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Die vierte Generation: Randolf Rodenstock (seit 1990)

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<strong>Die</strong> <strong>vierte</strong> <strong>Generation</strong>:<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

(<strong>seit</strong> <strong>1990</strong>)<br />

„Mein Ziel ist es, aus einem klassischen Industriebetrieb ein Unternehmen mit ausgeprägter<br />

Marktorientierung für die heutige Informationsgesellschaft zu machen. Das ist meine Rolle<br />

in dem dynastischen Gefüge meiner Familie.“ (<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>) 1<br />

158<br />

159


Kapitel 8: „Think Spectacles“ – vom<br />

„Systemlieferanten für Augenoptiker“ zum<br />

„besten Problemlöser für Brillenträger“<br />

Der <strong>vierte</strong> <strong>Generation</strong>enwechsel<br />

<strong>Die</strong> Krise machte es möglich: 1989 begann der Wandel des Unternehmens <strong>Rodenstock</strong> von<br />

einem produktorientierten Industriebetrieb zu einem kundenorientierten <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmen.<br />

„So haben wir uns damals nicht gesehen,“ gibt <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> heute<br />

freimütig zu: „Nach so viel Selbstreflexion war <strong>Rodenstock</strong> damals nicht zumute.“<br />

Schonungslos analysierte der neue Chef: <strong>Rodenstock</strong> hatte bei Brillenfassungen nur eine<br />

diffuse Positionierung, eine technik-dominierte Produktstrategie bei Brillengläsern, ein<br />

konturloses, viel zu breit angelegtes Markenbild und vor allem zu hohe Kosten. Allein die<br />

Personalkosten erreichten 1989 einen Anteil von 56 Prozent des Umsatzes, <strong>Rodenstock</strong>s<br />

Verwaltungs-, Verkaufs- und Fertigungsaufwand lag um 30 bis 50 Prozent über dem der<br />

Wettbewerber. <strong>Rodenstock</strong> hatte zu viele Standorte, eine zu hohe Fertigungstiefe, zu viele<br />

und zu teure Mitarbeiter. Eine komplette Reorganisation des Unternehmens, eine „Revitalisierung<br />

der Marke“ war notwendig, und zwar schnellstens. 2<br />

160<br />

161<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

Wie sein Vater und sein Großvater tat sich auch <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> (geb.<br />

31.3.1948) nicht leicht mit der Übernahme des Unternehmens. Dass <strong>Randolf</strong> die<br />

Nachfolge seines Vaters antreten würde, wurde vom Vater und der Familie stillschweigend<br />

vorausgesetzt. So konzentrierte sich <strong>Randolf</strong> nach einem kurzen Einblick<br />

in Elektrotechnik und Informatik auf das Studium der Physik anstatt Alter<br />

Sprachen und Philosophie – so wie sein Vater Rolf <strong>Rodenstock</strong> lieber Wissenschaftler<br />

als Unternehmensleiter geworden wäre und sein Großvater Alexander<br />

lieber Medizin statt Volkswirtschaft studiert hätte. 3 Aber erst als sein Vater es ihm<br />

freistellte, die Unternehmensleitung zu übernehmen, konnte er sich ohne Zwang<br />

dazu entscheiden. „<strong>Die</strong> Familie lernt von <strong>Generation</strong> zu <strong>Generation</strong> hinzu“, betonte<br />

<strong>Rodenstock</strong>.<br />

Nach Abitur, Bundeswehr und Studium (1967 bis 1976) absol<strong>vierte</strong> der frisch<br />

diplomierte Physiker <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> noch ein Erweiterungsstudium zum<br />

MBA („Master of Business Administration“) an der Elite-Schule „INSEAD Business<br />

School“ in Fontainebleau und trat danach als 28-Jähriger in das Unternehmen ein.<br />

Weil sein Vater Rolf <strong>Rodenstock</strong>, damals 60 Jahre alt, an einen baldigen Rückzug<br />

dachte, legte <strong>Randolf</strong> ihn nicht auf ein festes Datum für die Unternehmensübergabe<br />

fest. 4 Rolf zeigte sich im Übrigen auch aufgeschlossen gegenüber <strong>Randolf</strong>s<br />

neuen Ideen und förderte seinen Nachfolger nach Kräften. 5 1983 wurde <strong>Randolf</strong><br />

<strong>Rodenstock</strong> persönlich haftender Gesellschafter und führte das Unternehmen nun<br />

formal gleichberechtigt mit seinem Vater, der aber die Zügel noch in der Hand behielt.<br />

<strong>Randolf</strong> akzeptierte das: „Eine Mannschaft, die 20 Jahre lang auf den Senior<br />

gehört hat, hört weiterhin auf ihn, auch wenn der Sohn juristisch gleichberechtigt<br />

ist.“ 6 Es dauerte dann aber 14 Jahre, bis <strong>Randolf</strong> tatsächlich im April <strong>1990</strong> die Unternehmensleitung<br />

allein übernehmen konnte. Zu lange, wie er später einsehen<br />

musste, denn nun war es schwer, die Führungskräfte davon zu überzeugen, dass<br />

sich Grundlegendes im Unternehmen ändern musste. Doch mit einer ihm eigenen,<br />

sanften Nachdrücklichkeit gelang es ihm, die patriarchalen Strukturen aufzubrechen<br />

und „aus Mit-arbeitern Mit-denker zu machen“, wie er eines seiner Ziele formulierte.<br />

Neben seiner Arbeit im Unternehmen ist <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> – in der Tradition<br />

von Vater und Großvater – in zahlreichen Ehrenämtern der Wirtschaft aktiv: So ist


er <strong>seit</strong> einigen Jahren Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw),<br />

Präsident des Verbandes der Bayerischen Metall- und Elektro-Industrie (VBM) sowie<br />

Präsident des Bayerischen Unternehmensverbandes Metall und Elektro (Bay-<br />

ME), alle in München. <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> ist darüber hinaus Präsidiumsmitglied<br />

des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) sowie der Bundesvereinigung<br />

der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Nach mehr als zehnjähriger<br />

Amtszeit als Präsident des Verbandes der deutschen feinmechanischen und optischen<br />

Industrie in Köln (F+O, heute Spectaris) leitet er heute die Fachgruppe Consumer<br />

Optics innerhalb dieses Verbandes. In seiner vierjährigen Amtsperiode als<br />

Präsident des „Rates für Formgebung“ in Frankfurt gab er wichtige Anstöße zur Reform<br />

dieser renommiertesten deutschen Designinstitution.<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> ist verheiratet mit Uschi <strong>Rodenstock</strong>. 1972 wurde die Tochter<br />

Beatrice (Diplom-Soziologin) und 1980 der Sohn Rupprecht (derzeit Jura-Student)<br />

geboren. Seine Nachfolge will <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> anders regeln: „<strong>Die</strong> Kinder<br />

sollen nicht automatisch ins Unternehmen hineingezogen werden, sondern sollen<br />

ihren eigenen Weg gehen, sollen ihren Neigungen nachspüren können. Falls sie<br />

sich jedoch für die Firma entscheiden, sollen sie Erfahrungen außerhalb des Familienunternehmens<br />

machen, Erfolge vorzeigen können und auf jeden Fall besser<br />

sein als ein verfügbarer Manager von außerhalb.“<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

im Jahr 1998 bei<br />

der Feier zum 100jährigen<br />

Jubiläum<br />

des Werkes Regen.


Das McKinsey-Gutachten – Reorganisation in letzter Minute<br />

„Reorganisation“ hieß für <strong>Rodenstock</strong> erst einmal abspecken. <strong>Die</strong> Personalkosten mussten<br />

von 56 auf 46 Prozent sinken, was damals viele führende Mitarbeiter für unmöglich hielten.<br />

Heute liegen die Personalkosten sogar bei 41 Prozent. Unbeeindruckt von der Skepsis<br />

seiner Mitarbeiter benannte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> die Hebel für die Kostensenkung: <strong>Die</strong><br />

Verwaltung musste sich einer „Gemeinkostenwertanalyse“ unterziehen, die deutsche und<br />

ausländische Produktion musste gestraft werden, die Fertigungstiefe verringert und die Produktion<br />

wo möglich in Niedriglohnländer verlagert werden.<br />

Mit Restrukturierungsprogrammen hatten <strong>Rodenstock</strong> schon Erfahrung: Angesichts der<br />

kontinuierlich und stark rückläufigen Umsätze im Fassungsbereich, der <strong>seit</strong> 1984 42 Prozent<br />

seines Umsatzes verloren hatte und stark defizitär war, hatte <strong>Rodenstock</strong> bereits Mitte 1988<br />

die Unternehmensberatung McKinsey mit der „Erarbeitung einer neuen Marketingstrategie<br />

im Bereich Fassungen“ beauftragt. Vater Rolf <strong>Rodenstock</strong> war allerdings gegen den Einsatz<br />

von externen Unternehmensberatern, deren Aufwand und Erfolgsaussichten er skeptisch<br />

gegenüberstand: „<strong>Die</strong> wesentlichen Verlustquellen sind uns selbst durchaus bekannt,“<br />

schrieb er noch im Januar 1989. Vater und Sohn einigten sich jedoch und im Mai 1989 bekam<br />

McKinsey den Auftrag, eine „umfassenden Diagnose“ des Bereichs Brillenfassungen<br />

durchzuführen, um „Möglichkeiten für eine deutliche Ergebnisverbesserung aufzuzeigen<br />

und die strategischen Optionen ... zu untersuchen“.<br />

Doch durch die dramatischen Einbrüche im Geschäftsjahr 1989 war der „Diagnoseauftrag“<br />

schnell überholt und wurde zu einem Sanierungsauftrag. McKinsey erarbeitete jetzt ein<br />

„Turnaround-Programm“ für die Brillenfassungen, das im August <strong>1990</strong> vorlag. 7 <strong>Die</strong> entscheidenden<br />

zwei Punkte waren „deutliche Kostensenkungen“ und „über 50prozentige<br />

Umsatzsteigerungen“, denn nur mit beiden Maßnahmen zusammen sei eine Ertragsverbesserung<br />

machbar. Außerdem sollte <strong>Rodenstock</strong> mittelfristig eine „Divisionalisierung“ des Unternehmens<br />

vornehmen und insbesondere die Bereiche Brillengläser und Brillenfassungen<br />

in klar getrennte Sparten gliedern. Ohne durchgreifende Sanierungsmaßnahmen bliebe nur<br />

die Alternative, „den Bereich Brillenfassungen ... teilweise oder ganz zu schließen“.<br />

Durch die McKinsey-Empfehlungen bestätigt, machte sich <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> an die Umsetzung<br />

des Reorganisationsplanes. Als erster Schritt wurden die Bereiche Brillengläser und<br />

Brillenfassungen organisatorisch getrennt. Jeder Bereich bekam sein eigenes Controlling,<br />

seinen eigenen Außendienst und war nun für sein Ergebnis selbst verantwortlich. So konnten<br />

Verlustquellen besser erkannt und der Verkauf zielgerichtet angekurbelt werden. Weil<br />

der Handlungsdruck bei Brillenfassungen am größten war, ging es dort Schlag auf Schlag<br />

weiter: Das Werk Pforzheim wurde noch <strong>1990</strong> geschlossen, die dortige Teilefertigung in das<br />

Werk Ebersberg integriert. 8 Auch rund 160 Mitarbeiter aus München mussten nach Ebersberg<br />

umziehen – dies betraf nicht nur die Fertigung, sondern auch Logistik, Design, Verkauf,<br />

Controlling und Marketing. Fast gleichzeitig begann jedoch unter dem immensen Kostendruck<br />

die schrittweise Verlagerung der Fassungsfertigung von Ebersberg nach Malta. Dort<br />

lag der durchschnittliche Stundenlohn bei rund 10 Mark, während in Ebersberg 45 Mark gezahlt<br />

werden mussten. Außerdem kaufte <strong>Rodenstock</strong> nun zunehmend Einzelteile und Baugruppen<br />

für Brillenfassungen von Zulieferern, was man vorher abgelehnt hatte.<br />

Produktionsverlagerungen von Ebersberg nach Malta<br />

<strong>Rodenstock</strong> verlegte sich zunächst darauf, in Deutschland aus Kostengründen nur höherwertige<br />

Fassungen zu produzieren und das verkleinerte Werk Ebersberg zum Zentrum der<br />

Fassungsproduktion zu machen. Allerdings zeigte sich bereits 1992, dass Verlagerungen<br />

und neue Kollektionen nicht zur Sanierung des defizitären Bereiches ausreichten.<br />

Trotz Umbau schaffte das Werk Ebersberg, das ursprünglich auf große Serien – wie sie<br />

noch in den 1960er und 1970er Jahren die Regel waren – ausgelegt worden war, die<br />

162<br />

163


Umstellung auf eine flexible Fertigung mit häufigen Modellwechseln und kleinen Serien<br />

nicht. „Wir hatten einfach noch nicht das Know-how, wie man einen solchen modernen<br />

Produktionsbetrieb führt“, so <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> heute. 9 Daher verlagerte <strong>Rodenstock</strong> <strong>seit</strong><br />

1993 die gesamte Fassungsfertigung nach Malta und betrieb das Werk Ebersberg nur noch<br />

als Entwicklungs- und Technologiezentrum. 300 der noch verbliebenen 600 Arbeitsplätze<br />

wurden abgebaut. Aber letztlich scheiterte auch dieser Sanierungsversuch, denn es erwies<br />

sich als nicht machbar, technologisches Know-how und Fertigung räumlich zu trennen und<br />

die Fertigung aus der Ferne steuern zu wollen. Schon 1994 musste <strong>Rodenstock</strong> das Werk<br />

Ebersberg vollständig schließen, um den Bereich Brillenfassungen endlich aus den roten<br />

Zahlen zu bekommen. Ebenso erging es kurz darauf auch dem Werk in Puerto Rico. Auch<br />

dort gelang es nicht, die Fertigung an die geänderten Anforderungen anzupassen und das<br />

Werk wurde ebenfalls 1994 geschlossen.<br />

Aber auch damit wurde das Problem der Brillenfassungen nicht gelöst, denn es zeigte sich,<br />

dass auch das Werk in Malta nicht rentabel arbeitete. <strong>Die</strong> Managementprobleme, die schon<br />

in Ebersberg aufgetreten waren, waren nach Malta übertragen worden. Bis 1998 wurden in<br />

Malta noch die Brillen mit den patentierten, extrem kleinen, schraubenlosen Zylinderscharnieren<br />

produziert, anschließend wurde das Werk an das lokale Management verkauft. Heute<br />

spielt das Werk keine Rolle mehr im <strong>Rodenstock</strong>-Fertigungsverbund.<br />

Der Rückgang der eigenen Fertigung bei Brillenfassungen wirkte jedoch für <strong>Rodenstock</strong><br />

auch befreiend: Das Unternehmen musste jetzt nicht mehr um jeden Preis die vorhandenen<br />

Kapazitäten auslasten, sondern konnte dort fertigen lassen, wo es die besten Spezialisten<br />

oder die beste Technologie gab. <strong>Rodenstock</strong> konnte jetzt erfolgreich seine Stärken beim<br />

<strong>Die</strong> extrem kleinen,<br />

schraubenlosen<br />

Zylinderscharniere<br />

sind eine patentierte<br />

<strong>Rodenstock</strong>-Entwicklung<br />

aus dem<br />

Jahr 1995.


Metinee Tarakham –<br />

eine von mehr als<br />

1.400 thailändischen<br />

Mitarbeiter/<br />

innen – überprüft<br />

die Mittendicke eines<br />

torischen Mineralglases.<br />

Design und der Entwicklung sowie Engineering von Brillenfassungen ausspielen und musste<br />

„keine Modellpolitik nach Werksauslastung mehr betreiben“. 10<br />

Brillenfassungen: der Markt explodiert – der Verbrauch stagniert<br />

Vor 30 Jahren gab es in Deutschland nur ein paar Handvoll namhafter Hersteller von Brillenfassungen.<br />

Im Jahr 2001 verkauften allein in Deutschland mehr als 400 Firmen weit mehr als<br />

1.000 Marken oder Labels mit rund 30.000 verschiedenen Brillenmodellen – Farb- und<br />

Größenvarianten noch gar nicht gerechnet. Und das bei einem stagnierenden Markt, dessen<br />

Umsatzvolumen konstant etwa 1,25 Milliarden Euro beträgt. Seit vielen Jahren liegt außerdem<br />

die „Wiederbeschaffungsfrist“ für Brillen, also nach welcher Zeit ein Brillenträger durchschnittlich<br />

einen neue Brille kauft, bei etwas über vier Jahren. Schließlich besitzt der deutsche<br />

Brillenträger durchschnittlich nicht einmal zwei Brillen – obwohl schon jeder Autofahrer laut<br />

Straßenverkehrsordnung eine Ersatzbrille im Fahrzeug mitführen muss. Trotz dieser schwierigen<br />

Bedingungen ist <strong>Rodenstock</strong> in Deutschland Marktführer bei Brillenfassungen: Mit fast<br />

sechs Prozent Marktanteil ist die Marke <strong>Rodenstock</strong> die stärkste Einzelmarke bei Brillenfassungen,<br />

im Konzernverbund mit NiGuRa erzielt der <strong>Rodenstock</strong>-Konzern sogar gut zehn Prozent<br />

Marktanteil. Doch bis dahin war es ein schwieriger Weg (s. auch S. 171).<br />

Fassungskollektionen: <strong>Rodenstock</strong> und NiGuRa<br />

Eine der wichtigsten Aufgaben im Reorganisationsprozess war die Neuausrichtung der<br />

<strong>Rodenstock</strong>-Fassungskollektion. <strong>Die</strong> Beliebigkeit musste verschwinden, die Fassungen<br />

mussten wieder zum Unternehmen passen. Nach den Umsatzeinbrüchen kehrte das Unternehmen<br />

1993/94 zur klassischen Kollektion mit drei Stilrichtungen „Tradition“, „Klassik“<br />

und „Innovation“ zurück.<br />

Im Windschatten von <strong>Rodenstock</strong> musste in diesen schwierigen Zeiten auch NiGuRa seinen<br />

Weg neu finden. Während sich <strong>Rodenstock</strong> auf das klassisch-elegante obere Preis- und<br />

Design-Segment konzentrierte, kümmerte sich NiGuRa weiterhin um die preiswerteren<br />

Fassungen, in denen <strong>Rodenstock</strong> keine Konkurrenz sah. Gleichzeitig baute NiGuRa in Abstimmung<br />

mit <strong>Rodenstock</strong> ein Portfolio von wohlklingenden Lizenzmarken auf. Um eine<br />

164<br />

165


Verwässerung der Marken zu verhindern,<br />

wurden alle Lizenzmarken bei NiGuRa angesiedelt.<br />

<strong>Die</strong>se Fassungen wurden auch bei<br />

NiGuRa in Düsseldorf gestaltet, dann aber unter<br />

den wohlklingenden Namen der Lizenzgeber<br />

verkauft – für teure Lizenzgebühren und<br />

nach Genehmigung durch die Lizenzgeber,<br />

die ihre Namen so vor Missbrauch schützten.<br />

<strong>Die</strong> bereits <strong>seit</strong> 1987 geführte Lizenzmarke<br />

„Fila“ wurde 1991 um „Cerruti 1881“ (für modisch<br />

orientierte Käufer im oberen Preisdrittel) und „Karl Lagerfeld“ (1992) ergänzt. „Lagerfeld“<br />

erwies sich allerdings ebenfalls als teurer Fehlschlag und musste 1993 wieder aufgegeben<br />

werden. Der etwas exzentrische Designer war offenbar für die Münchener Brillendesigner<br />

zu strapaziös. 1993 sah sich <strong>Rodenstock</strong> vor die Alternative gestellt, „entweder alle<br />

unsere Designer oder die Lagerfeld-Lizenz zu verlieren. Da haben wir uns für unsere Leute<br />

entschieden,“ erinnert sich <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>. Als Ersatz für das 1995 gekündigte Label<br />

„Fila“ führte <strong>Rodenstock</strong> 1995 die NiGuRa-Eigenmarke „ENJOY“ ein, eine jugendlich-sportliche<br />

Linie, die sich gut im „modisch-preiswerten“ Marktsegment etablieren konnte.<br />

Brillenglasfertigung in Thailand<br />

<strong>Die</strong> Reorganisation des Brillengläserbereichs erwies sich als weniger kompliziert und langwierig<br />

als die der Fassungen. Vorteilhaft war beispielsweise, dass <strong>Rodenstock</strong> bereits <strong>seit</strong><br />

1988 Halbfertigfabrikate und Lagerbrillengläser (also Serienprodukte) in Thailand produzierte.<br />

Ursprünglich sollten dort nur einfache Silikatgläser gefertigt werden, aber mit dem<br />

wachsenden Know-how der Mitarbeiter konnten anspruchsvollere Brillengläser und Halbfertigfabrikate<br />

(die „Blanks“) hergestellt werden. 1993 baute <strong>Rodenstock</strong> in Thailand am<br />

gleichen Standort in der Nähe von Bangkok ein neues, größeres Werk, in dem nun auch<br />

Kunststoffgläser fabriziert wurden und das mehr und mehr die Seriengläser für den gesamten<br />

Konzern lieferte. Nach der Abgabe der Serienfertigung an Thailand konzentrierte sich<br />

das Brillengläserwerk Regen als „Engineering-Zentrum“ auf die Weiterentwicklung von Brillengläsern<br />

und insbesondere auf die Verbesserung von Fertigungstechniken und -verfahren.<br />

Für alle Neuentwicklungen auf dem Brillengläsersektor entwickelte Regen die nötigen<br />

Techniken, baute Pilotfertigungen auf und führte Produkte und Verfahren bis zur Serienreife.<br />

Wenn die Blanks und Brillengläser dann in großen Serien in Thailand produziert wurden,<br />

arbeiteten die Regener Spezialisten bereits an der nächsten Gläsergeneration.<br />

„Rodalent“, „Perfalit“, „Cosmolit“ und „Progressiv Life“ – Neue Gläser <strong>1990</strong>-94<br />

„Wir können nicht die global Größten werden. Wir können auch nicht die Billigsten werden.<br />

Deshalb müssen wir die Besten und Schnellsten werden.“ (<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>) 11<br />

Trotz der Krisen arbeitete <strong>Rodenstock</strong> also weiter an der Optimierung der Brillengläser. <strong>Die</strong><br />

Gläser wurden leichter, schlanker und eleganter, die Schutz- und Entspiegelungsschichten<br />

wurden verfeinert sowie Tönungen und fototrope Wirkungen verbessert. <strong>1990</strong> brachte<br />

<strong>Rodenstock</strong> mit dem „Rodalent 1.8“ die bislang dünnstmöglichen Einstärken-Brillengläser<br />

mit dem damals in der Brillenoptik bei Silikatgläsern höchsten Brechungsindex von 1.8 auf<br />

den Markt. 1991 folgten die ersten in Europa gefertigten asphärischen und hochbrechenden<br />

Kunststoffgläser „Perfalit 1.6“ beziehungsweise „Cosmolit 1.6 cv“. Damit konnten Brillengläser<br />

aus Kunststoff in der Gunst der Brillenträger gewaltig gegenüber den Silikatgläsern<br />

aufholen. <strong>Die</strong> beinahe konkurrenzlos schlanken, extrem leichten und flachen Brillengläser<br />

sorgten auf der augenoptischen Fachmesse „Optica 1991“ für Aufsehen, denn bereits<br />

<strong>seit</strong> Anfang der 80er Jahre hatten sich europäische und japanische Hersteller einen<br />

Endkontrolle eines<br />

Brillenglases im<br />

Werk Regen: Weiterentwicklung<br />

von<br />

Produktion und<br />

Verfahren sind<br />

heute die Stärke des<br />

1898 gegründeten<br />

Unternehmens.


Erfolg im Team:<br />

Hans Stetter,<br />

Dr. Herbert Schuster,<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

und Dr. Frank<br />

Jaursch präsentierten<br />

1992 das preisgekrönte<br />

neue Brillenglas<br />

„Cosmolit 1.6 cv“.<br />

Wettlauf um höherbrechende Kunststoffgläser geliefert. Technisch war die Entwicklung besonders<br />

schwierig, weil beispielsweise die Polymerisation beim Brechungsindex 1.6 vollkommen<br />

anders und noch komplexer verläuft als bei den äußerlich kaum zu unterscheidenden<br />

Brillengläsern mit dem Brechungsindex 1.5. Den Kunststoff selbst bezog <strong>Rodenstock</strong><br />

aus Japan, weil kein europäischer Kunststoffhersteller das benötigte Material liefern<br />

konnte. 1992 wurden die Brillengläser „Cosmolit 1.6 cv“ mit dem „Innovationspreis der<br />

Deutschen Wirtschaft“ ausgezeichnet. 1994 kam „Progressiv Life“ auf den Markt, ein neues,<br />

mathematisch extrem kompliziertes Gleitsichtglas für Alterssichtige. 12<br />

1995 gelang es <strong>Rodenstock</strong> schließlich, bei den Kunststoffgläsern in einem Arbeitsgang<br />

durch Bedampfung entspiegelte und gehärtete Oberflächen zu schaffen, statt sie wie vorher<br />

zu lackieren. Unter dem Namen „Solitaire“ kam diese neuen High-tech-Veredelung auf den<br />

Markt – mit einer <strong>Rodenstock</strong>-Garantie für die Haltbarkeit. 13 1999 gab es aber einen unerfreulichen<br />

Rückschlag: Vor allem in der wärmeren Jahreszeit nahmen die Reklamationen<br />

von Beschichtungsfehlern beim Brechungsindex 1.6 kräftig zu. <strong>Die</strong> <strong>Rodenstock</strong>-Entwickler<br />

standen vor einem Rätsel. Betroffen waren meist bereits ein bis zwei Jahre alte Brillengläser<br />

und ausschließlich der Brechungsindex 1.6. Sobald es wieder kühler und Herbst wurde, gingen<br />

die Reklamationen zurück, aber im Sommer kam die nächste Flut von Reklamationen,<br />

und dieses Mal nicht nur bei älteren Brillengläsern, sondern auch bei fabrikneuen. Aufgrund<br />

der zugesagten Haltbarkeitsgarantie leistete <strong>Rodenstock</strong> zwar für jede Reklamation Ersatz,<br />

den Ärger der Brillenträger hatten jedoch in erster Linie die Augenoptiker auszubaden, die<br />

deswegen wiederum auf <strong>Rodenstock</strong> immer schlechter zu sprechen waren. Um die technischen<br />

Probleme zu beheben, musste <strong>Rodenstock</strong> das Beschichtungsverfahren für die hochbrechenden<br />

Kunststoff-Brillengläser neu entwickeln. Das neue Verfahren basiert auf einer<br />

Kombination von Lackieren (Hartschicht) und Bedampfen (Entspiegelung), kam Ende 2001<br />

als „Solitaire 1,6“ auf den Markt und funktioniert <strong>seit</strong>her fehlerlos.<br />

Anfang der <strong>1990</strong>er Jahre konnte <strong>Rodenstock</strong> auch die Fertigung von Gleitsichtgläsern von<br />

der beschriebenen Schablonentechnik auf eine direkte Fertigung umstellen. Denn inzwischen<br />

waren die Computer und die Steuerungen von Fräs- und Poliermaschinen verbessert<br />

166<br />

167


worden, so dass die in Regen selbst entwickelten CNC-Maschinen der nächsten <strong>Generation</strong><br />

nun direkt und in komplizierten Geometrien (spiralförmig) bearbeiten konnten. Der Umweg<br />

über die Schablonen war nicht mehr notwendig. Mit diesen neuen Fräs- und Polierverfahren<br />

gelang 1995 ein weiterer Durchbruch in der Qualitätsverbesserung von Gleitsichtgläsern:<br />

Größere Sehbereiche und schnellere Gewöhnung machten die Gleitsichtgläser<br />

„Multigressiv“ zu einem Renner bei alterssichtigen Brillenträgern. Das würdigte auch eine<br />

Expertenjury der Bayerischen Staatskanzlei und erkannte „Multigressiv“ im Jahr 1998 den<br />

„Bayerischen Innovationspreis“ zu. 14<br />

Mit diesen neuen Produkten genau in den Wachstumssegmenten des Brillenmarktes (Gleitsicht,<br />

Kunststoff, Veredlung, Fototropie) konnte <strong>Rodenstock</strong> <strong>seit</strong> Mitte der 90er Jahre seinen<br />

Marktanteil bei Brillengläsern kontinuierlich ausbauen.<br />

Umbau der Rezeptglasfertigungen<br />

Im Zuge der Gesundheitsreform hatten ausländische Konkurrenzunternehmen mit eigenen<br />

modernen Rezeptglasfertigungen (RGF) und niedrigen Preisen auf dem deutschen Markt<br />

Fuß gefasst. Um dieser Herausforderung zu begegnen, musste <strong>Rodenstock</strong> die Anzahl seiner<br />

(ehemals elf) RGFs reduzieren und die Auslastung verbessern, ohne dabei an Lieferbereitschaft<br />

und -schnelligkeit einzubüßen. <strong>Rodenstock</strong> löste das Problem durch schnellere<br />

und zuverlässigere Logistiksysteme sowie bessere Produktionsanlagen. <strong>Die</strong> neuen computergesteuerten<br />

Bearbeitungsmaschinen und hochkomplexen Vakuum-Beschichtungsanlagen<br />

mussten ohnehin rund um die Uhr laufen, damit sich die hohen Investitionen rechneten.<br />

Außerdem wurde die Fertigung bestimmter Brillenglastypen für den gesamten Weltmarkt<br />

auf einen Standort konzentriert, z.B. die Multigressiv Gleitsichtgläser auf das Werk<br />

Regen. 15 Ebenfalls 1994 begann der Aufbau einer Rezeptglasfertigung im tschechischen<br />

Klattau, kaum 70 Kilometer von Regen entfernt, zunächst in erster Linie für die Versorgung<br />

der osteuropäischen Märkte. Mit Lohnkosten, die gerade einmal 10 Prozent der deutschen<br />

ausmachten, bot sich Klattau allerdings für einen weiteren Ausbau geradezu an.<br />

Durch die Verlagerungen und zusätzliche Kostensenkungsprogramme nahm die Belegschaft<br />

kräftig ab: Innerhalb von nur fünf Jahren (1988 bis 1993) ging die Anzahl der Mitarbeiter<br />

weltweit von 7.500 auf knapp 6.000 Beschäftigte zurück. Besonders betroffen war<br />

Deutschland: Dort blieben von 6.000 Mitarbeitern nur noch 3.400 übrig. <strong>Die</strong> Produktivität,<br />

also der Umsatz pro Mitarbeiter, war jedoch um 50 Prozent gestiegen. <strong>Rodenstock</strong> musste<br />

seinen Mitarbeitern einiges zumuten: Übertarifliche Leistungen wurden gestrichen, die<br />

betriebliche Altersversorgung drastisch gekürzt und für neu eintretende Mitarbeiter ganz<br />

gesperrt. <strong>Die</strong>se Sparmaßnahmen hatten jedoch <strong>Rodenstock</strong> das Überleben gesichert: Eine<br />

Kosten-Nutzenrechnung von 1997 zeigte, dass <strong>Rodenstock</strong> durch die <strong>seit</strong> <strong>1990</strong> knapp 3.000<br />

abgebauten Arbeitsplätze kumuliert rund 930 Millionen Mark einsparte, abzüglich 110 Millionen<br />

Mark gezahlter Abfindungen an die ausgeschiedenen Mitarbeiter. „Alles in allem<br />

wäre <strong>Rodenstock</strong> um 800 Millionen Mark ärmer und damit wohl aus dem Wettbewerb ausgeschieden,“<br />

resümierte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> 1997.<br />

So aber schrieb <strong>Rodenstock</strong> bereits 1991 wieder schwarze Zahlen. Nun musste es <strong>Rodenstock</strong><br />

auch gelingen, die „Marke <strong>Rodenstock</strong>“ wieder zu beleben und das Unternehmen innerlich<br />

umzugestalten.<br />

Innerer Umbau des Unternehmens<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>s Ziele bei der internen Neuorganisation waren eine klare Zuordnung<br />

von Verantwortungsbereichen, der Abbau von Hierarchien und eine Dezentralisierung der<br />

Entscheidungen. Außerdem sollte das Unternehmen transparenter und übersichtlicher werden.<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> wollte selbstbewusste, kreative und verantwortungsvolle Mitarbeiter<br />

und eine sehr viel bessere unternehmensinterne Kommunikation. 16


Das neue <strong>Rodenstock</strong>-Markenzeichen,<br />

wie es <strong>seit</strong><br />

1991 verwendet<br />

wird.<br />

Bis dahin war es ein weiter Weg: Ein Organigramm der <strong>Rodenstock</strong>-Führungsetage aus<br />

dem Jahre <strong>1990</strong> zeigt ein ziemliches Durcheinander aus Doppelverantwortungen (eine Person<br />

für zwei Produktfelder) und Mehrfachverantwortungen (zwei oder drei Personen für<br />

ein Produktfeld). Das oberste Führungsgremium war mit elf Mitgliedern zu groß und dadurch<br />

zu schwerfällig. <strong>Die</strong> Reorganisation des Unternehmens durfte also auch vor der<br />

Führungsebene nicht Halt machen. Das fing beim Chef an: „Auch der Unternehmensleiter<br />

will und muss Verantwortung teilen“, so <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>.<br />

Noch <strong>1990</strong> begann <strong>Rodenstock</strong> mit der Bildung von klaren Produktsparten mit je einem<br />

Verantwortlichen, der an seinen Plänen, Zielen und Ergebnissen zu messen war. In den<br />

nächsten Jahren wurden die EDV-Abteilung und die Präzisionsoptik in eigenständige Gesellschaften<br />

ausgegliedert und die Investitionsgüterbereiche, also Präzisionsoptik, Optikmaschinen<br />

und Instrumente, unter einer Management-Holding zu einem Unternehmensbereich<br />

zusammengefasst. Das neue oberste Führungsgremium, die „Konzernleitung“, wurde<br />

auf fünf Mitglieder verkleinert, inklusive des persönlich haftenden Gesellschafters.<br />

Doch nicht nur die Strukturen, sondern auch Qualität und Form der Zusammenarbeit sollten<br />

sich ändern. <strong>Die</strong> Mitarbeiter sollten als Team arbeiten und sich als Team weiterentwickeln.<br />

Dabei nahm sich die Konzernleitung nicht aus, die inzwischen <strong>seit</strong> einigen Jahren<br />

mit Hilfe einer externen Moderation Teamentwicklung betreibt und die Zusammenarbeit<br />

untereinander verbessert.<br />

<strong>Die</strong> stärkere Dezentralisierung machte das Unternehmen zwar transparenter und Entscheidungen<br />

schneller, hatte aber den Nachteil, dass die Führungskräfte tendenziell nur noch<br />

ihre Einheit und nicht den Gesamtkonzern im Blick hatten. <strong>Rodenstock</strong> musste also eine<br />

Klammer finden, um diese auseinander strebenden Kräfte wieder zu bündeln und auf eine<br />

einheitliche und konsequente Markenpolitik zu lenken. Dazu gründete er bereichsübergreifende<br />

Arbeitskreise, die neue Unternehmens-Leitlinien aufstellten und eine Unternehmensidentität<br />

beschrieben, die Orientierung und Halt geben sollte.<br />

Der Weg zur neuen Markenpersönlichkeit<br />

Um nach innen wie außen die Veränderungen im Konzern und den Willen zur Revitalisierung<br />

zu unterstreichen, beauftragte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> Ende <strong>1990</strong> den Hamburger Grafiker<br />

Peter Schmidt damit, das Markenzeichen von <strong>Rodenstock</strong> neu zu gestalten. Das alte<br />

Markenzeichen empfand <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> als zu verschlossen, zu steif und außerdem<br />

schlecht lesbar. Das neue Logo sollte das Unternehmen „kompetent, modern und sympathisch“<br />

erscheinen lassen. 1991 wurde der neue <strong>Rodenstock</strong>-Schriftzug<br />

mit dem markanten „R“ der Öffentlichkeit<br />

vorgestellt. Doch mit dem Facelifting des Markenzeichens<br />

war es nicht getan. Das Unternehmen musste sich auch innerlich<br />

ändern und in den neuen, modernen Anzug hineinwachsen.<br />

Dazu ließ <strong>Rodenstock</strong> in einem – wie er es selbst beschreibt<br />

– „gemischt autoritär-partizipativen Stil“ Unternehmensleitlinien<br />

entwickeln. <strong>Die</strong> Leitlinien sollten allen Mitarbeitern<br />

klare Vorstellungen von den Wertmaßstäbe des<br />

Unternehmens und Hilfestellung im täglichen Handeln und verantwortungsvollen Führen<br />

geben. Mehr als ein Jahr lang sammelte eine Arbeitsgruppe Vorschläge und Ideen der Mitarbeiter.<br />

Das dauerte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> zwar eigentlich viel zu lange, aber er konnte seinem<br />

Wunsch widerstehen, „doch endlich zum Ende zu kommen und die Inhalte einfach<br />

selbst zu diktieren“. Auf breiter Basis diskutiert und formuliert – eine neue Erfahrung für<br />

viele <strong>Rodenstock</strong>-Mitarbeiter – fanden die „Unternehmensleitlinien“ offenbar schnell große<br />

Akzeptanz. <strong>Die</strong> kurzen Aussagen zu Unternehmensauftrag, Qualitätsansprüchen, Kunden-<br />

168<br />

169


orientierung, gesellschaftlicher Verantwortung<br />

sowie Führen und Handeln sollen<br />

eine Art Unternehmensverfassung bilden –<br />

transparent, verbindlich und nahezu demokratisch<br />

entstanden.<br />

<strong>Die</strong> Leitlinien leisteten zwar ihren Beitrag<br />

zur Selbstfindung des Unternehmens, aber<br />

im Zuge der „Revitalisierung“ sollten noch<br />

viele andere Fragen zur Zukunft der Marke<br />

<strong>Rodenstock</strong>, zu ihren Stärken und<br />

Schwächen oder ihrer Einmaligkeit beantwortet<br />

werden. Das Modell eines siebenzackigen<br />

Sterns, wie er von Psychologen<br />

zur Beschreibung von menschlichen Persönlichkeitsmerkmalen<br />

benutzt wird, half<br />

der <strong>Rodenstock</strong>-Führungsmannschaft weiter.<br />

<strong>Die</strong> sieben Spitzen des Sterns fragen<br />

nach den wichtigsten Eigenschaften von<br />

Unternehmen und Marke: „So fanden wir heraus, welche ‚Weltanschauung’ wir mit der<br />

Marke verbinden,“ erinnerte sich später ein Teilnehmer. „Wir diskutierten, wie ‚temperamentvoll‘<br />

sie ist und welche ihrer Fähigkeiten besonders gut entwickelt sind. Wir sprachen<br />

über Vor- und Nachteile einer nahezu 120-jährigen Markengeschichte, über die ‚Konstitution’<br />

der Marke und schließlich über unsere Bedürfnisse, Interessen und Ziele.“ Sieben<br />

Wesenseigenschaften der Unternehmensidentität kristallisierten sich schließlich heraus: Was<br />

von <strong>Rodenstock</strong> kommt ist „sinnvoll“, „initiativ“, „qualitätvoll“, „vertrauenswürdig“, „verständlich“,<br />

„marktoffensiv“ und „eigenständig“ (s. Bild S. 170).<br />

Bei diesen unternehmensinternen Workshops zur „Persönlichkeitsfindung der Marke<br />

<strong>Rodenstock</strong>“, an denen 10 bis 15 führende Mitarbeiter und externe Berater teilnahmen,<br />

stellte sich heraus, dass es einige Merkmale gab, die offenbar bei anderen Marken<br />

schwächer waren oder ganz fehlten. Nach einigen Sitzungen war klar, dass die Marke<br />

<strong>Rodenstock</strong> nicht aus einem bestimmten Grund ‚anders‘ empfunden wird, sondern dass die<br />

Kombination aller sieben Haupteigenschaften das Bild der Marke „<strong>Rodenstock</strong>“ prägt. Im<br />

nächsten Schritt legten die Workshop-Teilnehmer fest, welche Eigenschaften der Marke verändert<br />

werden sollten und definierten das neue Gerüst der Marke, das in naher Zukunft<br />

Realität werden sollte. Aus diesem Markengerüst wurden dann „Markenwerte“ und „Markenbotschaft“<br />

von <strong>Rodenstock</strong> abgeleitet, und aus diesen Werten wiederum Richtlinien für<br />

die Unternehmenskommunikation oder das Design von Brillenfassungen. Denn alles sollte<br />

nun zueinander passen, keine Aussage, kein Werbebrief, keine Zeitungsanzeige und auch<br />

nicht das Fassungsdesign durften diese „Markenbotschaft“ verletzen, beeinträchtigen, verwässern<br />

oder verändern. <strong>Die</strong> Richtlinien wurden in speziellen Veröffentlichungen formuliert,<br />

und dokumentiert sowie allen Mitarbeitern weltweit zugänglich gemacht. Sie haben<br />

entscheidend zu dem heute weitgehend einheitlichen Markenbild und Markendenken im<br />

<strong>Rodenstock</strong>-Konzern beigetragen.<br />

Um dieses einheitliche Bild sicherzustellen, beobachtete eine Corporate-Identity-Arbeitsgruppe<br />

aus Marketing-Fachleuten aller Unternehmensbereiche das Grundverhalten bei<br />

Werbung, Information und Verkaufsförderung. In zahlreichen Workshops mit den Führungskräften<br />

sowie externen Agenturen und Beratern wurden die Prinzipen für die Pflege<br />

von Marke und Kommunikation diskutiert, festgelegt und in Design-Manuals intern veröffentlicht.<br />

So stellt das Unternehmen sicher, dass Kommunikationsregeln und Markenidentität<br />

die Mitarbeiter, die <strong>Rodenstock</strong> nach außen zu vertreten haben, auch erreichen.<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

mit dem neuen „R“


„Das Persönlichkeitsmodell<br />

und seine<br />

Dimensionen 1997“.<br />

Unternehmen haben<br />

– wie Menschen –<br />

verschiedene Merkmale,<br />

die ihre Einmaligkeit<br />

ausmachen.<br />

<strong>Rodenstock</strong> als „Systemanbieter in der Welt des Sehens“<br />

Mitte der <strong>1990</strong>er Jahre war <strong>Rodenstock</strong> durchgreifend reorganisiert, modernisiert und definierte<br />

sich nun als „Systemanbieter in der Welt des Sehens“. Dem Augenoptiker – nicht<br />

dem Brillenträger – bot <strong>Rodenstock</strong> aus einer Hand ein umfassendes Produkt- und <strong>Die</strong>nstleistungsangebot:<br />

Vom Refraktionsgerät über Optikmaschinen die hin zu umfangreichen<br />

EDV-<strong>Die</strong>nstleistungen. Denn um die Computerisierung bei den Augenoptikern voranzutreiben,<br />

hatte <strong>Rodenstock</strong> 1993 die Mehrheit an dem Kölner Softwareentwickler „ifa computer<br />

service gmbh“ erworben, von der man sich erhebliche synergetische Impulse für das Gesamtgeschäft<br />

erhoffte. <strong>Die</strong> ifa computer service entwickelte beispielsweise ein Video-gestütztes<br />

Beratungssystem für Augenoptiker, mit dem diese ihre Kunden anschaulicher als<br />

bisher beraten konnten. Vor allem löste das System das alte Problem, dass sich Brillenträger<br />

bei der Auswahl einer neuen Fassung im Spiegel nicht richtig sehen können, weil die Brille<br />

noch nicht die richtigen Brillengläser hat. <strong>Die</strong> Videoaufnahmen von sich selbst konnten<br />

die Kunden aber mit ihrer alten Brille anschauen. Durchgesetzt hat sich das System bisher<br />

allerdings nicht. Noch wichtiger war das 1998 von ifa etablierte „Euronet“, ein Wegbereiter<br />

für die Internet-gestützte Business-to-Business-Kommunikation in der Augenoptik.<br />

Als „Systemanbieter in der Welt des Sehens“ strebte <strong>Rodenstock</strong> sehr ehrgeizig die „Leistungs-Führerschaft“<br />

an. Das bedeutete, <strong>Rodenstock</strong> wollte den Augenoptikern nicht nur<br />

die besten Brillengläser und die schönsten Fassungen anbieten, sondern darüber hinaus<br />

auch noch einen „Mehr-Wert“ in Form einer weitgehenden Unterstützung in Marketing und<br />

Service. Eine bis dahin einmalige Garantie auf Brillengläser sollte das Vertrauen der Verbraucher<br />

in Markenprodukte steigern und war ein bemerkenswerter Erfolg: Unter dem Slogan<br />

„<strong>Rodenstock</strong> verkauft nicht ‚nur’ Brillengläser – wir verkaufen Sicherheit“ waren 1997<br />

bereits mehr als drei Millionen Garantiezusagen <strong>Rodenstock</strong>s auf dem Markt.<br />

Investitionsgüter in Holding zusammengefasst<br />

<strong>Die</strong> Präzisionsoptik-Fertigung hatte <strong>Rodenstock</strong> im Zuge des Konzernumbaus von München<br />

nach Regen verlagert und in die drei kundenorientierten Geschäftsfelder „Fotooptik“,<br />

„Industrieoptik“ und „Messtechnik“ gegliedert. 17 <strong>Die</strong> Messtechnik wurde aber schon kurze<br />

Zeit später aufgegeben, weil die Marktnische zu eng geworden war. 1995 wurde die gesamte<br />

Präzisionsoptik aus dem Unternehmen ausgegliedert und als neue Tochtergesellschaft<br />

„<strong>Rodenstock</strong> Präzisionsoptik GmbH“ (ROP) in die ebenfalls neu gegründete „<strong>Rodenstock</strong><br />

Technologie Holding“ (RTH) eingebracht. In dieser Holding wurde dann auch das<br />

170<br />

171


gesamte Investitionsgütergeschäft, also auch <strong>Rodenstock</strong> Instrumente, Weco Optikmaschinen,<br />

die mittlerweile als „Rodis“ ausgelagerte EDV-Abteilung sowie die ifa computer service,<br />

zusammengeführt. <strong>Die</strong> Holding sollte weitere Synergien erschließen und die Führung<br />

der Bereiche straffen. 18 Auch ein Börsengang der RTH wurde damals kurzzeitig erwogen.<br />

Bei optischer Spitzentechnologie behauptete sich die <strong>Rodenstock</strong> Präzisionsoptik erfolgreich:<br />

Ihre Foto-Objektive flogen 1993 mit der deutschen Spacelab-Mission D2 ins Weltall<br />

und eine neue digitale Optik für Röntgengeräte sorgte 1997 dafür, dass Röntgenbilder nicht<br />

mehr entwickelt werden mussten, sondern sofort digital vorlagen, gespeichert und elektronisch<br />

verschickt werden konnten.<br />

1996 übernahm <strong>Rodenstock</strong> die Mehrheit an dem in Konkurs befindlichen Präzisionsoptik-<br />

Hersteller Docter Optics GmbH mit 540 Beschäftigten an den Standorten Wetzlar, Saalfeld,<br />

Schleiz in Thüringen und Wien. Partner (mit jeweils 20 Prozent der Anteile) waren die<br />

Stuttgarter Robert Bosch GmbH und die Hella KG Hueck & Co. in Lippstadt. <strong>Die</strong> Stärke von<br />

Docter Optics waren so genannte blankgepresste asphärische Linsen für die Autoscheinwerfer,<br />

daher auch die Beteiligung der Automobilzulieferer Bosch und Hella. Das unter der<br />

Federführung der <strong>Rodenstock</strong> Technologie Holding RTH, der auch Docter Optics angegliedert<br />

wurde, erarbeitete Sanierungskonzept war zunächst erfolgreich, doch der vermeintliche<br />

schnelle Erfolg verleitete das Management zu riskanten Ausflügen in neue Geschäftsfelder.<br />

Anlaufschwierigkeiten im neuen Werk in Neustadt an der Orla, wo mehrere kleinere<br />

Standort zusammengefasst worden waren, brachten Docter Optics Ende der <strong>1990</strong>er Jahre<br />

erneut tief in rote Zahlen – damit war an einen eventuellen Börsengang der RTH nicht<br />

mehr zu denken.<br />

Unternehmenspersönlichkeit und Fassungsdesign<br />

<strong>Die</strong> 1993/94 neu definierten Markenwerte des Unternehmens mussten auch die Produkte<br />

prägen. <strong>Die</strong> Ersten, die das begriffen hatten, waren die <strong>Rodenstock</strong>-Fassungsdesigner. Ihnen<br />

wurde klar, dass künftig nicht mehr jede Brillenfassung in die <strong>Rodenstock</strong>-Kollektion<br />

passen würde. In mehreren Workshops unter Mitwirkung eines externen CI-Beraters entwickelten<br />

sie sieben Grundsätze für die Produktgestaltung, nach denen bei <strong>Rodenstock</strong><br />

<strong>seit</strong>dem Brillenfassungen entworfen werden. Außerdem konzentrieren sich die Designer<br />

auf wenige Marksegmente, die anhand der sozialwissenschaftlichen „Theorie der sozialen<br />

Milieus“ identifiziert wurden (die „Prestigeorientierten“, die „Anspruchsvollen“, die „Selbstbewussten“<br />

usw.) und mit eigenen Marktstudien immer wieder überprüft und korrigiert<br />

werden.<br />

So bekamen die <strong>Rodenstock</strong>-Brillenfassungen wieder ein scharfes Profil und auch wieder<br />

mehr Käufer. <strong>Rodenstock</strong>-Fassungen gelten heute als innovativ, leicht, funktionell, nüchtern,<br />

auf die Funktionen der Brille reduziert. Denn nach der neuen <strong>Rodenstock</strong>-Philosophie<br />

soll eine Brille die Persönlichkeit des Menschen unterstreichen und keinesfalls im Gesicht<br />

dominieren – der erste Schritt zur „Gesichtswahrung“. Zwei nach der <strong>Rodenstock</strong>-Devise<br />

„dünn, leicht, sich dem Gesicht unterordnend“ entworfene Modelle (2304 und 2362) erhielten<br />

1995 erstmals Designpreise. Innerhalb weniger Jahre gewannen <strong>Rodenstock</strong> Brillenfassungen<br />

Auszeichnungen auf vielen nationalen und internationalen Designwettbewerben,<br />

so dass <strong>Rodenstock</strong> heute vermutlich die meistprämierte Fassungsmarke ist. Auch die<br />

<strong>Rodenstock</strong>-Sonnenbrillenkollektion wurde 1998 komplett überarbeitet und erzielt <strong>seit</strong>her<br />

Jahr für Jahr ordentliche Wachstumsraten.<br />

<strong>Rodenstock</strong> verfolgt nun das Konzept, dass eine verlässliche Marke den verunsicherten<br />

Käufern Halt und Orientierung bieten kann. Denn eine Marke kann Zutrauen vermitteln<br />

(„<strong>Die</strong> können was!“), Vertrauen („Auf die kann ich mich verlassen!“) und auch Sympathie<br />

(„<strong>Die</strong> mag ich!“). Außerdem verspricht eine gute Marke nicht nur die Befriedigung von<br />

sachlichen Bedürfnissen („Ich will besser sehen“), sondern auch von emotionalen Bedürf-


<strong>Rodenstock</strong>-Brillenfassungen<br />

R2362:<br />

Ausgezeichnet mit<br />

dem „Bundespreis<br />

Produktdesign<br />

1996“, dem höchsten<br />

deutschen<br />

Designerpreis.<br />

nissen („Ich möchte gut aussehen“). Das Unternehmen <strong>Rodenstock</strong> war überzeugt, dass<br />

diese markentheoretischen Grundsätze ganz besonders für Brillen gelten, die für viele Brillenträger<br />

„eher ein Frustkauf als ein Lustkauf“ sind.<br />

Neue Gleitsicht-Brillengläser: Multigressiv (1995) und Impression ILT (2000)<br />

Gleitsichtgläser hatten bis Mitte der 90er Jahre noch den Nachteil, dass die schmalen<br />

Sehkorridore beim Übergang von Nähe auf Ferne den Brillenträgern Gewöhnungsschwierigkeiten<br />

bereiteten. Weil auch die Konkurrenz nicht schlief, versuchte <strong>Rodenstock</strong> die<br />

Oberflächengestaltung der Gleitsichtgläser weiter zu verbessern. Schließlich kam man darauf,<br />

den Gleitsichtgläsern innen und außen unterschiedliche Kurven zu geben (asphärisch<br />

und atorisch). <strong>Die</strong> 1995 unter dem Namen „Multigressiv“ vorgestellten Gleitsichtgläser vereinten<br />

hohe optische Leistung und ansprechendes Design. Das „Multigressiv 2“ erreichte<br />

drei Jahre später einen nochmals um bis zu 30 Prozent vergrößerten<br />

Progressions- und Nahbereich. Wegen des größeren<br />

Sehbereichs und der schnelleren Gewöhnung kamen die Gläser<br />

bei alterssichtigen Brillenträgern gut an. 1998 gab es einen<br />

wahren Nachfrageboom. Eine Expertenjury der Bayerischen<br />

Staatskanzlei belohnte <strong>Rodenstock</strong> 1998 für „Multigressiv“ mit<br />

dem „Bayerischen Innovationspreis“. 19<br />

Anfang 2000 stellte <strong>Rodenstock</strong> der überraschten Fachwelt<br />

eine völlig neue <strong>Generation</strong> von Gleitsichtgläsern vor: Das<br />

„Impression ILT “ (ILT = Individual Lens Technology) ermöglichte<br />

durch vier zusätzliche Parameter eine neue individuelle Anpassung<br />

der Brillengläser und damit eine nochmals deutliche<br />

Verbesserung der Sehqualität. Bei der Herstellung von Impression-Gleitsichtgläsern<br />

werden neben Form und Größe sowie<br />

Abstand der Fassung zu den Augen erstmals die genaue Position<br />

und damit der optimale Sitz der Brillengläser vor den<br />

Augen berücksichtigt. Durch das Messen und Berechnen von<br />

Pupillendistanz, Hornhautscheitelabstand, Fassungsvorneigung<br />

und Fassungsdurchbiegung wird die Brille zu einem echten „Maßanzug“ für die<br />

Augen. Auch in diesem Fall war die Verbesserung der Brillengläser erst möglich geworden,<br />

weil leistungsfähigere Computer einer<strong>seit</strong>s die Oberflächengeometrie der Brillengläser<br />

schnell genug berechnen konnten und ander<strong>seit</strong>s eine schnelle, hochgenaue maschinelle<br />

Fertigung ermöglichten. Rund 20 Millionen Mark hatte <strong>Rodenstock</strong> in die Entwicklung der<br />

Individual Lens Technology gesteckt, einschließlich des Umbaus des Werks Frankfurt zur<br />

heute wohl modernsten Brillengläserfertigung Europas. <strong>Rodenstock</strong> hatte also nun neue<br />

Produktionsstandorte, moderne Brillengläser, eine neu ausgerichtete Fassungskollektion,<br />

ein geschärftes Markenprofil sowie ein intern modernisiertes Unternehmen: <strong>Die</strong> Revitalisierung<br />

war erfolgreich.<br />

<strong>Rodenstock</strong> wirbt um das Vertrauen der Verbraucher<br />

Etwa <strong>seit</strong> 1997 waren bei <strong>Rodenstock</strong> Zweifel an der Strategie des „Systemanbieters“ aufgekommen:<br />

<strong>Die</strong> Augenoptiker waren von den Vorteilen der Strategie nur schwer zu überzeugen,<br />

zu austauschbar waren die einzelnen Komponenten: In <strong>Rodenstock</strong>-Brillenfassungen<br />

ließen sich auch Brillengläser anderer Hersteller einsetzen, ebenso <strong>Rodenstock</strong>-Brillengläser<br />

natürlich auch in fremde Fassungen. Und mit <strong>Rodenstock</strong>-Instrumenten oder<br />

Weco-Optikmaschinen ließen sich auch Konkurrenzprodukte bearbeiten. Das <strong>Rodenstock</strong>-<br />

System brachte also den Augenoptikern keinen wirklichen Zusatznutzen und damit <strong>Rodenstock</strong><br />

auch keinen echten Wettbewerbsvorteil. Außerdem erfuhren die Brillenträger nur<br />

172<br />

173


wenig von den Innovationen und Verbesserungen: „Wir haben der Welt beste Brillengläser<br />

entwickelt, doch der Endverbraucher weiß es nicht“, stellte das Unternehmen 1997 fest.<br />

<strong>Rodenstock</strong> kannte zwar seine Kunden, die Augenoptiker, aber die Endverbraucher, die Brillenträger,<br />

waren für das Unternehmen immer noch weitgehend unbekannte Wesen und wurden<br />

bislang auch kaum direkt angesprochen. <strong>Rodenstock</strong> hatte erkannt, dass technischer<br />

Fortschritt und innovative Produkte zwar wichtig sind, aber als Wettbewerbsvorteil nicht<br />

mehr ausreichten, weil Vorsprünge eingeholt und Produkte kopiert werden können. Außerdem<br />

wurden die Produkte ohnehin immer vergleichbarer. Was sie oft nur noch unterschied,<br />

war ihr emotionaler Gehalt. Gerade wegen der Informationsflut treffen die Menschen ihre<br />

Entscheidungen eben nicht rational, sondern „aus dem Bauch heraus“ – möglicherweise besonders<br />

bei einem persönlichen und sensiblen Produkt wie einer Brille. Also musste <strong>Rodenstock</strong><br />

versuchen, die Endverbraucher auch emotional zu erreichen. Mit einer groß angelegten<br />

Marketing-Kampagne mit TV- und Printwerbung änderte <strong>Rodenstock</strong> Anfang 1997 dies,<br />

um „den Endverbraucher über Neuerungen zu informieren und einen Mehrbedarf für hochwertige<br />

Brillengläser zu erzeugen“. Das Timing war kein Zufall, denn in diesem Jahr wurde<br />

die nächste Stufe der Gesundheitsreform unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister<br />

Horst Seehofer vollzogen, von der <strong>Rodenstock</strong> – nach den Erfahrungen von 1989 – „die<br />

zweitschwerste Branchenkrise der Nachkriegszeit“ erwartete und entsprechend vorbereitet<br />

sein wollte. Nicht zu Unrecht: Als im Zuge der Reform der Kassenzuschuss von 20 Mark für<br />

Brillenfassungen 1997 vollständig gestrichen wurde, brach der Fassungsmarkt schlagartig um<br />

20 Prozent ein, die Brillengläser verloren 14 Prozent. Der deutsche Brillenmarkt schrumpfte<br />

dramatisch von 12 auf 10 Millionen Brillen jährlich. <strong>Rodenstock</strong> aber kam glimpflich davon<br />

und gewann – vermutlich Dank der Fernsehwerbung für das „teuerste Gleitsichtglas der<br />

Welt“ Multigressiv – kräftig Marktanteile. <strong>Die</strong> Verbindung von Endverbraucherwerbung und<br />

hochwertigen Brillengläsern hatte Erfolg: <strong>Rodenstock</strong> durfte sich mit 15 Millionen Mark Jahresüberschuss<br />

als Gewinner der Gesundheitsreform 1997 fühlen. 20 Für die Multigressiv-Werbekampagne<br />

bekam <strong>Rodenstock</strong> 1998 einen „Effie“ in Gold, den wichtigsten Preis der deutschen<br />

Werbewirtschaft, der vor allem die Effizienz der Werbung bewertet.<br />

<strong>Rodenstock</strong> Werbekampagne<br />

von 1997:<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

bürgt persönlich für<br />

die Qualität seiner<br />

Brillengläser.


Mit einem Feuerwerk<br />

gab <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

am 1. Juli 1999<br />

den Startschuss für<br />

die neue Unternehmensstrategie<br />

„Think<br />

Spectacles“ oder<br />

Denke in Brille.<br />

Think Spectacles – Denke in Brille<br />

Angesichts der erfolgreichen Werbung beim Endverbraucher erschien das Konzept des<br />

„Systemanbieters“ für den Augenoptiker immer fragwürdiger: „Muss der Augenoptiker unbedingt<br />

alles aus einer Hand erhalten oder müssen wir ihn nicht vielmehr unterstützen,<br />

sein Geschäft zu betreiben, also den Endverbraucher besser zu erreichen?“ fragte <strong>Randolf</strong><br />

<strong>Rodenstock</strong> 1997. <strong>Die</strong> Unterstützung der Augenoptiker konnte beispielsweise in einer<br />

Imagewerbung für die Brille bestehen, aber dazu musste man den Brillenträger erst einmal<br />

kennen: „Müssen wir nicht mehr über den Brillenträger wissen? Kennen wir sein Verhältnis<br />

zur Brille und seine Beweggründe für oder gegen eine Brille?“ 21 Und schließlich eine ganz<br />

entscheidende Frage für die Unternehmensstruktur: „Gibt es eigentlich noch Synergien zwischen<br />

Präzisionsoptik und Brillenoptik?“<br />

Letztlich lief es auf die Frage nach der „Einzigartigkeit“ von <strong>Rodenstock</strong> hinaus, nach der<br />

„Kernkompetenz“ des Familienunternehmens. Und die Antwort auf diese Frage lautete nicht:<br />

Fotoobjektive oder Instrumente, sondern „Brille“, und zwar als Einheit aus Brillengläsern und<br />

Brillenfassung. Denn damit beschäftigte sich <strong>Rodenstock</strong> <strong>seit</strong> mehr als 120 Jahren und war<br />

vielen Verbrauchern vor allem als Brillenhersteller geläufig. Darüber hinaus waren Brillengläser<br />

und Fassungen – von wenigen Ausnahmejahren abgesehen – die Hauptumsatzträger.<br />

Besonders wichtig war die Betonung der „Brille“, weil der Brillenträger sie in der Regel als<br />

Einheit erlebt und nicht trennt zwischen Brillengläsern und Brillenfassungen. <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

formulierte also 1998 in drei kurzen Sätzen seine Vision für das Unternehmen:<br />

• <strong>Rodenstock</strong> ist ein Markenunternehmen, international bekannt als der beste Problemlöser<br />

für den Brillenträger.<br />

• <strong>Rodenstock</strong> ist in der Reihe der Weltmarktführer nicht das größte Unternehmen, aber<br />

eine ertragsstarke Perle der Branche.<br />

• <strong>Rodenstock</strong> ist Heimat für kompetente und emanzipierte Mitarbeiter.<br />

Nachdem <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> so die Marschrichtung<br />

vorgegeben hatte, entwickelte eine kleine Führungsmannschaft<br />

um den Konzernchef innerhalb nur eines halben<br />

Jahres die Grundkonzeption der Neuausrichtung des Unternehmens<br />

auf die Kernkompetenz „Brille“. Unter der plakativen<br />

Überschrift „Think Spectacles“ („Denke in Brille“) erarbeiteten<br />

18 Projektteams im ganzen Unternehmen die<br />

Details der neuen Organisation. Der Startschuss fiel nach<br />

mehrmonatigen Vorbereitungen am 1. Juli 1999. Als Kernstück<br />

der neuen Struktur wurden die bisher getrennt agierenden<br />

Geschäftsbereiche „Brillengläser“ und „Brillenfassungen“<br />

in einem neuen Geschäftsbereich „Brille“ vereint.<br />

<strong>Die</strong>ser gliederte sich in die Funktionsbereiche Marketing,<br />

Operations (Herstellung) und Verkauf.<br />

Dabei erfuhr der Marketingbereich die gravierendsten Änderungen:<br />

zum einen kamen als neue Aufgaben „Marktforschung“,<br />

„<strong>Rodenstock</strong> Akademie“ (zuständig für die Weiterbildung<br />

von Mitarbeitern und Kunden sowie Pflege und<br />

Verbesserung der Kundenbeziehungen) sowie E-Marketing<br />

(netzgestützte Kommunikation mit Augenoptikern sowie<br />

Internetauftritt www.rodenstock.de), zum anderen wurden<br />

die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen für Brillengläser<br />

und -fassungen, die bisher zur Produktion gehörten,<br />

jetzt dem Marketing angegliedert. Marktorientierung statt<br />

Technikbesessenheit hieß die Devise.<br />

174<br />

175


Quer zu den drei Funktionsbereichen Marketing, Operations und Verkauf wurden die bereichsübergreifenden<br />

Organisationseinheiten „Business Management Brillenfassungen“ und „Business<br />

Management Brillengläser“ eingeführt. Sie waren als Brücke und Klammer zwischen den<br />

Bereichen gedacht, übernahmen das Produktmanagement über den ganzen Lebenszyklus und<br />

wurden damit zur treibenden Kraft hinter den Produkten. Trotz aller Komplexität – und deswegen<br />

war sie nicht unumstritten – erwies sich die neue Organisation als funktionsfähig. Im<br />

Mai 2000 konnte <strong>Rodenstock</strong> feststellen, dass der Umbau geglückt war und der Geschäftsbereich<br />

Brille in der neuen Struktur erfolgreich arbeitete.<br />

Verkauf der Investitionsgüterbereiche Weco und ifa<br />

Zur Konzentration auf das Kerngeschäft Brille gehörte natürlich auch ein neuer Umgang mit<br />

den Nicht-Kerngeschäft-Bereichen: „Wir betrachten die Gesellschaften und Unternehmensteile,<br />

die wir nicht zur Kernkompetenz zählen, als eine Art ‚strategische Reserve‘, die mit einem<br />

‚finanziellen Beitrag‘ zum Konzernergebnis und somit zur Stärkung der Kernkompetenz<br />

beitragen sollen“ erklärte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> 1999. Selbst ein Verkauf zu guten Bedingungen<br />

wurde als „finanzieller Beitrag“ nicht ausgeschlossen. „Wir wollten uns vielmehr um die<br />

ganze Komplexität der Bedürfnisse der Brillenträger kümmern“, beschrieb <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

in einem späteren Interview, „aber das erfordert eine ganz andere mentale Attitüde, als<br />

wenn ich mich mit Weltraumoptik oder Automobilbeleuchtungstechnik befasse. Ein Unternehmen<br />

kann nur entweder in Richtung Mensch oder in Richtung Investitionsgüter denken,<br />

auf beiden Gebieten kann es auf Dauer nicht gut sein.“ Ohne Ergebnisbeiträge oder Verkaufserlöse<br />

wären viele der beschriebenen Investitionen in das neue Konzept „Brille“ kaum<br />

zu finanzieren gewesen. Dazu musste das Unternehmen allerdings erst einmal akzeptieren,<br />

dass es immer schwieriger wurde, bei augenoptischen Instrumenten oder den unterschiedlichen<br />

Feldern der Präzisionsoptik zur Spitzengruppe zu gehören. Es gab kaum noch Synergien<br />

mit der Brillenoptik, die präzisionsoptischen Produkte und Instrumente wurden immer<br />

komplexer und spezieller, der Investitionsbedarf für gesundes Wachstum immer höher – für<br />

das Familienunternehmen eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Angesichts des boomenden<br />

„Neuen Marktes“ Ende der <strong>1990</strong>er Jahre bekam <strong>Rodenstock</strong> sehr schnell Angebote für seine<br />

Investitionsgüterunternehmen. Das israelische Unternehmen ProLaser AG (optische Geräte<br />

und Testanlagen) kaufte die Weco Optikmaschinen GmbH, Düsseldorf, und die <strong>Rodenstock</strong><br />

Instrumente GmbH, Ottobrunn (ab Sommer 1999 ProLaser AG in Düsseldorf). Als Teil des<br />

Kaufpreises hatte <strong>Rodenstock</strong> im Gegenzug einen Minderheitsanteil an der ProLaser AG<br />

übernommen, zum einen weil die Geschäftsfelder beider Unternehmen immer noch recht<br />

nahe beieinander lagen und zum anderen, weil der Vertrieb der Maschinen und Geräte im<br />

Ausland noch zu einem großen Teil über die <strong>Rodenstock</strong>-Auslandsgesellschaften abgewickelt<br />

wurde. <strong>Die</strong>se Zusammenarbeit wurde zwar in den darauf folgenden Monaten recht<br />

schnell entflochten, die ProLaser-Aktien behielt <strong>Rodenstock</strong> allerdings im Portfolio – ein teurer<br />

Luxus, wie sich nur zwei Jahre später herausstellen sollte.<br />

<strong>Die</strong> nächsten Verkäufe gingen Schlag auf Schlag: Im Jahr 2000 übernahm die Göttinger Linos<br />

AG für 67 Millionen Mark, von denen <strong>Rodenstock</strong> nach Steuern rund 40 Millionen Mark blieben,<br />

die komplette <strong>Rodenstock</strong> Präzisionsoptik GmbH. So vergrößert (von etwa 40 auf 120<br />

Millionen Umsatz) und verbessert um ein großes Traditionsunternehmen ging Linos anschließend<br />

an die Börse, um diese und weitere Investitionen zu finanzieren. <strong>Die</strong> „ifa computer<br />

service“ verkaufte <strong>Rodenstock</strong> einschließlich Euronet ebenfalls noch im Jahre 2000 an den<br />

amerikanischen E-Business-Spezialisten „VisualPlex Inc.“ – wie die ProLaser AG ein Kind des<br />

Neuen Marktes. Wie ProLaser bezahlte VisualPlex einen kleinen Teil des Kaufpreises mit<br />

eigenen Aktien.


<strong>Rodenstock</strong>-Sonnenbrillen<br />

R1188: Seit<br />

der Überarbeitung im<br />

Jahr 2000 wieder<br />

kräftiger Aufwind für<br />

die Sonnenbrillen-<br />

Kollektion.<br />

<strong>Rodenstock</strong>-Werk<br />

Columbus, Ohio.<br />

Stärkung des Kerngeschäftes Brille – <strong>Rodenstock</strong> weltweit<br />

<strong>Die</strong> Verkaufserlöse investierte <strong>Rodenstock</strong> entsprechend seiner<br />

neuen strategischen Ausrichtung in die Stärkung des Kerngeschäftes<br />

Brille. Bereits 1998 hatte <strong>Rodenstock</strong> die „optovision Gesellschaft<br />

für moderne Brillenglastechnik mbH“ in Langen bei Frankfurt<br />

gekauft, mit 270 Mitarbeitern und einem Absatz von rund 2,1<br />

Millionen Rezept-Brillengläsern die Nummer 6 auf dem deutschen<br />

Markt. Das Produktprogramm von optovision ergänzte das<br />

<strong>Rodenstock</strong>-Programm gut und der Marktanteil bei Brillengläsern<br />

in Deutschland stieg damit für den <strong>Rodenstock</strong>-Konzern auf über<br />

33 Prozent, ein absoluter Spitzenwert, denn der nächste Konkurrent<br />

erreichte kaum 20 Prozent.<br />

Im selben Jahr erwarb <strong>Rodenstock</strong> eine Minderheitsbeteiligung an<br />

der US-amerikanischen „2C Optics Inc.“ in Alpharetta, Georgia<br />

(lautmalerisch „to see“), einem 1991 gegründeten Forschungsunternehmen<br />

in der Augenoptik. Den 2C-Ingenieuren war eine revolutionäre<br />

Entwicklung mit dem Gießen von Rezept-Brillengläsern<br />

in einem Arbeitsgang gelungen. Sie hatten Methoden der Kontaktlinsenfertigung auf die<br />

größeren und schwieriger herzustellenden Kunststoffbrillengläser übertragen: In einem Arbeitsgang<br />

und in nur wenigen Minuten konnten nun unter Nutzung der von <strong>Rodenstock</strong> erprobten<br />

und millionenfach angewendeten Gießformtechnik und einem neuwertigen Kunststoffmaterial<br />

die neuen Brillengläser genau mit der für bestimmte Brillenträger geforderten<br />

Wirkung gegossen werden. Weil der neue Kunststoff unter UV-Licht in nur wenigen Sekunden<br />

aushärtete – die herkömmlichen Kunststoffbrillengläser benötigten dafür bislang 10 bis<br />

16 Stunden – und weil gegenüber dem konventionellen Bearbeiten der Brillengläser einer<br />

Reihe von Arbeitsschritten (Schleifen und Polieren) wegfiel, versprach das neue APT-Verfahren<br />

(Automated Prescription Technology) nicht nur schneller, sondern zukünftig auch<br />

kostengünstiger zu sein. Außerdem brachte <strong>Rodenstock</strong> beim Oberflächendesign der Brillengläser<br />

sein Know-how ein. <strong>Die</strong> langfristig angelegte Kooperation mit dem amerikanischen<br />

Unternehmen, dessen Mehrheit <strong>Rodenstock</strong> bald übernahm, sollte neue Möglichkeiten<br />

auf dem nordamerikanischen Markt eröffnen und hatte nur einen Haken: Der Zeitpunkt<br />

für Expansion war denkbar ungünstig, denn auch Amerika stand vor einer Flaute.<br />

<strong>Rodenstock</strong> war bereits <strong>seit</strong> rund 30 Jahren mit Brillengläsern und -fassungen „Made in Germany“<br />

mit eigener Organisation auf dem amerikanischen Markt präsent. Das Nebeneinander<br />

von verschiedenen Organisationen sowie Abstimmungsprobleme und Kompetenzgerangel<br />

führten zu erheblichen und vermeidbaren Kosten. Das <strong>Rodenstock</strong>-Amerika-Geschäft rutschte<br />

tief in die roten Zahlen und musste neu geordnet werden: „<strong>Rodenstock</strong> North America Inc.“<br />

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mit Sitz in Alpharetta, Georgia, übernahm im Jahr 2000 die bisher auf verschiedene Gesellschaften<br />

verteilten Geschäftsaktivitäten bei Brillenfassungen und Brillengläsern in den USA, in<br />

Kanada und Mexiko. Einige Standorte wurden geschlossen. Für die Serienfertigung von Brillengläsern<br />

nach dem APT-Verfahren errichtete <strong>Rodenstock</strong> North America im Jahr 2000 in Columbus,<br />

Ohio eine komplett neue Fabrik. Um Umsatz- und Ergebnis zu verbessern, wurde ein<br />

Sanierungskonzept ausgearbeitet und sämtliche Geschäftsaktivitäten für Brillengläser und<br />

-fassungen in Columbus konzentriert. Im Mai 2002 verlegte <strong>Rodenstock</strong> North America sein<br />

Hauptquartier ebenfalls nach Columbus, so dass heute der gesamte amerikanische Markt<br />

einschließlich Mexiko und Kanada zentral von Columbus aus bedient wird.<br />

Um das Kerngeschäft Brille weiter zu stärken, baute <strong>Rodenstock</strong> ab 2000 auch seine Verkaufsaktivitäten<br />

in Tschechien aus und gründete Verkaufsgesellschaften in Polen und in der<br />

Slowakei. Am 1. Januar 2002 übernahm die neu gegründete <strong>Rodenstock</strong> Japan die Verkaufsaktivitäten<br />

dort in eigener Regie. <strong>Rodenstock</strong>-Brillenfassungen genießen unter Japan’s<br />

Managern einen ausgezeichneten Ruf, der jetzt auch auf<br />

die Damen-Kollektionen und später auch auf die Brillengläser<br />

ausgedehnt werden kann.<br />

Wegen der Konzentration auf die Brille und der sorgfältigen<br />

Pflege der Marke „<strong>Rodenstock</strong>“ veränderte sich auch<br />

der Umgang <strong>Rodenstock</strong>s mit den Lizenzmarken der<br />

Tochtergesellschaft NiGuRa. Noch mehr als vorher wurde<br />

darauf geachtet, dass die von NiGuRa verkauften Modelle<br />

nicht den Verkauf der <strong>Rodenstock</strong>-Fassungen beeinträchtigten.<br />

<strong>Rodenstock</strong> hatte sich entschieden, nur ausgesuchte<br />

Labels als Lizenzmarken aufzunehmen, die zum<br />

Konzern und seiner Strategie passen und sich nicht gegen<strong>seit</strong>ig<br />

Konkurrenz machen.<br />

In den Jahren 2000 und 2001 kamen mit „Reebok“ und „Porsche Design“ zwei neuen Lizenzmarken<br />

in das Brillenfassungsprogramm. Beide stehen für Spitzendesign und Innovation,<br />

sprechen jeweils andere Zielgruppen an und überschneiden sich nur marginal mit der<br />

Marke <strong>Rodenstock</strong>. Für beide Lizenzmarken hatte NiGuRa bereits im Jahr 2000 mit hohem<br />

Aufwand jeweils neue Kollektionen von Sonnenbrillen und Korrektionsbrillen entwickelt,<br />

die ab Frühjahr 2001 an die Augenoptiker im In- und Ausland ausgeliefert wurden.<br />

<strong>Die</strong> Brille als „Gesichtswahrung“<br />

Zum Konzept „Think Spectacles“ gehört auch die Umsetzung der neuen ganzheitlichen<br />

Brillen-Philosophie. Wie bereits ansatzweise in den Designgrundsätzen Mitte der <strong>1990</strong>er<br />

Jahre formuliert, soll eine Brille nicht das Gesicht ihres Trägers dominieren oder gar verunstalten,<br />

sondern die positiven oder gewünschten Aspekte einer Persönlichkeit betonen.<br />

„Gesichtswahrung“ nannte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> diese Funktion der Brille.<br />

Ein Aspekt der „Gesichtswahrung“ ist das persönliche Sicherheitsgefühl des Brillenträgers.<br />

Denn der ist zunächst einmal oft sehr verunsichert, weil er die Qualitäten der Brille und<br />

insbesondere der Brillengläser nicht wirklich beurteilen kann: Ein Vergleich verschiedener<br />

Brillengläser und Ausführungen in der individuellen Wirkung (Stärke) ist nicht möglich.<br />

Wie gut er mit den neuen Brillengläsern sieht, offenbart sich dem Brillenträger erst nach<br />

dem Kauf. Er muss sich allein auf den Rat seines Augenoptikers verlassen. Bei den Brillenfassungen<br />

ist es noch schwieriger: Was steht mir wirklich? Was passt zu meinem Typ? Was<br />

sagen die Kollegen dazu? Was die Familie? Auf diese Fragen gibt es keine objektiv richtige<br />

Antwort. Selbst bei guter Beratung durch den Augenoptiker bleibt oft eine gewisse Unsicherheit<br />

zurück. <strong>Rodenstock</strong> vermutet, dass viele Menschen wegen dieser Verunsicherung<br />

den Kauf einer neuen Brille verschieben oder verweigern und deswegen Brillen tragen, die<br />

Porsche Design Sonnenbrille<br />

„Speedster“:<br />

Hochwertige Verarbeitung<br />

und außergewöhnliches<br />

– fast<br />

futuristisches – Design<br />

bringen starkes<br />

Umsatzwachstum.


weder augenoptisch optimal noch ästhetisch befriedigend sind. Deshalb hat <strong>Rodenstock</strong><br />

„Sicherheit geben“ als Verkaufsargument entdeckt und will dem Brillenträger die Gewissheit<br />

geben, die richtige Entscheidung für sich und sein Gesicht getroffen zu haben. <strong>Die</strong><br />

Kunden sollen das Gefühl bekommen, mit einer <strong>Rodenstock</strong>-Brille immer auf der sicheren<br />

Seite zu sein: Gut sehen und gleichzeitig gut aussehen. <strong>Rodenstock</strong> möchte für die Brillenkäufer<br />

„zum glaubwürdigsten und kompetentesten Ratgeber in Sachen Brille“ werden.<br />

<strong>Die</strong> Größe des brachliegenden Marktes der „Zögerer und Verweigerer“, die trotz ihrer Sehschwäche<br />

die falsche oder gar keine Brille tragen, wird auf rund 30 Prozent der Bevölkerung<br />

geschätzt – und das nicht nur in Deutschland, sondern in allen westlichen Industrieländern.<br />

Mit „Think Spectacles“ will sich <strong>Rodenstock</strong> auch dieses Absatzpotential erschließen.<br />

Deshalb beschäftigte sich <strong>Rodenstock</strong> in den vergangenen Jahren immer mehr<br />

mit den Wünschen und Gefühlen der Brillenträger und den psychologischen Barrieren, die<br />

einen Brillenkauf verhindern.<br />

Um mehr über „den unbekannten Brillenträger“ zu erfahren und so Augenoptiker wie Endkunden<br />

noch besser bedienen zu können, übernahm <strong>Rodenstock</strong> im Jahre 2001 in England<br />

eine kleine Firma mit insgesamt 15 Augenoptikgeschäften im Raum Luton, nördlich von<br />

London. <strong>Die</strong> 1905 gegründete Firma P. G. Allder & Partners Ltd. war <strong>seit</strong> langem Mitglied im<br />

„<strong>Rodenstock</strong> Club“ – einem ausgewählten Kreis von Augenoptikern in Großbritannien, die<br />

besonders intensiv mit <strong>Rodenstock</strong> zusammenarbeiten –, stand aber damals kurz vor dem<br />

Verkauf an eine der großen britischen Augenoptiker-Ketten und wäre damit als Abnehmer<br />

für <strong>Rodenstock</strong>-Produkte verloren gewesen. Mit diesem Engagement, kehrte <strong>Rodenstock</strong><br />

ziemlich genau 100 Jahre, nachdem Josef <strong>Rodenstock</strong> seine deutschen „Detailgeschäfte“<br />

verkauft hatte, in das direkte Geschäft mit dem Brillenträger zurück. Allerdings mit dem<br />

Unterschied, dass Management und Eigenständigkeit von „Allders Opticians“ voll erhalten<br />

blieben. <strong>Die</strong> Zugehörigkeit zu <strong>Rodenstock</strong> sicherte dem mittelständischen Unternehmen<br />

das Überleben auf einem Markt, der viel stärker als der deutsche von Augenoptikerketten<br />

und Filialbetrieben geprägt ist. Gerade die großen Unterschiede zwischen dem britischen<br />

und deutschen Markt in der Augenoptik hätten den Einstig in das Detailgeschäft erst sinnvoll<br />

gemacht, betonte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>, der einen solchen Schritt auf dem deutschen<br />

Markt ausschließt.<br />

Das schwierige Jahr 2001<br />

<strong>Die</strong> Umgestaltung der vergangenen Jahre hat <strong>Rodenstock</strong> allerdings auch „mehr Kraft gekostet<br />

als erwartet“, so <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> auf der Bilanzpressekonferenz 2001. Gebremst<br />

wurde das Unternehmen <strong>seit</strong> 2000 durch die lahmende Konjunktur in Deutschland, die die<br />

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179<br />

Gesichtswahrung<br />

Der Begriff der „Gesichtswahrung“ ist nicht<br />

neu: Hans Sachs dichtete 1568 zum Holzschnitt<br />

„Der Brillenmacher“: „Ich mach gut<br />

Brillen klar und liecht / Auff mancherley Alter<br />

gericht / Von viertzig biss auff achtzig jarn /<br />

Darmit das gsicht ist zu bewarn.“ Mit Gesicht<br />

war damals allerdings noch das Sehen selbst<br />

gemeint, die Brillen bewahrten also die Sehfähigkeit.


Augenoptik sehr deutlich zu spüren bekam. Und auch in den USA war die Dynamik der<br />

vergangenen Jahre erst einmal vorbei.<br />

Gerade die USA entwickelten sich für <strong>Rodenstock</strong> zu einem echten Sorgenkind: <strong>Die</strong> beschriebene<br />

Straffung und der Fabrikneubau in Columbus kostete Millionen und die schwache<br />

Konjunktur brachten in Nordamerika hohe Verluste.<br />

Trotzdem ist der amerikanische Augenoptik-Markt mit einem<br />

Volumen von mehr als 16 Milliarden Dollar – rund<br />

ein Viertel des Weltmarktes – äußerst attraktiv und chancenreich.<br />

„Unsere hochwertigen Brillen und unsere Idee<br />

des ‚Think spectacles‘ stößt bei den amerikanischen Brillenträgern<br />

auf großes Interesse. Wir müssen dieses Interesse<br />

nur noch in konkrete Aufträge umsetzen“, umreißt<br />

<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> die Aufgabe des amerikanischen Managements.<br />

Und eine Besserung ist durchaus in Sicht:<br />

Dank straffer Führung werden die Zahlen schon besser.<br />

Besonders die „Spectacle packages“ – komplette Brillen,<br />

bestehend aus <strong>Rodenstock</strong>-Brillenfassungen und -gläsern<br />

zu einem attraktiven „Paket“-Preis für Großabnehmer wie<br />

die großen Handelsketten Wal-Mart, Sam’s Club oder Target<br />

– scheinen zum Renner auf dem nordamerikanischen<br />

Markt zu werden.<br />

Sorgenkind Nummer Zwei war 2001 die Docter Optics<br />

GmbH, die letzte verbliebene namhafte <strong>Rodenstock</strong>-Beteiligung<br />

außerhalb des Kerngeschäfts. Nachdem das Unternehmen<br />

seine kostspieligen Ausflüge in unternehmensfremde<br />

Bereiche beendet hatte und sich wieder auf seine<br />

Stärken – Lichttechnik für die Automobilindustrie – konzentriert<br />

hatte, setzte das Unternehmen den Sanierungskurs<br />

fort und schloß die Fertigungswerke in Bulgarien,<br />

Österreich und in Schöffengrund bei Wetzlar. Wegen der<br />

nachlassenden Konjunktur in der Autobranche wuchs der<br />

Umsatz des Zulieferers Docter Optics jedoch geringer als<br />

geplant und das Unternehmen macht weiterhin Verluste. Immerhin scheint sich auch in diesem<br />

Falle eine Lösung abzuzeichnen: Der bereits im Jahr 2000 angedachte schrittweise Rückzug<br />

von <strong>Rodenstock</strong> als führendem Gesellschafter wurde zum Jahresende 2002 eingeleitet.<br />

Mit dem Austritt der Robert Bosch GmbH, Stuttgart, und dem Eintritt eines Privatinvestors in<br />

den Gesellschafterkreis hat sich auch der bisher von der <strong>Rodenstock</strong> Technologie-Holding<br />

GmbH, München, gehaltene Anteil auf 46 Prozent (vorher 60 Prozent) reduziert. Unverändert<br />

blieb die 20-Prozent-Beteiligung des Automobilzulieferers Hella an Doctor Optics.<br />

<strong>Die</strong> von <strong>Rodenstock</strong> verkauften Investitionsgüterbereiche wurden vom Einbruch der „New<br />

Economy“ im Jahr 2001 besonders stark getroffen: <strong>Die</strong> israelische ProLaser AG und die<br />

amerikanische VisualPlex Inc. konnten angesichts abstürzender Börsenkurse ihre Expansionspläne<br />

nicht verwirklichen, ihre Geschäftsmodelle scheiterten und die Gesellschaften<br />

mussten Konkurs anmelden. <strong>Die</strong> früheren Weco Optikmaschinen und <strong>Rodenstock</strong> Instrumente<br />

werden mittlerweile von der französischen Briot-Gruppe vertrieben. Das Euronet<br />

wird von dem ehemaligen Management in eigener Regie weitergeführt. <strong>Die</strong> späten Folgen<br />

für <strong>Rodenstock</strong>: <strong>Die</strong> als Teil des Kaufpreises akzeptierten Aktienpakete dieser Gesellschaften<br />

waren praktisch wertlos geworden, mussten deshalb voll abgeschrieben werden und<br />

trugen mit rund 7,5 Millionen Euro einen guten Teil zum Gesamtverlust der <strong>Rodenstock</strong>-<br />

Gruppe von 19 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2001 bei.<br />

3 Bestseller:<br />

R4382<br />

R4435<br />

R861


Großplakat am<br />

Marienplatz in<br />

München: Emotionale<br />

Ansprache des<br />

Endverbrauchers.<br />

Von der KG zur GmbH: Eine neue Ära beginnt<br />

<strong>Die</strong> Krisen der Jahre 2001 und 2002 haben bei <strong>Randolf</strong><br />

<strong>Rodenstock</strong> den lange gehegten Plan befördert, dem Familienunternehmen<br />

eine kapitalmarktfähige Gesellschaftsstruktur<br />

zu geben. Damit wollte <strong>Rodenstock</strong><br />

zunächst Unternehmensführung und Familie (persönlich<br />

haftende Gesellschafter) entkoppeln, denn das ist in einer<br />

Kommanditgesellschaft nicht realisierbar: „Man kann<br />

nicht für das Unternehmen persönlich haften, wenn man<br />

im Unternehmen nicht das Sagen hat“ (<strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>).<br />

<strong>Die</strong> Organisationsform der Kommanditgesellschaft<br />

reicht also für künftige Anforderungen nicht aus.<br />

Und <strong>Rodenstock</strong> hat noch einen zweiten Grund für eine<br />

kapitalmarktfähige Gesellschaftsstruktur: den nahezu<br />

chronischen Eigenkapitalmangel des Familienunternehmens,<br />

nicht zuletzt eine Folge der jahrelangen Restrukturierung<br />

der <strong>1990</strong>er Jahre. Bei der erreichten Größe kann <strong>Rodenstock</strong> auf Marktveränderungen<br />

nur schnell genug reagieren, wenn das Unternehmen auf andere Finanzquellen zugreifen<br />

kann. <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong>: „Wir hätten uns zwar gewünscht, die Umwandlung der Gesellschaft<br />

in einem ruhigeren wirtschaftlichen Fahrwasser durchführen zu können, aber die<br />

Jahre 2001 und 2002 haben uns gezeigt, dass wir mit diesem Schritt nicht mehr länger warten<br />

dürfen – gekommen wäre er ohnehin.“<br />

Damit beginnt für das Familienunternehmen im 125sten Jahr seines Bestehens wieder ein<br />

neues Kapital, das von einer grundlegenden Veränderung des Unternehmens beziehungsweise<br />

des Verhältnisses von Unternehmen und Familie geprägt sein wird. Am 18. Oktober<br />

2002 wurde die auf einstimmigen Beschluss der <strong>Rodenstock</strong>-Gesellschafter bereits im August<br />

gegründete „<strong>Rodenstock</strong> GmbH“ mit Leben erfüllt: der gesamte Unternehmensbereich Brille<br />

wurde auf die GmbH übertragen, einschließlich der Tochtergesellschaften NiGuRa Optik<br />

GmbH, Optovision und der <strong>Rodenstock</strong>-Auslandsgesellschaften – mit allen bestehenden Verträgen,<br />

Rechten, Pflichten sowie sämtlichen Mitarbeitern. <strong>Die</strong> <strong>Rodenstock</strong> GmbH ist also weiterhin<br />

ein Konzern, dessen deutsche Mitarbeiter – knapp 2.000 an der Zahl – nun erstmals<br />

Vertreter in den Aufsichtsrat der neu gegründeten GmbH entsenden konnten. Als Vertreter<br />

der Arbeitnehmer wurden Ernst Wurm, Vorsitzender des <strong>Rodenstock</strong>-Gesamtbetriebsrates,<br />

und Max Schiller, Vorsitzender des Betriebsrates des Werkes Regen, gewählt. <strong>Die</strong> <strong>Rodenstock</strong>-Gesellschafter<br />

konnten als Vertreter für den Aufsichtsrat die folgenden Personen gewinnen:<br />

Dr. Wolfgang Jahrreiss, Vorsitzender des Vorstandes der Gardena Holding AG, Ulm,<br />

Prof. Christian Seidel, München, Gerd Strehle, Vorsitzender des Vorstandes der Strenesse AG,<br />

Nördlingen, Dr. Matthias Zillich, Rechtsanwalt, München.<br />

<strong>Die</strong> „Optische Werke G. <strong>Rodenstock</strong> KG“ existiert weiterhin und hält als Familienholding alle<br />

Geschäftsanteile dieser GmbH und der bereits <strong>seit</strong> einigen Jahren bestehenden <strong>Rodenstock</strong><br />

Technologie Holding GmbH (RTH), in der das verbliebene Investitionsgütergeschäft angesiedelt<br />

ist. Aus der früheren Konzernleitung wurde die Geschäftsführung der <strong>Rodenstock</strong> GmbH<br />

– mit höherer Gesamtverantwortung der einzelnen Mitglieder und mit <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

als Vorsitzendem: „Damit haben wir die Voraussetzungen geschaffen, uns im Management einer<br />

Kapitalgesellschaft zu profilieren und unsere zukunftsweisende Unternehmensstrategie in<br />

einer modernen Gesellschaftsform umzusetzen.“<br />

Das Unternehmen in einem nächsten Schritt in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln ist nach<br />

wie vor eine Option: „Wir wollen mittelfristig ein börsennotiertes Familienunternehmen<br />

sein“, erklärte <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong> bei der Vorlage der Bilanz für das Geschäftsjahr 2001.<br />

Kurzfristig ließ die Börsensituation diesen Schritt allerdings nicht zu.<br />

180<br />

181


<strong>Die</strong> Umwanndlung in die <strong>Rodenstock</strong> GmbH hatte jedoch offenbar das Interesse der Finanzwelt<br />

an <strong>Rodenstock</strong> geweckt und führte gegen Ende des Jahres 2002 zu diversen Anfragen.<br />

<strong>Rodenstock</strong> stand mit einer Reihe von Unternehmen innerhalb und außerhalb der<br />

Augenoptik in Kontakt, die an einer Beteiligung an der <strong>Rodenstock</strong> GmbH interessiert sind.<br />

Zur Beratung und Unterstützung bei den ersten Gesprächen mit potenziellen Finanzinvestoren<br />

hat <strong>Rodenstock</strong> die Frankfurter Beratungsfirma Drueker & Co. beauftragt.<br />

Bei der Aufnahme von Finanzinvestoren geht es darum, die Eigenkapitalbasis nachhaltig zu<br />

stärken und das weitere Wachstum von <strong>Rodenstock</strong> mittel- und langfristig optimal zu finanzieren.<br />

Dabei sieht <strong>Rodenstock</strong> Wachstumschancen im Inland und im Ausland: Im Inland<br />

sind – auch wenn <strong>Rodenstock</strong> dort bereits bei Brillenfassungen und Brillengläsern<br />

Marktführer ist – durchaus nicht alle Bedürfnisse der Brillenträger zufrieden gestellt. Deshalb<br />

gilt ein Hauptaugenmerk der Unternehmensstrategie der weiteren Verbesserung des<br />

Sehkomforts bei Brillengläsern und Tragekomforts bei Brillenfassungen sowie einer stärker<br />

emotionsgeladenen Ansprache der Brillenträger.<br />

„Wir stehen nicht unter Zeitdruck und sind auch in keiner Zwangslage,“ bestätigte <strong>Randolf</strong><br />

<strong>Rodenstock</strong>. Im Gegenteil: Musste der <strong>Rodenstock</strong>-Konzern im Geschäftsjahr 2001 noch einen<br />

hohen Verlust verbuchen, so meldet die <strong>Rodenstock</strong> GmbH für das Geschäftsjahr 2002<br />

nach den ersten vorläufigen Berechnungen wieder ein positives Bilanzergebnis. Der kräftige<br />

Anstieg des Ergebnisses ist auf verbesserte Strukturen, neue Produkte und eine Be<strong>seit</strong>igung<br />

von Verlustquellen zurückzuführen. Damit hatte <strong>Rodenstock</strong> das Ziel, nach dem Verlustjahr<br />

2001 bereits 2002 wieder in die schwarzen Zahlen zurückzukehren, erreicht. Im Kerngeschäft<br />

Brille konnte 2002 trotz weltweit<br />

äußerst schwacher Konjunktur<br />

der Umsatz auf gegenüber dem Vorjahr<br />

vergleichbarer Basis um rund 3<br />

Prozent gesteigert werden (Vorjahr:<br />

368 Mio. Euro) und in Deutschland die<br />

Position als Marktführer sowohl bei<br />

Brillengläsern als auch bei Brillenfassungen<br />

erfolgreich behauptet werden.<br />

Mit der Aufnahme von neuen, nicht<br />

der Familie angehörenden Gesellschaftern<br />

tritt <strong>Rodenstock</strong> 2003 in eine<br />

neue Ära ein. „Das Gute an unserer<br />

langen Familientradition ist, dass<br />

Übergangsprozesse gut eingeübt<br />

sind,“ beschreibt <strong>Randolf</strong> <strong>Rodenstock</strong><br />

den unausweichlichen Wandel. „Zwischen<br />

meinem Vater und mir war es<br />

bereits der dritte. Jetzt steht der <strong>vierte</strong><br />

an: Wir haben gelernt, wie schlecht es<br />

ist, wenn die Familie auseinanderfällt,<br />

und wie alle davon profitieren, wenn<br />

sie zusammenhält“. Als entscheidender<br />

Mitgestalter von 125 Jahren Forschritt<br />

in der Augenoptik und als „der<br />

beste Problemlöser für den Brillenträger“<br />

wird sich <strong>Rodenstock</strong> auch im<br />

nächsten Kapitel der Firmengeschichte<br />

behaupten.

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