Up Visite - Hümmling Krankenhaus Sögel
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Leben<br />
Lehrer im Umgang mit Leben und Sterben<br />
Von der Begleitung eines Schwerstkranken und seiner Familie<br />
durch den Ambulanten Palliativdienst<br />
Von Gerd Schade<br />
DERSUM. Josef Mösker schenkt seinem Gegenüber<br />
ein warmes Lächeln. Sein Platz ist auf<br />
der Eck-Ablage der Küchenbank. An der Wand<br />
über ihm hängt ein Holzkreuz. Draußen treibt<br />
ein kräftiger Herbstwind tiefgraue Regenwolken<br />
über Dersum hinweg. Auf einem Acker<br />
versprüht ein Traktor mit Güllefass seine Last.<br />
Angelika Mösker schenkt Tee nach. Ihr Mann<br />
lächelt unverändert. So nah und doch so fern.<br />
Das Schwarz-Weiß-Foto mit seinem Antlitz<br />
auf der Küchenbank gibt der Familie Halt. Und<br />
Kraft. Kraft, die Josef Mösker selbst am Schluss<br />
einfach nicht mehr hatte. Nicht mehr haben<br />
konnte. Jahrelang hatte er gegen den Krebs in<br />
seinem Körper gekämpft. Vor sechs Wochen ist<br />
Josef Mösker gestorben.<br />
In der letzten und schwierigsten Phase seines<br />
Lebens haben ihn und seine Familie Fachkräfte<br />
des Ambulanten Palliativdienstes Nördliches<br />
Emsland begleitet. „Ohne sie hätte ich den<br />
Wunsch meines Mannes nicht erfüllen können“,<br />
sagt Angelika Mösker. Sie hatte ihm versprochen,<br />
dass er zu Hause sterben könne. An ihrer<br />
Seite und an der seiner beiden Töchter im Alter<br />
von 15 und 18 Jahren.<br />
Lange war aber überhaupt nicht klar, dass der<br />
Krebs siegen würde. Mösker hatte sich als geheilt<br />
betrachtet, nachdem ihm der Dickdarm<br />
entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt<br />
wurde. Damals war er erst 33. Aber nach<br />
einem weiteren operativen Eingriff am Steißbein<br />
vor knapp sechs Jahren lautete die niederschmetternde<br />
Diagnose erneut: Krebs.<br />
„Dabei war der doch schon weg“, sagt Angelika<br />
Mösker leise. „Wir dachten, die Gefahr wäre gebannt.“<br />
Was folgte, war eine Serie von <strong>Krankenhaus</strong>aufenthalten<br />
und Behandlungen, darunter<br />
Chemo- und Strahlentherapien. Sobald es irgendwie<br />
möglich war, ging Mösker trotzdem zur<br />
Arbeit. Der gelernte Landwirt hatte zum Dreher<br />
umgeschult, später machte er noch eine weitere<br />
Umschulung zum Refa-Prozessorganisator. „Er<br />
war ein Kämpfertyp. Und er hatte immer Hoffnung“,<br />
beschreibt Angelika Mösker ihren Mann.<br />
„Nicht, weil er Angst vorm Sterben hatte, sondern<br />
weil er uns nicht allein lassen wollte.“ Doch<br />
die Hoffnung auf Heilung schwand zusehends.<br />
Josef Mösker wollte das jedoch zunächst nicht<br />
wahrhaben. Auch nicht, als seine Frau auf Anraten<br />
eines engen Familienangehörigen den<br />
Palliativdienst ins Boot holte. „Wir haben einen<br />
sehr mobilen, offenen Mann vorgefunden, der<br />
die Karten sofort auf den Tisch gelegt hat, vom<br />
Sterben aber nichts wissen wollte“, erinnert sich<br />
Palliativfachkraft Ilona Konken an das erste Gespräch.<br />
Er sei einfach noch nicht dran, habe er<br />
14<br />
gemeint. Das war im Juli. Seitdem standen regelmäßige<br />
Hausbesuche von Konken und Palliativmedizinerin<br />
Petra Conen auf dem Programm.<br />
Der Schalter kippt<br />
Conen lernte Mösker als einen Menschen<br />
kennen, für den seine Autonomie und Versorgerrolle<br />
im Vordergrund stand. Bis zu jenem<br />
Zeitpunkt, an dem auch bei Mösker selbst „der<br />
Schalter gekippt“ sei, sich seine jüngsten Operationswunden<br />
veränderten und die Schmerzen<br />
größer wurden. „Plötzlich war unsere Grundlage<br />
anders. Er hatte begriffen, dass sich etwas verändert<br />
hat“, berichtet die Palliativärztin. Erst wenige<br />
Tage zuvor hatte ihr Patient auf einen weiteren<br />
<strong>Krankenhaus</strong>aufenthalt bestanden. Zuvor<br />
erarbeiteten beide gemeinsam eine individuelle<br />
Patientenverfügung. Sein Mut zu diesem Schritt<br />
sei der Schlüssel zu seiner Seele gewesen, sagt<br />
Petra Conen.<br />
In einer Klinik nahm ihm und seiner Frau ein Arzt<br />
dann aber jede Hoffnung. Trotz der Tragik wirkte<br />
dies offenbar fast wie eine Art Befreiung. Endlich<br />
herrschte Gewissheit, wenngleich eine traurige.<br />
Und doch ist Angelika Mösker diesem Arzt<br />
für seine Offenheit sehr dankbar, wie sie betont.<br />
„In all den Jahren zuvor haben sich alle immer<br />
davor gedrückt, uns die Wahrheit zu sagen. Jetzt<br />
endlich konnten wir in aller Offenheit über alles<br />
sprechen.“ Auch ihrem Mann sei von da an klar<br />
gewesen, was ihm bevorstünde. Ganz genau erinnert<br />
sich Angelika Mösker an seine Worte: „Ich<br />
möchte nach Hause. Und wenn ihr es tragen<br />
könnt, will ich zu Hause sterben.“ Dann hätten<br />
beide zum ersten Mal gemeinsam geweint.<br />
Der Palliativdienst stand der Familie nun immer<br />
häufiger zur Seite. Zu Hause sprach der Sterbenskranke<br />
mit seiner Familie, Freunden und<br />
Nachbarn. Zeit zum Aussöhnen und Abschiednehmen.<br />
„Er hat mit allen ein Gespräch geführt.<br />
Er wollte sich von jedem persönlich verabschieden<br />
– auch, damit sie ihn in Ruhe gehen lassen<br />
können“, sagt Conen. „Er war Lehrer für seine<br />
Familie und uns, im Umgang mit Leben und<br />
Sterben. In beeindruckender Weise hat er alle<br />
Sterbephasen durchlaufen bis zur Zustimmung<br />
und der Aussage: Ich bin bereit.“<br />
Ein letzter Kuss<br />
Um die zunehmend intensiver werdende Betreuung<br />
in den letzten Wochen kümmerten sich<br />
Angelika Mösker und ihre beiden Töchter mit<br />
tatkräftiger Unterstützung enger Familienangehöriger<br />
selbst. Dazu gehörten beispielsweise<br />
die Grundpflege wie das Waschen und das Essenanreichen,<br />
die Rund-um-die-Uhr-Betreuung<br />
sowie die Schmerztherapie mit Tablettengaben<br />
Einen festen Platz behält Josef Mösker in den Herzen<br />
von Palliativfachkraft Ilona Konken, Angelika Mösker<br />
und Palliativärztin Petra Conen (von links). Foto:<br />
Gerd Schade<br />
zu festgelegten Zeiten (auch nachts), später der<br />
Umgang mit der Schmerzpumpe unter intensiver<br />
Anleitung des Palliativdienstes.<br />
Innerhalb kürzester Zeit verschlechterte sich der<br />
Allgemeinzustand so, dass Josef Mösker komplett<br />
bettlägerig war. Vier- oder fünfmal habe<br />
Mösker geglaubt, dass er in den nächsten Augenblicken<br />
sterben werde. Jedes Mal ließ er sich<br />
seine Töchter ans Bett rufen. Sie hatten darauf<br />
bestanden, bei ihm zu sein, „wenn Papa geht“.<br />
Als es dann tatsächlich so weit war, gab Angelika<br />
Mösker ihrem Mann einen Kuss und sagte<br />
ihm „Lebewohl“.<br />
Mösker sei seiner Familie bis zum Schluss eine<br />
Stütze gewesen, betont Petra Conen. Angelika<br />
Mösker selbst ist sich sicher, dass es ihrem Mann<br />
an einem anderen Ort gut geht – geborgen in<br />
Gottes Hand oder, wie es im Gotteslob, „Wir<br />
sind nur Gast auf Erden“ (Lied-Nr. 656), heiße.<br />
Sie schöpft ihre Überzeugung aus einem tiefen<br />
christlichen Glauben. Für die 18-jährige Tochter<br />
ist Papa jetzt „ein Engel mit Flügeln und Düsenantrieb“.<br />
Angelika Mösker geht es wenige Wochen nach<br />
dem Tod ihres Mannes nach eigenen Worten<br />
gut. „Das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht<br />
vermisse und er der Familie an allen Ecken und<br />
Enden fehlt“, betont sie, „denn wo das Leben endet,<br />
besteht die Liebe fort.“ Draußen reißen Sonnenstrahlen<br />
die dichte Wolkendecke auf. Der Tee<br />
ist längst kalt geworden. Josef Mösker lächelt<br />
von seinem Platz auf der Küchenbank herüber.<br />
Er fehlt. Und ist doch immer da.