04 <strong>2009</strong> <strong>Staufenbiel</strong> <strong>Karrieremagazin</strong> EINSTIEG Interview „ZU WENIG EINGEMISCHT“ Thomas Sattelberger, Personalchef der Deutschen Telekom, im Interview mit dem „<strong>Karrieremagazin</strong>“. Der 60-Jährige spricht über Bologna-Kritik, Job-Chancen von Absolventen und Krisenbewältigung bei dem Telekommunikationskonzern. 18 staufenbiel.de © DEUTSCHE TELEKOM
Sie sind einerseits ein Kritiker der Bologna- Kritik. Andererseits fordern Sie aber eine Reform der Reform. Wie passt das zusammen? Ich fi nde die Bologna-Kritik geradezu unmoralisch. Die Hochschulen hatten zehn Jahre Zeit, den Prozess zu gestalten. Und jetzt, im letzten Jahr der Bologna-Reform, verdammen viele Hochschullehrer die Reform. Ich stehe positiv zu Bologna, fordere aber eine Reform der Reform. Warum? Wir müssen nach vorne schauen. Es geht ja auch gar nicht mehr rückwärts: Bologna ist zum Erfolg verdammt. Es gibt allerdings gravierende Schwachstellen. Deshalb ist eine inhaltliche Entrümpelung nötig. Zielsetzungen, Kompetenzfelder und Prüfungs- und Zeitstrukturen vieler Studiengänge müssen auf den Prüfstand. Sechs Semester für einen Bachelor-Studiengang – hat man Ihrer Ansicht das Konzept zu eng geschnürt? Keiner hat vorgeschrieben, dass es sechs Semester sein müssen. Der Bachelor soll schließlich berufsbefähigend sein. Wenn das in sechs Semestern nicht möglich ist, dann eben in sieben – oder sogar acht. Wobei ich glaube, dass die besten Hochschulen es auch in sechs schaffen. Aber woher soll dann die vielfach geforderte Praxisreife kommen? Studenten konnten früher ein Diplom und zwei mehrmonatige Praktika vorweisen. Natürlich, das Studium hat ja auch deutlich länger gedauert. Dass nach sechs Semestern die Praxisreife deutlich geringer ist, liegt ja wohl auf der Hand. Wer etwas anderes erwartet, zeigt schon ein gewisses Maß an Borniertheit. staufenbiel.de Ein anderer Vorwurf der Bologna-Kritiker ist, dass die Hochschulen nur noch oberfl ächliches Wissen vermitteln. Das wissenschaftliche Arbeiten komme aber zu kurz. Ich fi nde es problematisch, die Wissenschaftlichkeit wie eine Monstranz auf der Fronleichnamsprozession vor sich herzutragen. Ich bezweifl e, dass das den meisten Studenten so wichtig ist. Auch bei den Diplom-Absolventen interessierten sich immer nur etwa fünf Prozent für den Forschungsbereich. Den Unternehmen wird nachgesagt, dass sie nun viel mehr Einfl uss nehmen als früher und sich Einsteiger nach Maß formen. Was ist denn schlimm daran, wenn die Nachfrager von Bildungsabsolventen Anforderungen defi nieren? Zu lange haben Unternehmen sich zu wenig eingemischt. Das sieht man ja auch am Mangel an MINT-Absolventen und dem Überfl uss an MINT-Abbrechern. Ich bin absolut der Meinung, dass Unternehmen mehr inhaltlich Einfl uss nehmen und konkret beraten sollten. Sie sollten sogar Co-Produzenten von Bildung werden. Übrigens: Firmen-geklonte Bachelor habe ich noch keine erlebt. Es wird also zu viel kritisiert. Dann loben Sie die Bachelor-Absolventen doch einmal. Das fällt mir leicht. Ich habe in meiner Berufszeit bei Lufthansa, Continental und jetzt bei der Telekom exzellente Mitarbeiter mit einem Bachelor-Abschluss kennengelernt – sehr kompetent, hochmotiviert, breit ausgebildet. Tiefschürfendere Spezialisierung während des Studiums wäre unnötig gewesen. Sie sind Vorsitzender des BDA-Arbeitskreises Hochschule/Wirtschaft. Warum beschäftigen Sie sich so intensiv mit dem Thema Nachwuchs? Bildungspolitik ist für mich eine der originären Aufgaben für Personalpro- <strong>Staufenbiel</strong> <strong>Karrieremagazin</strong> 04 <strong>2009</strong> Interview EINSTIEG fi s. Firmen sind ja auch Nutznießer des Bildungssystems. Es ist eine staatsbürgerliche Aufgabe, sich mit der Weiterentwicklung und der Erfolgskontrolle von Hochschulbildung zu beschäftigen. Außerdem bin ich selbst vor vielen Jahren in den Genuss guter Bildung gekommen, und da möchte ich gerne etwas zurückgeben. Sie wollten einmal Lehrer werden, haben dann aber Ihr Studium abgebrochen. Was würden Sie heute machen, wenn Sie noch einmal jung wären? Ja, ich habe lieber Flugblätter verteilt und mich politisch engagiert als mein Studium zu verfolgen. Dann habe ich an der späteren Berufsakademie Baden- Württemberg sechs Semester zum Diplombetriebswirt (BA) studiert. Wenn ich heute noch einmal die Wahl hätte, würde ich wahrscheinlich Wirtschaftsingenieurwesen studieren. Dann könnte ich technologisches Know-how besser mit meinen Berufsthemen verbinden. Der Hochschulforscher Tino Bargel hat der heutigen Generation von Absolventen Rat- und Mutlosigkeit bescheinigt. Können Sie diese Erfahrungen bestätigen? Haben Sie schon einmal eine Generation von Älteren erlebt, die nicht über die Jüngeren meckert? Mal sind sie zu politisch, mal zu angepasst oder zu lebenssüchtig. Ich bin bald 40 Jahre im Beruf und war in der Summe immer mit der Qualität der Bewerber zufrieden. Wir haben unsere Leser vor diesem Interview gebeten, sich Fragen an Sie zu überlegen. Hier ist die erste Leserfrage: Inwieweit nutzen Sie soziale Netzwerke (wie Facebook, StudiVZ oder Twitter) bei der Bewerberauswahl? Wir erhalten 80 000 Bewerbungen im Jahr. Bei dieser Masse sind die sozialen Netzwerke kein geeignetes >>> 19