. Diedurchmischten Stadtquartiere mit ihrer Vitalität, Offenheitund Vielfältigkeit werden inzwischen jedoch nichtnur von älteren Menschen gegenüber der monotonenBevölkerungsstruktur der Vorstädte bevorzugt. Die Verknüpfungmoderner Wohnkonzepte – wie das familienfreundlicheund generationenübergreifende Wohnen –mit einer qualitativen Aufwertung von Stadtstrukturensind geborene Aufgaben für Stadtplaner und <strong>Architekten</strong>.Diese gesellschaftlich notwendige Arbeit beinhaltetauch die qualitativ hochwertige Entwicklung des Bestandes.Schon allein aus energetischen Gründen isteine Modernisierung nötig, die mit einem hohen Gestaltungsansprucheinhergehen muss, um auch dauerhaftakzeptiert zu werden. Denn was schließlich könnteökologischer sein als eine kompakte Stadt, die einervielfältigen Bevölkerung vielfältige Lebensmöglichkeitenbietet? Die Zukunft liegt nicht in den Eigenheimsiedlungen,sie liegt in der Kernstadt.Der Stadtumbau, der dafür notwendig ist, ist eine anspruchsvolleAufgabe, die neben einer hohen Fachkompetenzund Kreativität der planenden und entwerfendenSpezialisten auch von einer entsprechenden politischenAufgeschlossenheit und von einem allgemeinen Wohlwollender Öffentlichkeit getragen werden muss.Michael FrielinghausPräsident des <strong>Bund</strong>es <strong>Deutscher</strong> <strong>Architekten</strong> <strong>BDA</strong>5


Stadt wohnenFrüher war alles anders: Die Industrialisierungswellender letzten zweihundert Jahre, die Individualisierungunserer Gesellschaft und die wachsende Bedeutung derMobilität haben die Gestalt des Gemeinwesens „Stadt“verändert. Mit der weitgehenden Ausrichtung auf Handelund Konsum wurden Innenstädte zu „Dienstleistungszentren“umgenutzt, die so schmerzhaft wenigvon städtischer Atmosphäre ausstrahlen. Die Funktionstrennung,die sich hier andeutet, hat zugleich riesigeEigenheimgebiete, Zonen mit Gewerbeparks, Bürohäusernund Einkaufsmärkten entlang den Stadtgrenzenentstehen lassen. Die örtliche Trennung von Arbeitenund Wohnen führte im Ergebnis zu einem Verlust andem, was wir heute wieder suchen: das „urbane Leben“als ein städtischer Mix aus Arbeiten, Wohnen undFreizeit.Renaissance der StadtSomit tritt an die Stelle des Auseinanderfallens städtischerFunktionen die Erkenntnis, dass eine Reintegrationvon Wohn- oder Arbeitssituation in die Stadtmit ihren Gebäuden und Bauwerken verschiedenerZeitepochen dem individuellen Wohl förderlich ist.Also: Das Wohnen in der Innenstadt hat in den letztenJahren eine neue Bedeutung bekommen. Kurze Wegezur Arbeit, zur Familie, zu Freunden und Bekannten,der schnelle und gute Einkauf um die Ecke, Freizeitmöglichkeitenin Reichweite – das sind inzwischen(wieder) quantifizierbare Faktoren der Lebensqualität.Doch für eine Gesellschaft, in der neue und andereLebensmodelle als die bisherige klassische Kleinfamilieeinen immer größeren Platz einnehmen, sind neueWohnkonzepte und Wohnformen nötig. Ebenso sindsie ein Ansatz, um ödgefallene Stadtzentren zu vitalisierenund überzeugende innerstädtische Alternativenzu den Eigenheimsiedlungen mit ihrem immensen Flächenverbrauchanzubieten.In diesem Verständnis hat der <strong>Bund</strong> <strong>Deutscher</strong> <strong>Architekten</strong><strong>BDA</strong> gemeinsam mit dem <strong>Bund</strong>esministerium fürVerkehr, Bau und Stadtentwicklung auf zwei Symposienunterschiedliche Aspekte künftiger Wohnformendebattiert. Die Veranstaltungsfolge in Halle an der Saaleund in Dortmund hat exemplarisch aufgezeigt, mitwelchen Konzepten und unter welchen Bedingungendas neue Wohnen gesellschaftliche, wirtschaftliche,urbanistische, architektonische und psychologische Alternativenzum Mainstream der heutigen Praxis bildenkann.Wie wollen wir in Zukunft wohnen?Das Symposium in Halle an der Saale verdeutlichte,dass ein erfolgreicher Stadtumbau Ost auch einesWohnungsbaus auf hohem qualitativem Niveau bedarf.Die Bevölkerungsstruktur in den neuen <strong>Bund</strong>esländernkennzeichnet neben den Phänomenen des demographischenWandels vor allem die Abwanderungqualifizierter Fachleute und jüngerer Menschen, diefür die künftige Entwicklung der östlichen <strong>Bund</strong>esländerjedoch unentbehrlich sind. Und weil der „weiche“Standortfaktor einer intakten und lebenswerten Stadtdarüber entscheidet, welche Region, welche Stadt sichals konkurrenzfähig im Wettbewerb um Unternehmen,6


Experten, Facharbeiter und junge Leute erweist, mussder Stadtumbau Ost ins besondere zu einer verbessertenWohnsituation führen. Nur dann kann auch der„Aufbau Ost“ gelingen – städtebauliche Aufwertungund wirtschaftliche Konsolidierung sind untrennbarmiteinander verknüpft.Das Dortmunder Symposium stellte zeitgemäße urbaneWohnformen vor, die in ihrer Konzeption eine ausgewogeneBalance zwischen Individualisierung und Gemeinschaftverfolgen: Die Auflösung familiärer Strukturen,die Tendenz zu neuen sozialen Gemeinschaften,die ethnische Mischung in den Städten, die höhereLebenserwartung – zukunftversprechende Wohnmodellestehen unter einem hohen Erwartungsdruck undkönnen die Komplexität der Erfordernisse nur teilweiseerfüllen. Das Symposium hat integrative, anpassungsfähigeKonzepte vorgestellt, deren Ideen und IdealeBausteine für eine „Stadt der lebendigen Mischung“aufzeigen.Im Ergebnis der Diskussionen in Halle und Dortmundsind elementare Strategien erkennbar, die künftigeWohnkonzepte und Wohnformen auf prospektiveWeise beeinflussen: Für das künftige Wohnen gibt esnicht den einen Trend. Vielmehr unterscheiden sichdie Vorstellungen über die ersehnte Wohnform nachAlter, Herkunft, Schichtzugehörigkeit, Lebensstil undLebenssituation erheblich. Übergreifend wird jedochdeutlich, dass das „klassische“ Einfamilienhaus in derVorstadt und an der Peripherie immer mehr an Bedeutungverliert. Die bereits genannten kurzen Wege, dieviel beschworene urbane Dichte, das komplette Angebotfür die alltäglichen Bedürfnisse im direkten Wohnumfeld,eine hoch bewertete soziale Sicherheit und diegute Erreichbarkeit sind Argumente für einen Rückzugin die Stadt. Dass diese Konzentrationsbewegung derdemographischen und ökologischen – und damit letztendlichökonomischen – Notwendigkeit entspricht,unterstreicht die Signifikanz des Phänomens.Gefragt sind somit städtisches Wohnen und Stadtwohnungen– gleichgültig, ob im Bestand oder im Neubau.Dabei erweisen sich derzeit Baugemeinschaften als zukunftsfähigerTrend, weil sie individuelle Wünsche andas Wohnen zulassen und dabei eine soziale Gemeinschaftentsteht: Die Idee der Dorfstruktur und der nachbarschaftlichenBeziehungen wird in das Stadtzentrumübertragen, der gemeinsame Finanzierungs- und Planungsprozessverschafft ein Gefühl für die gegenseitigeVerantwortung, und das vollendete Bauprojekt erreichteine Identifikation mit dem Eigenen und das Bewusstseinfür die Bedürfnisse der anderen.Die Stadt als Ort der IntegrationDas schöne Bild einiger vitaler Innenstädte mit repräsentativentown houses darf nicht verdecken, dass vielenStädten eine soziale Spaltung droht. Die trotz allerUmbrüche immer noch gelebte Vielfalt in der Bevölkerungweicht in vielen Städten immer mehr gesellschaft-7


lichen Monokulturen. Gewachsene Mieterstrukturenmit Unterschieden im sozialen Status, im Lebensstil undim Alter werden aufgrund steigender Bodenpreise undRenditebegehren aufgelöst. Die erzwungene Segregationteilt Städte in benachteiligte und in prosperierendeStadtquartiere. Das Fehlen des für selbstverständlichgehaltenen sozialen Friedens wird erst dann bemerkt,wenn den benachteiligten Stadtquartieren der sozialeAbstieg droht. Doch Städte und ihre Wohnbezirke lebenvom quirligen, unübersichtlichen Mit- und Nebeneinander,und davon, dass sich hier Menschen unterschiedlicherGehaltsklassen und verschiedener Ethnienbegegnen: Städte brauchen Platz für alle.Gerade wenn die Integration der in Zukunft sicherlichnoch anwachsenden Zahl an Zuwanderern gelingen soll,ist die Erneuerung der Stadt als Ort des gemeinsamenWohnens und Lebens unvermeidlich. Die kommunaleWohnungs- und Städtebaupolitik muss auf die sichwandelnden Bedürfnisse und Anforderungen in nochstärkerem Maße reagieren. Sie ist aufgefordert, mehrdurchdachte Angebote zu schaffen, die ein gemeinsamesLeben verschiedener gesellschaftlicher Gruppenin einem Stadtteil ermöglichen. Wohnungs- und Städtebaupolitikist auch eine Form der Integrationspolitik.Die Rolle des StaatesDer Zusammenbruch der Finanzmärkte hat verdeutlicht,dass der Neoliberalismus und die Lehre vom freien,selbstheilenden Markt sich keineswegs gesetzmäßigimmer positiv für die Gesellschaft auswirken. Die Folgender heutigen Finanzkrise auf den Wohnungsmarktsind bisher überhaupt nicht abschätzbar: Was passiertmit den ehemaligen Wohnungsbaugenossenschaften,die an internationale Investoren verkauft wurden? Trittdie Befürchtung der Kritiker ein, die das Grundrecht desWohnens auf eine Handelsware im Geflecht internationalerFinanzinteressen reduziert sahen? Und haben dieKommunen nicht mit dem Verkauf ihrer Wohnungsunternehmeneinen wichtigen Partner für die Stadtentwicklungspolitikverloren – gerade mit Blick auf dieangestrebte soziale Vielfalt in den Stadtquartieren?Stärker denn je sind Kommunen, Länder und der <strong>Bund</strong>gefordert, hier wieder Vertrauen zu schaffen. In diesemVerständnis entwickelt das Ministerium für Bauen undVerkehr des Landes Nordrhein-Westfalen verschiedeneProgramme, die die Kommunen bei der Entwicklunginnerstädtischer Wohnstandorte unterstützen. Damitsollen die Probleme des Strukturwandels und der sozialenEntwicklung bewältigt werden. Vor diesem Hintergrundfördert das Land den Wohnungsbau mit circa840 Millionen Euro im Jahr 2009. Weitere Projekte wie„Ab in die Mitte“ und „Stadt macht Platz – NRW machtPlätze“ zielen auf die Aufwertung der Innenstädte ab.8


Joachim Seeger vom <strong>Bund</strong>esbauministerium ergänzteauf dem Dortmunder Symposium, dass die Schwerpunkteder Wohnungspolitik heute stärker denn je aufdem Wohnungsbestand und dem Wohnumfeld liegen:die verbesserte Energieeffizienz von Wohngebäuden,das generationsübergreifende und altersgerechte Bauenim Bestand, die soziale Absicherung des Wohnenssowie die Stärkung der privaten Altersvorsorge stehenim Mittelpunkt der Förderpolitik. Weitergehend stellteer Modellvorhaben des BMVBS zum familien- und altersgerechtenUmbau von Stadtquartieren vor, um soattraktive städtische Lebenswelten für alle Generationenzu schaffen.Das Hallenser Symposium thematisierte in diesem Kontextdie künftige Förderpolitik von Stadtumbauprogrammenin den neuen Ländern. Wie ist die Wohnungsfragezu lösen, wenn die Wohnungsfrage gelöst ist? Denn einGroßteil der sanierten Plattenbausiedlungen wird in 20bis 30 Jahren nicht mehr nachgefragt und determiniertschon jetzt den künftigen Handlungsbedarf. Daher bedarfder Stadtumbau eines Perspektivenwechsels. DerDresdner Stadtplaner Herrmann Sträb plädiert beispielsweisedafür, dass Wohnungsgesellschaften ihr Portfoliomit innerstädtischen Wohnungen erweitern sollten, umso an der Stadtverdichtung zu partizipieren. In einerklugen Mischung kann dann der Rückbau von strukturellemLeerstand fortgeführt werden. Die AbteilungStadtentwicklung im <strong>Bund</strong>esbauministerium, vertretendurch Dr. Ulrich Hatzfeld, befürwortet eine stärkereEinbindung der privaten Wohnungseigentümer – alsdie größte Vermietergruppe – in den Stadtumbauprozess.In Form von Immobilienstandortgemeinschaftenkönnen innerstädtische Quartiere von institutionellenund privaten Eigentümern gemeinschaftlich entwickeltwerden. Hier sind mehr Kreativität und Innovationengefordert, um Förderprogramme darauf verstärkt auszurichten.Wohnungsbau ist KlimaschutzDass der Wohnungsbau auch den Klimawandel mitverantwortet, ist angesichts eines Anteils von über 40Prozent am Energieverbrauch in diesem Bereich mehrals deutlich. Die ökologische Stadt, die sich vom Energiekonsumentenzum Energieproduzenten wandelt, istnur mit einer im richtigen Sinne „nachhaltigen“, alsoeiner emissionsarmen und ästhetisch dauerhaften Architekturzu bauen. Das gilt für den Neubau ebenso wiefür die ökologische Modernisierung des Wohnungsbestandes.<strong>Architekten</strong> verbinden neue Konzepte miteiner gesamtheitlichen Planung zu guter Architektur– und erheben damit Anspruch auf eine Zukunftsgültigkeitihrer Entwürfe. Dies haben die Vorträge, Projektvorstellungenund Präsentationen in Halle und inDortmund anschaulich und eindrucksvoll unter Beweisgestellt, die in dem vorliegenden Band beispielhaft dokumentiertwerden.Olaf Bahner und Andreas DenkDr. Olaf Bahner ist Pressereferent des <strong>BDA</strong>, AndreasDenk Chefredakteur der Zeitschrift „der architekt“.9


Künftige Wohnbedürfnisse


Hartmut HäußermannZur Notwendigkeit neuer WohnformenGemeinschaftliche Bedürfnisse der individualisierten GesellschaftDas 20. Jahrhundert ist von einem Bedeutungsverlustfür „gemeinschaftliche Bedürfnisse“ im Hinblick aufWohn- und Lebensformen charakterisiert. Der derzeitigeWandel im Wohnungsbau zeigt jedoch, dass demBedürfnis nach Gemeinschaft wieder eine größere Bedeutungzugemessen wird.Städtische Wohnformen als Form derIndividualisierungIm Laufe des letzten Jahrhunderts haben sich Standardwohnformenherausgebildet, die auf einem bestimmtenBild des Zusammenlebens und der Haushaltsformen beruhen– das Leben der (Kern-)Familie in Wohnungen. DieKleinwohnung resultierte zunächst aus dem Wunsch,in der Stadt zu leben, jedoch dort nicht die Wohnverhältnissevorzufinden, die dem Leben im Verbund derGroßfamilie wie auf dem Land entsprachen. Als die vonchristlichen, liberalen und konservativen Reformern ambesten geeignete Wohnform wurde das Zusammenlebenvon Mann, Frau und Kind – und sonst niemand!– propagiert, idealerweise so, dass der Mann erwerbstätigund die Frau für Haushalt und Kinder zuständigist. Das ist die Vorstellung von der sozialen Form desLebens, die in die Lehrbücher für Architektur einging.Durch diesen Wohnungsbau haben sich die Formendes Zusammenlebens verändert. So wurden nach undnach die nicht direkt zur Familie gehörenden Personenaus dem Haushalt ausgegliedert – aus dem Handwerkerhaushaltzum Beispiel Gesellen und Lehrlinge. Auchältere, pflegebedürftige oder kranke Menschen wurdenin besonderen Einrichtungen konzentriert. Gleiches giltfür Kinder, für die Erziehungs- und Bildungseinrichtungenentstanden.Diese „soziale Verschlankung“ des Haushalts war begleitetvon einer „funktionalen Verschlankung“. Immermehr Funktionen wurden aus dem Haushalt ausgelagertund auf spezielle Institutionen übertragen, dieentweder über den Markt oder vom Staat organisiertwaren. So reduzierte sich der Viel-Personen-Haushalt,in dem alle lebensnotwendigen Funktionen erledigtwurden, zum Kleinhaushalt, zur Kleinfamilie, die inein umfassendes Netz von Versorgungseinrichtungeneingebettet ist. Aus soziologischer Sicht ist dies alsIndividualisierung zu bezeichnen. Damit ist zunächst12


nicht die einzelne Person gemeint, sondern es sind diekleinen sozialen Einheiten, die sich aus den Bindungenund Zwängen der dörflichen Gemeinschaft befreien,aus den Zwängen der großen Verwandtschaft, die imAustausch gegen Fürsorge auch immer Loyalität, Konformitätund Anpassung fordern.Die städtische Wohnform befreite von diesen Zwängen.Dadurch, dass Haushalte in ein Netz von Institutioneneingebettet sind, die statt auf Loyalität im Sinne konfessionelleroder tradierter Normen auf monetären Anreizenbasieren, können Individuen stärker über ihreneigenen Lebensstil entscheiden. Dies ist der zweite Aspektder Individualisierung des 20. Jahrhunderts.Seit Mitte der 1970er Jahre erleben wir einen Wandel,der sich vor allem in der wachsenden Zahl vonEin-Personen-Haushalten ausdrückt: Aus der Standardwohnform„Vater-Mutter-Kind“ treten immermehr Menschen aus und leben alleine. Das führt dieIndividualisierung über die Herauslösung der Haushalteaus den Zwängen dörflicher Gemeinschaften oder Verwandtschaftssystemefort – hin zu individuellen Wohnformen.1500120090060030001991 1993 1995 1997Nichteheliche LebensgemeinschaftenGleichzeitig – und das hängt mit der Individualisierungzusammen – steigt die Anzahl der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften,die in ihrer sozialen Form einerFamilie ähnlich sind, jedoch eine andere Bedeutunghaben. Sie sind im Bewusstsein derer, die diese Lebensgemeinschafteingehen, nicht auf Unendlichkeit, nichtmit Kindernohne Kinder13


Der Anteil der Ein-Personen-Haushalte ist auf etwa 38Prozent angewachsen, in den großen Städten liegt erbei 50 Prozent. Die Zahl der Ein-Personen-Haushaltehat von 1972 bis 2000 um 89 Prozent zugenommen:eine rasante Entwicklung, die die Individualisierung alsTrend in den Wohnformen veranschaulicht. 34 Prozentder Haushalte sind Zwei-Personen-Haushalte, und nurin 29 Prozent aller Haushalte leben drei und mehr Personen.? ? ? ?? ? ? ?Frauen bilden bei den Ein-Personen-Haushalten dieweitaus größte Gruppe. Begründet ist dies mit derunterschiedlichen Lebenserwartung: Frauen leben imDurchschnitt etwa vier Jahre länger als Männer. Einweiterer Grund besteht darin, dass in höheren AltersgruppenScheidungen im Vergleich zu Eheschließungenzunehmen. Deshalb gibt es mehr Ein-Personen-Haushaltein den höheren Altersschichten – dies sind vorallem allein lebende Frauen.Familie: Konstruktion sozialer Netzwerke„bis das der Tod uns scheidet“ angelegt, sondern siesind Entscheidungen, die für eine überschaubare Zeit,vielleicht auch für immer gelten. Der Zeitraum der Bindungbleibt grundsätzlich offen.Nach Altersgruppen geordnet sind die meisten Ein-Personen-Haushaltebei den über 65jährigen zu finden. Dadas Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschlandzunimmt, wird sich auch der Anteil von Ein-Personen-Haushalten weiter erhöhen.14


Das widerlegt die allgemeine Vorstellung, dass die Individualisierungder Lebens- und Wohnformen vor allemjunge Leute betrifft, die freizeitorientiert oder abenteuerlustigund bindungsscheu sind. Die Individualisierungder jüngeren Generation ist zwar signifikant, aberquantitativ wird diese Entwicklung von den älteren Altersgruppendominiert.Individualisierung durch aufgelösteFamilienbindungenDie Familie als die zentrale Einheit des Wohnens, die dieWohnungspolitik im Laufe des 20. Jahrhunderts zentralbestimmt hat, verändert sich. Eine wesentliche Rollekommt dabei dem generativen Verhalten zu: Familienmit Einzelkindern sind seit den siebziger und achtzigerJahren die dominante Familienform. Das Aufwachsenals Einzelkind hat Konsequenzen für das Wohnen: Kinder,die Kinder von Einzelkindern sind, leben in keinenVerwandtschaftsbeziehungen mehr. Wenn Einzelkinderselber Kinder von Einzelkindern sind, dann ist das verwandtschaftlicheGefüge von Tanten, Onkeln, Nichtenund Neffen schlicht nicht mehr vorhanden. Kinder vonEinzelkindern sind im wirklichen Sinn individualisiert.Menschen, die nicht in ein Verwandtschaftssystem eingebettetsind, gibt es in unserer Gesellschaft daher immerhäufiger. Für solche Personen stellt sich die Fragenach sozialer Nähe, nach der sozialen Einbettung speziellin den späteren Lebensphasen. Auf wen kann mansich verlassen? Stabile Beziehungen in Krisenzeiten, seies als seelische, sei es als finanzielle, sei es als ratgebendeUnterstützung, haben traditionell immer Familiengeboten. Bis heute gilt dies – auf Brüder, Schwestern,Onkel und Tanten kann man sich trotz aller familiärerKonflikte und Probleme im Notfall verlassen.Soziale Einbettung und soziale Vernetzungen müssenheute in vielen Fällen hergestellt werden, sie sind nichtmehr von der Verwandtschaft vorgegeben. An dieStelle der Familienbindungen und Verwandtschaftsbeziehungentreten neue, anders konstruierte sozialeNetze: beispielsweise generationenübergreifendes oderaltersgerechtes Wohnen. Diese Formen beruhen aufder Annahme oder auf der Tatsache, dass die sozialeVernetzung im Laufe des Lebens nicht mehr gegebenist, sondern dass sie konstruiert werden muss. Dies isteiner der wesentlichen Problembereiche einer individualisiertenGesellschaft und stellt die Frage nach ihrengemeinschaftlichen Bedürfnissen.15


Frühere StandardbiographieMannqualifizierteAusbildungBerufFraugeringeQualifikationNew Work-Life BalanceMannqualifizierteAusbildungBerufFrauqualifizierteAusbildungBerufGemeinschaftliche Bedürfnisse derindividualisierten GesellschaftGemeinschaftliche Bedürfnisse sind Bedürfnisse nachVerbindung, nach Einbettung, nach Vertrautheit undAnerkennung, nach Nähe, die gesucht und aufgebautwerden müssen. Dabei spielen Wohnformen einegroße Rolle. Die Individualisierung hat – neben den genannten– eine weitere Ursache darin, dass zu Personenaußerhalb der eigenen Familie eine größere Distanz besteht.Der Verlust von Nähe, der mit dem Heraustretenaus Familienverbünden und dem Schritt in die Individualisierungverbunden ist, wird als solcher auch mentalempfunden. Daher stellt sich immer stärker die Fragenach der Balance zwischen Distanz und Nähe: „Wiegestalte ich mein soziales Leben? In welchem Kontextwill ich leben, in welcher Nachbarschaft, in welchemsozialen Netz?“BerufHeirat, KinderEigenheimWohnmaschineHausfrauHeirat? Kinder? WG?BerufBerufTrennung? Neu-ArrangementInstabilität, Wandel in der BiographieFrüherer Standardbiografie − New-Work-Life BalanceFür die heutigen postmodernen Biografien und neuenLebensformen ist die „Work-Life-Balance“ einkomplexes Problem. Das zentrale Element der neuenLebensstile ist die größere Geschlechtergleichheit.Während die klassische Standardbiografie in derfordistischen Periode (etwa zwischen 1920 und 1975)auf Geschlechterungleichheit beruhte, die sich in einemdeutlich geringeren Bildungsniveau des weiblichen Bevölkerungsanteilsausdrückte, bestehen heute keinegeschlechterspezifischen Unterschiede in der Qualifizierungmehr. Damit ändern sich auch die Formen desZusammenlebens und -wohnens. Denn Paare bestehenimmer häufiger aus zwei akademisch Qualifizierten.16


Für die heutige Lebensplanung stellt sich nicht mehrdie Frage nach dem geringer qualifizierten Partner ineiner Beziehung – wer also der „geborene” Kandidatfür Haushalt und Kinder ist –, sondern jetzt stellt sichdie Frage: Wie können zwei gut ausgebildete Personenihre Erwerbstätigkeit arrangieren und zugleich ein Privatlebenführen – und dieses möglicherweise mit Heiratund Kindern verbinden?Wie wohnt man dann? Das Eigenheim ist nicht derideale Ort, um einen komplexen Alltag von zwei erwerbstätigenPersonen mit Kindern zu organisieren. Diegroße Erwartungshaltung, die heute Kindern entgegengebracht wird, und die Bedürfnisse, die Kindern zumTeil aufgedrängt werden, erfordern viel Zeit und Geld.Dafür ist die Erziehung mit zwei Arbeitsleben zu kombinieren.Verbunden ist damit eine Individualisierunginnerhalb der Paarbeziehung: Beide Elternteile wollenden Beruf fortsetzen, aber auch mit ihren Kindern zusammenleben.Dafür braucht ein Haushalt mit zwei Erwerbstätigen inder Regel personelle Unterstützung. Denn mit der Auflösungder Standardbiografien ist auch die Auflösungder Standardarbeitszeit und der Standardbeschäftigungsverhältnisseverbunden. Familien ohne Unterstützung– sei es durch die Familie oder extern rekrutiertesPersonal – haben es sehr schwer. Und deshalb verzichtenviele Paare auf Kinder. Zugleich wünschen sich aberjunge Leute trotzdem Kinder, und dafür müssen sie inneuen Arrangements leben. Aber sie brauchen Unterstützung.Ein englischer Soziologe formulierte es so:„A professional woman needs a wife.“ Aber wer übernimmtdiese Rolle, wenn die Frau erwerbstätig ist undes bleiben will? An ihre Stelle treten Hausangestellteoder die Erkenntnis, dass der Alltag in eine komplexeOrganisation einzufügen ist, um die vielfältigen Erwartungenund Ansprüche zu integrieren.Solche Familien sind gezwungen, für ihre komplexenLebensarrangements ihren Alltag genau zu planen.Dafür sind am besten die innerstädtischen, funktionalvielfältigen Altbaugebiete mit kurzen Wegen geeignet,in denen alle Einrichtungen für Kinder vorhandensind: Kindergruppe, Musikunterricht, Ballettunterricht,Nachhilfe, Psychotherapeut und Öko-Garten. Diese Angebotemüssen alle in der Nähe und zeitlich mit denunterschiedlichen, unsteten und langen Arbeitszeitender Eltern kombinierbar sein. Für zukünftiges Wohnenmüssen Städte daher nicht (nur) kinderfreundlicher,sondern (vor allem) elternfreundlicher werden. DieStädte müssen diese neuen Arrangements, die neue„Work-Life-Balance“, ermöglichen. Und wo dies derFall ist, dort nimmt die Zahl der Kinder auch wieder zu.17


Dementsprechend weisen innerstädtische Altbaubereichemit einer jungen Bevölkerung wieder hohe Kinderzahlenauf – eine Entwicklung, die vor 20 Jahrennoch völlig undenkbar erschien. Die Antwort auf dieFrage nach geeigneten Wohnformen und Wohngegendenfür postmoderne Lebensformen überraschtnicht: Die postmaterielle Gesellschaft bevorzugt gediegenenAltbau. Zur „postmateriellen“ Gesellschaftzählen Menschen, die nicht in Standardbeschäftigungsverhältnissenstehen, die nicht Standardarbeitszeitenhaben, denen auch das Geldverdienen nichtdas Allerwichtigste ist, sondern die sich ein komplexesLeben wünschen und keine strikte Trennung zwischenWohnen und Arbeiten vornehmen wollen. Diese Personenbevorzugen Altbaugebiete. Einerseits, weil vieleAltbauten über Grundrisse ohne eine klare Hierarchieverfügen: also nicht Fernseh-, Schlaf- und Kinderzimmermit Küche, sondern neutrale Räume, die je nachSituation entweder als Arbeitsraum, Raum für Kinderoder Erwachsene, oder als Gemeinschaftsraum genutztwerden können. Das Faszinierende dieser Wohnungenliegt in ihren flexiblen Grundrissen.Und andererseits, weil Altbauten logischerweise in Altbaugebietenstehen. Altbaugebiete sind Wohnquartiere,die aufgrund ihrer Geschichte über eine vielfältigeInfrastruktur verfügen, die sich an geänderte Mieterstrukturen– zum Beispiel an junge, in der WissensoderKulturindustrie tätige Menschen – relativ raschmit Gastronomie, Kultureinrichtungen und ähnlichenAngeboten anpassen. Diese Flexibilität in der Nutzungweisen nur Altbaugebiete auf, jedoch nicht Neubaugebiete,und dazu zählen bereits Wohnquartiere ab denzwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts – die Resultatedes ‚modernen’ Städtebaus.Über den Schriftsteller Steffen Kopetzky berichtete dieBerliner Zeitung vom 25./26. Oktober 2008: „Nach Jahrenin Berlin, Hamburg und Bonn ist er in seine Heimatstadtzurückgezogen und dort zum Kulturbeauftragtender Gemeinde gewählt worden. Seine Rückkehr nachPfaffenhofen erklärt er nicht mit einer Midlife-Krise,sondern mit seinem vierjährigen Sohn Leopold. Der seies gewesen, der den Wunsch nach Heimkehr in ihmreifen ließ. ‚Ich habe als Kind eine sehr enge Bindungan meinen Großvater gehabt’, erzählt er, ‚oft war ichbei ihm. Er erzählte mir von dem, was er erlebt hatteoder wir haben einfach zusammen Holz gehackt im18


Garten. In meinem Opa hat für mich das 20. Jahrhundertgelebt.’ Solch eine magische Beziehung gebe esnur zwischen Kindern und Großeltern. Deshalb ist ermit seiner Familie zurück nach Pfaffenhofen gezogen,wo seine Eltern, sein Bruder und die anderen Verwandtenleben“.Dieses „Modell Pfaffenhofen” löst das Problem, wennEinzelkinder Kinder von Einzelkindern sind und ohneverwandtschaftlichen Kontext leben. Das Einfachste ist,wie Steffen Kopetzky wieder zur Verwandtschaft zurückzuziehen.Die soziale Einbettung, die er offensichtlichin Berlin oder in Hamburg nicht in gleichem Maßegefunden hat, ist für seine Rückkehr verantwortlich.Das ist ein denkbarer Weg in gemeinschaftliche Strukturen.Allerdings wird für Fremde der Zutritt in solchkleine Gemeinden wie Pfaffenhofen in der Regel mitProblemen verbunden sein – den ‚Weg zurück’ könnennur wenige gehen.Die negative Seite der sozialen Nähe in kleinen Gemeinschaftenist ja der Grund für das Streben nachIndividualisierung: die Befreiung, die Emanzipation aussolchen gemeinschaftlichen Bindungen, die als Preis fürdie Zugehörigkeit Loyalität und Anpassung verlangen.Die Anonymität einer Großstadt und die Möglichkeit,auf unterschiedliche Weise zu leben, bieten kleinereGemeinden nicht. Aber das Bedürfnis nach Gemeinschaftist auch in den jungen Generationen vorhanden.Nicht als eine traditionelle oder eine nostalgischeSehnsucht, sondern als eine praktische Notwendigkeit.Diese Balance zwischen Nähe und Distanz, die ein individuellesLeben ebenso wie eine soziale Einbettung inKrisenzeiten ermöglicht, bestimmt die Anforderungenan zukunftsfähige Wohnformen.Prof. Dr. Hartmut Häußermann lehrt Stadt- und Regionalsoziologiean der Humboldt-Universität zu Berlin.19


Walter Stamm-TeskeStadttheater in fünf AktenAkteure, Bühne, Kulisse, Organisation und TechnikDer Fokus einer aktuellen Betrachtung von Stadt liegtnicht auf der Handlung innerhalb der Stadt als Theater,sondern auf den Akteuren, der Bühne, der Kulisse, derOrganisation und der Technik. Wenn der Raum für dieAkteure dieses Theaters definiert ist und für sie Kulisseist, ist seine Gestalt nicht entscheidend.Die BühneAls Exempel für die Bühnen des städtischen Lebensseien hier zwei prototypische Beispiele angeführt. Zumeinen die typische Erscheinung der europäischen Großstadt– eine Straße, gebildet aus Bauten, die im Erdgeschossfür Handel oder Gewerbe genutzt werden undvier oder mehr Wohngeschosse darüber haben. VieleMenschen in Mitteleuropa schätzen solche Altbauwohnungenwegen ihrer nutzungsneutralen Räume. Diekonkrete Architektur ist dabei nicht entscheidend. DieBauten sehen prinzipiell gleich aus: seriös ausgeführt,hochwertig und als Ensemble auf die städtische Bühnewirkend. Der Querschnitt der Räume ist entscheidend− vor allem auf der Ebene der Stadträume. Vor der Beschäftigungmit der Stadt und ihren Qualitäten, die die<strong>Architekten</strong> zu interpretieren versuchen, muss die Beschäftigungmit der gewachsenen Stadt stehen.Auch das zweite Beispiel zeigt ähnliches: Eine kleineStadt, mit kleinen Plätzen, im Mittel mit drei Geschossen.Auch dort findet sich eine Nutzungsunterlagerungim Erdgeschoss. Hier wie anderswo stößt man auf einwahres Gewirr unterschiedlicher Objekte: schöne Häusergenauso wie hässliche Lückenfüller. Dieses Chaostritt im städtischen Rahmen gar nicht in Erscheinung.Auf dieser Ebene zählt einzig der Raum.Wenn man sich europäische Städte unterschiedlicherGröße anschaut, trifft man − gleichgültig, ob in Holland,Belgien, Frankreich, Italien oder Deutschland –auf ein Idealbild. Traurig ist, dass kaum eine Stadt derzweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts diesemIdealbild entspricht – sogar in den Niederlanden nicht.Es gibt kaum ein neueres Beispiel, von dem sich sagenließe, dass hier „Stadt” gebaut wurde. Deshalb kommtin vielen Betrachtungen zur Stadt immer wieder dasGestern durch. Wie aber kann Stadt heute aussehen?20


Um ein funktionierendes Bild von Stadt zu erzeugen, bedarfes einer Baubehörde und eines Bauordnungsamts,die die Kunst beherrschen, die Augen zuzudrücken, dieÜbergriffe und somit Leben erlauben. Darüber hinausbedarf es der Akteure in den Kulissen, die bereit sind,diesen öffentlichen Rahmen zu bespielen.Die KulisseDie Kulisse − das, was Architektinnen und <strong>Architekten</strong>behandeln − ist im Theater nur eine dünne Schicht. Inder Stadt aber ist sie eine Füllung.Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts lebte eine Familiemeistens unter einem Dach − oft zusammen mitanderen Menschen. Innerhalb eines Hauses gab es eineHierarchie, die einer geordneten Sozialgemeinschaftder fünfzig bis sechzig Hausbewohner entsprach. Dasist heute anders, was für Planer in vieler Hinsicht einProblem ist. Was muss eine Kulisse innerhalb der Stadtalso bieten?Nur so kann ein Bild entstehen, das sich den ganzenTag über ändert und doch immer funktioniert. Von derStraßenreinigung am frühen Morgen über den Anlieferservicefür die Läden, den Außenverkauf, etwaigeRuhephasen, den erneuten Verkauf zum Abbau derVerkaufsstände hin zur Einkehr der Ruhe mit der Schlafenszeit.So haben die Bewohner der Kulisse eine Verpflichtung:Sie müssen sich um die Bühne kümmern.Es können keine Drittpersonen sein, die diese Organisationübernehmen. Die Kulisse selbst, das Haus, mussso organisiert sein, dass es dem Bewohner sowohl diePrivatbenutzung als auch die Erfüllung seiner Verpflichtungengegenüber der Öffentlichkeit erlaubt.Neben den Bauten, deren ebenerdige Bereiche öffentlichgenutzt werden, müssen wir uns auch mit solchenbeschäftigen, die im Erdgeschoss privat „bespielt” werden.Wie können diese Bereiche ausgeformt werden,dass sie sowohl privat, intim und persönlich sind, aberdie Kommunikation mit dem öffentlichen Raum derStraße dennoch zulassen? An solchen Orten müssenwir uns mit Nutzungen beschäftigen, die für diese Orteangemessen sind. Es braucht eine Trennung von der21


Bei der Beschäftigung mit diesen Fragestellungenbraucht nichts neu erfunden zu werden. Vielmehr gehtes darum, eine Kontinuität der Architekturtypologiender Stadt herauszukristallisieren. An der Typologie desgestapelten Einfamilienhauses lässt sich beispielsweisegut die Problematik ablesen, dass die heutige Hausgemeinschaftin der Regel wesentlich kleiner ist als die vorhundert Jahren. Auch für eine vierköpfige Familie kannman noch kein vernünftiges Stadthaus bauen. Wennsolche Projekte entstehen, dann nur zu indiskutablenPreisen.Bühne und der Kulisse. Etwa ein Balkon als Eingangsituation− als Terrasse zum Bühnenraum. Diese Terrassekönnte so ausgeformt sein, dass unter ihr Dreiräder,Fahrräder und ähnliche Fahrzeuge Platz haben, dieKommunikation über die Augenhöhe allerdings nocheinwandfrei funktioniert.Diese Kommunikation scheitert jedoch − auch in derschönsten Altstadt −, wenn die Erdgeschosse leergeräumtwerden, wenn Betriebe und Läden zu Garagenumfunktioniert worden sind. Und sie funktioniert auchnicht, wenn Architektur zur Karikatur wird.In vielen Städten, auch in jungen, die noch von keinerVergangenheit zehren, finden sich im Innenstadtbereicheine Vielzahl von Parzellenstücken, die bebaubarsind. Dabei wurde dort oft der Fehler begangen, dieEinkaufsmöglichkeiten vor der Stadt auf der grünenWiese zu bündeln. Man war sogar stolz auf diese gelungeneFunktionstrennung. Doch inzwischen merktman, dass die Innenstädte leer bleiben und bedauertdas Vorgehen der letzten Jahre. Das Hauptproblem vielerleerer Parzellen und Baulücken ist, dass sie derzeitals Parkplätze vermietet werden − sie also nur als leererscheinen, de facto jedoch genutzt werden. In vielenStädten ist es heute schwieriger, einen Parkplatz zu finden,als eine Wohnung. So müssen bei Bauvorhabenstets Parkplätze nachgewiesen werden, um überhauptmit dem Ort arbeiten zu können. Diese Parkplätze dürfennicht zu wichtig werden: Im Vordergrund stehennach wie vor im Erdgeschoss angelegte Gewerbeeinheitenmit darüber liegenden Wohnungen. Der Anbindungder oberen Geschosse an den Stadtraum sowiederen Ausstattung mit privaten Außenräumen kommtdabei immense Wichtigkeit zu.22


Eine Wohneinheit könnte dabei stets über zwei Geschosseführen und als Wohngemeinschaft ausgelegtsein − gleichgültig, wer in den Räumen wohnt. Das hatnichts mit dem Begriff „Familie” zu tun. „Familie” istnur eine Übergangserscheinung, da es Wohnen mitKindern nicht dauerhaft gibt. Es gibt nur Wohnraum,der sowohl kind-, als auch alters- und pflegegerechtist.Bei dieser Form der Stapelung von Wohngemeinschaften,bei der „Graue Wohngemeinschaften” einezentrale Rolle spielen könnten, stößt man auf ein weiteresProblem: Auf der einen Seite werden in der Stadtgestapelte Eigentumsformen gewünscht, auf der anderenSeite sollen sie behinderten- und altersgerechtsein.Wenn den zukünftigen Bewohnern zu Beginn des BauundEntwicklungsprozesses keine vollständigen Häusergezeigt werden, sondern nur Einzelteile der Gebäude,kann die Vermittlung der architektonisch-räumlichenIdeen deutlich einfacher sein. Die Einzelteile verstehtder künftige Nutzer, die architektonische Idee dahinterjedoch selten. Diese Einzelteile finden sich schließlichalle innerhalb eines Ordnungssystems ein und mündenam Ende in ein Bild von einem städtischen Haus. Dabeistehen sowohl die Anbindung von außen und innenals auch die Ausformung von Kochstellen, Individualräumenund die vertikale Erschließung als Einzelteileinnerhalb dieses Ordnungssystems im Fokus unsererBetrachtung.Neben der Raumkonfiguration sind für gute ArchitekturThemen der Ökologie ebenso notwendig wie Statikund Baukonstruktion. Sie dürfen nur nicht ideologischaufgeladen werden, sondern gehören vielmehr zum alltäglichenRüstzeug der <strong>Architekten</strong>, das diese selbstverständlichbenutzen müssen.In diesen gestapelten Einfamilienhäusern könnenWohngemeinschaften jeglicher Art entstehen, denenjeweils eine kleine Wohnung angegliedert ist − etwa imErdgeschoss. Diese kann an Studierende vermietet werden,oder die Bewohner einer Alters-WG stellen diesen23


Raum einer angestellten Pflegeperson zur Verfügung.So entstehen differenzierte Modelle der Altenbetreuungauch im Kleinen.Wenn ein solches soziales Umfeld generiert wird, indem sich die Bewohner wohl fühlen, dann ist auch derWechsel der Wohnung innerhalb eines solchen Siedlungsgebieteskein großes Problem mehr. Und wenndarüber hinaus die Wohnungen in unterschiedlichenGrößen von ganz klein bis ganz groß mit MaximumundMinimumzimmerteilung mit variablen Trennelementenangeboten werden, kann für die BewohnerFlexibilität entstehen.Die OrganisationDie Frage nach der Einbindung der Bauherren kannpragmatisch mit der Gründung von Baugruppen beantwortetwerden. Baugruppen sind Arbeitsgruppen, diesich sehr aktiv am Bauprozess beteiligen und bei nahezuallen Entscheidungen, die die Bauausführung betreffen,eingebunden werden können. Bei Veranstaltungenvor Baubeginn können <strong>Architekten</strong> auf sich und ihrePlanungen aufmerksam machen und potentielle Baugruppenzur Investition motivieren. So lernen sich Bauherrenund <strong>Architekten</strong> kennen, und die Planer werdenfür die Bedürfnisse der Baugruppen sensibilisiert. Aufder anderen Seite merken die zukünftigen Bewohner,was Wohnbauarchitektur in der Stadt leisten kann.Doch wie bringt man die Akteure für Kulisse und Bühnezusammen? Ausschlaggebend sind dabei die hartenFaktoren der bekannten Parameter und die weichenFaktoren der zukünftigen Nutzer als unbekannte Parameter.<strong>Architekten</strong> können die Zuständigkeit für dieharten Faktoren übernehmen, die Stadt und die Wohnungsbaugenossenschaftendie der weichen Faktoren.Beispielsweise bei Workshops können Spielregeln fürdie harten Faktoren erarbeitet werden, die noch nichtunmittelbar fertige Häuser zur Folge haben. Der klassische<strong>Architekten</strong>wettbewerb, bei dem das schönsteHaus gewinnt und im Nachhinein die Anforderungender Nutzer an diesen Entwurf angepasst werden müssen,ist dabei wenig zielführend. Sinnvoller erscheint es,im Dialog mit den Nutzern und den weichen Faktorenzum Ziel zu kommen. Die Erfahrung zeigt, dass lautdenkende Planer im Dialog mit den Bauherren zu langfristigguten Ergebnissen kommen können.24


Die TechnikSeit Leonardo da Vinci stellen wir keine nennenswerteEntwicklung der Stadttechnik fest: Schon da Vinciwusste, dass eine Stadt bei hoher Bewohner- undBebauungsdichte nicht mehr auf einer Ebene funktioniert.Bereits bei ihm sind Anlieferung und ähnlicheDinge anders gedacht und auf eine unterirdische Ebeneverbannt worden. Dabei geht es um den städtischenRaum, der nur dann als Bühne mit gesellschaftsbildendenEigenschaften funktioniert, wenn er eine gewisseEnge erzeugt. Der städtische Raum braucht deshalbeine sehr sorgfältige Oberflächenbehandlung. Das istmittlerweile erkannt worden und wird in einigen Städtenkontinuierlich umgesetzt.Genossenschaften können dabei gute Partner sein, dasie die Konfliktfähigkeit erhöhen. Kunden und Käuferdenken in der Regel, in der bestimmenden Rolle zusein. Kunde ist jedoch nur der, der bezahlt und ein Produkterwirbt – und das in einem bestimmten Moment.Das ist bei einem Haus eine sehr kurze Zeit. Nachherkommt die lange Zeit der Nachbarschaft. Diese Nachbarschaftwird in einer Genossenschaftssiedlung nichtvon Juristen geregelt, sondern vom Verstand. DerWohnungswechsel im Alter oder wegen einer neuensozialen Situation wird bei genossenschaftlichen Modelleneinfacher, da die Gewinnabschöpfung nicht imVordergrund steht.Wenn jeder Quadratzentimeter seinen Verantwortlichenhat, wenn die Räume der Stadt klein und klar zugeteiltsind, kann dieses wunderbare Bild von „Stadt”als ein räumliches Gefüge entstehen, bei der Kulisseund Bühne, von Technik und Organisation unterstützt,den Akteuren nutzen. Denn in der Tat ist Stadt etwasWunderbares...Der Beitrag ist ein Zusammenfassung des Vortrags vonProf. Walter Stamm-Teske, der bis 2009 Entwerfenund Wohnungsbau an der Bauhaus-Universität Weimarlehrte.25


Peter EbnerZukünftige WohnformenStudie zum NachfrageverhaltenNeuerungen im Wohnungsbau sind dringend erforderlich.Ein wesentlicher Faktor dafür sind neue Formendes Zusammenlebens, die andere Vorstellungen undWünsche an Wohnungen formulieren als die klassischeKleinfamilie: Single-Haushalte, Senioren-Wohngemeinschaftenoder die auf eine gewisse Zeit angelegtenLebensgemeinschaften fragen Wohnformen nach, dievon der Standardwohnung „Familie mit einem Kind“abweichen. Neuerungen im Wohnungsbau sind somitauf breiter Ebene gefordert.Dabei richten sich die Erwartungen weniger auf spektakuläreNeuerungen als vielmehr auf Wohnkonzepte,die dem durch familiäre und berufliche Anforderungengeprägten Alltag gerecht werden: In einem erstenSchritt wird die Qualität von Wohnformen durch städtebaulicheAspekte geprägt. Denn sowohl die ältereGeneration als auch die postindustrielle Generationmit zeitintensiven Beschäftigungsverhältnissen schätztein intaktes Wohnumfeld mit einer sozialen Infrastruktur.Dazu gehören Geschäfte, Kultureinrichtungen undKindergärten, die im unmittelbaren Wohnumfeld angesiedeltdie täglich zurückzulegenden Wege minimierenund so den Alltag verschiedener Generationen erleichtern.An die Stelle des Ideals vom Eigenheim im Grünentritt inzwischen das Konzept des urbanen Lebens, dasWohnen und Arbeiten sowie das städtische Kulturangebotverbindet.Generationsübergreifend besteht der Wunsch, möglichstlange in demselben Wohnquartier zu leben, alsoweder aufgrund von Familienzuwachs noch aufgrunddes Alters in ein anderes Stadtquartier ziehen zu müssen.Im Alter gewinnt die Bedeutung des Wohlbefindensin der Wohnung noch mehr an Gewicht, da mitabnehmender Mobilität die eigene Wohnung mehrund mehr zum Lebenszentrum wird. Zugleich ist derErhalt der gewohnten Umgebung, das selbständige Lebenim vertrauten Viertel und in den gewohnten Räumenein Lebenselixier. Viele heutige Standardlösungenwerden den Bedürfnissen zahlreicher älterer Menschennicht mehr gerecht: Wohnungen werden im Alter zugroß, bieten zu viele Hindernisse, Häuser liegen zu weitaußerhalb, Einkaufs- und Versorgungsmöglichkeitensind zu schwer zu erreichen.Andererseits müssen künftige Wohnkonzepte denAnsprüchen und Bedürfnissen einer immer vielschichtigerenGesellschaft gerecht werden – gemeinschaftlichesund generationenübergreifendes Wohnen, sichverändernde Lebenssituationen für Familien, Home-Offices.Nicht überraschend werden daher in Befragungenals bevorzugte Wohngegenden immer wieder die dichten,innerstädtischen Gründerzeitquartiere angegeben,die sich durch ein differenziertes Wohnangebot undeine vielfältige soziale Infrastruktur auszeichnen.Für eine genaue Analyse der Anforderungen und Erwartungenan künftige Wohnformen hat der Lehrstuhlfür Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft an der26


TU München eine Primärerhebung zum Wohnungsmarktin München im Jahr 2005 durchgeführt. DasZiel bestand darin, Vorstellungen und Bedürfnisse derWohnungssuchenden zu erfragen und damit Potentialefür den Wohnungsbau zu identifizieren. Dazu wurden534 Kaufinteressenten von Eigentumswohnungenim Geschossneubau an verschiedenen Standorten inMünchen – von der Innenstadt bis zum Umland – undin differenzierten Preissegmenten – von circa 2.800Euro bis circa 4.200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche– befragt. Die Ergebnisse stellen sich wie folgt dar:Vielfalt und Maßstäblichkeit im StädtebauBesonders gefragt sind in ihrem Maßstab leicht erfassbareund überschaubare Wohnquartiere, die sichdurch Vielfalt im Städtebau und Individualität in derArchitektur auszeichnen. Bevorzugt werden Quartiere,in denen drei- bis fünfgeschossige Wohnbauten überwiegen.Ruhe, gemeinschaftliche Freibereiche wie Hofoder Garten für einen informellen nachbarschaftlichenAustausch werden als Qualitäten von Wohnquartierenwahrgenommen.8070605040302010073,97% 56,37% 49,06% 47,57% 35,56% 32,4%FreibereicheRuhe/LärmschutzEinbindung in die UmgbungNachbarschaftErscheinungsbild/ImageParkplatz/TiefgarageLage der Wohnung im GebäudeGleichermaßen beliebt sind Wohnungen im Regel- (49Prozent) wie im Dachgeschoss (46 Prozent). Für Erdgeschosswohnungeninteressieren sich 36 Prozent derBefragten. Das große Interesse an Dachgeschosswohnungenund die relativ hohe Nachfrage nach Erdge-Qualitätskriterien eines Wohnquartiersschosswohnungen ist durch den Wunsch nach einemprivaten Freibereich wie Garten, Terrasse oder Dachterrassebegründet. Dachgeschosswohnungen werdenauch wegen ihrer räumlichen und atmosphärischenWohnqualitäten geschätzt; Erdgeschosswohnungen27


Häufigkeiten120100806040FamiliePaarSingle5 und mehrZimmer4-4,53-3,52-2,51-1,5Wohnungsgrößen und GrundrisseAm häufigsten werden mittlere Wohngrößen (71 bis80 Quadratmeter) nachgefragt, gefolgt von größerenWohnungen (91 bis 100 Quadratmeter sowie 81bis 90 Quadratmeter) und kleineren Wohnungen (61bis 70 Quadratmeter sowie 51 bis 60 Quadratmeter).Damit besteht die Tendenz zu größeren Wohnungen,die sowohl von größeren Haushalten als auch von Singlesund Paaren bevorzugt werden. Am beliebtestenist der Wohnungstypus mit nutzungsneutralen und offenenGrundrissen: Nicht die dogmatischen Vorgabenfür die klassische Zimmeraufteilung „Wohnen, Kinder,Küche“ sind gefragt, sondern Vielfalt im Wohnen sollermöglicht werden. Flexible und neutrale Grundrissewerden diesem Anspruch gerecht.200120 Wohnfläche inQuadratmeterDifferenzierte Nachfrage nach Wohnungsgrößenaufgrund ihrer Eignung als Familienwohnung. ÄltereMenschen bevorzugen das Regelgeschoss, das keineGartenarbeit erfordert und sicherer erscheint als dieebenerdige Erdgeschosswohnung.Ausstattung der WohnungDer Ausstattungsgrad der Wohnung entscheidet wesentlichüber die Akzeptanz der Wohnungssuchenden:Wohnküchen und große Küchen mit Essplatz werdenstatt kleiner Funktionsküchen oder innen liegender Küchenbevorzugt. Diese Küchenformen werden dem Bedürfnisnach Gemeinschaft, Kommunikation und Aufenthaltsqualitätim täglichen Leben oder mit Gästen ambesten gerecht. Auch bei Bädern wird ein großer Wertauf Komfort gelegt: Die Nasszelle war gestern, gefragtsind heute das natürlich belüftete und belichtete Bad.Ein weiterer zentraler Ausstattungsaspekt sind Fassadenöffnungen:Panoramafenster oder raumhohe Verglasungenbeeinflussen die Wohnqualität. Prioritätenfür die Wohnausstattung haben großzügig geschnit-28


80tene Balkone, Terrasse oder Garten. Nur fünf Prozentder Befragten würden eine Wohnung ohne privatenAußenraum kaufen. Gehobene Ausstattung wie einseparates Gäste-WC oder ein zweites Bad sind deutlichweniger wichtig. Diese erlangen erst bei großenWohnungen und mit zunehmendem Alter eine größereBedeutung.Im Ergebnis der Studie wird deutlich, dass die meistenMenschen inzwischen ihre Lebensqualität nach demStandard ihrer Wohnsituation beurteilen. Je mehr dasWohnen den eigenen Vorstellungen entspricht, destogrößer ist ihre Zufriedenheit. Ob die eigene Wohnungan den jeweiligen Lebensabschnitt angepasst ist oderob man in einem flexiblen, mit den sich ändernden individuellenAnsprüchen der Bewohner mitwachsendemHaus lebt: Die Art und Weise des Wohnens, die Gestaltungdes privaten Lebensraumes entscheidet darüber,ob man sich einem Ort zugehörig fühlt, ob man sich mitihm verbunden fühlt. Der Erfolg der vielfach beschworenen„Renaissance der Stadt“ ist auch von den Wohnkonzeptenabhängig: Wohnen, Arbeiten und Leben inder Stadt muss wieder für alle Generationen attraktivwerden.Prof. Peter Ebner hatte bis 2009 den Stiftungslehrstuhlfür Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft an derTechnischen Universität München inne.70605040302010073,87% 52,82% 47,37% 47,18% 45,99% 44,55% 25,0% 24,25%großer Freisitzgroße WohnungAufzugAbstellräumeAusstattungsqualitäten von WohnungenTiefgaragealterungsfähige MaterialienQuellePrimärerhebung zum Wohnungsmarkt in München.Erstellt vom Stiftungslehrstuhl für Wohnungsbau undWohnungswirtschaft an der Technischen UniversitätMünchen im Auftrag der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt2005.Ökologiegehobene Ausstattung29


János BrennerStädtebauliche AufwertungStadtumbau Ost und WestDie Städte – sowohl in den neuen, als auch in den altenLändern – stehen auf Grund des wirtschaftlichenStrukturwandels, rückläufiger Bevölkerungszahlen,des Wohnungsleerstands und der veränderten Zusammensetzungder Bevölkerung zunehmend vor neuenHerausforderungen. Der <strong>Bund</strong> unterstützt Länder undStädte bei den notwendigen städtebaulichen Anpassungsstrategiendurch die Förderprogramme StadtumbauOst (seit 2002) und Stadtumbau West (seit 2004).Stadtumbau OstDas Programm Stadtumbau Ost zielt darauf ab, dieAttraktivität ostdeutscher Städte und Gemeinden alsWohn- und Wirtschaftsstandorte zu stärken. Im Mittelpunktdes Programms stehen gleichermaßen Maßnahmenzum Rückbau leer stehender, dauerhaft nichtmehr benötigter Wohngebäude sowie Maßnahmen zurAufwertung von Stadtquartieren, jeweils auf Grundlagevon städtebaulichen Entwicklungskonzepten. Insgesamtstehen 2,5 Milliarden Euro an Fördermitteln fürdie Jahre 2002 bis 2009 zur Verfügung, die von <strong>Bund</strong>,Ländern und Gemeinden bereitgestellt werden, davonallein 1 Milliarde Euro vom <strong>Bund</strong>. Seit Beginn des Programmssind 364 Gemeinden mit mehr als 820 Maßnahmengefördert worden.Das zentrale Ziel des Stadtumbaus Ost bestand zunächstim Rückbau leer stehender Wohnungen. Bis Ende 2007wurden über 221.000 Wohnungen zurückgebaut unddamit der Wohnungsmarkt stabilisiert. Die Leerstandsquoteder kommunalen Wohnungsunternehmen undWohnungsgenossenschaften konnte von 16,2 Prozentim Jahr 2002 auf 10,9 Prozent Ende 2007 gesenkt werden.Eine weitere wesentliche Intention des Stadtumbausbesteht in der Stärkung der Innenstädte durch einequalitative Aufwertung. Das Bild vieler Städte stellt sichheute bereits attraktiver dar und trägt wesentlich zurImageverbesserung bei. Gleichwohl kommen die gewünschtenEffekte, insbesondere in den Altbauquartieren,noch nicht überall zum Tragen. Deshalb gewinntdie zweite Säule des Stadtumbaus Ost, die Aufwertungder Innenstädte und erhaltenswerter Stadtquartiere,zunehmend an Bedeutung. Dazu gehört auch der Erhaltder Bausubstanz, die das Stadtbild prägt. Die bisherigeInvestitionstätigkeit in diesem Bereich muss weiterfortgeführt werden, um positive Wirkungen in deninnerstädtischen Altbauquartieren zu erreichen.Für einen derartig zukunftsfähigen Stadtumbau sind dieWeichen jetzt zu stellen: Nach dem durch Abriss reduziertenPlattenbaubestand gilt nunmehr die besondereAufmerksamkeit dem historischen Baubestand. Denndie Zukunft vieler derzeit leer stehender Altbauten er-30


scheint ungewiss. Rund 13.000 Altbauwohnungen,das entspricht ca. 9 Prozent aller Abrisse, sind nach derKommunalbefragung 2006 im Rahmen des ProgrammsStadtumbau Ost abgerissen worden. Betroffen warenzum Beispiel seit langem leer stehende Gründerzeitgebäudeam Rande historischer Innenstädte. Die Vorteileinnerstädtischen Wohnens werden sich jedoch langfristigangesichts der verschärften demographisch bedingtenKonkurrenz der Wohnstandorte durchsetzen.Eine strategische Ausrichtung des Stadtumbaus auf dieStärkung der inneren Stadtteile ist daher erforderlich.Perspektiven für den innerstädtischenAltbaubestand schaffenIm Ergebnis der öffentlichen Debatte zum Erhalt und zurStärkung innenstädtischer Altbaubestände konnte der<strong>Bund</strong> eine Wende in der Förderpolitik einleiten. <strong>Bund</strong>und Länder haben sich in der VerwaltungsvereinbarungStädtebauförderung 2008 auf Neuregelungen zur künftigenAusgestaltung des Stadtumbaus Ost geeinigt: DieRückbauförderung von vor 1919 errichteten Gebäudenin straßenparalleler Blockrandbebauung (Vorderhäuser)oder anderen das Stadtbild prägenden Gebäuden sowievon denkmalgeschützten Gebäuden (unabhängigvom Baujahr) wird nunmehr ausgeschlossen. Der Anteilder Mittel, die für Sicherungsmaßnahmen an Altbautenbis zum Baujahr 1948 eingesetzt werden können, wirdvon 5 Prozent auf 15 Prozent des FinanzvolumensStadtumbau Ost angehoben (Förderkomponente ohneEigenanteil der Kommune).Weitergehend eröffnet die Umwidmung der Altschuldenhilfeden Wohnungsunternehmen die Möglichkeit,Altbaubestände mit stadtbildprägendem Charakterzu sanieren, statt sie abzureißen. Die Wohnungsunternehmenerhalten Sanierungsmittel anstelle der Altschuldenhilfen,wenn sie die Altbauten sanieren undsomit erhalten oder veräußern. Im Veräußerungsfallist der Entlastungsbetrag dann für Sanierungsmaßnahmenfür andere, das Stadtbild prägende Altbautenzu verwenden. Die Regelung beinhaltet keine weitereMittelbewilligung, sondern nur eine Option zur Umwidmungbereits bewilligter Altschuldenentlastung inSanierungsmittel. Über die mögliche Wiedereinführungder Investitionszulage als wichtiges Instrument zur Stärkungder innerstädtischen Altbaubestände wird derzeitdiskutiert.Stadtumbau braucht starke PartnerInsbesondere bietet sich für Wohnungsunternehmendurch ein stärkeres Engagement in den Innenstädten –bis hin zum Kauf von Gebäuden – die Chance, ihr Portfoliozu qualifizieren und damit einen wichtigen Beitragzur Erneuerung der Innenstädte zu leisten. Die privatenEigentümer gehören neben der kommunal und genossenschaftlichorganisierten Wohnungswirtschaft zuden zentralen Akteuren im Stadtumbau. Sie verfügen31


zusammen über 40 Prozent aller Mietwohnungen inden neuen Ländern und 80 Prozent aller Altbauten inden Innenstädten. Daher beabsichtigt der <strong>Bund</strong>, privateEigentümer stärker in die städtebauliche Aufwertungeinzubeziehen. In diesem Sinne hat das <strong>Bund</strong>esbauministeriumein Modellvorhaben zur Bildung von Eigentümerstandortgemeinschaftengestartet, so dass Privateigentümereinen stärkeren Stand erhalten.Im Ergebnis der Evaluierung des Programms durch dasDeutsche Institut für Urbanistik und das Institut fürStadtforschung und Strukturpolitik wird empfohlen, dasProgramm bis 2016 weiterzuführen und bis dahin weitere200.000 bis 250.000 Wohneinheiten vom Marktzu nehmen. Künftig wird es verstärkt darum gehen,innerstädtische Altbauquartiere aufzuwerten und denAltbaubestand zu erhalten. Damit bleibt die Aufwertungder Innenstädte eine der wichtigsten Aufgaben.Stadtumbau WestDas Programm Stadtumbau West unterstützt inzwischenüber 200 Kommunen bei der Bewältigung desdemographischen und wirtschaftlichen Strukturwandels.Dabei stehen innerstädtische Konversionsflächeninfolge des wirtschaftlichen Wandels im Vordergrund,der die Städte neben Arbeitslosigkeit häufig auch mitleergefallenen Industriearealen konfrontiert.Die Kernpunkte des Programms beinhalten Finanzhilfenzur Erarbeitung integrierter städtebaulicher Entwicklungskonzepte,auf deren Basis nachhaltige städtebaulicheStrukturen geschaffen werden können. WeitereFinanzhilfen dienen dazu, Stadtquartiere als Wohn- undWirtschaftsstandort durch die Wieder- und Umnutzungvon Brachflächen – insbesondere Militär- und Gewerbebrachen– aufzuwerten. Ein weiterer Förderaspektbesteht darin, die Wohngebiete der 1950er bis 1970erJahre im Sinne zukunftsfähiger, familiengerechter undgenerationsübergreifender Wohnformen zu modernisieren.Dies beinhaltet auch den Rückbau wie heute inden neuen Ländern. Die <strong>Bund</strong>esfinanzhilfen betrugenin den Jahren 2004 bis 2007 insgesamt 211 MillionenEuro. Die Förderung wurde 2008 mit 58 Millionen Euroauf hohem Niveau fortgesetzt.Chance für neue StadtqualitätenFür die Städte eröffnet der Stadtumbau West die Chance,neue Stadtqualitäten zu schaffen, die den geändertenAnsprüchen der Gesellschaft Rechnung tragen.Dabei stehen die Innenentwicklung der Städte, die Aufwertungund der bedarfsorientierte Umbau der Stadtquartiereim Mittelpunkt einer nachhaltigen Strategie.32


Die Rückführung von brachgefallenen Liegenschaftenin zentraler Lage in den Flächenkreislauf bietet zugleichChancen für die Immobilienwirtschaft, die gemeinsammit der Kommune sowohl an der Aufwertung mitwirken,als auch von der Erschließung der Wertpotentialedieser Liegenschaften profitieren kann. Die qualitativeAnpassung der Wohngebiete der 1950er bis 1970erJahre kann in Zusammenarbeit mit der Gemeinde dieWerthaltigkeit und Zukunftsfähigkeit der Immobiliendurch moderne Grundrisszuschnitte, Sanitäranlagenund nicht zuletzt durch ein attraktiveres Wohnumfeldwesentlich verbessern.Unterschiede und Gemeinsamkeiten derProgramme Stadtumbau Ost und WestSo unterschiedlich die Situation in Ost und West aucherscheint, so können Städte dennoch voneinanderlernen. Beim Stadtumbau Ost steht die Bewältigungdes bereits eingetretenen Strukturwandels mit demSchwerpunkt auf Wohnungsbrachen im Vordergrund.Beim Stadtumbau West ist hingegen bei den wohnungswirtschaftlichenHerausforderungen der vorsorgendeCharakter typisch, um Leerstände in einer Größenordnung,wie sie in den neuen Ländern eingetretensind, von vornherein zu vermeiden, während sich dieNachsorge beim Strukturwandel auf die Gewerbe- undMilitärbrachen konzentriert.Dabei nähern sich Aufgaben und Instrumente im StadtumbauOst und West einander an. Wesentlich ist eineintegrierte, gesamtstädtische Entwicklungsstrategie –hier kann der Westen vom Osten lernen –, unter anderemdurch Erarbeitung integrierter städtebaulicherEntwicklungskonzepte. Gleichermaßen gilt für beideProgramme, dass die Förderinstrumente zielgerichtetund ressortübergreifend gebündelt werden müssen.Als positiv hat sich erwiesen, alle maßgeblichen Akteurevor Ort frühzeitig in den Stadtumbau einzubeziehen,insbesondere die Wohnungswirtschaft und die privatenEigentümer, die Träger der technischen und sozialenInfrastruktur, die Wirtschaft sowie Verbände und Initiativenvor Ort. Neue städtebauliche Instrumente wieStadtumbauverträge, städtebauliche Entwicklungskonzepte,Standortgemeinschaften müssen dabei offensivgenutzt und erprobt werden – hier können StadtumbauOst und West voneinander lernen.Prof. Dr. János Brenner ist Baudirektor im <strong>Bund</strong>esministeriumfür Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, StadtplanerAKB und Honorarprofessor an der TechnischenUniversität Budapest.33


Wohnkonzepte für morgen


Aegidienhof Lübeck<strong>Architekten</strong>Rainer Steffens / Sigrid Meyer / Stefan Franck; MeyerSteffens <strong>Architekten</strong> und Stadtplaner <strong>BDA</strong> mit StefanFranck (Häuser 4 - 7 Architekturbüro Sigrid Morawe-Krüger)Planungszeitraum1998 - 2003OrtLübeckBauherrenBaugemeinschaft Aegidienhof EigentümergesellschaftbRmbH, bestehend aus 62 EinzelbauherrenKonzeptGemeinsam leben! Das bedeutet nicht nur, mit anderenMenschen unter einem Dach zu wohnen, sonderneinen Raum zu schaffen, in dem Gemeinschaft gelebtwerden kann, der differenzierte Wohnformen für unterschiedlicheAnforderungen anbietet und Platz zumArbeiten hat. In der Lübecker Altstadt ist mit dem Umbauund der Sanierung mehrerer denkmalgeschützterHäuser das größte soziale Wohnprojekt Schleswig-Holsteinsentstanden. Ohne „Investor“ haben sich Bürgerzu einer Baugemeinschaft zusammengeschlossen, umein Stück Lübecker Altstadt zu erhalten und wiederzum Leben zu erwecken. Der Aegidienhof bietet Jungund Alt, Alleinstehenden und Familien mit unterschiedlichenEinkommen einen „Lebensort“.Besonderheiten des ProjektsUm einen großen Innenhof gruppieren sich zwölfdenkmalgeschützte Häuser aus sieben Jahrhunderten.In diesem Ensemble sind 48 individuell geplanteEigentums- und Mietwohnungen, 17 Büros, Praxen,Ateliers, ein Café und Gemeinschaftseinrichtungen miteiner Wohn- und Nutzfläche von 4.600 Quadratmeternentstanden. Die Wohnungen haben unterschiedliche36 I Gemeinschaftlich bauen


Beim Umbau der Anlage wurde die Substanz derBaudenkmale besonders berücksichtigt. Gleichzeitigsetzten die <strong>Architekten</strong> ein ökologisches und energetischesKonzept um – beispielsweise mit einer erhöhtenWärmedämmung und der Verwendung umweltverträglicherMaterialien.Zuschnitte mit Größen zwischen 28 bis 168 Quadratmeternund Grundrisse, die sich für betreutes Wohnenoder für Menschen mit Behinderungen eignen. DieWerkstätten, Büros, Praxen und das Café, das an die„Lebenshilfe“ vermietet wird, bieten über 40 Arbeitsplätze.Mit der Gründung des Vereins Aegidienhof e. V. wirddie gemeinnützige Arbeit auch in das umliegende Viertelgetragen. Der Aegidienhof bietet einen Ort für diesoziale Stadtteilarbeit und veranstaltet ein vielfältigesKulturprogramm.RahmenbedingungenFür die Umsetzung des Projekts wurden zehn Baugruppengegründet, die als individuelle Bauherren oderBauherren für Gemeinschaftsanlagen agierten. DieBetreuung der Zahlungsabwicklung übernahmen Baubetreuerund Treuhänder. Die Kosten belaufen sich auf1.700 bis 2.600 Euro je Quadratmeter Wohnfläche.Gemeinschaftlich bauen I 37


Holzhaus Esmarchstraße<strong>Architekten</strong>Tom Kaden / Tom Klingbeil, Kaden Klingbeil<strong>Architekten</strong>, BerlinBauherrBaugruppe e3 Gbr, BerlinJahr der Fertigstellung2008OrtBerlin, Prenzlauer BergBewohnerstrukturSelbstnutzer, junge Familien, sieben WohnparteienKonzeptBaugruppen können durch eine planerische Beteiligungder Bauherren individuelle Wohnbedürfnisse erfüllen– wie die Baugruppe e3: Das Holzhaus in der Esmarchstraßewurde für ein familienfreundliches sowiegemeinschaftliches Wohnen in der Innenstadt unterdem Aspekt maximaler Umweltschonung und Nachhaltigkeitkonzipiert. Als Ergänzung der städtischenStruktur entstand das Haus in einer Baulücke. Den38 I Gemeinschaftlich bauen


sieben jungen Familien bietet das Gebäude mit zahlreichen Gemeinschaftsflächen,individuell gestalteten Grundrissen und einem ökologischen Energiekonzept alleVorteile modernen Wohnens.Besonderheiten des ProjektsDas 22 Meter hohe Gebäude ist das erste siebengeschossige Wohnhaus in Holzkonstruktionin Europa. Holz als erneuerbare, stetig nachwachsende und CO ²-neutraleRessource verfügt über hervorragende wärmetechnische Eigenschaften. Durch einenhohen Vorfertigungsgrad waren nur sehr kurze Bauzeiten notwendig: Acht Wochenfür den Rohbau, Einzug nach neun Monaten Bauzeit. Der Primärenergieaufwand desRohbaus e3 liegt bei etwa 30 Prozent eines traditionellen Stahlbeton- oder Ziegelrohbaus.RahmenbedingungenPlanungsfreiheit, Kostenersparnis und bewusste Gestaltungeines sozialen nachbarschaftlichen Netzwerks sinddie größten Vorteile des Bauens in der Gemeinschaft.Kommunen und Wohnungswirtschaft können diesenMehrwert für alle durch die Bereitstellung von Grundstücken,die Entwicklung von Kooperationsmodellenmit Vereinen und Baugemeinschaften oder die Vergabevon Hausmietverträgen fördern.Bestandteil des durchdachten Brandschutzkonzeptes ist das vom Wohnhaus abgerückteBetontreppenhaus, das zudem die Belichtung der Wohnungen von drei Seitenermöglicht. Da keine tragenden Wände im Innern benötigt werden, sind Wohnungsgrundrissemit sehr variabler Auslegung möglich.Gemeinschaftlich bauen I 39


Wohnen an der StadtmauerOrtBad Langensalza<strong>Architekten</strong>Antje Osterwold /Matthias Schmidt,EXP!ANDER <strong>Architekten</strong>,WeimarBauherrStadt Bad LangensalzaEigentümerprivate EigenheimbesitzerKonzeptFür die Belebung von Stadtkernen braucht man attraktive Wohnmöglichkeiten imZentrum – insbesondere für junge Familien. In Bad Langensalza sind in der historischenAltstadt Wohnhäuser entstanden, die sich der weitgehend unter Denkmalschutzstehenden Altstadt einfügen und gleichzeitig zu einer lebendigen Quartiers-Jahr derFertigstellung200840 I Urban wohnen


entwicklung beitragen. Die Neubauten dienen derWiederbelebung eines 2,3 Hektar großen brachgefallenenFabrikgeländes an der historischen Stadtmauer.Besonderheiten des ProjektsDie 15 freistehenden, blockartigen, zwei- und dreigeschossigenEinfamilienhäuser richten sich an der städtischenStruktur aus. Ihre stadtbauliche Kompositionlässt ein gutes Verhältnis von Bebauung und Freiraumentstehen.Jedem Haus wird eine annähernd gleichgroße Parzelleals privater Garten zugeordnet, der von Mauern mitHolzlamellen und Hecken beschirmt wird. Die Freiräumewandeln sich vom öffentlichen Anger mit Aufenthaltsqualitätüber den gemeinschaftlichen Wohnhofzum Hausgarten. Schmale Wege erschließen dieHäuser rückseitig. Das Konzept der gemeinschaftlichenHöfe fördert das gemeinsame Leben in der Nachbarschaft.Alle Gebäudetypen haben flexible Raumgrößen und Grundrissgestaltungen. Möglichsind Wohnflächen von 130 bis 200 Quadratmetern, die erweiterbar und anpassungsfähigsind – beispielsweise für Mehrgenerationenhaushalte oder die Integrationgewerblicher Nutzungen.Urban wohnen I 41


Urbane EinfamilienhäuserArchitektThoralf Niehus / Dieter Hertrampf; Hertrampf · Niehus<strong>Architekten</strong> <strong>BDA</strong>, LeipzigBauherrenLeipziger SelbstnutzerJahr der Fertigstellung2004 – 2006OrtLeipzig-Connewitz, Pfeffingerstraße 10 – 14Bewohnerstrukturfünf FamilienKonzeptStadtumbau darf sich nicht nur auf Abriss und Umnutzung begrenzen, sondern sollauch durch neue, familiengerechte Wohnformen die Stadt als Lebensort attraktivgestalten. Bezahlbare Eigenheime in Innenstadtlage haben den Vorteil eines zentralgelegenen Wohnumfeldes mit guter Infrastruktur. Als Gegenentwurf zur Abwanderungvon Baulandsuchenden ins Umland und zur Nachverdichtung in der LeipzigerInnenstadt haben die <strong>Architekten</strong> aus Eigeninitiative moderne Eigenheime als innerstädtischeBlockrandbebauung entwickelt.Besonderheiten des ProjektsDas Projekt bietet eine urbane Lösung für das Einfamilienhaus im Kostenbereich von240.000 bis 270.000 Euro inklusive Grundstück. Die zwei- bis dreigeschossigen Bautensind eine Variante des Gartenhofhauses. Dieser Haustypus vereint den Wunschnach Privatsphäre der Bewohner mit einer hohen Flächenausnutzung auf den nur42 I Urban wohnen


187 bis 240 Quadratmeter großen Grundstücken. Sobleibt sogar die innerstädtische Lage finanzierbar.Die von Norden erschlossenen Häuser haben einHauptgebäude und einen holzverkleideten Anbau, dereinen Abstellraum und die Garage aufnimmt. Darüberbefindet sich eine Dachterrasse, die durch eine Sichtschutzwandvon der Straße abgeschirmt wird. Die vonder Südseite erschlossenen Häuser werden über denHof betreten.Alle Räume sind mit großen Fenstern zum 50 − 90Quadratmeter großen Gartenhof ausgerichtet undermöglichen so eine intime Atmosphäre auch in derInnenstadt. Die Häuser verfügen über eine Wohnflächevon 140 bis 180 Quadratmeter.RahmenbedingungenDas Projekt wurde von der „Selbstnutzerinitiative“ desAmts für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung(ASW) der Stadt Leipzig unterstützt, die EigenheimgründernAlternativen zur Umlandsabwanderungbietet und ideell Angebote zur Wohneigentumsbildungin der Stadt fördert.Urban wohnen I 43


SeniorInnenparadies Südstadt 2030InitiatorenInitiative Südstadt 2030; Stephan Goerner, ArchitektZieljahr2030OrtKöln, Mainzer StraßeKonzeptDas Wohnen in der Innenstadt bietet für ältere Menschenviele Möglichkeiten, um am lebendigen urbanenLeben teilzuhaben. Für ältere Menschen nimmt dieBedeutung sozialer Gemeinschaften im verwurzeltenWohnumfeld mit dem Alter zu, doch die Anforderungenan die eigene Wohnsituation verändern sich.Insbesondere der innerstädtische Altbaubestand bietetselten altengerechte oder veränderbare Wohnräume.Die Initiative „Südstadt 2030“ macht mit der Vision „SeniorInnenparadies 2030“ amBeispiel der Mainzer Straße in der Kölner Südstadt auf die sich wandelnden Wohnbedürfnisseim Alter aufmerksam.Besonderheiten des ProjektsAngesichts der demographischen Entwicklung fragt die Initiative: Braucht dasWohnen für SeniorInnen besondere Bedingungen? Wie entstehen lebenswerte undlebendige Stadtquartiere für alle? Welche Wohnformen benötigen wir in 20 Jahren?Die Vision der Initiative Südstadt 2030 skizziert ein lebendiges Gründerzeit-Quartiermit flexiblen Wohnräumen für seine alternden und gealterten Bewohner, das sichmit den wandelnden Wohnbedürfnissen der verschiedenen Lebensphasen verändert.44 I Gemeinsam leben


Neben dem barrierefreien Wohnen im Alter stellt dieInitiative in den Mittelpunkt der Diskussion, wie ineinem solchen Viertel nachbarschaftlich gelebt werdenund wie der öffentliche Raum in dieses gemeinschaftlicheLeben einbezogen werden kann.Mit Ausstellungen, Installationen, Aktionen undDiskussionsveranstaltungen trägt die Initiative ihre Forderungenin die Öffentlichkeit, um Bürger und Politikfür die zukünftigen Herausforderungen der Städteaufmerksam zu machen. Sie fordert öffentliche Flächenzur eigenverantwortlichen Nutzung der Anwohnerund die Entfernung von Barrieren durch Umbaumaßnahmenbei 30 Prozent der bestehenden Wohnungenund Gebäude. Staatliche und kommunale Gelder sollenfür die Bildung von Lebens- und Arbeitsgemeinschafteneingesetzt werden. Darüber hinaus bieten die KommunenObjekte, aber auch Planungs-, Finanzierungs- undOrganisationshilfe an. Kommunaler Wohnungsbestandsoll gesichert oder sogar zurückgekauft werden, umneben alten Menschen auch Einkommensschwachenund jungen Familien das Wohnen in der Stadt zuermöglichen.Gemeinsam leben I 45


LübbenaubrückeInitiatorenWIS - Wohnungsbaugesellschaftim SpreewaldmbH, GWG - GemeinschaftlicheWohnungsbaugenossenschaftderSpreewaldstadt Lübbenaue.G., Stadt Lübbenau/SpreewaldBau- und Laufzeitseit 1999OrtStadt Lübbenau/SpreewaldKonzeptStadtumbau ist ein „Gemeinschaftsprojekt“, das gelingenkann, wenn sich verschiedene Akteure zusammenschließenund die Bürger aktiv in den Prozess einbezogenwerden. Das Kooperationsprojekt Lübbenaubrückeder Stadt Lübbenau im Spreewald verbindet dieMaßnahmen des Stadtumbaus mit Aktionen des Stadtmarketingsund der Bürgerbeteiligung. Mit diesemübergreifenden Konzept und einem differenziertenWohnangebot und -umfeld entsteht ein Standort mithoher Lebensqualität.Maßnahmen des ProjektsZu den städtebaulichen Maßnahmen in Lübbenaugehört neben dem Abriss von Plattenbauten der Neubauvon Wohnbauten, die das vorhandene Angebotergänzen und die Stadtstruktur verdichten. Um denvorhandenen Gebäudebestand zu erhalten und aufzuwerten,werden unter anderem Grundrisse verändert46 I Gemeinsam leben


und Wohnungen auf die Bedürfnisse alter Menschenzugeschnitten, barrierefrei gemacht und für die Nutzungalternativer Energien hergerichtet.Koordiniert werden alle Maßnahmen vom ProjektbüroLübbenaubrücke. Dieses entwickelt Konzepte, initiiertVeranstaltungen, übernimmt die Abstimmung allerBeteiligten und vermittelt das neue Stadtimage Bewohnernund Öffentlichkeit.Im Zuge des Projekts entwickelte das Büro – in Zusammenarbeitmit engagierten Bürgern – Kunstprojekteim öffentlichen Raum, ein Bürgerbüro, Bürgertreffs,Arbeitsgruppen, Pläne für Spielplätze und sogar einenFreizeitführer für Jugendliche.Gemeinsam leben I 47


Kommunale WohnungspolitikInitiatorStadt Halle (Saale), StadtplanungsamtPlanungszeitraum:seit 2005OrtHalle (Saale)KonzeptVeränderte Wohnansprüche stellen Kommunen und Wohnungswirtschaft vor neueHerausforderungen: trotz des Leerstands in vielen ostdeutschen Städten, der sich aufAlt- wie Neubaubestände, auf Stadtkerne wie auf Gebiete am Rand der Stadt verteilt,fehlt oft ein Angebot, das heutigen Vorstellungen vom Wohnen entspricht. DieBedürfnisse von Familien, Singles, Senioren und Haushalten mit niedrigem Einkommenwerden mit den bestehenden Möglichkeiten nicht vollständig erfüllt. Die HallenserWohnungspolitik zielt daher darauf ab, Wohnraum in der Innenstadt und imdenkmalgeschützten Altbaubestand zu verbessern und in allen Quartieren preiswerteMietwohnungen zu erhalten. Diese Ansätze sind in ein Wohnraumversorgungskonzepteingebettet, das aktuelle wohnungs- und städtebauliche Anforderungen auchkonzeptionell bewältigen soll:Das Hallenser Wohnraumversorgungskonzept besteht aus einer systematischenAnalysephase und einer daraus resultierenden Strategie- und Maßnahmenplanung.Aufbauend auf einer qualitativen Bestands- und Bedarfserhebung werden48 I Städte lebendig gestalten


programmatische Schwerpunkte für die kommunaleWohnungspolitik benannt, die in Zusammenarbeit vonKommune und Wohnungswirtschaft mit konkretenStrategien und Projekten umgesetzt werden.Das ressortübergreifend erstellte Konzept der StadtHalle orientiert sich am Modell der europäischenStadt mit ihrer verdichteten Struktur: Abrisse erfolgenweitgehend nur in Plattenbausiedlungen (Rückbauvon der Stadtkante nach innen). So wird der Bedarf aninnerstädtischen Wohnungen geweckt. Im Stadtkernselbst stehen der Erhalt und die Reparatur der historischenStadtstruktur im Vordergrund – die Neubebauunginnerstädtischer Brachen dient der Verdichtungder urbanen Struktur.Die Stadt will auf diese Weise suburbanisierungsgefährdeteSchichten an die Stadt binden, den Rückzugin die Stadt fördern und die Wohneigentumsbildung inder Kernstadt steigern.Städte lebendig gestalten I 49


Lesezeichen für Salbke<strong>Architekten</strong> / InitiatorenStefan Rettich, KARO architekten, Leipzig; Sabine Eling-Saalmann, Architektur+Netzwerk, MagdeburgProjektträgerLandeshauptstadt Magdeburg; Bürgerverein Fermersleben,Salbke, Westerhüsen e.V.Projektförderung<strong>Bund</strong>esamt für Bauwesen und Raumordnung / BMVBSProjektlaufzeitseit 2005, Grundsteinlegung Dezember 2008, FertigstellungJuni 2009OrtMagdeburg, Stadtteil SalbkeKonzeptDie Aufwertung eines Ortsteils gelingt nicht alleindurch architektonische Maßnahmen. Lebendig wird einurbaner Lebensraum, wenn sich soziale Beziehungenbilden. In Salbke, einem von Schrumpfungsprozessenbedrohten Stadtteil Magdeburgs, wurde mit diesemZiel ein städtebauliches Experiment durchgeführt:Für zwei Tage errichteten KARO architekten zusammenmit Architektur+Netzwerk auf der Brachflächeder ehemaligen Bücherei eine Freiluftbibliothek. Dieüberwältigende Resonanz auf das Projekt führt nun zurdauerhaften Umsetzung der Bibliothek.Verlauf des ProjektsDie <strong>Architekten</strong> erbauten für ein Wochenende aufder Brachfläche der Anfang der 1980er Jahre abgerissenenBibliothek eine temporäre Installation aus 1.000Bierkästen und 500 gespendeten Büchern. Bürger des50 I Städte lebendig gestalten


Stadtteils haben das Projekt anschließend fortgeführtund in einer ehemaligen Bäckerei – in unmittelbarerNähe des alten Standorts – eine „Bürgerbibliothek”eingerichtet, die bis zur Realisierung des Baus auch alsnachbarschaftlicher Treffpunkt dient. Insgesamt verfügtdie Bibliothek heute über einen Bestand von 25.000Büchern.Im Rahmen eines Workshops wurden die Bürger amPlanungsprozess des Bauvorhabens beteiligt. Sie entschieden,dass entsprechend der Bierkisten-Installationein Recycling-Material für die Hülle der neuen Freiluftbibliothekeingesetzt werden soll: das Fassadensystemeines ehemaligen Horten-Kaufhauses aus Aluminium-Modulen.Aus mehr als 100 bundesweiten Bewerbungen wurdedas Projekt „Lesezeichen für Salbke“ als eines von siebenModellvorhaben ausgewählt, die im Rahmen desExWoSt-Forschungsfeldes „Innovationen für familienundaltengerechte Stadtquartiere“ des <strong>Bund</strong>esamtesfür Bauwesen und Raumordnung gefördert und abDezember 2008 realisiert werden. Die Fertigstellung istfür Juni 2009 geplant.„Lesezeichen für Salbke“ wurde auf der Architektur-Biennale 2008 in Venedig vorgestellt.Städte lebendig gestalten I 51

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