Ausgabe 4/2009 - Staufenbiel Karrieremagazin
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Sie sind einerseits ein Kritiker der Bologna-<br />
Kritik. Andererseits fordern Sie aber eine Reform<br />
der Reform. Wie passt das zusammen?<br />
Ich fi nde die Bologna-Kritik geradezu<br />
unmoralisch. Die Hochschulen hatten<br />
zehn Jahre Zeit, den Prozess zu gestalten.<br />
Und jetzt, im letzten Jahr der<br />
Bologna-Reform, verdammen viele<br />
Hochschullehrer die Reform. Ich stehe<br />
positiv zu Bologna, fordere aber eine<br />
Reform der Reform.<br />
Warum?<br />
Wir müssen nach vorne schauen. Es<br />
geht ja auch gar nicht mehr rückwärts:<br />
Bologna ist zum Erfolg verdammt. Es<br />
gibt allerdings gravierende Schwachstellen.<br />
Deshalb ist eine inhaltliche<br />
Entrümpelung nötig. Zielsetzungen,<br />
Kompetenzfelder und Prüfungs- und<br />
Zeitstrukturen vieler Studiengänge<br />
müssen auf den Prüfstand.<br />
Sechs Semester für einen Bachelor-Studiengang<br />
– hat man Ihrer Ansicht das Konzept<br />
zu eng geschnürt?<br />
Keiner hat vorgeschrieben, dass es<br />
sechs Semester sein müssen. Der Bachelor<br />
soll schließlich berufsbefähigend<br />
sein. Wenn das in sechs Semestern<br />
nicht möglich ist, dann eben in<br />
sieben – oder sogar acht. Wobei ich<br />
glaube, dass die besten Hochschulen<br />
es auch in sechs schaffen.<br />
Aber woher soll dann die vielfach geforderte<br />
Praxisreife kommen?<br />
Studenten konnten früher ein Diplom<br />
und zwei mehrmonatige Praktika vorweisen.<br />
Natürlich, das Studium hat ja<br />
auch deutlich länger gedauert. Dass<br />
nach sechs Semestern die Praxisreife<br />
deutlich geringer ist, liegt ja wohl auf<br />
der Hand. Wer etwas anderes erwartet,<br />
zeigt schon ein gewisses Maß an Borniertheit.<br />
staufenbiel.de<br />
Ein anderer Vorwurf der Bologna-Kritiker ist,<br />
dass die Hochschulen nur noch oberfl ächliches<br />
Wissen vermitteln. Das wissenschaftliche<br />
Arbeiten komme aber zu kurz.<br />
Ich fi nde es problematisch, die Wissenschaftlichkeit<br />
wie eine Monstranz auf<br />
der Fronleichnamsprozession vor sich<br />
herzutragen. Ich bezweifl e, dass das<br />
den meisten Studenten so wichtig ist.<br />
Auch bei den Diplom-Absolventen interessierten<br />
sich immer nur etwa fünf<br />
Prozent für den Forschungsbereich.<br />
Den Unternehmen wird nachgesagt, dass<br />
sie nun viel mehr Einfl uss nehmen als früher<br />
und sich Einsteiger nach Maß formen.<br />
Was ist denn schlimm daran, wenn die<br />
Nachfrager von Bildungsabsolventen<br />
Anforderungen defi nieren? Zu lange<br />
haben Unternehmen sich zu wenig eingemischt.<br />
Das sieht man ja auch am<br />
Mangel an MINT-Absolventen und dem<br />
Überfl uss an MINT-Abbrechern. Ich bin<br />
absolut der Meinung, dass Unternehmen<br />
mehr inhaltlich Einfl uss nehmen<br />
und konkret beraten sollten. Sie sollten<br />
sogar Co-Produzenten von Bildung werden.<br />
Übrigens: Firmen-geklonte Bachelor<br />
habe ich noch keine erlebt.<br />
Es wird also zu viel kritisiert. Dann loben Sie<br />
die Bachelor-Absolventen doch einmal.<br />
Das fällt mir leicht. Ich habe in meiner<br />
Berufszeit bei Lufthansa, Continental<br />
und jetzt bei der Telekom exzellente<br />
Mitarbeiter mit einem Bachelor-Abschluss<br />
kennengelernt – sehr kompetent,<br />
hochmotiviert, breit ausgebildet. Tiefschürfendere<br />
Spezialisierung während<br />
des Studiums wäre unnötig gewesen.<br />
Sie sind Vorsitzender des BDA-Arbeitskreises<br />
Hochschule/Wirtschaft. Warum beschäftigen<br />
Sie sich so intensiv mit dem Thema<br />
Nachwuchs?<br />
Bildungspolitik ist für mich eine der<br />
originären Aufgaben für Personalpro-<br />
<strong>Staufenbiel</strong> <strong>Karrieremagazin</strong> 04 <strong>2009</strong><br />
Interview EINSTIEG<br />
fi s. Firmen sind ja auch Nutznießer des<br />
Bildungssystems. Es ist eine staatsbürgerliche<br />
Aufgabe, sich mit der Weiterentwicklung<br />
und der Erfolgskontrolle<br />
von Hochschulbildung zu beschäftigen.<br />
Außerdem bin ich selbst vor vielen<br />
Jahren in den Genuss guter Bildung<br />
gekommen, und da möchte ich gerne<br />
etwas zurückgeben.<br />
Sie wollten einmal Lehrer werden, haben<br />
dann aber Ihr Studium abgebrochen. Was<br />
würden Sie heute machen, wenn Sie noch<br />
einmal jung wären?<br />
Ja, ich habe lieber Flugblätter verteilt<br />
und mich politisch engagiert als mein<br />
Studium zu verfolgen. Dann habe ich<br />
an der späteren Berufsakademie Baden-<br />
Württemberg sechs Semester zum Diplombetriebswirt<br />
(BA) studiert. Wenn<br />
ich heute noch einmal die Wahl hätte,<br />
würde ich wahrscheinlich Wirtschaftsingenieurwesen<br />
studieren. Dann könnte<br />
ich technologisches Know-how besser<br />
mit meinen Berufsthemen verbinden.<br />
Der Hochschulforscher Tino Bargel hat der<br />
heutigen Generation von Absolventen Rat-<br />
und Mutlosigkeit bescheinigt. Können Sie<br />
diese Erfahrungen bestätigen?<br />
Haben Sie schon einmal eine Generation<br />
von Älteren erlebt, die nicht über<br />
die Jüngeren meckert? Mal sind sie zu<br />
politisch, mal zu angepasst oder zu lebenssüchtig.<br />
Ich bin bald 40 Jahre im<br />
Beruf und war in der Summe immer mit<br />
der Qualität der Bewerber zufrieden.<br />
Wir haben unsere Leser vor diesem Interview<br />
gebeten, sich Fragen an Sie zu überlegen.<br />
Hier ist die erste Leserfrage: Inwieweit<br />
nutzen Sie soziale Netzwerke (wie Facebook,<br />
StudiVZ oder Twitter) bei der Bewerberauswahl?<br />
Wir erhalten 80 000 Bewerbungen im<br />
Jahr. Bei dieser Masse sind die sozialen<br />
Netzwerke kein geeignetes >>><br />
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