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IFF-Info Nr. 24, 2002 - IFFOnzeit

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<strong>Info</strong>Zeitschrift des InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrum19. Jg. <strong>Nr</strong>. <strong>24</strong> / <strong>2002</strong>AufsätzeGleichstellungspolitik und Gender StudiesPolizei und GenderGleichstellungsbeauftragte in PlanungsprozessenCodierung von GeschlechtAktuelle DebatteGewalterfahrung von Frauen - und Männern?!(Frauen-)Politischer BrennpunktMittelkürzungen gefährdenFrauenprojekte und -einrichtungenBerichte aus dem <strong>IFF</strong>u.a.:Erfolgreicher Start von VINGSIstanbul als Kunstort


Impressum:<strong>IFF</strong> <strong>Info</strong>, Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum19. Jg., <strong>Nr</strong>. <strong>24</strong>, <strong>2002</strong>INTERDISZIPLINÄRES FRAUENFORSCHUNGS-ZENTRUMUNIVERSITÄT BIELEFELDPOSTFACH 10 01 31, 33501 BIELEFELDFON: 0521-1064574, FAX: 0521-1062985EMAIL: iff@uni-bielefeld.deRedaktion: Dr. Anina Mischau, Email: anina.mischau@uni-bielefeld.deLayout: Sonja NeußDruck: Zentrale Vervielfältigung der Universität BielefeldAuflage: 500Erscheinungsweise: 2x jährlich im April und Oktober


___________________________________________________________________________EDITORIAL___________________________________________________________________________In diesem Jahr feiert das Interdisziplinäre Frauenforschungs-Zentrum der Universität Bielefeld(<strong>IFF</strong>) ein doppeltes Jubiläum. 1982 ist der Universitätsschwerpunkt „InterdisziplinäreForschungsgruppe Frauenforschung“ eingerichtet worden; seit 1992 gibt es das <strong>IFF</strong> in seinerjetzigen Form als „Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum“. Das <strong>IFF</strong> hat sich in denvergangenen 20 Jahren als nationales und internationales Forum der Frauen- und Geschlechterforschungetabliert. Seit seiner Gründung hat es als eines der ersten Forschungszentren anUniversitäten in Deutschland zur Entwicklung, Ausgestaltung und Etablierung feministischerWissenschaft und Forschung beigetragen und ist bis heute Vorreiterin und Modell für die Einrichtungzahlreicher anderer Zentren zur Frauen- und Geschlechterforschung. Unser 20 jährigesBestehen wollen wir im Februar 2003 mit einer Tagung begehen. <strong>Info</strong>rmationen hierzufinden Sie ab November auf unserer Homepage (http://www.uni-bielefeld.de/<strong>IFF</strong>/).Auch das <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> wird bereits seit 19 Jahren in bislang unregelmäßigen Abständen herausgegeben.An dieser Stelle sei all den Frauen, die dies als Autorinnen oder als Redaktionsmitgliederall die Jahre ermöglicht haben, herzlich gedankt. Dennoch finden wir: Es ist an derZeit, das <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> zu verändern. Ein anderes Layout gibt dem <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> bereits äußerlich einneues Gesicht. Aber auch inhaltlich wollen wir, beginnend mit dieser Ausgabe, das <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong>neu gestalten. Stärker als bisher möchten wir die Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrumder Universität Bielefeld zu einem Forum des wissenschaftlichen Diskursesder Frauen- und Geschlechterforschung und zu einem Medium des inner- wie außeruniversitären<strong>Info</strong>rmationsaustausches machen. Neben der Veröffentlichung von wissenschaftlichenAufsätzen und Forschungsberichten wollen wir versuchen, durch die Einführung der Rubriken„Aktuelle Debatte“ und „(Frauen-)Politischer Schwerpunkt“, auch für kontroverse Themender Frauen- und Geschlechterforschung oder frauenpolitisch wichtige Diskussionen eine Öffentlichkeitzu schaffen und zum Nachdenken und Weiterdiskutieren anzuregen.Die Redaktion möchte alle Leserinnen und Leser dazu ermutigen, durch interessante Aufsätze,Forschungsberichte, Diskussionsbeiträge, Mitteilungen, Veranstaltungshinweise, LeserInnenbriefe,Rezensionen oder Tagungsberichte daran mitzuwirken, das <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> zu einer lebendigen,interdisziplinären, anregenden und informativen Zeitschrift der Frauen- und Geschlechterforschungund zu einem Forum frauen- und geschlechterpolitischer Diskussionenwerden zu lassen. Das <strong>IFF</strong> <strong>Info</strong> wird jeweils im April und Oktober eines Jahres erscheinen,Beiträge können jederzeit bei der Redaktion eingereicht werden. Leserinnen und Leser, diegerne in unseren Verteiler aufgenommen werden möchte, bitten wir Anschrift und Email andie Redaktion zu schicken.Für diese Ausgabe wünschen wir eine anregende Lektüre!Anina Mischau, Redaktion


__________________________________________________________________________________________<strong>IFF</strong>-<strong>Info</strong>Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)19. Jahrgang / <strong>Nr</strong>. <strong>24</strong> / <strong>2002</strong>__________________________________________________________________________________________EDITORIALAUFSÄTZEMonika Noller: Gleichstellungspolitik und Gender Studies – Studienangebot fürGleichstellungsbeauftragte in Verwaltung und Wirtschaft (Machbarkeitsstudie) 7Ursula Müller, Waltraud Müller-Franke, Patricia Pfeil, Sylvia Wilz: Polizei undGender <strong>24</strong>Anina Mischau, Caroline Kramer: Formell integriert – faktisch marginalisiert?Die Rolle von Gleichstellungsbeauftragten in Planungsprozessen in Rheinland-Pfalz 43Ingrid Biermann: Probleme der Codierung von Geschlecht in der modernenGesellschaft – Forderungen und Diskurse der Frauenbewegung 62AKTUELLE DEBATTEGewalterfahrungen von Frauen – und Männern!? Ein neues Thema in derbundesdeutschen Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung 72(FRAUEN-)POLITISCHER BRENNPUNKTGeplante Kürzungen der Landesregierung NRW gefährden Hilfeeinrichtungen fürFrauen und Mädchen 84Mädchenhaus Bielefeld e.V.: Die Zufluchtstätten in NRW müssen erhalten bleiben! 85Britta Maier: Selbstbehauptung für Mädchen darf nicht zum Luxusartikel werden. Ausfür Selbstbehauptung und Konflikttraining für Mädchen und Jungen an Schulen? 89Frauennotruf Bielefeld e.V.: Solidarität mit den Opfern sexueller Gewalt –Geplante Kürzungen verhindern! 92BERICHTE AUS DEM <strong>IFF</strong>Silja Polzin: Virtual International Gender Studies:Erfolgreicher Start des Studienprogramms 95Kirsten Pinkvoss: VINGS – Qualifizierungsangebot Gleichstellung:Weiterbildungstudium für Gleichstellungsarbeit und Führungskräfte 104Istanbul als KunstortSusanne Albrecht, Irene Below: Kunst Macht GeschlechtTomur Atagök: Istanbul as an Art SpaceGülsün Karamustafa: „Somewhere in between“ – a personal view 108


NEUE FORSCHUNGSPROJEKTE AM <strong>IFF</strong>Monika Schröttle: Erste nationale Repräsentativuntersuchung zu Gewalt gegen Frauenin Deutschland 117Rita Dittrich, Birgitta Wrede: Frauen- und Geschlechterforschung an der Fakultät fürSoziologie in St. Petersburg 119BERICHTE AUS DER UNIVERSITÄT BIELEFELDSusann Fegter: Frauen-Computerraum 122Mechtild Oechsle: Die Zeitfalle –.(k)ein deutsches Problem? 126BERICHTE AUS BIELEFELD, DER REGION UND NRWJennifer Reker: Girls´Day – Für die Mädchen ein Zukunftstag 134Walburga Freitag, Monika Weber, Gabriele Klärs und Carola Lehmann: DieKoordinationsstelle Frauen und Gesundheit NRW. Modellprojekt des MFJFG, NRW 136TAGUNGSBERICHTECaroline Kramer, Anina Mischau:Wissenschaft und Praxis im Dialog –Begegnungen zum Thema „FREI-Räume und FREI-Zeiten“ 140Eszter Belinszki: Managing Diversity – Umgang mit personeller Vielfalt inUnternehmen und in Non-Profit-Organisationen 147REZENSIONENChrista Oppenheimer: Weiber zwischen 70 und 100. Sechs Frauen Portraits – Dialogegegen den Fetisch Jugend, Butzbach-Griedel <strong>2002</strong>. (Alexandra Münster) 150Barbara Keller und Anina Mischau (Hgg.): Frauen machen Karriere in Wissenschaft,Wirtschaft und Politik. Chancen nutzen – Barrieren überwinden, Baden-Baden <strong>2002</strong>.(Caroline Kramer) 152NEUERSCHEINUNGEN 155INFORMATIONEN 157<strong>IFF</strong>-FORSCHUNGSREIHE 162


___________________________________________________________________________Monika NollerGleichstellungspolitik und Gender Studies – Studienangebot für Gleichstellungsbeauftragtein Verwaltung und Wirtschaft (Machbarkeitsstudie)___________________________________________________________________________„Und jeder Mann kennt sich mit Frauen natürlich bestens aus. Entweder hat er eine zu Hause,und wer das nicht hat, hat doch immerhin eine Mutter gehabt und am besten sind die, diedann eine Mutter, eine Frau und noch eine Tochter haben, weil die sind absolute Experten.Wir haben damals in unserem Büro diesen Spruch kreiert: ‘Wozu Abfallwirtschaft studieren,hat nicht jeder einen Mülleimer zu Hause?’, weil nach diesem Motto wurde da verfahren.“(GSB_2, 5/16-20)EinleitungSeit Beginn der Einrichtung von Gleichstellungsstellenin den 1980er Jahren wirddie Frage notwendiger Qualifikationen undAusbildungsvoraussetzungen für die vielfältigenQuerschnittsaufgaben von Gleichstellungsbeauftragtenimmer wieder diskutiert.Aber kann ein einheitlicher Standardangesichts der Heterogenität der Gleichstellungsarbeitüberhaupt formuliert werden?Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunalerFrauenbüros (BAG) hat zu dieser Diskussion1995 Stellung bezogen. In ihrem„Positionspapier zum Berufsbild Frauenbeauftragte“listet die BAG das (idealtypische)Profil einer Frauenbeauftragten insechs Feldern auf: Ausbildung/ Grundqualifikation,Berufserfahrungen, frauenpolitischeKompetenz, Schlüsselqualifikationen,Methodenkompetenz/Management undpersönliche Kompetenz (vgl. BAG 2000).Auch im 1999 verabschiedeten LandesgleichstellungsgesetzNRW wird in denVerwaltungsvorschriften zur Ausführungdes Landesgleichstellungsgesetzes zu § 15Absatz 3 auf die erforderlichen Qualifikationenvon Gleichstellungsbeauftragteneingegangen. Die Tätigkeit erfordert demnachweitreichende Kenntnisse der einschlägigenrechtlichen Regelungen zu Personal-und Organisationsfragen, das Interessean allgemeinen frauenspezifischenThemen, die Fähigkeit zur Problemanalyseund konzeptionellem Arbeiten, zur Entwicklungkonstruktiver Maßnahmen unddie Fähigkeit, effiziente Vernetzungen aufzubauen(MFJFG 2001, S. 37).In den Anfangsjahren wurden die (insbesonderekommunalen) Gleichstellungsbeauftragtenimmer wieder mit der Skepsiskonfrontiert, dass es sich bei den Stellentrotz großer Aktivitäten der Stelleninhaberinnenum reine Alibistellen handele. Dieshatte unter anderem damit zu tun, dass dieMehrheit der Gleichstellungsbeauftragtenin ihrem Handeln auf symbolische Politikbeschränkt war und dass es ihnen als frauenpolitischeExpertinnen nur bedingt gelungenwar, Diskurse und Entwicklungenim politisch-administrativen System mitzugestalten.Ein Grund hierfür ist die Erkenntnisaus der Verwendungsforschung7


Aufsätzeüber sozialwissenschaftliches Wissen impolitisch-administrativen System, dassinsbesondere „fremdes“ Wissen in denVerwaltungen der Gefahr der Trivialisierungunterliegt (vgl. Gröning 1992 und1994), was auch in dem eingangs angeführtenZitat deutlich wird.Durch die Verabschiedung des Landesgleichstellungsgesetzes(LGG) im November1999 hat das Land Nordrhein-Westfalen die Stellung der Gleichstellungsbeauftragtenformal enorm gestärkt.Ihre Partizipationsmöglichkeiten, zum Beispielbei Personalentscheidungen, sinddeutlich verbessert worden. Jedoch darfnicht übersehen werden, dass die erfolgreicheHandhabung des „Instruments LGG“einer Positionsrolle bedarf, die nur einebestimmte, zahlenmäßig begrenzte Gruppeder Gleichstellungsbeauftragten mitbringt,nämlich diejenigen Gleichstellungsbeauftragten,die über eine in der Verwaltunganerkannte Expertinnenausbildung zurHandhabung von Gesetzen verfügen. Diessind bevorzugt Juristinnen, Diplom-Verwaltungswirtinnenund Sozialwissenschaftlerinnenoder Gleichstellungsbeauftragte,die politisches Kapital konvertieren können.Dagegen unterliegen Gleichstellungsbeauftragteohne Studium und nebenamtlicheGleichstellungsbeauftragte dem Dilemma,mit dem LGG zwar über ein wirkungsmächtigesfrauenpolitisches Instrumentzu verfügen, aber als Stelleninhaberinnicht über das nötige Maß an formaler Anerkennung,welches in Verwaltungen vorallem durch fachliche Qualifikation nachgewiesenwird.Ausgehend von diesen Überlegungen entstandin Diskussionen der Projektleiterinmit Sprecherinnen der Landesarbeitsgemeinschaftkommunaler Frauenbüros/Gleichstellungsstellen (LAG) NRW dieIdee, dieses Problem durch eine Zusatzqualifikationzu lösen, die speziell auf dieTätigkeit und Bedürfnisse von Gleichstellungsbeauftragtenzugeschnitten wäre. Dasumfassende Weiterbildungsangebot, angesiedeltbei den FrauenStudien der UniversitätBielefeld, sollte die Diskurs- und Handlungskompetenzender Absolventinnen fürdie Gleichstellungspolitik durch die Koppelungtheoretischen Wissens mit der Aneignungvon Schlüsselqualifikationen erweitern.Das durch eine Universität verlieheneDiplom als Abschluss eines mehrsemestrigenweiterbildenden Studiums„Gleichstellungspolitik und Gender Studies“sollte ihnen in den Verwaltungeneinen höheren Status verleihen als eineKurzzeitfortbildung bei einem nichtuniversitärenWeiterbildungsträger und ihnendarüber hinaus zusätzliche Berufsperspektiveneröffnen. Nicht zuletzt würde dasweiterbildende Studium auch jene Veränderungenim Tätigkeits- und Berufsprofilder Gleichstellungsbeauftragten aufnehmen,die über das LGG hinausgehen unddie Veränderungen in den Verwaltungsstrukturenund -kulturen (Neues Steuerungsmodell)sowie den sozialen, demografischenund strukturellen Wandel in derBevölkerung berücksichtigen.Die Form des Fernstudiums – in Kombinationmit Präsenzphasen – käme dem geringenZeitbudget und der teilweisen Mehrfachbelastungdurch Berufs- und Familienarbeitder Gleichstellungsbeauftragten entgegen.Mit der Wahl eines modularen Studienangebotswäre der Heterogenität derZielgruppe bezüglich ihrer unterschiedlichenVorbildung und der unterschiedlichlangen Dauer der Tätigkeit als GleichstellungsbeauftragteRechnung getragen.Durch die Ansiedlung des weiterbildendenStudiums an einer Einrichtung wie den8


Gleichstellungspolitik und GenderstudiesFrauenStudien der Universität Bielefeld,die über einen hohen Standard an sozialwissenschaftlichemund frauenpolitischemWissen und der räumlichen Nähe zum InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrumverfügt, könnten die Teilnehmerinnen zusätzlichprofitieren. Nicht zuletzt wäre dadurchdie Möglichkeit eines fruchtbarenAustausches zwischen Wissenschaft undfrauenpolitischer Praxis gegeben, der weiterePerspektiven eröffnet – sowohl für dieGleichstellungspraxis wie für die wissenschaftlicheFrauen- und Gender-Forschung.Der Konzeption des weiterbildenden Studiums„Gleichstellungspolitik und GenderStudies“ wurde eine Machbarkeitsstudie 1vorgeschaltet, die zunächst die bestehendenFortbildungserfahrungen und den formuliertenBedarf seitens der Gleichstellungsbeauftragtenselbst untersuchen sollte.Dabei galt es, bereits erfahrene und antizipierteVeränderungen der Gleichstellungsarbeitdurch Einführung des Landesgleichstellungsgesetzeszu berücksichtigtigen.Dass ein hohes Interesse an einer umfassendenWeiterqualifizierung in der vorgestelltenForm besteht, machten die Anfragendanach, „wann es denn endlich losgehe“,gleich zu Beginn der Untersuchungdeutlich. Auch die Ergebnisse der Untersuchungbestätigen den Fortbildungsbedarf,1 Die Machbarkeitsstudie wurde 2001 am <strong>IFF</strong>durchgeführt. Das Projektteam bestand aus: Prof.Dr. Katharina Gröning (Leitung), Diplom-Soziologin Monika Noller (wissenschaftliche Mitarbeiterin),Britta Ehrhardt und Anne Schaper (studentischeHilfskräfte). Das Projekt wurde durch dasMinisterium für Schule, Wissenschaft und Forschungdes Landes NRW aus Mitteln des Hochschul-und Wissenschaftsprogramms (HWP), FachprogrammChancengleichheit gefördert.Der vollständige Bericht ist in der Forschungsreihedes <strong>IFF</strong> (Band 13) erschienen.insbesondere hinsichtlich der Verlagerungder Gleichstellungsarbeit in Richtung Personalmanagement.Methodisches Vorgehen und RücklaufstatistikIm Rahmen der Machbarkeitsstudie wurdenzunächst sieben Einzelinterviews mitkommunalen Gleichstellungsbeauftragtenanhand eines offenen Leitfadens durchgeführt.Die Fragen umfassten die Bereiche:beruflicher Werdegang; Berufsrolle (Arbeitsbedingungenund Veränderungen,Position zum LGG etc.); Fortbildung (Stellenwertvon Fortbildungen für die eigeneProfessionalisierung, Anforderungsprofileiner Gleichstellungsbeauftragten, Weiterbildungs-und Qualifikationsbedürfnisse,Erwartungen an ein Fernstudium fürGleichstellungsbeauftragte etc.); Perspektiven(zukünftige Aufgaben und Herausforderungenfür Gleichstellungsbeauftragteund eigene berufliche Perspektive). DieInterviews dauerten zwischen ein- undzweieinhalb Stunden, wurden aufgezeichnetund anschließend vollständig transkribiert.Der Fragebogen beinhaltete die ThemenkomplexeWerdegang (Fragen 1-5); Fortbildungserfahrungenund -bedarf (Fragen6-21); Landesgleichstellungsgesetz NRW(Fragen 22-31); Angaben zur Gleichstellungsstelleund Verwaltung (Fragen 32-41). Im Rahmen der schriftlichen Erhebungunter den Gleichstellungsbeauftragtenim öffentlichen Dienst in Nordrhein-Westfalen wurden 630 Fragebögen verschickt2 . Der Rücklauf war mit 50% er-2 Eine Vollerhebung liegt nicht vor. Die Gleichstellungsbeauftragtender nachgeordneten Behördenwurden nicht vollständig in die Befragung einbezogen.Die Gleichstellungsbeauftragten der kommunalenEigenbetriebe und Krankenhäuser des Landeskonnten nicht berücksichtigt werden.9


Aufsätzefreulich hoch und verdeutlicht das großeInteresse der Gleichstellungsbeauftragtenam Thema.Der Anteil der Fragebögen von Gleichstellungsbeauftragtenbei Kommunen undKreisen, inkl. Landschafts- und Kommunalverbänden,beim Rücklauf betrug62,5% (Anteil an verschickten Bögen:59,2%), von Gleichstellungsbeauftragtenbei (nachgeordneten) Landesbehörden28,9% (Anteil an verschickten Bögen:33,3%) und bei Hochschulen 5,7% (Anteilan verschickten Bögen: 7,5%). 3Ergebnisse der schriftlichen BefragungHintergrunddaten: Profil der Gleichstellungsbeauftragtenund der GleichstellungsstellenDie meisten Gleichstellungsstellen – sei esin Form eines Büros, sei es in Form einerAnsprechperson – wurden bereits vor Einführungdes LandesgleichstellungsgesetzesNRW eingerichtet. Die Detailanalyse zeigtinsbesondere bei Kommunen/Kreisen einedeutliche Steigerung bei den neu eingerichtetenStellen nach Änderung bzw. Einführungder Gemeindeordnung (GO) NRW imJahre 1994, nämlich 37,6% im Zeitraumvon 1994 bis 1996 4 . Bei Land, Bezirksregierungenund nachgeordneten Behördenwurden die meisten Stellen (39,6%) zwischen1994 und 1995 eingerichtet. DieEinführung des LandesgleichstellungsgesetzesNRW schlägt sich demgegenüberbeim vorliegenden Befragungssample nichtin gleichem Umfang nieder: lediglich 3,8%der Stellen (aller Verwaltungstypen) wur-3 Hier und im Folgenden: fehlende Prozent zu 100bedeutet „keine Angaben“.4 Eine ähnlich hohe Anhäufung (<strong>24</strong>,9%) gab es beiden Kommunen im Zeitraum 1985 bis 1987, derersten „Welle“ der Einrichtung von Gleichstellungsstellen.den in den Jahren 2000 und 2001 eingerichtet.43,8% der Gleichstellungsbeauftragten desAuswertungssamples sind ausschließlichfür Gleichstellungsarbeit tätig; 54,3% sindneben der Gleichstellungsarbeit auch mitanderen Aufgaben betraut. Die kommunalenGleichstellungsbeauftragten sind mehrheitlichhauptamtlich und ausschließlichfür Gleichstellungsarbeit zuständig(56,6%), die Gleichstellungsbeauftragtender (nachgeordneten) Landesbehörden(78,2%) und der Hochschulen (64,7%)nehmen die Funktion mehrheitlich nebeneiner sonstigen Tätigkeit wahr. Die Mehrzahlder Gleichstellungsstellen sind nur miteiner Person besetzt, der Leiterin der Stellebzw. der Ansprechpartnerin für Gleichstellungsfragen.15,2% haben eine weitereMitarbeiterin in Vollzeit, 23,5% in Teilzeit.Professionalisierungswege der GleichstellungsbeauftragtenÜber die Hälfte der befragten Gleichstellungsbeauftragten(55,5%) verfügt übereinen Hochschulabschluss von Universitätoder Fachhochschule – und damit übereine der von der BAG genannten Grundqualifikationen.Von dieser Gruppe sind4,1% promoviert, 6,7% haben ein juristischesStaatsexamen und 23,5% habeneinen sozial- bzw. geisteswissenschaflichenSchwerpunkt studiert.21% der Gleichstellungsbeauftragten habenein verwaltungsspezifisches Diplomerworben, 10,8% verfügen über eine sonstigeVerwaltungsausbildung, 5,7% habeneine Ausbildung/Lehre, und je 2,9% sindBeamtinnen bzw. haben einen anderenschulischen Abschluss10


Gleichstellungspolitik und GenderstudiesIn Frage 6 des Fragebogens wurden dieGleichstellungsbeauftragten aufgefordert,die Verwertbarkeit ihrer beruflichen Ausbildunghinsichtlich der Wahrnehmung derQuerschnittsaufgaben einer Gleichstellungsbeauftragten,aber auch hinsichtlichder Akzeptanz in der Verwaltung nachbestimmten Kriterien einzuschätzen. Wiedie nachfolgende Tabelle zeigt, bezeichnetdie Mehrheit der Gleichstellungsbeauftragtendie Verwertbarkeit ihrer beruflichenAusbildung für die Gleichstellungsarbeitals „sehr gut/gut“.Verwertbarkeit der beruflichen Vor- undAusbildung für die Gleichstellungsarbeit1 2konzeptionelles Arbeiten 78,1 20,3Durchsetzungsfähigkeit 74,0 25,1Wahrnehmung von QuerschnittsaufgabenVerständnis von Frauen-/GleichstellungspolitikProjektentwicklung und –bearbeitungAkzeptanz in der VerwaltungshierarchieVerständnis und Analyse vonVerwaltung(shandeln)Reflexion und Weiterentwicklungder GleichstellungsarbeitKooperation mit Frauengruppenund -verbänden71,1 27,968,3 30,567,0 31,761,0 38,159,7 38,456,8 42,256,8 41,91 = sehr gut/gut, 2 = weniger gut/schlecht; n =315, Angaben in%, Differenz zu 100% = keineAngabeLegt man den einzelnen Aspekten den beruflichenAbschluss der Gleichstellungsbeauftragten(Frage 5 5 ) zugrunde, ergibt sichFolgendes:Wertung „sehr gut/gut“• Die Beamtinnen und Verwaltungswirtinnenunter den Gleichstellungsbeauftragtenschätzen die Verwertbarkeit ihrerAusbildung bzgl. des Verständnissesund der Analyse von Verwaltung(shandeln)am höchsten ein(86,7%; gefolgt von den Gleichstellungsbeauftragtenmit Promotion(84,6%) und einer sonstigen Verwaltungsausbildung(71,9%).• Die Gleichstellungsbeauftragten mitPromotion sehen die Verwertbarkeitvor allem bezüglich der Wahrnehmungvon Querschnittsaufgaben (92,3%; Beamtin/Verwaltungswirtin:81,3%; sozial-/geisteswissenschaftlicher Hochschulabschluss:79,5%) sowie der Projektentwicklungund Projektbearbeitung(92,3%; sonstiger Hochschulabschluss89,6%, sozial- bzw. geisteswissenschaftlicherHochschulabschluss:86,3 %).• Die Gleichstellungsbeauftragten mitjuristischem Staatsexamen sehen dieVerwertbarkeit ihrer Ausbildung amstärksten im Bereich der Durchsetzungsfähigkeit(90,5%; mit sozial-/geisteswissenschaftlichem Hochschulabschluss:82,2%; mit Promotion:76,9%) und der Akzeptanz in der Verwaltungshierarchie(81%; mit Promotion:76,9%, Beamtin/ Verwaltungswirtin:74,7%) gegeben.5 Es wurden die folgenden acht Kategorien gebildet:Beamtin/Verwaltungswirtin, sonstige Verwaltungsausbildung,Promotion, Staatsexamen Jura, sozial-/geisteswissenschaftlicher Hochschulabschluss,sonstiger Hochschulabschluss, sonstige Ausbildung/Lehre/sonstigerschulischer Abschluss.11


Aufsätze• Die Gleichstellungsbeauftragten miteinem sozial- oder geisteswissenschaftlichemHochschulabschluss schätzendie Verwertbarkeit ihres Studiums ampositivsten bezüglich der konzeptionellenArbeit ein (93,2%; sonstiger Hochschulabschluss:92,5%; mit Promotion:91,7%), des Verständnisses von Frauen-/Gleichstellungspolitik(86,3%; mitPromotion: 84,6%; mit Ausbildung/Lehre/schulischem Abschluss: 81,5%,mit sonstigem Hochschulabschluss80,6%), der Reflexion und Weiterentwicklungder Gleichstellungsarbeit(83,6%; sonstiger Hochschulabschluss:73,1%; Promotion: 69,2%) sowie derKooperation mit Frauengruppen und -verbänden (82,2%; mit Promotion69,2%; Ausbildung usw.: 66,7%).Wertung „weniger gut/schlecht“• Als „weniger gut/schlecht“ 6 verwertbarempfinden die Gleichstellungsbeauftragtenmit einer sonstigen Verwaltungsausbildungihre Vorkenntnisseinsbesondere im Hinblick auf das Verständnisvon Frauen-/Gleichstellungspolitik(54,5%; gefolgt von Beamtin/Verwaltungswirtin53,3%), die Reflexionund Weiterentwicklung derGleichstellungsarbeit (66,7%; gefolgtvon Beamtin/Verwaltungswirtin: 64%)sowie den Bereich der Projektentwicklungund -bearbeitung (66,7%; StaatsexamenJura 57,1%).• Die Gleichstellungsbeauftragten miteinem sozial-/geisteswissenschaftlichenHochschulabschluss sehen Defizite beider Verwertbarkeit ihre Studiums hinsichtlichdes Verständnisses und derAnalyse von Verwaltung(shandeln)(58,9%; sonstiger Hochschulabschluss53,7%).• Die Beamtinnen und Verwaltungswirtinnenschätzen ihre Ausbildung alsweniger verwertbar ein hinsichtlich derKooperation mit Frauengruppen undFrauenverbänden (68%; StaatsexamenJura: 66,7%).Hinsichtlich der Akzeptanz in der Verwaltungshierarchieschätzen die Gleichstellungsbeauftragtenmit einer sonstigen Ausbildung/Lehre,einem sozial-/geisteswissenschaftlichenHochschulabschlusssowie einer sonstigen Verwaltungsausbildungihre beruflichen Vorkenntnisse jeweilszur Hälfte als „sehr gut/gut“ bzw.„weniger gut/schlecht“ ein.Auf die Frage nach der Bedeutung einzelnerPersonen oder Aspekte für ihre Professionalisierung(Mehrfachnennungen warenmöglich) nannten die Gleichstellungsbeauftragtenals „sehr wichtig“ an erster Stellemit 83,2% den Faktor „Zeit“, der Berufserfahrungund Routine mit sich bringt.Die Unterstützung durch einzelne Gleichstellungskolleginnenwar für 72,4%, Fortbildungenund Lehrgänge für 65,7% eineweitere sehr wichtige Stütze bei der Professionalisierung.Die gilt auch für Netzwerkeder Gleichstellungsbeauftragten aufregionaler Ebene mit 57,8%. Des weiterenwirkten die Netzwerke der Gleichstellungsbeauftragtenauf Landesebene undKolleginnen und Kollegen im Haus unterstützend,waren jedoch, wie die Netzwerkeder Gleichstellungsbeauftragten auf Bundesebene,eher partiell wichtig („wenigerwichtig/ab und zu“ 48,9 bzw. 48,6 bzw.48,3%).6Weitere (Vergleichs-) Angaben in Klammernsoweit über 50% und über dem jeweiligen Durchschnittswert.12


Gleichstellungspolitik und GenderstudiesFortbildungserfahrungen und FortbildungsbedarfDie Fortbildungsbereitschaft der Gleichstellungsbeauftragtenist sehr hoch: 86%des Befragungssamples haben an Fortbildungenfür ihr Arbeitsgebiet teilgenommen.Nur 13,7% verneinten diese Frage.30,8% der Gleichstellungsbeauftragtenhaben verwaltungsspezifische Qualifizierungslehrgängeoder eine andere zertifizierteberufliche Fortbildung besucht. 17%der Gleichstellungsbeauftragten (n = 112)absolvierten eine sozial oder therapeutischausgerichtete Fortbildung, 5,4% ein (Fern-)Studium und 2,7% Fortbildungen im EDV-Bereich.Die Fortbildungsangebote der kommunalenStudieninstitute wurden mit 60,5% (n =271) am häufigsten angenommen, gefolgtvon Angeboten der Verbände der Gleichstellungsbeauftragtenauf Landes- oderHochschulebene (LAG/BAG bzw. La-KoF/BuKoF) mit 41,7%, Verwaltungsakademienmit 18,8% und (Fach-) Hochschulenmit 9,6% (Mehrfachnennungen warenmöglich).Inhaltlich stand das LandesgleichstellungsgesetzNRW bei den besuchten Fortbildungenan erster Stelle: 86,3% hatten hierzuFortbildungen besucht. Dieses Themafiel jedoch bei der Frage nach dem zukünftigenBedarf an Fortbildungen anschließendweit zurück (Platz 23).Inhalte der bisher besuchten Fortbildungen7 waren (Angaben in%):86,3 Landesgleichstellungsgesetz52,0 Inhaltliche Einzelaspekte der Gleichstellungsarbeit7 n = 271, Mehrfachangaben waren möglich, aufgeführtsind die zehn häufigsten Nennungen.51,3 gleichstellungsrelevante rechtliche Fragenin sonstigen Feldern46,1 sonstige Arbeitstechniken (EDV, Internet,etc.)42,8 Präsentations- und Moderationsmethoden40,6 Personalrecht40,6 Verwaltungsreform und Gleichstellungsarbeit37,3 theoretische Aspekte der Gleichstellungsarbeit35,8 Verhandlungstechniken33,9 Gender MainstreamingBeim Fortbildungsbedarf 8 fielen die zehnhäufigsten Nennungen auf die Themen:44,8 Reflexion und Weiterentwicklung derGleichstellungsarbeit und der Gleichstellungspolitik44,8 Gender Mainstreaming44,8 Personalrecht43,2 praktische Aspekte der Gleichstellungsarbeit41,9 Personalentwicklung und -auswahl38,4 Verwaltungsreform und Gleichstellungsarbeit35,6 Verhandlungstechniken35,2 gleichstellungsrelevante rechtliche Fragenin sonstigen Feldern31,7 Mitarbeiterinnenführung29,2 Präsentations- und ModerationsmethodenEinen spezifischen Fortbildungsbedarfnach Einführung des Landesgleichstellungsgesetzesbenannten 65,7% derGleichstellungsbeauftragten. Die häufigstenNennungen (über 10%) fielen auf diefolgenden Bereiche (Angaben in%): 98 n = 315, Mehrfachangaben waren möglich. 14,6%äußerten keinerlei Fortbildungsbedarf.9 n = 186, offene Antwortmöglickeit, Mehrfachnennungenwaren möglich13


Aufsätzepraktische Umsetzung des LGG 39,2personalbezogene Fragen 28,5gesetzliche Grundlagen des LGG 17,2Frauenförderpläne 16,1Unter den Punkt „praktische Umsetzungdes LGG“ fallen Inhalte wie Implementierungin das Handeln der jeweiligen Verwaltung,strategisches Vorgehen, Akzeptanz,Leistungskontrolle. Außerdem bestehtder Wunsch, an Hand von konkretenFallbeispielen Probleme und Lösungsmöglichkeitenzu verdeutlichen. „PersonalbezogeneFragen“ umfassen alle Aspekte desPersonalrechts sowie der Personalentwicklung,darunter Fragen der Beurteilung, Besoldung,Stellenausschreibung usw.Weiterhin aktuell, wenn auch nicht mehrim selben Maße wie bei der Einführungdes LGG, bleibt der Aspekt der „gesetzlichenGrundlagen des LGG“, hier insbesondereAuslegungsfragen in Einzelfällen,<strong>Info</strong>rmationen über aktuelle Rechtsprechungen,eine Konkretisierung der Rechteder Gleichstellungsbeauftragten, verbundenmit Fragen der Rechts(un)sicherheitund der Sanktionsmöglichkeiten bei Missachtungdes LGG. Das Stichwort „Frauenförderpläne“beinhaltet insbesondere dasControlling der Pläne und ihre Fortschreibungsowie die Analyse des Datenmaterials.An verschiedenen Stellen des Fragebogenswiesen die Gleichstellungsbeauftragten aufdie Notwendigkeit hin, dass sich insbesonderedie Leitungsebenen der Verwaltung inSachen Gleichstellung und Gender Mainstreamingqualifizieren müssten, da dasThema Gleichstellung nicht allein die Aufgabeder Gleichstellungsbeauftragten seinkönne. Ohne entsprechende Unterstützung„von oben“ seien Maßnahmen und Einstellungsänderungennur schwer bis überhauptnicht zu erreichen:„Es ist dringend erforderlich, dass ‘Gleichstellung’ein fester Bestandteil der Ausbildung fürden mittleren, gehobenen und höheren Dienstim nicht technischen sowie dem technischenBereich innerhalb verschiedener Verwaltungenwird.“ (Anmerkung im Fragebogen)Bereits 1987 wiesen Küpper und Schulz inihren Überlegungen zur Ausgestaltung undBedeutung von Fortbildungsangebotenunter gleichstellungsrelevanten Gesichtspunktendarauf hin, dass die Teilnahmevon Führungskräften an Seminaren mitgleichstellungspolitischen Inhalten wichtigsei, damit diese „erwerbstätige Frauen anerkennen,ihr Begabungs- und Leistungspotentialsehen lernen und in einer mittelundlangfristigen Personalplanung mit einbeziehen“.Daher gelten ihnen die Führungskräfteund die Beschäftigten im Personalwesenals „die erste wichtige Zielgruppe“von Fort- und Weiterbildungsmaßnamenim Hinblick auf die beruflicheGleichstellung von Frauen in Verwaltungenund Betrieben (Küpper/Schulz 1987,S. 139ff.).Interesse am geplanten FernstudiumGenerell können sich 30,8% der befragtenGleichstellungsbeauftragten eine Fortbildungim Fernstudium „gut vorstellen“.31,7% bevorzugen Präsenzveranstaltungen,18,1% schätzen ein Fernstudium alszeitlich zu aufwendig ein.Die Gleichstellungsbeauftragten wurdennach ihrem Interesse an folgendem berufsbegleitendenFortbildungsangebot gefragt:Weiterbildendes Fernstudium über 3 Semester(auch für Nicht-Akademikerinnengeöffnet), modular aufgebaut und prozess-14


Gleichstellungspolitik und Genderstudiesorientiert, mit universitärem Abschlusszertifikatund den inhaltlichen Aspekten:• Stand und Entwicklung der Gleichstellungspolitikund Gleichstellungsarbeit,Potentiale der Veränderung, Umsetzungs-und Anwendungsmöglichkeitenneuer Instrumente (GenderMainstreaming, Gleichstellungsgesetzeetc.) in der Praxis• Organisationsanalyse und Managementtechnikenzur Umsetzung innovativerGleichstellungspolitik unter BerücksichtigungverwaltungsinternerBesonderheiten• juristische, ökonomische und verwaltungstechnischeQualifikationen zurÜbernahme von Leitungsfunktionen inder Verwaltung“51,4% der Gleichstellungsbeauftragtenzeigten sich interessiert an dem geplantenFortbildungsangebot. 2,5% kreuzten „vielleicht“an. 43,5% wären an einem solchenAngebot nicht bzw. nicht mehr interessiert.Gleichstellungsbeauftragte an Hochschulenäußern häufiger ihr Interesse (70,6%) alsihre Kolleginnen bei Kommunen (51%)oder bei Landesbehörden (55,1%). Außerdemsind die „Vollzeit“-Gleichstellungsbeauftragten(59,7%) stärker an dem Fernstudiuminteressiert als diejenigen, die nebender Gleichstellungsarbeit noch eineweitere Funktion in der Verwaltung ausüben(46,8%).Berufliche Perspektiven der Gleichstellungsbeauftragten54% der Befragten 10 wollen weiterhin alsGleichstellungsbeauftragte tätig sein“. DieGleichstellungsbeauftragten der (nachgeordneten)Landesbehörden gaben dies häu-10 Die Nennungen bei Frage 21 ergeben insgesamtmehr als 100%, da einige mehrere Angaben machten.figer an (68,1%) als ihre Kolleginnen beiKommunen (48,2%) oder Hochschulen(44,4).39,7% erwägen einen Stellenwechsel innerhalbdes öffentlichen Dienstes, wobeidiese Perspektive die Gleichstellungsbeauftragtebei Kommunen für sich häufigerin Betracht ziehen (46,7%) als ihre Kolleginnenbei Landesbehörden (29,7%) oderan Hochschulen (5,6%).Auf eine Stelle außerhalb der öffentlichenVerwaltung wollen sich insgesamt 8% derBefragten bewerben. 4,4% der Gleichstellungsbeauftragtenmöchten sich selbstständigmachen. 12,4% der Befragten kreuztenan, „andere Pläne“ zu haben, insbesonderedie Gleichstellungsbeauftragten der Hochschulen(38,9%; Kommunen 11,2%, Land9,9%). Genannt wurden: Promotion, nebenberuflicheoder ehrenamtliche Tätigkeitsoll evtl. zur hauptberuflichen Perspektiveausgebaut werden; therapeutisch oder beratendeTätigkeit, Arbeit im Ausland; Vereinbarkeitvon Beruf und Familie; Beurlaubungaus sonstigen familiären Gründen;Altersteilzeit; Wohnortwechsel; Wechselin den vorherigen Beruf.Auswirkungen des LandesgleichstellungsgesetzesNRW auf die Arbeit derGleichstellungsbeauftragten 11Die bisherigen Auswirkungen des LGGNRW auf die eigene Arbeit beurteilen dieBefragten überwiegend positiv: eher positiv:71,1%, eher negativ:4,4%, gar nicht17,8% 12 .11Erste Berichte zu den Landesgleichstellungsgesetzenin anderen Bundesländern liegen bereits vor,so aus Hessen (HGlG 1998) und Schleswig-Holstein (GStG 1999).12 6,7% machten aufgrund ihrer erst kurzen Arbeitszeitund der fehlenden Vergleichsmöglichkeithierzu keine Angabe.15


AufsätzeDie häufigste Zustimmung (Wert 1) bei derFrage nach konkreten Aspekten der Veränderungdurch das LGG (Mehrfachnennungenwaren möglich) erhielt mit 33,7% dieAussage „Die Gleichstellungspolitik wirddadurch nicht mehr akzeptiert, ist aberFakt“. 28,9% der Gleichstellungsbeauftragtensind der Ansicht, dass ihre Einflussmöglichkeitin Folge des Landesgleichstellungsgesetzesgestiegen und ihre Beteiligungan Entscheidungsprozessen selbstverständlichergeworden sei.Insgesamt tendieren die befragten Gleichstellungsbeauftragtenbei ihren Antwortenzu konkreten Aspekten der Veränderungdurch das LGG jedoch zu einer relativenZustimmung (Wert 2) oder gar zu einernegativen Einschätzung (Wert 3). Auch inden Anmerkungen und Interviews wirddeutlich, dass die Gleichstellungsbeauftragtenmit dem LGG zwar ein wichtigesInstrument zur Durchsetzung auf dem Wegzur Gleichstellung erhalten haben, die Akzeptanzdes Gesetzes und die Unterstützungseiner Ziele damit jedoch nicht automatischgegeben sind. Nach wie vor müssensich die Gleichstellungsbeauftragten inihrer Arbeit gegen Widerstände behaupten.In verschiedenen Aussagen und Anmerkungender Gleichstellungsbeauftragtenwird immer wieder deutlich, dass ein tiefergehendesBewusstsein für die Notwendigkeitvon Gleichstellungspolitik und dieArbeit der Gleichstellungsbeauftragtennach wie vor fehlt. Dies gilt sowohl aufSeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterwie auf Seiten der Leitungskräfte in denVerwaltungen.69,5% der Gleichstellungsbeauftragtenkonnten oder mussten bereits ein- odermehrmals auf das LGG zurückgreifen, umdie Interessen von Frauen durchzusetzen.Dies traf häufiger auf die Gleichstellungsbeauftragtender Kommunen/Kreise undder Hochschulen zu als auf ihre Kolleginnenbei den Landesbehörden (75,4 bzw.76,5% gegenüber 61,5%). Die Mehrzahlder Einsprüche bezog sich auf personalrelevanteEntscheidungen, wie Stellenausschreibungen,-besetzungen und -bewertungen,Bewerbungsverfahren, Vorstellungsgespräche,Mobbing, Teilzeit, Beförderungen,Umstrukturierungen und ähnliches.Mit ihren Eingriffen machten die Gleichstellungsbeauftragtenbislang überwiegendpositive Erfahrungen. So gaben 72,6% 13an, ihr Einspruch oder Hinweis sei akzeptiertund berücksichtigt worden – teilweisejedoch mit Verzögerungen. Bei einemFünftel wurde der Einspruch jedochschlicht übergangen. 17,4% hätten sich indiesem Punkt (mehr) Unterstützung vonSeiten des Ministeriums oder ihrer übergeordnetenBehörde gewünscht. 7,8% gabenan, bei der Anwendung des LGG unsichergewesen zu sein.Die Zufriedenheit mit einzelnen Regelungenim Landesgleichstellungsgesetz fälltrecht unterschiedlich aus und verweist aufSchwachpunkte des Gesetzes aus Sicht derGleichstellungsbeauftragten. Insbesonderedie Sanktionsmöglichkeiten im Rahmendes Landesgleichstellungsgesetzes bezeichnendie Gleichstellungsbeauftragtenals unzureichend (50,5%). Auch die finanziellenAusstattung der Gleichstellungsstellenwird mehrheitlich als „unzureichend“(40%) oder „zu vage“ (37,1%) angesehen.Die Frage der Anreizsysteme, d.h. dieMöglichkeit der Beeinflussung von Verwaltungshandelndurch das SteuerungsmittelGeld, sehen 32,7% die Gleichstellungs-13 n = 219, Mehrfachnennungen waren möglich.16


Gleichstellungspolitik und Genderstudiesbeauftragten als unzureichend und 40% alszu vage geregelt.Als überwiegend „ausreichend“ empfindendie Gleichstellungsbeauftragten die Regelungenbzw. Formulierungen bezüglichihres Aufgabenprofils (57,5%), ihrer Einbeziehungbei gleichstellungsrelevantenEntscheidungen (58,4%) und ihrer Widerspruchsrechte(56,5%). Jeweils um die40% halten allerdings diese Punkte nochfür zu vage oder nicht ausreichend geregelt.Lediglich der Punkt „eigenständige Öffentlichkeitsarbeit“wird von 69,8% derGleichstellungsbeauftragten als ausreichendangesehen. Sie war bei den meistenbereits vor Einführung des LGG gegeben.57,5% der Gleichstellungsbeauftragtenmachten Ergänzungs- bzw. Verbesserungsvorschlägefür das Landesgleichstellungsgesetz,36,2% äußern keinen Bedarf,6,3% machten keine Angaben (offeneAntwortmöglichkeit, Mehrfachnennungen,n = 181). Die Veränderungswünsche lassensich wie folgt zusammenfassen (Angabenin%):konkrete Sanktionen, Controlling, Unterstützungund Begleitung durch dieübergeordnete Behörde bzw. das Ministeriumkonkrete Aussagen und Angaben zuAufgaben-und Berufsprofil der Gleichstellungsbeauftragten,Stellenausstattungetc.konkretere Formulierungen und Verbindlichkeiten,mehr Muss- statt Soll-Vorschriften41,441,437,6Auswirkungen hatte das LandesgleichstellungsgesetzNRW auf die Verteilung derinternen und externen Schwerpunktsetzungder Gleichstellungsarbeit, insbesondere(aber nicht nur) bei den kommunalenGleichstellungsbeauftragten 14 . So stieg derAnteil der internen Arbeit von 40,1% vorEinführung des LGG auf 55,3% nach Einführungdes LGG. Die externe Arbeit gingentsprechend von 59,9% auf 44,7% zurück.Den Schwerpunkt ihrer aktuellen und zukünftigenArbeit sehen die Gleichstellungsbeauftragtenvor allem innerhalb derVerwaltung. Die Beteiligung bei Personalentscheidungen,d.h. insbesondere die Umsetzungund Weiterentwicklung des Frauenförderplanshalten 50,8% der Gleichstellungsbeauftragtenmit Abstand als wichtigstenArbeitsschwerpunkt ihrer derzeitigenund zukünftigen Arbeit 15 . InterneFrauenförderung beinhaltet dabei auch,Frauen für die Bewerbung auf Leitungspositionenzu motivieren, sie bei ihrer weiterenKarriere zu beraten, den weiblichenNachwuchs (in Wissenschaft oder öffentlicherVerwaltung) zu qualifizieren und anMentoring-Konzepten zu arbeiten.Weiter Schwerpunkte sind: Vereinbarkeitvon Familie und Beruf (16,1%), frauenspezifischeThemenarbeit (16,1%) GenderMainstreaming in Verwaltung und Politik(15%), beruflichen Frauenförderung(13,8%), Engagement in der Arbeitsmarktpolitik(13%).14 Die Angaben (Mittelwerte) beziehen sich auf53,6% der Antworten (n = 169), davon waren91,6% kommunale Gleichstellungsbeauftragte.30,2% der Befragten waren nur für interne Frauenförderung/Gleichstellungzuständig (diese Angabenwurden deshalb nicht in die Mittelwertberechnungeinbezogen), 10,8% machten keine Angabe zudiesem Punkt und weitere 5,4% konnten wegenunklarer Angaben nicht in die Berechnung einbezogenwerden.15 Offene Antwortmöglichkeit, Mehrfachnennungenwaren möglich (n = 254).17


AufsätzeZusammenfassung der Ergebnisse undAusblick – Überlegungen für begleitendeMaßnahmen zum LandesgleichstellungsgesetzNRWZusammenfassung der Befragungsergebnisse81,6% der befragten Gleichstellungsbeauftragtensehen ihre berufliche Perspektiveinnerhalb der öffentlichen Verwaltung,54% weiterhin als Gleichstellungsbeauftragte.Das Interesse an und die Bereitschaft zurFortbildung ist bei den Gleichstellungsbeauftragtensehr hoch. Die Ergebnisse bestätigendiesbezüglich die in der Einleitungvorgestellten Ausgangsüberlegungen.• 86% der Gleichstellungsbeauftragtenhaben in der Vergangenheit Fortbildungenbesucht.• 65,7% sehen einen speziellen Bedarfnach Einführung des LandesgleichstellungsgesetzesNRW, vor allem im Bereichder praktischen Umsetzung desLGG, Fragen der Weiterentwicklungder Gleichstellungsarbeit und -politiksowie Fragen der Personalplanung unddes Personalrechts.• 51,4% haben Interesse an dem vorgestelltenStudienangebot.Die Einführung des LandesgleichstellungsgesetzesNRW (LGG) wird insgesamtpositiv gesehen. 71% der Gleichstellungsbeauftragtengaben an, das LGG habe zumBefragungszeitpunkt eher positive Auswirkungenauf ihre Arbeit. Insbesondere begrüßensie die Aufwertung und Festschreibungder Position und der Aufgaben vonGleichstellungsbeauftragten im Verwaltungsgefüge.Die Einschätzung ist jedochnicht euphorisch und fällt im Detail nüchtern,mitunter skeptisch aus. Kritisiert wirddas Fehlen oder die zu vage Formulierungund Verankerung folgender Aspekte:• Sanktionsmöglichkeiten;• Unterstützung bei Verstößen gegen dasLGG (z.B. durch die jeweilige übergeordneteBehörde bzw. das Ministerium);• automatischer Klageweg bei Verstößengegen das LGG (durch die Gleichstellungsbeauftragteoder einen Interessenverband);• Steuerung durch leistungsorientierteMittelvergabe bei allen Verwaltungenähnlich der Regelung für die Hochschulen16 ;• sonstige Unterstützung, z.B. in Formvon Schulungen oder Beratungsangeboten,Stärkung der Gleichstellungsbeauftragtenbeim Einlegen von Widersprüchenu.a.;• Fortbildung von Personalverantwortlichenund Führungspersonal in denVerwaltungen zu Fragen der Gleichstellungund Geschlechtergerechtigkeit.Einschätzung der bestehenden Fortbildungsangebotefür GleichstellungsbeauftragteEs existieren verschiedene Fortbildungsangebotevon öffentlichen, privaten und gewerkschaftlichenTrägern für Gleichstellungsbeauftragte(siehe dazu ausführlicherden Bericht). Daneben organisieren auchdie Interessenverbände der GleichstellungsbeauftragtenFortbildungen und Ta-16 Die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Hamburg,Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein habenin ihren Landesgleichstellungsgesetzen Regelungenzur Frauenförderung durch öffentliche Auftragsvergabeund staatliche Leistungsgewährung anDritte aufgenommen. Eine Übersicht findet sichunter www.vernetzungsstelle.de. Siehe außerdemZiegele (2000) zu „neuen Modellen der Mittelvergabeals Chance für wirksame Gleichstellungspolitik“.18


Gleichstellungspolitik und Genderstudiesgungen. Ein Manko ist, dass das Wissenum die (Breite der) vorhandenen Angebotenicht sehr groß bzw. nicht zentral zugänglichist und bislang von keiner Stelle zurVerfügung gestellt wird. Auch ist derWunsch nach Teilnahme an Fortbildungenhöher als die tatsächliche Wahrnehmungder Angebote. Zeitaufwand (insbesonderebei den „Teilzeit“-Gleichstellungsbeauftragten)und Ortsferne, aber auch finanzielleAspekte werden als Hinderungsgründebenannt.Eine generelle Schwierigkeit für die Anbieterder Fortbildungen liegt in der Heterogenitätder Gruppe der Gleichstellungsbeauftragten,sowohl hinsichtlich der unterschiedlichenAufgabenfelder als auchhinsichtlich der unterschiedlichen Vorerfahrungenund der Dauer ihrer Tätigkeit alsGleichstellungsbeauftragte. Ein weitererAspekt ist das richtige „timing“ von Fortbildungen.Bei Gesetzesänderungen, wiez.B. den Ergänzungen der GemeindeordnungNRW, durch die auf einen Schlagmehrere Gleichstellungsbeauftragte neueingestellt wurden, oder der Einführungneuer Gesetze, wie dem LandesgleichstellungsgesetzNRW 1999, lässt sich der Bedarfund die notwendigen Inhalte leichterplanen. So hatten Mitte der 1990er Jahreeinige kommunale Studieninstitute ein(nicht-zertifiziertes) Fortbildungsangebotin ihre Programme aufgenommen, das inZusammenarbeit mit dem GleichstellungsministeriumNRW und der LAGNRW entwickelt worden war. Über dieNachfrage liegen jedoch keine Ergebnissevor. Derzeit wird diese Angebot überarbeitetund um neue Aspekte ergänzt.Ein wichtiges Element in der Fortbildungslandschaftbildet die Eigeninitiative derGleichstellungsbeauftragten. Dadurch kannganz gezielt auf die in ihrem (Arbeits-)Kreis auftretenden Bedarfe reagiert undKnow-how in Form von Vorträgen, Seminaren,Qualitätszirkeln usw. „einkauft“werden. Diese Eigeninitiative bleibt auchweiterhin ein wichtiger Faktor für dieFortbildung. Dass darüber hinaus umfangreichererFortbildungsbedarf besteht, woüber einen längeren Zeitraum theoretischewie praktische Fragen der Gleichstellungsarbeitbehandelt werden können, zeigt dasInteresse an dem geplanten Fernstudium.Abgesehen von den reinen Verwaltungslehrgängenbieten die bestehenden Angebotekeine oder nur eingeschränkt eineWeiterqualifizierung, die die Gleichstellungsbeauftragtenfür ihre weitere beruflicheKarriere in der Verwaltung oder darüberhinaus nutzen könnten und die dieVeränderungen in der Gleichstellungspolitikadäquat aufgreift. Auch die existierendenFrauenstudiengänge treffen den Bedarfhier nur bedingt. Daher entstand bei denFrauenStudien der Universität Bielefelddie Idee, ein spezifisch auf die inhaltlichenund zeitlichen Bedürfnisse der Gleichstellungsbeauftragtenzugeschnittes Fernstudiumzu entwickeln. Die FernUniversitätHagen hatte die existierende Lücke ebenfallserkannt und wird im Rahmen einesvirtuellen Studienangebots ein speziellesAngebot für die Zielgruppe Gleichstellungsbeauftragteschaffen. Ein Austauschzwischen der FernUniversität Hagen(qualifizieren@VINGS) und den Frauen-Studien der Universität Bielefeld verdeutlichte,dass sich die geplanten Angeboteweitgehend decken und ein zweites Angebotderzeit nicht sinnvoll ist. Vielmehr giltes Synergieeffekte zu nutzen, die einenoptimalen Einsatz des vorhandenen Knowhowsgewährleisten. Inzwischen zeichnetsich ab, dass Elemente des Studiums inKooperation mit der FernUniversität Ha-19


Aufsätzegen verwirklicht werden können. So hatdie FernUniversität Hagen den FrauenStudiender Universität Bielefeld eine für dasVorhaben sinnvolle und attraktive Zusammenarbeitim Rahmen des VINGS-Projektsangeboten, die es ermöglicht, die Ergebnisseder Machbarkeitsstudie gemeinsam zuverwenden und in das Weiterqualifizierungsangebotfür Gleichstellungsbeauftragteund andere Interessierte aufzunehmenund umzusetzen. Die Machbarkeitsstudiegibt wichtige Impulse für die Gestaltungeinzelner Angebote und nimmt insbesonderedas Probleme des Rollen- und Positionshandelnsder Gleichstellungsbeauftragtenauf. Der erste Durchgang von qualifizieren@VINGSwird im Wintersemester<strong>2002</strong>/2003 starten. Auf der Internetseitewww.vings.de sind Einzelheiten zu finden.Überlegungen für die Einrichtung einerDokumentations- und <strong>Info</strong>rmationsstelleGleichstellungspolitik NRWDie Gleichstellungsbeauftragten habendarauf verwiesen, dass eine entscheidendestrukturelle Schwäche der vorhandenenGesetzgebung darin besteht, dass weitergehendeRechte und Sanktionsmöglichkeitenfehlen. Ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetzauf Bundesebene und dieEinrichtung von Kontrollinstanzen wärenhierfür erforderlich, sind derzeit allerdingsnicht in Aussicht.Die Erfahrungen mit der Implementationvon Gleichstellungsregelungen in anderenLändern, zum Beispiel Großbritannienoder den USA, wo schon sehr viel früherals in Deutschland Gesetze erlassen wurden,machen deutlich, „(…) dass Gesetzestets nur so einflussreich sein können wiedie sie implementierenden Instanzen. DieEtablierung von Frauenförderplänen oder-gesetzen ohne begleitende Institutionalisierungvon durchsetzungsfähigen, d.h.konkret: mit Kontrollbefugnissen undSanktionsmöglichkeiten ausgestatteten,Durchsetzungsinstanzen überlässt Gleichstellungder Geschlechter dem good willder PersonalentscheiderInnen. GesetzlicheVorgaben zur Gleichstellung von Frauenmüssen so formuliert sein, dass ihre Nichtbefolgungnegative Konsequenzen hat“(Lindecke 1995, S. 259) – bzw. aktiveGleichstellungspolitik positiv sanktioniertwird.Auch die Berichte zu Gleichstellungsgesetzenin anderen Bundesländern verweisenbereits darauf, dass es mit der Einführungeines Gesetzes allein nicht getan ist.Teilweise Erfolge dürfen nicht übersehenlassen, dass die Implementierung der Gesetzegerade erst angefangen hat und einerechtliche Verankerung (Verfassungsnorm)nicht der Verfassungswirklichkeit entspricht.Gesetzliche Regelungen gebeneinen Rahmen vor, der mit Inhalten gefülltund ggf. korrigiert werden muss, sie „könnenlediglich den äußeren Veränderungsdruckerhöhen, ihre Umsetzung bleibt betrieblichenoder behördlichen Akteurenüberlassen“ (Jüngling 1997, S. 53). Bedenklichstimmen im Zuge der Implementierungvon GleichstellungsregelungenAussagen mancher Verwaltungsleiter mitdem Tenor: „Ist doch alles Quatsch. Das[LGG, M.N.] brauchen wir doch gar nicht.Machen Sie mal, aber brauchen wir jaeigentlich nicht“, wie eine Gleichstellungsbeauftragte(GSB_6, S. 10/26-28)stellvertretend für Erfahrungen andererKolleginnen berichtet. Derartige Einstellungenlassen befürchten, dass Gleichstellungsfragenin Verwaltungen teilweise alsSpielwiese betrachtet werden und nicht alsessentieller Bestandteil einer demokratischenGesellschaft. Wie das Beispiel Hes-20


Gleichstellungspolitik und Genderstudiessen zeigt 17 , werden Gleichstellungsgesetzgebungengerne zur Disposition gestellt,sobald es opportun erscheint.Gleichstellungsbeauftragte machen dieErfahrung, dass Gleichstellungsgesetze als„Gesetze zweiter Klasse“ behandelt werden.Ihre Einführung wird als „dem Zeitgeistgeschuldet“ verbucht. Die Gleichstellungsteht zwar auf dem Papier, weichtaber – wie dies derzeit auf bundespolitischerEbene deutlich wird – schleichendanderen Themen, z.B. der Familienpolitik.Hierbei müssen Frauen besonders daraufachten, nicht in die Vereinbarkeitsfalle zutappen und sich durch das Hintertürchennicht wieder auf traditionelle Muster festlegenzu lassen. Fragen der Gleichstellungexistieren auch jenseits der Vereinbarkeitsproblematik,z.B. nach wie vor bezüglichder Teilhabe an Macht und Ressourcenund der Anerkennung der heterogenenweiblichen Lebensentwürfe, unabhängigvon Familie und unabhängig von dermännlichen „Normalbiografie“.Berichte zu den Landesgleichstellungsgesetzenin Hessen und Schleswig-Holstein machen ebenso wie die vorliegendeStudie deutlich, dass im Zuge derImplementierung von GleichstellungsgesetzenLücken bei der faktischen Umsetzungvorhanden sind. Die Einrichtung einerDokumentations- und <strong>Info</strong>rmationsstelleGleichstellungspolitik NRW könnte da-17 In Hessen gibt es inzwischen Bestrebungen, dasHGlG durch eine sog. Experimentierklausel zuergänzen, die es Kommunen und Landesbehördenermöglichen soll, die bisherigen Frauenförderpläneauszusetzen (<strong>Info</strong>rmation der LAG Hessen unterwww.vernetzungsstelle.de im April <strong>2002</strong>). Und einAbgeordneter des hessischen Parlaments ist sogarder Ansicht, dass Frauenbeauftragte ersatzlos gestrichenwerden müssten, da sie „anachronistisch“seien und die Kommunen das Geld besser andersanlegen könnten (Meldung bei www.zweiwochendienst.devom 2.5.<strong>2002</strong>).zu beitragen, den gegebenen formaljuristischenRahmen besser zu nutzen. Die Dokumentationsstellewürde die Gleichstellungsbeauftragtenbei der Wahrnehmungihrer Aufgaben unterstützen und zu mehrTransparenz, Kooperation der verschiedenenEbenen und der Weiterentwicklunggleichstellungspolitischer Maßnahmen imöffentlichen Dienst beitragen. Eine stärkereÖffentlichkeit und Diskussion innovativerGleichstellungspolitik könnte darüber hinauswegweisenden Charakter für den privatwirtschaftlichenSektor erhalten.Angesiedelt werden sollte die Dokumentationsstellewährend einer Modellphase beieiner wissenschaftlichen Einrichtung wiedem Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>) der Universität Bielefeld,um eine engere Verzahnung von gleichstellungspolitischerPraxis und Forschung zugewährleisten, die unter anderem Gröningbereits 1992 angemahnt hat.Schwerpunkte der Dokumentations- und<strong>Info</strong>rmationsstelle:• <strong>Info</strong>rmation, Analyse, Aufbau einesKompetenzpoolsHierzu zählen die Sammlung und Analysevon good-practice-Beispielen 18 bei derUmsetzung des LandesgleichstellungsgesetzesNRW sowie negativer Erfahrungen;der Aufbau eines Kompetenzpools vonGleichstellungsexpertinnen aller Verwaltungstypen,die bei der Problemlösungssuchevor Ort als Beraterinnen zur Verfügungstehen können, und die Weiterentwicklungder Gleichstellungsmaßnahmen.Auch sollte die Erprobung wettbewerblicherElemente für Gleichstellungsmaß-18 Zum Beispiel hinsichtlich neuer Beurteilungsverfahren,Anreizsystemen, internem Gleichstellungscontrolling,umfassender Führungskräfteentwicklungusw.21


Aufsätzenahmen in Erwägung gezogen werden, wieOppen und Wiechmann (1998, S. 9) diesbereits für Niedersachsen vorgeschlagenhaben. Auch für Nordrhein-Westfalen wärezu überlegen, ein dem Total E-Quality-Prädikat vergleichbares Instrument für dieöffentlichen Verwaltungen als zusätzlichenAnreiz einzuführen.• Entwicklung eines externen gleichstellungspolitischenControllingsWünschenswert ist eine landesweite Evaluationdes Umgangs mit dem Widerspruchsrechtals Steuerungsinstrumentariumdes LGG in den öffentlichen Verwaltungen.Die Analyse der Fälle und die dadurchgewonnenen Einblicke in die mikropolitischeStruktur und das Handeln derOrganisation „Verwaltung“ ermöglichtpraktische Vorschläge für Interventionenund zur Umsetzung des LGG und die Entwicklungeines externen Beschwerdemanagements,die auch als zusätzliche Modulefür die Weiterbildung („Organisationenund Gender“ etc.) ausgearbeitet werdensollten.• Aufbau einer Internetplattform und ExpertinnendatenbankDie Sammlung und Aufarbeitung vongood-practice-Beispielen und Umsetzungserfahrungensollten Bestandteil einerinternetbasierten <strong>Info</strong>rmations- und Beratungsbörsesein. Im Rahmen eines spezielleninternen Forums könnte darüber hinausein Beratungsangebot installiert werden,das auf rechtliche und andere Anfragen(z.B. Maßnahmeentwicklung und –umsetzung,Maßnahmeevaluation) von Gleichstellungsbeauftragtenzeitnah antwortenkönnte. Auch hierfür stünden Gleichstellungsbeauftragteselbst als ‘consultants’ fürihre Kolleginnen, aber auch für Führungskräfteund Personalverantwortliche zurVerfügung (vgl. Oppen/Wiechmann 1998,S. 45). Als Ergänzung zu den existierendenNetzwerken der Gleichstellungsbeauftragtenkäme diese Plattform auch den Gleichstellungsbeauftragtenentgegen, die bislangüber keine formalisierten Vernetzungsstrukturenverfügen. Außerdem könntenauf dieser Plattform Fortbildungsmaßnahmenverschiedener Träger zentral abrufbarsein.Die Darstellung der Ergebnisse im Internetsoll zu einer stärkeren Transparenz undöffentlichen Diskussion von (erfolgreichen)Gleichstellungsmaßnahmen führen,die aus der öffentlichen Verwaltung herausin Wirtschaft und Gesellschaft hineingetragenwerden könnte.• Anregung von FortbildungsangebotenDie geplante Kooperation mit qualifizieren@VINGSgilt es auszubauen und weiterzuentwickeln.Erkenntnisse aus der Analyseder good-practice-Beispiele und derproblematischen Felder sowie aus demQualifizierungsangebot selbst fließen zusammenund können für weitere Fortbildungsmaßnahmenim Bereich „Gleichstellungsmanagement“genutzt werden. DieAngebote könnten auch Führungskräftenund Personalverantwortlichen der unterschiedlichenVerwaltungstypen offen stehenund zur Entwicklung von Gender-Kompetenz in Organisationen beitragen(vgl. Beitrag von Pinkvoss in der RubrikBerichte aus dem <strong>IFF</strong>).Literatur- und LinkverzeichnisLiteraturBAG kommunaler Frauenbüros (2000): Das Netzwerkkommunaler Frauenpolitik. Dokumentation,Berlin.Bednarz-Braun, Iris (2000): Gleichstellung im Konfliktmit Personalpolitik. Praxis und Theorie beruflicherGeschlechterkonkurrenz im internatio-22


Gleichstellungspolitik und Genderstudiesnalen Vergleich: USA, Großbritannien,Deutschland, München/Opladen.Gröning, Katharina (1992): Kommunale Gleichstellungsbeauftragte.Anmerkungen zu ihren institutionellenHandlungsbedingungen, in: Frauenforschung,<strong>Info</strong>rmationsdienst des ForschungsinstitutsFrau und Gesellschaft, Bielefeld, Heft 4, S.20-37.Gröning, Katharina (1994): Die Institution frisst dieFeministin. Acht Thesen zur Situation vonkommunalen Gleichstellungsstellen in ihrenVerwaltungen; in: Neue Praxis, Heft 4, S. 350-358.GStG – Ministerium für Frauen, Jugend, Wohnungs-und Städtebau des Landes Schleswig-Holstein (1999): Erster Gleichstellungsbericht:Gleichstellung der Frauen im öffentlichenDienst, Kiel.HGlG – Hessische Landesregierung/HessischesMinisterium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung(1998): Vorlage der Landesregierungbetreffend den Bericht an den Hessischen Landtagzur Umsetzung des Hessischen Gleichstellungsgesetzesnach § 6 Abs. 7 HGlG, Wiesbaden.Küpper, Erika; Schulz, Elke: Gleichstellungsmaßnahmenin der Fort- und Weiterbildung, in:Frauenforschung, Institut Frau und Gesellschaft(Hg.), Heft 3, Bielefeld 1987, S. 137-153.LAG NRW – Landesarbeitsgemeinschaft kommunalerFrauenbros/Gleichstellungsstellen NRW(1995): Institutionalisierte Frauenpolitik in denKommunen, Dokumentation, Essen.Lindecke, Christiane (1995): „Frauen und andereMinderheiten“. Zur Entstehung und Konkretisierungder US-amerikanischen Gleichstellungsregelungenzugunsten von Frauen und zur Frageeines möglichen Transfers auf die BundesrepublikDeutschland, München und Mering.MFJFG – Ministerium für Frauen, Jugend, Familieund Gesundheit des Landes NRW (Hg.) (2001):Das Landesgleichstellungsgesetz, Düsseldorf.Oppen, Maria; Wiechmann, Elke (1998): Frauenförderpläneunter Reformdruck. Effektivität undInnovationserfordernisse am Beispiel der niedersächsischenStufenpläne, Berlin.Ziegele, Frank (2000): Neue Modelle der Mittelvergabeals Chance für wirksame Gleichstellungspolitik,in: Löther, Andrea; Plöger, Lydia(Hgg.): Mittelvergabe und Gleichstellungspolitikan Hochschulen, Bielefeld, S. 27-42.Linkswww.vernetzungsstelle.dewww.vings.dewww.zweiwochendienst.deHinweis:Der vollständige Berichte ist als pdf-Dateikostenlos abrufbar unter www.unibielefeld.de/<strong>IFF</strong>(siehe Projekte, aktuelleProjekte) oder für 6,50 EUR über das <strong>IFF</strong>-Sekretariat zu bestellen.Monika Noller, <strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld,Postfach 100131, 33501 Bielefeld,Email:monika.noller@uni-bielefeld.de23


___________________________________________________________________________Ursula Müller, Waltraud Müller-Franke, Patricia Pfeil, Sylvia WilzPolizei und Gender___________________________________________________________________________Im DFG-Projekt „Geschlechterkonstruktionen und Organisationswandel am Beispiel Polizei“werden die Auswirkungen der Integration von Frauen in ein (ehemals) männlich dominiertesFeld von beruflicher Arbeit und Organisation untersucht. Die Studie geht der Frage nach,welche Rolle Geschlecht in organisatorischen Strukturen und Prozessen, in der alltäglichenArbeit und in Diskursen um Polizei und Polizeiarbeit heute spielt.Zum ForschungsinteresseDem empirischen Forschungsprojekt „Geschlechterkonstruktionenund Organisationswandelam Beispiel Polizei“ liegt dieÜberlegung zugrunde, dass im Kontextvon Professionalisierungsprozessen undOrganisationswandel, vor allem durch dieendgültige Öffnung des gesamten Polizeidienstesfür Frauen, Geschlechtergrenzenund Geschlechterkonnotationen in Bewegunggeraten sind.Theoretischer Ausgangspunkt ist, dassGeschlecht innerhalb von Organisationenvon Bedeutung ist, gleichzeitig aber derBlick dafür offen sein muss, dass Geschlechtnicht, nicht immer und vor allenDingen nicht in gleicher Weise und ingleicher Stärke wirkt, wenn es um Arbeitsteilung,Arbeitsbewertung, Beurteilungvon Situationen im Arbeitsalltag und anderesmehr geht. 1 Wie der Zusammenhangvon Organisation und Geschlecht genauaussieht, wie symmetrisch oder asymmetrischdas Verhältnis der Geschlechter, wiedas Verhältnis von Gleichheit und Differenzbestimmt ist und in welchem Zusam-1 Vgl. z.B. Kuhlmann et al. (<strong>2002</strong>), Müller (1998),Wilz (<strong>2002</strong>).menhang die Organisation Polizei und ihreWirkungsweisen stehen, ist empirisch zuklären. 2Damit stellt sich die Frage nach Gleichheitund Ungleichheit von Männern und Frauenin Organisationen – die Frage danach, obund wie Geschlechterstereotype in Organisationenwirken. Der Kern der bisherigenDiskussion zielt auf den sich zwar wandelnden,aber immer noch vorhandenenMinderheitenstatus oder „Besonderen-Status“der Frauen in der Polizei als einem sogenanntenMännerberuf – ein Männerberuf,der im Kopf mancher nicht zu ihremFrauenbild zu passen scheint. Aber ist derKern unserer Diskussion ein quantitativer?Die Aussage in einer Diskussion mit Studentenkürzlich an der Hochschule für Polizeilässt aufmerksam werden – sie lautete:„Wenn all die Frauen, die jetzt in Ausbildungsind“ – in Baden-Württemberg sind dies fast34%, was ja durchaus nicht einer Minderheitentspricht – „erst einmal auf der Straße ihrenDienst tun müssen, bezweifele ich, dass Polizeiarbeitweiter zufriedenstellend aufrechterhalten werden kann. Gerade bei Frauenstreifenwird es doch sicher oft zu Hilferufen kommen.“2 Vgl. auch Pfeil (2003).<strong>24</strong>


Polizei und GenderSolche stereotypen Vorstellungen weisenauf das Interesse der Fragestellung von„Polizei und Gender“. Als auf wenige Orientierungspunktereduzierte Vorstellungenüber spezifische Wesens- und Verhaltensmerkmaleanderer Menschen und Menschengruppenhaben solche Stereotype dieFunktion in bestimmten Situationen alsBeurteilungshilfe entlastend zu wirken,(scheinbare) Klarheit über die eigene Positionim Vergleich zu anderen zu verschaffen.Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesemZusammenhang ist das Phänomen des„Tokenism“. Rosabeth Moss Kanter(1997) analysierte die paradoxe Situationvon Frauen in männlich dominierten Bereichen:Diese ist nach ihrer Erkenntnisgeprägt durch die hohe soziale Sichtbarkeitvon Frauen aufgrund ihrer Minderheitenposition.Solche vereinzelt vorzufindendenFrauen sind „konfrontiert mit machtvollen,unhinterfragten stereotypen Wahrnehmungenall ihrer Handlungen. Die Eigenheitstereotyper Wahrnehmung ist, dass individuelleAbweichung und individuelle Gestaltungvon Handlungsvollzügen nicht zugelassenwerden, sondern unter das Stereotypzugeordnet und damit verleugnet werden“(Müller 1997, S. 15).Es bleibt eine Frage, inwieweit eine aufgebrocheneUnterrepräsentation hier Veränderungenbringen kann. Andere Ansätzegehen davon aus, dass nicht zuletzt dieOrganisationen selbst dazu beitragen, dassMänner und Frauen keine „Gleichen“ seinkönnen. Innerhalb der modernen Arbeitsorganisationdominiert die männliche, als`entkörperlicht´ vorgestellte Arbeitskraft(Acker 1991), die auch entsexualisiert ist,während Körperlichkeit und Sexualität aufFrauen projiziert und zugleich mit diesen –zumindest der Vorstellung nach – aus denmodernen Arbeitsorganisationen ausgeschlossenwurden. Männer scheinen prinzipiellbesser geeignet zu sein, weil sie als`geschlechtsneutrale´ Arbeitnehmer verstandenwerden; „...Frauen hingegen (gelten)als prinzipiell ungeeignet, weil sie inder kulturellen Vorstellung sexualisiertsind und außerdem ihre Körper immer irgendwieunpassend sind“ (Müller 1997, S.18). Wenn Frauen sich dann betont asexuellgeben, entgehen sie ihrem „Schicksal“,über ihre Sexualität stereotypisiert zu werden,nicht – ihnen wird dann eben einMangel an Attraktivität oder Weiblichkeitnachgesagt. Als Beispiel kann hier folgendeAussage eines Studenten angeführtwerden:„Diese Kollegin ist ein toller Kumpel, mit ihrkann man Pferde stehlen, aber als Frau kannman sie vergessen.“Diese Überlegungen liefern relevante Bezugspunktefür die Fragestellung unseresProjektes. Inwieweit charakterisiert diedurchaus plausible These der „entkörperlichten“Arbeitskraft auch den Bereich derPolizei treffend? Es scheint auch angemessen,eine in sich widersprüchliche Konzeptionvon Körperlichkeit/Entkörperlichunganzunehmen: Für die Polizei als bürokratischeStruktur gilt sicher die Abstraktionvon Körperlichkeit – für die Selektionsprozessein den Beruf und das Selbstverständniseines Teils der in ihm Tätigen istjedoch anzunehmen, dass ein bestimmterTypus von Männlichkeit oder Weiblichkeitzentraler Bezugspunkt für Selbstverständnisund Handeln darstellt (Müller/Müller-Franke 1999, S. 11).Bezugspunkte des Projekts sind also stereotypeVorstellungen und das widersprüchlicheBild im Hinblick auf die Integrationder Frauen in die Polizei. Erfolgtezunächst ihre Integration über die Zuweisungvon spezifisch als „Frauenbereiche“25


Aufsätzekonnotierten Tätigkeiten wie die Arbeit imBereich der „Sitte“ oder der Verkehrserziehung,so bildete sich aufgrund verändertergesetzlicher Regelungen – der Öffnungaller Tätigkeitsfelder für die Frauen – beimännlichen Bediensteten eine Abwehrgegen eine Aufteilung in spezifische„Männer“- oder „Frauentätigkeiten“ heraus.Diese befürworten, so Tielemann(1992), dass unangenehme Tätigkeitendann ausschließlich für die Männer reserviertblieben. Es lässt sich heute von Seitender männlichen wie weiblichen Bediensteteninsgesamt eine Tendenz feststellen, aufunterschiedslosen Einsatz von Frauen undMännern hin zu wirken, um Ungerechtigkeitaller Art zu vermeiden.Diese Aspekte sind Gegenstand unseressoziologisch ausgerichteten Forschungsprojektes,das sich an der Schnittstelle zwischenGeschlechter- und Organisationsforschungverorten lässt. Auf dem Hintergrundgesellschaftlichen und organisationalenWandels, veränderter Frauen- undMänneranteile und anhand ausgewählterAufgabenbereiche und Charakteristikapolizeilicher Arbeit fragt das Vorhabennach der Relevanz von Geschlecht innerhalbder Organisation Polizei. Für unsereUntersuchungsfragestellung ist daher interessant,ob und wann Geschlechterdifferenzhergestellt wird bzw. in welchen Kontextendies unterbleibt – kurz, spielt dasGeschlecht der Bediensteten in der Polizeieine Rolle und wenn ja, in welcher Weise(vgl. Müller/Müller-Franke 1999, Müller/Müller-Franke/Pfeil/Wilz2001)? WichtigeFragen sind daher:• Führt das Eintreten von Frauen in denPolizeidienst zu geschlechtsspezifischenPersonaleinsatzstrategien?• Findet trotz formal geschlechtsunspezifischenEinsatzes eine geschlechtsspezifischeAufteilung von Tätigkeitenoder deren Bewertung statt?• Welche Muster zeigen sich bei vertikaleroder horizontaler Betrachtungvon Segregation?• Zeigen sich differenzstärkende oderdifferenzschwächende Alltagspraktikenund Diskurselemente? Handlungsfelderkönnten hier sein: Routineeinsätze,hochbelastete Einsätze (SEK),Einsätze bei häuslicher Gewalt undVerhörsituationen.Damit kristallisieren sich drei Untersuchungsdimensionenheraus:1. die Ebene der faktischen Aufgaben-,Tätigkeits- und Positionsverteilung;2. die Ebene des Diskurses über die Ebene1 und die Probleme im Polizeiberuf (Arbeitszeiten,Belastungen, Vereinbarkeitsthematik,Mobbing, sexuelle Belästigung);3. die Ebene von Organisationswandel undorganisationellem Lernen als Kontext fürdie Ebenen 1 und 2.Unsere Kernfrage nach der Verfestigungwie nach der Auflösung geschlechtlicherKonnotationen will innerhalb des polizeilichenAlltags ins Blickfeld nehmen• mit Geschlechtsbezug „aufgeladene“Problembereiche wie Vereinbarkeitsproblematik,Arbeitszeitregelung undKarrierebedingungen;• geschlechtsdifferente Berufserfahrungen,die Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionbeobachtbar machen;• Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionenim öffentlichen Diskursüber Polizei, die als öffentlich zugänglicheSymbolisierungen die Selbstwahrnehmungvon Polizisten und Polizistinnenbeeinflussen;26


Polizei und Gender• wie die Polizei als Organisation selbstihre eigene Entscheidung zur Professionalisierungdes Polizeiberufs durchdie Einstellung von Frauen implementierthat.Zum methodischen VorgehenWir haben beschrieben, dass das Geschlechtder Beschäftigten zwar nicht unwichtigist, gleichzeitig aber nicht immerund überall in gleicher Weise und Stärkevon Belang ist oder sein muss. Aus diesemGrund erscheint auch methodisch ein Vorgehengeeignet, das verschiedene Elementebeinhaltet. Als vielversprechend hat es sicherwiesen, „harte Fakten“ und Interpretationen,die aus den Äußerungen der Befragtengewonnen werden, zu verbinden (vgl. Müller,Müller-Franke, Pfeil, Wilz 2001):• Die Analyse der Entwicklung vonFrauen- und Männeranteilen im Zeitverlaufinnerhalb der jeweiligen Landespolizei.• Ergänzend werden die Berufsverläufedreier ausgewählter Einstellungsjahrgängemittels einer schriftlichen Befragungverfolgt. Inhalte der Befragungsind nicht nur die Laufbahnentwicklung,sondern auch die beruflichenVeränderungen innerhalb derbisherigen Beschäftigung im Polizeidienst.Die Untersuchung kann Aufschlussdarüber geben, ob sich bestimmtetypische Berufsverläufe findenlassen, welches die Nahtstellenoder auch die zentralen Positionen inder Laufbahnentwicklung sind. So lassensich Vergleiche zwischen Einstellungskohorten,den Bediensteten beiderBundesländer oder auch nach Geschlechtanstellen. 33 Die Auswahl der Untersuchungsjahrgänge ist• Kernstück der Untersuchung ist dieDurchführung und Auswertung von jerund vierzig Interviews und Expertengesprächenin ausgesuchten Organisationseinheiten.Befragt werden Expertenund Expertinnen aus den BereichenFührung, Personalbeschaffungund -einsatz, Aus- und Fortbildung,psychologische oder seelsorgerischeFachdienste sowie Polizeibeamte, und-beamtinnen und Verwaltungskräfte. 4• Die Polizei steht im Blickpunkt derÖffentlichkeit. Aus diesem Grund solldie Berichterstattung über und innerhalbder Polizei anhand von vier Jahrgängenfünf bundesdeutscher Printmedien(Die Polizei, Spiegel, Stern,Die Zeit und Emma) verfolgt und analysiertwerden.Untersuchungsgegenstand sind jeweils einPräsidium bzw. eine Landespolizeidirektionin Nordrhein-Westfalen und Baden-Würtemberg. Der Auswahl der jeweiligenOrganisationseinheiten liegt eine Vergleichbarkeithinsichtlich der lokalen undpersonellen Struktur zugrunde. Mit Nordrhein-Westfalenund Baden-Württembergwurden zugleich Bundesländer gewählt,die sich hinsichtlich der Beschäftigungvon Frauen wesentlich unterscheiden:Nordrhein-Westfalen verfügt über einenrund zehnjährigen Vorlauf, Frauen wurdendort bereits 1982 in die Schutzpolizei eingestellt.Baden-Württemberg dagegen bilinhaltlichbegründet und orientiert sich am Verlaufder Integration von Frauen in die Polizei.4Die Auswertung des erhobenen Textmaterialserfolgt in einer Kombination von Elementen ausGrounded Theory, Inhaltsanalyse und Diskursanalyse,die ein inhaltlich geleitetes Herangehen in derTextauswahl und -auswertung und parallel dazu einoffenes Kodieren des ausgewählten Textmaterialsermöglicht.27


Aufsätzedet Frauen für die Schutzpolizei erst seit1987 aus.Aktuelle DiskussionslinienNachdem sich das Forschungsprojekt nochin der Erhebungsphase befindet, könnenhier keine abschließenden oder „fertigen“Aussagen getroffen werden. Wir möchtenuns deshalb vor allem auf den derzeitigenDiskussionsstand in der Polizei beziehenund geben erste Hinweise, die sich imHinblick daraus aus dem Projektzusammenhangergeben. Unser Fokus richtet sichdabei insbesondere auf zwei Aspekte: Wieverläuft die Integration von Männern undFrauen in die Polizei über einen längerenZeitraum, und was hat es – rein quantitativ– mit den Aussagen zu Frauen in Führungspositionen,zu den Ausfallzeitendurch Erziehungs- bzw. Elternurlaub aufsich? Im zweiten Abschnitt folgen wir denvorgestellten Diskussionslinien innerhalbder Polizei und greifen dabei den letztenAspekt, die variable Thematisierung vonGeschlecht unter dem Bezugspunkt„Männlichkeit und Weiblichkeit“ auf. Wirmöchten anhand von immer wieder genanntenBeispielen der Polizeibeamt/innenzeigen, wie Stereotype über Frauen undMänner herangezogen und verwendet werdenund in welcher Weise Geschlecht inder polizeilichen Arbeit zum Thema wird(oder auch nicht).Männer und Frauenanteile in der PolizeiInsgesamt gesehen lassen sich mit Blickauf die Personalstruktur der Polizei dreiwichtige Entwicklungslinien nennen: DieZunahme an Bediensteten im Vollzugsdienstinsgesamt, Verschiebungen in denLaufbahnstrukturen (ein Abbau von Stellenim mittleren Dienst zugunsten von Stellenim gehobenen Dienst) und eine deutlicheVeränderung der Geschlechterrelationen(vgl. Müller/Müller-Franke/Pfeil/Wilz2001).Der Anteil an weiblichen Polizeibedienstetenbeträgt in Nordrhein-Westfalen Endedes Jahres 2000 12,7%. Das ist ein massiverAnstieg: Bis Anfang der achtziger Jahrelag der Frauenanteil unter 2%, Mitte derneunziger Jahre betrug er knapp über 9%.In der Polizei Baden-Württemberg hat sichder Frauenanteil in den letzten dreißig Jahrenebenfalls vervielfacht. Lag er 1971noch bei 0,9%, beträgt er aktuell 9,8%(Stand 2001). Der Anteil an weiblichenAuszubildenden liegt noch deutlich höher:Er ist in Nordrhein-Westfalen Mitte derachtziger Jahre von zuvor 4,3% auf 20%gestiegen und liegt seit 1998 über 40%.Auch in Baden-Württemberg macht derAnteil von Frauen in der Ausbildung inzwischenmehr als 1/3 aus. Waren 1987 zuBeginn der Öffnung der Ausbildung zurSchutzpolizei für Frauen erst 13,7% Auszubildendeweiblich, pendelte sich dieserAnteil in Baden-Württemberg inzwischenbei rund 35% ein.Die veränderte Einstellungspolitik, die mitdem Zeitpunkt der Öffnung der Schutzpolizeifür Frauen begann, spiegelt sich vorallem auch in diesem Bereich des Polizeivollzugsdiensteswider. Der Frauenanteilhat sich in der Schutzpolizei kontinuierlicherhöht, während der Frauenanteil in derKriminalpolizei in Nordrhein-Westfalenstagniert. Hier sind Ende des Jahres 2000knapp 10% Frauen beschäftigt; ihr Anteilist damit sogar wieder leicht rückläufig. 5 In5 Zu beachten ist, dass die traditionelle Trennung inSchutz- und Kriminalpolizei in Nordrhein-Westfalenseit Mitte der 90er Jahre aufgehoben ist. Wiesich diese Strukturreform im Zahlenmaterial widerspiegelt,bedarf noch weitergehender Analysen.28


Polizei und GenderBaden-Württemberg dagegen ist ein leichterAnstieg zu verzeichnen, der allerdingsnicht den Veränderungen in der Schutzpolizeientspricht.In den Sondereinheiten der Polizei ist derFrauenanteil gering; dies trifft auf Nordrhein-Westfalenwie Baden-Württemberggleichermaßen zu. In Nordrhein-Westfalenwerden in Verhandlungsgruppen (derFrauenanteil liegt hier überproportionalhoch bei ungefähr 28%) oder MobilenEinsatzkommandos Frauen eingesetzt(Frauenanteil: um 9%). In TechnischenEinsatzgruppen und Spezialeinsatzkommandosgibt es nach wie vor keine Frauen,obwohl ihnen diese Bereiche formal offenstehen (Stand: Januar 2001). Geringer alsin den Sondereinheiten Nordrhein-Westfalenist der Frauenanteil in den SondereinheitenBaden-Württembergs; ihrAnteil beträgt aktuell 5% und ist ähnlichverteilt wie in Nordrhein-Westfalen.Über Frauen in Führungspositionen lassendie vorliegenden Daten erst einige vorsichtigeInterpretationen zu. Der Anteil anFrauen im höheren Dienst, der „Führungslaufbahn“,beträgt in NRW im Bereich derSchutzpolizei 3,9%, in der Kriminalpolizei9,4% (Stand 2000). In Baden-Württembergliegen die Anteile niedriger: In der Schutzpolizeifindet sich im höheren Dienst nureine Frau unter 193 Beamt/innen, im Bereichder Kriminalpolizei beträgt der Frauenanteil2,8% (2001). Grund für die unterschiedlichenFrauenanteile im höherenDienst könnte ein zeitlicher Faktor sein: InNRW wurden Frauen deutlich früher eingestellt,so dass es den Frauen dort ehermöglich war, diese Laufbahn einzuschlagen.Im gehobenen Dienst – dort sind mittlereFührungspositionen angesiedelt – hatder Frauenanteil deutlich zugenommen, erbeträgt beispielsweise bei der Schutzpolizeiin NRW im Jahr 2000 5,4%, bei derKriminalpolizei knapp 10%. In Baden-Württemberg beträgt der Frauenanteil imJahr 2001 2,0% in der Schutzpolizei. Beider Kriminalpolizei dagegen liegt derFrauenanteil im gehobenen Dienst mit8,6% (2001) deutlich höher. Allerdingssind hier auch Sachbearbeiterpositionen inder Regel mit Beamt/innen des gehobenenDienstes besetzt und gelten nicht generellals Führungspositionen.Ein in ersten Expertengesprächen und Interviewshäufig angesprochenes Problemsind die Ausfallzeiten von Frauen durchSchwangerschaft, Erziehungsurlaub und inFolge Teilzeitarbeit. Betrachtet man dasAusmaß der Ausfälle, zeigt sich jedoch,dass der Umfang äußerst gering ist. Sobefinden sich beispielsweise in Baden-Württemberg im Jahr 2001 267 Polizeibeamt/innenim Erziehungsurlaub, darunter5 Männer. Insgesamt macht der Anteil anBeamt/innen im Erziehungsurlaub rund 1%aller Beschäftigten im Polizeivollzugsdienstaus, rund 98% davon sind Frauen.Damit befinden sich insgesamt knapp 11%aller weiblichen Vollzugsbeamtinnen derbaden-württembergischen Polizei derzeitim Erziehungs- bzw. Elternurlaub. DerAnteil der Teilzeitbeschäftigten im Polizeivollzugsdienst6 nimmt zu; betrug ihrAnteil an allen Beschäftigten im Jahr 1996noch 0,6% (N = 133), sind es im Jahr 2001bereits 1,7% aller Beamten und Beamtinnen.Im Unterschied zur Erziehungszeit istTeilzeitarbeit jedoch nicht fast ausschließlichFrauensache: zwischen 40% und 50%der Teilzeit Beschäftigten sind Männer.6 Teilzeitarbeit bedeutet einen Arbeitsumfang vonmindestens 50%.29


AufsätzeZum aktuellen DiskussionsstandDie Diskussion um „Polizei und Gender“in der Polizei lässt sich derzeit insbesonderean vier Gegenstandsbereichen wahrnehmen:Vereinbarkeit von Familie undBeruf, sexuelle Belästigung, Frauen inFührungspositionen sowie „Männlichkeitund Weiblichkeit“ (vgl. Müller-Franke1998, 1999). Wir möchten diese Bereichekurz darstellen und zeigen, welche Anknüpfungspunktesich für das vorliegendeForschungsfeld bieten.Vereinbarkeit von Familie und BerufDie Vereinbarkeit von Familie und Beruferweist sich grundsätzlich – sowohl fürFrauen als auch für Männer – als schwierig.Das „Frauenproblem“ liegt darin, dassein gesellschaftliches Problem zum Frauenproblemgemacht wird: Der Konflikt umdie Familienarbeit wird bisher normalerweisedurch Frauen „gelöst“. Die Tatsache,dass Frauen noch immer die Hauptverantwortungfür die Arbeit im Haushalt und inder Familie tragen, scheint sich nachteiligauf ihre Akzeptanz im Beruf auszuwirken.Gerade der Beginn der Familienphase stelltfür Frauen eines der größten Probleme dar.Von männlichen Kollegen, insbesondereim Schichtdienst, werden immer wiederdie Ausfallzeiten der Frauen durchSchwangerschaft, Mutterschutz und Erziehungsurlaubproblematisiert.Die gesellschaftlich erwartete wie vonFrauen selbst empfundene Zuständigkeitfür die Familie scheint den Frauen im Berufzum Stolperstein zu werden. Das damitverbundene Angewiesensein auf bestimmteArbeitszeiten, die etwa durch Kinderbetreuungsmöglichkeitenvorgegeben werden,wirkt sich nicht gerade förderlich aufihre Anerkennung und Entfaltungsmöglichkeitenaus. Daher wird die flexiblereArbeitszeitgestaltung von Frauen undMännern gewünscht – bei Frauen sind besondersJob-sharing, Blockarbeit und Teilzeitarbeitgefragt – aber qualifizierte Teilzeitarbeitsplätzesind selten. Eine eigeneFamilie kann zudem Befürchtungen nähren,dass Frauen ihre berufliche Verantwortungnicht ernsthaft mit dem Gesamteinsatzihrer Kräfte wahrnehmen bzw.wahrnehmen können, während Männernmit der Familiengründung in der Regel einhohes Maß an Verantwortungsbewusstseinund Einsatz im Beruf zugeschrieben wird.Dass auch Männer gesetzlich angeboteneMöglichkeiten wie den Elternurlaub oderTeilzeitarbeit annehmen können, steht außerhalbder Diskussion. Diese unterschiedlicheInterpretation des gleichen Faktes –der eigenen Familie – hat also äußert unterschiedlicheKonsequenzen: WährendFamilie für Männer im Beruf positiv konnotiertist, gereicht sie Frauen zum Nachteil.In der Polizei werden insbesondere dieAusfallzeiten durch Mutterschutz und Erziehungsurlaubbzw. Elternurlaub imSchichtdienst thematisiert. Gerade bei geringerSchichtstärke ist es ein Problem,wenn Frauen ausfallen. Allerdings werden,so unsere ersten Ergebnisse der Befragung,diese Ausfälle genau registriert und benannt,während die Ausfälle (von Frauenund Männern), die durch Krankheit, Abordnungund aus sonstigen Gründen entstehen,mehr oder weniger unkommentierttoleriert werden. Diese unterschiedlicheBewertung eines faktischen Problems –Ausfälle – bedarf der genaueren Betrachtung,die im Forschungsfortgang aufgegriffenwerden soll. Eine unserer Fragen hierist: Warum werden Ausfallzeiten „vergeschlechtlicht“betrachtet, indem bei-30


Polizei und Genderspielsweise die Mutterschutzbestimmungenals für den Polizeidienst abträglicherbetrachtet werden als die langwierigenFolgen einer Miniskusoperation bei einemmännlichen Bediensteten? Lassen sichauch egalitäre Tendenzen bemerken, diez.B. das Schwangerschaftsrisiko argumentativeher abzuschwächen versuchen?Sexuelle Belästigung am ArbeitsplatzNicht zuletzt durch den Suizid einer jungenMünchener Polizistin im Februar 1999wurde das Thema ‚sexuelle Belästigung“auch in der Polizei breit diskutiert. VerschiedeneUntersuchungen haben belegt,dass an den unterschiedlichsten Arbeitsplätzen,auf unterschiedlichen HierarchieebenenFrauen und Männer belästigt werden.Insofern stellt der Arbeitsplatz Polizeikeine Besonderheit dar. Eine Studie aus1991 – im Auftrag des Bundesministeriumsfür Jugend, Familie, Frauen und Gesundheitzur Problematik von sexuellerBelästigung am Arbeitsplatz erstellt –weist allerdings berufsvergleichend daraufhin, dass Belästigungssituationen in derPolizei besonders häufig vorkämen. Dabeiseien Polizistinnen nicht zimperlich. ImVergleich etwa zu Lehrerinnen ordnen sieVorkommnisse deutlich seltener als sexuelleBelästigung ein. Dies gilt allerdingsnur für die sogenannten „harmloseren“Formen. Die „harten“ sexuellen Übergriffewerden von den befragten Polizistinnenbesonders entschieden als Belästigung eingeschätzt(BMJFFG 1991, S. 280). Dieoben genannte Studie aus Nordrhein-Westfalen, die den Arbeitsplatz Polizeinäher beleuchtet hat, kommt zu dem Ergebnis,dass etwa ein Drittel der Beamtinnenund ein Viertel aller weiblichen Beschäftigtenin der Polizei schon von sexuellerBelästigung betroffen waren (Ministeriumfür Inneres und Justiz NRW 1998).Interessant hierzu ist, dass weitere Ergebnisseder Untersuchungen darauf hinzudeutenscheinen, dass Frauen allgemein dazuneigen, sexuell gefärbte Verhaltensweisenund Situationen dann nicht als sexuelleBelästigung zu definieren, wenn sie häufigerdavon betroffen sind (BMJFFG 1991).Solches Nicht-Wahrnehmen oder Nicht-Thematisieren eigener sexueller Belästigungdient dann als Schutz vor Unzufriedenheitoder Ohnmacht oder als Mittel fürAkzeptanz in der Gruppe. Vielleicht istdies auch ein Anhaltspunkt dafür, dassviele Frauen in der Polizei über diese Fragennicht sprechen möchten oder solcheSituationen noch nicht erlebt haben wollen.Im Rahmen dieses Problemfeldes orientiertsich unsere Arbeit an der Frage nach derMöglichkeit der Verfestigung oder Auflösungvon geschlechtlichen Konnotationen.Die 1998 vorgelegte Studie aus NRW zursexuellen Belästigung am Arbeitsplatzstellt die Tatsache der sexuellen Belästigungvon Frauen ohne Wenn und Aberheraus. Zugleich stellt sie aber doch selbstden Beginn eines neuen Umgangs mit derFrage dar: Nicht mehr die einzelne Frauenbeauftragtemuss sich um das Ernstnehmendes Themas bemühen – der zuständigeMinister hat es selbst als existent benannt.Die Thematisierung von „Geschlecht“als Problem, für das sich die Organisationzuständig fühlt oder nicht, hatdamit eine neue Qualität erreicht. Die Analysedes Diskurses über sexuelle Belästigungwird Hinweise zu unserer Frage geben,ob die Präsenz von Frauen in einemmännerdominierten Kontext eher traditionalisierendwirkt oder eher eine produktiveVerunsicherung von Geschlechterkonnotationenfördert (vgl. Müller/Müller-Franke1999, S. 15).31


AufsätzeFrauen in FührungsfunktionenDie Frage nach der Situation von Frauen inFührungsfunktionen in der Polizei bzw.danach, ob mit der formalen Öffnung desPolizeiberufes für Frauen auch gleicheKarrierechancen verbunden sind, stehtnoch am Anfang ihrer Klärung. Wir wissen,dass es bisher wenige Frauen in Führungsfunktionengibt, was auch – abernicht nur – damit zusammenhängt, dass dieSchutzpolizei erst vergleichsweise spät fürFrauen geöffnet wurde.„Frauenbeschäftigung (...) kann als Spiegelgesellschaftlicher Modernisierungsprozesseangesehen werden“ (Rudolph 1997, S.30). Es eröffnen sich heute zwar Möglichkeitenzur Individualisierung von Lebensstilenauch für Frauen aufgrund gestiegenerBildungsabschlüsse und dem langsamenAufbrechen von Stereotypen. Es gibteine steigende Berufsorientierung vonFrauen und Müttern, einmal wegen derverbesserten Bildungsvoraussetzungen,aber auch wegen der Brüchigkeit der sogenannten„Versorgerehe“; dies zeigen Indikatorenwie Scheidungsquoten oder Männerarbeitslosigkeit.„Aber Frauen undMänner leben nach wie vor beruflich inweitgehend getrennten Welten“, wie „diesogenannte geschlechtsbezogene horizontaleund vertikale Arbeitssegregation“ dokumentiert,so das Fazit von Hedwig Rudolph(ebd.). Damit ist einmal gemeint,dass sich Frauen und Männer auf bestimmteBereiche des Arbeitsmarktes konzentrieren.Zum anderen meint dies auch die Fragenach der Machtverteilung, den Führungspositioneninnerhalb dieser Bereiche.Kennzeichen des sozialen Wandels ist,dass Frauen in diese sogenannten Männerberufedringen, dass sie Führungspositionenwahrnehmen wollen – verbunden ebenmit entsprechenden Problemen.Eines der Probleme für Frauen, Karriere zumachen, liegt sicherlich in der Schwierigkeitder Vereinbarkeit von Familie undBeruf, den mangelnden Strukturen für eineausreichende und gute Kinderbetreuungund insbesondere die oben genannte Zuständigkeitder Frauen für das Wohlergehender Familie. Zahlreiche Untersuchungenzeigen, dass bisher berufliche Karrierenvon Frauen mit Einbußen im Privatbereich,insbesondere mit dem Verzicht aufKinder, einhergehen. Indiz hierfür ist, soeine Studie der Universität St. Gallen aus1998, dass 34% der Führungsfrauen, abernur 4% der Männer alleinstehend seien.Nur ein Fünftel der weiblichen, aber dreiViertel der männlichen Führungskräftehaben Kinder (vgl. Sobull 1998).Befürchtungen, dass Frauen durchSchwangerschaft oder Erziehungsurlaubausfallen, lassen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmenals Fehlinvestitionenerscheinen. Bei der Besetzung von Führungspositionenlassen sich damit sogenannteEinstiegs- und Aufstiegsdiskriminierungenfestmachen. Aufgrund stereotypzugeordneter Befürchtungen werden nichtselten bei gleicher Qualifikation Männerbevorzugt eingestellt oder befördert. Dieschon oben angeführten Aspekte zur Frageder Vereinbarkeit von Familie und Berufschreiben sich damit auf der Führungsebenefort. Gütges (1997) beschreibt dies auchfür die Polizei der DDR: Obwohl formalallein die fachlichen Voraussetzungen unddie vorhandenen Stellen für den Aufstiegausschlaggebend gewesen seien, saheneine Reihe von Frauen „die Chancengleichheitfür Männer und Frauen zwar alsgegeben an, bemerkten aber, daß es fürMänner wesentlich einfacher gewesen sei,die angebotenen Chancen zu nutzen, da siekeiner Doppelbelastung unterlagen. Auf-32


Polizei und Gendergrund der größeren Unabhängigkeit vonder familiären Situation sei es für Männermöglich gewesen, mehr in den Beruf zuinvestieren. Es wurden viele Meinungengeäußert, die die Aufstiegschancen fürMänner als wesentlich besser einschätztenals für Frauen. Das traditionelle Rollenverständnisbei der Besetzung der Führungspositionenhabe funktioniert und es seihistorisch gewachsen, daß Männer mehrZeit für den Beruf investieren konnten, dasie keiner Doppelbelastung unterlagen undnicht wegen Krankheit der Kinder oderSchwangerschaft ausfielen. Außerdemwurde Männern mehr Führungskompetenzzugebilligt. Die Förderung sei auf Männerausgerichtet gewesen und sie waren inFührungsfunktionen erwünscht“ (ebd., S.21).Der letztere Gedanke leitet im Hinblick aufdie Frage nach Karrierehindernissen fürFrauen zu einem zweiten Kernaspekt über.Auf die Frage, warum so wenige Frauenbisher im Management anzutreffen seien,antworten Assig/Beck (1998): „Studien, obaus Deutschland oder anderen Ländern,zeichnen das Bild von einem männlichenFührungsklima und einer systematischenAbwertung weiblicher Leistungen.“ Siefolgern: „Der Aufstieg von Frauen in Führungspositionenist offensichtlich vorerstnur Frauen möglich, die über eine schierunerschöpfliche Fähigkeit verfügen, mitwidersprüchlichen Situationen umzugehen.Sie sind eigenen und fremden Zweifeln,Befürchtungen, Widerständen, Erwartungenund Ängsten ausgesetzt und befindensich in einem ständigen Rollen- und Akzeptanzdilemma“(ebd., S. 28). Hier gehtes um die Frage, an welchen KriterienLeistungen von Frauen zu messen sind.„Die Zuschreibung von stereotypen Verhaltenserwartungengeht stets einher miteiner Geschlechterhierarchisierung. Frauengalten eben nicht einfach als anders, sondern– was die Anforderungen der traditionellmännlichen Berufswelt angeht – alsungeeignet (...) das Verhalten des Mannesgalt als Maßstab, an dem Frauen zu messensind. Gilt hingegen der messbare Erfolgoder gilt das tatsächliche Ergebnis einesTeams als Messlatte, dann zeigt sich wiegut Frauen tatsächlich sind“ (ebd. S. 27). 7Ursula Müller (1997) stellt in diesem Zusammenhangfest, dass „(…) ein entscheidenderPunkt dabei zu sein scheint, wietraditionell das Bewusstsein der Männer ineinem Betrieb ausgeprägt ist. Traditionellesmännliches Selbstverständnis ist existentiellangewiesen auf Differenz zu Frauen“(ebd., S. 31). Sie führt an, dass es fürmännliche Personalverantwortliche einesbesonderen Selbstbewusstseins bedarf, umdas Aufsehen bei seinen Kollegen zu ertragen,wenn er sich für eine Frau einsetzt:„Hier scheint es sich um einen bisher meistverschwiegenen Tabubereich unter Männernzu handeln: Setzt sich ein Mann öffentlichfür Frauen oder gar eine Frau ein,läuft er offenbar häufig automatisch Gefahr,gehänselt, lächerlich gemacht zuwerden oder aber persönliche Interessen ander entsprechenden Frau unterstellt zu bekommen“(ebd., S. 30).Eine weitere Frage, die sich aus dem Forschungskontextergibt, ist die nach derOrganisation als derjenigen, in der Chancenvermittelt oder Wege blockiert werden;konkret: Inwieweit bekommt das Ge-7 „Frauen in Führungspositionen haben zurzeit nocheinen schweren Stand. Ihre Akzeptanz durch dieMitarbeiter ist nach Meinung von 56,7% der Befragtenschlechter als bei ihren männlichen Kollegenin vergleichbaren Positionen. Bei den Mitarbeiterinnenreduziert sich dieser Prozentsatz auf 26,0%(Polizeipräsidium München 1997, S.12f.)33


Aufsätzeschlecht der Beschäftigten eine Bedeutung,wenn es um die beruflichen Werdegängeund die Besetzung von Führungspositionengeht? Die gängige Argumentation lautet,dass angesichts der wenigen Jahre hierübernoch keine Aussagen getroffen werdenkönnen bzw. eine Veränderung in nur wenigenJahren zu erwarten sei. Ist dies allesnur eine „Frage der Zeit“ oder spielen andereAspekte eine Rolle?Männlichkeit und WeiblichkeitDie Wahrnehmung von Männern undFrauen in der Polizei scheint sich nach wievor noch an den tradierten Geschlechterrollenoder auch sogenannten geschlechtstypischenEigenschaften zu orientieren –die Frage der Wirkung von Geschlechterstereotypenund ihrer Einbindung in dieorganisatorische Praxis ist für den BereichPolizei noch näher zu klären.Polizeiliche Arbeit wird nach wie vor ehermit männlichen besetzten Attributen wieStärke, Durchsetzungsfähigkeit, Härte oderRationalität belegt – Stereotype, die auchder klassischen Führungsrolle zugewiesensind. Auch Rafael Behr (2000) beschreibtdie Polizei als hegemonial männlich geprägteKultur, in der Normen und Ritenmännlich konnotiert und von Männerndominiert sind. Andererseits scheint esgerade durch die Frauen zu Veränderungenin der Akzeptanz von weichen „Werten“wie Einfühlungsvermögen, deeskalierendenoder kommunikativen Kompetenzenzu kommen (vgl. Fachhochschule für ÖffentlicheVerwaltung Rheinland-Pfalz(Hg.) 1999, S. 29).Eine Studie der Berliner Fachhochschulefür Verwaltung und Rechtspflege (2000),scheint Anhaltspunkte dafür zu liefern,dass es grundsätzlich keine Probleme imHinblick auf den Einsatz von Frauen undMännern gebe, weist aber auch darauf hin,daß „bei gezieltem Hinterfragen jedochsehr schnell deutlich (wird), dass dieserGrundsatz wohl sehr viele Ausnahmenbeinhaltet“ und folgert: „Einerseits kannman als positiv einschätzen, dass zumindestgrundsätzlich Einigkeit darüber besteht,dass Frauen und Männer die gleicheEignung besitzen. Andererseits sind wohlüberholt geglaubte Vorurteile und Dogmennoch stärker gegenwärtig, als man es glaubenmag“ (ebd., S. 141).Polizistinnen, die mit ihrer Arbeit „ihrenMann“ stehen und anerkannt werden wollen,sehen sich häufig unter dem Druck,sich männlichen Normen, männlicherSprache, männlichen Verhaltensweisenanzupassen. Greifen sie dann möglicherweisebesonders hart durch, werden sienicht selten als Bedrohung gesehen oderals vermännlicht verunglimpft. Häufigtrifft man auf die Vorstellung, dass Polizistinnenim Kampf um die Anerkennungihrer Arbeit Teile ihrer Identität, ihresFrauseins aufgeben. Umgekehrt besteht fürdie Polizistin, die ihre Weiblichkeit betont,die Gefahr, als schwach und ungeeignet fürden Polizeiberuf angesehen zu werden.Dies scheint insbesondere für Krisen- oderStressmomente zu gelten. In diesem Kontextprägte Susan Martin schon 1979 inden USA die Begriffe POLICEwomen undPoliceWOMEN (vgl. Martin 1979, S. 314ff.). Sie beschreibt damit einen Rollenkonfliktzwischen Berufsrolle und Geschlechterrolle,in dem Frauen sich befinden undwahrgenommen werden: der Konflikt, sichzwischen tradierten Geschlechterrollen undsogenannten typisch männlichen oderweiblichen Eigenschaften entscheiden zumüssen.34


Polizei und GenderEs zeigt sich somit, dass die wenigen bisherigenArbeiten zur geschlechtsbezogenenPolizeiforschung selbst eine deutlicheGeschlechterpolarisierung voraussetzen.Unser Projekt folgt dem nicht, sondernnimmt eine komplexere Grundhaltung ein:Geschlecht kann, aber muss nicht immerzum Konflikt und zum Unterscheidungskriteriumim Arbeitsalltag werden.Männer und Frauen in der Polizei: Geschlechtspielt keine Rolle?Ausgehend von solchen Vorstellungen,möchten wir im weiteren einige Diskussionspunkteum „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“in der Polizei aufgreifen und anhandunserer bisherigen Forschungsarbeitgenauer betrachten. So werden Frauen inder Polizeiarbeit einerseits als selbstverständlichund gleichgestellt angesehen;Zugang, Laufbahn und Tätigkeitsbereicheunterscheiden sich nicht von denen dermännlichen Kollegen. Andererseits veränderndie gestiegenen und steigenden Frauenanteilenicht zwingend die Diskussionenum die Relevanz von Geschlecht in derpolizeilichen Arbeit, im Gegenteil. Nachwie vor wird im Zusammenhang mit Frauenin der Polizei über deren Eignung odermangelnde Eignung, Einsatzfähigkeit, besondereFähigkeiten und ihre Verwendbarkeitdiskutiert. Zwar haben zahlreiche Untersuchungender Länder im Vorfeld derÖffnung der Schutzpolizei bestätigt, dassFrauen wie Männer uneingeschränkt fürden Polizeidienst in Frage kommen – inder polizeilichen Alltagspraxis allerdingsist das Geschlecht der Beschäftigten nachwie vor von Bedeutung (vgl. Würz 1993).Wir möchten im weiteren anhand von typischen,oft genannten Beispielen darstellen,wie Geschlechterstereotype in verschiedenerWeise herangezogen und verwendetwerden. 8„Im Grunde genommen werden wir „so‘nbisschen sondergehandelt“Die Frage nach Gleichheit oder Gleichwertigkeitentzündet sich immer wieder in derDiskussion um „Frauenstreifen“. Ausgehendvon diesem Beispiel lässt sich zeigen,wie heterogen und aus welchen Perspektivendie Frage nach Gleichheit und Differenzvon Männern und Frauen in der Polizeibetrachtet werden kann.„Frauenstreifen“ sind oftmals Gegenstandäußerst unterschiedlicher Aussagen. Eswird angesprochen, ob diese akzeptabel,sinnvoll und „sicher“ genug seien odernicht. So antwortet eine Polizeibeamtin aufdie Frage, ob ihr Unterschiede aufgefallenseien, wenn sie mit Frauen oder MännernEinsätze fahre:„ (…) im Grunde genommen machen wir dashier auf der Wache so, dass wir eigentlich immergemischte Besatzungen haben – manchmallässt es sich nicht ändern, dass wir auch,dass ich mit ‘ner weiblichen Kollegin auchrausfahr’. – Ja, grundsätzlich wird das von denKollegen so akzeptiert, wenn wir rausfahren.Allerdings haben sie auch immer ein wachesAuge, wenn wir irgendwelche Einsätze haben,da fahren sie dann ganz gerne als zweiten Wagenimmer mit. Also, im Grunde genommenwerden wir so ‘n bisschen sondergehandeltund im Grunde genommen haben sie, ja, lassensie uns gern, nicht gerne zusammen rausfahren.“(POM’in NRW)Auf die Frage der Interviewerin, warumdas so sei, sagt sie:8 Die folgenden Zitate und Beispiele stammen auseiner projektvorbereitenden Lehrforschung zumThema „Organisation und Geschlecht am Beispielder Polizei“ an der Universität Bielefeld. Hierfürwurden zu unterschiedlichen ThemenbereichenPolizisten und Polizistinnen in NRW befragt.35


Aufsätze„Weil sie Angst (um uns) haben!... Sie (diemännlichen Kollegen) halt doch immer sicherer(sind), wenn wir ein gemischtes Team sind(...) irgendwie im Hintergrund, na da fahr‘ ichzur Unterstützung mal hin.“ (POM’in, NRW)Ein typisches Phänomen ist beispielsweiseder immer wiederkehrende Hinweis darauf,dass reine Frauenstreifen prinzipiellmöglich seien und dies im Alltag der Polizeiarbeitauch vorkomme, dass es keinerleigeschlechtsspezifisch geprägte Muster derEinsatzverteilung gebe und immer praktischeKriterien – Zufall, Nähe zum Einsatzort,Verfügbarkeit – die Entscheidung desArbeitseinsatzes leiten. Das Geschlecht derStreifenbesetzung könne der Kollege amFunk nicht abschließend erkennen. Geradedeshalb aber wird auf die Vorzüge der „gemischtenStreifen“ verwiesen: Nicht nurdie universelle Einsatzfähigkeit (z.B. beider Durchsuchung von männlichen undweiblichen Personen), sondern auch diespezifischen Fähigkeiten und Stärken vonMännern und Frauen kämen dort am bestenzur Geltung. Diese sind entlang derbekannten Stereotype über Männer undFrauen formuliert: Frauen seien einfühlsam,wirkten deeskalierend, Männer könntendagegen Konflikte auch körperlichbesser austragen. So wird mit der geringerenKörperkraft von Frauen argumentiert,die sie in der Konfrontation mit einem potentiellgewalttätigen „polizeilichen Gegenüber“mindestens benachteilige, wennnicht sich selbst und andere gefährde. Alspositiv wird dem gegenübergestellt, dassFrauen zwar körperlich benachteiligt seien,jedoch durch ihre kommunikativen Fähigkeitenso manchen „Widerstand“ ohneKörpereinsatz auflösen könnten. Für alldiese Beispiele werden aber auch Gegenbeispielegenannt. So gibt es den kleinen,schwachen, ängstlichen Kollegen; einen,der gut mit Kindern umgehen kann; wieauch die resolute Polizistin – doch all dieseindividuellen Eigenschaften und Fähigkeitengelten im Zusammenhang mit der polizeilichenArbeit eher als Ausnahme vonder Regel. Nur am Rande sei vermerkt,dass uns auch Beispiele erzählt wordensind, die von grosser Körperkraft der weiblichenBediensteten zeugen, beispielsweiseim Falle des Herauszerrens eines betrunkenenAutofahrers aus seinem Auto, umihn am Weiterfahren zu hindern, durcheine körperlich eher kleine Polizistin.Ein zweiter argumentativer Aspekt liegtnicht in den potentiellen Gefahren undRisiken und der daraus resultierendenNotwendigkeit, (mindestens) einen Mannim Streifenwagen zu haben, sondern in derfehlenden Akzeptanz, die Polizistinnen inmanchen Bevölkerungsgruppen hätten.Beispielhaft hierfür sind die „türkischenFamilienstreitigkeiten“. So erläutern mehrereBefragte, Frauen würden als Gesprächspartnerinnennicht akzeptiert und esmüsse abgewartet werden, bis ein männlicherBeamter hinzukomme. Hier scheintnicht die Sorge um die Kollegin, die Eigensicherungoder die Furcht der männlichenKollegen, eine Kollegin könnte ihrerAufgabe nicht gewachsen sein, im Vordergrundzu stehen, sondern zentral wird daspolizeiliche Gegenüber, dessen Wünscheund Vorstellungen von Geschlecht. Betontwerden muss hier jedoch, dass es sich umAussagen in Interviews handelt, was zunächstoffen lässt, ob dem Gesagten eineim Arbeitsalltag immer wiederkehrendeErfahrung entspricht.Das Beispiel um die „Frauenstreifen“ stehtexemplarisch für den Konflikt um„Gleichheit“ oder „Gleichwertigkeit“. DieDifferenz zwischen Männern und Frauengilt zumeist unhinterfragt, währendzugleich versucht wird, keine Bewertung36


Polizei und Genderdamit zu verbinden. Die Devise „andersaber gleich (gut)“ steht für die Haltung derBeamten und Beamtinnen Pate. Betrachtetman diese Aussagen genauer, zeigen sichBrüche in der Argumentation: Die Gleichwertigkeitder Unterschiedlichkeit gilt nurdiskursiv, in der Praxis gewichten sich diezugeschriebenen Kompetenzen von Männernund Frauen in verschiedener Weise:Die körperliche Dominanz scheint immervon Vorteil, durch kommunikative Fähigkeitenlässt sich ein Mangel davon zwar inbestimmten Krisensituationen ausgleichen,aber nicht immer. Somit ist eine Betonungder Kommunikationsfähigkeit zwar sinnvoll,ersetzt aber nicht körperliche Dominanz.Einen Schritt weiter lässt sich dieseBewertung ziehen, folgt man der Relativierungdieser „grundlegenden weiblichenKompetenz“ im Zusammenhang mit dempolizeilichen Gegenüber, das sich zwarvielleicht nicht körperlich zur Wehr setzt,aber schlichtweg die Polizistin als Gegenüberverweigert. Fähigkeiten hin oder her –zentraler Bezugspunkt wird, toleriert auchdurch die Kollegen, das Geschlecht derBediensteten.Diese starke Betonung körperlicher Aspekteerscheint interessant. Wirft doch geradeder immer wieder zitierte Hinweis auf dieunterschiedlichen körperlichen Voraussetzungenvon Männern und Frauen die Frageauf, welche Bedeutung „Körperlichkeit“im Hinblick auf die Herstellung von Geschlechtin der polizeilichen Arbeit hat.„Männer sind einfach stärker“Unbestritten ist in der Polizei die körperlicheÜberlegenheit männlicher Polizeibeamter;sie kommt insbesondere im Sinnbilddes „Widerstandes“ oder auch am Beispielvon Demonstrationseinsätzen zumTragen. In der Vorstellung einer Situationkörperlicher Bedrohung, die es erfordert,dem polizeilichen Gegenüber mit Körperkraftzu begegnen, wird von Frauen wievon Männern die körperliche Überlegenheitmännlicher Polizeibediensteter betont.Geht es etwa darum, den anderen zu Bodenzu zwingen und dort auch zu halten, ist esStärke oder schlicht das höhere Körpergewicht,das einem männlichen Beamten insolchen Situationen hilfreich sein könnte?Auf die sodann angesprochene Frage, obnicht häufig Körperkraft und/oder -gewichtdurch Technik ausgeglichen werden könne,wird von den weiblichen Beamten derAspekt des Trainings angesprochen. Diesportliche Ausbildung in der Polizei giltweitgehend mit der Grundausbildung alsabgeschlossen; Dienstsport ist jedoch Bestandteildes Dienstes und wird von Frauenund Männern gemeinsam betrieben. Unterschiedebestehen in den sportlichen Anforderungen;Männer müssen etwa für dasSportabzeichen mehr leisten. Das, so einebefragte Beamtin, liegt an den körperlichenMerkmalen, die „einfach anders“ seien. 9Die in der Vorstudie Befragten berichten,dass weitere körperliche Ausbildungen imRahmen eines regelmäßigen Schießtrainingserfolgen – sofern es stattfindet, wieeine Polizistin anmerkt – nicht jedoch aufder Ebene von Selbstverteidigung und9 Gerade am Beispiel der geschlechtlich differenziertenAnforderungen in den Sportprüfungen entzündetsich die Diskussion um Gleichheit undGleichstellung. Argumente wie „wenn sie (dieFrauen) das Gleiche machen wollen, das gleicheGeld bekommen, sollen sie auch das Gleiche leistenwie wir“ oder „Verbrecher laufen immer gleichschnell – also müssen auch Polizistinnen genausoschnell laufen können wie die männlichen Kollegen“.Gegenargumente sind der Hinweis auf diesonstigen sportlichen Prüfungen wie Olympia, dieebenfalls entsprechend der physikalischen Unterschiedezwischen Frauen und Männern differenzieren(vgl. auch Pfeil 2003).37


AufsätzeKampfsporttechniken. Einige Beamte gebenan, sich in Sachen Selbstverteidigungund körperlicher Durchsetzung in privatbesuchten Kursen fit zu halten. In der Praxiswird fehlende körperliche Übung vonmännlichen Polizeibediensteten durchKörperkraft oder -gewicht ausgeglichen,eine Möglichkeit, die den weiblichen Bedienstetenim Durchschnitt seltener offensteht.Damit kann sich andeuten, dassdie zunächst unwidersprochen thematisiertekörperliche Unterlegenheit weiblicherBediensteter in speziellen Einsatzsituationensich auf bestimmte Aspekte von Körperlichkeitbezieht: Stärke und Gewicht.Verzichtet die Organisation tatsächlichdarauf, durch Technik und Training systematischfür Ausgleich zu sorgen, kann diesals Hinweis darauf gedeutet werden, dasssie selbst Geschlechterdifferenz (re-)produziert.„Frauen schießen einfach besser“Das Argument, dass Männer im Hinblickauf die sportlichen Leistungen anders beurteiltwerden als Frauen und dies eine Folgekörperlicher Unterschiede ist, wird in einemanderen Fall diskursiv gewendet. DieUnterschiedlichkeit, die vorhanden ist,wird nicht übertragen auf ein anderes zentralesElement des Polizeidienstes: denUmgang mit der Waffe. Die Nutzung vonWaffen wird üblicherweise Männern zugeschrieben.Und doch, so eine Beamtin, istSchießen keine rein männliche Angelegenheit:„Interessant ist, beim Schießen, dass Frauengenerell besser schießen als Männer“ und erklärt:„(...) vielleicht, weil viele Männer einfachsoo zu lässig da ran gehen oder so (...)und Frauen sich einfach besser konzentrierenkönnen oder einfach ‘n ruhigeres Händchendafür haben, aber es ist ganz oft gewesen, so,also nicht grundsätzlich? Aber man hat schoneinige Fälle, zwischen, wo man wirklich sagt,Mensch, schießt der schlecht.“Sie ergänzt:„Vielleicht ist im Hinterkopf ‘n bißchen, dassman ‘ne Frau ist und dass man eigentlich, so,ja, der Polizeiberuf ja doch eigentlich mal wasfür Männer nur war. Und das hört man schonmehr oder weniger scherzhaft dann auch, nurzwischendurch, aber man hört es einfach zwischendurchmal, ne?“ (PK’in, NRW)Die unterschiedlichen Ergebnisse zwischenMännern und Frauen bekommen hier einneues Gewicht. Frauen erweisen sich besserin einem Bereich wie dem Schießen,der als grundlegend männlich verstandenwird. Unterschiede werden auf die innereHaltung zurückgeführt – Lässigkeit versusKonzentration – und möglicherweise wiederumauf körperlichen Differenzen – zumindestist die Formulierung „ruhigesHändchen“ eine, die Körperlichkeit aufgreift.Die Beispiele zeigen die Widersprüchlichkeitder Argumentation um dieKörperlichkeit von Männern und Frauen.Sind Frauen wie Männer in der Lage, diebestehenden Aufgaben gut zu bewältigen,scheint Körperlichkeit kein Thema zu sein.Sind Frauen – aus welchem Grund auchimmer – in einem bestimmten, bis dato„männlichen“ Bereich in der Mehrzahlbesser als ihre männlichen Kollegen,kommt es zu einer Umdefinition, die ebenfallsauf Geschlechtsstereotypen zurückgreift:Frauen haben eben das „ruhigereHändchen.“ Schießen wird nicht als (körperliche)Aufgabe definiert, sondern alsBereich, der mit Hilfe spezifischer Fähigkeitenzu bewältigen ist – und scheinbarsind es die „weiblichen“ Fähigkeiten, dieden Erfolg in diesem Bereich ausmachen,während die bislang für den Erfolg nötigenEigenschaften wie Kraft, um die Waffesicher zu halten, Schnelligkeit und insbe-38


Polizei und Gendersondere Körperbeherrschung und Rationalität,in den Hintergrund gedrängt werden.Wie sich an den genannten Beispielen zeigenlässt, sind Geschlecht und Geschlechterdifferenzdurchaus variabel. So entscheideneinmal physische, nicht erworbeneFähigkeiten über die Einsatzfähigkeitder Polizeibeamten und -beamtinnen, imanderen Fall sind es die religiösen undtraditionellen Werte des polizeilichen Gegenübers,die für die Einsatzfähigkeit eineRolle spielen. Greifen dieselben physischenUnterschiede nicht, um bestimmteSachverhalte zu erklären oder anzuerkennen– die (gleich)guten Schießergebnisseder Frauen –, werden andere körperlicheMerkmale herangezogen wie etwa „dasruhige Händchen“. In anderen Situationen,wo vielleicht genau diese Fähigkeit gefragtwäre – vorstellbar wäre der Einsatz in einemSondereinsatzkommando – geltenwieder andere Begründungszusammenhänge.Deutlich wird aber auch, dass derVerweis auf unterschiedliche Körperlichkeitkeineswegs immer eine Minderbewertungder weiblichen Bediensteten transportiert;auch Aufwertungen und die Konstruktionvon weiblicher Überlegenheitsind mit diesem Mittel denkbar.„Frauen vernehmen die Opfer, Männerdie Täter“Die bisherigen Ausführungen richtetensich insbesondere auf Variabilität und Flexibilitätder Herstellung von Geschlechterunterschiedenauf der diskursiven Ebene.Doch welche Bedeutung hat die unterschiedlicheZuschreibung von Eigenschaftenund Fähigkeiten in der konkreten Polizeiarbeit?Einerseits gibt es in der Polizeikeine formale, organisatorisch angelegteTrennung in Männer- und Frauenaufgabenbereicheund -tätigkeiten mehr. Andererseitszeigt sich, dass im Alltag der Polizeiarbeitdurchaus Vorstellungen über unterschiedlicheFähigkeiten, Qualifikationen,Erfahrungen und Neigungen vonMännern und Frauen bestehen. Männernwerden Eigenschaften wie Dominanz,Durchsetzungsfähigkeit, Rationalität, kontrollierteEmotionalität und große körperlicheLeistungsfähigkeit zugeschrieben; als„weibliche“ Eigenschaften werden bspw.Einfühlungsvermögen, kommunikativeKompetenz, emotionale Intelligenz, Deeskalationsfähigkeitund Geduld betrachtet.Studien aus den Niederlanden oder ausGroßbritannien beschreiben z.B., wie sichunter einem „Diskurs der Gleichheit“(Schreurs et. al. 1998) eine starke Aufgabenteilungvon Polizisten und Polizistinnenverbirgt. 10 Die ersten Interviews und eineFragebogenauswertung in unserer Lehrforschungsveranstaltungan der UniversitätBielefeld zeigen: Einerseits nehmen Männerund Frauen dieselben Aufgaben wahr,erfolgt die Aufgabenzuweisung nach demZufalls- und Anwesenheitsprinzip und gibtes auch keine signifikanten Unterschiedein den „Vorlieben“ für bestimmte Tätigkeitenzwischen weiblichen und männlichenBeamt/innen. Andererseits gibt es ständigkleine Abweichungen, Legitimationen,auch Widersprüche, die darauf hinweisen,dass Männer und Frauen doch eher in „typischen“Bereichen tätig sind, es sein wollenund sich dafür auch geeigneter halten:Wo es um Frauen, Kinder und Jugendlichegeht, sind eher Frauen gefragt, weil es ihrenNeigungen, ihrer Lebenserfahrung undihren spezifischen Kompetenzen entspricht.Wo es um gewalttätige Demonstrationen,Verfolgungen oder Gewalt geht,10 Vgl. Holdaway/Parker (1998), Schreurs et al.(1998).39


Aufsätzesind entsprechend eher Männer erwünscht.So wird beispielsweise die Vernehmungvon Zeug/innen und die Betreuung vonOpfern von Polizeibeamtinnen signifikanthäufiger als Aufgabe, die sie öfter wahrnehmen,benannt als von männlichen Beamten.Sie halten sich auch öfter als Männerdafür geeignet, diese Aufgaben auszuüben,während Männer signifikant häufigerals Frauen eine Neigung und Eignung zurVernehmung von Tätern angeben. Auchdie Auswertung von qualitativem Interviewmaterialbestätigt dies:„Mädchen werden grundsätzlich von Frauenvernommen, bei Jungs läuft es so, dass vielesagen, ja, ‘ne Frau, die wird da von allen gebraucht,aber die Jungs ab einem bestimmtenAlter schon Probleme hatten, dieser Frau diesesErniedrigende zu erzählen. Und ich kannauch nicht sagen, ich war auch mal ein Junge.Ich kann mir vorstellen, wie Du da gefühlthast. Da haben wir dann gesagt, Jungen kriegenein Team angeboten und sollen sich überlegen.“(Kommissariat Prävention NRW)Dadurch, dass die Befragte einen differentenErfahrungshintergrund von Mädchenund Frauen und von Jungen und Männernzum zentralen Bezugspunkt ihrer Argumentationmacht, konstruiert sie in derOrganisation polizeilicher Arbeit zweierlei:Einerseits grundlegende geschlechtsspezifischeDifferenzen zwischen Jungenund Mädchen, Männern und Frauen, diemöglicherweise durch die polizeiliche Praxisverfestigt werden. Mädchen werden,wenn möglich, von einer Polizeibeamtinvernommen, während Jungen selbst entscheidendürfen, mit wem – einem Mannoder einer Frau – sie reden wollen. Andererseitszeigt das Beispiel die in der Organisationvorgenommene geschlechtsspezifischgeprägte Praxis des Arbeitseinsatzes,indem weibliche Polizeibeamte durch solcheVorgehensweisen zwangsläufig häufigerals männliche Beamte mit Mädchenbzw. Frauen als Opfer sexueller Gewaltsprechen.Problematisch an solchen Argumentationen,die von Männern wie Frauen gleichermaßengebraucht werden, ist, dass siezum „Selbstläufer“ werden können. Esbestätigt sich scheinbar in der Arbeitspraxis,was immer schon bekannt war – dieunterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeitenvon Männern und Frauen. Diesewerden zur Grundlage genommen, um diegeschlechtsspezifische Aufgabenteilungnicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auchzu legitimieren und festzuschreiben – ohnewirklich eine gesicherte Grundlage zu haben.AusblickDeutlich wird anhand der aufgeführtenBeispiele, wie schwierig Aussagen überdie Relevanz der Geschlechtszugehörigkeitder Bediensteten sind. Wird einerseits dieArbeit völlig unabhängig vom Geschlechtder Beamten erledigt, wird an anderer StelleGeschlecht zum Dreh- und Angelpunktder Arbeitsorganisation. Im normalen Berufsalltagist das Geschlecht der Polizeibeamt/innenkein Thema – allerdingsscheint sich dies in belastenden Situationenoffensichtlich wieder umzukehren, insbesonderedann, wenn eine Frau „versagt“.Dann wird die Diskussion über die Eignung,den Sinn und der Nutzen von Frauenin der Polizei wieder aufgemacht. 11 Weiterhinscheint eine größere Sichtbarkeitvon Frauen in Bereichen, in denen sie unterrepräsentiertsind, eine Rolle zu spielen.Diskussionen mit Polizeibeamt/innen verweisendarauf, dass in Gruppen oder11 Geschlecht „an sich“ ist nie ein Thema, thematisiertwird ausschließlich das Geschlecht der weiblichenBeamtinnen.40


Polizei und GenderSchichten, in denen nur eine oder wenigeFrauen vertreten sind, es häufiger einThema zu sein scheint, „inwieweit die Frauihren Mann steht.“ Es scheint also eineReihe von Aspekten zu geben, die aufGleichheit und auf Differenz verweisen –weiterzuführen ist hier die Analyse, inwieweittatsächlich quantitative Verteilungenoder unterschiedliche Kontexte vonRelevanz sind. Die Spannung zwischenGleichheit einerseits und Differenz zwischenden Geschlechtern andererseits istein zentrales Thema in der Diskussion desZusammenhangs von Organisation undGeschlecht. Unser erster Blick auf das empirischeMaterial zeigt auch für den Bereichder Polizeiarbeit ein ausgeprägtesSchwanken zwischen Gleichheit – Männerund Frauen sind bei der Polizei gleich undgleichgestellt – und Differenz zwischenden Geschlechtern in ganz verschiedenenAusprägungen – Männer und Frauen sindgleichwertig, aber unterschiedlich. Wiesymmetrisch oder asymmetrisch das Verhältniszwischen Männern und Frauen ist,wie das Verhältnis von Gleichheit und Differenzbestimmt ist und in welchem ZusammenhangGeschlecht und organisatorischeProzesse innerhalb der Polizei stehen,muss also weiter empirisch geklärt werden.Vieles spricht dafür, Organisationen – unddamit auch die Polizei – weiterhin alsstrukturell „vergeschlechtlicht“ anzunehmen;neuere Untersuchungen zeigen aberebenso auf, dass Geschlecht in Organisationennicht immer und nicht durchgängigsystematisch von Bedeutung ist. DieserFrage weiter nachzugehen, bleibt Aufgabedes laufenden Forschungsprojekts. 12Literaturverzeichnis:Acker, J.: Hierarchies, Jobs, Bodies: in: Lorber,J./Farell S. A.: The Social Construction of Gender,London/New Dehli, S. 162 ff.Albrecht, C.: Entwicklung des FrauenberufsbildesPolizistin, in: Deutsches Polizeiblatt, Fachzeitschriftfür die Polizei in Bund und Ländern,3/1996, S. 2 ff.Assig, D./ Beck, A.: Was hat sie, was er nicht hat?Forschungsergebnisse zu den Erfolgen von Frauenin Führungspositionen, in: Aus Politik undZeitgeschichte B 22-23/1998, S. 23 ff.Behr, R.: Cop culture, Opladen 2000Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen undGesundheit: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.Band 260 Schriftenreihe. Stuttgart, Berlin,Köln, Mainz 1991.EuGH-Urteil vom 11. November 1997, RechtssacheC-409/95.Entschließung des Europäischen Rates zum Schutzder Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz,90/C 157/02, 27.6.1990, Ziffer 1.Franzke, B.: Was Polizisten über Polizistinnen denken.Ein Beitrag zur geschlechtsspezifischen Polizeiforschung,Bielefeld 1997.Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung – FachbereichPolizei – Rheinland-Pfalz (Hg.): Was verändernFrauen in der Polizei?, Büchenbeuren1999.Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung undRechtspflege – Fachbereich Polizeivollzugsdienst– Berlin (Hg.): Projektarbeit: Frauen in der BerlinerSchutzpolizei – Gleichberechtigte Kolleginnenoder geduldete Mitarbeiterinnen, Berlin 2000.Gintzel, U.: Frauen und Männer in der Polizei, in:Deutsches Polizeiblatt 3/1996.Gütges, K.: Polizistinnen vor und nach der Wende.Ein Vergleich, Amersfoort 1997.Hamm, B.: Frauen in der Schutzpolizei. Erfahrungswerte,in: Bereitschaftspolizei heute 4/1993.Hazenberg, A.: Gleichwertige Partner bei ungleichenVoraussetzungen, in: Müller-Franke, W./ Steiner,W. (Hg.): Frauen in der Polizei. Seminarbericht,Villingen-Schwenningen 1996, S. 13 ff.Holdaway, S./Parker, S. W.: Policing Women Police.Uniform Patrol, Promotion and Representation inthe CID, in: British Journal of Criminology, Vol.38, No. 1, 1998.Kuhlmann, E./Kutzner, E./Müller, U., Riegraf,B./Wilz, S.: Organisationen und Professionen alsProduktionsstätten der Geschlechter(a)symmetrie,in: Fritsche, B. (Hg.): Geschlechterverhältnis imsozialen Wandel, Opladen <strong>2002</strong>.12 Dieser Beitrag erscheint im Herbst <strong>2002</strong> auch ineiner ausführlicheren Version unter dem Titel „Polizeiund Gender - Genese, Stand und Perspektivendes DFG-Forschungsprojektes ‚Geschlechterkon-struktionen im Organisationswandel am BeispielPolizei’“ als Bestandteil der Schriftenreihe derPolizei-Führungsakademie Münster-Hiltrup.41


AufsätzeMartin, S.E.: POLICEwomen and policeWOMEN:occupational role dilemma and choices od femaleofficers, in: Journal of Police Science and Administration(1979) 7, S. 314 ff.Meggeneder, O.: Abara Kadabara – is a Kibara aHabara? Zur Arbeitssituation von Polizistinnen.Linz 1996.Ministerium für Inneres und Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen:Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.Eine Untersuchung bei der Polizei inNordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1998.Müller, U./Müller-Franke, W.: Geschlechterkonstruktionenim Organisationswandel am Beispiel derPolizei: Antrag im DFG-Schwerpunktprogramm„Professionalisierung, Organisation und Geschlecht“,Bielefeld 1999.Müller, U./Müller-Franke, W./Pfeil, P./Wilz, S.:Geschlechterkonstruktionen im Organisationswandelam Beispiel der Polizei: Fortsetzungsantragim DFG-Schwerpunktprogramm „Professionalisierung,Organisation und Geschlecht“,Bielefeld 2001.Müller, U.: Frauen und Führung – eine etwas andereBeziehung? In: Müller-Franke, W./Steiner, W.(Hg.): Frauen in der Polizei. Seminarbericht zum3. Seminar „Frauen in der Polizei“, Villingen-Schwenningen 1997, S. 9 ff.Müller, U.: Asymmetrische Geschlechterkultur inOrganisationen – mit Beispielen aus Betriebenund der Universität, in: Zeitschrift für Personalforschung,12. Jg., Heft 2, 1998.Müller-Franke, W: Frauen in der Polizei – Barrierenund Perspektiven, in: Polizei-Führungsakademie(Hg.): Frauen in Führungsfunktionen in der Polizei.Seminarbericht, Münster 1998, S. 52 ff.Müller-Franke, W.: Frauen in der Polizei – Aspektezum Spannungsverhältnis von Verfassungsnormund Verfassungswirklichkeit, in: Gedächtnisschriftfür Hagen Gülzow, Konstanz 1999, S. 342ff.Nienhaus, U.: Einsatz für die „Sittlichkeit“: Die Anfängeder weiblichen Polizei im WillhelminischenKaiserreich und in der WeimarerRepublik, in: Lüdtke, A. (Hg.): „Sicherheit“ und„Wohlfahrt“. Polizei, Gesellschaft und Herrschaftim 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1992, S.<strong>24</strong>3 ff.Nienhaus, U.: Die Geschichte der Frauen in der Polizeiund ihre aktuelle Situation, bisher unveröff.Referat, Villingen-Schwenningen 1997.Nienhaus, U.: Nicht für eine Führungsperson geeignet.Josefine Erkens und die Anfänge der weiblichenPolizei in Deutschland 1923-1933, Münster1999.Pfeil, Patricia: Geschlechterverhältnisse und Geschlechterkonstruktionenin der Polizei. Dissertation[erscheint voraussichtlich: Herbst 2003].Polizeipräsidium München. Zentraler PsychologischerDienst (Hg.): Frauen in der uniformiertenPolizei. Eine explorative Studie, München 1997.Preuss, S.: Begegnungen: Die Personalchefin vonIBM, in: F.A.Z. vom 5.3.2001.Rudolph, H.: Frauenförderung – Notwendigkeit,Ansatzpunkte, Erfolge, in: Politische Studien5/1997, S. 32 ff.Schreurs, P.: The division of labor and inequalitiesbetween the sexes: an ideological dilemma (Paperpresented to the Gender, Work and OrganizationConference), Manchester 1998.Sobull, D.: Führen Frauen anders? Studie der UniversitätSt. Gallen geht den gängigen Vorurteilenauf den Grund, in: Die Welt vom 22.8.1998, S.BR 1.Sozialministerium Baden-Württemberg: „GenderMainstreaming“ in der Beschäftigungspolitik derEuropäischen Union, Stuttgart 2001.Tielemann, K.: Veränderungen von Rollenbilderndurch Frauen in Männerberufen, Diplomarbeit,Berlin 1992.Wilz, S.: Organisation und Geschlecht. StrukturelleBindungen und kontingente Kopplungen, Opladen<strong>2002</strong>.Würz, J.: Frauen im Vollzugsdienst der Schutzpolizei,Frankfurt/M., 1993.Kontakt:Dr. Sylvia M. Wilz, Universität Bielefeld, Fakultätfür Soziologie, Postfach 100131, 33501Bielefeld. Email: sylvia.wilz@uni-bielefeld.de42


___________________________________________________________________________Anina Mischau, Caroline KramerFormell integriert – faktisch marginalisiert?Die Rolle von Gleichstellungsbeauftragten in Planungsprozessen in Rheinland-Pfalz______________________________________________________________________________________Dieser Beitrag zeigt zum einen auf, dass zwischen der formellen und der faktischen Integrationvon Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten in Rheinland-Pfalz im Bereich der Stadt- undRegionalplanung eine deutliche Kluft liegen kann. Die Auswertung eines Expertinnengesprächslässt den Prozess der Marginalisierung, dem Frauen in diesen Ämtern ausgesetztsind/sein können, deutlich werden. Zum anderen werden Mechanismen der Diskriminierungund Gegenstrategien aufgezeigt, die in Forderungen nach Vernetzung der Akteurinnen, Engagementvon Bürgerinnen und frühzeitige Einmischung münden.EinleitungWird der Blick auf die gesetzliche Verankerungvon „Frauenbelangen in der Planung“gewendet, sieht die „Erfolgsbilanz“in Rheinland-Pfalz, im Vergleich zu denmeisten anderen Bundesländern, recht gutaus. Die Berücksichtigung von Frauenbelangenin der rheinland-pfälzischen Gesetzgebungin den Bereichen Planung undÖPNV und die damit zum Teil erhöhtenPartizipationsmöglichkeiten von Bürgerinnenoder Gleichstellungsbeauftragten sagenjedoch noch nichts über die Erfolgschanceneiner tatsächlichen Umsetzungvon Frauenbelangen in Planungsprozessenaus. Erfahrungen von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragtenüber ihre Rolle undHandlungsspielräume in Planungsprozessenzeigen häufig, dass trotz gesetzlicherGrundlagen und administrativer Ansätzeihrer Beteiligung, ihre Integration in Planungsprozessenund damit die reale Umsetzungvon Frauenbelangen in der Planungnur zu häufig an der Ignoranz oder„Besitzstandswahrung“ der jeweiligen Planungsbehördenoder -ämter und deren zumeistmännlicher Besetzung scheitert. ImFolgenden werden zunächst kurz die gesetzlichenGrundlagen zur Berücksichtigungvon Frauenbelangen in der Planungin Rheinland-Pfalz skizziert. Den Schwerpunktdes Beitrags bildet sodann die Darstellungder Ergebnisse aus einer Expertinnenrundemit kommunalen Frauen- bzw.Gleichstellungsbeauftragten, die die Autorinnenim Rahmen eines mehrstufigen Forschungsprojektes1 durchgeführt haben. Im1 Innerhalb des Forschungsprojektes führten dieAutorinnen im Auftrag des Ministerium für Kultur,Jugend, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz nacheinanderin den beiden Regionen Rheinpfalz undRheinhessen-Nahe eine schriftliche Befragung vonGleichstellungsbeauftragten und Planer/innendurch. In dieser quantitativen Untersuchung wurdeu.a. die Aufgabengebiete des Amtes/der Tätigkeit,Erfahrungen mit dem Thema „Frauenbelange in derPlanung“, sowie die Dauer und Arten der Zusammenarbeitzwischen kommunalen Frauen- undGleichstellungsbeauftragten und kommunalen Planungsbehördenbzw. -ämtern erhoben. Dabei stelltesich u.a. heraus, dass Gleichstellungsbeauftragtenaus verschiedenen Gründen der Zugang zu Planungsthemenund Planungsgremien schwer fällt43


AufsätzeZentrum dieser Expertinnenrunde stand dieReflexion der eigenen Erfahrungen derTeilnehmerinnen mit der Thematisierungund Umsetzung von Frauenbelangen in derPlanung im Rahmen ihrer Tätigkeit alsFrauen- und Gleichstellungsbeauftragteunterschiedlicher kommunaler Ebenen.Ausblickend werden am Ende des Beitrageszentrale Ergebnisse aus diesem Expertinnengesprächauf der Folie theoretischerÜberlegungen von Eva Cyba zu Mechanismender Diskriminierung und Strategiender Überwindung reflektiert.Gesetzliche Grundlagen zur Berücksichtigungvon Frauenbelangen in der Planungin Rheinland-Pfalz 2Die Raumordnung in Deutschland erfolgtauf vier Ebenen. Da ist zunächst die Bundesebenemit dem Bundesraumordnungsgesetz(BROG). Die zweite Ebene ist dieder Landesplanung mit den jeweiligen landesgesetzlichenGrundlagen. Zu den Aufgabender Landesplanung gehört es, dieseGrundsätze durch eigene Landesgesetzeund ein Landesentwicklungsprogramm zukonkretisieren. Unterhalb der Landesebenegibt es die Ebene der Regionalplanung mitden Raumordnungsplänen. Ihr folgt alsvierte Ebene die kommunale Ebene derLandkreise und Kommunen, in deren Zuständigkeitz.B. die Aufstellung der Flächennutzungs-und Bebauungspläne fällt.und offensichtlich auch schwer gemacht wird. Ineiner Expertinnenrunde mit Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragtenaus Kreisen und Gemeindender Rheinpfalz wurde dieses Thema weiter vertieft,da durch die zahlreichen Kommentare auf denstandardisiertren Fragebögen deutlich gewordenwar, dass die Hindernisse oft qualitative Aspektebetreffen und über die klassischen Befragungennicht ausreichend erhoben werden können.2 Dieser Abschnitt fasst die hervorragende Zusammenstellungvon Juliane Krause (1996) zusammen.Die gesetzlichen Grundlagen im BereichPlanung, die auch Aussagen zur Berücksichtigungvon Frauenbelangen enthalten,sind vor allem das Landesplanungsgesetzund das Landesentwicklungsprogramm.Das Landesplanungsgesetz (LPIG) bildetdie gesetzliche Grundlage für die Planungsbehörden.Es enthält Angaben zu denAufgaben und der Organisation der Landesplanungund trifft Aussagen zum Verfahrenund zur Wirkung des Landesentwicklungsprogramms,der regionalenRaumordnungspläne sowie zur Organisationund Funktion der Planungsgemeinschaftenund der entsprechenden Beiräte.In diesem Gesetz wurde für Rheinland-Pfalz in seiner Fassung von 1994 erstmalsder Abbau ungleicher Lebensbedingungenvon Frauen als Aufgabe und Leitvorstellungder Raumordnung verankert und dieBeteiligung von Frauen auf allen Planungsstufenund in den Planungsgremienfestgehalten. Die wichtigsten Punkte sinddem im Folgenden abgebildeten Kasten 1zu entnehmen.Das Landesplanungsgesetz regelt auch dieErstellung eines Landesentwicklungsprogramms(LEP), das von der obersten Landesplanungsbehördeerarbeitet wird undfür jeweils 10 Jahre das planerische Leitbilddarstellt. In dem 1995 veröffentlichtennunmehr dritten Landesentwicklungsprogramm(LEP III) für Rheinland-Pfalz sinderstmals auch frauenrelevante Aspekteeingeflossen, wie dem folgenden Kasten 2zu entnehmen ist.Eine dritte Ebene bzw. ein neuer Planungsbereichergab sich aus der Bahnreformund der Gründung der DeutschenBahn AG. Damit gab der Bund die Monopolstellungim Bereich des schienengebundenenÖPNV auf. Mit dem „Gesetz zur44


Formell integriert – faktisch marginalisiert?Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs“werden die Aufgaben unddie Finanzierung auf die Länder bzw. dieGebietskörperschaften übertragen. Nähereswird dann in den jeweiligen ÖPNV-Gesetzen der Länder geregelt. In Rheinland-Pfalztrat hierfür zum 1. Januar 1996das Nahverkehrsgesetz (NVG) in Kraft.Mit ihm wird die Sicherstellung desÖPNV-Betriebes den Landkreisen, kreisfreienStädten und Zweckverbänden übertragen.In den allgemeinen Leitlinien desNVG finden sich in §3 Abs.7 Aussagen zurbesonderen Berücksichtigung der Belangevon Familien mit Kindern und von Frauenbei der Ausgestaltung des ÖPNV und in §8Aussagen zur Beteiligung der kommunalenFrauenbeauftragten bei der Erstellung desNahverkehrsplanes.1. Landesplanungsgesetz (LPIG) (in der Fassung vom Dezember 1994)• Abbau ungleicher Lebensbedingungen von Frauen als Aufgabe und Leitvorstellung der Raumordnung (§1, §2)• Beteiligung von Frauen auf allen Planungsebenen• Landesplanungsbeirat (ein Mitglied ist Mitglied des Landesfrauenbeirates) (§7-8) angemessene Beteiligungvon Frauen in der Regionalvertretung (Organ der Planungsgemeinschaft) (§16)• Regionale Planungsbeiräte bei den Planungsgemeinschaften als „Kann - Bestimmung“ (§15-16) ein von derLandesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Gleichstellungsbeauftragten entsandtes Mitglied ist Mitglied imregionalen Planungsbeirat (§15 Abs. 7)Quelle: Krause (1996, S. 35)2. Landesentwicklungsprogramm (LEP) (Juni 1995)• Leitbild für das nächste Jahrzehnt, Stärkung des ländlichen Raumes• Abbau siedlungsstrukturell bedingter Benachteiligungen von Frauen über die Berücksichtigung frauenspezifischerBelange• bei raumbedeutsamen Planungen: Berücksichtigung der Anforderungen von Frauen- an den ÖPNV,- an Kinderbetreuungsmöglichkeiten,- an den Wohnungsbau,- an die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen und die Existenzsicherung in der Landwirtschaft.• Den spezifischen Mobilitäts- und Sicherheitsbedürfnissen von Frauen soll Rechnung getragen werden.Quelle: Krause (1996, S. 36)In den einzelnen Planungsebenen (Land,Region, Kreis, Kommune) gibt es auf derBasis der beschriebenen gesetzlichenGrundlagen unterschiedliche Organe, Gremienund Beiräte, in denen Frauen vertretensein müssen bzw. sollten. Gesetzlichvorgeschrieben sind dabei der Landesfrauenbeirat(Grundlage ist eine Verwaltungsvorschriftder Landesregierung), der Landesplanungsbeirat(§7 Landesplanungsgesetz),die Regionalvertretung als Organ derPlanungsgemeinschaft (§16 LPIG) und derRegionale Planungsbeirat (§15 LPIG). Aufder unteren Planungsebene (Landkreiseund Gemeinden) gibt es noch keine gesetzlichgeregelte Beteiligung von Frauen. Diefolgende Abbildung 1 gibt einen Überblicküber die bestehenden Beteiligungsmög-45


Aufsätzelichkeiten und skizziert darüber hinaus,wie eine solche Partizipation auch auf derkommunalen Ebene aussehen könnte.Abbildung 1: Beteiligungsmöglichkeiten von Frauen in einzelnen PlanungsebenenQuelle: Krause (1996, S. 42)46


Formell integriert – faktisch marginalisiert?Zusammenfassend ist nach Krause (1996,S. 44) festzuhalten: „Die Berücksichtigungvon Frauenbelangen in Leitlinien undGrundsätzen von Gesetzen und Programmenist eine wichtige und notwendige Sache.Die Verankerung ist ein Ergebnis jahrelangerArbeit von Frauenorganisationen,-verbänden und Gleichstellungsbeauftragten.Dazu zählt auch die Verankerung derformalisierten Beteiligungsverfahren inForm von Beiräten. Dies ist auf der Ebeneder Landesplanung bereits gelungen, aufden unteren Planungsebenen gibt es nocherhebliche Defizite.“ Im weitesten Sinnekönnte jedoch bereits heute die „rechtlicheVerankerung“ der Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten(z.B. nach Landkreisordnungoder Gemeindeordnung) und diedadurch bestimmten Aufgabenbereiche alseine für diese untere Planungsebenen „gesetzliche“Regelung betrachtet werden.Welche Erfahrungen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragteauf dieser Planungsebenemachen, steht nun im Mittelpunktdes folgenden Abschnittes.Erfahrungen von kommunalen FrauenundGleichstellungsbeauftragten bei derThematisierung und Umsetzung vonFrauenbelangen in der PlanungUnter den oben geschilderten Bedingungenkönnte nun angenommen werden, dass sichdie Situation für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragteim Planungsbereich inRheinland-Pfalz insgesamt recht günstiggestaltet. Wie sich jedoch faktisch die alltäglicheArbeit im Kontext von Planungsthemenund -prozessen gestaltet, wurde ineiner Expertinnenrunde erörtert, derenzentrale Ergebnisse im Folgenden beschriebenwerden.Auswahl der Teilnehmerinnen der ExpertinnenrundeDie Gruppendiskussion sollte möglichstumfassend die Erfahrungen, die Situationund die Handlungsmöglichkeiten kommunalerFrauen- und Gleichstellungsbeauftragterwiedergeben. Um jedoch die Heterogenitätdieser Zielgruppe darstellen unddamit möglicherweise auch strukturelleBedingungen ihrer unterschiedlichen Erfahrungen,Arbeitsbedingungen, „Einflusschancen“usw. berücksichtigen zu können,wurde für die Auswahl der Teilnehmerinnenan dieser Expertinnenrunde, nebendem gemeinsamen Kriterium ihres Amtes,folgende weitere Kriterien berücksichtigt:• Die unterschiedlichen kommunalenEbenen, auf denen das Amt einer Frauen-und Gleichstellungsbeauftragtenangesiedelt sein kann,• den unterschiedlichen Status, den dieInhaberin dieses Amtes haben kann(z.B. ehrenamtlich oder hauptamtlichund dabei vollzeit oder teilzeit) sowiedie Zeitdauer der Amtsinhaberschaft.Alle diese Auswahlkriterien konnten beider Zusammensetzung der Expertinnenrundeberücksichtigt werden. An der Diskussionsrundenahmen neben den beidenGesprächsleiterinnen sechs Frauen- bzw.Gleichstellungsbeauftragte unterschiedlicherkommunaler Ebenen teil. Zwei Teilnehmerinnenvertraten die kommunaleEbene der Landkreise, zwei die der Städte,eine war Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragteeiner Verbandsgemeinde undeine die einer kleinen Gemeinde. Zwei derFrauen bekleideten dieses Amt hauptamtlichund in Vollzeitbeschäftigung, zweihauptamtlich und in Teilzeitbeschäftigungund zwei Frauen übten dieses Amt ehrenamtlichaus und erhielten hierfür nur eine47


Aufsätzegeringe Aufwandsentschädigung. DieFrauen hatten zum Zeitpunkt des Gesprächesdieses Amt unterschiedlich lang inne,nämlich von 6 Monaten bis zu 10 Jahren.Die Themenschwerpunkte der DiskussionsrundeIn der Diskussionsrunde wurden entlangeines strukturierten Gesprächsleitfadensfolgende Fragen thematisiert und mit denTeilnehmerinnen diskutiert:• Was verstehen Sie unter „Frauenbelangenin der Planung“, welche positivenEffekte verbinden Sie damit?• Inwieweit ist der Komplex „Frauenbelangein der Planung“ ein BestandteilIhrer Aufgaben?• In welchen speziellen Planungsbereichenmüssten Frauenbelange (verstärkt)berücksichtigt werden und warum?Wo sind die dringendsten Ansatzpunkte?• In welchen Bereichen oder bei welchenkonkreten Planungsvorhaben haben Sieim Rahmen Ihrer Tätigkeit bereits versucht,Frauenbelange zu integrieren?Welche Erfolge hatten Sie dabei?• Auf welcher politischen/kommunalenEbene und bezogen auf welches „Planungsgebiet“sehen Sie selbst (aus IhrenErfahrungen heraus) die bestenUmsetzungschancen? Woran scheitertdie Realisierung oder Umsetzung vonFrauenbelangen in der Planung? Wasmüsste getan werden, um die Realisierungschancenzu erhöhen?Die gesamte Diskussion dauerte ca. dreiStunden und wurde auf Tonband aufgezeichnet.Anschließend wurden die Aufzeichnungen,d.h. das gesamte Gespräch,transkribiert. Die Gesprächstranskriptionenwurden dann nach thematischen Schwerpunktenausgewertet. Die wichtigsten Diskussionssträngedieser Expertinnenrundesollen nun im folgenden dokumentiertwerden. Um dabei die Gesprächsbeiträgeund Argumente der Teilnehmerinnen möglichstdetailliert wiedergeben zu können,werden in der Darstellung entsprechendeOriginalzitate der Expertinnen integriert.Warum ist die Berücksichtigung vonFrauenbelangen in der Planung wichtig?Einer der zentralen Aspekte in der Diskussionsrundewar es, noch einmal danach zufragen, was die Teilnehmerinnen selbst,d.h. als Person, aber natürlich auch in ihrerFunktion als kommunale Frauen- bzw.Gleichstellungsbeauftragte, unter demSchlagwort „Frauenbelange in der Planung“verstehen. In diesem Zusammenhangwurde auch die weitergehende Fragediskutiert, welche „positiven Effekte“ dieTeilnehmerinnen damit verbinden, dassFrauenbelange in die Planung integriertwerden.Alle Teilnehmerinnen dieser Expertinnenrundewaren sich darin einig, dass die historischgewachsene aber bis heute nochgültige Zuordnung der Frauen zum Reproduktionsbereicheinerseits, d.h. ihre Verortungim primär privaten Bereich der Familieund der Haushaltsversorgung, und dieZuordnung der Männer zum Produktionsbereichandererseits, d.h. deren Verortungim öffentlichen Bereich und Raum, u.a.auch eine männerdominierte Planung hervorgebrachthat. Männerdominiert bedeutetin diesem Fall nicht allein, dass die fürPlanung Verantwortlichen weit überwiegendmännlich sind, sondern vor allem,dass Planungskonzepte, die den öffentlichenRaum betreffen, primär durch denmännlichen Lebenszusammenhang geprägtund auf die Lebenssituation des außerhäu-48


Formell integriert – faktisch marginalisiert?sig vollerwerbstätigen Mannes zugeschnittensind.Der weibliche Lebenszusammenhang wurdedabei zumeist gar nicht oder nur unzureichendberücksichtigt. Dies ist z.B. in derVerkehrsplanung oder ganz allgemein inden Bereichen einer Infrastruktur- d.h.Bebauungsplanung zu beobachten, um nurzwei Beispiele anzuführen, die die Teilnehmerinnendirekt ansprachen. Natürlichsind auch Frauen keine homogene Gruppeund ihre jeweilige Lebenssituation bestimmtihren individuell unterschiedlichenBedarf an z.B. ÖPNV-Angeboten oderInfrastruktureinrichtungen. Dennoch kannverallgemeinernd angeführt werden, dassdie Mehrheit der Männer in ihrem Tagesablaufz.B. meist nur den Weg zum Arbeitsplatzund zurück bewältigen muss.Die Mehrheit der Frauen jedoch ist aufgrunddes noch immer überwiegenden Rollenverständnissesneben einer möglichenErwerbstätigkeit auch vorrangig für dieHaus- und Familienarbeit zuständig. Dadurchhat sie nicht nur einen komplexerenMobilitätsbedarf (z.B. Wege mit den Kindern,Wege zum Einkaufen, Wege zumArbeitsplatz usw.), sondern ist auch aufInfrastruktureinrichtungen (z.B. Kinderbetreuungseinrichtungen,Einkaufsmöglichkeitenu.ä.) angewiesen, deren gute undschnelle Erreichbarkeit für sie in ihremTagesverlauf eine andere Bedeutung hatals für den Mann.Die Folge des historisch gewachsenendoppelten Ausschlusses von Frauen ausder Planung und von Frauenbelangen ausPlanungsprozessen ist jedoch, dass deröffentliche Raum und dessen Infrastrukturnoch immer vorrangig entlang der Bedürfnissevon Männern, genauer gesagt vonvollerwerbstätigen Männern, gestaltetwird. Frauenbelange in der Planung zuthematisieren und umzusetzen, heißt alsovor allem, darin waren sich alle Gesprächsteilnehmerinneneinig, genau dieseBedürfnisse von Frauen bei der Gestaltungdes öffentlichen Raum sichtbar zu machenund darauf hinzuwirken, dass inPlanungsvorhaben – egal in welchemBereich oder auf welcher Planungsebene –auch der weibliche Lebenszusammenhangberücksichtigt wird. Die beiden folgendenexemplarisch ausgewählten Zitate verdeutlichendiese Argumentation:„Wir haben einfach festgestellt, wir Frauenbewegen uns innerhalb von diesem Haus, innerhalbvon der Gemeinde. Männer fahrenmorgens raus, kommen abends wieder. Aberletztendlich in diesem Raum, wo ich michbewege, habe ich selber überhaupt nichts mitgestaltetund merke jetzt, dass das überhauptnicht zu meiner Persönlichkeit passt. Der Kindergartenist viel zu weit weg. Ich kann keinenBus benutzen, weil der Weg zu weit ist und allsolche Sachen.“„Also (...) wenn ich Frauenbelange in der Planungberücksichtige, dann werde ich ja denvöllig anderen Lebenszusammenhängen vonFrauen gerecht. Wenn die Planung von Männernvorgegeben wird, (..) dann sehen die dasvor einem anderen Erfahrungshintergrund undvor dem Hintergrund anderer Möglichkeiten.(...) Frauen haben sehr vielen Rollenerwartungenzu genügen und damit auch andere (...)Ansprüche an ihre Umgebung.“Die Berücksichtigung des weiblichen Lebenszusammenhangesund damit von Frauenbelangenin oder Bedürfnissen von Frauenbei Planungungsvorhaben hat nachVorstellung der Teilnehmerinnen abernicht nur den Effekt, dass Frauen davon„profitieren“, sondern, dass darüber hinausinsgesamt bislang unzureichend berücksichtigteBedürfnisse anderer Bevölkerungsgruppenals die der vollerwerbstätigenMänner in die Planung integriert werdenwürden. Zwei Teilnehmerinnen haben49


Aufsätzedies im Gespräch noch einmal eindrücklichauf den Punkt gebracht:„Gesamtgesellschaftlich ist es so, was fürFrauen stimmt, stimmt für alle anderen Bevölkerungsgruppenauch. Dieser Bereich Mobilität,(...) die berufliche Integration, die Möglichkeitauch am gesellschaftlichen Leben teilhabenzu können, wirtschaftlich selbständig zusein, das trifft ja auch für andere Zielgruppenzu, z.B. für (...) Senioren, Seniorinnen. Dastrifft zu für Bevölkerungsgruppen, die Nachteilehaben, wie z.B. Behinderte. Die müssenauch mobiler sein. Ob ich jetzt mit einem Rollstuhlin einen Bus muss oder mit einem Kinderwagen,die Infrastruktur, die Einkaufsmöglichkeiten,da sehe ich also einen ganz wichtigenAspekt. Das hat auch die Forschung ergebenbei mir, was z.B. für die alleinerziehendeMutter stimmt, das stimmt auch für andereZielgruppen. Die profitieren davon.”„Ich denke, wenn wir gemeinsam was planen,kann es nur für uns alle, innerhalb von dieserländlichen Gemeinde (...) schöner werden, dortzu leben, dort zu wohnen, dort zu arbeiten.“Eigene Erfahrungen mit dem BereichPlanung bzw. Frauenbelange in der PlanungDer Bereich Planung oder die Integrationvon Frauenbelangen in Planungsprozesseist sicherlich nicht der Aufgabenbereich,an den primär gedacht wird, wenn manüber die unterschiedlichen Arbeitsfeldereiner Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragtennachdenkt. Auch die Ergebnisseder Befragung unter den Frauen- undGleichstellungsbeauftragten hat gezeigt,dass die benannten (bisherigen) Arbeitsschwerpunkteder Befragten eher auf anderenBereichen liegen. Das „klassische“Aufgabengebiet einer kommunalen Frauen-bzw. Gleichstellungsbeauftragten,nämlich die „hausinterne“ Gleichstellungvon Frauen im öffentlichen Dienst wurdedabei zusammen mit dem Thema „Gewaltgegen Frauen“, mit dem wohl die Arbeitvon Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragtenauch in der Öffentlichkeit am ehestenidentifiziert wird, genannt, gefolgt vonden Bereichen „Frauen und Erwerbsarbeit“,„Kinderbetreuungseinrichtungen“und „Mädchenarbeit“. Es war deshalb indieser Diskussionsrunde interessant, danachzu fragen, wie die anwesenden Fraueneigentlich dazu gekommen sind, sichdem Bereich Planung zuzuwenden undinwieweit dieser Bereich und dabei natürlichdie Frage nach der Integration vonFrauenbelangen in die Planung Bestandteilihrer Arbeit als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragteist.Interessanterweise hatten sich – unabhängigvon ihrer Funktion als Frauen- oderGleichstellungsbeauftragte – einige derTeilnehmerinnen bereits vor oder außerhalbihres Amtes – sozusagen aus Eigeninteresseoder aus der Perspektive der „Betroffenen“heraus – mit dem Bereich Planungbeschäftigt. Der Anstoß, sich demThemenkomplex Planung zu nähern, kamalso quasi von „innen“ heraus und wurdedann von den Frauen ganz selbstverständlichauch als Bestandteil ihrer Arbeitsbereicheals kommunale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragtebetrachtet:„Zu dem Thema ‚Frauen planen mit‘, bin icheigentlich aus persönlichen Gründen gekommen.Ich wohne zur Zeit selber in einem Neubaugebiet,das ganz schrecklich ist. Auf demPlan sah es wunderbar aus und herausgekommenist letztendlich ein schreckliches Neubaugebiet.Auch deshalb (...) finde ich es interessant,dieses Thema ‚Frauen planen mit‘ alsSchwerpunkt in meiner ehrenamtlichen Arbeitin der Gemeinde zu hinterfragen und aktiv zubearbeiten.“„Ich denke, es ist auch wichtig, dass ich was zumeinem Privatem sage, das gehört mit dazu.Ich bin seit 26 Jahren verheiratet und Mutterdreier mittlerweile erwachsener Kinder. Undich bin vor diesem Hintergrund in die Kommunalpolitik.Ich wohne (...) im ländlichenBereich. Bin ich in die Kommunalpolitik ein-50


Formell integriert – faktisch marginalisiert?gestiegen, weil ich mit den sozialen Gegebenheiten,mit der Infrastruktur, die ich eben vorgefundenhabe in dem Dorf, in das wir gezogensind, nicht einverstanden war. (...) Und daswar letztendlich auch für mich die Motivation,mich für so eine Stelle dann, als die Zeit dawar, zu bewerben. Das Interesse und Engagementwar schon da und deshalb war das auchdann immer ein Thema für mich in meinerArbeit.“Andere Teilnehmerinnen der Expertinnenrundeberichteten in der Diskussion, dasssie sich dem speziellen Bereich Planungeigentlich erst aufgrund der mit ihrer Stelleverbundenen Aufgabenbereiche angenäherthaben und sich dabei jetzt in ihrer Funktioneben dem Aspekt der Integration vonFrauenbelange in der Planung widmen. Fürsie kam der Anstoß, sich mit diesem Themenbereichzu beschäftigen, quasi von„außen“, da der Bereich Planung oder bestimmtePlanungsprozesse ganz allgemeinBestandteil ihres Tätigkeitsfeldes als Frauen-bzw. Gleichstellungsbeauftragte ist,was bereits durch die Inhalte ihrer Stelleund der damit verbundenen Aufgaben vorgegebenist. Eine Teilnehmerin erzähltedarüber hinaus, dass sie auch erst durchden Austausch mit anderen Frauen undinsbesondere mit anderen Frauen- undGleichstellungsbeauftragten dazu gekommenist, das Thema „Frauenbelange in derPlanung“ auch für sich und ihre Arbeit zu„entdecken“:„Mit dem Thema Frauenbelange in der Planungkonnte ich bis vor sechs Wochen garnichts anfangen. (...) Ich habe nie vorher drübernachgedacht, dass es möglich ist, dass ichbeeinflussen kann, wo ein Supermarkt bei mirim Dorf steht. (...) dieser Punkt, zu sagen, jadas kann ich, da bin ich gefragt, auf die Ideebin ich noch nie gekommen (...) Ich lebe indem Dorf, ich bin am Kindergarten mitbeteiligt,ich bin an der Schule mitbeteiligt, also ichverbringe sehr viel Zeit in dem Dorf, mehr alsder Mann, der es plant, aber ich bin noch nieauf den Gedanken gekommen, das kann ichmitgestalten. Aber die Antwort warum, kannich euch nicht geben. Erst jetzt ist mir das solangsam bewusst geworden, auch durch andereGespräche, und deshalb finde ich es auch sowichtig, mich hier mit anderen auszutauschen,die schon mehr Erfahrung haben, weil ich dasThema wirklich wichtig finde und daran arbeitenwill.“Damit zeigte sich, dass die Teilnehmerinnenauf sehr unterschiedliche Art und Weisedazu gekommen sind, das Thema „Frauenbelangein der Planung“ zu ihrem eigenenzu machen und in ihre Aufgabenbereicheals Frauen- und Gleichstellungsbeauftragtezu integrieren. Darüber, dass derBereich Planung ein wichtiges Arbeitsgebietist, das sich gerade auch Frauen- undGleichstellungsbeauftragte zu eigen machensollten, waren sich alle Teilnehmerinneneinig. Unterschiede zeigten sichjedoch darin, wie intensiv dieser Bereich indie eigene Arbeit integriert wird bzw. werdenkann, ob die Frauen dabei selbst bestimmte„Aktionen“ aktiv initiieren (können)oder im wesentlichen auf bestimmteEreignisse oder Vorgaben der jeweiligenkommunalen Verwaltung reagieren (müssen),ob sie ihre Funktion als Frauen- undGleichstellungsbeauftragte eher in der Organisationund Koordination z.B. bestimmterAktivitäten von Frauen „vor Ort“ betrachten,ob sie den Schwerpunkt auf die„Bewusstseinsbildung“ nach innen, d.h. indie Verwaltung hinein, sehen oder selbstaktiv in Planungsprozessen tätig werden,welche inhaltlichen Schwerpunkte sie fürihre Arbeit wählen usw. Einige Beispielesollen dies im folgenden verdeutlichen.Eine der beiden ehrenamtlichen Frauenbzw.Gleichstellungsbeauftragten berichtete,dass sie noch relativ wenig mit demThemenkomplex zu tun hatte. Sicherlichauch aus dem Grund, dass sie erst wenigeMonate im Amt ist, fühlt sie sich gerade51


Aufsätzeauf diesem Gebiet noch sehr unsicher undnimmt derzeit eher eine reaktive Haltungein.„Ich bekomme also sämtliche Einladungen zuallen Ausschüssen auf meinen Schreibtischund bei Ausschusspunkten, wie Neubau einesSupermarktes oder Umgestaltung des Bahnhofes,Anlegeplätze von Spielplätzen, oder kurzfristigesAuflösen von Spielplätzen, da probiereich mich einzuschalten, zunächst aber reininformativ. (...) Meine Erfahrungen in der Planungsind die Teilnahme an Ausschusssitzungen,in denen ich mich ganz klar überfordertfühle.“Auch die andere Teilnehmerin, die ihr Amtehrenamtlich ausübt, thematisiert aufgrundmangelnder Vorerfahrungen Unsicherheitenauf diesem Gebiet bzw. im Umgangmit diesem Themenbereich. Allerdings istsie bereits länger als ihre Kollegin im Amtund hat zwischenzeitlich auch damit begonnen,sich aktiv in diesen Bereich einzumischenund vor allem ihre eigene Positionzu stärken, indem sie andere Frauen andieses Thema heranführt.„Ich komme aus der Pharmazie, habe keineAhnung von Bauen, sehe einfach nur, was gutist und was nicht gut ist. Und zwar grade inBezug auf familienfreundlich auf frauenfreundlich.(...) Und da wo ich total überfordertbin, sind z. B. einfach so Vokabeln, wie hießdas da, Raumordnungplatz, wie hieß das da(Raumordnungsplan Anm. d.V.) (...) also dassind einfach so Vokabeln, mit denen ich bisheute nicht umgehen kann. (...) Mittlerweile istes aber so, dass wir einen Frauenstammtischgegründet haben. Aus diesem Stammtisch isteine ganz aktive Frauengruppe hervorgegangen,die z. B. in unserer Gemeinde jetzt Ortsbegehunggemacht hat. (...) Und einen Ortsteilhaben wir uns jetzt schon mal sehr intensivangeschaut. Haben dabei festgestellt, was unsgefällt, was uns nicht gefällt und was wir gerneverändern würden.“Am unmittelbarsten, dies wurde in der Diskussionsehr deutlich, sind Frauen- undGleichstellungsbeauftragte, deren Amt aufder Ebene der Gemeinde oder Städte angesiedeltsind, mit dem Bereich Planung inihrer Tätigkeit konfrontiert. KommunaleBebauungspläne, Konzepte der Dorferneuerungoder -sanierung, Stadt- oder Stadtteilentwicklungskonzepteu.ä. sind Bereiche,die auch in das Aufgabengebiet einerFrauen- und Gleichstellungsbeauftragtenfallen, zumindest dann, wenn die Amtsinhaberinauf der Basis der Gemeindeordnungauch mit den sog. „externen“ Aufgabenbetreut ist. Während jedoch die ehrenamtlichbestellten kommunalen FrauenundGleichstellungsbeauftragten ihre Positioninnerhalb dieser Planungsprozesse ausden unterschiedlichsten Gründen heraus alsrelativ „machtlos“ empfinden, konnten diebeiden „städtischen“ hauptamtlichen Frauen-und Gleichstellungsbeauftragten davonberichten, dass es ihnen entweder zumindestpunktuell gelungen ist, sich aktiv inPlanungsprozesse einzuschalten und diese,sowohl über die „Mobilisierung“ von betroffenenFrauen als auch über eine „Bewusstseinsbildung“bei den zuständigenVerwaltungsstellen mit zu gestalten oderaber, dass sie gemeinsam mit anderenFrauen „vor Ort“ bestimmte Projekte entwickelnund initiieren und diese dann zuverwirklichen versuchen. Die beiden folgendenBeispiele veranschaulichen dieseArbeitsweisen und Erfahrungen:„Ich habe (...) nach der Gemeindeordnung dieexternen Aufgaben, wo dieser Bereich dazugehörtund auch die internen Aufgaben nach demLandesgleichstellungsgesetz. Die personelleAusstattung unserer Gleichstellungsstelle istzwar besser als anderswo, aber nicht befriedigend,also keineswegs angemessen der Aufgabenund der Größe der Stadt. Von daher (...)muss ich meine Arbeit entsprechend ausrichten.D. h. konkret, dass ich also solche Projektenicht bis in die Tiefe verfolgen kann. Ich sehemeine Aufgabe viel mehr darin, den Anstoß zugeben, zu initiieren und andere in die Verantwortungzu nehmen. Anders kann ich meineArbeit insgesamt nicht leisten. Und was diesen52


Formell integriert – faktisch marginalisiert?Bereich angeht, sehe ich vor allem zwei Richtungenfür mich. Einmal dass ich innerhalb derVerwaltung, die im Baubereich und der StadtentwicklungVerantwortlichen sensibilisiereund in die Verantwortung nehme und auf deranderen Seite Bürgerinnenbeteiligung initiiere,also (...) Bürgerinnen anspreche, und ihnen denAnstoß gebe, sich in dieser Richtung zu engagierenund wenn notwendig auch zu qualifizieren.Und in diese beide beiden Richtungenhabe ich in den vergangenen Jahren an verschiedenenPunkten gearbeitet. (...) mein Wegist immer so, dass ich mich daran orientiere,was stadtpolitisch aktuell ist. Also ich gehöreauch zur Stadtsteuerung organisatorisch innerhalbder Verwaltung und da kriege ich sehrwohl mit, was ansteht, also Thema Stadtentwicklung,Stadtmarketing, (...) dann Flächennutzungsplan,(...) Standortsicherung, Nahverkehrsplan(...) usw. Also das sind die Themen,die im Hauptausschuss Stadtrat, Bau- undGrundstücksausschuss Themen sind. Und daversuche ich dann jeweils Eingang zu findenund Verschiedenes zu machen (...) in RichtungFrauenstadtgespräche, Anhörungen der Bürgerinnen,öffentliche Veranstaltungen, Gutachtenmachen lassen, die die Meinungen der Frauenzusammentragen und das an die verantwortlichenStellen weitergeben, die zum Teil auchwirklich Eingang gefunden haben.“„Ich habe seit knapp 1,5 Jahren eine Arbeitsgruppezu dem Thema „Frauen planen mit“.Die Arbeitsgruppe war am Anfang sehr groß,sehr euphorisch. Mittlerweile sind wir jetztnoch zu viert. Das hat aber den Vorteil, dasswir sehr effektiv arbeiten können. Die dreianderen Frauen, die da mitarbeiten von Anfangan, sind im Prinzip Fachfrauen. Es ist eineArchitektin, eine Biologin, die auch Landschaftsplanerinist und eine Frau, die sich umden ganzen Bereich, ich weiß nicht, ob das hierein Begriff ist, Teilauto kümmert. (...) Wirhaben uns ein Projekt vorgenommen, innerhalbeines Konversionsgebietes, ein Frauenwohnprojektzu initiieren. Wir haben ein Modellprojektdabei erarbeitet in Anlehnung an dasMainzer Modellprojekt (...) Sind mit der städtischenWohnungsbaugesellschaft in Kontaktgetreten und hatten da sehr viel Glück. Weilder Geschäftsführer sehr offene Ohren für unshatte. Was ich jetzt in dem Zusammenhangauch ganz wichtig finde, also es war kein Projekt,was wir mit der Stadt gemacht haben, dahabe ich viele Schwierigkeiten. (...) Bei demGeschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaftwar das ganz anders, der hatsehr eng mit uns gearbeitet.“Die beiden hauptamtlichen Frauen- undGleichstellungsbeauftragten, deren Amtauf der Landkreisebene angesiedelt ist,sind nur in wenigen Fällen „direkt“ in Planungsprozesseinvolviert. Sie sehen dahereinen Schwerpunkt ihrer Arbeit darin, einzelneAktivitäten von Frauen und/oderKolleginnen „vor Ort“ in den Gemeindenoder Städten des Landkreises zu unterstützenund zu vernetzen. Darüber hinaus versuchensie auch, für überörtliche AktivitätenInitiativen anzustoßen sowie Kompetenzenund Fachwissen „vor Ort“ zu bündelnund weiterzuvermitteln, in dem Sinnealso Dienstleistungen für andere zu erbringen(z.B. für ihre ehrenamtlichen Kolleginnen),deren Handlungsmöglichkeitendeutlich eingeschränkter sind.„Meine Arbeitsweise ist, das hat eben mit derEbene des Landkreises zu tun, dass ich einerseitsversuche, Frauen miteinander ins Gesprächzu bringen aus den unterschiedlichenOrten und andererseits versuche, Überblicksprojektezu machen. So habe ich die Weiterbildungfür die Planung initiiert, im Rahmen fürden ganzen Landkreis, von Süden nach Nordenhochgehupft, geguckt, welche Planerinnen undArchitektinnen gibt es im Landkreis und dievermodelt mit den einzelnen Gemeinden. (...)Und daraus haben sich dann auch Schwerpunkteergeben und dann bin ich eben ganzfroh, wenn an einzelnen Orten Frauen aktivwerden, die ich dann unterstützen kann oderdenen ich einen Kontakt vermitteln kann.“Ein weiteres Aufgabengebiet der FrauenundGleichstellungsbeauftragten in Landkreisenist es, bei Planungsvorhaben aufder Ebene des Landkreises, zu versuchen,Fraueninteressen und Frauenbelange zuthematisieren, Anregungen von Kolleginnenoder Frauen(gruppen) aus den einzelnenbetroffenen Gemeinden aufzunehmenund diese zu vertreten. Als ein Beispiel der53


Aufsätzejüngsten Zeit wurde hierfür z.B. die Erstellungdes Nahverkehrsplanes genannt. Umdiese Aufgabe oder Vermittlerinnenfunktionerfüllen zu können, ist es jedoch unabdingbar,dies wurde noch einmal im Gesprächherausgestellt, dass in den einzelnenGemeinden Frauen aktiv sind. AlsFrauen- und Gleichstellungsbeauftragteeines Landkreises ist es, aufgrund der vielfältigenAufgaben, aber auch der Größeder „räumlichen Zuständigkeit“ nicht möglich,gleichermaßen in allen Gemeindenaktiv oder gar initiativ zu sein. Die Amtsinhaberinnendieser Ebene sind also sehrstark auf eine „Zuarbeit“ aus den Kommunenangewiesen, um auf ihrer Ebene derkreiskommunalen Zuständigkeit „erfolgreich“Frauenbelange integrieren zu können.Eine Teilnehmerin erläuterte dies so:„Ich denke, im Kreis ist einmal wirklich wichtig,dass in jeder Gemeinde oder Verbandsgemeindedieser Prozess passiert. (...) Als Kreisfrauenbeauftragtemuss ich das bündeln, denn(...) viele Dinge, Nahverkehrsplan z. B., landetdann im Kreis. Und wenn ich im Kreis danndie 20 Stellungnahmen der Frauen aus denGemeinden gehabt hätte, ich hatte aber nureine, dann kann ich gucken, wenn ich da indem Ausschuss bin. (...) Aber ich habe nur dasMaterial, was ich mir selber herstelle. Eskommt nichts von außen. Dann könnte ich vielmehr Material da einbringen. Was ich geforderthabe, war jetzt im Bereich des Nahverkehrsplans,dass ich gesagt habe, wir brauchenüberhaupt nutzerinnenspezifische Bedarfsanalysen,um überhaupt für den Nahverkehrsplankonkret zu sagen, was denn eigentlich ausFrauensicht da rein muss. Und meine Stellungnahmebezog sich darauf zu sagen, davon stehtnichts drin, und ihr habt bis jetzt auch keineMethodik entwickelt, um überhaupt <strong>Info</strong>rmationenzu kriegen, was Frauen vor Ort brauchen.Dann heißt es aber immer so nett, ja dann machensie doch mal. Aber alleine schaffe ich dasnicht, da brauch ich mehr Unterstützung ausden Gemeinden.“Über die Chancen, Frauenbelange in diePlanung zu integrierenNeben dem Erfahrungsaustausch überkonkrete Projekte oder Ansätze der eigenenArbeit, war die Frage, wie Frauenbelangein die Planung eingebracht werdenkönnen, ein sehr umfangreicher Punkt inder Diskussion. Wie bereits dargestellt,sind die Erfahrungen der Teilnehmerinnenmit dem Bereich Planung oder gar mitFrauenbelangen in der Planung sehr unterschiedlich.Dies gilt auch für ihre Erfahrungenüber die „Erfolgschancen“, Frauenbelangetatsächlich zu thematisierenoder deren Berücksichtigung in Planungsprozessenzu erreichen. Hierfür wurdenebenfalls sehr unterschiedliche Argumentegenannt, die aber in der Zusammenschaudeutlich machen, dass eine ganze Reihe„struktureller“ Gründe zu benennen sind,die Chancen einer Integration von Frauenbelangein die Planung hemmen.Zunächst ist festzuhalten, dass keine vonden anwesenden Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragtenz.B. durch ihre beruflicheAusbildung o.ä. Vorkenntnisse in diesemspeziellen Bereich der Planung hatte,d.h. alle Frauen waren oder sind gezwungen,sich in ihrer Funktion als kommunaleFrauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragte indiesen Themenkomplex neu einzuarbeiten.Bereits die Möglichkeiten, sich diesesThema anzueignen und dann natürlich dieArt und Weise, wie das Thema in die eigeneArbeit integriert werden kann, hängtoffensichtlich von mehreren Faktoren ab.Diese wären z.B.• der unterschiedlicher Status als Frauenbzw.Gleichstellungsbeauftragte (hauptundehrenamtlich);54


Formell integriert – faktisch marginalisiert?• die mit dem Status verbundenen Ressourcen(z.B. Ausstattung des Amtesoder der Stelle);• wie lange die Frauen ihr „Amt“ bereitswahrnehmen und der damit zusammenhängendeunterschiedlichen Erfahrungshintergrund;• der der Amtsinhaberin entgegengebrachten„Kooperationsbereitschaft“ innerhalbder Verwaltung bzw. der derVerwaltung zugeordneten politischenGremien.Hinzu kommt sicherlich, dass sich auch die„rechtliche Verankerung“ der Amtsinhaberinnen(z.B. nach Landkreisordnung oderGemeindeordnung) unterscheidet und dieseso einen Einfluss auf die mit dem Amtverbundenen Aufgabenbereiche (z.B. externeAufgaben nach GEMO oder LKObzw. interne Aufgaben nach LGG), Arbeitsschwerpunkte,aber auch auf dieHandlungsspielräume und die „Einflusschancen“der Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragtenhat. Obwohl alle Teilnehmerinnenbetonen, dass der BereichPlanung eine Facette ihres Aufgabengebietesist, sind die Mitwirkungschancen insgesamtund damit auch das Einbringen vonFrauenbelangen in die Planung doch sehrunterschiedlich.Ehrenamtliche Frauen- und Gleichstellungsbeauftragtehaben es, dies wurde sehrdeutlich, noch schwerer als die hauptamtlichen,im Bereich Planung überhaupt einen„Fuß in die Tür“ zu bekommen. BeideTeilnehmerinnen, die ihr Amt ehrenamtlichausüben, berichten, dass sie sich natürlicheinerseits aufgrund mangelnder persönlicherErfahrung, aber vor allem auchaufgrund der eingeschränkten Möglichkeitenals „Ehrenamtliche“ und dem diesemEhrenamt zugeschriebenen „minderen“Status häufig „überfordert“ und relativ„machtlos“ fühlen. Überfordert meint dabeiin erster Linie, dass es ihnen schwerfällt, sich in ihrer begrenzten Zeit in dasInsiderwissen und dessen Terminologieeinzuarbeiten, um entsprechend in Ausschüssenauftreten zu können. Relativmachtlos bedeutet, dass sie weder überausreichende Ressourcen noch über dieentsprechende zumindest formale Integrationin den Verwaltungsapparat verfügen,die ihre Position stärken und damit auchihre Einflusschancen könnten. Beides zusammenbegrenzt ihre Handlungsspielräumeund damit ihre Chancen einer Mitgestaltungim Planungsbereich. Die beidenfolgenden Zitate beschreiben diese Erfahrungeneindrücklich:„Es war mein erster Bauausschuss. Ich habedem zuständigen Bürgermeister (...) Herr Soundsogesagt: ich werde auf der Sitzung übermorgenebenfalls dabeisein. Seine Reaktion:Warum? Warum ich überhaupt die Einladunghätte, das sei eine nichtöffentliche Sitzung.Dann habe ich gesagt, ich bekomme alle Einladungen,und die 2 Punkte interessieren mich.Da müsste er sich erkundigen, ob ich da dranteilnehmen dürfte. Hat sich dann wohl einesbesseren besonnen, weil das ist wirklich klar,ich kann zu allen Sitzungen und dann hat ergesagt, aja dann kommen sie halt mal. Dannbin ich dort also hingekommen.(...) man hatmich erschlagen mit irgendwelchen Karten, dieich aber nicht bekommen habe, (...) ich habegesehen, dass sämtliche anderen Mitgliedersolche Aktenstöße vor sich hatten, die ichschon mal gar nicht hatte. Von daher war fürmich von Anfang an klar, hör zu und machedich nicht lächerlich. Das war die oberste Prämisse.Dann kamen diese Flipchartentwürfe,wo ich wirklich eine viertel Stunde lang probierthabe, zu überlegen, in welche Nordostausrichtungist es jetzt, wo ist hier irgendwaszu erkennen. (...) Und dann habe ich es nichtgewagt, diese Frage zu stellen. Und ich bin imNachhinein torpediert worden. Ich habe dannmeine Kollegin vom LGG angerufen, mit derich ganz gut zusammenarbeite und gesagt, du,ich war gestern bei meiner Bauausschusssit-55


Aufsätzezung, so und so läuft es, und dann sagt sie ja,der Protokollant, Leiter des Ordnungsamtes hatgesagt, so hättest du auch ausgesehen, du hättestziemlich dumm aus der Wäsche geguckt.Und dies ist innerhalb von der Verwaltunggestreut, die Gleichstellungsbeauftragte checktes nicht.“„Ja gut ich erlebe das also genauso. Es wirdgemauschelt, man wird nicht informiert, dieReden in einer Terminologie, die ich nichtverstehe usw. (...) Wir machen das ganze für150 Mark ehrenamtlich. Es ist ein absoluterWitz. (...) Weil Frauenplanung grade dieseSachen sind wirklich Holschulden. Das heißt,man bedarf sehr viel Zeit, Energie, wie sollenwir das machen? Man schafft es in meinemAugen nur, wenn man (...) Gleichstellungsbeauftragtenicht ehrenamtlich, sondern hauptamtlichin jeder Gemeinde ansiedelt. Und dasist ein Punkt, der muss in jedem Gremiumnoch mal diskutiert werden, das ist das A undO. Ansonsten schaffe ich es nicht.“Deutlich besser erscheinen – zumindestvon den Rahmenbedingungen – die Chancender hauptamtlichen Frauen- undGleichstellungsbeauftragten, in Planungsprozessenmitwirken zu können. Ihr Statusals Teil der Verwaltungseinheit und dieihnen damit zur Verfügung stehenden Ressourcenstärken einerseits ihre Position underöffnen andererseits weit mehr Handlungsspielräumeals für ehrenamtlicheFrauen- und Gleichstellungsbeauftragte. Soberichteten Teilnehmerinnen davon, dasssie in ihrer Position, aufgrund des „moralischenZwangs“ der Verwaltung, sie zubeteiligen, eigentlich meistens rechtzeitigdie notwendigen <strong>Info</strong>rmationen bekommen,sie in der ihnen zur Verfügung stehendenZeit und aufgrund ihrer Ressourcendie Möglichkeit haben, sich z.B. das Instrumentder Bürgerbeteiligung zunutze zumachen oder, z.B. bei Bau- oder Sanierungsvorhaben,Veranstaltungen nur fürFrauen zu organisieren. Ihre Position erlaubtzudem eine ganz andere Form derVernetzung in und außerhalb der Verwaltungund damit auch der Bündelung vonFachwissen. Der Aufbau einer solchenStruktur wiederum erlaubt es, dass sieschnell und kompetent auf einen bestimmtenFragen oder Probleme reagieren könnenund sei es nur in der Form, dass sieweiß, an wen diese Aufgabe delegiert werdenkönnte. Auch über konkrete Kooperationenmit jeweils zuständigen Stellen innerhalbder Verwaltung konnte eine Teilnehmerinberichten, die allerdings wohloffensichtlich deshalb so erfolgreich ist,weil sich die entsprechende Planerin selbstdas Thema „Frauenbelange in der Planung“auf ihre Fahnen geschrieben hat.Die besseren Rahmenbedingungen derhauptamtlichen im Vergleich zu den ehrenamtlichenFrauen- und Gleichstellungsbeauftragtenhaben jedoch noch nicht unbedingtzur Folge, dass ihnen die Integrationvon Frauenbelangen in der Planungbesser oder erfolgreicher gelingt. Hierfürsind offensichtlich zusätzlich zwei weitereFaktoren entscheidend, die sich gegenseitigbedingen und die, offensichtlich unabhängigvon der Person oder „fachlichenQualifikation“ der Amtsinhaberin, unabhängigvon ihrem Status als haupt- oderehrenamtliche und unabhängig von ihrerAmts- oder Stellenausstattung für die„Einflusschancen“ jeder Frauen- undGleichstellungsbeauftragte zu gelten scheinen:1. die „gesellschaftliche“ Anerkennungder Notwendigkeit einer Integrationvon Frauenbelangen auch im Bereich derPlanung, insbesondere die Anerkennungdieser Notwendigkeit durch die zumeistmännlichen Planer und politischen Verantwortlichenin der Planung und 2. dieAkzeptanz ihrer Arbeit als Frauen- undGleichstellungsbeauftragte innerhalb derVerwaltungsebene, der sie zugeordnetsind, und deren Bereitschaft ihre Arbeit zu56


Formell integriert – faktisch marginalisiert?unterstützen.In diesem Zusammenhang ist es wichtig,auf folgendes Ergebnis hinzuweisen: In derExpertinnenrunde war lediglich eine Teilnehmerin,die von einer optimalen Einbindungin die Verwaltung, einer Anerkennungund Unterstützung ihrer Arbeit berichtenkonnte, was sich sehr deutlich inihren Erfolgen bei der Integration vonFrauenbelangen in der Planung niederschlägt.Alle anderen anwesenden FrauenundGleichstellungsbeauftragten berichtetendemgegenüber in der ein oder anderenWeise von zum Teil völligem Unverständnis,massiven Abwehrreaktionen bis hin zuAusgrenzung oder ihnen entgegengebrachtenAggressionen, die sie bei ihren unterschiedlichenVersuchen, das Thema „Frauenbelangein der Planung“ z.B. gegenübermännlichen Planern in den Verwaltungen,männlichen Mandatsträgern (also z.B.Stadt- oder Gemeinderäte), Bürgermeistern,Landräte usw. zu thematisieren, erfahrenhaben. Die folgenden Beispielespiegeln diese Erfahrungen drastisch wieder:„Es ist zwar jeder Kommunalpolitiker der Auffassung,dass er den Frauenbelangen gerechtwird. Nur wenn man dann sagt, inwiefern undinwieweit die konkret berücksichtigt wordensind, dann wird die Antwort weniger konkret.Und meistens lassen sie sich gar nicht auf einGespräch ein. (...) Und die Bürgermeister, ichsage das aus meiner Erfahrung, die sehen dieEinmischung von Frauen in der Planung auchnicht gern. (...) Bei Männern erlebe ich oftÄngste, die fühlen sich angegriffen, die Ängsteäußern sich ganz konkret in Aggression, inAblehnung, in Ausgrenzung.“„Ich denke das Problem ist immer, dass dieMänner bisher so öffentlichen Raum halt immerfür sich selbst verfügt haben. Und jetztkommen welche und die sagen, das habt ihraber nicht so optimal gemacht. Und dann sinddas noch Frauen und dann sind es vielleichtsogar noch nicht mal Fachfrauen (...). Da fühlendie sich total angegriffen und reagieren oft,naja, wenigstens mit Unverständnis, wennnicht noch schlimmer. Und dann geht eben garnichts mehr. Mal ein Beispiel: (...) ich hatte miteinem Planer vom Bauamt eine längere Diskussion,der genau das Argument brachte: ne,Planung ist Planung, wir planen für alle undmich angeguckt hatte, als hätte ich einfachkeine Ahnung. (...) und dann versuche ich demeinfach mal anhand von so einem Tag zu demonstrieren,was die meisten Frauen an Aufgabenhaben, an Wegeketten und allem möglichen.Und habe dann gesagt, so jetzt sagen siemir mal ihren Tag, wie verläuft der? Und dannsind wir total in die Diskussion gekommen, dahat es zum Teil gefetzt, aber gebracht hat esnichts. Ich meine, dass er es verstanden hätteoder so. (...) Also ich habe mit unserer Planungsabteilungsehr viele Schwierigkeiten. Dieist sehr männerbesetzt, akzeptieren nicht, dassich als Frauenbeauftragte und noch als Fachfremde(...) da mir überhaupt anmaße, malanzurufen und zu sagen, ich würde sie mal umein Gespräch bitten und könnten sie mir vielleichtnoch was erklären. Finden sie absolutunmöglich.“„Der Landrat versucht, mich systematisch ausdiesen Sachen rauszuhalten. Also grad dieRadwege sind ein wunderbares Beispiel, wodie Verwaltung mich integrieren wollte, gesagthat, wir geben zu Protokoll, die Frauenbeauftragtemuss an diesen Sitzungen teilnehmen.Der Landrat hat sich geweigert. (...) es ist jawunderbar, wenn sozusagen qua Verwaltunggezeigt wird, die Frauenbeauftragte soll garnicht. Ein anderes Beispiel in diesem Zusammenhang:Obwohl ich an allen Ausschüssenteilnehme, passiert das ja meist gar nicht in denAusschüssen, sondern es passiert, bevor es indie Ausschüsse kommt. (...) im Ausschuss liegtschon die Vorlage vor, da kann ich dann nurnoch (...) als Stellungnahme schreiben: Frauenbelangesind nicht berücksichtigt worden.Manchmal geht es sogar soweit, dass vor demAusschuss meine Stellungnahme eingearbeitetwird (...) aber so, dass du sie nicht mehr erkennenkannst. Und dann gehe ich in den Ausschussund sage bitteschön: das war meine Stellungnahmeund das ist daraus geworden.“Die Möglichkeit des Einmischens oder gareiner Mitgestaltung wird also neben„strukturellen“ Faktoren, die insbesondereden Status und die Ausstattung der jeweili-57


Aufsätzegen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragtenbetreffen, auch wesentlich davon mitbestimmt,wie groß die Steine sind, die eserst einmal aus dem Weg zu räumen gilt,bevor überhaupt mit einer Sachdiskussionbegonnen werden kann.Mechanismen der Ausgrenzung undMarginalisierung von Frauen in der PlanungDie Auswertung dieser Expertinnenrundewird im Folgenden mit den Ergebnisseneiner theoretischen Arbeit von Eva Cyba(<strong>2002</strong>, S. 31ff) verglichen, die Mechanismender Diskriminierung und Strategiender Überwindung in privaten und öffentlichenKontexten aufgezeigt hat. Ihr Modellstützt sich auf eine Typologie von Konstellationen,bestehend aus folgenden Mechanismen:soziale Schließung, Ausbeutung,öffentlicher und privater Traditionalismus,asymmetrische Aushandlungsprozesse undkommunikative Abwertung. Anschließendzeigt sie, wie welche Mechanismen wirkenund welche kollektiven Handlungsstrategienihrer Ansicht nach am erfolgversprechendstensind. Auf diese Vorschläge wirdam Ende des Beitrags eingegangen. ImZusammenhang der Analyse dieser Expertinnenrundesind nahezu alle von ihr erwähntenMechanismen nachweisbar.• Mechanismus der sozialen SchließungDieser Mechanismus zählt nach Cyba zuden am häufigsten eingesetzten Methodenund wurde auch in den Schilderungen derExpertinnen ofter genannt. Waren es frühernoch formale Regeln (Zugangsregeln,Ausschlusskriterien), die Frauen den Zugangzu Planungsgremien verwehrten, sosind es – nach Einführung der eingangsgenannten gesetzlichen Regelungen – subtilereSchließungsmechanismen, mit denenversucht wird, Frauen in ihrer Funktion alsFrauen- oder Gleichstellungsbeauftragterden Zugang zu Planungsgremien zu verwehren.Dies geschieht z.B. dadurch, dassman „vergisst“, sie offiziell einzuladenbzw. ihr die Unterlagen zukommen zu lassen,die sie für eine kompetente Mitsprachebenötigen würde. Oder es wird überdas Deklarieren einer Sitzung zu einer„nichtöffentlichen Sitzung“ versucht, dieFrauenbeauftragte außen vor zu halten,was der Vortäuschung einer formellenSchließung entspricht. Eine sehr beliebteund ungemein erfolgreiche Art der sozialenSchließung ist die formelle Öffnung,aber verbale bzw. kommunikative Schließung,die den gezielten Einsatz von Fachwissen– in diesem Fall im mehrfachenSinne als Herrschaftswissen zu bezeichnen– nutzt, um den Frauen zu signalisieren,dass sie unwissend und fehl am Platzesind. Diese Methode ist in mehrfacherHinsicht sehr erfolgversprechend, da siezur Einschüchterung der „unwissenden“Frau dient, zum (weiteren) Zusammenrückender „wissenden“ Männergruppe führtund darüber hinaus der „Erfolg“ in Formvon Schweigen der Betroffenen in einerderartigen Situation auch an andere kommuniziertwerden kann (Beispiel: die vonder Gleichstellungsbeauftragten um Ratgefragte Kollegin wusste bereits einen Tagnach der Sitzung, dass die Gleichstellungsbeauftragte„dumm aus der Wäsche geguckthätte“). Es wird deutlich, dass derMechanismus der sozialen Schließung –wie von Cyba dargestellt – in diesem Kontextdie eigentlich erfolgte formelle Öffnungin solch einem Ausmaß torpediert,dass die formelle Öffnung geradezu unwirksamwird.58


Formell integriert – faktisch marginalisiert?• Mechanismus der AusbeutungDieser Mechanismus wird in unserem Beispielvor allem in dem Fall wirksam, indem nur eine Teilzeit oder stundenweiseEntlohnung der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragtenerfolgt. Besonders effektivist die Methode im Falle des Status derehrenamtlichen Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten.Ein verstärkender Effekttritt dadurch ein, dass sowohl im Arbeitslebenals auch im privaten Kontextdiejenigen Dienstleistungen oder Produkte,die durch hohe Kosten entstehen, wesentlichhöher bewertet werden als die Dienstleistungenoder Produkte, die „umsonst“entstehen. Daraus folgt: wenn die Arbeiteiner Person nicht durch hohe Kosten entlohntwird, dann kann sie auch nicht vielwert sein – ein Effekt, den ehrenamtlichTätige in den unterschiedlichsten Bereichenerfahren müssen.• Mechanismus des öffentlichen/privatenTraditionalismusDieser Mechanismus der Privilegierungder bisherigen Arbeitsteilung, die mit einerEinschränkung von Handlungsmöglichkeiteneinher geht, muss in mehrere Aspektezerlegt werden, um auf das vorliegendeExpertinnengespräch angewandt werdenzu können. Zum einen dient eine „frauenspezifischePlanung“, wenn sie die rollenspezifischeArbeitsteilung unhinterfragtlässt, und „frauengerecht“ Kindergärtenund Supermärkte in die Nähe der Wohnstättenrückt, einem Fortbestehen traditionellerMuster. Wenn sie jedoch damit verbundenist, darauf aufmerksam zu machen,dass es nicht zwangsläufig Aufgabe derFrau sein muss, die Kinderbetreuung zuübernehmen, kann sie durchaus dem Mechanismusdes Traditionalismus entgegenwirken.Zum anderen wirkt dieser Mechanismusdes öffentlichen Traditionalismusbei der Zuordnung von Aufgaben fürdie Frauenbeauftragte selbst. Ähnlich wiebei den Minister/innen-Ämtern (bis in denBundesregierung hinein) sind Frauen –wenn sie überhaupt in der politischen Öffentlichkeitauftreten – auch dort für diedrei KKKs (Kirche, Kinder, Küche) zuständig:das Bildungsressort, die Kinderbetreuung(Kindergärten und Spielplätze),die Betreuung der Älteren, Soziales allgemeinusw.. Mischen sie sich in die klassischenMännerressorts, wie Wirtschaft, Finanzenoder eben auch Raum- und Regionalplanung,dann reichen die Reaktionenvon Verwunderung und Irritation bis hinzur o.g. Ausgrenzung.• Mechanismus der asymmetrischenAushandlungsprozesseÄhnlich wie im familiären Kontext, ausdem Cyba die Beispiele ableitet, findetauch im öffentlichen Haushalt eine Geringschätzungder Aufgabenbereiche statt,die mit den – nach derzeitigen Rollenmustern„weiblichen“ – Themenfeldern einhergehen.Diese benachteiligte Positionverringert die Durchsetzung von eigenenNutzungsvorstellungen. Demzufolge erscheintes in Planungen wichtiger, sich umden Erhalt und Ausbau der „männlichen“Arbeitsplätze zu kümmern, da diese jamehr Einkommen und mehr Steuern abwerfen,und in dieser Logik sind auch dieInvestitionen in „männliche“ Sportarten(wie z.B. Fußball) wichtiger als in „weibliche“Sportarten (wie Inliner-/Rollschuhplätzeoder Gymnastikhallen).• Mechanismus der kommunikativen AbwertungDieser Mechanismus, der nach Cyba eineSonderstellung einnimmt, zielt auf die alltäglichenUmgangsformen von Männern59


Aufsätzeund Frauen und zieht sich durch alle o.g.Mechanismen. Bei der Analyse der sozialenSchließung wurden bereits kommunikativeElemente berücksichtigt, sie lassensich jedoch weiter vertiefen. Dies beginntbei Anschreiben und Einladungen, die konsequentan Herrn XY gerichtet werden,auch wenn der Vorname des „Herrn“ eindeutigweiblich ist, und es setzt sich fort inden Zwischentönen, mit denen die Anwesenheitder – meist einzigen – „Dame“ imGremium kommentiert wird. Auch die Artund Weise, wie in Gremien eine Wortmeldungbehandelt wird, indem ihr durchKörperhaltung, Gestik und Mimik entwederAufmerksamkeit oder Missachtung(Reden mit Nachbarn, Blättern in Schriftstücken)gezollt wird, zählt zu den Mechanismen,mit denen Frauen in Ausschüssenoder anderen Kontexten systematisch diskriminiertwerden.Ausblick: Wege aus der Marginalisierung– oder wie wird aus der formellenIntegration eine tatsächliche?Cyba zeigt in ihrem Beitrag im wesentlichenzwei Richtungen von Handlungsstrategienauf, die gegen die o.g. Mechanismender Diskriminierung angewandt werdenkönnen: Dies sind zum einen, dierechtlichen Ansprüche auf Karriere (Quoten)anzumelden und deren Überwachungzu garantieren sowie zum anderen die Einrichtungenzu fördern, die die Vereinbarungvon beruflichem und familiärem Engagementermöglichen. Was den erstenPunkt angeht, so ist man damit – in einigenLändern zumindest – mit Vorgaben zurSchaffung gleicher Lebensbedingungenvon Männern und Frauen und mit der formellenIntegration schon einen Schritt indie richtige Richtung gegangen. Die Ü-berwachung und Prüfung, inwieweit dieseZiele tatsächlich eingehalten werden, stehtnoch aus. Evaluationsprogramme für diehehren Ziele des LEPs wären eine Maßnahme,die dazu beitragen könnte, dassman auf die faktische Ausgrenzung aufmerksamwird und Strategien dagegenentwickelt. Die Möglichkeiten zur Vereinbarungvon Beruf und Familie müssensich zunehmend dahingehend richten, dassdiese von Männern genutzt werden undnicht nur dazu führen, dass ausschließlichFrauen als Verantwortliche für die Lösungdieses Koordinationsproblems angesehenwerden.Die Arbeitsfelder und Partizipationsformenfür Frauen im Aufgabenbereich Planung,die von den befragten Expertinnen als zukunftsträchtigangesehen werden, sind folgende:• Frauenbelange müssen bereits in dieErstellung von Flächennutzungsplänenintegriert werden, da bereits hier entscheidendeWeichen für „untergeordnetePlanungen“ entstehen.• Frauenbelange müssen grundsätzlichBestandteil von Stadtentwicklungskonzepten,von Bebauungsplänen, vonPlanungen zur Stadt- bzw. Gemeindesanierungoder -erneuerung werden.Sie müssen darüber hinaus dringendEingang in die Verkehrsplanung finden,insbesondere in den Bereich derNahverkehrsplanung.• Vor Ort, d.h. bei konkret anstehendenPlanungen, müssen betroffene Frauenangestoßen werden, sich selbst ihrer Interessenanzunehmen. Diese zu bündelnund zu vertreten ist dann einezentrale Aufgabe der Frauen- undGleichstellungsbeauftragten.• Die Vernetzung und ein institutionalisierterAustausch sowie eine Form der60


Formell integriert – faktisch marginalisiert?Bündelung von Fachwissen, wie z.B.ein Frauenbeirat „Planung“ sind einzurichten,sowie spezielle „Weiterbildungsangebote“zu organisieren, andenen dann auch aktive Frauen vor Ortteilnehmen könnten.Die Ergebnisse zeigen, dass mit einer formellenInstitutionalisierung nur ein (wichtigerund notwendiger Schritt) zur Integrationvon Frauenbelangen in die Planungvollzogen ist. Dass es allerdings ein – u.U.weiter und dorniger – Weg von der reinformell in den Planungsbereich integriertenbis hin zur tatsächlich beteiligten Institution„Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte“ist, konnte diese Studie zeigen. DieMechanismen, die dabei deutlich werden,lassen sich beschreiben und damit auch einStück weit in ihrer Wirkung entschärfen.Dass zu ihrer Überwindung viel persönlichesEngagement, Mut sowie eine gewisse„Dickfelligkeit“ notwendig sind, zeigendie Erfahrungen der Expertinnen. DieserBeitrag soll zum einen darauf hinweisen,dass formelle Regeln gut und wichtig sind.Zum anderen soll er deutlich machen, dassaber zur ihrer Realisierung die Unterstützungvon vielen Seiten notwendig ist, damitaus einer formellen auch eine faktischeIntegration werden kann.LiteraturCyba, Eva: Mechanismen der Diskriminierung undStrategien ihrer Überwindung. In: Keller, Barbara/AninaMischau (Hgg.): Frauen machenKarriere in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.Chancen nutzen – Barrieren überwinden.Schriften des Heidelberger Instituts für InterdisziplinäreFrauen- und Geschlechterforschung,Band 4, Baden-Baden <strong>2002</strong>, S. 31-47.Krause, Juliane: Berücksichtigung von Frauenbelangenin der rheinland-pfälzischen Gesetzgebungin den Bereichen Planung, ÖPNV, Dorferneuerung,in: Ministerium für Kultur, Jugend,Familie und Frauen Rheinland-Pfalz (Hg.):Frauen und Männer im Dialog. Ansätze zurVeränderung in der Planung, Dokumentationder Fachtagung am 15. November 1996 inMainz.Dr. Anina Mischau, <strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld,Postfach 100131, 33501 Bielefeld,Email: anina.mischau@uni-bielefeld.deDr. Caroline Kramer, Geographisches Institutder Universität Heidelberg, Berlinerstr. 48,69120 Heidelberg,Email: kramer@zuma-mannheim.de61


___________________________________________________________________________Ingrid BiermannProbleme der Codierung von Geschlecht in der modernen Gesellschaft –Forderungen und Diskurse der Frauenbewegung___________________________________________________________________________Seit den 1980er Jahren gibt es innerhalb der Frauenbewegung einen Diskurs über „Widersprüche“und „Divergenzen“, über „Gleichheit“ und „Differenz“ sowie über „Differenzenzwischen Frauen“. Der Aufsatz beschäftigt sich mit der Leitunterscheidung der Frauenbewegung,der Unterscheidung von Frauen und Männern. Obgleich diese Unterscheidung (nahezu)mühelos eingesetzt werden kann, bleibt unscharf, was damit unterschieden wird. Das kannaber nicht thematisiert werden und führt zu Problemen der Codierung von Geschlecht.EinleitungDie Theorie der gesellschaftlichen Primärdifferenzierung,der ersten Schicht gesellschaftlicherGliederung (vgl. Luhmann1982, S.197fff.), geht davon aus, dass diesoziale Bedeutung der UnterscheidungFrauen nach Männern im Laufe der gesellschaftlichenEvolution abnimmt und dassdies mit der Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystemsin Richtung eigenständiger,funktionsbezogener Teilbereiche zusammenhängt(Luhmann 1988, S. 60).Frühe Gesellschaften entwickelten ihreDifferenzierungsformen noch aus naturalenUnterscheidungen wie alt/jung oder Frau/Mann und wiesen die Individuen darüberden Teilen der Gesellschaft zu (z.B. Männerhäusernin archaischen Gesellschaften;vgl. Lipp 1988). Segmentäre Ordnungenwaren über gleichrangige Häuser undVerwandtschaftsgruppen strukturiert, denenjeweils Frauen und Männer mit unterschiedlichenRollen angehörten. StändischeGesellschaften behielten diese Gliederungfür ihre Teile, die Schichten, bei. Sieordneten diese aber hierarchisch an. Diemoderne Gesellschaft baut schließlich aufTeilbereichen auf, die für ihre Kontinuierungnicht mehr auf Ehen und erbberechtigteNachkommenschaft im Rahmen vonHauswirtschaften angewiesen sind sowiedamit verbundene Geschlechterdifferenzierungen.Die These einer im Prozess soziokulturellerEvolution abnehmenden Bedeutung derGeschlechterunterscheidung wird in Publikationender Frauenbewegung und derFrauenforschung selten aufgegriffen. Soheißt es in deren Texten, das Geschlechtsei „strukturierendes Prinzip von Gesellschaft“(Müller 1991, S. 78) bzw. „grundlegendeKategorie sozialer und historischerRealität und Wahrnehmung“ (Bock 1983,S. 34). Blickt man auf Forderungen wiez. B. „Von allem die Hälfte“ (Lang 1989 S.32f.) verbindet sich damit das Bild einer inzwei Gruppen geteilten Gesellschaft, bevorrechtigteMänner und benachteiligteFrauen, oder von „zweierlei Welten“ (Kramer1992), wenn man eine kulturfeministischePerspektive einnimmt.Ausgrenzungen und Exklusionen werdenin der modernen Gesellschaft anders ge-62


Probleme der Codierung von Geschlechtwertet als in ihren Vorläuferinnen. Nunmehrführen sie zu Protestpotenzialen undsozialen Bewegungen, in deren RahmenTeile der Gesellschaft für ihre Gleichheitund Gleichberechtigung mit anderen Bevölkerungsteileneintreten. Mit diesen Forderungenberufen sie sich auf einen derprominentesten Werte der modernen Gesellschaft.Insofern können Zweifel an dersystemtheoretischen These einer durch denÜbergang zur modernen Gesellschaft abnehmendengesellschaftlichen Bedeutungdes Geschlechts angemeldet werden. Abermit Blick auf die Frauenbewegung (wieauch andere soziale Bewegungen) stelltman neben Phasen des Aufs, auch solchedes Abs fest, den Wechsel von Phasen desEngagements und seines Abflauens (vgl.Klinger 1995, S. 812).Die folgenden Ausarbeitungen beleuchtenzunächst die Rolle des Geschlechts in dennach Ständen und Familien gegliedertenGesellschaften des Mittelalters und derNeuzeit. Sie lehnen sich dabei an die Überlegungan, dass Gesellschaften eine erstebzw. ‘oberste’ Schicht der Gliederung aufliegt,die zugleich maßgeblich darauf Einflussnimmt, wie Individuen darin inkludiertsind und welche Rolle ihr Geschlechtdafür spielt. Sie betrachten diese Zusammenhängeaus dem Blickwinkel verschiedenerSinnebenen von Kommunikationund Erwartungsbildung – einem Körper-,einem Personen-, einem Rollen-, einemProgramm- und einem Wertebezug (vgl.Luhmann 1987, S. 84ff.) – sowie unterschiedlicherGrade ihrer Verknüpfung.Geschlecht in den ständisch-segmentärgegliederten Gesellschaften des Mittelaltersund der NeuzeitIn diesen Gesellschaften war das Unterscheidenvon Geschlechtern an die Funktiongeknüpft, Ehen und Abstammungszusammenhängehervorzubringen. Auf dieseWeise konstituierte sich seit dem Mittelalter,zunächst über Landesfürsten und Standesherren,dann auch über den Hochadel,eine Oberschicht. Aber auch für die Angehörigender unteren Schichten waren Eheund Nachwuchs entscheidende Faktorengesellschaftlicher Existenz: für die Lehenbearbeitenden Bauern des Mittelalters,weil Nachkommen ihre Anrechte festigten(vgl. Goody 1976 und 1986, Ennen 1987),für die Kaufleute und Handwerker derNeuzeit, weil ihr wirtschaftlicher Erfolgvom tüchtigen Zusammenwirken der Eheleuteund ihrer Kinder abhing (vgl. Wunder1992). Für (klein-)bäuerliche Lebenszusammenhängehatten sie bis ins 19.Jahrhundert hinein subsistenzwirtschaftlicheBedeutung (vgl. Bock 2000, Schildt1993). Ehen dienten der Sicherung ständischerSchranken und der Kontinuierungder Herrschaft der Oberschicht. Sie warendie Pfeiler einer Gesellschaft, die sich bisins 18. Jahrhundert über Exklusionen, denZugang bzw. Nichtzugang von Teilen derBevölkerung zur Ausübung von Herrschaft,Eigentum und Rechtssetzung definierte.Das Fundament dafür war die Zeugungvon erbberechtigtem männlichemNachwuchs, die Verpflichtung der Frau aufeheliche Sexualität und deren rigide Kontrolle(vgl. Opitz 1987). Entsprechend wardem Mann im Geschlechterverhältnis eineVorrangstellung eingeräumt und die Frauseiner (Haus-)Herrschaft unterstellt. Frauenhatten keine den Männern vergleichbareErben- und Eigentümerposition (vgl.Ketsch 1984, Kuhn/Rüsen 1984, Koch1997). Die höhere oder niedere, mit einemmännlichen oder weiblichen Körper ausstattendeGeburt gab bereits die ‘Karriere’,die Stellung im sozialen Gefüge, vor und63


Aufsätzezugleich den Zugang zu Aufgaben, Rechtenund Rollen bzw. den Ausschluss davon.Den älteren Gesellschaften gehörtendie Einzelnen über ‘Gesamtexistenzen’ an.Bereits an Körper, Haltung, Kleidung undHabitus war erkennbar, was jemand war,woher sie/er kam und was sie/er durfte.Die Einzelnen waren Mägde, Bauern, E-delfrauen, Ritter, Nonnen, Fürsten, Kaufleute,und zwar im einen wie im anderenKontext. Die Sinnebenen waren eng miteinanderverbunden. Es gab nicht die Möglichkeit,sich von anderen über individuellgebildete Maßstäbe zu unterscheiden, nursehr eingeschränkt den Zugang zu Kreisen,in die man nicht hineingeboren war, undnicht den Zugriff der Frauen auf Rechtedes männlichen Geschlechts. Das Geschlechtwar Bestandteil der Regelung vonInklusions- und Exklusionsstrukturen undals Code in allen Schichten klar konturiert.In diesen Ordnungen konnten Frauen aberauch Herrschaftspositionen innehaben,obgleich nur dann, wenn es an männlichemNachwuchs fehlte. 1 Geschlechterdifferenzierungenwaren durch die ständische Ordnung,durch Interessen des Herrschaftserhaltsbestimmt. Deshalb konnte das Weiblicheauch Ausdruck von Aggressivität undDurchsetzungswillen sein. Frauen bildetenkeine ‘Gegengruppe’ zu Männern und warennicht durch gemeinsame Interessengeeint. Ihre Loyalität war auf die Herkunftsfamiliebzw. den Ehemann und denStand bezogen, dem sie angehörten, nichtauf Frauen als gesellschaftlich unterdrückteGruppe.Die Situation von Frauen zeichnete sichdurch einen trennenden Parallelismus aus.Als Ehefrauen unterstanden sie gleichen1 Beispiele: Kaiserin Kunigunde und KaiserinAdelheid, Elisabeth I., Maria Theresia, Pauline zurLippe.Anforderungen, d. h. dem Sozialverbandund dem Mann zu dienen und Kinder zugebären. Ihre Existenz war jeweils an verwandtschaftliche,hauswirtschaftliche undständische Interessen geknüpft und vonderen Realisierung abhängig. Sie waren,obgleich in ähnlicher Lage, durch diesenicht geeint. Als Angehörige unterschiedlicherSchichten galten zwischen ihnenÜber- und Unterordnungsverhältnisse. Siewaren „an der genossenschaftlichen Ausnutzungder Gleichheit (ge)hindert.“ 2Moderne Gesellschaft und GeschlechtDas 19. Jahrhundert führte zum endgültigenDurchbruch der funktionalen Differenzierung.Keines der wichtigen Teilsystemeder modernen Gesellschaft – z. B. dasWirtschafts-, das Rechts-, das Erziehungsoderdas politische System – ist für seineinterne Differenzierung auf familiale Segmentationangewiesen, mithin auf Ehenund die Zeugung von Erben. So galt eseinst für die Grundherrenschicht des Mittelalters,den Adel und seine Clans undnoch für die Zünfte und Gilden der Neuzeit.In funktional differenzierten Gesellschaftengehören die Individuen nichtmehr einer einzigen Lebensgruppe bzw.Schicht an, sondern müssen mit je verschiedenenRollen an je verschiedeneFunktionskreise angeschlossen sein. Siemüssen Zugang zum Arbeitsmarkt undzum Güter- und Dienstleistungsmarkt(Wirtschaftssystem) haben, als Rechtssubjektbzw. als rechtlich selbständige/r Bürgerin/Bürgeram Rechtssystem, als SchülerInnenan den Institutionen des Bildungssystems,als WählerInnen an politischenEntscheidungsprozessen (politisches Sys-2 Zu dieser Problematik und dabei verschiedeneBevölkerungs- und Berufsgruppen siehe vergleichendSimmel (1968).64


Probleme der Codierung von Geschlechttem) teilnehmen können. Der Geschlechterunterscheidungkommt nunmehr diespezielle Funktion zu, (private) Familienzu bilden. Im 19. Jahrhundert wurde dasBild „polarer Geschlechtscharaktere“ undmit ihm das Modell einer geschlechtsspezifischenVerteilung von Haus- und Erwerbsarbeitpropagiert. Die Gesellschaftwurde noch als eine in Familien segmentierteNation konzipiert (vgl. Weinbach/Stichweh2001) bzw. als organischesGanzes mit Familien als Kleinsteinheiten(vgl. Biermann 2001). Den Frauen wurdeprimär der Platz im privaten Bereich zugewiesen.Der endgültige Umbruch zurmodernen Gesellschaft führte zu modernen,von askriptiven Merkmalen abstrahierendenInklusionsnotwendigkeiten, ohneallerdings die Frauen darin einzubeziehen(vgl. Biermann <strong>2002</strong>). Sie wurden auf diefamiliale Nahwelt verwiesen, obgleichdoch niemand mehr nur noch in Familienexistieren kann. Dieses Geschlechtermodellsollte eine außerordentliche BreitenundFernwirkung entfalten. Bis in die1960er Jahre war es nahezu unangefochten,gestützt durch die Norm einer weiblichenNormalbiografie (vgl. Pfeil 1968, S.90). Mit der Reform des Ehe- und Familienrechts1976, das beide Ehepartner, alsonunmehr auch die Frauen, zur Erwerbsarbeitberechtigte, wurden die Norm der„Hausfrauenehe“ und des „Familienernährers“juristisch angetastet. Dem folgte seitden 1970er Jahren eine zunehmende Inklusionweiter Bevölkerungsteile in die höherenStufen des Bildungssystems, maßgeblichunter Beteiligung von Mädchen undFrauen. Sozialstaatliche Gesetzgebungsakteorientieren sich seitdem in Richtung auffamilienunabhängige Inklusionsvermittlungen(z. B. Erziehungszeiten, Pflegeversicherung,Ganztagsbetreuungen für Kinder).Nun erst setzte eine den Gesellschaftsstrukturenentsprechende Entwicklungzur Vollinklusion ein, die insbesonderedie Funktionssysteme Wirtschaft/Arbeitsmarktund Ausbildung betraf. Im politischenSystem kamen Bestrebungen zurAusweitung von Formen direkter Demokratieauf. Gleichheit und Gleichberechtigungwurden zu hochrangigen gesellschaftlichenPostulaten. Im Zuge dieserEntwicklungen entstand die neue Frauenbewegung.Bei genauerer Betrachtung ihrerForderungen und Diskurse stößt manjedoch auf ein Infragestellen und Wiederkehrender Gleichheitsforderung, auf „Widersprücheund Divergenzen“.Diskurse und Forderungen Frauenbewegung:„Gleichheit“ und „Differenz“,„Differenzen zwischen Frauen“Das Engagement der Frauenbewegung fürdie Gleichstellung der Frau mit dem Mannund für die Aufhebung geschlechtsspezifischerDiskriminierungen hat seit den1960er Jahren zu einer Vielfalt von Beschreibungenund Analysen über die Lebenssituationvon Frauen geführt (vgl.Bock/Witych 1980, Lenz/Szypulski/Mosich1996). In den 1980er Jahren sind allerdingsDiskussionen hinzugetreten, dieausdrücklich „Divergenzen“ und „Widersprüche“innerhalb feministischer Emanzipationsvorstellungenthematisierten (vgl.Klinger 1986). Darin ist zunächst die zweifacheAusrichtung aufgegriffen worden,die die Schriften der Frauenbewegungschon von Beginn an kennzeichnete: dieOrientierung an der Forderung der Gleichbehandlungund Gleichstellung von Gleichenund zugleich am Anspruch einerAufwertung des Weiblichen und der Arbeitvon Frauen, an der Gleichwertigkeit vonVerschiedenem. Sie haben jedoch weder65


Aufsätzeden Schluss alternativer Emanzipationsbestrebungender „Gleichheit“ oder der „Differenz“noch den einer gegenseitigen Ergänzungbeider Seiten gezogen. Wo dieeinen den Aufbruch zu einem „kulturellenFeminismus“ erhofften, erblickten anderedie Rückkehr zu konservativen Leitbildern,traditionellen Rollenzuweisungen und dieDesavouierung des Gleichheitspostulats(vgl. Klinger 1986). Diese Auseinandersetzungenverstärkten die Aufmerksamkeitfür „Differenzen zwischen Frauen“ (Klinger1995, S. 802), für Unterschiede undKonflikte zwischen ihnen auf Grund verschiedenerSchichtzugehörigkeiten, Karrierechancen,Hautfarben, ethnischer Zugehörigkeitenund sexueller Orientierungen.Ältere Ansätze, die versucht hatten, nebender Geschlechter- auch die Klassenzugehörigkeitzu berücksichtigen und beides alsein Verhältnis von „Haupt- und Nebenwiderspruch“(Bürger 1978, S. 12, vgl. auchDalla Costa/James 1973) zu ordnen, mithindie Lage von Frauen primär durch ihr Geschlechtbestimmt sahen, hatten längst anErklärungskraft eingebüßt. Sie konnten dieVielschichtigkeit beider Einflussfaktorennicht abbilden und hatten weitere Unterschiedegar nicht berücksichtigt. Sie hattenzudem völlig außer Acht gelassen, dasssich auch für die Aussagen der Frauenbewegungdie Frage stellen könnte, ob sieRealitäten uneingeschränkt beschreibe undsogar selbst zur Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeitbeitrage, weil schon ihrAnknüpfungspunkt, die „Kategorie Geschlecht“bzw. das Frau- und Mannseinvon Menschen, zu Differenzierungen undIdentitätsfixierungen disponiere (vgl. Gildemeister/Wetterer1992, S. 207). DieseKritik hat schließlich auch zur Vermutungeines verborgenen Biologismus des gesamtenFeminismus geführt (ebd.) sowie zumVorwurf eines „Mainstream-Feminismus“(vgl. Reinsch 1999). Zahlreiche Forderungenund Diskurse würden auf den Erfahrungenund Interessen bürgerlicher Mittelschichtfrauenbasieren. Vielmehr müsseeine Perspektive eingenommen werden, dieüber Konstruktionen von Geschlechtlichkeit,das „doing gender“, aufkläre und sichan Vorstellungen von „genderlessness“orientiere (vgl. Gildemeister/Wetterer1992, Butler 1990). Diese Position musssich jedoch vorwerfen lassen, das Gespürfür Diskriminierungs- und Ausgrenzungsformenverloren zu haben, die Menschenerfahren, „weil sie Frauen sind“ (Klinger1995, S. 812, vgl. auch Nussbaum 1999).Wer dekonstruktivistisch argumentiere,dürfe darüber doch nicht Gemeinsamkeitenzwischen Frauen außer Acht lassen. DekonstruktivistischeAnsätze könnten zurEntpolitisierung der Frauenbewegung führen,statt die nach wie vor bestehendensozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeitenzwischen den Geschlechtern, dieDoppelbelastung von Frauen, ihre Ausgrenzungaus der Politik und aus angesehenenPositionen der Wirtschaft anzugreifen.Die an das ethische Postulat angelehnteArgumentation mangelnder Gleichheitund Gerechtigkeit rückt die Problematikder Ungleichheit zwischen den Geschlechternwieder unversehens in den Mittelpunkt,ohne jedoch die anderen Vorstellungenaufheben zu können. Die Diskussionscheint sich im Kreis zu drehen, dieArgumente scheinen wichtig und wenigerwichtig, plausibel und unplausibel, je nachBlickwinkel, je nach der Gewichtung vonArgumenten, der Rückversicherung angeschätzten Werten, der Notwendigkeit,Protestpotenziale zu beleben. Auf die gegenläufigenDiskurse blickend heißt esauch, kaum eine Differenz sei so „allge-66


Probleme der Codierung von Geschlechtmein und doch so schwer greifbar”, „sonah und so fern“ (Klinger 1995, S. 809).Aber wie könnte die Aufforderung zu einer„adäquaten und differenzierten Theorie“(ebd.) eingelöst werden?Die Frauenbewegung: Probleme derCodierung von GeschlechtDer Vorschlag dafür lautet, diese Kontroversenunter dem Gesichtspunkt von Geschlechtund gesellschaftlicher Inklusionzu beleuchten und diese Betrachtungen mitder Unterscheidung der verschiedenenSinnebenen von Kommunikation vorzunehmen.Hinzu kommt eine weitere Blickrichtung.Die Frauenbewegung ist daraufangewiesen, mit der Unterscheidung vonFrauen und Männern zu beobachten. Dasist ihre Leitdifferenz; dahinter gibt es keinZurück. Funktionsspezifischen Codes ähnlicherfüllt sie das Kriterium universellerGültigkeit bei gleichzeitiger Spezifikation.3 Damit kann die Menschheit (rigide),ausschließlich auf Grund ihres Geschlechts,in zwei Gruppen geteilt werden.Es funktioniert eine Art zweigeschlechtlicherErkennungsdienst, ein ‘Sortieren aufeinen Blick’, ohne dass man sich allerdingsan Zuordnungsregeln rückversichernmuss. 4 Offenbar ist feministisches Engagementan eine Unterscheidung gebunden,die sich durch konträre Eigenschaften auszeichnet,durch Rigidität und Variabilitätsowie durch Rigidität und Diffusität.Der Differenzfeminismus der Frauenbewegungbasiert mit den Beschreibungen eines„weiblichen Arbeitsvermögens“ (Ostner3 Das ist ein wesentliches Merkmal funktionsspezifischerKodes und maßgeblich für ihre evolutionäreDurchsetzungsfähigkeit (vgl. dazu Luhmann 1988,S. 38f.).4 Auch das ist ein Merkmal funktionsspezifischerKodierung.1979, S. 189) darauf, die weibliche Gebärfähigkeit,mithin einen Bestandteil weiblicherKörperlichkeit, in einen Zusammenhangmit ‘weiblichem’ Sozialverhalten zusetzen, mit „Empathie“, „Intuition“, „ganzheitlicherWahrnehmung“ (Ostner 1979, S.194, vgl. auch Ruddick 1980). Das ‘Bindeglied’dafür ist die Arbeit von Frauen,der Umgang mit Kindern und die Hausarbeit,sowie ihre Rolle als Mütter. Darauserwüchsen ein spezifisches Verhalten undGestaltungsvermögen. Auf diese Sichtweisestützen sich auch Diskurse über eine„feministische“ bzw. eine „weibliche E-thik“ (vgl. Praetorius 1995, Ruddick 1993).Die heutige Frauenbewegung kann sichnicht wie ihre Vorläuferin auf ein Programm„organisierter Mütterlichkeit“(Stoehr 1983) festlegen, nicht auf Forderungennach Frauenberufen, Frauenressortsund weiblichen Arbeitsmarktsegmenten.Das war der Versuch weiter Teile derFrauenbewegung des 19. und frühen 20.Jahrhunderts, gegen den starken bürgerlichenwie den sozialistischen Antifeminismuszumindest Teilinklusionen von Frauenin öffentlichen Bereichen zur Anerkennungzu bringen. Die an Geschlechterverschiedenheitorientierte Ausrichtung hat eineenge Verknüpfung der Sinnebenen vonKörper(lichkeit) und Personsein zum Hintergrund,ohne dass dies Halt an schließlichFrauen vorbehaltene Aufgaben undRollen hat. In die moderne Gesellschaftsind Individuen nicht über Gesamtexistenzeninkludiert, nicht mehr über ein bündigesEnsemble von Aufgaben, Rollen undfesten Einbindungen. Schon der Differenzfeminismusdes vorletzten Jahrhundertsversuchte sein Weiblichkeitskonzept mitdem Hinweis auf „Varietäten“ zu relativieren.Angesichts von erfolgreichen Mathematikerinnen(Sonja Kovalevsky) und an-67


Aufsätzegesehenen Pädagogen (Pestalozzi) hieß es,„Einzelne können vom Typus abweichen“(Lange 1964, S. 13).Bei genauerem Hinsehen gelingt es demDifferenzfeminismus auch nicht, ein eigenesWerteprofil der Frauenbewegung zubegründen. Für humane Werte und einenschonenden Umgang mit der Natur engagiertensich in den 1980er und 1990er Jahrensoziale Bewegungen wie die Friedensbewegungund die Ökologiebewegung.Diese Bewegungen beriefen sich dafürnicht auf eine weibliche Moral oder einefeministischen Ethik. Frauen oder Teile dieFrauenbewegung waren daran beteiligt,aber nicht deren primäre Trägerinnen. DieFrauenbewegung war Teil anderer Sozialbewegungen.Der Ansatz einer Verschiedenheitder Frau vom Mann disponiertnicht zu ausschließlich Frauen vorbehaltenenZusammenschlüssen, so als handele essich bei Frauen und Männern um zwei verschiedeneGattungstypen oder Spezien. InTexten, die für differenzfeministische Positioneneintreten, finden sich (denn auch)irritierende Formulierungen: „(...) dassnicht (gemeint ist), dass es nur zwei Geschlechter,es wohl aber sehr schillerndeÜbergänge gibt, aber doch, dass es vorallem zwei Geschlechter gibt.“ Und weiter:dass der Begriff des „Geschlechts als einehistorische, gesellschaftliche eben soziokulturelleKategorie (betrachtet wird) undnicht als eine biologische oder ontologisch-essentielle.“In diesem Sinne zieleder Begriff der „Geschlechterdifferenznicht nur auf Differenzen zwischen Frauenund Männern, sondern ausdrücklich auchauf Differenzen zwischen Frauen ab.“ Verallgemeinerungenund individuelle Besonderheitenmüssten ständig im Blick bleiben.Nur wenige Zeilen später steht allerdingsdie Feststellung, dass es „für dieweibliche Welt durchaus Sinn (mache),davon zu sprechen, dass Frauen hier andereMoralauffassungen besitzen als Männer.“(Maihofer 1991, S. 51)Die Leitunterscheidung der Frauenbewegungwird im Differenzfeminismus miteinem weiblichen Gestaltungs- und Arbeitsvermögenund weiblichen Wertorientierungenin Zusammenhang bebracht. DieSeite des Mannes bleibt im Dunkeln bzw.offen. Es wird keine klare Grenze im Hinblickauf das gezogen, was für Frauen unddas, was für Männer gilt. Nicht nur deshalbkann sie kein klares Profil entwickeln. Esfehlt an einer Programmatik, die für Frauenin unterschiedlichen Lagen und viele Themenoffen ist und Frausein als offenesSchema handhabt.Der Gleichheitsfeminismus basiert auf derForderung nach Gleichbehandlung vonGleichen, dem Postulat menschenrechtlicherGleichheit. Diese Ausrichtung distanziertsich von Vorstellungen einer Geschlechterverschiedenheit.Menschen, sodie Argumentation, würden nicht als Frauengeboren, sondern durch die Einflüsseeiner geschlechtsspezifischen Sozialisation„dazu gemacht“ (vgl. Scheu 1986). Siefordert die Gleichstellung von Frauen inAusbildung, Beruf und Politik. Ausgangspunktist eine alle Frauen betreffende Diskriminierung,sei es als Benachteiligte inder Ausbildung, als Unterrepräsentierte inder Politik, als in schlecht bezahlte BerufeAbgedrängte oder von sexuelle GewaltBedrohte. Mit der Ausarbeitung von Maßnahmenzur Frauenförderung, von Quotenregelungensowie Gleichstellungs- undAntidiskriminierungsgesetzen sind gleiche,dem Anteil der Frauen an der Bevölkerungentsprechende Verteilungen zum Maßstabfür die Aufhebung von Benachteiligungen68


Probleme der Codierung von Geschlechtgeworden, für die Beurteilung des gesellschaftlichenund politischen Willens, „Gerechtigkeitsdefizite“(Stackelbeck/Kiewel/Stiegler 1989, S. 8) auszugleichen, dafür,von einer nur „formalen“ zur „faktischenGleichberechtigung“ der Geschlechter zugelangen (vgl. Lang 1989, S. 32ff.). Frauenförderung,so wird hervorgehoben, müsseals eine „Querschnittsaufgabe“ angesehenwerden, z. B. müssten alle staatlichenMaßnahmen unter dem Gesichtspunkt derInteressen und Benachteiligungen vonFrauen geprüft werden (Stackelbeck/Kiewel/Stiegler1989, S. 8).Die Leitdifferenz der Frauenbewegung, dieUnterscheidung von Frauen und Männern,kommt hier in Verbindung mit dem Schemavon gleich/ungleich 5 zum Einsatz. Eswerden zwei universelle und zugleich spezielleDifferenzen kombiniert. Da Individuenimmer auch als Frauen und Männerin Erscheinung treten und da vielfältigeThemen unter dem Gesichtspunkt vongleich/ungleich betrachtet werden können,entsteht eine Omnirelevanz (Stichwort:zentrale Strukturkategorie, Querschnittsaufgabe)der Frauenfrage und derAnspruch, auf „die Hälfte der Gesellschaft“Bezug zu nehmen. Der Gleichheitsfeminismussteckt mithin einen weitenthematischen Rahmen ab, ist vielfach impulsgebendund ermöglicht durch ein Rekurrierenauf neue Themen das für sozialeBewegungen so wichtige In-Bewegung-Bleiben.Enttäuschung über ausbleibende oder nurgeringe Erfolge gleichstellungspolitischerMaßnahmen (vgl. Erler 1986, S. 38, Klinger1988) und zivilisationskritische Protestehaben ihm gegenüber aber auch zu kritischenStellungnahmen geführt (vgl.Birk/Stoehr 1987, Spender 1982). DieMaßstäbe der Gleichheit, so der Einwand,hätten sich historisch einseitig über männlicheNormen und Biographiemodelle ausgebildet.Überdies würden Quoten nicht zuden erhofften Anteilserhöhungen führen(vgl. Mac Kinnon 1989, Rauschenbach1997). Im Zuge der Anwendung von Quotenregelungenhatte der Anspruch faktischerGleichberechtigung zu Kontroversenüber konkurrierende Gerechtigkeitsansprüchegeführt (Ebsen 1994). Das Ziel, einerbenachteiligten Gruppe Gleichstellung zugewähren, kollidiere im konkreten Fall mitdem Anspruch der Leistungsgerechtigkeit,damit, BewerberInnen anhand ihren fachspezifischenLeistungen zu vergleichenund Merkmale wie das Geschlecht außenvor zu lassen (Heck 1993, S. 61). Offenkundigist die Verknüpfung der Unterscheidungvon Frauen und Männern mitder Gleich-Ungleich-Unterscheidung (Benachteiligteund Bevorrechtigte) andererseitszu offen und zu vage. Sie stützt sichauf den zweigeschlechtlichen Erkennungsdienst,ohne dass für alle Frauen und füralle Männer jeweils gleiche Bedingungengelten. Was im Allgemeinen zutrifft, erweistsich im Einzelfall als abweichendoder vielfältiger. So hat auch jene Ausrichtungihren Preis, die im Unklaren lässt,was unterschieden wird. Die Leitdifferenzder Frauenbewegung, die Unterscheidungvon Frauen und Männern, ist ihr eingeschlossenesausgeschlossenes Drittes. Siewird umrissen und doch nicht umrissen.Das ist für die Frauenbewegung von VorundNachteil zugleich.LiteraturBiermann, I.: Männliche Autorität oder weiblicheHingabe? Normative Konzepte zur Einheit derFamilie im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in:5 Zu gleich/ungleich siehe Luhmann 1991, S. 439ff.69


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___________________________________________________________________________Gewalterfahrungen von Frauen – und Männern!?Ein neues Thema in der bundesdeutschen Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung___________________________________________________________________________Nachdem im Rahmen der Frauen- und Geschlechterforschunglange Zeit vor allemdie Gewalterfahrungen von Frauen einenSchwerpunkt empirischer Forschung undmacht- bzw. patriarchatskritischer Analysenbildeten, und hier wie in anderen Bereichender Gewaltforschung Männer undJungen überwiegend als Täter in den Blickkamen, scheint sich nun die bundesdeutscheForschungslandschaft zunehmendauch für die Opfer- und Gewalterfahrungenvon Männern zu interessieren. DiesePerspektivenverschiebung – heraus aus dereinseitigen Polarisierung der Frau als Opfervon Gewaltverhältnissen und des Mannesals Täter oder Nutznießer gewaltgeprägterGeschlechterverhältnisse – deutetesich im Rahmen der Frauen- und Geschlechterforschungbereits Ende der1980er/Anfang der 1990er Jahre an, alsbeispielsweise die Problematik sexuellmissbrauchter Jungen aufgegriffen undspezifische Hilfen für männliche Missbrauchsopfereingefordert wurden, oder alsdie (Mit-)Täterinnenschaft von Frauen undMädchen zum Thema wurde. Parallel dazubegannen in den letzten Jahren Teile derMännerbewegung und Männerforschung,männliche Gewalterfahrungen ins Zentrumihrer Aufmerksamkeit zu rücken und dasLeiden und die Verletzbarkeit von Jungenund Männern zu problematisieren. Die inDeutschland erste größere Tagung zu diesemThema wurde im März diesen Jahresdurch die Evangelische Akademie Tutzingin Kooperation mit dem MännerforscherHans-Joachim Lenz vorbereitet und durchgeführt(vgl. Tagung der EvangelischenAkademie Tutzing zum Thema „MännlicheOpfererfahrungen“ vom 1.-3. März<strong>2002</strong> in Heilsbronn; Tagungsdokumentationerscheint demnächst.)Die Diskussionen im Umfeld dieser Tagungscheinen darauf hinzudeuten, dassmit dem Aufgreifen dieser Thematik sehrunterschiedliche Zielsetzungen verbundensind. Während ein Teil der mit der ProblematikBefassten aus dem Umfeld derMännerforschung und Männerbewegungum Aufklärung, um Enttabuisierung männlicherOpfererfahrungen und um solidarischeUnterstützung der Betroffenen bemühtist, und in diesem Anliegen auchUnterstützung von Seiten der etabliertenFrauen- und Geschlechterforschung erhält,scheint es einem kleineren, allerdings relativlauten und medienpräsenten Grüppchenvon Wissenschaftlern und Aktivisten ausdem Kreis der deutschen (Scheidungs-)Väterbewegung, um etwas ganz anderes zugehen: um die Relativierung und Leugnungder hohen Brisanz von Gewalt gegenFrauen im Geschlechterverhältnis und umdie Bekämpfung und Verhinderung frauenpolitischerMaßnahmen zum Abbau vonGewalt im häuslichen Bereich. Die inDeutschland aggressiv bis frauenfeindlichauftretenden Verfechter der These, Männerseien in Paarbeziehungen derselben Gewaltdurch weibliche Beziehungspartnerinnenausgesetzt wie Frauen durch männlicheBeziehungspartner, instrumentalisieren72


Gewalterfahrungenund bagatellisieren letztlich die Problematikmännlicher Opfererfahrungen für antifeministischePolemik, indem sie das hoheMaß von Gewalt, das Männer gerade auchdurch andere Männer erfahren vollständigausblenden und versuchen, Frauen als dieeigentlichen Täterinnen im Geschlechterverhältniszu definieren.Dass beide Problembereiche – Gewalterfahrungenvon Männern und von Frauen –nicht notwendigerweise gegeneinanderausgespielt werden müssen, sondern gemeinsameund vergleichende differenzierteAnalysen durchaus zu einer Weiterentwicklunggeschlechterkritischer Gewaltforschungund zur Annäherung und Solidarisierungvon Frauen-, Männer und Geschlechterforschungbeitragen kann, solldie folgende Diskussion zeigen, die imRahmen eines Fachkolloquiums an derUniversität Bielefeld im November <strong>2002</strong>weitergeführt werden soll.Aus aktuellem Anlass wurden WissenschaftlerInnenaus dem Bereich der Erforschungund Prävention von Gewalt im Geschlechterverhältnisdarum gebeten, sichzu folgenden drei Fragen zu äußern:Sind Frauen genauso gewalttätig wie Männer?Welche empirische Relevanz hat dieseThese?Wie sind die bisherigen deutschen und USamerikanischenDiskussionen zum Themaeinzuschätzen?Was kann die Diskussion zur Frauen-,Männer- und kritischen Geschlechterforschungbeitragen? Wie sollte sie geführtwerden?Es diskutieren: Prof. Dr. Carol Hagemann-White aus Osnabrück und Prof. Dr. BarbaraKavemann aus Berlin, beide leiten derzeitunter anderem die wissenschaftlicheBegleitung der bundesdeutschen Interventionsprojektegegen häusliche Gewalt (UniversitätOsnabrück, WIBIG); Hans-Joachim Lenz aus Nürnberg, der sichschon seit längerer Zeit wissenschaftlichund in seinen Publikationen mit Gewalterfahrungenvon Jungen und Männern befasstund der voraussichtlich zu diesemThema demnächst eine erste evaluativeStudie für Deutschland durchführen wird;Dr. Monika Schröttle, die unter der wissenschaftlichenVerantwortung von Prof.Dr. Ursula Müller am <strong>IFF</strong> der UniversitätBielefeld im Auftrag des BMFSFJ die erstenationale bundesdeutsche Repräsentativuntersuchungzu Gewalt gegen Frauen inDeutschland leitet und koordiniert, in Kooperationmit dem Sozialforschungsinstitutinfas.___________________________________________________________________________Diskussionsbeitrag: Prof. Dr. Carol Hagemann-White___________________________________________________________________________Sind Frauen genauso gewalttätig wieMänner?Diese Frage ist doppeldeutig: „genauso“ =im gleichen Ausmaß, oder „genau so“ =auf gleiche Art und Weise?Die empirische Forschung, gerade wennsie bewusst Aggressivität bei Mädchen undFrauen untersucht, findet ausgeprägte Unterschiedein den Aggressionsformen nachGeschlecht. Die finnische Forschungsgruppevon Kirsti Lagerspetz u.a. fand,73


Aktuelle Debattedass Mädchen sich ebenso häufig überandere ärgern wie Jungen, sie setzen ihrenÄrger jedoch vorwiegend indirekt um. DieForschungsgruppe um Nicki Crick beschriebunter „Beziehungsaggression“ Verhaltensformenbesonders bei Mädchen, dieandere durch Beschädigung ihrer Beziehungenoder ihrer Zugehörigkeit zur Gruppeverletzen.Versteht man Aggression als der Wille,anderen etwas anzutun, so wird man sagen,Mädchen und Jungen seien fast gleich häufigaggressiv. Hält man es hingegen füreinen wesentlichen Unterschied, ob maneinem anderen Menschen physischeSchmerzen und körperliche Verletzungenzufügt, – viele AutorInnen unterschiedlichsterRichtung entscheiden sich dazu,Aggressivität oder Gewalt durch den körperlichenAngriff zu definieren –, so weisenauch die Ergebnisse z.B. von Crick u.a.eine geradezu dramatische Geschlechterdifferenzaus.Beide Geschlechter erleben wahrscheinlichgleich häufig Wut und Ärger, Jungen setzenÄrger etwas häufiger offen und erkennbarin aggressives Verhalten, ob direktoder indirekt oder beides, um. Weitaushäufiger sind die Jungen körperlich aggressiv,während Mädchen früher und häufigerindirekte oder sozialbezogene Formender Konfliktaustragung wählen. PhysischeAggression lässt für beide Geschlechtermit fortschreitendem Alter alsForm der alltäglichen Konfliktbewältigungetwa in der Schule nach, wird aber in bestimmtenmännlichen Subkulturen weitergepflegt und geübt. Offenbar handelt essich, wie auch der Kulturvergleich zeigt,um sozial gelerntes Verhalten.Wie unterscheiden sich die deutschenund US-amerikanischen Diskussionen?In der Bundesrepublik wurde Gewalt gegenFrauen erstmals durch die Frauenbewegungzum Thema; sie hat nicht nur eineVorreiterfunktion zur Eröffnung, sondernauch den Rahmen für die weitere Debattegesetzt. Die „Erkenntniszäsur“ (EberhardSchorsch), dass sexualisierte Gewalt mitdem Geschlecht zu tun hat (auch dann,wenn sie zwischen Männern oder zwischenFrauen stattfindet), lässt sich gleichermaßenin der neueren kriminologischen Forschung,in sozialwissenschaftlichen Studien,in der Psychiatrie und Psychotraumatologieauffinden, wie in der feministischenLiteratur selbst. Sie findet in denpolitischen Verlautbarungen der EuropäischenUnion und des Europarates Niederschlag:Gewalt gegen Frauen gilt als Symptomder noch nicht eingelösten Gleichberechtigungder Geschlechter.In den letzten Jahren wird versucht, einegegenläufige Debatte um Gewalt von Frauengegen Männer zu entfachen. Die These,dass Frauen gleich häufig Beziehungsgewaltausüben, begründet (zunächsterstaunlich) eine Ablehnung auch geschlechtsneutralerMaßnahmen zugunstenvon Gewaltopfern. Dies liegt aber daran,dass der Fokus die Regelung der Scheidungsfolgenist, insbesondere das SorgeundUmgangsrecht. Völlig ausgeklammertbleibt, dass Männer als Erwachsene sowohlphysische Gewalt wie auch sexuelleGewalt überwiegend durch andere Männererleiden; wie überhaupt das Leiden kauminteressiert. Gewalt in der Kindheit (obsexuell oder körperlich), die Männer undFrauen verüben können, bleibt auch ausgeblendet,wenn der Blick auf die Paarbeziehungverengt bleibt.74


GewalterfahrungenIn den USA entsprang die öffentliche Diskussionum Gewalt in der Ehe und in derFamilie zwei konkurrierenden Diskursen.Die amerikanische Frauenbewegung machteanfangs die Vergewaltigung zum Thema(die ersten „rape crisis centers“ wurden1970 geschaffen). Zur gleichen Zeit wandtensich Familiensoziologen dem Problemkörperlicher Gewalttätigkeit innerhalb derFamilie zu. Früh hat sich dort ein Forschungskonzeptetabliert, das primär an derTransmission der Akzeptanz von Gewaltinnerhalb der Familie über die Generationeninteressiert war. In der Folge war dieForschung in z. T. erbitterte Kontroversenverstrickt, die den Gegenstand der Forschung,die adäquate Untersuchungsmethodesowie die Bedeutung der Daten undBefunde betrafen. In den letzten zehn Jahrenhat sich diese Kontroverse allerdingserheblich entschärft. Es zeichnet sich eineübereinstimmende Einschätzung ab, dassbeide Geschlechter schlagen können, beiFrauen aber das Verletzungsrisiko höherist und sie weit eher in einer Beziehungregelmäßig misshandelt werden.Wie sollte die Diskussion geführt werden?Die feministische Gewaltdiskussion ließsich durch die Geschlechtsbezogenheit vonGewalt dazu verführen, dem Thema zusätzliches„Gepäck“ aufzubürden. Symptomdafür ist u.a., dass kaum über Männerals Opfer von Gewalt gesprochen wird,obwohl genau dies geeignet wäre, dasMännerbild zu differenzieren. Es wärenötig, die heimlichen Lehrpläne aufzudeckenund zu verabschieden, die sich derhohen emotionalen wie symbolischen „Ladung“von Gewalt zunutze machen, weildabei die Betroffenen unweigerlich Mittelfür fremde Zwecke werden. Dies könntedazu befreien, der authentischen Anstrengungum Grenzsetzung, Überwindung,Heilung mehr Raum zu verschaffen___________________________________________________________________________Diskussionsbeitrag: Prof. Dr. Barbara Kavemann___________________________________________________________________________Zum Stand der DiskussionFrauen und Männer sind im Laufe ihresLebens häufig Opfer von Gewalt – Männeretwas häufiger als Frauen – und in beidenFällen sind die Gewalttäter überwiegendMänner. Unterschiedlich ist die Art derGewalt, der beide Geschlechter ausgesetztsind: Soweit bislang bekannt, sind Männerhäufiger als Frauen Opfer von Körperverletzung,Frauen hingegen deutlich häufigerals Männer Opfer von Vergewaltigung undanderen Formen sexualisierter Gewalt. DerKontext des Gewalterlebens unterscheidetsich ebenfalls nach Geschlecht: Frauenwerden häufiger Opfer durch Beziehungspartneroder Familienangehörige, Männerhäufiger durch Bekannte oder Fremde.Frauen erleiden mehr Gewalt im privatenRaum, Männer häufiger im öffentlichenRaum. Auch die Risiken, die mit der Gewalteinhergehen, sind unterschiedlich:Frauen werden häufiger als Männer imKontext häuslicher Gewalt verletzt odergetötet. Das Verletzungsrisiko für Frauensteigt, wenn die körperliche bzw. sexuelleGewalt von einem Beziehungspartner ausgeht.Für Männer sinkt das Verletzungsrisiko,wenn die Gewalt von ihrer Beziehungspartnerinausgeht (Tjaden & Thoen-75


Aktuelle Debattenes 2000a und 200b, National Crime VictimizationStudy 1994).Geht es um häusliche Gewalt – um Gewaltausübungin intimen oder engen sozialenBeziehungen zwischen Erwachsenen –dann ist festzustellen, dass vorliegendeStudien unterschiedliche Phänomene messen:Während in Studien, die einen hohenAnteil männlicher Opfer und weiblicherTäterinnen aufweisen (vgl. Archer 2000),überwiegend „common domestic violence“erhoben wird, gewaltförmige, handgreiflicheAuseinandersetzungen beider Beziehungspartnerim Konflikt, geht es in Studien,die einen überwiegenden Anteilweiblicher Opfer und männlicher Täternachweisen, um systematische Misshandlungin einem Klima von Angst, Kontrolleund Isolierung (vgl. Hagemann-White u.a.1981, Tjaden & Thoennes 2000a).Lange Zeit wurde diese Unterschiedlichkeitnicht erkannt und es wurden heftigeAuseinandersetzungen darum geführt, obdie jeweiligen Studien zu „richtigen“ oder„falschen“ Ergebnissen gekommen seien.Bis in die Unterstützungspraxis und dieInterventionskonzepte hinein reichte dieserStreit z.B. zwischen Frauenberatungsstellenund Frauenhäusern auf der einen und(Männer)Beratungsstellen, die Täterprogrammeanboten, auf der anderen Seite:Inzwischen scheint klar, dass der Streit vorallem auch deshalb unfruchtbar blieb, weilbeide Einrichtungen von einer anderenZielgruppe ausgingen: Die Männer, diesich selbst in Beratungsstellen melden – inder Regel auf Druck der Partnerin – sindnicht die Männer der Frauenhausbewohnerinnenund dementsprechend haben diePartnerinnen der Kursteilnehmer andereErwartungen und Pläne als diejenigen, dieins Frauenhaus geflüchtet sind. Die Bereitschaft,Unterschiede bei Gewalt im Kontextvon Beziehung anzuerkennen, kannhier zur Verbesserung von Kooperationund zur Optimierung von Unterstützungsangebotenführen. Interessant wird es zukünftigwerden, wenn durch verändertejuristische Intervention bei häuslicher Gewalthäufiger Weisungen in Täterprogrammeausgesprochen werden und diesog. Freiwilligenarbeit in diesem Bereichin den Hintergrund tritt. Dann werden Ü-berschneidungen bei den Nutzerinnen vonZufluchtseinrichtungen und Gewiesenen indie Programme sehr viel öfter sein als bisher.Es steht inzwischen für viele nicht mehr inFrage, dass Gewalt gegen Männer einwichtiges gesellschaftliches Thema ist.Auch ist unbezweifelt, dass Frauen inPartnerschaften gewalttätig werden 1 . JeglicheGewalttat muss jedoch, um sie in ihrerBedeutung für Opfer und Täter zu erfassen,in ihrem Kontext gesehen werden. Für dieweitere Forschung stellen sich hier interessanteFragen der Methodik, der Definitionihres Forschungsgegenstandes und Forschungszieles.Es dürfte sich als sinnvollerweisen, neben allgemeinen Erhebungenzur Häufigkeit und Verbreitung von GewaltFragen nach zielgruppenspezifischenRisiken und dem Zusammenhang zwischenhäuslicher Gewalt, sozialen Lebensbedingungenund protektiven Faktoren in denMittelpunkt zu stellen.Thesen für eine weiterführende DiskussionWas sagen uns diese Forschungsergebnisseund was kann Inhalt einer fruchtbaren Aus-1 Und dies nicht nur gegenüber männlichen Partnern,sondern auch gegenüber Partnerinnen in lesbischenBeziehungen (vgl. Ohms 1993).76


Gewalterfahrungeneinandersetzung über Gewalt gegen Frauenund Gewalt gegen Männer sein? Ich möchtedie Aufmerksamkeit von der sehr spezifischenProblematik der Gewalt von Frauengegen männliche Partner etwas erweiternund generell die Frage nach der Gewaltgegen Männer stellen. Folgende Thesenstelle ich zur Diskussion:Männergewalt gegen Männer ist ein verleugnetesProblem• Gewalt gegen Männer ist ein verbreitetesgesellschaftliches Problem. Es handeltsich überwiegend um Männergewalt.• Diese Erlebnisse von Männern dürfengesellschaftlich nicht Thema werden,sie verschwinden hinter Begriffen wie„Straßengewalt“, „Gewalt in der Schule“,„Gewalt im öffentlichen Raum“,„Schlägereien“ usw.• Für das Gewalterleben von Männerngibt es keinen öffentlichen Raum, indem diese Erlebnisse Anerkennung undMitgefühl erfahren.• Weiterhin werden Männlichkeiten kultiviert,die Gewalt fördern, Opfer stigmatisierenund die es männlichen Gewaltopfernerschweren, Angst und Leidauszudrücken. 2• Es existiert keine starke soziale Bewegung,die sich gegen Gewalt von Männerngegen Männer richtet.• Die Verleugnung des Opfer-Werdensvon Männern fördert reaktiv Täterschaft.2 Spannend fände ich eine Auseinandersetzung mitdem Männerbild der Fachfrauen in der Arbeit gegenMännergewalt. Manchmal scheint mir, dassauch hier sehr traditionelle Männlichkeitskonzepteexistieren, die es schwer machen, Männer als Gewaltopferernst zu nehmen.Häusliche Gewalt von Frauen gegenMänner ist eine Thematisierung auf Umwegen• Die Diskussion über Gewalt von Frauengegen Männer thematisiert männlichesOpfer-Werden. Allerdings wird hier nurder relativ kleine Ausschnitt männlicherOpfer durch weibliche Täterinnen zurSprache gebracht.• Die verleugnete, verbotene Thematikmännlichen Opfer-Werdens gewinntdurch das sensationalisierte Beispielweiblicher Täterschaft öffentliche Aufmerksamkeit.• Ziel der Debatte ist jedoch in weitenTeilen eher das Diskreditieren feministischerPositionen als das Werben umMitgefühl und Unterstützung für männlicheOpfer.• Diese Thematisierung auf Umwegenbirgt das Risiko, dass der Großteil derGewalt gegen Männer erneut nichtThema wird.• Die aktuelle Thematisierung birgt aberauch die Chance, jetzt die Gelegenheitzu ergreifen und das Opfer-Werden vonMännern nicht nur durch Frauen, sondernauch durch Männergewalt öffentlichzu machen.• Männer, die diese Diskussion seriösführen, können sich der Unterstützungvieler (Fach)Frauen sicher sein.• Wenn diese Diskussion jedoch dafürfunktionalisiert wird, Unterstützungsangebotefür misshandelte Frauen zu diskreditieren,wie zur Zeit beobachtetwerden kann, dann wird diese Chanceverschenkt.77


Aktuelle DebatteWeshalb es auch für Frauen, die gegenMännergewalt arbeiten, interessant undwichtig sein kann, über Gewalt gegenMänner nachzudenken• Paarbeziehungen sind bislang einer derwenigen Orte – für viele Männer vielleichtder einzige Ort – an dem Männerihre Gewalt- und Opfererlebnisse ausdrückenund mitteilen können und aufMitgefühl treffen können.• Die Bearbeitung dieser Gewalt wirdsomit privatisiert – eine interessante Parallelezur Privatisierung der Gewaltgegen Frauen – und Männern sowieganz stark auch deren Partnerinnen aufgebürdet.• Die Tatsache, dass die Partnerin vielüber den Mann weiß, was sonst niemandweiß, kann dazu führen, das siefür ihn besonders wichtig ist und er dieBeziehung um jeden Preis erhalten will.Der Wunsch der Partnerin, sich zu trennen,stellt somit eine große Bedrohungdar. Gewalt kann dann als Mittel eingesetztwerden, um die Frau zu kontrollierenund zu halten. Abhängigkeit desMannes von der Beziehung muss als Risikofaktorgesehen werden.• Das intime Wissen um die „andere Seite“des Partners kann Frauen trotz Gewaltdurch den Partner an ihn bindenund eine Trennung sehr erschweren. Siesind dann durch Mitleid gebunden. Siegewinnen den Eindruck, dass er verlorenist ohne sie. Dies bestärkt einerseitsdie Beziehungsmacht der Frau, lässt sieaber andererseits in Gewaltverhältnissenausharren.• Gäbe es einen öffentlichen Raum, wodas Gewalterleben von Männern thematisiertwerden könnte, wäre Männerngeholfen, Frauen wären entlastet undAnlässe zu Kontrollverhalten reduziert.Es gibt aus meiner Sicht triftige Gründe,sich mit der Gewalt gegen Männer zu befassen– auch der Gewalt, die bereitsmännliche Kinder und Jugendliche erleiden.Die Gewalt, die von Frauen ausgeht,muss gesehen und analysiert werden,kurz gesagt: Auf Idealisierungen ebensowie auch Dämonisierungen sollte verzichtetund sich mit Neugier und Erkenntnisinteresseden aufgeworfenen Fragen genähertwerden. Der wichtigste Grund, weshalballe Frauen und Männer diese Seite derProblematik ernst nehmen sollten, ist, dassjede Person, die Gewalt erleben musste,ein Recht auf Unterstützung hat. Dafürmüssen Männer nicht die Hälfte aller Opfervon häuslicher Gewalt sein. Die Konkurrenzum den ersten Platz in der Opferhierarchieist unsinnig. Wenn Männer sichstärker gegen Männergewalt engagieren,anstatt die Diskussion zu instrumentalisierenals Retourkutsche gegen das vermeintlicheUnrecht, dass ihnen der Feminismuszugefügt hat und wenn Frauen ihren Gewaltdiskurskritisch durchleuchten3 undBereitschaft entwickeln, Gewaltpräventionin ihrer Gesamtheit als Herausforderung andie Gesellschaft zu verstehen, dann könntedie Auseinandersetzung sehr interessantwerden. Neue Erkenntnisse sind in Zukunftdurch die Studie zu Gewalt gegen Frauenund die Pilotstudie zu Gewalt gegen Männerin Deutschland zu erwarten.3 Vgl. die Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauchdurch Frauen an Mädchen und Jungen (Kavemann1995)78


Gewalterfahrungen___________________________________________________________________________Diskussionsbeitrag: Hans-Joachim Lenz___________________________________________________________________________Sind Frauen genauso gewalttätig wieMänner? Welche empirische Relevanzhat diese These?Solange Männern im Rahmen der Kulturder Zweigeschlechtlichkeit der gleicheGrad an Verletzlichkeit wie Frauen vorenthaltenbleibt (und sie ihn sich selbstvorenthalten, weil sie diesem Geschlechtersystemaufsitzen) und im Rahmen vonbisheriger Gewaltforschung „das offeneGeheimnis“ der Übergriffe gegen Männernicht gewusst werden will, also auch nichtnach potentiellen Gewalterfahrungen durchdas andere Geschlecht befragt werden, undfolglich über ihre potentiellen Gewalterfahrungennicht kommuniziert wird, lässtsich eine empirisch belegte Antwort aufdie Frage aus der Perspektive männlicherOpfer (noch) nicht wissen.Vermutlich sind Frauen nicht genauso,sondern anders gewalttätig. Bislang gesicherteIndizien für die Gewalttätigkeit vonFrauen liegen vor hinsichtlich:• Kindesmisshandlung und -tötung (vgl.Trube-Becker)• weiblicher Gewalt gegen Jungen (z. B.Mutter-Sohn-Inzest; vgl. Hirsch)• zunehmender Gewalttätigkeit bei Mädchen,wie dies im Rahmen der Jugendhilfegegenwärtig konstatiert wird.Wie sind die bisherigen deutschen undUS-amerikanischen Diskussionen zumThema einzuschätzen?Aus der US-amerikanischen Forschung inden 70er Jahren über Gewalt in Familien –insbesondere durch die Studien von SusanneSteinmetz – gibt es einige wichtigeAnstöße für das Bewusstwerden der Bedingungender Möglichkeit von häuslicherGewalt gegen männliche Partner, der Mechanismenihrer kulturellen Verdrängung(Scham!), der geschlechtsinduzierten blindenFlecken im wissenschaftlichen Erkenntnisprozessund der (politisch-medialen)Funktionalisierung einiger Ergebnisseals Instrument im Geschlechterkampf.In Deutschland wird diese US-amerikanischeDiskussion aus Anlass der Beratungenüber das Gewaltschutzgesetz Ende der90er Jahre aufgegriffen. Dabei bemächtigtsich eine kleine Gruppe „scheidungsgeschädigter“,maskulinistisch sich gebärdenderMänner des zeitgleich beginnendenDiskurses um männliche Opfer im Sinneeiner gegen die Frauenbewegung gerichtetengeschlechterkämpferischen Retourkutsche.Dieser bleibt zugleich einer Einengungdes Opferdiskurses auf Gewalt inheterosexuellen Intimpartnerschaften undhier speziell der weiblichen Täterschaftverhaftet. Übergriffe aus anderen potentiellenGewaltbereichen, die Männer erleiden,werden nicht nur ausgeblendet (wie z.B.Mobbing, Machtmissbrauch und sexuelleBelästigung von Männern am Arbeitsplatz),sondern es bleibt das überwiegendgegen das eigene Geschlechtsgenossengerichtete Gewaltpotential völlig verdeckt(z.B. Körperverletzungen).79


Aktuelle DebatteWas kann die Diskussion zur Frauen-,Männer- und Geschlechterforschungbeitragen? Wie sollte sie geführt werden?Ein angemessener Dialog zwischen denGeschlechtern über die beiden Geschlechterzugemutete Gewalt setzt voraus bzw.könnte günstigstenfalls bewirken, dass• Gewalt als Beziehungsstörung wahrgenommenwird (Bauriedl);• die stereotype Dichotomisierung derZuschreibungen (Männer: kriegerisch,Täter und nicht so verletzlich; Frauen:friedlich, Opfer und leicht verletzbar)aufgelöst und damit die Ebene desMachtkampfes zwischen den Geschlechterntranszendiert wird;• gegenseitiges Vertrauen, gegenseitigeWertschätzung und Empathie alsGrundlage der Kommunikation akzeptiertwird;• anerkannt wird, dass das andere Geschlechtanders als das eigene ist undanders gesehen wird, dass verschiedeneVarianten von Mannsein und Frauseinohne Bewertung die gleiche Berechtigunghaben;• beide Geschlechter fähig werden, mitAggressionen konstruktiv umzugehenund die Gewaltdistanzierung größereBedeutung erlangt als die Gewaltauffälligkeit;• der Mythos des starken und unverletzlichenMannes zugunsten einer differenzierterenWahrnehmung der Verletzlichkeitvon Männern aufgegeben wirdund Männer ermuntert werden, über ihreVerletzungen zu sprechen;• und letztlich, dass erst das vorurteilsfreie,selbstreflexive Hinterfragen, wasjedes Geschlecht zum Entstehen und zurAufrechterhaltung der herrschendenGewaltverhältnisse beiträgt, den Raumfür weiterführende Perspektiven bietenkann.Bestenfalls kann es über derart angemesseneZugänge gelingen, die Verletzungenvon Frauen und Männern als gemeinsamesund öffentliches Thema zu skandalisierenund politisch gegen die Verursachendenanzugehen. Jede Verletzung eines Mädchensoder Jungens, eines Mannes odereiner Frau ist eine zu viel.Mein Traum ist, dass die Bekämpfung derGewalt in den Geschlechterverhältnissenein Ausgangspunkt für neue Solidaritätenzwischen beiden Geschlechtern werdenkönnte, wofür unter Umständen das Programmder Geschlechterdemokratie einenOrt böte, wo Frauen endlich hören können,was Männer bislang nicht zu sagen wagten.___________________________________________________________________________Diskussionsbeitrag: Dr. Monika Schröttle___________________________________________________________________________Einige Thesen zur Debatte um Gewalterfahrungenvon Männern und Frauen.• Eine differenziertere und auch vergleichendeBetrachtung der Opfererfahrungenund der Täterwerdung von Frauenund Männern in verschiedenen Beziehungskontextenkann dazu beitragen,einseitig geschlechterpolarisierenden80


GewalterfahrungenVorstellungen von Frauen als Opfernund Männern als Tätern qua Biologieoder Geschlechtszugehörigkeit entgegenzuwirkenund damit ein realistischeres,facettenreicheres Bild bestehenderMacht- und Gewaltverhältnisse in derGesellschaft zu erhalten.• Die Enttabuisierung und Aufdeckungvon männlichen Opfererfahrungen zeigtauf, dass auch Männer und Jungendurch die Gewalt von Männern (undFrauen) geschädigt und verletzt werdenund damit ein vitales Interesse am Abbaudieser Gewalt haben müssen. DieseErkenntnis kann neue Solidarisierungenzwischen engagierten Frauen und Männernin Forschung und politisch-sozialerPraxis bei der Bekämpfung und Präventionvon Gewalt befördern.• Die Auflösung des einen Mythos –Männer seien nur Täter und keine Opfervon Gewalt – sollte nicht in den Aufbauneuer, unreflektierter Mythen – Männerseien nur Opfer von Gewalt und Frauendie eigentlichen Täterinnen – führen.• WissenschaftlerInnen und PraktikerInnengleich welchen Geschlechts, dieheute Gewalt erforschen und sich füreinen Abbau der Gewalt in unterschiedlichenKontexten einsetzen, kann esheute nicht mehr darum gehen, einenOpfer- oder Täterstatus pauschal für daseigene oder ein anderes Geschlecht zubehaupten und festzuschreiben – daswäre unrealistisch und würde lediglichder Aufrechterhaltung von Feindbilderndienen.• Notwendig sind vielmehr differenzierte,empirisch gut unterfütterte Analysenüber den Zusammenhang von Macht,Gewalt, Geschlecht und anderen wichtigengewaltbeeinflussenden Faktoren,die sowohl die Bedingungen für Gewaltwie auch die Bedingungen für konstruktive,gewaltfreiere Umgangsweisen inverschiedenen Beziehungskontexten i-dentifizieren.• Bei der Beschreibung und Diskussionmännlicher und weiblicher Opfererfahrungensollte künftig noch genauerund differenzierter aufgeschlüsselt werden,wo bzw. in welchen sozialen Kontextenunterschiedliche (Gruppen von)Männern und Frauen verstärkt Opfervon psychischer, physischer und sexuellerGewalt werden, wer jeweils Täterund Täterinnen sind, was die Tatursachenund die Tatmotive sind, wie dieGewalterfahrungen jeweils verarbeitetwerden, und in welche gesellschaftlichenMacht- und Abhängigkeitsverhältnissedie Gewalt jeweils eingebundenist.• Zunehmend interessant könnte auch dieFrage werden, wie eigene Opfererfahrungengeschlechtsspezifisch und kontextspezifischverarbeitet werden, wound warum auf eher aggressive oder e-her depressive oder auch konstruktivereVerarbeitungsweisen zurückgegriffenwird, wo eigene Opfererfahrungen dieTäterschaft in anderen Beziehungskontextenbefördern können und wo diesnicht der Fall ist. Dadurch könnte besseridentifiziert werden, wie die unheilvollenGewaltkreisläufe und –verschiebungenunterbrochen werden könntenund wo tatsächlich Spielräume für Veränderungenhin zu gewaltfreieren Gesellschaftsverhältnissenvorliegen.• Nicht unerheblich ist außerdem die Einbettungvon Gewalterfahrungen in gesellschaftlicheDiskriminierungs-, Abhängigkeits-und Unterdrückungsver-81


Aktuelle Debattehältnisse. Wo werden Menschen zu Opfernvon Gewalt, weil sie einer bestimmtensozialen Gruppe angehören,unter spezifischen Abhängigkeitsverhältnissenstehen, sich nicht wehrenkönnen oder ihr Verhalten gesellschaftlicherwarteten Mustern nicht entspricht?Es ist nicht das selbe, ob einJunge verletzt wird, weil er sich mit einemanderen gleich starken oder gleichaggressivem Jungen/Mädchen prügeltoder ob er verprügelt wird, weil er nichtden erwarteten Rollenklischees eineswehrhaften Jungen entspricht. Es ist einqualitativer Unterschied, ob jemand Opferrassistischer, frauen-, schwulen- o-der lesbenfeindlicher Übergriffe wird,ob jemand sich in bestimmten Gewaltsituationenwehren oder ihnen entgehenkann oder die Gewalt in extremen Abhängigkeits-und Machtkonstellationenerlebt und ihr ausgeliefert ist, etwawenn ein Junge/Mädchen von Vater o-der Mutter misshandelt oder sexuellmissbraucht wird.• Anzuerkennen, dass die Geschlechtszugehörigkeit(nur) eines von mehrerenwichtigen Strukturierungsmerkmalenfür die Beschreibung bestehenderMacht-, Diskriminierungs- und Gewaltverhältnisseist, und überlagert bzw.verwoben ist mit anderen relevantenStrukturkategorien, etwa Alter und Generation,ethnischer und sozialer Herkunft,sexueller Orientierung usw., kannin zukünftigen Diskussionen helfen,sowohl einfache geschlechterpolarisierendeSichtweisen (und kollektiveSchuldzuweisungen) aufzulösen, wieauch den Tendenzen einer allzu starkenIndividualisierung von Gewaltverhältnissenentgegenzuwirken.• Für mich ergibt sich ein aktives Interessefeministischer gewaltpräventiver Arbeitund Forschung an der Thematisierungauch männlicher Opfererfahrungenzunächst aus dem grundsätzlichen humanistischenAnliegen heraus, Gewaltopferernst zu nehmen, deren Erfahrungennicht zu leugnen und Solidaritätund Mitgefühl für Opfer von Gewaltund Diskriminierung gleich welchenGeschlechts, welcher sozialen/ethnischenHerkunft und welcher sexuellenOrientierung aufzubringen.• Zweitens kann das Ernstnehmen männlicherOpfererfahrungen und Verletzungenein wichtiger Beitrag für die Präventionmännlicher Gewalt gegen Frauen,Männer und Kinder sein.• Drittens scheint es mir angesichts dervielfältigen Verbindungen und Wechselwirkungenunterschiedlicher Gewaltformenund -kontexte heute notwendigund zeitgemäß, auf breitere gesellschaftlicheAnalysen und Koalitionenhinzuarbeiten, wenn es um die Beschreibungund den Abbau von Gewaltin allen Bereichen der Gesellschaftgeht. Bei aller Unterschiedlichkeit eintviele von uns das gemeinsame Interesse,Gewalt in den verschiedenen Bereichenvon Gesellschaft und Politik zu verringernund Gewaltopfern die bestmöglicheHilfe und Unterstützung zukommenzu lassen. Wenn nun zunehmend auchMänner erkennen, wie sehr sie unter derGewalt von Männern (und teilweise vonFrauen) leiden und zu erkennen geben,dass sie mit Gewalt und Grenzverletzungnicht (mehr) einverstanden sind,stärkt das diese gemeinsamen Anliegen.• Ich sehe in dieser Diskussion eine großeChance für neue Bündnisse zum Abbau82


Gewalterfahrungenund zur Prävention von Gewalt und fürden Aufbau verbesserter Geschlechterbeziehungenauf gesellschaftlicher Mikro-und Makroebene. Beides wird einwichtiger Baustein für die dringend erforderlicheKultivierung und Befriedungvon Politik und Gesellschaft sein.LiteraturArcher, J.: Sex differences in aggression betweenheterosexual partners: A meta-analytic review,in: Psychological Bulletin, 126 (5), 200, pp 651-680.Bauriedl, Thea: Beziehungsanalyse. Frankfurt1998.Belleck, Alan S. et.al. (ed.): Handbookof FamiliyViolence. New York (1988): S. 233-<strong>24</strong>6.Bundeskriminalamt (Hg.): Polizeiliche Kriminalstatistik1999 Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden2000.Evangelische Akademie Tutzing (Hrsg.): MännlicheOpfererfahrungen. Dokumentation der Tagungam 1.-3. März <strong>2002</strong> in Heilsbronn. Tutzing<strong>2002</strong> (Im Erscheinen).Hagemann-White, Carol u.a.: Hilfen für misshandelteFrauen, Bundesministerium für Jugend,Familie und Gesundheit (Hg.), SchriftenreiheBand 1<strong>24</strong>; Stuttgart 1981.Hirsch, Mathias.: Realer Inzest. Psychodynamikdes sexuellen Missbrauchsin der Familie. Gießen1999.Kavemann, Barbara: Das bringt mein Weltbilddurcheinander – Frauen als Täterinnen in derfeministischen Diskussion sexueller Gewalt in:Elliott, M: Täterinnen – Sexueller Missbrauchan Mädchen und Jungen, Ruhnmark 1995, S.13-41.Kavemann, Barbara: Frauen als Täterinnen – Frauen,die Mädchen und Jungen sexuell missbrauchen,in: Wodtke-Werner, Verena (Hg.) Nichtwegschauen – Vom Umgang mit Sexualstraftätern,Weinheim 1998, S. 31-44.Ohms, Constanze: Mehr als das Herz gebrochen –Gewalt in lesbischen Beziehungen, Berlin 1993.Schröttle, Monika: a) Neun Thesen zur angeblichgleichen Gewaltbetroffenheit von Männern undFrauen in Paarbeziehungen. b) Reflexionen zumTagungsthema aus feministischer Perspektive.Vortragsmanuskripte <strong>2002</strong>. Beides erscheintdemnächst in der Dokumentation der Tagungder Evangelischen Akademie Tutzing zumThema „Männliche Opfererfahrungen“ vom 1.-3.3.<strong>2002</strong> in Heilbronn.Steinmetz, Susanne K.: The Battered HusbandSyndrome. In: Victimology,vol. 2. (1978), no.3/4: S. 499-509.Steinmetz, Susanne K.: Women and Violence:Victims and Perpetrators. In:American Journalof Psychotherapy, vol. 34 (1980), no. 3: S. 334-350.Steinmetz Suzanne K.; Lucca, Josef S.: Husbandbattering. In: Hasselt,Vincent van; Morrison,Randall L.Straus, M. A., Gelles R. J.: Psysical violence inAmerican families: Risk factors and adaptionsto violence, New Brunswick, Transaction 1990.Tjaden, Patricia/Thoennes, Nancy: Full Report ofthe Prevalence, Incidence and Consequences ofViolence Against Women, National Institute ofJustice, NCJ 183781, US Department of Justice2000a.Tjaden, Patricia/Thoennes, Nancy: Prevalence andconsequences of male-to-female and female-tomalepartner violence as measured by the NationalViolence Against Women Survey, ViolenceAgainst Women 6/2000b, pp118-141.Trube-Becker, Elisabeth.: Gewalt gegen das Kind.Heidelberg 1987.Wetzels, Peter/Greve, Werner/Mecklenburg, Eberhard/Bilsky,Wolfgang/Pfeiffer, Christian: Kriminalitätim Leben alter Menschen. Eine altersvergleichendeUntersuchung von Opfererfahrungen,persönlichem Sicherheitsgefühl undKriminalitätsfurcht. Stuttgart 1995.Veranstaltungsankündigung: Das <strong>IFF</strong> wird an der Universität Bielefeld am 01. November<strong>2002</strong> in kleinerem Rahmen ein Kolloquium zu den Gewalterfahrungen von Männern undFrauen durchführen, auf dem diese Ansätze weiterdiskutiert werden. Die Veranstaltung sollwird dann in einem kleinen Reader dokumentiert werden.83


___________________________________________________________________________Geplante Kürzungen der Landesregierung NRW gefährden Hilfeeinrichtungenfür Frauen und Mädchen___________________________________________________________________________Sieben Jahre rot-grüne Koalition konntenbisher frauenpolitisch als Erfolg gewertetwerden. Neben der konzeptionellen undrechtlichen Weiterentwicklung war auchder Förderausbau von Frauenprojekten, -selbsthilfeeinrichtungen und -initiativenein wichtiges politisches Anliegen. Einbesonderer Schwerpunkt war der BereichGewalt gegen Frauen und Kinder. Das Erreichtekonnte sich, auch im Vergleich zuanderen Bundesländern, wahrhaftig sehenlassen. Bei allen Haushaltsverhandlungenwar es vor allem der grünen Verhandlungskommissiongelungen, die Förderungfrauenpolitischer Maßnahmen deutlichauszubauen. Ihre Argumente konnten vielfachsogar die Opposition überzeugen, sodass z.B. im vergangenen Jahr fast allebündnisgrünen Haushaltsanträge einstimmigbeschlossen wurden. Nun im verflixtensiebten Jahr der Koalition soll mit diesem„breiten“ Konsens anscheinendSchluss sein; vor allem die SPD spielt hiereine mehr als unrühmliche Rolle.Entgegen allen Zusagen von FrauenministerinBirgit Fischer im Vorfeld der Beschlüssezum Haushaltsentwurf, dass siemit notwendigen Kürzungen keine Strukturenzerstören wird, plant sie insbesondereden Einrichtungen die Mittel zu streichen,die erst unter Rot-Grün in die Förderungaufgenommen wurden. Auf Null gesetztwerden soll u.a. die Förderung der Notrufe,Wildwasser und ähnlicher Einrichtungen(47 Einrichtungen), die Zufluchtstätten fürMädchen (3 Einrichtungen), Prostituiertenprojekte(3 Einrichtungen), der Landesaktionsplanhäusliche Gewalt, die geplanteLandeskoordinierungsstelle Gewalt gegenFrauen und Mädchen (geplante Einrichtungmit <strong>24</strong>-stündiger Erreichbarkeit).Darüber hinaus sind Kürzungen bei Frauenberatungsstellen(Mittel für eine neueBeratungsstelle soll gestrichen werden)und bei Prävention/Selbstbehauptungskursegeplant.Auch wenn die ein oder andere Kürzungangesichts der schwierigen Haushaltslageunausweichlich ist, sind vor allem dieStreichungen der Fördermittel für wichtigefrauenpolitische Strukturen nicht hinnehmbar.Es kann, so die frauenpolitische Sprecherinder Grünen im Landtag NRW, MarianneHürten, nicht sein, dass sich dasLand aus der Förderung von Beratungseinrichtungenzum Bereich sexualisierte Gewaltzurückzieht. Erschwerend kommt hinzu,dass auch in anderen Ressorts frauenrelevanteFörderungen gestrichen werden. Sosollen z.B. im Haushalt des Innenministeriumsdie Mittel für zur Betreuung vonAbschiebehäftlingen in der FrauenabschiebehaftanstaltNeuss gestrichen werden. Diegeplanten Kürzungen sind nicht nur frauenpolitischeine Provokation, sie sind eineEntsolidarisierung mit Opfern (sexueller)Gewalt und zerstören wichtige Infrastruktureinrichtungenund Projekte für Frauenund Mädchen in NRW. Stellvertretend fürviele andere Einrichtungen und Projektehaben wir drei Einrichtungen in Bielefeldgebeten, hierzu eine Stellungnahme ab-84


Kürzungenzugeben. Was die Kürzungen für ihre Arbeitbedeuten, berichten im Folgenden dieZufluchtstätte des Mädchenhaus Bielefelde.V., BellZett und der Frauennotruf Bielefelde.V.. Mit diesen Stellungnahmen wollenwir einen Beitrag zur Herstellung einerFrauenöffentlichkeit leisten und zu einerUnterstützung des landesweiten Protestesgegen die geplanten Kürzungen im Haushalt2003 aufrufen.Die Redaktion___________________________________________________________________________Mädchenhaus Bielefeld e.V.Die Zufluchtstätten in NRW müssen erhalten bleiben!___________________________________________________________________________In Bielefeld wurde im Juni 1992 die ersteZufluchtstätte für Mädchen in NRW eröffnetund während der ersten 5 Jahre alsModellprojekt durch Bundesmittel und bisEnde 1994 durch Mittel des Landschaftsverbandesgefördert. Seit 1992 beteiligtsich auch das Land NRW mit zuletzt jährlich102.258 € (für <strong>2002</strong>) an der Finanzierungder Personal- und Sachkosten derZufluchtstätte des Mädchenhaus Bielefelde.V. Damit finanziert sich die Zufluchtstätteaus Pflegesätzen (kommunale Mittel)und Landesmitteln. Im Juli <strong>2002</strong> erhieltenwir die <strong>Info</strong>rmation, dass diese Mittel imHaushaltsansatz für das Jahr 2003 zur Kürzungvorgesehen sind und voraussichtlichim Dezember <strong>2002</strong> mit einer endgültigenEntscheidung zu den Landesmitteln zurechnen ist.Die Zufluchtstätte des Mädchenhaus Bielefeldist die erste und einzige in NRW, dieeine Angebotspalette vorhält, wie sie inMädchenhauskonzepten vorgesehen sind.Sie bildet damit einen nicht wegzudenkendenBaustein in dem Netz aus den Angeboten:Beratung, Wohnen und Krisenintervention,die im Mädchenhaus Bielefeld imSinne einer flexiblen und qualifiziertenHilfestruktur für Mädchen vorgehaltenwird.Zur Arbeit der ZufluchtsstätteDas Angebot der Zufluchtstätte des MädchenhausBielefeld e.V. leistet wichtigeBeiträge, sowohl auf der individuellen alsauch auf struktureller Ebene.Auf der individuellen Ebene bietet sieMädchen unbürokratische Hilfe, Schutzvor Gewalt und Unterstützung bei derEntwicklung einer tragfähigen Lebensperspektivean. Dieses Angebot wird vonMädchen, die sexualisierte, körperlichebzw. seelische Gewalt erlebt haben landesweitin Anspruch genommen. Mädchen,die vor häuslicher Gewalt flüchten, die vonihren Eltern misshandelt oder vernachlässigtwerden, Mädchen, die gegen ihrenWillen verheiratet werden sollen, um nureinige Problembereiche zu nennen, suchenund finden in der Zufluchtstätte ein fachlichqualifiziertes und auf ihre Lebenslagezugeschnittenes Angebot, zur Beendigung85


(Frauen-)Politischer Brennpunktder Krise und zur Planung einer tragfähigenLebensperspektive.Die Entwicklung mädchenspezifischerKonzepte zur Krisenintervention und zumSchutz vor Gewalt, leistet jedoch nicht nureinen Beitrag auf der individuellen Ebenejedes einzelnen Mädchens. Die Leistungder Zufluchtstättenarbeit besteht auch darin,diese Erkenntnisse und Konzepte aufstruktureller Ebene wirksam werden zulassen. Das heißt: Durch die parteiliche,auf die Lebenslagen bzw. -erfahrungen vonMädchen zugeschnittene, Arbeitsweise, dieerst durch das „Modell Zufluchtstätte“möglich ist, wird landesweit ein wichtigerBeitrag zur Weiterentwicklung und Qualifizierungeiner geschlechtsspezifischenJugendhilfe, insbesondere im Bereich derHilfen zur Erziehung geleistet. Themenbereiche,die durch die Arbeit der Mädchenhäuser/derZufluchtstätte stärker in dieDiskussion gebracht wurden und zur Weiterentwicklungdes Zufluchtstättenkonzeptesbeigetragen haben sind z.B.:• Das Ausmaß sexualisierter Gewalt gegenMädchen – Folgen sexualisierterGewalt, Entwicklung pädagogischerKonzepte im Bereich Hilfen zur Erziehung,zum Schutz der Mädchen;• der unterschiedliche Umgang mit Mädchenund Jungen in der Jugendhilfe;• Lesbische Mädchen und Jugendhilfe;• Mädchen zwischen Jugendhilfe undPsychiatrie;• Mädchen zwischen Jugendhilfe und„Straße“;• Gewalttätige Mädchen;• Mädchen und geschlossene Unterbringung;• Mädchen mit Migrationshintergrund inder Jugendhilfe, Mädchen mit ungesichertemAufenthaltsstatus, Forderungund Umsetzung eines interkulturellenAnsatzes in der „eingedeutschten Jugendhilfe“(50% der Mädchen in derZufluchtstätte sind Migrantinnen, bzw.Mädchen mit unterschiedlichen kulturellenHintergründen, kaum eine findetin der deutschen Jugendhilfe ein für ihreLebenssituation passendes Angebot).• Auch die jüngste Diskussion um dasThema häusliche Gewalt steht in direktemZusammenhang mit dem Angebotder Zufluchtstätte. Das Angebot derZufluchtstätte ermöglicht es gerade denMädchen, deren Mütter sich nicht ausder Gewaltsituation lösen können, fürsich einen Ausweg zu finden, der ihneneine Lebensperspektive ohne Gewalteröffnet.Aufgrund der qualifizierten Weiterentwicklungzu mädchenspezifischen Themenwird die Zufluchtstätte mittlerweile auchals Fachstelle für Mädchenthemen in Anspruchgenommen. Es gehen immer wiederAnfragen bei uns ein, bei denen es nichtdirekt um eine Einzelfallhilfe in der Zufluchtgeht, sondern unsere Fachkenntnisabgefragt wird z.B. bei der Entwicklungindividueller Hilfeformen für Mädchen(außerhalb der Zuflucht) oder es geht umEinschätzungen oder Ideen zu bestimmtenmädchenspezifischen Themenbereichen, z.B. in der Jugendhilfeplanung oder auch beider Gestaltung von Jugendhilfeangebotenfür Mädchen. Damit leistet die Zufluchtstätteeinen nicht wegzudenkenden Beitragzur Weiterentwicklung und Förderung derlandesweiten Infrastruktur zum Schutz vonMädchen und Frauen vor Gewalt.86


KürzungenZufluchtstätten wirken der Benachteiligungvon Mädchen in der JugendhilfeentgegenWie wichtig die Fortsetzung dieser Arbeitist, beweist auch die aktuelle Statistik derHilfen zur Erziehung. Für Mädchen werdenerzieherische Hilfen immer noch seltenergewährt als für Jungen. Die sehr unterschiedlicheWahrnehmung von Mädchenund Jungen zeigt sich auch bei nähererBetrachtung der Bedarfsbegründung für(teil-)stationäre Maßnahmen. Bei Mädchenwerden die Schwierigkeiten der Familieeher in den Vordergrund gerückt, und dieindividuellen Schwierigkeiten des Mädchenselbst werden dabei häufig übersehen.Mädchen wird für den Familienzusammenhalteine wesentlich zentralere Rollezugewiesen als Jungen. So übernehmen siehäufig die Verantwortung für das Funktionierender Familie, und nicht selten trägtauch die Jugendhilfe dazu bei, dass siediese Rolle weiterhin ausfüllen. Die Statistikzeigt, dass Mädchen zu Beginn der Hilfeälter sind als Jungen und häufig habensich ihre Problemlagen bis zur Hilfegewährungdramatisch zugespitzt.Schutzmaßnahmen, in der Regel in Folgeder Flucht der Mädchen aus dem Elternhaus,(Inobhutnahmen zur Krisenintervention,so wie sie auch in der Zufluchtstättein Bielefeld geleistet wird), finden beiMädchen ab 14 Jahren erheblich häufigerstatt als bei Jungen. Bei Jungen geht dieInitiative für eine erzieherische Hilfe in54,9% auf die Initiative der Mütter oderVäter zurück, sowie in je 20% auf die Interventiondes Jugendamtes oder der Schule.Mädchen initiieren demgegenüber wesentlichhäufiger (in 43% der Fälle) „ihre“erzieherische Hilfe selbst. Sie sind weitmehr auf ihr eigenes Tun und Handelnangewiesen, wenn sie Unterstützung außerhalbder eigenen Familie benötigen.Das Konzept der Zufluchtstätte kommtdieser Eigeninitiative der Mädchen durchdas Angebot der schnellen und unbürokratischenHilfe entgegen und leistet damiteinen wichtigen Beitrag, Gewaltsituationenso früh wie möglich zu beenden.Die Zufluchtstätte des Mädchenhaus Bielefeldträgt erheblich dazu bei, dem Bild, dasMädchen eher weniger problembelasteterscheinen läßt, entgegenzuwirken und dieunauffälligeren Signale der Mädchen genauerin den Blick zu nehmen. Tatsacheist, dass die Jugendhilfe in ihrem bisherigenVerfahren Mädchen benachteiligt. Jugendhilfereagiert noch immer vor allemauf Auffälligkeiten wie Gewalt, Randaleund Kriminalität; Auffälligkeiten mit deneneher Jungen auf sich aufmerksam machen.Auffälliges Verhalten erzeugt Handlungsdruck.Mädchen tendieren eher zusozialverträglicheren, d.h. unauffälligeren,nicht störenden, vielmehr gegen sich selbstgerichteten Reaktionsweisen auf Konflikte.So wird z.B. selbstverletzendes Verhalten– oft in Folge von körperlichen, seelischenoder sexualisierten Gewalterfahrungen –nicht zur Sprache kommen, wenn es keineEinrichtungen und Fachkräfte gibt, die esdem Mädchen erlauben, in einer geschütztenAtmosphäre darüber zu reden. Das Angebotder Zufluchtstätte macht dem MädchenMut, ihre ganze Geschichte zu erzählen,denn sie muß weder befürchten, dasssie als erstes ihr „abweichendes“ Verhaltenkorrigieren muß, noch dass ihr die Schuldfür ihr Verhalten gegeben wird. Das erfordertein hohes Maß an Sensibilität und(Fach-)Kenntnis über die gesamte Lebenssituationund die Überlebensstrategien vonMädchen. Es braucht Zeit und Geduld, um87


(Frauen-)Politischer Brennpunktdie oftmals im Verborgenen liegendenNotlagen der Mädchen zu ergründen.Die Landesförderung der Zufluchtstättenträgt bislang dazu bei, dieser andauerndenBenachteiligung deutlich entgegenzuwirkenund mit den Zufluchtstätten mädchenspezifischeAngebote zu fördern, die denBlick schärfen und die Sensibilität fördern,für die leisen, oft unauffälligeren Signaleder Mädchen.In NRW, dem bevölkerungsstärksten Bundeslandgibt es nur 3 Zufluchtstätten fürMädchen. Für die Zufluchtstätte in Bielefeldist von Beginn an mit einer hohen Belegungdurch auswärtige Mädchen kalkuliertworden. Die Statistiken bestätigendiese Zahlen. Die Zufluchtstätte des MädchenhausBielefeld e.V wird sowohl vonMädchen aus Bielefeld, der gesamten RegionOWL als auch aus NRW angefragt.Statistik über die Belegungsanteile Bielefeldund AuswärtigeJahr Bielefeld Auswärtige1995 34,60 % 65,43 %1996 35,43 % 64,57 %1997 49,07 % 50,93 %1998 42,<strong>24</strong> % 57,76 %1999 48,95 % 51,05 %2000 44,56 % 55,44 %2001 54,09 % 45,91 %Durchschnitt 44,13 % 55,87 %Die Streichung der Landesmittel hatKonsequenzen für die Mädchen und fürdie gesamte Jugendhilfe in NRW• Die Streichung der Landesmittel gefährdetdas Minimalangebot von dreiZufluchtstätten für Mädchen in NRW.• Ein flächendeckendes Angebot war inden letzten 10 Jahren nicht umzusetzen.• Zufluchtstätten haben nach wie vorModellcharakter und leisten einenwichtigen Beitrag zur Weiterentwicklungund Qualifizierung der Jugendhilfelandesweit.• Die Kürzung der Landesmittel istgleichzusetzen mit der Schließung dieserAngebote. Der Wegfall der Landesmittelwürde z.B. für die Zufluchtstättein Bielefeld ab Januar 2003 einePflegesatzerhöhung von 36,40 € proBelegungstag bedeuten. Dies wäre eineKostensteigerung von 21%. Eine solcheKostensteigerung ist bei den vielenunterschiedlichen kommunalen Jugendämternnicht durchzusetzen. Derfinanzielle Druck würde über die Pflegesatzdiskussiondirekt an die Mädchenweitergegeben, denen ein Zufluchtstättenaufenthaltdann allein ausKostengründen verwehrt würde.• Tatsache ist, dass die Jugendhilfe Mädchenbenachteiligt. Diese Tendenzwürde durch die Einsparungen derLandesmittel für die Zufluchtstättenfortgesetzt und es sind wieder Mädchen,die dadurch besonders hart getroffenwerden.Die Verfassung des Landes NRW garantiertin Artikel 6 Abs. 2 Kindern und Jugendlichenein Recht auf Entwicklung undEntfaltung ihrer Persönlichkeit, auf gewaltfreieErziehung und den Schutz vor Gewalt,Vernachlässigung und Ausbeutung.Die Landesmittel zur Förderung der Zufluchtstättenin NRW leisten einen wichtigenBeitrag, dieses Versprechen auch einzulösen.Mit der ersatzlosen Streichungdieser Mittel wird auch der Weiterentwicklungund Qualifizierung einer mädchengerechtenJugendhilfe ein schwerer Schlagversetzt. Die Streichung der Mittel, ohnedie bisherige Arbeit der Zufluchtstätteneiner Evaluation zu unterziehen, kommt88


Kürzungen• Fachliche Unterstützung in Richtungeiner genderorientierten Schulentwicklung• Selbstbewusste Schülerinnen/SchülerWas steht für das BellZett auf demSpiel?BellZett ist in NRW eine der großen Anbieterinnenin diesem Programm. Mit derMädchenarbeit an 30-40 Schulen jährlichist dieser Bereich ein wichtiges Standbein.Die Sperre bedeutet für uns aktuell einenVerlust von geplanten Einnahmen in Höhevon ca. 30.000,- €. Das gefährdet konkretArbeitsplätze.Die sinnvolle Kooperation mit Schulen imbisherigen Umfang (auf fachlicher, personellerund schulpolitischer Ebene) wirdsich verringern. Perspektivisch braucht esZeit und finanzielle Mittel gemeinsam mitden Schulen neue Formen der Finanzierungzu entwickeln und zu etablieren.Unser politischer Einsatz für das Rechtjedes Mädchens auf Prävention von Gewaltund Persönlichkeitsstärkung – unabhängigihres finanziellen Hintergrunds. Bellzettsetzt sich seit Bestehen mit viel politischerArbeit, Aktivierung von Fördermitteln undEnergie dafür ein, allen Mädchen Selbstbehauptungskursezu ermöglichen.BellZett fordert:Es ist unter den Aspekten von Effizienzund Nachhaltigkeit der bereits eingesetztenMittel im Initiativprogramm (seit 1998),der riesigen Nachfrage und positiven Beurteilungvon Schulseite her untragbar, dieGelder völlig ohne Übergangsfristen, indenen sich weitere Finanzierungsmöglichkeiten,Kooperationen oder Schulentwicklungauf diesem Gebiet realisieren können,auf Null zu kürzen.Wir fordern, dass die Gelder in der bisherigenHöhe von 750.000,- € sofort bewilligtwerden – dafür sprechen alle oben genanntenFakten, Ziele, Erfahrungen.Unser Engagement besteht neben der direktenArbeit mit den Mädchen und denSchulen auch darin, mitzuwirken, Angebotefür Mädchen auf breiter Ebene zu Implementieren.Sinnvoll wäre es Strategienaufzugreifen und zu erweitern, die es Schulenerlauben, solche Projekte langfristig zufinanzieren und durchzuführen. Denkbarist hier z.B. Austausch über Finanzierungsmöglichkeiten,Staffelung der Landesgeldernach sozialen Kriterien (z.B.Bedarf an Schulen in sozialen Brennpunkten),Finanzierung von Maßnahmen zurEtablierung von Sponsoring.Britta MaierKontaktBellZett – Frauen machen Frauen fitSudbrackstr. 36a, 33613 BielefeldTel. 0521-122109 / Fax 0521-122106info@bellzett.dewww.bellzett.deUm den Alltagsbetrieb aufrechterhalten zukönnen und um Zeit zu haben, ein neuesKonzept zur Zusammenarbeit mit Schulenzu entwickeln, freuen wir uns über Spendenund alle Formen der Unterstützung.91


(Frauen-)Politischer Brennpunktheitlichkeit, Ressourcenorientierung undRealitätsbezug.Da der Verein für die Mädchenarbeit nureine geringe kommunale Förderung erhält,müssen alle Betriebskosten (Personal, pädagogischeSachkosten, Werbung, Raummieteetc.) auf die Kursgebühren der Teilnehmerinnenumgelegt werden. VieleMädchen werden dementsprechend nurschwer, allenfalls mit einer Außenfinanzierungz.B. über das InitiativprogrammSelbstbehauptung und Konflikttraining anSchulen, erreicht.MädchenStärken an Schulen – Gelderim Haushalt gesperrtZiel des Initiativprogramms „Selbstbehauptungund Konflikttraining für Mädchenund Jungen an Schulen“ ist es, alsMaßnahme zur Gewaltprävention Kursezur Selbstbehauptung, Persönlichkeitsstärkungund Konfliktbearbeitung für Mädchenund Jungen an Schulen zu initiieren.Als wesentliche Inhalte werden für Mädchenund Jungen die Reflexion von geschlechtsspezifischenRollen und gewaltfreieKonfliktbearbeitung formuliert; zurPersönlichkeitsstärkung von Mädchen wirdexplizit Prävention von Gewalt und sexuellemMissbrauch genannt.Mit diesen Projekten hat das Thema Gewaltpräventionals Ansatz von Persönlichkeitsstärkungvon Mädchen und Jungenbreiteren Einzug in die Schulen gehalten.Gleichzeitig forcierte das BellZett Fortbildungenfür Lehrerinnen und Lehrer zumThema Persönlichkeitsstärkung von Mädchenan Schulen (Mädchenarbeit).Das Land Nordrhein Westfalen hat aktuelldie Gelder für das Initiativprogramm miteiner Haushaltssperre belegt. Zur Zeit istvöllig unklar, ob das Programm in diesemJahr noch „entsperrt“ wird. Klar ist, dassselbst bei Aufhebung der Haushaltssperreden Schulen nur die Hälfte des ursprünglichenBetrages (von beantragten 750.000,-€ jetzt noch im gesperrten Haushalt375.000,- € vorgesehen) zur Verfügunggestellt wird.Was steht für Mädchen auf dem Spiel?• Mädchenstärkende und mädchenspezifischeAngebote zur Gewaltprävention anSchulen (Parteilichkeit, Bedürfnisorientierung,Ressourcenorientierung)• Fachkompetente Angebote und <strong>Info</strong>rmationenzur Prävention von sexualisierterGewalt• Unterstützung beim Aufbrechen (innerschulischer)Gewaltstrukturen• Unterstützung, Austausch und Fortbildungvon Lehrerinnen und LehrernWas steht für Eltern auf dem Spiel?• Initiierung oder Vertiefung von Gewaltpräventionan Schulen• Stärkung von Mädchen/Prävention vonGewalt unabhängig von finanziellenRessourcen• Finanzielle Entlastung• Fachkompetenz und Qualitätsstandardsder AngeboteWas steht für Schulen auf dem Spiel?• Fortbildung/Qualifizierung von Lehrerinnenund Lehrern• Bereicherung des schulischen Angebots/Impulse „von außen“• Bewährten Kooperationen sowohl auffachlicher als auch auf personeller Ebenezur Verankerung von Mädchenarbeit• Einbindung von Prävention ins Schulkonzeptals Querschnittsaufgabe90


Kürzungen• Fachliche Unterstützung in Richtungeiner genderorientierten Schulentwicklung• Selbstbewusste Schülerinnen/SchülerWas steht für das BellZett auf demSpiel?BellZett ist in NRW eine der großen Anbieterinnenin diesem Programm. Mit derMädchenarbeit an 30-40 Schulen jährlichist dieser Bereich ein wichtiges Standbein.Die Sperre bedeutet für uns aktuell einenVerlust von geplanten Einnahmen in Höhevon ca. 30.000,- €. Das gefährdet konkretArbeitsplätze.Die sinnvolle Kooperation mit Schulen imbisherigen Umfang (auf fachlicher, personellerund schulpolitischer Ebene) wirdsich verringern. Perspektivisch braucht esZeit und finanzielle Mittel gemeinsam mitden Schulen neue Formen der Finanzierungzu entwickeln und zu etablieren.Unser politischer Einsatz für das Rechtjedes Mädchens auf Prävention von Gewaltund Persönlichkeitsstärkung – unabhängigihres finanziellen Hintergrunds. Bellzettsetzt sich seit Bestehen mit viel politischerArbeit, Aktivierung von Fördermitteln undEnergie dafür ein, allen Mädchen Selbstbehauptungskursezu ermöglichen.BellZett fordert:Es ist unter den Aspekten von Effizienzund Nachhaltigkeit der bereits eingesetztenMittel im Initiativprogramm (seit 1998),der riesigen Nachfrage und positiven Beurteilungvon Schulseite her untragbar, dieGelder völlig ohne Übergangsfristen, indenen sich weitere Finanzierungsmöglichkeiten,Kooperationen oder Schulentwicklungauf diesem Gebiet realisieren können,auf Null zu kürzen.Wir fordern, dass die Gelder in der bisherigenHöhe von 750.000,- € sofort bewilligtwerden – dafür sprechen alle oben genanntenFakten, Ziele, Erfahrungen.Unser Engagement besteht neben der direktenArbeit mit den Mädchen und denSchulen auch darin, mitzuwirken, Angebotefür Mädchen auf breiter Ebene zu Implementieren.Sinnvoll wäre es Strategienaufzugreifen und zu erweitern, die es Schulenerlauben, solche Projekte langfristig zufinanzieren und durchzuführen. Denkbarist hier z.B. Austausch über Finanzierungsmöglichkeiten,Staffelung der Landesgeldernach sozialen Kriterien (z.B.Bedarf an Schulen in sozialen Brennpunkten),Finanzierung von Maßnahmen zurEtablierung von Sponsoring.Britta MaierKontaktBellZett – Frauen machen Frauen fitSudbrackstr. 36a, 33613 BielefeldTel. 0521-122109 / Fax 0521-122106info@bellzett.dewww.bellzett.deUm den Alltagsbetrieb aufrechterhalten zukönnen und um Zeit zu haben, ein neuesKonzept zur Zusammenarbeit mit Schulenzu entwickeln, freuen wir uns über Spendenund alle Formen der Unterstützung.91


(Frauen-)Politischer Brennpunkt___________________________________________________________________________Frauennotruf Bielefeld e.V.Solidarität mit den Opfern sexueller Gewalt – Kürzungen verhindern___________________________________________________________________________Der FRAUENNOTRUF Bielefeld e.V.arbeitet bereits im zwanzigsten Jahr imBereich sexualisierter Gewalt gegen Mädchenund Frauen. Der Verein ist nach Jahrender Selbsthilfearbeit entstanden und istheute eine Beratungsstelle für alle Mädchenund Frauen ab 16 Jahren, die eine(versuchte) Vergewaltigung oder anderesexualisierte Gewalterfahrungen erlebenmussten. Das können z.B. sein: Telefonterror,Anmache auf der Straße, sexuelle Belästigungam Arbeitsplatz und Übergriffedurch TherapeutInnen, ÄrztInnen und andere.Mit unserem kostenlosen und anonymenBeratungs- und Unterstützungsangebotgeben wir Mädchen und Frauen aller Nationalitätendie Möglichkeit, sich in einengeschützten Rahmen mit der erlebten Gewaltund deren Auswirkungen auf ihr Lebenauseinander zu setzen.Wir bieten neben unseren Telefonsprechzeiten(Montags 18-22, Dienstags 10-12,Donnerstag 14-18 Uhr), auch persönlicheBeratungstermine an. In der Regel habenwir keine Wartezeiten, so dass den Betroffenenschnell und unbürokratisch geholfenwerden kann.Außerdem bieten wir Unterstützung beider Suche nach kompetenten ÄrztInnen,RechtsanwältInnen, Therapeutinnen etc.und begleiten Frauen, die das möchten, zurÄrztIn, AnwältIn, Polizei, Versorgungsamt,etc.Ein Schwerpunkt der Arbeit desFRAUENNOTRUF e.V. ist die Vorbereitungund die Begleitung vor und währenddes Gerichtsprozesses. Die Betroffenenwerden von uns soweit wie möglich aufdiese belastende Situation vorbereitet, z.B.durch ein vorheriges Besuchen eines vergleichbarenanderen Prozesses. Bei entsprechenderNachfrage organisieren wirangeleitete Gruppen und Selbsthilfegruppen.Seit zwei Jahren sind wir in der Lage russisch-und türkischsprachigen Frauen, fürjeweils zwei Stunden die Woche, ein telefonischesBeratungsangebot in ihrer Mutterspracheanzubieten (für türkischsprachigeFrauen Montags 16-18, für russischsprachigeFrauen Dienstags 18.30-20.30).Zusätzlich bieten wir zweimal im Monat inder Universität Bielefeld Sprechzeiten (L3-119) für Mitarbeiterinnen und Studentinnenan, die sexuelle Diskriminierung undGewalt an der Uni erlebt haben. Nebenpsychologischer Beratung, begleiten undberaten wir betroffene Frauen bei informellenund formellen Beschwerdewegeninnerhalb und außerhalb der Universität.Darüber hinaus bildet der Bereich Öffentlichkeitsarbeiteinen wesentlichen Schwerpunktunserer Arbeit, da im Bereich „sexualisierteGewalt“ nach wie vor extrem vieleTabus und Vorurteile existieren, die sichdurch eine hohe Dunkelziffer bzw. geringeAnzeigenbereitschaft ausdrücken. Auf92


Kürzungenkommunaler Ebene (Frauenprojekte PlenumBielefeld) arbeiten wir eng mit anderenFrauenprojekten zusammen, auf Landes-und Bundesebene mit anderen Notrufen(Landesarbeitsgemeinschaft der FrauennotrufeNRW; Bundesnotruftreffen).Über die Arbeit in verschiedenen lokalenGremien wollen wir an der Verbesserungder Situationen für Betroffene arbeiten undin der Öffentlichkeit ein Bewusstseinschaffen.Die personelle Situation des FRAUEN-NOTRUF Bielefeld e.V. war in all denJahren selten ausreichend, nicht zuletztdeshalb, weil aus finanziellen Gründenkaum genügend Stellen eingerichtet werdenkönnen. Daher ist der Verein auf zusätzlicheSpenden und Mitgliedsbeiträgedringend angewiesen.Das Team setzt sich aus zwei Psychologinnenmit je einer halben Stelle, die jeweilsvon Stadt und Land finanziert werden,und einer Diplomsozialwirtin mit geringemStundenumfang zusammen. Danebentragen noch 5 Ehrenamtliche und 2Honorarfrauen die Arbeit des FRAUEN-NOTRUF mit, die sonst kaum zu bewältigenwäre.Mit Entsetzen mussten wir vor zwei Monatenaus der Presse erfahren, dass unsereArbeit nun auch noch durch die Streichungder Landesmittel gefährdet ist. Der Haushaltsentwurfder rot-grünen Landesregierungfür 2003 sieht vor, dass die finanziellenZuschüsse für sämtliche FRAUEN-NOTRUFE in NRW komplett gestrichenwerden. Dies alles geschieht, ohne das diebetroffenen Einrichtungen vorab von diesemVorhaben informiert worden sind. Wirempfinden es als zynisch, zum einen neueGesetze zum Schutze von Mädchen undFrauen zu erlassen (Gewaltschutzgesetzseit Januar <strong>2002</strong>), damit die gesellschaftlicheNotwendigkeit an zu erkennen. Zumanderen jedoch die dringend notwendigenHilfen für die Opfer zu streichen!Für den FRAUENNOTRUF Bielefeld e.V.würden diese Streichungen bedeuten, dasseine halbe Stelle wegfiele und die Beratungsstellemit nur einer Fachkraft aufrechterhalten werden müsste. Schon zur jetzigenZeit können die Mitarbeiterinnen dieNachfrage an Beratung und Begleitung nurschwer bewältigen. Bei einer Streichungder Personalmittel sind gravierende Folgenfür das Hilfsangebot zu erwarten.Konkrete Folgen für betroffene Frauen undMädchen aus Bielefeld und Umgebungwären:• Ein Großteil der Klientinnen könntenicht mehr beraten und müsste abgewiesenwerden.• Begleitung zur Polizei, zur RechtsanwältIn,bei Anzeigenerstattung etc.müssten wegfallen, ebenso die Beratungvon MigrantInnen, denn sie könntewegen fehlender Anbindung der Honorarkräftenicht aufrechterhalten werden.• Besonders zeitaufwändige Unterstützung,wie Prozessvorbereitung und -begleitung könnte in dem Umfangnicht mehr angeboten werden.Als gesamtgesellschaftliche Folgen dieserKürzungen wären zu nennen:• Zahlreiche Arbeitskreise und Kooperationsprojektekönnen nicht mehr wahrgenommenwerden. Das heißt z.B. dassdie in der Vergangenheit aufgebauteerfolgreiche Zusammenarbeit mit Polizeiund Justiz zur Verbesserung der Si-93


(Frauen-)Politischer Brennpunkttuation von Mädchen und Frauen wegfallenwürde.• Die gesamte Öffentlichkeitsarbeit indiesem tabuisierten Bereich müssteeingeschränkt werden.• Letztlich müssten wir auf Grund mangelnderEinarbeitung und Anbindungauf die Unterstützung ehrenamtlicherFachfrauen verzichten, was unser Angebotnoch weiter reduzieren würde.Für den FRAUENNOTRUF Bielefeld e.V.wären die Streichungen der Personalkostengleichzusetzen mit einer Streichung desBeratungsangebots. Die eingesparten Gelderals Kostensenkung zu betrachten, istmehr als kurzsichtig; denn dauerhaft werdensie höhere Folgekosten nach sich ziehen,weil durch die professionelle Beratungund Begleitung ein Teil der Sekundärtraumatisierungvon betroffenen Frauenund Angehörigen vermieden und damit dasGesundheitswesen entlastet werden kann.Wir appellieren an die Landesregierung diegeplanten Streichungen zurückzunehmen.Dies wird uns jedoch nur gelingen, wennwir es schaffen, einen großen Teil der Öffentlichkeitauf diese bedrohliche Situationaufmerksam zu machen und uns bei diesemProtest zu unterstützen! Momentansammeln wir Unterschriften und starteneine Protest Postkarten Aktion, die wir am10.10.<strong>2002</strong> an den Düsseldorfer Landtagspräsidentenüberreichen werden.Zeigen Sie ihre Solidarität mit den Opfernsexueller Gewalt und unterstützenSie uns bei unserem Protest!Weitere <strong>Info</strong>rmationen können Sie übersInternet beziehen, unterwww.frauennotrufe-erhalten.dewww.frauennotruf-bielefeld.deoder telefonisch unter 0521/12 42 48KontaktFrauennotruf e.V.Jöllenbecker Str. 57, 33613 BielefeldFon: 0521-12 42 4894


Silja PolzinVirtual International Gender Studies:Erfolgreicher Start des Studienprogramms71 Studierende aus vielen Teilen Deutschlands und dem benachbarten Österreich haben dieChance genutzt, im Sommersemester <strong>2002</strong> erstmals Virtual International Gender Studies(VINGS) online zu studieren. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung(BMBF) geförderte Projekt VINGS wird unter der Konsortialführung des InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrums der Universität Bielefeld in Kooperation mit der FernUniversitätHagen, der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Hannover durchgeführt. Ziel desProjekts mit einer Laufzeit von 33 Monaten ist die Entwicklung, Realisierung und Etablierungeines interdisziplinär und international ausgerichteten virtuellen Studienangebotes imBereich der Geschlechterforschung. Das kooperative Lernen via Internet ermöglicht das Studiumbei namhaften ExpertInnen aus dem In- und Ausland.Entwicklungsarbeiten im ProjektDem Start der ersten drei Kurse im Sommersemester<strong>2002</strong> ging eine Projektphaseengagierter Entwicklungsarbeit voraus.Innerhalb eines Jahres waren das Studienunddas Weiterbildungsprogramm, dieStudierendenverwaltung, der Online-Campus 1 und die ersten medienbasiertenKurse zu realisieren. Um die damit verbundenenkomplexen Aufgaben zu meistern,haben sich im Projekt VINGS 2 vierArbeitsbereiche gebildet:• AG Curriculum• AG Mediendidaktik/Mediengestaltung• AG Technik• AG EvaluationInsbesondere im ersten Projektjahr habendie AG Technik und die AG Mediendidaktik/Mediengestaltungkontinuierlich zu-1 Die Lernumgebung wird im folgenden kurz vorgestellt.2 Vgl. Bericht über Konzeption und Ziele des Projektsin <strong>IFF</strong>-<strong>Info</strong>, <strong>Nr</strong>. 23/WS 2001/02sammengearbeitet, um eine leicht bedienbareLern- und Kursumgebung für die Online-Seminarevon VINGS zu realisieren.Nach mediendidaktischen Vorgaben, technischenund auch finanziellen Abwägungenwurde die virtuelle Lern- und Kursumgebungin einem bewusst sparsamen,elegant-effizienten Design entworfen, derenAkzeptanz im Rahmen der projektbegleitendenSystemevaluation unter die Lupegenommen wird.Aber was nützt eine Hülle ohne Fülle? Fürdie Inhalte hat die AG Curriculum gesorgt,die an der Feinabstimmung des Studienprogrammsim Umfang eines Masters bzw.Magisternebenfaches weitergearbeitet hat,Autorinnen für die medial aufzubereitendenLehr-/Lernmaterialien, Dozentinnenund Tutorinnen engagiert und intensiv betreuthat. Bei der mediendidaktischen und -technischen Qualifizierung der Lehrendenwiederum griff die enge Verzahnung derAG Curriculum mit der AG Mediendidaktik/Mediengestaltung.95


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Die Projektarbeiten konnten sich auf eineZielgruppenanalyse der AG Evaluationstützen, die erste wichtige Hinweise überpotentielle VINGS-Studierende gab. Mitder Durchführung der ersten VINGS-Seminare ist die projektbegleitende Evaluation,deren wichtigstes Ziel die Qualitätssicherungist, in die zweite Phase übergegangen:die Kursevaluation 3 .Parallel zu dem Studienangebot „VINGSstudieren” wurde im Rahmen des Projektsein berufsbgeleitendes Weiterbildungsprogramm„VINGS qualifizieren” entwickelt,das für Gleichstellungsarbeit und Führungsaufgabenqualifiziert und im WS<strong>2002</strong>/03 beginnt 4 . Über Konzeption undZiele der Weiterbildung „VINGS qualifizieren”berichtet Projekt-MitarbeiterinKirsten Pinkvoss in dieser Ausgabe des<strong>IFF</strong>-<strong>Info</strong>.ZielgruppenanalyseVor dem Start der ersten Kurse wurde imRahmen der projektbegleitenden Evaluationeine Befragung von Studierenden dervier kooperierenden Hochschulen durchgeführt.Im Sinne der TeilnehmerInnenorientierungals einem zentralen mediendidaktischenLeitprinzip 5 von VINGS hatte dieseVoruntersuchung das Ziel, ein differenziertesBild der potentiellen Zielgruppe einesvirtuellen Studienangebotes im Bereich derGeschlechterforschung zu ermitteln.Fokussiert wurden die Bereiche: Computer-und Internetkompetenzen, technischeZugangsmöglichkeiten, thematische Interessenan einem interdisziplinären Studienangebotim Bereich der Geschlechterforschung,Motivation zu praktischen Erfahrungenmit neuen Lehr- und Lernformen,Bildungsstand und berufliche Belastung.Die Ergebnisse der Auswertung von 270Fragebögen sind im folgenden kurz zusammengefasst.Großes Interesse an Gender StudiesDie meisten Befragten hatte bereits Lehrangeboteim Bereich der Geschlechterforschunggenutzt, vor allem an den UniversitätenHannover, Bielefeld und Bochum, diesich durch Schwerpunkte im Bereich GenderStudies in Lehre und Forschung auszeichnen.Insgesamt war gut die Hälfte derBefragten daran interessiert, Gender Studieszu studieren, wenn ein solcher Studiengangangeboten würde. Die thematischenSchwerpunkte des StudienprogrammsVINGS riefen bei Fern- und Präsenzstudierendengroße Resonanz hervor.Am schwächsten war das Interesse an einer„Einführung in das virtuelle Lernen undLehren”. 6 Das mag damit zusammenhängen,dass fast zwei Drittel der Befragtensich als computererfahren einschätzten,mehr als 80 Prozent von ihnen gern mitdem PC arbeiteten und fast alle bereits das3 In einer der nächsten Ausgaben des <strong>IFF</strong>-<strong>Info</strong> wirdüber die Ergebnisse der Kursevaluation berichtet.4 Eine im Jahr 2001 unter der Leitung von Prof. Dr.Katharina Gröning am <strong>IFF</strong> durchgeführte Machbarkeitsstudiebelegt den großen Bedarf an Fortbildungenfür Gleichstellungsarbeit. Vgl. hierzu denBericht von Monika Noller über die Ergebnisse derMachbarkeitsstudie in dieser <strong>IFF</strong>-<strong>Info</strong>-Ausgabe.5 Die Leitprinzipien sind im mediendidaktischenBasiskonzept von VINGS verankert, das projektbegleitendfortgeschrieben wird.6 Da hier einigen Befragten möglicherweise sprachlichder Zugang zum Thema ein wenig verstelltwar, wurde der Kurs im Sinne der TeilnehmerInnenorientierungmit „Studieren im Netz” griffigerbetitelt. 20 VINGS-Studierende haben den Kurs zurErweiterung ihrer theoretischen und praktischenInternetkenntnisse belegt. An der Universität Bielefeldwurde bereits der Wunsch geäußert, diesenOnline-Kurs auch für nicht in VINGS eingeschriebeneStudierende zu öffnen.96


Virtual International Gender StudiesInternet genutzt hatten, mehr als die Hälftesogar häufig.Erfahrungen mit PC und InternetZugangsbarrieren zu Netzdiensten spieltenfür die Befragten keine Rolle. 92,2 Prozentstand zu Hause ein Computer zur Verfügung,34,4 Prozent am Arbeitsplatz und31,1 Prozent in der Universität. SpezifischeDifferenzen zeigten sich zwischenPräsenz- und Fernstudierenden. Von denBefragten, die zur Zeit der Untersuchungan einer der drei am Projekt beteiligtenPräsenzuniversitäten in Bielefeld, Bochumoder Hannover studierten, konnten rund 60Prozent einen Computer an der Hochschulenutzen. Von den befragten Studierenden derFernUniversität Hagen hatten 41 ProzentZugriff auf einen PC mit Internetanschlussan ihrem Arbeitsplatz. Zu den häufigstenund routiniertesten Computeranwendungengehörten nach Angaben der BefragtenTextverarbeitung sowie <strong>Info</strong>rmations- undLiteraturrecherchen via Internet. VirtuelleHochschulseminare hatten bisher nur 7,1Prozent der Befragten belegt.Fernstudierende deutlich älterDeutliche Unterschiede zwischen Präsenzuniversitätenund FernUniversitäten zeigtensich in Altersstruktur, beruflicher Belastungund Qualifizierung. Die Mehrheit derStudierenden an den Präsenzuniversitätenabsolvierte ein Erststudium und war zumZeitpunkt der Befragung bis zu <strong>24</strong> Jahrealt, die wenigsten waren älter als 30. EinerTeilzeitbeschäftigung gingen mehr als 70Prozent der Studierenden an Präsenzuniversitätennach. Die meisten davon arbeitetenbis zu 19 Stunden pro Woche. DerVorteil örtlicher und zeitlicher Flexibilitätvon mediengestützten bzw. webbasiertenLernangeboten kann demnach auch Präsenzstudierendendie Integration von Studiumund Erwerbstätigkeit erleichtern.An der FernUniversität hingegen liegt derAltersdurchschnitt deutlich höher. 60 Prozentder Fernstudierenden, die an der Befragungteilnahmen, waren 30-40 Jahre alt,mehr als 20 Prozent älter als 40. Nur 20Prozent waren jünger als 30. Entsprechendder Altersstruktur war mehr als die Hälfteder Fernstudierenden vollzeiterwerbstätig,knapp 30 Prozent arbeiteten in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen.Die meistenFernstudierenden verfügten bereits übereinen Hochschulabschluss und absolviertenan der FernUniversität Hagen – in derRegel berufsbegleitend – ein zweites Studium.Über die Auswirkungen der unterschiedlichenbildungs- und berufsbiographischenKontexte von Fernstudierenden und Präsenzstudierendenauf Studienmotivation,Qualifikationsziele und Anforderungen hinsichtlichzeitlicher und organisatorischerRahmenbedingungen eines virtuellen Studiums,das auf intensive Kooperation undKommunikation angelegt ist, wird die Projektevaluationnähere Aufschlüsse ergeben.Erste Kurse vermitteln BasiswissenDie ersten drei VINGS-Kurse wurden imSommersemester <strong>2002</strong> erfolgreich durchgeführt.In Grundlagen I vermittelten zweiSeminare inhaltliches und methodischesBasiswissen und die für das netzbasierteStudieren notwendigen Medien- und Internetkompetenzen.Prof. Dr. Ilse Lenz, Ruhr-Universität Bochum, und Dr. Paula-IreneVilla, Universität Hannover, boten in einerländerübergreifenden Lehrkooperation dasOnline-Seminar „Einführung in die InternationaleGeschlechterforschung” an. Behandeltwurden verschiedene Ansätze zum97


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Verständnis von Geschlecht als grundlegendemgesellschaftlichen Strukturprinzipauf der einen Seite und als wissenschaftlicherAnalysekategorie auf der anderenSeite.In dem Online-Kurs „Studieren im Netz”konnten VINGS-Studierende vertiefendeInternetkompetenzen erwerben, die für dieNutzung von Netzdiensten als Lern- undLehrmedium erforderlich sind. Behandeltwurden Themen wie selbstgesteuerte Lernorganisation,Kommunikation und Kooperation,wissenschaftliches Recherchierenund Publizieren im Netz. Dieser VINGS-Basiskurs wird von Silja Polzin und AnneReckmeyer im Wintersemester ein zweitesMal angeboten.In Grundlagen II bereiten einführendePropädeutika auf die vier Schwerpunktmodulevor, in die sich VINGS in der Hauptphaseauffächert:• Globalisierung, Europäisierung,Regionalisierung• Gesellschaftliche Transformationen imVerhältnis von Arbeit und Geschlecht• Körper, Sexualität, Gesundheit• Geschlechterverhältnisse undUmbrüche in LebensformenIm Sommersemester <strong>2002</strong> wurde das erstePropädeutikum zur Einführung in das Modul„Gesellschaftliche Transformationenim Verhältnis von Arbeit und Geschlecht”durchgeführt. Das von Prof. Dr. ReginaBecker-Schmidt, Universität Hannover,angebotene Seminar führte in den Zusammenhangvon Arbeit und Geschlecht ein.Struktur des Studienprogramms VINGS98


Virtual International Gender Studies„Ausgehend davon, dass Frauen in andererWeise als Männer zwischen verschiedenenPraxisfeldern wie Hausarbeit, Subsistenzarbeit,care work, Erwerbstätigkeit undEhrenamt pendeln, werden Differenzenherausgearbeitet, die sich aus unterschiedlichenZusammensetzungen des jeweiligenEnsembles „Arbeit“ ergeben”, so die Seminarankündigung.Als innovativer medialerVermittlungsansatz wurden Bedeutungsdimensionenvon „Geschlecht“, feministischeForschungsperspektiven undmit diesen verbundene Problemstellungenin visualisierter Form als multimedial aufbereiteteconcept maps transparent gemacht,die in aufwendiger und engagierterEntwicklungsarbeit produziert und auf CDgebrannt wurden.Zulassung und ZertifizierungZulassungsbedingung während des Modelldurchlaufsvon VINGS ist ein fortgeschrittenesGrundstudium in den Sozial-, Erziehungs-,Kultur- und Geisteswissenschaften.Ein Abschluss ist während der Projektlaufzeitnicht möglich, wohl aber die Zertifizierungeinzelner erfolgreich absolvierterKurse. 7 Um eine hochschulübergreifendeAnerkennung von Leistungsnachweisen zuerleichtern, wird nach dem European CreditTransfer System zertifiziert werden.Dies soll eine Integration von VINGS-Seminaren in bestehende Präsenzstudiengängeermöglichen.7 Einzelheiten zu Einschreibung, Kursanmeldungund Leistungsnachweisen sind über die aktuellen<strong>Info</strong>rmationen zum Studienprogramm im Internetzu erfahren: http://www.vings.deWebbasierte VINGS-LernumgebungDie Realisierung der virtuellen Lernumgebungvon VINGS unter der Federführungdes Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrumsan der Universität Bielefeldorientierte sich an einem von derAG Mediendidaktik/Mediengestaltung undder AG Technik erarbeiteten Kriterien-Katalog, der sich an den im mediendidaktischenBasiskonzept entworfenen Lehr-/Lernszenarien ausrichtete. Die komplexeKonzeption und Realisierung kann in diesemRahmen nur sehr verkürzt dargestelltwerden. Zu den wichtigen Anforderungengehörten Plattformunabhängigkeit, Bedienungsfreundlichkeitund die Vermeidungvon offener oder latenter Diskriminierungeinzelner BenutzerInnen-Gruppen durchfunktionales Konzept, Design oderEinsatzbedingungen des Systems. Dazuzählten ferner dezentrale Editierbarkeitund Konvertierbarkeit von Inhalten, didaktischeOffenheit des Systems, leicht bedienbareKommunikations- und Kooperationswerkzeuge,Datenschutz, Sicherheit,Integration vorhandener heterogener Systemkomponentenund Berücksichtigungvon Standards. Für die Studierenden solltekein Installationsaufwand nötig sein. DieÜbertragung von Daten sollte schnell undreibungslos funktionieren. Wie dieErfahrungen in E-Learning-Projektenzeigen, kann nicht alles, waswünschenswert ist, mit gleicher Prioritätverwirklicht werden. 8 Für das VINGS-8Vgl. zur Auswahl von E-Learning-Plattformen u.a. die vom Ministerium für Schule, Wissenschaft undForschung des Landes Nordrhein-Westfalen in Auftraggegebene und im April <strong>2002</strong> veröffentlichteStudie „Anforderungen an eine eLearning-Plattform– Innovation und Integration”, URL:http://www.medien-bildung.net/lernplattformen/lernplattformen_3.php/spezialthemen/lernplattformen (Stand 20.09.<strong>2002</strong>). Eine aktuelle Übersichtverschiedener Expertisen zur Auswahl und Evaluati-99


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Für das VINGS-Projekt standen didaktischeÜberlegungen bei allen technischfunktional-gestalterischenEntscheidungs- undRealisierungsprozessen an erster Stelle.Hinsichtlich der Studierendenverwaltungkonnte das Projekt auf die leistungsfähigePlattform der Virtuellen Universität (VU)der FernUniversität zurückgreifen, mit derDaten von rund 70.000 Fernstudierendenelektronisch verwaltet werden.Das VINGS-Projekt mit seinem auf vierStandorte verteilten Team hatte dieschwierige Aufgabe zu lösen, heterogeneSysteme bzw. Systemkomponenten zurVermittlung von Studieninhalten, virtuellenKommunikation, Zusammenarbeit undVerwaltung zusammenzuführen, ohne dassdies an der interaktiven Anwendungsoberflächefür die Studierenden spürbar wurde.Gender und MediendidaktikIm VINGS-Projekt hat sich die Überzeugungder <strong>Info</strong>rmatikerin Britta Schinzelbestätigt, „(...) keine spezifische Didaktikfür Frauen zu fordern: Sie würden dadurcherneut festgelegt auf ein rollenspezifischesVerhalten, dem sie womöglich gar durchdie Beschäftigung mit Neuen Medien zuentkommen versuchen.“ 9 Die kritischeReflexion genderrelevanter Implikationenbei der Konzeption und Realisierung medialvermittelter Lehr-/Lernprozesse gehörton von Lernplattformen bietet das Internet-Portal zurBMBF-Förderung „Neue Medien in der Bildung”,URL: http://www.medien-bildung.net/lernplattformen/lernplattformen_3.php/spezialthemen/lernplattformen (Stand 20.09.<strong>2002</strong>).9 Schinzel, Britta (2001): e-learning für alle: GendersensitiveMediendidaktik. In: Ernst, U. (Hrsg.):Gender und Neue Medien. Innsbruck.URL: http://fem.uibk.ac.at/nmtagung.html (Stand20.09.<strong>2002</strong>).zu den kontinuierlichen Aufgaben desVINGS-Projekts. Denn wie Britta Schinzelbetont, wäre es falsch, „es (...) dabei zubelassen, wie eine androzentrische Kulturder <strong>Info</strong>rmationstechnik Strukturen, Gewichteund Symbole setzt (...). Dann drehtsich die Spirale von männlicher Identifikationmit Technik, Anziehung von Männern,die die Technik gestalten und männlichemDesign, das Frauen ausschließt,weiter.”Ergänzend zu den Projekten, die im Rahmendes Förderprogramms „Neue Medienin der Bidlung” umgesetzt werden, hat dasBundesministerium für Bildung und Forschung(BMBF) ein projektübergreifendesBegleitvorhaben zum Gender Mainstreamingin Auftrag gegeben, zu dessen Aufgabenes gehört, die laufenden eLearning-Projekte „darin zu unterstützen, ihre Entwicklungsarbeitenauf die geschlechtsspezifischenBedingungen multimedialen Lernensund auf die Interessen von Frauenauszurichten.” VINGS ist im ArbeitskreisGender des Begleitvorhabens vertreten undwirkt an der Etablierung von Standardsmit, die dazu beitragen, dass weibliche undmännliche Lernende und Studierende dievielfältigen Optionen von eLearning fürihre Entwicklung ausschöpfen, die Nutzungneuer Medien in allen Gesellschaftsbereichenkompetent und kritisch reflektierensowie an Gestaltungsprozessen gleichermaßenteilhaben können.Leitung des Kooperationsprojekts VINGSProf. Dr. Ursula Müller (Konsortialführung)Universität BielefeldFakultät für Soziologie und InterdisziplinäresFrauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)Prof. Dr. Ilse LenzRuhr-Universität-BochumFakultät für Sozialwissenschaft100


Virtual International Gender StudiesUlrike Schultz, AORFernUniversität HagenFachbereich Rechtswissenschaft, Zentrum fürFernstudienentwicklung (ZFE)Prof. Dr. Gudrun-Axeli KnappUniversität HannoverPsychologisches InstitutKontaktSilja Polzin M.A. (Zentrale Projektkoordination)Universität BielefeldInterdisziplinäres Frauenforschungs-ZentrumSilja.Polzin@uni-bielefeld.deWeitere <strong>Info</strong>rmationenhttp://www.vings.deVINGS Studieren: Online-Kurse im Wintersemester <strong>2002</strong>/2003VINGS - Grundlagen IStudieren im NetzSilja Polzin und Anne Reckmeyer (Universität Bielefeld)Für das Studium im Rahmen von VINGS sind Medienkompetenzen im Umgang mit dem Internet alsLernmedium erforderlich, die in diesem Seminar erworben werden können. Vermittelt werden Kenntnisseund Handlungskompetenzen in folgenden Bereichen: Arbeiten mit der VINGS-Lernumgebung,Professionelle Nutzung von Internetdiensten, Kooperation und Kommunikation, wissenschaftlichesArbeiten und Recherchieren im Netz, Lernorganisation und Publizieren im Netz.Beginn: 21.10.<strong>2002</strong>VINGS - Grundlagen IIGlobalisierung, Europäisierung, Regionalisierung und GeschlechtIlse Lenz (Ruhr-Universität Bochum), Brigitte Young, Katy Teubener (Universität Münster)Die Globalisierung vollzieht sich im Zusammenhang asymmetrischer Geschlechterverhältnisse undträgt umgekehrt zu deren Veränderung bei. Chancen und Risiken werden neue verteilt, wobei Frauenin vielen Regionen unter den Stress von <strong>Info</strong>rmalisierung und Flexibilisierung der Arbeit geraten. A-ber auch die bisherigen Normierungen von hegemonialer Männlichkeit werden hinterfragt. Die wirtschaftlicheund politische Globalisierung in Deutschland konzentriert sich auf die EU und die Triade;daran setzen auch neue Regelungsansätze an. Globale soziale Bewegungen, besonders die Frauennetzwerke,haben die neuen Formen von Ungleichheit in der Globalisierung kritisiert und umfassendeLösungsansätze formuliert (vgl. Weltfrauenkonferenz von Peking 1995). In dem virtuellen Seminarsollen die besonderen Möglichkeiten des Internet vorgestellt und genutzt werden: Recherche, Kennenlernenwesentlicher Links, Diskussion usw. Am Schluss ist ein virtueller internationaler Round Tablemit Expertinnen geplant. Folgende Themen und Fragestellungen werden behandelt: Was ist Globalisierung? <strong>Info</strong>rmalisierung der Arbeit Finanzmärkte, Staat und organisierte Kriminalität Globalisierungund Umwelt Globalisierung und Militarisierung Internationale Frauenbewegungenund Lösungsansätze.Vorbesprechung: Do 17-10.<strong>2002</strong>, 12-14 h, RUB, Zip-Pool der Fakultät für SozialwissenschaftTeilnahmevoraussetzung: Hauptstudium101


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Modernisierung von Identitäten und LebensformenMechtild Oechsle (Universität Bielefeld)Modernisierungsprozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben zu einer Ausdifferenzierungvon Lebensformen geführt und stellen neue Anforderungen an die Gestaltung des eigenen Lebens.Die alltägliche Lebensführung wie die biographische Gestaltung des eigenen Lebenslaufs sindentscheidungsoffener geworden, ohne deshalb die institutionelle Steuerung von Lebensformen undLebensläufen außer Kraft zu setzen. Auch die ökonomischen und soziokulturellen Ressourcen zurGestaltung des eigenen Lebens sind nach wie vor ungleich verteilt. Umbrüche in den Lebensformenbetreffen beide Geschlechter; unklar ist, welche Chancen für ein verändertes Geschlechterverhältnissich mit diesen Umbrüchen verbinden und welche Risiken dieser Modernisierungsprozess für Frauenwie Männer impliziert. Behandelt werden u.a. folgende Themen: Sozialer Wandel und die Modernisierungvon Lebensformen Wandel der Intimität - neue Beziehungsmuster innerhalb und außerhalbder Familie Arbeit, Zeit und Lebensführung - neue Lebensformen zwischen Erwerbsarbeit undprivaten Bindungen Neue Leitbilder für beide Geschlechter? Lebensformen und kulturelle Symbolisierungenvon Geschlecht in den Medien Gestaltung des eigenen Lebens - individuelle Lebensplanungoder Steuerung durch Institutionen?Beginn der Online-Einführung: 28.10.<strong>2002</strong> (Kennenlernen, Vertrautmachen mit der Lernumgebung,inhaltlicher Überblick)Präsenzveranstaltung: 14.11.<strong>2002</strong>, 12.00-16.00 Uhr, Universität Bielefeld, Raum C01-226Start des Online-Seminars: 18.11.<strong>2002</strong>VINGS HauptphaseModul: Gesellschaftliche Transformationen im Verhältnis von Arbeit und GeschlechtArbeitsbiografien von Frauen (interdisziplinäres VINGS-Seminar mit internationalem Team)Regina Becker-Schmidt (Universität Hannover), Irene Dölling (Potsdam), Elena Meshcherkina (Moskau),Florence Weiss (Basel)Arbeitsbiografien von Frauen sind diskontinuierlicher als die von Männern. Politische Transformationenund ökonomische Umbrüche, z.B. durch Globalisierung, verstärken die Wechselverhältnisse, denenberufstätige Frauen im Hin- und Her zwischen Haushalt und Beruf ausgesetzt sind. An vier Konstellationenwollen wir die Veränderungen in weiblichen Lebensverhältnissen untersuchen, die durchgesellschaftliche Umstrukturierungen zu Stande kommen. Am Beispiel „Westdeutschland“ werde ichunter soziologischen und sozialpsychologischen Aspekten analysieren, was sich hinter dem Phänomen„Diskontinuität“ unter den Bedingungen neoliberaler Arbeitspolitik verbirgt. Irene Dölling (Potsdam)zeichnet nach, welche Auswirkungen der Zusammenstoß von zwei Modellen der Modernisierung (unterkapitalistischen/unter sozialistischen Vorzeichen) für Frauen aus den neuen deutschen Bundesländernnach der Wende hat. Elena Meshcherkina (Moskau) beschäftigt sich mit der Ära nach der Peristroika:wie schlagen sich neue Arbeitsmarktverhältnisse auf die soziale Stellung und das kulturelleSelbstbild der Geschlechter nieder? Florence Weiss (Basel) führt vor, wie sich das Leben von Iatmul-Frauen in Papua-Neuguinea ändert, die aus einem traditionellen Dorf in eine von neokolonialistischenTendenzen und westlicher Wirtschaftsweise geprägten Stadt ziehen. Im Zentrum des virtuellen Seminars,in dem neben Text andere Medien (Foto, Film, Video, Zeichnung) eingesetzt werden, steht dieFrage, mit welchen Formen des Eigensinns Frauen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontextenauf Umbrüche reagieren. Die Online-Lehre wird durch Präsenzphasen ergänzt, ein Internet-Forum undE-Mail-Sprechstunden sollen Gelegenheit zum Austausch und zur Kommunikation bieten.Beginn: Mitte Oktober <strong>2002</strong>102


Virtual International Gender StudiesWork, Welfare States, and Social PoliciesChristiane Lemke (Universität Hannover)This Internet-seminar will focus on the relationships between gender and welfare states in comparativeperspective. It will introduce students to the concept of work and welfare states and explore how genderrelations are built into welfare state arrangement and how they are in turn affecting the relationships betweenwomen and men in our societies. Historically, social policies served to protect (male) workers fromhardships such as disability and unemployment, while social support for women (and children) was eitherbased on men´s paid work or part of poor relief. Based on the concept of social citizenship recent feministscholarship has uncovered that social policies were deeply gendered inasmuch as they favored men´s(paid) work over women´s (unpaid) contribution to society in form of child raring, care work, and othersocial services provided in households and voluntary social activity. Much of the current debate is thuscentered around the issue of reevaluating women´s „work“ and improving their access to the labor market.The goal is to develop a more encompassing concept of universal social support promoting „genderequity“ (Nancy Fraser). The seminar is divided into work session in seminar rooms and e-learningthrough computer-based units. It will combine theoretical work with case studies approaches. We willbegin with theoretical and conceptual issues centered around concepts of work and welfare states. Keyquestions will center around different social policies arrangement to enable parents to combine work andfamily. Therefore, we will address important issues such as the significance of employment for women,child care arrangements, social assistance, and social rights. Case studies will be drawn from differenttypes of welfare regimes, including Germany, the United States, Sweden, and Poland as a society in transition.We will then focus on European social policies and strategies to improve gender equity, such asgender mainstreaming, and explore the significance of the EU for changing gender relations. This seminarwill be mostly held in English, but there will be some materials in German available. Students willhave the chance to communicate with international scholars in the field and to use international materials.Beginn: Mitte Oktober, erstes Blockseminar am 28. Oktober <strong>2002</strong>Einzelheiten zu Einschreibung, Kursanmeldung und Leistungsnachweisensind über die aktuellen <strong>Info</strong>rmationen zum Studienprogramm im Internet zu erfahren:http://www.vings.de103


Kirsten PinkvossVINGS – Qualifizierungsangebot GleichstellungWeiterbildungstudium für Gleichstellungsarbeit und FührungskräfteMit drei Kursen beginnt im Oktober <strong>2002</strong> das internetbasierte WeiterbildungsprogrammVINGS – Qualifizierung Gleichstellung. Es richtet sich an Interessierte, die in der FrauenundGleichstellungsarbeit öffentlicher und privater Institutionen, sowie in politischen Funktionenund Führungspositionen tätig sind. Die „Qualifizierung Gleichstellung“ vermittelt sowohlwissenschaftliche und praktische Grundlagen als auch aktuelles Wissen der Gleichstellungsarbeit.Ziel ist es, die Gleichstellungsarbeit zu professionalisieren und Führungskompetenzenzu trainieren. Das modular konzipierte Qualifizierungsangebot läuft in der Pilotphaseüber drei Semester, anschließend als Jahresprogramm.Im Rahmen des Projektes VINGS – VirtualInternational Gender Studies – bietet dieFernUniversität Hagen ein QualifizierungsundWeiterbildungsprogramm für Gleichstellungsarbeitund Führungskräfte an.Ziele der WeiterbildungAngesprochen sind Frauen und Männer,die in verschiedenen Bereichen öffentlicherwie privater Institutionen und Organisationenmit Gleichstellungsarbeit befasstsind oder sich auf eine solche Aufgabevorbereiten wollen. Darüber hinaus richtetsich das Programm an Beschäftigte imPersonalwesen und an Menschen in politischenÄmtern und in Führungspositionen.Das Programm deckt ein breites Bedarfsspektrumin allen gleichstellungsrelevantenArbeitsfeldern von Hochschulen, Kommunen,Ministerien, nachgeordneten Behörden,in der privaten Wirtschaft, in Verbändenund bei kirchlichen Einrichtungen ab.Ziel des Angebots ist es, die für die Frauen-und Gleichstellungsarbeit notwendigenGrundlagen zu vermitteln und gleichzeitigfür Führungsaufgaben zu qualifizieren.Mit dieser besonderen Ausrichtung wirdaktiv der Gefahr entgegen getreten, dassGleichstellungsarbeit für die in diesem BereichTätigen zu einer Karriere-Sackgassewird.InhalteInhaltlich sind die Seminare und Kurse desQualifizierungsangebots auf die Aufgabenund Ziele der Gleichstellungsarbeit, aufUmsetzungsstrategien, typische Problemfelder,Gleichstellungsarbeits-management,Personalentwicklung sowie eine Vorbereitungzur Übernahme von Führungsaufgabenausgerichtet. Das modular aufgebauteProgramm gliedert sich in übergreifendeStudienmodule, die für alle Bereiche derGleichstellungsarbeit relevant sind, und inspezifische Module, die nach unterschiedlichenKontexten der Gleichstellungspraxis,wie Kommunen, Hochschulen oderUnternehmen, aufgefächert sind.104


VINGSKurse der Pilotphase im Überblick:Kurs: Grundlagen der GleichstellungsarbeitKurs: Praxis der GleichstellungsarbeitKurs: Arbeitsrecht und PersonalentwicklungKurs: Familie und Recht in der BerufspraxisKurs: Geschlecht, Körper, KulturKurs: Gleichstellungsarbeit in verschiedenenPraxisfeldern (Hochschule,Verwaltung / Kommunalverwaltung,Wirtschaft)Kurs: Gender und SchreibenSchreibprojekt „Der Frauenstaat“Weitere Kurse sind in Planung.Kurse im WS <strong>2002</strong>/2003Im Wintersemester werden folgende dreiKurse angeboten:Grundlagen der GleichstellungsarbeiDer Kurs „Grundlagen der Gleichstellungsarbeit“beginnt mit einem Rückblickin die Geschichte der Frauenbewegung undbietet einen systematischen Überblick vonden Anfängen über die „geteilte Frauenbewegung“in der Zeit vor der deutschenVereinigung bis heute. Die bereits damalsauftauchenden Fragen nach dem Wesender Weiblichkeit und dem Verhältnis derGeschlechter in der Gesellschaft werdenim zweiten Teil des Kurses systematischund theoriegeleitet bearbeitet und im drittenTeil „Frauenpolitik“ auf die Geschichte,Konzepte und Strategien der Gleichstellungsarbeitfür die Praxis umgesetzt. DerKurs beinhaltet weiterhin rechtliche Aspekteder Gleichstellung sowohl innerhalbDeutschlands als auch bezogen auf internationaleNormen wie Menschenrechte undVölkerrecht. Ferner wird „GenderMainstreaming“ in seiner Entwicklung undAnwendung in der Praxis kritisch dargestellt.Gender und SchreibenDas Angebot „Gender und Schreiben“ hatzum Ziel, bei Teilnehmenden das selbstbewusste,phantasievolle sowie themenundsituationsangemessene Schreiben zutrainieren und damit lebenspraktische wieliterarische Möglichkeiten schriftlicherGestaltung zu eröffnen. Dies geschiehtdurch die Teilnahme am Schreibprojekt»Der Frauenstaat« des virtuellen HagenerAutorInnenseminars. Die Teilnehmendenverfassen fiktionale Texte in verschiedenenGattungen zu unterschiedlichen Themen.Sie werden dabei über den gesamtenSchreibprozess von der Themenvergabeüber die Wahl der geeigneten Mittel bis hinzu Kritik und Revision begleitet und unterstützt.Im Plenum, der virtuellen Diskussionsrundedes Seminars, lernen sie sich inihren unterschiedlichen Schreibmotivationenund -ansprüchen kennen und könnensich untereinander über die sie bewegendenFragen, Unsicherheiten und Überzeugungenhinsichtlich ihrer Texte austauschen.Es handelt sich um ein virtuelles Seminarmit Zugriff auf eine eigene Homepage,URL: http://www.frauenstaat.de, auf derenöffentlich zugänglichen Seiten Interessiertesich über den aktuellen Stand des Schreibprojektsim Rahmen des AutorInnenseminarsinformieren können. Die Arbeit imSeminar via Mailingliste und E-Mail-Kommunikation realisiert.Zeit: 1.12.<strong>2002</strong> bis 31.3.2003. Die Seminarphasebis zum 31.12.<strong>2002</strong> dient der105


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Vorbereitung resp. der Textlektüre.Studieren im NetzDie Teilnehmenden des QualifizierungsangebotsGleichstellung können im Wintersemester<strong>2002</strong>/2003 an dem Online-Seminar „Studieren im Netz“ teilnehmen,das im Rahmen des virtuellen Studienprogramms„VINGS studieren“ angebotenwird. Der Kurs vermittelt Medienkompetenzen,die im Umgang mit dem Internetals Lernmedium erforderlich sind (vgl.Kursbeschreibung im vorherigen Beitrag)Ablauf des WeiterbildungsprogrammsDas Angebot ist als Jahresprogramm konzipiert,in der Pilotphase läuft es über dreiSemester. Das Arbeitsvolumen erstrecktsich über 32 bis 36 Studienwochen mitjeweils etwa 10 Stunden.Methodisch wird eine Kombination voninternetbasierter Fernlehre und Präsenzmodulenangestrebt. Das Internet unterstütztdabei die Kommunikation zwischenTeilnehmenden und fungiert als Distributionsmediumder vorrangig schriftlichenMaterialen, die dem Medium entsprechendgestaltet und aufbereitet werden. DurchLinks werden Verbindungen zu anderenWeb-Angeboten geschaffen. Das Bereitstellender Materialien im Netz ermöglichtrasche Aktualisierungen. Die Kommunikationsgruppenund -foren können der Diskussionvon Lehrtexten und besonderenFragestellungen dienen, sowie dem Erfahrungsaustauschund der <strong>Info</strong>rmation überaktuelle Entwicklungen. Diese Form derWeiterbildung soll ein zeit- und ortsunabhängigesStudieren ermöglichen, damitdem geringen Zeitbudget und der teilweisenMehrfachbelastung durch Berufs- undFamilienarbeit der Teilnehmenden Rechnunggetragen wird.PräsenzphasenPräsenzmodule bieten vor allem psychosozialesTraining an. Dies umfasst die professionelleDarstellung der eigenen Person,diskursive Techniken wie Moderation,Verhandlungsführung oder Konfliktkommunikation.Hinzu kommen die Vermittlungvon Grundlagen der Öffentlichkeitsarbeitsowie der unmittelbare Erfahrungsaustausch.Bei den Präsenzphasen handeltes sich um ein zusätzliches Angebot, siesind für den Erwerb des Zertifikats jedochnicht verpflichtend.Modularer AufbauDas Weiterbildungsprogramm wird in modularisierterForm angeboten. Die Kursekönnen komplett oder einzeln belegt undzertifiziert werden. Damit soll der Heterogenitätder Zielgruppe bezüglich unterschiedlicherVorbildung, Aufgabenfelderund Erfahrungen in der Frauen- undGleichstellungsarbeit Rechnung getragenwerden. Durch diesen Aufbau steht es Interessiertenfrei, das Programm als kompletteFortbildung zu belegen und zertifizieren zulassen oder eine Auswahl einzelner Kursezu treffen.AbschlussDen erfolgreichen Abschluss des Weiterbildungsstudiums„QualifizierungsangebotGleichstellung“ bescheinigt ein Zertifikatder FernUniversität Hagen. Für den Abschlussmüssen insgesamt vier Kurse erfolgreichbearbeitet und eine Abschlussarbeitverfasst werden. Es besteht auch dieMöglichkeit, sich einzelne Kurse zertifizierenzu lassen.TeilnahmebedingungenDie Teilnahmebedingungen richten sichnach dem Hochschulgesetz des Landes106


VINGSNordrhein-Westfalen. Danach ist die erforderlicheEignung im Beruf, insbesonderedurch Berufsausbildung und Studium oderauf andere Weise nachzuweisen.Die Grundgebühr beträgt pro Semester25€. Damit haben Sie Zugang zur „Lernumgebung“,einem nicht öffentlich zugänglichenInternetportal. Hier finden Sievielfältige Materialien zu den BereichenGleichstellung und Gender Studies ausdem Blickwinkel unterschiedlicher Disziplinen.Es werden eine umfangreiche Linksammlung,ein Veranstaltungskalender,Literatur und vieles mehr zur Verfügunggestellt. Hier ersteht auch eine Sammlungvon „best practise“-Beispielen zu aktuellenEntwicklungen, die nach den Bedürfnissender Teilnehmenden gestaltet werden soll.Konkrete Fallbeispiele sollen Problemeund Lösungsmöglichkeiten verdeutlichen.Interessierte können an dieser Stelle eigeneFälle einbringen. Ferner besteht die Möglichkeitfür VINGS-Teilnehmende, sichuntereinander auszutauschen, <strong>Info</strong>rmationenweiterzugeben und vieles mehr.In der Grundgebühr sind auch die allgemeinenLeistungen der FernUniversitätHagen, wie z.B. die kostenlose Benutzungder Hochschulbibliothek, E-Mail Accountetc. enthalten.Kursgebühren fallen für die einzelnen belegtenKurse an. Während der Pilotphasebis Ende 2003 beträgt die Kursgebühr 80€,später 150€. Von den Kursgebühren ausgenommenist der Kurs „Studieren imNetz“.AnmeldungNähere <strong>Info</strong>rmationen zur Anmaldung fürdas WS <strong>2002</strong>/2003, zur Einschreibung,Studienordnung und Kursinhalte, sind aufder folgenden Internetseite zu finden:URL: http:// www.vings.de.Kontakt:Kirsten PinkvossFernUniversität HagenZentrum für Fernstudienentwicklung (ZFE)In der Krone 1758099 HagenTelefon: 02331 987 4219Fax: 02331 688896E-Mail: qualifizieren@vings.de107


___________________________________________________________________________Istanbul als Kunstort___________________________________________________________________________Kunst Macht Geschlecht„Istanbul als Kunstort in Gender Perspektive“war das Thema einer vom Ministeriumfür Städtebau und Wohnen, Kultur undSport des Landes Nordrhein-Westfalengeförderten Recherche-Reise sowie einesgemeinsam von Prof. Tomur Atagök (Malerinund Professorin für Ausstellungswesenund Museologie), Susanne Albrecht(Kunstpädagogin und Bildhauerin, UniversitätBielefeld), Dr. Irene Below (Kunsthistorikerin,Universität Bielefeld) und GülsünKaramustafa (Bildende Künstlerin,Istanbul) konzipierten Workshops in derYildiz Teknik Üniversitesi im Februar<strong>2002</strong>. Mit dieser Kooperation mit Wissenschaftlerinnenund Künstlerinnen aus einemanderen kulturellen Kontext wolltenwir im Rahmen des am InterdisziplinärenFrauenforschungszentrum (<strong>IFF</strong>) angesiedeltenProjekts „Kunstorte in Genderperspektive– Bildende Künstlerinnen inProvinz und Metropole im interkulturellenVergleich“ Istanbul als eine für die geplanteUntersuchung ausgewählte Metropoleerkunden und die Frage nach der Bedeutungdes Ortes für die Lebenssituation unddie Produktion Bildender Künstlerinnen ineinem sich globalisierenden Kunstbetriebdiskutieren. Gemeinsam sollten vor OrtFormen längerfristiger gleichberechtigterZusammenarbeit zwischen Wissenschaftlerinnenund Künstlerinnen aus Deutschlandund der Türkei für ein geplantes künftigesForschungsprojekt entwickelt werden.Damit wurde die Expertinnentagung„Kunstorte in Genderperspektive“ fortgesetzt,die die Frage nach der Bedeutungund den Hierarchien der Orte mit Gästenaus Brasilien, Deutschland, Polen, Südafrikaund den USA im September 2001 thematisierthatte.Istanbul erscheint für die Fragestellungbesonders ertragreich – als Ort, der durchvielfältige Kulturen und Konflikte geprägtist, als Brücke zwischen Europa und Asien,als Veranstaltungsort von inzwischen 7Kunstbiennalen und durch die bemerkenswerteZahl von neuerdings auch internationalbeachteten Künstlerinnen. GenauereKenntnisse der zeitgenössischen türkischenKunstszene und ein interkultureller Dialogmit türkischen Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnenerweisen sich auch im Hinblickauf türkische MigrantInnen inDeutschland als dringend geboten. In diesemSinn führten die Recherche vor Ortund der Workshop die Ausstellung vonKünstlerinnen aus der Türkei im Frauen-Museum Bonn (2001) und die Ausstellung„Im Zeichen der Stadt“ im KunstmuseumBonn (2001) weiter.Bei dem Workshop, an dem sich BildendeKünstlerinnen, Wissenschaftlerinnen unterschiedlicherDisziplinen sowie im erstenTeil auch Studentinnen beteiligten, machtendie Gäste den Anfang: Irene Belowentwickelte die zentralen Hypothesen desgeplanten Projekts zur Bedeutung vonGeographien und Geschlecht im aktuellensich globalisierenden Kunstbetrieb. SusanneAlbrecht stellte die auf der BielefelderTagung gewonnenen ersten Erkenntnissezu den geopolitischen und geschlechtspezi-108


Instanbul als Kunstortfischen Hierarchien an konkreten Orten inDeutschland, Polen, Südafrika, Brasilienund den USA vor. Im Hinblick auf diekonkrete Arbeit in Istanbul und in einemProvinzort in der Türkei und für längerfristigeFormen der Zusammenarbeit mit Kooperationspartnerinnenvor Ort wurde dasModell der „Filialen“ skizziert und dassichtbare Künstlerinnenarchiv „einsehbar“des Frauenkunstforums Ostwestfalen-Lippe (fkf-owl) präsentiert, das – im Rahmeneines universitären Lehrforschungsprojektsvon Irene Below initiiert – inzwischendie Arbeit von über 150 Künstlerinnender Region dokumentiert. Es stelltesich die Frage, ob mit dem Aufbau einesvergleichbaren Archivs für Istanbul imRahmen der Lehrtätigkeit an der Kunstfakultätder Yildiz Teknik Universitesi begonnenwerden könnte.Darauf folgten die im Folgenden in gekürzterForm dokumentierten Vorträge zurSituation in Istanbul. Tomur Atagök undGülsün Karamustafa charakterisierten –orientiert an vier für die Bielefelder Expertinnentagungentwickelten Fragen zur Bedeutungder Orte, allerdings mit einer stärkerenBerücksichtigung der konkretenkünstlerischen Arbeit – den Kunstort Istanbulaus unterschiedlichen Perspektivenund fragten dabei nach den Zusammenhängenvon Geschlecht und Macht imKontext hierarchisierter Geographien aufdem Feld der Kunst.In Tomur Atagöks Beitrag „Istanbul as anArt Space“ stehen die strukturellen historischenund institutionellen Rahmenbedingungenim Zentrum. Vor dieser Folie wirddie Präsenz von Künstlerinnen im Kunstbetriebbeschrieben.Gülsün Karamustafa, die seit Beginn derPostkolonialismusdebatte vor gut 10 Jahrenmit ihren Arbeiten international undauch in Deutschland einen prominentenPlatz in den wichtigen Ausstellungen innehat,stellt in „Somewhere in between“ – apersonal view ihre Position im Kontextfeministischer Bewegungen in der Türkeiseit den 70er Jahren vor sowie ihre künstlerischeAuseinandersetzung mit westlichen,aber auch mit spezifisch türkischen Identitätskonstruktionen.Dieser Input bildete die Grundlage zu lebhaftenDiskussionen mit den anwesendenKünstlerinnen, Soziologinnen und Kunstwissenschaftlerinnenüber die spezifischenBedingungen vor Ort und die Position Istanbulsim internationalen Kunstbetrieb.Zwei Aspekte waren für uns als „Zugereiste“besonders interessant:1. Wie in Deutschland besteht offenbarauch in der Türkei unter den ganz jungenKünstlerinnen die Tendenz, sich weder alsFeministinnen noch gar unter Labels wie„Frauenkunst“ oder „Kunst von Frauen“subsumieren zu lassen.2. Auffallend waren für uns die ambivalenteHaltung beim Umgang mit den Begriffen„Provinz“ und „Metropole“ oder„Zentrum“ und „Peripherie“. Als hegemonialeTermini zunächst abgelehnt wurde imLaufe der Diskussion klar, dass die Begriffeaus türkischer Perspektive relationalgebraucht werden: Erscheint Istanbul imVergleich zu den westlichen Kunstzentreneindeutig als „Provinz“, so wird es imVergleich zu Ankara selbstverständlichzum „Zentrum“, andere Orte in der Türkeispielen im Kunstbetrieb offenbar so gutwie keine Rolle. Mit einem gewissen Erstaunenund selbstkritisch bemerkten dieBeteiligten ihre geringen Kenntnisse desKunstgeschehens in der Türkei außerhalbIstanbuls und der Hauptstadt Ankara. Angesichtsder Tatsache, dass auch an anderentürkischen Orten – so beispielsweise in109


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Mersin – Hochschulen mit Kunstabteilungen,Ausstellungsorte und Kunstsymposienexistieren, blieb die Frage, weshalb beiregionalen und lokalen künstlerischen Aktivitätenein solcher blinder Fleck herrscht,offen.Am Ende zogen die türkischen Diskussionspartnerinnenüberwiegend ein positivesResümee: „Wir haben angefangen über unsselbst nachzudenken, wir waren bisher zusehr in unserer Situation gefangen undwollen mehr nach aussen in Kommunikationtreten, wir brauchen solche Projekte alserste Schritte um eine Gemeinschaft zugründen, wir möchten unsere Isolationverlassen“ – so fasste eine Künstlerin dasErgebnis zusammen.Insgesamt gelang es auch, die Vorstellungenzur weiteren Kooperation im Rahmendes geplanten Projekts zu konkretisieren.Das Konzept des Künstlerinnenarchivsstieß auf besonderes Interesse und TomurAtagök hat inzwischen die ersten Schritteeingeleitet, um eine solches Projekt imRahmen der Lehre an der Hochschule zurealisieren. Im Rahmen des vom Ministeriumfür Schule, Wissenschaft und Forschungdes Landes Nordrhein-Westfalenangestrebten langfristigen Konzepts füreine Zusammenarbeit zwischen NRW undder Türkei auf Hochschulebene soll dieKooperation auf dem für Oktober <strong>2002</strong>geplanten Symposium in Münster mit TomurAtagök und der Dekanin der KunstfakultätMersin, Berika Ypekbayrak fortgesetztwerden.Susanne Albrecht, Irene Below<strong>IFF</strong>, Universität BielefeldDie Beiträge des Bielefelder workshops „Kunstortein Genderperspektive“ (September 2001) sind imInternet nachzulesen (deutsch und englisch) unterwww.uni-bielefeld.de/<strong>IFF</strong>/for/projekte/for-prl6.htmDie Projektgruppe ist dabei, einen ausführlichenBericht über die Ergebnisse des IstanbulerWorkshops und die ungekürzten Vorträge ebenfallsim Netz zugänglich zu machen.Istanbul as an art spaceIstanbul is a metropolis with a populationof 10 million people, but the official reportsdo not include 2-3 million immigrantsinvading the city both from theinland of Anatolia, and from further Eastwith countries from Asia and Europe. Thecity becomes more of a centre/bordermegatown with tourists during summertravelling for İstanbul as a destination forits historical and natural uniqueness alongwith their nostalgia for the Orient. Istanbul,the gateway between the East and the Westfor many centuries, has become a centreaway from the centre (of West) in the lastten years, after the opening of borders. Thefabric of the city is naturally affected. Ithas become a collage of cultures, a patchwork,but it can not be said that the artworld is that seriously affected by the visualarts in general. In that way it is a noncentre.Furthermore the local art scene does notsee itself positioned within the internationalart world after seven InternationalIstanbul Biennials, organized by the IstanbulFoundation for Culture and Arts since1987. We feel the lack of an active art museumis one of the basic reasons that contributesto this ongoing regionality. Of the45 museums in Istanbul the Mimar SinanUniversity Painting and Sculpture Museumfounded in 1937 with a collection of Turkishart of 150 years and works of someforeign artists is often closed to public.[……]The new „Istanbul Museum of ContemporaryArt” under the title „Project 4L“ that110


Instanbul als Kunstortopened its doors in September 2001 as aresult of the cooperation between Can Elgiz,an architect who is an art collector,and Vasıf Kortun, an international curator,will certainly activate the dynamismneeded in our present world. It should beadded that another initiative to found an artmuseum by the Istanbul Art MuseumFoundation will probably contribute to theinternationalism of Istanbul.Another activity that might have had internationaleffects, but did not, is Istanbul ArtFair organized by the Association of ArtGallery Owners, completing its 11 th year,with only one or two galleries from othercountries out of 50-60 galleries participatingin it. The city does not have a galleryof foreign origin; neither does it have agallery that collaborates with galleries ofother countries. Besides the 50-60 privategalleries that show at the Istanbul Art Fair,with possibly another 50 smaller galleries,Bank and Holding cultural centers withtheir major and small branch galleries totalto approximately 200 art spaces.The State Galleries under the Ministry ofCulture also provide space for a small feefor those artists who apply there. Anothermajor space available for a fee, is AtatürkCultural Centre of the Ministry of Culture.The city administration also have smallcultural centres in each small town that ispart of the municipality. All these variousstate and city galleries as well as privategalleries and galleries of banks and privatesector give ample exhibition space to theartists of various standing. While a statuesqueplace such as art museum is not usedfor major exhibitions, historical spaces thathave been used specificly for the IstanbulBiennial have set the trend for alternativespaces. An artist, if he can pay the fee theState or the Municipality asks, can exhibitat only one of the most historical building.So it becomes very hard to determine thehierarchies by the places.A quick historical view should set thebackground for the present: The Westernizationthat started in the middle of thenineteenth century of Ottoman rule encouragedmilitary personnel to study artand paint Western style replaying traditionalminiature art. The first art school,State Academy of Fine Arts founded in1883 continued to be the most importantsource for education as well as organizationand inspiration. The closing down ofThe Art School for Women (started in1914) in 19<strong>24</strong> allowed co-educationaltraining. It should be added that publichouses since 1932 and State Galleries since1960s have been also set to spread artthrough the society. The artists that taughtat the Academy became the leaders in theart world, exhibiting, writing, organizingand jurying until 60s. The uniqueness ofthe State Academy of Fine Arts was gonewith a second school, when School of AppliedArts now Marmara Universityopened in 1957 in Istanbul. Today 6 otheruniversities in Istanbul both state and privateare offering art courses in variousfaculties, with exhibition spaces to showworks of artists, academic artists, and students.The art scene presents a rather healthyview of competition for the young artists,but not particularly for the women artists.The few gallery space with particular visionand carefully written text on artistsgive enough ground for women artists tobelieve that all is well. The newly establishedcurators, acting more objectivelywithout any preference for the artists ontheir male or female identity strengthenthis belief further. Every artist in Istanbul111


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>as in the rest of Turkey struggles in eachtown. There is no grants or state funds forthe artists or projects.[…]However a feminist approach and evaluationare needed to show that there is a hierarchydepending on gender.When we have more women studentsstudying art, more women artists, morewomen art dealers, the decision making isnot in the hands of women; The number ofart works in the museum is a proof of thiscase against the women artists. The juriedexhibitions with the juries and award winnersset another example, Istanbul Biennialand the 20 years-old exhibition „ContemporaryIstanbul Artists“ with the mission tosupport upcoming young artists illustratethe male dominant art scene. The subjectwhether this is a result of artistic evaluationor reflects certain prejudices does notcome up.In a society of transition such as Turkeywhere its immediate needs are of fulfillingthe minimum standards of living, security,health, housing, education for 2/3 of itsmembers, arts and culture is not a prerogative.So the art market is limited in allowinga small number of artists’ work to besold, making it very hard economically forboth men and women artists. Yet the salestabloid, or the top ten list in the last fewyears does not include women artists. Onthe other hand since almost all women artistscome from middle or upper middleclass, there is little need for them to sell artworks; a satisfaction by selling to friendsand relatives supplies the necessary senseof success.Since the Mimar Sinan University Paintingand Sculpture Museum does not generallybuy works, and the few collectors are buyingworks through the few art dealers andgalleries, there is hardly any possibility toget works into these collections for thewomen artists. In order to get into internationalcircles, international exhibitions,curators, art dealers and museums areneeded. The relationships that the InternationalIstanbul Biennial started is the onlymega program artists of Istanbul can dependon for Internationalisation. Howeverwhat it provides in the name of possibilitiesalso has become it setbacks: The colonialtendencies of the curators, lack offunding for other local initiatives and exhibitionsand a competitive atmosphere fordwindling resources are two importantitems that should not be forgotten. Theeagerness of the Western world to includethe „other“ at the centre to contribute to thesuccess of the marginalized: women andthe third world artists for the globalizationbrings forth the need for evaluation.I would like to conclude my remarks bywishing the cooperation among womenartists for a more productive women-art.Prof. Tomur Atagök, Yıldız Technical University,Chairperson, Museum StudiesProgram„Somewhere in between“ – a personalviewI first would like to thank Tomur Atagökfor her informative speech on what is happeningnowadays in Turkey on artist’scene, from the women’s view, as well asthe historical ground that it is based upon.Her speech was very informative and notmuch is left for me to continue on the samesubject. It is true that in all recent artisticactivities in the world the woman artistsare really running in front. When we lookthrough the number of women artists whoparticipate international biennials, sometimesit is the half or even a bit more. It has112


Instanbul als Kunstortbeen like this throughout recent IstanbulBiennale’s also.But how can we interpret this situation? Ireally think that it depends on the extremechallenge from the woman artists who hasnothing to loose. Male artists always havethe anxiety of being in the art market. Theynever dare to loose their position theygained within the canons of art history andthey were always more suspicious thanwomen for updating themselves with theparadigm shifts lived through the last decadesof the 20 th century.Here I would like to comment on one morething that my colleague mentioned. That isthe situation of the artist in Turkey, wheredo we stand in the society and from whichbackground we come from. A Germanfriend of mine who stayed in Istanbul witha stipendium for 3 months, had spend sometime in Brazil before she came. When Italked to her about art and artists situationin Turkey, she said ‘it looks very much likethe view from Brazil’. You are all eitherfrom the middle class or upper middleclass but you do not have many representativesof the working class families. Thisquestion came into my mind when we weretalking about the provincial artist communitiesor provincial artist herself to comehere to speak on behalf of herself andabout her problems. I began to ask myselfhow many provincial artists I know? Howmuch we are communicating with provincialartists as artists from Istanbul? Towhat extent we are open to share theirproblems? So far these are things that hasnot been discussed thoroughly within us.We always call ourselves peripheric artists.We are standing in the periphery of the artworld, the center is always out there. Butnowadays the periphery and the centerhave shifted and new combinations cameinto view. Still the Turkish artists in generalblame the system and complain aboutnever being given a chance in the world artscene. Here we may raise another questionconcerning the peripheric artist, as we arestanding in the periphery as a nation whereare we positioning them? Are we not creatinganother periphery within our periphericsituation?I would like to speak about another topicthat has not been mentioned since morning.The feminist actions and feminist groupmovements within women artists. The existenceof the movement was based in bigcities since the beginning and it dated backto 1970’s. We may also interpret it as acentral organisational system flourishing inthe big cities. At first the artists usuallyreacted together with political groups withthe motto „the freedom of women dependson the freedom of the society“ Manywomen artists were involved by contributingto the action by creating posters, makingillustrations for publications but nevercoming together as a group which think,work and create together as feminist artists,making feminist projects. Even today youcannot meet feminist artist groups whoonly deal with feminist issues.I was educated in Fine Arts Academy inIstanbul. By the time, due to my fathersposition as a civil servant we were living inAnkara and I made a great effort to cometo Istanbul because the only Fine ArtsAcademy then, was in this city. Since mychildhood my only choice was to be anartist and to realize this dream of mine Iagain had to move towards the center, tothe most advanced city for arts and culture.The last decade of the 20 th Century hadbeen a very interesting time for me. It 70’sand 80’s as artists we always lived in theinner circle, held all our exhibitions within113


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Turkey and we really could never find thepossibilities of opening our selves to theworld art circles. The new discussions,shifting of center and periphery donated avery important possibility to us by givingthe chance to travel with our works and toshow in different parts of the world.I would like to speak about a project ofmine that I realized for several years inseveral different cities and venues. It is aproject on Orientalism.I find this topic important for, as a womanfrom Istanbul I am neither standing on theside which is the exact Orient nor theWestern side who is gazing upon it. I positionmyself somewhere in between.I was invited to an exhibition „Inclusion/Exclusion“which took place 1995 inGraz, and which was really a good discussionarena about Postcolonial issues. In themeantime I came across a miniature in oneof the books of the Turkish author MetinAnd.The book contained a series of paintingsfrom occidental sources that shared acommon thematic of the daily life in theOttoman Empire. One picture immediatelystruck me as being distinct from the others,I changed its scale and used it in my installationwhich I made for this showFig1.: Gülsün Karamustafa:, Presentation of an early Representation, Installation, Laser print, Sticking Letters,1995-98114


Instanbul als KunstortAlthough it was painted in the 16 th century,its content matched perfectly tothose, used in the 19th century Orientalistpaintings. It depicted a slave market scenewhere European women, passed through atype of quality control where Ottoman menexamined under their skirts and inside theirbustiers. In addition, a naked black womanwas being harshly pushed to the foregroundby another dealer. Every detail tobe seen in future Orientalist paintings existedin this small 12 x 17 cm. Aquarelle. Iused this blurred image that I had blown upto 500 x 600 cm. from this book. I completedthe installation by bringing up myspecial questions about my identity.Time gave me another opportunity and twoyears later, I was asked to show this workin Museum Fridericianum, Kassel. I knewthat the original book from the 16 th centurywas in one of the main libraries in thiscity. At that time I had the opportunity tosee the book, touch it and have a professionalphotograph made from the originalimage. It was only an illustration albumthat did not include any text. The book wasproduced by an anonymous Germanpainter who visited Istanbul to observedaily life. He was surely successful inpainting those delicate scenes, but he dealtwith the themes from an occidental viewpointlooking to the Orient. He focused onhis subject and selected his themes exactlylike a contemporary news photographerwith a slight tint of distortion and exaggeration.While I was working over the same issueand preparing my other works related toOrientalism, I became more convinced thatI was following the right way. 19th CenturyOrientalists have a different approachto Istanbul and the Ottoman Empire thanother spots in the East. With the Ottomansthey have a veil between their subject andthemselves. In a peeping situation, theygaze from behind a barrier.The second work I did relate to Orientalismwas „fragmenting/FRAGMENTS“Fig. 2.: Gülsün Karamustafa, Fragmenting/FRAGMENTS, 15x20, Laser prints, 1999115


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Edward Said once said that the Orientalistswere looking towards the east throughfragments. They did not like to deal witheverything as a whole. For example whiletranslating a poetry book they were onlytranslating ones that were more attractiveto them, leaving the rest. In a painting theywere only pushing forward the scenewhich they want to see. Therefore Ithought, I should use the same methodtowards them. I fragmented the Orientalistpaintings. Through this deed it was easierto discover the western male gaze upon theeastern woman..Another method I applied in this projectwas to cut out the images from thesepaintings and double them up. Maybe verysimple method of making art but the doublingaction again was opening us a newwindow and letting us to read the realmeaning, pointing towards the representationalissue much better. I gathered groupsof figures from Orientalist paintings first insmall sizes and later as big as human sizeand put them together on the wall as installations.The last project of mine I want to speakabout is called „Le Visage Turc“where I am only making a presentation. Asan artist here I choose to stand behind thescene, for the material I use, is effectiveenough to express my feelings and ideas.I was very impressed when I saw thosepictures, which were published in 1938, inEnglish, French and German language, aspropaganda material for the new Republic,before the death of Atatürk. That was themagazine ‘La Turqie Kemalist‘ ‘KemalistTürkiye‘ and in every issue there weregroups of photographs which were called„Le Visage Turc“. What stroke me at firstsight when I saw these photos, was theirresemblance to „National Socialist“ imagesin Germany as well as the „Soviet socialist”faces from the USSR from the sameperiod, that is pre-Second World War.What I did was to select three strong facesand put them together under their originaltitle.I would like to thank the organization forthis workshop as it gave me theopportunity to speak on my own behalfabout the experiences of a woman artist. Italso was very interesting that it brought inthe problematics of the women artists fromthe periphery, arousing new questions to bediscussed and solved.Gülsün Karamustafa, IstanbulFig. 3: Gülsün Karamustafa,Le VisageTurc 110x130, laserprint 1998116


___________________________________________________________________________Neue Forschungsprojekte am <strong>IFF</strong>___________________________________________________________________________Erste nationale Repräsentativuntersuchungzu Gewalt gegen Frauen inDeutschlandGewalt gegen Frauen und Kinder ist in denletzten Jahren zu einem drängenden Themanationaler, europäischer und internationalerPolitik geworden. Seit den späten1980er Jahren sind insbesondere im europäischenKontext umfangreiche Aktionspläneund politische Maßnahmekatalogezur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauenund Kinder erstellt worden, begleitet vongroßen nationalen Repräsentativuntersuchungenüber Ausmaß, Formen Ursachenund Folgen von Gewalt gegen Frauen. FürDeutschland stand eine solche Untersuchungbislang noch aus. Das <strong>IFF</strong> hat sicherfolgreich an der Ausschreibung des Bundesministeriumsfür Familie, Senioren,Frauen und Jugend beteiligt, das eine repräsentativeund europäisch vergleichbareStudie zu den Gewalterfahrungen vonFrauen für Deutschland in Auftrag gegebenhat. Der Projektvorschlag des <strong>IFF</strong> in Kooperationmit infas hat sich gegen Angeboteanderer renommierter Forschungseinrichtungendurchsetzen können und vondem international besetzten Gutachtergremiumden Zuschlag erhalten.Die geplante Studie ist Bestandteil desnationalen Aktionsplans der Bundesregierungzur Bekämpfung von Gewalt gegenFrauen und steht darüber hinaus im internationalenKontext der Erforschung undBekämpfung von Gewalt im sozialen Nahraum.Ihr zentrales Anliegen ist es, bestehendeForschungsdefizite über das Ausmaßverschiedener Formen und Ausprägungenvon Gewalt gegen Frauen in unterschiedlichenLebenskontexten zu schliessen. Darüber hinaus sollen detaillierte Analysender Kontexte, Ursachen und Entstehungszusammenhängedazu beitragen, denkonkreten Handlungs- und Hilfebedarf zuermitteln und eine empirisch solide, demeuropäischen Standard angemessene Datenbasisfür gezielte Maßnahmen und Strategienzum Abbau von Gewalt im Geschlechterverhältnisschaffen.In der seit März <strong>2002</strong> am <strong>IFF</strong> angesiedeltenUntersuchung werden im Rahmen derrepräsentativen Hauptuntersuchung ab Januar2003 in Kooperation mit infas 10.000Frauen in ganz Deutschland zu ihren Gewalterfahrungen,zu ihrem Sicherheitsgefühlund auch zu ihrem gesundheitlichenWohlbefinden anhand eines standardisiertenFragebogens ausführlich befragt. Ermitteltwerden in den face-to-face-Interviews die Prävalenzen, Erscheinungsformen,Entstehungszusammenhänge undgesundheitlichen wie seelischen Folgenvon psychischer, physischer und sexuellerGewalt in unterschiedlichen Lebenskontexten.Thematisiert werden sowohl verschiedeneFormen außerhäuslicher Gewaltdurch Fremde, Bekannte, Arbeitskollegenwie auch innerhäuslicher Gewalt durchaktuelle und ehemalige Beziehungspartner,letztere im Rahmen eines schriftlichenSelbstausfüllers.Derzeit wird der Fragebogen für die repräsentativeHauptuntersuchung entwickeltund getestet, der neueste internationale117


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>Methodenkenntnisse in der Erforschungvon Gewalt gegen Frauen berücksichtigt.Er orientiert sich – um eine bessere europäischeVergleichbarkeit zu gewährleisten –an den Methoden bisher durchgeführternationaler Untersuchungen in Europa, beziehtaber auch US-amerikanische Methodenentwicklungenmit ein. Darüber hinauswerden Themenbereiche, die für die aktuellepolitische Diskussion und Präventionsdebattein Deutschland relevant sind,eingearbeitet, etwa die Nutzung und Zufriedenheitmit spezifischen Hilfseineinrichtungenfür misshandelte Frauen, dieInanspruchnahme von Polizei und Gerichtenund ihre Folgen, sowie mögliche ersteErfahrungen mit koordinierten Interventionsprojektensowie dem neuen Gewaltschutzgesetzder Bundesregierung.Die Vorbereitung und Durchführung derrepräsentativen Hauptuntersuchung wirdbegleitet und unterstützt von einem Fachbeirat,der sich aus deutschen und internationalenWissenschaftlerInnen und Fachkräftenzusammensetzt, die in dem Feldüber profunde Erfahrungen und Kenntnisseverfügen. Die Ergebnisse der Untersuchungsollen bis Mai 2004 vorliegen.Zusätzlich zur repräsentativen Hauptuntersuchungsind an das Forschungsprojektnoch zwei weitere Teiluntersuchungenangekoppelt, die jene Bereiche ausleuchten,die im Rahmen der repräsentativenHauptuntersuchung nur ungenügend erfasstwerden können. Eine Teilpopulationen-Zusatzbefragungen, die durch <strong>IFF</strong>-Projektmitarbeiterinnenvorbereitet und koordiniertwird, thematisiert die Gewalterfahrungeneiniger schwer zugänglicher Frauenpopulationenmit spezifischen Zugängen,Methoden und Herangehensweisen. InKooperation mit mehreren Universitäten,Fachhochschulen und Hilfeprojekten wirdderzeit für die zusätzliche Erhebung beiProstituierten, Asylbewerberinnen und inhaftiertenFrauen in Gefängnissen eineKonzeption erarbeitet. Sie soll einerseitseine Vergleichbarkeit mit den Ergebnissender Hauptuntersuchung gewährleisten, andererseitsauf die spezifischen Gewalterfahrungendieser – bislang in der Gewaltforschungweitgehend unberücksichtigten– Gruppen von Frauen eingehen. DieserUntersuchungsteil wird ebenfalls Anfang2003 in die Phase der empirischen Umsetzungkommen und bis Mai 2004 ausgewertetund dokumentiert sein.Um den konkreten Unterstützungs- undHilfebedarf gewaltbetroffener Frauen inDeutschland noch genauer zu ermitteln unddie Strategien für eine verbesserte Präventionvon Gewalt gegen Frauen auszubauen,werden in einem weiteren Teil der Untersuchungab Sommer 2003 Gruppendiskussionenmit Betroffenen durchgeführt, dieals Stichprobe aus der repräsentativenHauptuntersuchung gezogen wurden. Dasich bisherige Präventionsmaßnahmen fastausschließlich an jenen Betroffenen ausrichtenließen, deren Problemlagen imRahmen des Hilfesystems oder der polizeilichen/gerichtlichenInterventionen sichtbargeworden sind, erhofft sich das Projektdurch diese zusätzliche qualitative Teiluntersuchungbreitere Erkenntnisse über denHilfe- und Unterstützungsbedarf geradejener Frauen, deren Gewalterfahrungenbislang noch kaum gesellschaftlich sichtbarund bekannt geworden sind.Die Untersuchung ist eingebunden in nationaleund internationale Forschungsnetzwerkezur Frauen-, Männer-, GeschlechterundGewaltforschung und kooperiert engmit Teilen der bundesdeutschen Fachpraxisim Bereich der Bekämpfung und Präventi-118


Neue Forschungsprojekteon von Gewalt im Geschlechter- und Generationenverhältnis.Projektleitung und wiss. Verantwortung:Dr. Monika Schröttle, Prof. Dr. UrsulaMüller; Wiss. Mitarbeiterinnen: ChristaOppenheimer, M.A. (wiss. Mitarbeiterin),Monika Holzbecher (wiss. Honorarkraft),Stefanie Soine (wiss. Mitarbeiterin, vorauss.ab März 2003); Sachbearbeitung undOrganisation: Barbara Schulz, Dipl.soc.;Stud. Hilfskraft: Alexandra Münster; Finanzierungund Auftraggeber: BMFSFJ;Kooperationspartner: infas (Durchführungder Repräsentativbefragung)Monika SchröttleKontaktInterdisziplinäres Frauenforschungszentrumder Universität Bielefeld (<strong>IFF</strong>), Projekt: „Repräsentativuntersuchungzu Gewalt gegenFrauen“, PF 100131, 33501 Bielefeld,Tel.: 0521-106-4572; Fax: -2985,Email: barbara.schulz@uni-bielefeld.deFrauen- und Geschlechterforschung ander Fakultät für Soziologie in St. PetersburgSeit dem 15. Juli <strong>2002</strong> wird am InterdisziplinärenFrauenforschungs-Zentrum(<strong>IFF</strong>) der Universität Bielefeld unter derLeitung von Prof. Dr. Ursula Müller einneues Tempus Tacis Projekt bearbeitet.Das Projekt „Geschlechterstudien als Bestandteilsoziologischer Lehre“ ist ein Kooperationsprojektdes <strong>IFF</strong>, der SoziologischenFakultät der Staatlichen UniversitätSt. Petersburg und des Institut für Politikwissenschaftender Universität Wien. Eswird die Institutionalisierung von FrauenundGeschlechterforschung an der Fakultätfür Soziologie der Universität St. Petersburgvoranbringen. Dabei soll insbesonderedie curriculare Verankerung von FrauenundGeschlechterthemen in Lehre und Forschungmit den Schwerpunkten Sozialpolitik,Bürgerinitiative und Sozialarbeit in derrussischen Transformationsgesellschaft unterstütztwerden.Die Frauen- und Geschlechterforschunghat in Westeuropa die Wissenschaftsentwicklungund den Blick auf die Wissenschaftverändert und um neue Inhalte erweitert.Frauen- und Geschlechterthemenin Lehre und Forschung werden hier immermehr zu einem wesentlichen Bestandteilder verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen.Dabei sind in den verschiedenenPhasen der Institutionalisierung Erfahrungenund Erkenntnisse gesammelt worden,die als Handlungsempfehlungen im Hinblickauf eine Etablierung der Frauen- undGeschlechterforschung in Osteuropa weitergegebenwerden können. Mit externerUnterstützung soll dieser Prozess forciertwerden. Ein solches Projekt muss übereinen längerfristigen Zeitraum angelegtsein, um Effekte und Ergebnisse des Projektvorhabensbewerten und einschätzen zukönnen. Die Forschungskooperation des<strong>IFF</strong> zielt deshalb darauf, eine Verankerungder Frauen- und Geschlechterforschungdurch Vernetzungen und Kooperationen zuinitiieren und dauerhaft zu etablieren.Die gegenwärtigen radikalen Veränderungenin Russland betreffen ganz wesentlichdie Frauen. Und nicht nur deshalb,weil sie mit rd. 53% die Mehrzahlder russischen Bevölkerung stellen. Sondern,weil unter den Bedingungen des Ü-bergangs zur Marktwirtschaft ihre alten,ungelösten Probleme bei der Erwerbsbeteiligung,der politischen Teilnahme undim Alltag mit übernommen worden sind:niedriges Qualifikationsniveau, geringerArbeitslohn, zusätzliche Belastungen bei119


Berichte aus dem <strong>IFF</strong>der Organisation des Alltagslebens. Hinzukommen neue Probleme: die hohe Arbeitslosenquote,die Wiederbelebung einerIdeologie der „ursprünglichen Funktion“der Frau, sich voll und ganz der Familiezu widmen, das Fehlen einer politischenLobby für Frauen. Gleichzeitig geht einProzess vonstatten, Frauen aus den höherenstaatlichen Funktionen herauszudrängen.Ihnen bleibt, wie schon seit Jahrhunderten,der private Bereich. Das verleiht derHyperzentrierung der Mutterrolle, demmatrizentrierten Modell in der russischenKultur zusätzliche Beständigkeit. DiesesBild wird auch ständig im russischen Fernsehenvermittelt, besonders durch Werbung,die auf traditionelle Geschlechterverhältnisseund -zuweisungen rekurriertund diese damit permanent reproduziert.In der heutigen russischen Politik, die einerseitsdie ökonomische und sozialeÜberbelastung der Frauen zu berücksichtigenhat und sich andererseits mit gesellschaftlichenVorurteilen gegenüber der e-manzipatorischen Frage und dem Feminismusauseinandersetzen muss, sind Konzeptezu entwickeln, die den konkretenBedingungen der russischen Gesellschaftentsprechen. Dafür müssen zuerst institutionelleStrukturen geschaffen und wirksameInstrumentarien für die Durchsetzungvon Fraueninteressen auf politischer Ebeneausgelotet werden. Aber soziale und ökonomischeExistenzsicherung lassen politischeAktivitäten zweitrangig erscheinen.Der Übergang von hierarchischen Machtstrukturendes totalitären Staates männlicherPrägung zu hierarchisch strukturiertenMachtpositionen des demokratischenStaates männlicher Prägung, wie er inRussland sichtbar wird, lässt die Frauenaußen vor. Die russische Gesellschaft isteine konservative mit traditionellen Bildernvon Weiblichkeit. Die Sozialisationder russischen Frauen folgt heute verstärktdiesen Leitbildern, obgleich sie den Interesseneiner Vielzahl von Frauen widersprechenund die Erfahrungshorizonte aus über70 Jahren propagierter Gleichstellung derGeschlechter außen vor lassen.Den wichtigsten sozialen Zusammenhangin Vergangenheit und Gegenwart bildetdie Familie als Gegengewicht zu einerstark politisierten Gesellschaft. DieserBereich ist weiblich besetzt. Familiebeinhaltet aber auch Ungleichheitenzwischen und innerhalb der Geschlechter.Die hier kurz skizzierten allgemeinen Bedingungen,in denen Frauen sich heute inRussland bewegen, werden in ihrer Widersprüchlichkeitvon der russischen Soziologienur am Rande wahrgenommen, teilweisesogar vollständig ignoriert. GeschlechtsspezifischeAspekte werden inder wissenschaftlichen Literatur kaumdiskutiert, wenn doch, so zumeist im Zusammenhangmit Familie.Dennoch tritt heute die Geschlechterperspektiveallmählich aus ihrer Geschlossenheitin den öffentlichen Raum. Ziel desProjektes ist es, diesen Prozess zu unterstützen,zu einer Demokratisierung vonGeschlecht in den verschiedenen Bereichender russischen Gesellschaft beizutragensowie Maßnahmen zur Förderung undUnterstützung von Frauen zu entwickeln.Dieses Anliegen wird durch eine sozialwissenschaftlicheAusbildung unterstützt,die zunächst an der Universität in St. Petersburgden Bereich Frauen- und Geschlechterforschungaufnimmt und zwarmit Ausbildungsanteilen, die konkrete sozialeProblem aufgreifen und auf derenLösung durch sozialpolitische und sozial-120


Neue Forschungsprojektearbeiterische Maßnahmen ausgerichtetsind.Das Projekt baut im wesentlichen auf denAustausch der Erfahrungen mit „ GenderStudies“ von Wissenschaftlerinnen aus Ostund West. Interessierte Wissenschaftlerinnen,die in St. Petersburg eine Lehrveranstaltungzu „Gender Studies“ anbietenmöchten oder sich in einem anderen Rahmenan dem Projekt beteiligen wollen,können sich mit der Koordinatorin in Verbindungsetzten.Rita Dittrich, Birgitta WredeKontaktPD Dr. Rita Dittrich, <strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld,Raum T7-226, Tel 0521/106-4576,Email: rita.dittrich1@uni-bielefeld.de121


___________________________________________________________________________Susann FegterFrauen-Computerraum___________________________________________________________________________Seit April <strong>2002</strong> gibt es auf der Galerie gegenüber dem Haupteingang (T1-177) einen Frauen-Computerraum. 15 Rechnerplätze stehen dort täglich von 8 –22 Uhr allen Nutzerinnen derUniversität zur Verfügung. Zum Angebot gehören neben regelmäßigen und kostenlosenComputerkursen auch Beratungszeiten: Alexandra Goj und Sonja Hunscha vom Hochschulrechenzentrum(HRZ) sind an vier Tagen in der Woche präsent und stehen bei Problemen mitRat und Tat zur Seite. Ihre Beratungszeiten sind am Raum ausgehängt. Inhalt und Zeiten derComputerkurse können bei ihnen erfragt werden oder hängen an der Pinnwand im Raum aus.Für das Wintersemester 02/03 sind sowohl Anfängerinnenkurse für Internet und Word geplant,als auch Kurse zu PowerPoint-Präsentationen und Photoshop. Der Raum geht auf eineInitiative der Gleichstellungsbeauftragten der Uni Bielefeld zurück.Zur GeschichteMit der Eröffnung des Raumes geht einelange Planungsphase zu Ende. Bereits imJahr 2000 wurde der „Frauen-Computerraum“vom damaligen FrauenLesben-AStA angestoßen. Auslöser war ein Belästigungsvorfallim HRZ, der eine Auseinandersetzungmit dem Thema „Frauen undComputer/Internet“ nach sich zog. Dabeiwurde deutlich, dass sich mehrere Frauenin den Computerräumen nicht wohl fühltenund Ausweichstrategien entwickelt hatten.Zusätzlich offenbarten Studien, dass mehrweibliche als männliche Studierende einenBedarf an der Ausdehnung von Kompetenzenim Bereich Computer haben. So tratder FrauenLesben-AStA im Herbst 2000mit einem Antrag für einen Frauencomputerrauman das Rektorat heran. Vorbildervon anderen Unis gab es dabei nicht.Das Rektorat war dem Projekt gegenüberzunächst überwiegend positiv eingestelltund auch das HRZ signalisierte deutlichesInteresse; auch vor dem Hintergrund seinerchronischen Überlastung in den angestammtenHRZ-Räumen. Deswegen sicherteHerr Nienaber als kommissarischerLeiter des HRZ auch frühzeitig zu, densystemtechnischen Betrieb zu übernehmen.Dennoch stockte das Projekt bald an derRaumfrage. Ab diesem Zeitpunkt warenlängere Verhandlungen notwendig, bis esgelang, sich auf einen zentral gelegenenRaum zu einigen. Während dieser Phaseging das Projekt im Frühjahr 2001 mit SusannFegter vom AstA in die Belange derGleichstellungsbeauftragten über. Die definitiveZusage über Raum und Ausstattungerfolgte schließlich im September2001. Danach waren das HRZ, die zuständigenDezernate und die Gleichstellungsbeauftragtennoch ca. 5 Monate mit derEinrichtung und Ausstattung des Raumesbeschäftigt.Das Ergebnis ist ein moderner Arbeitsraummit Flachbildschirmen, neuen Möbeln,rückenfreundlichen Stühlen und einer hellenAtmosphäre. Die Lage gegenüber dem122


Frauen-ComputerraumHaupteingang auf der Galerie gewährleistetzudem auch noch in den Abendstundeneine gute Einbindung in den Publikumsverkehr.Abgerundet wurden die Planungendurch die Zusage des HRZ, zwei studentischeHilfskräfte, Alexandra Goj undSonja Hunscha, sowohl mit den Beratungszeitenals auch mit der Durchführungvon Computerkursen zu beauftragen. Währenddiese beiden das Kursangebot für Anfängerinnenabdecken, bietet das Frauenbüroin Kooperation mit der uniinternenWeiterbildungsstelle zusätzlich Kurse zurQualifikation für Fortgeschrittene an (wiePowerPoint, Photoshop, etc.).Im SS <strong>2002</strong> schließlich wurde der Frauen-Computerraum eröffnet. Die erste Bilanzam Ende des Sommersemesters ist sehrpositiv ausgefallen. Obwohl wenig Werbunggemacht wurde, hat sich der Raumschnell herumgesprochen und ist im Ergebnisimmer gut besucht. Die Kommentareauf den ausgehängten Meinungszettelnsind durchweg positiv und befürwortennoch eine Ausdehnung der Öffnungszeitenauf das Wochenende. Bisher wurde davonjedoch wegen der dann mangelnden sozialenKontrolle abgesehen. Da sich die Befürchtungenim Hinblick auf Diebstahl undVandalismus bisher – zum Glück – nichterfüllt haben, kann unter Umständen tatsächlichüber eine Ausweitung nachgedachtwird.Auch Ärger mit Männer ist bisher weitgehendausgeblieben. In der Anfangszeit fandenzwar viele auffällig laute, abfälligeGespräche vor dem Raum statt, aber diesesMitteilungsbedürfnis hat sich gelegt. Zentralwird hier sicherlich auch in Zukunftsein, deutlich zu machen, dass die Bevorzugung,als die Frauenförderung in diesemFall wirkt, faktisch aber einen Ausgleichfür eine strukturelle Benachteiligung darstelltund somit dem Ziel der Gleichstellungdient und nicht auf Besserstellungausgerichtet ist Diese Argumentation sollim folgenden ausgeführt werden.Warum ein Frauen-Computerraum?Mit der Einrichtung des Raumes reagiertdie Universität darauf, dass sich im Hinblickauf Unterschiede zwischen Studierendenim Bereich Computerkenntnisseund -nutzung das Geschlecht als die relevanteUnterscheidungsgröße herausgestellthat:So zeigen Studien, dass Studentinnen gegenüberdem Bereich Technik, Computerund Internet insgesamt mehr Skepsis, Unsicherheitund negative Einstellungen zumAusdruck bringen als ihre Kommilitonen.Sie verfügen auch seltener über einen eigenenPC und sind schlechter im Ausstattungsniveau.Männliche Studierende weisendagegen eine höhere Vertrautheit undSelbstsicherheit im Umgang mit Computernauf, haben positivere Einstellungenund können im Schnitt auch auf eine längerePC-Erfahrung zurückblicken als ihreKommilitoninnen (vgl. Berghaus 1999).Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daßComputer- und Internetkenntnisse zu denzentralen Qualifikationskriterien auf demheutigen Arbeitsmarkt zählen und den Zugangzu genau jenen Bereichen eröffnen, indem der Bedarf an qualifizierten Kräftensteigt, war es der Universität wichtig, sichmit den Ursachen dieses Phänomens zubeschäftigen und ihnen entgegenzuwirken.Die Ursachen dieser Differenzen sind nichtkognitiver sondern motivationaler Art undhängen mit einer geschlechtsspezifischenTechniksozialisation zusammen: Dazugehört, dass Technik auf der symbolischenEbene nach wie vor zum männlich konno-123


Berichte aus der Unitierten Bereich gehört (vgl. Richter u.a.2001). Ein Interesse an Computern läßtsich daher mit einem männlichen Selbstbildkonsistent verbinden, während einComputerinteresse bei Frauen eher zu Ambivalenzenzwischen gesellschaftlichenErwartungen und Selbstbild führen kann(vgl. Lander 1995). Ein Desinteresse imtechnischen Bereich kann geradezu zu einerBestätigung weiblicher Geschlechtsidentitätgenutzt werden (vgl. Herzog1996). Dass diese kulturellen Muster schonim Kindesalter wirken, zeigt das LBS-Kinderbarometer 1999: Während fast 50%der Jungen einen eigenen PC besitzen,trifft dies nur auf 29% der Mädchen zu.Jungen wünschen sich auch häufiger etwascomputerbezogenes zum Geburtstag (35%zu 9%) und nennen das Computerspielenals erste Lieblingsbeschäftigungen, währendes bei den Mädchen erst an dritterStelle genannt wird (LBS-Initiative JungeFamilie 1999).Untersuchungen mit SchülerInnen zeigenauch, dass Vorurteile über den Zusammenhangvon Frauen und Technik nach wie vorvirulent sind: Jungen wie Mädchen sinddavon überzeugt daß Jungen besser imUmgang mit Computern seien als Mädchen(vgl. Faulstich-Wieland 1987).Das alles hat zur Folge, dass Jungen undMänner sich mit größerer SelbstverständlichkeitComputer- und Internetkenntnisseaneignen, während manche Frauen Berührungsängsteentwickeln. EntsprechendeWahrnehmungsmuster prägen auch dieInteraktion in universitären Computerräumen:Hier ist ein dominierendes Auftretennoch immer eher bei Männern zu beobachten,während Studentinnen häufiger Unsicherheitenbezüglich der eigenen Fertigkeitenäußern (vgl. Berghaus 1999). SchnelleRatschläge wohlmeinender Kommilitonenstatt echter Hilfe zur Selbsthilfe verstärkendieses Gefühl häufig noch.Genau das Gegenteil gilt es aber zu fördern,nämlich ein positives Selbstbild vonFrauen im Umgang mit Computern, dassich vor allem durch Erfolgserlebnisse undkontinuierliche Praxis bildet (vgl. Hannover1992). Wie Studien zu monoedukativemUnterricht in naturwissenschaftlichenFächern an Schulen gezeigt haben, machtes hierzu Sinn, die Dynamik koedukativerLern- und Arbeitssituationen aufzubrechen(vgl. Kessels u.a. <strong>2002</strong>).Der Frauen-Computerraum setzt genau andieser Stelle an: Er• bietet allen Studentinnen und Mitarbeiterinnender Universität einen Raum, indem Geschlecht als Unterscheidungskategoriewegfällt und schafft dadurchandere Rahmenbedingungen für dieArbeit am Computer und im Internet.• bietet mit seinem Kurs- und Beratungsangebotedie Möglichkeit, Kenntnissezu erwerben und Fähigkeiten zuverbessern.• bietet die Möglichkeit, sich von kompetentenFrauen beraten zu lassen.• reduziert die Wahrscheinlichkeit, vonpornographischen Seiten auf benachbartenRechnern belästigt zu werden.• liegt sehr zentral und ist auch in denAbendstunden noch gut in den Publikumsverkehreingebunden.Zu Nachfragen über Nutzungsmöglichkeitendes Raumes durch weitere Einrichtungender Universität steht das Frauenbürogerne für Auskünfte zur verfügen.LiteraturMargot Berghaus: Student und interaktive Medien.Theoretische Überlegungen und empirische Befundezur „AlphaBITisierung“ der Hochschulen,1<strong>24</strong>


Frauen-Computerraumin: Medienpsychologie, 11. Jg., 1999, Heft 4, S.260-275.Faulstich-Wieland, Hannelore 1987: „Mädchenbildungund Neue Technologien“, in: Institut Frauund Gesellschaft (Hrsg.): Frauenforschung.Frauen und neue Technologien, Heft 1 + 2,1987.Hannover, Bettina. Mädchen in geschlechtsuntypischenBerufen. Eine quasiexperimentelle Studiezur Förderung des Interesses Jugendlicher anNatur und Technik, in: Zeitschrift für Sozialpsychologie,Jg. 23, 1992, H. I, S. 36-45.Herzog, Walter: Motivation und naturwissenschaftlicheBildung. Kriterien eines „mädchengerechten“koedukativen Unterrichts, in: Neue Sammlung,H. 1, 1996, S. 61-91.Ursula Kessels/Bettina Hannover/Hanna Janetzke:Einstellungen von Schülerinnen und Schülernzur Monoedukation im naturwissenschaftlichenAnfangsunterricht, in: Psychologie in Erziehungund Wissenschaft, Heft 1, <strong>2002</strong>.Lander, Bettina: Computerinteresse und Geschlecht.Fördert eine techniknahe Sozialisationdas Interesse an Computern?, in: Zeitschrift fürFrauenforschung, <strong>Nr</strong>.4, l995, S. 40-50.LBS-Initiative Junge Familie (Hg.): LBS-Kinderbarometer NRW. Stimmungen, Meinungen,Trends von Kindern in Nordrhein-Westfalen. Ein Projekt der „LBS-Initiative JungeFamilie“ in Zusammenarbeit mit dem Kinderbeauftragtender Landesregierung NRW,Münster, November 1999.Richter, T.,/Naumann, J./Horz, H.: Computer Literacy,computerbezogene Einstellungen undComputernutzung bei männlichen und weiblichenStudierenden, in: H. Oberquelle/R. Oppermann/J.Krause (Hrsg.), Mensch & Computer2001: 1. Fachübergreifende Konferenz (Berichtedes German Chapter of the ACM, Bd. 55,S. 71-80).Susann Fegter, Studentische Gleichstellungsbeauftragteder Uni BielefeldPostfach 100131, 33501 Bielefeld,Email: frauenbuero@uni-bielefeld.de125


___________________________________________________________________________Mechthild OechsleDie Zeitfalle –.(k)ein deutsches Problem?___________________________________________________________________________Der folgende Beitrag entspricht der Einleitung für die deutsche Übersetzung des Buchs vonArlie Russel Hochschild „The Time Bind“ aus dem Jahr 1997. Sie wird im Oktober <strong>2002</strong> unterdem Titel „Keine Zeit. Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet“in der Reihe Geschlecht und Gesellschaft bei Leske&Budrich veröffentlicht (vgl. Neuerscheinungen).Mit diesem Beitrag soll bereits jetzt das Interesse der Leserin und des Lesersfür dieses überaus spannende Buch geweckt werden.Das Problem der Vereinbarkeit von Berufund Familie oder vielleicht zeitgemäßer,der Balance von Arbeit und Leben und diedamit verbundenen Zeitnöte, selten ist eseindringlicher analysiert worden als inHochschilds Bestseller „The Time Bind“.Suggeriert der Begriff der Vereinbarkeitoder der Balance, dass die Zeitordnungendes Erwerbssystems mit denen der Familienzu vereinbaren wären und eine Balancegelingen könnte, so entlarvt Hochschilddiesen Optimismus als individuelle undkollektive Selbsttäuschung. Mehr noch, ihrBuch ist ein bestürzendes Dokument einermisslingenden Balance, eine Analyse dererdrückenden Dominanz der Arbeitszeitüber die Familienzeit und ihrer Kosten fürdas Familienleben und das Aufwachsenvon Kindern in den USA der 1990er Jahre.Diese Dominanz der Arbeitszeit ist allerdingskeine, die den Beschäftigten als purerOktroy aufgezwungen wird, wie wirdies aus historischen Analysen frühkapitalistischerArbeitszeitregimes kennen (vgl.etwa Thompson 1972). In subtilen Analysenzeigt Hochschild, dass die Umpolungzwischen Arbeit und Zuhause durchaus mitdem Einverständnis der Arbeitenden rechnenkann – für beide Geschlechter kann derArbeitsplatz attraktiver werden als das Zuhause.Der Wandel in den Wertorientierungenwird durch die Entwicklung einerUnternehmenskultur gefördert, die denBeschäftigten Anerkennung und Wertschätzungam Arbeitsplatz vermittelt unddazu beiträgt, dass sie sich bei der Arbeitmehr und mehr wie zu Hause fühlen unddeshalb immer mehr Zeit an diesem Arbeitsplatzverbringen. Im Gegenzug wirddie Zeit zu Hause immer knapper, das Familienlebengerät unter die Imperative einestayloristischen Zeitregimes.Hochschild steht mit ihrer Analyse keineswegsallein. Andere prominente Autorenwie Robert Putnam und Robert Reichstellen die Frage, ob das Amerika der NewEconomy nicht zuviel an Familien- undLebenszeit und an Gemeinschaftslebengeopfert hat. Putnam beklagt den Verlustund die Ausdünnung des Gemeinschaftslebens(Putnam 1995) und Reich beschreibtden „unglaublichen Schwund der Familie“und den hohen Preis, den die Arbeit derNew Economy dem Familienleben abverlangt(Reich <strong>2002</strong>).Die eindringlichen Beschreibungen derZeitnöte berufstätiger Eltern, die Innenan-126


Die Zeitfallesichten der amerikanischen Zeitarchitektur,die uns Hochschilds Lektüre vermittelt,sind sie überhaupt auf die Situation in derBundesrepublik übertragbar? Sind dieseüberlangen Arbeitszeiten und die damitverbundene Zeitkultur nicht ein amerikanischesPhänomen, weit entfernt von derbundesrepublikanischen Wirklichkeit miteiner tariflichen Wochenarbeitszeit vonteilweise 35 Stunden, bis zu 30 Tagen Jahresurlaub,14 Wochen bezahltem Mutterschutzund drei Jahren Elternurlaub?Hochschild sieht Deutschland eher als einarbeitszeitpolitisches Musterland, durchausein Vorbild in Sachen Arbeitszeitregulierung.In ihren Überlegungen, wie der Zeitfallezu entkommen sei, weist sie, nebenSchweden, immer wieder auf Deutschlandals Beispiel für eine bessere zeitliche Balancevon Arbeit und Leben hin. Sind alsoHochschilds Analysen der Zeitfalle aufDeutschland übertragbar? Ist das, was siebeschreibt, nicht weit entfern von der Zeitkulturder Bundesrepublik? Oder ist diesesamerikanische Modell der Beziehung zwischender Arbeitswelt und der Welt desZuhauses vielleicht doch eines, das auchauf uns zukommen könnte?Auch in Deutschland haben sich die Arbeitszeitenund Modelle ihrer Regulierungin den letzten 20 Jahren verändert. Trotzaller gewerkschaftlichen Bemühungen umweitere Arbeitszeitverkürzung gibt es eineStagnation bei den tariflichen Arbeitszeitverkürzungenund in den 1990er Jahren inmanchen Bereichen sogar eine Verlängerungder effektiven Arbeitszeiten. Einejüngst erschienene Studie geht sogar davonaus, „dass die 40-Stundenwoche inDeutschland günstigstenfalls weiterhin diefaktische Durchschnittsarbeitszeit für Vollzeitkräfteist und vielleicht sogar davonausgegangen werden muss, dass die 40-Stunden-Schwelle ungefähr die Mitte zwischentariflichen und tatsächlichen Arbeitszeitenin Deutschland markiert“(Bosch u.a. <strong>2002</strong>, S. 39). Eine Repräsentativerhebungin allen 15 Mitgliedstaaten derEuropäischen Union und in Norwegen imJahr 1998 kommt zu dem Ergebnis, dassdie tatsächliche wöchentliche Arbeitszeitaller Beschäftigten in Deutschland 38,8Stunden beträgt, die tatsächliche Wochenarbeitszeitvon Beschäftigten, die sichselbst als Vollzeitkräfte bezeichnen, sogar44,4 Stunden und damit 1,3 Stunden mehrals der europäische Durchschnitt mit 43,1Stunden (Bielenski 2000).Neben der Stagnation der tariflichen Arbeitszeitverkürzungund einer partiellenVerlängerung der effektiven Arbeitszeit istdie Situation in Deutschland vor allemdurch einen Prozess der Flexibilisierungvon Arbeitszeiten gekennzeichnet. SeitMitte der 80er Jahre findet eine Deregulierungder Arbeitszeit in Form von zunehmenderWochenendarbeit, Schicht-, A-bend- und Nachtarbeit, von Vertrauensarbeitszeitund Jahresarbeitszeitmodellen,von befristeter Beschäftigung, Teilzeitarbeitund geringfügiger Beschäftigung sowieHeimarbeit und alternierender Telearbeitstatt. Die Einschätzungen des Ausmaßesund der Tragweite dieser Flexibilisierungstendenzendifferieren, aber unbestreitbarist, dass in einem relevantenAusmaß eine Erosion der Normalarbeitzeitund damit verbunden eine teilweise Auflösungkollektiver Arbeitszeitstrukturen stattfindetund schon stattgefunden hat (Garhammer1999).Die Deregulierung der Arbeitszeit scheintsich in Abhängigkeit vom Qualifikationsniveauund z.T. vom Geschlecht in zweigegensätzliche Richtungen zu bewegen.Zum einen beobachten wir einen Trend in127


Berichte aus der UniRichtung Aufsplittung von Vollzeitarbeitin Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung;hierbei sinken die wöchentlichenDurchschnittsarbeitszeiten dieser – meistweiblichen – Beschäftigten. Zum anderenführen neue Formen der Arbeitsorganisationund neue Managementmethoden zurVerlängerung von Arbeitszeiten über dietariflich oder vertraglich vereinbarten Arbeitszeitenhinaus. Dies gilt insbesonderefür hochqualifizierte Angestellte, die„möglicherweise als Vorreiter neuer Formender individuellen Arbeitszeitgestaltungangesehen werden können“ (Wagner2000, S. 258/259). In ihrer Analyse derDaten des Sozioökonomischen Panels stelltWagner fest, dass gerade für hochqualifizierteAngestellte die Differenz zwischenvereinbarter und tatsächlicher Arbeitszeitgrößer wird, dass von diesen vermehrt undhäufig unentgeltlich Überstunden geleistetwerden und dass es bei einem wachsendenAnteil der hochqualifizierten Angestelltenkeine vertragliche Regelungen über dieDauer der Arbeitszeit mehr gibt (ebd., S.264).Die ‚schleichende‘ Verlängerung von Arbeitszeiten,gerade im Zusammenhang mitihrer Flexibilisierung, ist bislang vor allemim gewerkschaftlichen Kontext unter demStichwort des „Arbeitens ohne Ende“ thematisiertworden. Interessant ist hier etwadas Beispiel von IBM, wo die Einführungder Vertrauensarbeitszeit von einem massivenZuwachs an Arbeitsbelastungen undeiner Verlängerung der Arbeitszeit begleitetwar und zu einer Reihe von gewerkschaftlichenAktionen im Kampf gegen das„Arbeiten ohne Ende“ geführt hat (Pickshaus2000) Wenig untersucht worden istbisher, wie sich diese überlangen Arbeitszeitenauf das Familienleben auswirken.Interessanter, auch für die sozialwissenschaftlicheForschung, sind offenbar ‚spektakulärere‘Formen und Modelle der Arbeitszeitflexibilisierung,vor allem wennsie mit Arbeitszeitverkürzungen einhergehen.So ist etwa das Modell der 28,8 Stundenwochebei VW in seinen Auswirkungenauf die Beschäftigten und ihr Familienlebenrelativ breit erforscht worden (Jürgens/Reinecke1998), auch über die Auswirkungenvon Blockfreizeiten und Sabbaticalsauf Familienzeiten gibt es erste empirischeHinweise (Pfahl/Reuyß <strong>2002</strong>).Kritisch wurde vor allem angemerkt, dasssich die Flexibilisierung der Arbeitszeit beiVW wie auch in anderen Betrieben weitausstärker an den Anforderungen des Unternehmensals an den individuellen Zeitwünschender Beschäftigten orientiert und diemit der Flexibilisierung verbundenenHoffnungen und Wünsche auf mehr Zeitsouveränitätsich nur bedingt erfüllen (Hildebrandtu.a. 2000).Nicht nur auf der Ebene der faktischenArbeitszeiten scheint sich eine Trendwendein Richtung längerer Arbeitszeiten anzudeuten.Auch in den Arbeitszeitpräferenzender Beschäftigten zeigen sich bemerkenswerteVeränderungen. In einer Auswertungder Daten des SozioökonomischenPanels durch das Deutsche Institut fürWirtschaft (DIW) zeigen sich deutlicheVeränderungen in den Arbeitszeitpräferenzenzwischen 1993 und 1997. Nach diesenDaten wollten 1997 in Westdeutschlandfast ebenso viele Frauen ihre Arbeitszeitausweiten (27%) wie einschränken (29%),während 1993 die Anteile 11% bzw. 36%betrugen. Im Jahr 1997 wollten 44% dervollbeschäftigten Männer mit einem Kindunter drei Jahren im Haushalt ihre Arbeitszeitausweiten, während noch 1993 praktischkein vollbeschäftigter Mann mit einemKleinkind im Haushalt seine Arbeits-128


Die Zeitfallezeit ausdehnen wollte und fast zwei Dritteleine Verkürzung anstrebten (1997 nur nochein knappes Fünftel) (Holst/Schupp 1998,S. 3). In Ostdeutschland ist 1997 generelleine höhere Erwerbsorientierung beiderGeschlechter zu verzeichnen; der überwiegendeTeil der Beschäftigten, sowohlMänner wie Frauen, möchte einer Erwerbstätigkeitim Umfang von 35 und 40Stunden nachgehen, ein Fünftel aller Männerund 7% der Frauen wünschen sich eineArbeitszeit von mehr als 40 Stunden. Generellstellt die Studie fest, das die Akzeptanzfür weitere Arbeitszeitverkürzungendeutlich gesunken und der Wunsch nachAusweitung der Arbeitszeit erheblich gestiegenist (Holst/Schupp 1998, S. 6).Gründe für diese Wünsche nach einerAusweitung der Arbeitszeit sehen die Autorenim Realeinkommensverlust, in derbereits vollzogenen Arbeitszeitverkürzungund in neuen Arbeitszeitmodellen. Ob dieseveränderten Arbeitzeitpräferenzen aufeinen tiefergehenden Wertewandel imVerhältnis von Arbeit und Leben hinweisen,bleibt offen und wird von den Autorenso nicht diskutiert.Natürlich geht es nicht nur um individuelleArbeitszeiten und Arbeitszeitpräferenzen.Wenn wir uns fragen, ob die von Hochschildbeschriebene Zeitfalle auch fürDeutschland Bedeutung gewinnen könnte,dann müssen wir auch familiale Erwerbsmusterin beiden Ländern vergleichen undnach dem Muster der Erwerbsintegrationvon Frauen in Deutschland fragen. Auchhier gibt es deutliche Unterschiede. Trotzder Zunahme der Erwerbsbeteiligung vonFrauen kann, zumindest für Westdeutschland,noch immer von der Dominanz eines,wenn auch modernisierten männlichenErnährermodells ausgegangen werden; inOstdeutschland finden wir eher ein DualEarner Modell mit Tendenz zu egalitärenErwerbsmustern (Dingeldey 1999). Rund40% aller Haushalte in Westdeutschlandmit Kindern unter 15 Jahren haben einenmännlichen Alleinernährer, ca. 50% dieserHaushalte sind Zweiverdienerhaushalte, inknapp 30% aller Haushalte mit Kindernunter 15 Jahren besteht das familiale Erwerbsmusteraus der Kombination Vollzeitarbeitdes Mannes und Teilzeitarbeitder Frau.Dies mag vielleicht dazu beitragen, dassdas Problem der Zeitnot zumindest inwestdeutschen Familien weniger dramatischist als in den USA. Allerdings wäre esfalsch, von einem einheitlichen Profil familialerErwerbsmuster auszugehen. Inimmerhin einem Fünftel aller westdeutschenHaushalte mit Kindern unter 15 Jahrenarbeiten beide Partner Vollzeit, in Ostdeutschlandsind es fast 46%. Geht mandavon aus, dass im Zuge steigender Frauenerwerbstätigkeitdas Modell des männlichenFamilienernährers weiter abnehmenwird und Zweiverdiener-Haushalte weiterzunehmen (Dingeldey 1999), dann könnenwir uns vorstellen, dass zunehmend auchFamilien in Ost- und Westdeutschland vonder „Zeitfalle“ betroffen sind.Doch auch wenn die Arbeitszeiten inDeutschland noch immer unter denen derUSA liegen und auch das Modell der Erwerbsintegrationvon Frauen ein anderesist, das Problem der Balance zwischen Arbeitund Leben gewinnt auch in der Bundesrepublikzunehmend an Aufmerksamkeit.Bemerkenswert ist das derzeitige Medieninteresseam Thema Work-Life-Balance. Von einem Wertewandel in derArbeitswelt ist die Rede und von Arbeitnehmern,die nicht mehr bereit seien, sichausschließlich für ihre Arbeit zu engagieren,sondern den Ausgleich mit ihrem Privatlebensuchen würden (Schneider 2001).129


Berichte aus der UniDie FAZ schreibt in ihrem Hochschulanzeiger:„Die Krieger der New Economysind müde. Was haben sie nicht auch allesgegeben: Arbeit Tag und Nacht bei Fertigpizzaund Cola aus der Dose (...) Der Preiswar hoch: Nicht nur sind ihre Aktienoptionennichts mehr wert, viele Start-up-Helden haben schlicht ihre Gesundheitruiniert. Aber sie sind nicht die einzigen:Die Wirtschaftskapitäne der Old Economysind genauso müde. (...)‘Work-Life-Balance!‘ heißt deshalb der neuesteSchlachtruf, der aus den Strategieabteilungender Unternehmen tönt“ (Jacoby <strong>2002</strong>,S. 6).Aber – wie tragfähig sind solche Konzepte,schaffen sie wirklich eine bessere Balancevon Arbeit und Leben, gewinnen Familiendadurch mehr Zeit oder geraten die Beschäftigtennur in neue Zeitfallen? HochschildsStudie könnte uns hier zu mehrSkepsis veranlassen, hat doch ihre Studiegezeigt, dass solche Programme bei ihrerUmsetzung auf mehr Hinternisse stoßen alswir zunächst annehmen. Die Zeitschriftmanagement&training kommt 2001 in einemHeft mit dem Schwerpunkt Work-Life-Balance zu dem Ergebnis, dass dieUnternehmen noch nicht hinter diesemKonzept stehen. „In den Unternehmensieht es ganz anders aus. Hier sind traditionelleWerte wie Pflichtbewusstsein, Fleißund eine ausgedehnte Arbeitszeit immernoch karriereentscheidend. (...) In denmeisten Firmen steigt eher der permanenteLeistungsdruck“ (Schneider 2001) Beiihrer Recherche fand Schneider „kein einzigesUnternehmen“, das ein umfassendesKonzept zur Work-Life-Balance eingeführthat. Einzelne Elemente sind eher „Benefitszur Mitarbeiterbindung, die es schon langegibt und die heute – vielleicht aus Imagegründen– nach außen als Fördermaßnahmenzur Work-Life-Balance dargestelltwerden. Doch Verantwortung für die Umsetzungwill keiner übernehmen. (Schneider2001, S. 3)Nimmt man die angebotenen Programmegenauer unter die Lupe, dann lassen sichim wesentliche zwei Varianten unterscheiden.Zum einen handelt es sich um flexibleArbeitszeitmodelle, die es ermöglichensollen, das Privatleben besser mit dem Berufabzustimmen. Zum anderen ist festzustellen,dass typische Freizeitelemente wieSchlafen, Duschen, Fitness in die Arbeitsweltintegriert werden „Damit wird ebenfallsWork-Life-Balance betrieben – jedochinnerhalb der Arbeitswelt.“ (Mai2001, S. 12). Den Arbeitsplatz ein Stückweit zum Zuhause machen – was bedeutetdies für den anderen Pol, das Zuhause, dieFamilie? Ist dies nicht nur ein weitererSchritt zur Verstärkung der kulturellenDominanz der Erwerbsarbeit und zur Verlängerungder Arbeitszeit. Ist eine solcheVerschmelzung von Arbeit und Lebenwünschenswert, „mit Fitnessgeräten amArbeitsplatz, Freizeit im Kreis der liebenKollegen und Laptop-Arbeit zu Hause“oder verstärkt die Anreicherung des Arbeitsplatzesmit solchen Elementen desZuhauses letztlich Workalholismus undBurn-out? (Jacoby <strong>2002</strong>, S. 6).Bei aller Skepsis gegenüber den Versprechungender Work-Life-Balance-Programmesollten wir aber nicht übersehen, dassdas Interesse an dieser Thematik auf einsehr reales Problem der Lebensführungverweist. Wie kann eine Balance zwischenArbeit und Leben gelingen, wenn es imZuge eines tiefgreifenden Strukturwandelszur Entgrenzung von Arbeit (Döhl u.a.2001) kommt und die klaren Grenzziehungenzwischen Erwerbsarbeit und Nichterwerbsarbeit,zwischen Arbeitszeit undFreizeit, sich tendenziell auflösen? Was130


Die Zeitfallebedeutet dies für unsere Vorstellungen vonErwerbsarbeit und Zuhause und wie gestaltetsich die Relation von Erwerbsarbeit undprivater Lebensführung unter diesen Bedingungen?Die These vom flexiblen „Unternehmerder eigenen Arbeitskraft“(Voß/Pongratz 1998) betont vor allem dasÜbergreifen von Marktimperative auf dasLeben außerhalb der Erwerbsarbeit. DerArbeitskraftunternehmer ist gezwungen,aktiv die Vermarktung seiner Arbeitskraftzu betreiben. Der Alltag wird damit zueinem Ort systematischer Effizienzsteigerungund zu einem Objekt weiterer Rationalisierungund Zeit zu einer zentralenGestaltungsdimension in diesem Prozess(Hildebrandt u.a. 2000). Die „Verbetrieblichung“der Lebensführung wird in diesemZusammenhang als weiterer Rationalisierungsschrittgesehen, der nun auf den privatenLebensbereich übergreift. Beschränktsich dieser Prozess der Entgrenzungvon Arbeit aber darauf, dass „arbeitsweltlicheForderungen an die Lebensweltgestellt werden“ oder ziehennicht ebenso „lebensweltliche Anforderungenin die Arbeitswelt“ ein (Döhl u.a.2001, S. 228) – in Form von sozialenKompetenzen, Teamarbeit und Anerkennung?Hochschilds Analyse kann uns auchhier für die Wechselbeziehungen zwischendem Arbeitsplatz und der Welt des Zuhausessensibilisieren.Wenn wir davon ausgehen, dass die Erosionbisheriger Grenzziehungen zwischenArbeit und Leben zu einem wesentlichenCharakteristikum neuer Formen der Arbeitsorganisationgehört und auch privateLebensformen davon tangiert sind, dannstellt sich die Frage, mit welchen Konzeptenund Begriffen dieser Prozess untersuchtwerden kann. Integrative Konzepte wie dasder alltäglichen Lebensführung (Jurczyk/Rerrich1993), das allerdings mehrdie individuelle Lebensführung analysiertoder das Konzept der familialen Lebensführung(Jürgens 2001), das die Verschränkungverschiedener Lebensführungenim Rahmen von Familie untersucht,sind hier fruchtbare Ansätze. Zu bedenkenist allerdings, dass es sich bei den zu untersuchendenProzessen um mehr als dieKombination klar definierter Elementehandelt. Wir werden uns wie Hochschildfragen müssen, was denn Erwerbsarbeitund Zuhause unter diesen veränderten Bedingungenbedeuten und ob sich die Kategorienunserer Analyse nicht auch verändernmüssen (vgl. dazu auch Döhl u.a.2001). Am Beispiel von Amerco, einemgroßen amerikanischen Unternehmen,zeigt Hochschild exemplarisch die Wechselbeziehungenzwischen den beiden emotionalenKulturen von Erwerbsarbeit undFamilie, ihre innere Verflechtung und ihreKonkurrenz miteinander und sie führt unsvor Augen, wie Arbeit und Zuhause fürviele Beschäftigte eine andere Bedeutunggewinnen.Die Analyse des inneren Zusammenhangsder verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereiche,ihrer Trennungen und Verknüpfungen(Becker-Schmidt 1998) ist ein wesentlichestheoretisches und methodischesPrinzip einer gesellschaftstheoretisch orientiertenFrauen- und Geschlechterforschung(Knapp/Wetterer 2001). Erst derBlick auf den Zusammenhang scheinbargetrennter Bereiche und ihrer strukturellenAsymmetrien erlaubt es, Strukturzusammenhängeund Reproduktionsmuster einerGesellschaft im Zusammenhang mit derVerfasstheit des Geschlechterverhältnisseszu analysieren. Die strukturelle Dominanzder Erwerbsarbeit gegenüber die Familie,die Durchsetzungsschwäche der Familiegegenüber Arbeitsmarktvorgaben (Krüger1995) verweisen auf die asymmetrische131


Berichte aus der UniRelation der verschiedenen Institutionenund auf die in ihnen geronnene Geschlechterstruktur.Solange sich an dieser Hierarchisierungzwischen Familie und Arbeitsmarkt nichtsändert, solange die Institutionen des Arbeitsmarktesund der Familie und darüberhinaus die der Bildung und der Sozialpolitiknicht in ein neues Verhältnis zueinandertreten (Krüger 1995), solange wird die zunehmendeErwerbsbeteiligung von Frauenwenig an der strukturellen Asymmetrie desGeschlechterverhältnisses ändern und zudemdie Belastungen der Familie und andererprivater Bindungen weiter verschärfen.Hochschild zeigt, wie die zunehmendeErwerbsintegration von Frauen (bei ansonstenunveränderten Rahmenbedingungen)zu einem Zeitkrieg zwischen den Geschlechternführt, der auf dem Rücken derverletzlichsten Mitglieder dieses Systems,den Kindern und anderen pflegebedürftigenPersonen, ausgetragen wird. An dieserStelle Hochschild mißzuverstehen, wärebedauerlich. Sicher, sie argumentiert auchmoralisch und politisch und sie fragt nachden Kosten dieses Arbeitszeitregimes fürdas Familienleben und vor allem für dieKinder. Aber nichts liegt ihr ferner, alsdiese Kosten auf das Konto der Erwerbsbeteiligungvon Frauen zu verbuchen. Siezeigt, warum für Männer wie für Frauendie Erwerbsarbeit so attraktiv ist, sie analysiert,wie im Zuge einer neuen Unternehmenskulturund der damit verbundenenAnerkennung, Wertschätzung und Autonomiein der Arbeit der Arbeitsplatz nochmehr an Anziehungskraft gewinnt – unddas Zuhause an Attraktivität verliert. Siebeschreibt eindringlich die Folgen diesesWertewandels für die Familie und sie fragt,wie viel Elternzeit Kinder brauchen undwie viel Betreuung durch Institutionen.Diese Frage richtet sich jedoch an beideGeschlechter gleichermaßen. Sie ignoriertkeineswegs die kulturellen und institutionellenRahmenbedingungen dieser Werteverschiebung,zeichnet aber akribischnach, wie Individuen sich angesichts dieserParameter orientieren und welche Entscheidungensie treffen oder auch nichttreffen.Arlie Hochschild macht aber auch deutlich,dass es bei der Zeitfalle um mehr geht alsum individuelles Zeitmanagement oder umindividuelle biographische Entscheidungen.Sie skizziert mögliche Ziele und Akteureeiner neuen Zeitbewegung und betontdie Notwendigkeit einer gesellschaftlichenRegulierung von Arbeitszeit. Nur auf dieseWeise kann es zu einer Balance zwischender Erwerbsarbeit und dem Zuhause, zwischender Arbeitszeit und der Zeit für biographischeBindungen an Andere kommen.Im Zentrum einer solchen Zeitbewegungmüsste die Frage stehen, „wie Frauen undMänner einander ebenbürtig werden könnenin einer stärker kindorientierten undmit mehr Bürgersinn ausgestatteten Gesellschaft“.Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seinesBuches „The Future of Sucess. Wie wirmorgen arbeiten werden“ betont RobertReich, dass die deutsche Gesellschaft e-benso wie andere Gesellschaften Europasentscheiden muss, ob sie den von ihm beschriebenenKapitalismus amerikanischerPrägung übernehmen und den damit verbundenenPreis in Form eines „Schwunds“an Familien- und Gemeinschaftsleben bezahlenmöchte. Letztlich geht es um diegrundlegende Frage, wie die Relation zwischender Sphäre der Ökonomie und demLeben zu Hause und in der Gemeinschaftaussehen soll.132


Die ZeitfalleDie Lektüre von „Keine Zeit“ kann uns dieTragweite solcher Entscheidungen bewusstmachen und uns für den Preis bestimmterEntwicklungen im Verhältnis von Erwerbsarbeitund Zuhause sensibilisieren.LiteraturBecker-Schmidt, R.: Zum feministischen Umgangmit Dichotomien, in: G.A. Knapp (Hrsg.) Kurskorrekturen.Feminismus zwischen KritischerTheorie und Postmoderne, Frankfurt/Main/NewYork 1998, S. 84-125.Bielenski, H.: Erwerbswünsche und Arbeitszeitpräferenzenin Deutschland und Europa. Ergebnisseeiner Repräsentativbefragung, in: WSI-Mitteilungen 53,2000, H. 4, S. 228-237.Bosch, G. u. a.: Zur Zukunft der Erwerbsarbeit.Eine Positionsbestimmung auf der Basis einerAnalyse kontroverser Debatten (Arbeitspapierder Hans Boeckler Stiftung, Bd. 43), Düsseldorf<strong>2002</strong>.Dingeldey, I.: Begünstigungen und Belastungenfamilialer Erwerbs-und Arbeutszeitmuster inSteuer- und Sozialversicherungssystemen – EinVergleich zehn europäischer Länder. GraueReihe des Instituts Arbeit und Technik, 1999-04.Döhl, V./Kratzer, N./Moldaschl, M./Sauer, D.:Auflösung des Unternehmens? Die Entgrenzungvon Kapital und Arbeit, in: U.Beck/W. Bonß(Hrsg.) Die Modernisierung der Moderne,Frankfurt a.M. 2001, S. 219-232.Garhammer, M.: Wie Europäer ihre Zeit nutzen.Zeitstrukturen und Zeitkulturen im Zeichen derGlobalisierung, Berlin 1999.Hildebrandt, E./Reinecke, K,/Rinderspacher,J./Voß, G.: Einleitung: Zeitwandel und reflexiveLebensführung, in: E. Hildebrandt (Hrsg.) inZusammenarbeit mit Gudrun Linne: ReflexiveLebensführung. Zu den sozialökologischen Folgenflexibler Arbeit, Berlin 2000, S. 9-45Holst/Schupp: Arbeitszeitpräferenzen in West- undOstdeutschland 1997, in: DIW-Wochenbericht,65 H, 1998, S. 37.Jacoby, A: Freizeit trotz Aufstieg, in: FrankfurterAllgemeine Zeitung, Hochschulanzeiger, Ausgabe61, Juni <strong>2002</strong>, S. 6-7Jürgens, K.: Familiale Lebensführung. Familienlebenals alltägliche Verschränkung individuellerLebensführungen, in: G.G. Voß/M. Weihrich(Hrsg.) tagaus-tagein. Neue Beiträge zur Soziologiefamilialer Lebensführung, München/Mehring2001, S. 33-60.Jürgens, K./Reinecke, K.: Zwischen Volks- undKinderwagen. Auswirkungen der 28,8 Stunden-Woche bei der VW AG auf die familiale Lebensführungvon Industriearbeitern, Berlin1998.Jurczyk, K./Rerrich, M.: Einführung: AlltäglicheLebensführung: der Ort, wo alles zusammenkommt,in: dies. (Hrsg.) Die Arbeit des Alltags:Beiträge zu einer Soziologie der alltäglichenLebensführung, Freiburg 1993, S. 11-45Knapp, G.A./Wetterer, A. (Hrsg.): Soziale Verortungder Geschlechter. Gesellschaftstheorie undfeministische Kritik, Münster 2001.Krüger, H.: Dominanzen im Geschlechterverhältnis:Zur Institutionalisierung von Lebensläufen,in: R. Becker-Schmidt/G. A. Knapp (Hrsg.) DasGeschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften,Frankfurt/Main/New York1995, S. 195-219.Mai, J.: Unternehmen stehen noch nicht dahinter.In: management&training, H. 10, 2001, S. 12-13.Pfahl, S./ Reuyß, S.: Blockfreizeiten und Sabbaticals.Mehr Zeit für die Familie?, in: WSI-Mitteilungen, H. 8, <strong>2002</strong>.Pickshaus, K.: Arbeiten ohne Ende und ohne Maß,in: Computer Fachwissen 4/2000, S. 14-17.Putnam, R.: Bowling Alone: America’s DecliningSocial Capital, in: Journal of Democracy 6,1995, S. 65-78.Reich, Robert: The Future of Succes. Wie wir morgenarbeiten werden, München/Zürich <strong>2002</strong>.Schneider, M.: Editorial, in: Management & Training,H. 10, 2001, S. 3.Thompson, E. P.: Zeit, Arbeitsdisziplin und Industriekapitalismus.In: Braun, R. u.a. (Hrsg.) Gesellschaftin der industriellen Revolution, Köln1973, S. 81-112.Voß, G.G./Pongratz, H.J.: Der Arbeitskraftunternehmer.Eine neue Grundform der „Ware Arbeitskraft“?,in: Kölner Zeitschrift für Soziologieund Sozialpsychologie, 50. Jg., 1998, H. 1,S. 131-158.Wagner, A.: Arbeiten ohne Ende? Über die Arbeitszeitenhochqualifizierter Angestellter, in:Institut Arbeit und Technik (Hrsg.): Jahrbuch1999/2000, 2000, S. 258-275.Prof. Dr. Mechthild OechsleZfL, Universität Bielefeld, Postfach 100131,33501 Bielefeld,Email: m.oechsle@uni-bielefeld.de133


___________________________________________________________________________Jennifer RekerGirls´Day – Für die Mädchen ein Zukunftstag___________________________________________________________________________„Ich fand den Girls´Day total toll, denn er dient allen Mädchen sich vorzustellen, wie es ist, wenn siespäter mal arbeiten müssen.“ (Maren, 14 )Gut 31 Mädchen standen konzentriert anden hohen Labortischen des DeutschenKrebsforschungszentrums in Heidelberg.Sie trugen weiße Kittel und dicke Sicherheitsbrillen,als sie versuchten Säuren undBasen voneinander zu unterscheiden. Odersich darin probierten einen Farbstoff inseine einzelnen Bestandteile zu zerlegen:Ein schwarzer Filzschreiberstrich aus welchemrote, gelbe und blaue Striche entstanden.Die kleinen Biochemikerinnenversuchten mit der Methode der Gelelektrophorese,Eiweißgemische im elektrischenFeld zu trennen. Eiweißgemische,die Bestandteile von Zellen sind, die imKrebsforschungszentrum zu Versuchszweckengezüchtet werden. Fast wie echte Forscherinnen.Seit gut 20 Jahren werden Modellprojekteund Kampagnen gestartet, um das Berufswahlverhaltenvon Mädchen und jungenFrauen zu verändern und ihr Berufswahlspektrumzu erweitern. Dennoch entscheidensich Mädchen im Rahmen ihrer Ausbildungs-und Studienwahl überproportionalhäufig für „typisch weibliche“ Berufsfelderoder Studienfächer. Damit schöpfensie ihre Berufsmöglichkeiten nicht vollaus, obwohl den Betrieben gerade in dentechnischen Bereichen zunehmend qualifizierterNachwuchs fehlt.Das Projekt Girls´Day – Mädchen-Zukunftstagwidmet sich dieser Thematik undbündelt die bisherigen Kampagnen zu einereinzigen. Gefördert wird das Projekt durchdas Bildungsministerium und das Bundesfrauenministerium.1 Bundesweite Aktionspartnersind der Deutsche Gewerkschaftsbund(DGB), die Bundesvereinigung derDeutschen Arbeitgeberverbände (BDA),die Bundesanstalt für Arbeit (BA), derBundesverband der Deutschen Industriee.V. (BDI), der Deutsche Industrie- undHandelskammertag (DIHK), der Zentralverbanddes Deutschen Handwerks (ZDH)und die Initiative D21. Am jeweils viertenDonnerstag im April sollen vor allem technischeUnternehmen, Hochschulen undForschungszentren ihre Türen für die Mädchenöffnen. In Laboren, Büros, Werkstättenund Redaktionsräumen wird den Mädchenanhand von praktischen Beispielengezeigt, wie interessant und spannend Arbeitsein kann. Durch persönliche Gesprächemit Beschäftigten können die teilnehmendenMädchen ihren Erfahrungs- undOrientierungshorizont erweitern. Ziel desGirls´Day ist es, Kontakte herzustellen, diefür die berufliche Zukunft der Mädchen1 Der Girls´Day – Mädchen-Zukunftstag ist einProjekt des Kompetenzzentrum „Frauen in <strong>Info</strong>rmationsgesellschaftund Technologie“. Das Kompetenzzentrumbündelt bundesweit Maßnahmen zurChancengleichheit in Bildung, Ausbildung, Beruf,Wissenschaft und Forschung. Dazu gehört die Herstellungeines breiten gesellschaftlichen Dialogs,die Förderung eines Bewusstseinswandels und dieumfassende <strong>Info</strong>rmation der Öffentlichkeit durchnationale und internationale Initiativen, Projekteund Maßnahmen. Mehr über das Kompetenzzentrumunter www.kompetenzz.de134


Berichte aus NRWhilfreich sein können. Darüber hinaus gehtes darum, die Öffentlichkeit und Wirtschaftauf die Stärken der Mädchen aufmerksamzu machen, um einer gut ausgebildetenGeneration junger Frauen weitreichendeZukunftsperspektiven zu eröffnen.In Bielefeld, wo die bundesweite Koordinierungsstelledes Girls´Day ihren Sitz hat,riefen acht Unternehmen zum Mädchen-Zukunftstag auf. Insgesamt erlebten 454Mädchen einen fast „ganz normaler Arbeitstag“.Beim Wilhelm Bertelsmann Verlaglernten die Mädchen, traditionelle Berufewie Buchbinderin oder Druckerin oderdie Tätigkeiten einer Mediengestalterinkennen. An der Universität Bielefeld hatten225 Mädchen die Möglichkeit, Einblickin die Fakultäten für Physik, Chemie,Biologie, Mathematik und die TechnischeFakultät zu erhalten und sich über die naturwissenschaftlichenStudiengänge zuinformieren.Deutliche Signale setzten bundesweit alljene Instanzen, die an der Berufsfindungund Berufsorientierung der Mädchen direktund indirekt beteiligt sind. Mehrheitlichgriffen Familie, Schule, Medien und Arbeitgeber/innendie Zielsetzung desGirls´Day – Mädchen-Zukunftstages aufund engagierten sich zum Teil sehr öffentlichkeitswirksamin die Richtung „geschlechtsspezifischeBerufsorientierung“.Insgesamt stieß die Idee „Berufsorientierunggeschlechtsspezifisch auszurichten“im vergangenen Jahr auf eine enorme Resonanz.Mehr als 1.200 Veranstalter/innennahmen an dem Aktionstag teil und öffnetendie Türen ihrer Produktionsstätten,Büros und Labore für die Mädchen. Eszeigt sich, dass ein insgesamt geschlechtsspezifischesEngagement geweckt werdenkonnte. So zeichnet sich die Tendenz ab,dass auch spezielle Angebote für Jungenausgeschrieben werden, um diese überbisher „männeruntypische“ Berufsfelder zuinformieren. Möglicherweise kann auf diesemWege das gesellschaftliche Phänomenvon „frauentypischen und männertypischen“Berufen eingeebnet werden.Aufschluss darüber, ob das Konzept desGirls´Day – Mädchen-Zukunftstages sichtatsächlich als bundesweiter Berufsorientierungstagetablieren kann, soll die wissenschaftlicheBegleitung geben. So wurdendie Veranstalter/innen sowie die teilnehmendenMädchen mit einem standardisiertenFragebogen zu ihren Erfahrungenmit dem Girls´Day, zu Strategien der Gewinnungvon Frauen für technische Berufsfelderund zu Berufswünschen befragt.Eine standardisierte Befragung der Schulensoll Aufschluss darüber geben, inwiefernder Girls´Day aus Sicht der Lehrkräfte einesinnvolle Ergänzung des berufsorientierendenUnterrichts darstellt oder was für Unterstützungsbedarfhierfür notwendig ist.Ferner soll in Erfahrung gebracht werden,inwieweit sich das Berufswahlverhaltender Mädchen durch den Aktionstag zurBerufsorientierung verändert.Auch im nächsten Jahr gibt es wieder einenGirls´Day. Der ursprüngliche Termin, dervierte Donnerstag im April, wurde wegenOsterferien in zehn Bundesländern auf den08. Mai 2003 verschoben. Für das Jahr2003 sollen mindestens 2.000 Veranstalter/innengewonnen werden, die amGirls´Day Plätze für 80.000 Mädchen anbieten.Interessierte können sich auf dieListe der Regionalen Arbeitskreise im Internetunter www.girls-day.de eintragen.Jenniger Reker, Kompetenzzentrum Frauen in<strong>Info</strong>rmationsgesellschaft und Technologie,Projekt Girls´Day, Wilhelm-Bertelsmann-Str.10, 33602 Bielefeld, Email: reker@girlsday.de135


___________________________________________________________________________Walburga Freitag, Monika Weber, Gabriele Klärs und Carola LehmannDie Koordinationsstelle Frauen und Gesundheit NRWModellprojekt des MFJFG, NRW__________________________________________________________________________________________Gesundsein und Kranksein ist ebenso wieKrank- und Gesundwerden in starkem Maßeabhängig von den Kategorien Geschlecht,soziale Lage, Alter und Herkunft,die wiederum miteinander in engem Zusammenhangstehen und in ihrer Verflechtungzu untersuchen sind. Auch wenn sichdie Lebenswelten und Lebensweisen derGeschlechter annähern, unterscheiden sichFrauen und Männer hinsichtlich ihres Gesundheitsverhaltensund der Krankheitsbewältigung.Bei Frauen werden sehr vielhäufiger psychosomatische, bei Männernorganische Diagnosen gestellt, Frauen bekommenseltener einen Herzinfarkt, sterbenaber nach einem Infarkt doppelt sohäufig auf dem Weg zum Krankenhaus.Medikamente werden überwiegend anMännern getestet, aber fast alle auch fürFrauen zur Verordnung freigegeben(MFJFG 2000, Kolip 1997, Hochleitner1999, Thürmann/Hompesch 1998). Alldiese Erkenntnisse werden kaum mehrbestritten und sind z. T. schon seit vielenJahren Gegenstand feministischer odermedizinsoziologischer Kritik. Gäbe es abereine Pisa-Studie zur Umsetzung einer geschlechtsspezifischenGesundheitsversorgung,so würde deutlich, dass Deutschlandim internationalen Vergleich auf den hinterenPlätzen liegt. Hier setzt die Arbeit derKoordinationsstelle an.Die Koordinationsstelle „Frauen und Gesundheit“NRW ist ein von der Gesundheitsabteilungdes Ministeriums für Frauen,Jugend, Familie und Gesundheit(MFJFG) gefördertes Modellprojekt. Getragenwird sie seit April 2000 als Kooperationsprojektvom Internationalen Zentrumfür Frauengesundheit gGmbH in BadSalzuflen und dem Feministischen FrauengesundheitszentrumHagazussa e. V. inKöln. In diesem Beitrag möchten wir überdie Arbeit der Koordinationsstelle informieren,sowie Erfahrungen und Handlungsbedarfeskizzieren.Zielsetzungen und UmsetzungsstrategienZiel des Modellprojektes ist es, für einegeschlechterdifferenzierte Betrachtungsweiseim Gesundheitssystem 1 zu sensibilisieren,existierendes Wissen zu bündeln,bereits tätige Akteurinnen und Akteure zuvernetzen, Erkenntnisse und Erfahrungenaus der Frauengesundheitsforschung und -praxis wie der Geschlechterforschung derFachöffentlichkeit zugänglich zu machenund Kooperationsbeziehungen mit Akteurendes Gesundheitssystems aufzubauen.Langfristiges Ziel ist die Implementierungder geschlechterdifferenzierten Betrachtungsweisevon Gesundheit und Krankheit1 Den Begriff „Gesundheitssystem“ verwenden wirals Beschreibung von Institutionen, die auf gesetzlicherGrundlage zur Gesundheitsversorgung derBevölkerung beitragen. Den Begriff der Gesundheitsversorgungverwenden wir aus pragmatischenDarstellungsgründen in einem sehr weiten Sinne. Erumschließt die Gesundheitsförderung ebenso wiedie medizinische und psychosoziale Versorgungund Rehabilitation.136


Berichte aus NRWin die Aus- und Weiterbildungscurriculader medizinischen Professionen wie allerGesundheitsfachberufe sowie in Präventions-und Behandlungskonzepte.Politisches Fundament unserer Arbeit bildendie politischen Anträge und Beschlussempfehlungenzur frauengerechtenGesundheitsversorgung fast aller Parteien(Deutscher Bundestag, 2000), der Beschlussdes nordrhein-westfälischen Landtagszur Einrichtung der Enquête-Kommission„Zukunft einer frauengerechtenGesundheitsversorgung“ im Jahr 2000, derEntschließungstext „GeschlechtsspezifischeAspekte von Gesundheit und Krankheit“der 10. Landesgesundheitskonferenz(MFJFG, 2001) sowie die Instrumente desGender Mainstreaming.ArbeitsbereicheDie oben genannten Ziele versuchen wirmit den folgenden Arbeitsbereichen zuerreichen: Fach- und Politikberatung, Aufbaueines landesweiten „Netzwerk Frauenund Gesundheit NRW“, <strong>Info</strong>rmations- undÖffentlichkeitsarbeit. Diese Arbeitsbereichesollen im Folgenden beschrieben undvorgestellt werden.Fach- und PolitikberatungDie Fach- und Politikberatung findet aufkommunaler, Kreis- und Landesebenestatt. Derzeit sind unsere Aktivitäten aufdie Bereiche Kommunale Gesundheitskonferenzenund das Gesundheitssystem konzentriert.• Beratung der kommunalen GesundheitskonferenzenMit der Verabschiedung des Gesetzes überden öffentlichen Gesundheitsdienst desLandes Nordrhein-Westfalen vom25.11.1997 (ÖGDG) wurden die Grundlagenfür die sogenannte „ortsnahe Koordinierung“der gesundheitlichen Versorgungder Bevölkerung und zur Einrichtung vonKommunalen Gesundheitskonferenz(KGK) gelegt. Kommunale Gesundheitsberichterstattungist zur Pflichtaufgabe derKommunen geworden. In NRW haben inden letzten Jahren 54 Kreise und KreisfreieStädte Kommunale Gesundheitskonferenzeneinberufen. Wir nutzen dieses Gremium,das eine Schnittstelle zu allen Feldernder Gesundheitsförderung, Gesundheitsversorgungund Selbsthilfe darstellt, umdurch Vorträge, Fachberatung und Moderationvon Prozessen für eine geschlechtergerechteGesundheitsversorgung auf kommunalerEbene zu sensibilisieren. WichtigeKooperationspartner sind hierbei die unterhalbder KGK arbeitenden Fachgruppen(z.B. zum Thema Migration, Frauen undGesundheit), die Gleichstellungsbeauftragten,die in der Regel mit Sitz und Stimmein der KGK vertreten sind sowie die Geschäftsstellenleitungender KGK. Gemeinsamwerden Umsetzungsstrategien undWege zur Einbringung von Handlungsempfehlungenentwickelt, die eine geschlechtergerechteGesundheitsversorgungbefördern. Die Umsetzung einer geschlechterdifferenziertenkommunalen Gesundheitsberichterstattungist hier ein wichtigesThema.• Beratung des GesundheitssystemsIm Mittelpunkt steht der Aufbau von Kooperationsbeziehungenund die Gewinnungvon Schlüsselpersonen und Akteurinnen,die sich auch am Netzwerk beteiligen. Inder Anfangsphase führten wir Kontaktund<strong>Info</strong>rmationsgespräche mit den Vertreternund Vertreterinnen der landesweitagierenden Selbstverwaltungen des Gesundheitssystemsund den für die Aus- undWeiterbildung verantwortlichen Berufsverbänden.Zur Zeit steht die Entwicklung137


Frauen und Gesundheit NRWvon Fortbildungscurricula im Mittelpunkt.Wir informieren mit einschlägigen Publikationen,bieten Beratung für Veranstaltungenan und vermitteln Referentinnen.Durch Publikationen in Fachorganen wirddie Fachöffentlichkeit auf das Thema unddie Arbeit der Koordinationsstelle aufmerksamgemacht.• Beratung der FachöffentlichkeitZielsetzung dieses Bereichs ist die Unterstützungvon Multiplikatorinnen aus demBildungsbereich, den Kommunen und derPolitik. Aus ganz NRW werden jährlichmehr als 200 Anfragen für <strong>Info</strong>rmationsmaterialien,Referentinnen und Expertinnen,für Vortragstätigkeiten, Veranstaltungsplanungenund Moderation an dieKoordinationsstelle gerichtet.Netzwerk Frauen und Gesundheit NRWDer Aufbau des landesweiten NetzwerksFrauen und Gesundheit NRW ist für dieKoordinationsstelle eine weitere zentraleAufgabe. Im Frühjahr 2001 wurden durcheine Gründungsversammlung, die Verabschiedungeiner gemeinsam getragenenProgrammatik und Arbeitsstruktur dieGrundlagen für die Netzwerkarbeit zumThema „Frauen und Gesundheit“ gelegt.Die Koordinationsstelle hat die geschäftsführendenAufgaben übernommen, einArbeitsausschuss plant in Kooperation mitder Koordinationsstelle die Netzwerkaktivitäten.Die Tagungen des Netzwerkesfinden zwei mal jährlich statt. Die Mitgliederdes Netzwerks kommen aus landesweittätigen Einrichtungen, die mit dem ThemaGesundheit befasst sind.Im Netzwerk sind derzeit vertreten:• Gesundheitliche Selbsthilfe und FreieWohlfahrtspflege mit 21 Organisationen,• Frauen- und Mädchenorganisationen138mit der Schnittstelle Gesundheit mit 20Organisationen und Verbänden, z.B. dieLandesarbeitsgemeinschaft (LAG)Mädchenarbeit NRW und die LAGWildwasser,• Gesundheitssystem mit 13 Institutionen,von Krankenkassen über die Vereinigungder Kassenärzte, den Ärztinnenbundund die Berufsverbände,• Wissenschaft/Forschung und Lehre mit5 Einzelwissenschaftlerinnen, z.B. ausdem Bereich der Rehabilitationswissenschaftund Psychosomatik,• Kommunale Verwaltungen mit 5 Institutionen,z.B. das Landesinstitut für denöffentlichen Gesundheitsdienst und dieLandesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten.Vertreten sind somit Institutionen vomsogenannten „regulären“ Gesundheitssystembis zum „autonomen“ Frauengesundheitsbereichs,die bisher selten miteinanderam Tisch gesessen haben, sehr unterschiedlicheRessourcen (zeitlicher, fachlicherund finanzieller Art) für das Netzwerkhaben und unterschiedliche Interessen verfolgen.Die Mitglieder des Netzwerks werdenvon ihren Einrichtungen entsandt,bringen ihre Erfahrungen aus den jeweiligenBereichen ein und transportieren Anliegendes Netzwerks in ihre Einrichtungen.ÖffentlichkeitsarbeitNeben der Pressearbeit sind die Homepage– www.frauengesundheit-nrw.de – und derzweimal jährlich erscheinende Rundbriefdie wichtigsten Organe der Koordinationsstelle.Der Rundbrief bündelt knapp wichtigstethemenrelevante <strong>Info</strong>rmationen undwird an alle NetzwerkerInnen und KooperationspartnerInnenversandt. Die Homepagebietet als Service einen Veranstal-


Berichte aus NRWtungskalender, Literaturbesprechungen undeinen Überblick über relevante Web-Sites.Erste ErgebnisseNach zweieinhalb Jahren Modelllaufzeitkönnen wir auf die ersten Ergebnisse unsererArbeit blicken. Das Netzwerk Frauenund Gesundheit NRW ist gegründet, diegeschlechterdifferenzierte kommunale Gesundheitsberichterstattungangestoßen. Wirkennen Modelle guter Praxis in NRW, habeneine Expertinnen- und Referentinnenpooleingerichtet und eine Literaturdatenbankangelegt. Auch im Gesundheitssystemsbewegt sich etwas: Die ÄrztekammerWestfalen-Lippe hat als erste Kammer inDeutschland einen Ausschuss Gender-Mainstreaming eingerichtet, die ApothekerkammerNordrhein ihre Jahresfortbildungstagung<strong>2002</strong> dem Thema Pharmakologieund Geschlecht gewidmet. Der Berufsverbandder Diätassistentinnen plantfür ihre nächste Jahresfortbildung ein Modul„Geschlecht, Ernährung und Gesundheit“.Die Zahnärztekammern diskutierenden Zusammenhang von Zahngesundheitund häuslicher Gewalt, in Rehabilitationsklinikender LVA wird der Zusammenhangvon Kardiologischer Rehabilitation undGeschlecht untersucht.Es bleibt aber noch viel zu tun. Das ThemaGeschlecht und Gesundheit ist an der Basisder klinischen Medizin noch nahezu unbekannt.Nach wie vor wird die Bedeutungeiner geschlechtsspezifischen Gesundheitsversorgungvon vielen verantwortlichenAkteuren des Gesundheitssystems unterschätzt.Die Beförderung des Themas wirdbisher erst von wenigen Einrichtungen alsBeitrag zur Qualitätssicherung erkannt,Verknüpfungen mit Qualitätsmanagementkonzeptensind die Ausnahme. Für die Beförderungdes Themas hilfreiche Instrumente,z. B. das Gender Mainstreaming,bleiben auch bei aktuell entwickelten Programmen,wie z.B. dem Disease ManagementProgramm für Diabetes Mellitus Typ2, unberücksichtigt.KontaktKoordinationsstelle „Frauen und Gesundheit“ NRWWalburga Freitag, Dr. Monika Weberc/o Internationales Zentrum für FrauengesundheitgGmbHAlte Vlothoer Str. 47-49, 32105 Bad SalzuflenFon 0 52 22-63 62 94/- 95Fax 0 52 22-63 62 97koordinationIZFG@frauengesundheit-nrw.deKoordinationsstelle „Frauen und Gesundheit“ NRWGabriele Klärs, Carola Lehmannc/o FFGZ Hagazussa e. V.Roonstr. 91, KölnFon 02 21-801 77 78Fax 02 21-<strong>24</strong>0 36 53koordinationFFGZ@frauengesundheit-nrw.deLiteraturDeutscher Bundestag. 14. Wahlperiode: „FrauenspezifischeGesundheitsversorgung. Antrag derFraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN“, Drucksache 14/3858,2000.Deutscher Bundestag. 14. Wahlperiode: „KonkreteGesundheitspolitik für Frauen. Antrag der Fraktionder CDU/CSU“, Drucksache 14/43881,2000.Hochleitner, Margarethe: Schlagen Frauenherzenanders? Herzerkrankungen und Geschlecht amBeispiel Tirol, in: Silvia Groth/Eva Rasky(Hgg.): Frauengesundheiten, Innsbruck 1999, S.45-56.Kolip, Petra: Geschlecht und Gesundheit im Jugendalter,Die Konstruktion von Geschlechtlichkeitüber somatische Kulturen, Opladen1997.Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit:Soziale Lage und Gesundheit: Entschließungder 10. LandesgesundheitskonferenzNordrhein-Westfalen am 31.08.2001, Düsseldorf2001.Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheitdes Landes Nordrhein-Westfalen(Hg.): Gesundheit von Frauen und Männern inNordrhein-Westfalen, Landesgesundheitsbericht2000, Bielefeld 2000.Thürmann, Petra/Hompesch, B.C.: „Influence ofgender in the pharmacokinetics and pharmacodynamicsof drugs“, in: International Journal ofChlinical Pharmacology and Therapeutics 36(11), 1998, S. 586-590.139


___________________________________________________________________________TAGUNGSBERICHTE___________________________________________________________________________Wissenschaft und Praxis im Dialog – Begegnungen zum Thema„FREI-Räume und FREI-Zeiten“Von 11. bis 12. Juli <strong>2002</strong> trafen sich in denRäumen des Internationalen Wissenschaftsforumsder Universität HeidelbergWissenschaftlerInnen und ExpertInnen ausder Praxis aus Deutschland, Österreich undder Schweiz, um sich über „FREI-Räumeund FREI-Zeiten im Geschlechterverhältnis“auszutauschen. Darunter warenVertreterInnen der Fächer Geographie,Soziologie, Stadt- und Regionalplanung,Psychologie, Sportwissenschaften, Physik,Vertreterinnen aus Stadtverwaltungen,Planungsbüros und Gleichstellungsbeauftragte.Die Tagung wurde vom HeidelbergerInstitut für Interdisziplinäre FrauenundGeschlechterforschung (HIFI) e.V.gemeinsam mit dem Geographischen Institutder Universität Heidelberg veranstaltetund vom Bundesministerium für Bildungund Forschung finanziert. Ein Tagungsbandist in Vorbereitung und wird demnächstin der Schriftenreihe des HeidelbergerInstituts für Interdisziplinäre FrauenundGeschlechterforschung erscheinen.Der erste Tagungstag widmete sich demThemenblock „FREI-Räume im Geschlechterverhältnis“.Dieser wurde durcheinen Beitrag von Caroline Kramer (UniversitätHeidelberg) und Anina Mischau(<strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld) zur „Entwicklungder raumbezogenen Genderforschung“eröffnet. Anhand der sich zumTeil überschneidenden Themenschwerpunkte„Stadt- und Raumplanung“, „Verkehrsplanung“,„Sicherheit“ und „Partizipation“wurden unterschiedliche Phasender raumbezogenen Frauen- und Genderforschungund deren jeweilige Rückkoppelungan die Planungspraxis beschrieben.Die Referentinnen zeichneten sowohl dieinhaltlichen und die methodischen Ausdifferenzierungensowie die zeitlichenSchwerpunktsetzungen als auch die Entwicklungvon einer Frauen- hin zur Genderforschunginnerhalb der jeweiligen Diskussionssträngenach. Die Entwicklungdieser Themenfelder in der Frauen- undGenderforschung von der Entdeckung desForschungsgegenstandes Anfang der 80erJahre bis hin zur kritischen Selbstreflektionder eigenen Ansätze Ende der 90er Jahre,die wichtigsten Strömungen, ihr heutigerStand aber auch ihre gegenseitige Verwobenheitwurden anhand einiger Beispielegezeigt. Darüber hinaus zeigten die Referentinnenauf, wie und ob sich die theoretischebzw. wissenschaftliche Diskussionund praktische bzw. empirische Arbeitenim Verlauf dieser Entwicklung ergänzt undgegenseitig beeinflusst haben bzw. bis heuteergänzen und beeinflussen. Am Endedes Beitrags wurde der Frage nachgegangen,in welchen Bereichen sich „Erfolge“ –im Sinne einer Umsetzung der angestrebtenZiele und der Ergebnisse der raumbezogenenGenderforschung in die Planung –140


Tagungsberichteverbuchen lassen und wo zukünftige Forschungs-und Handlungsfelder liegen können.Anschließend wurde in einem ersten Themenblockmit dem Titel „Aneignung vonöffentlichem Raum im Lebensverlauf“ vonGabriele Sobiech (Universität Oldenburg),Nina Feltz (Universität Hamburg) undHeide Studer (Landschaftsplanungsbüro„tilia“ Wien) Muster geschlechtsspezifischerRaumaneignung sowie deren Ursachenund Folgen diskutiert.In ihrem Vortrag „Aneignung von (Sport-)Spiel-Räumen im Geschlechterverhältnis“ging Gabriele Sobiech von Bourdieus Habitustheorieaus, nach der nur Akteure miteinem bestimmten Habitus in der Lagesind, Raumprofite zu erzielen. Sie betrachteteRaumaneignung als Einverleibungsozialer Strukturen und konzentrierte sichdabei auf die Aspekte der Körperhaltungund der dynamischen Aneignung von Außenräumen.Es gelang ihr, „geschlechtsspezifischemotorische Schemata und körperlicheHandlungsselbstverständlichkeitenals sozialisatorische Praxis“ zu entlarven.Gründe für die stärkere Nutzung der öffentlichenFreiräume durch Jungen sah siein Einschnitten in der Bewegungsentwicklungvon Mädchen sowohl im Kindergartenalterals auch in der Pubertät. Inwieweitsich besondere Profitchancen durch dieAneignung von Sport-Spiel-Räumen ergeben,diskutierte Sobiech, indem sie Merkmalevon Ballsportarten analysiert. Dabeikonnte die Referentin u.a. nachweisen,dass die Spielaneignung für Mädchen aufder „Folie der Körper- und Bewegungssozialisation“,in der sie nicht zum Raum-Greifen, Raum-Besetzen, Mut und Risikofreudigkeitermuntert werden, mit großenSchwierigkeiten verbunden ist. Inwieweiterfolgreich Fußball spielende Frauen denKonflikt zwischen „Turn- und Stöckelschuhen“meistern und ob sie von ihren imSpiel erworbenen Fähigkeiten auch imAlltag profitieren, ist derzeit noch nicht zubeantworten, bleibt aber eine spannendeForschungsfrage.Nina Feltz widmete sich mit ihrem Vortrag„Bewegung und Aneignung öffentlicherRäume in weiblichen Lebensverläufen“einem ähnlichen Thema. Sie nähert sichaus einer sport- und bewegungssoziologischenPerspektive der Frage nach der Aneignungöffentlicher Räume, untersuchtdazu jedoch Biographien von Frauen undderen „Bewegen im Raum“. Im Zentrumihrer Betrachtungen zu den Aneignungsprozessenvon Raum stand die Triade von„Raum(Denken) – Wahrnehmung – Raumaneignung“.Dabei werden diese Raumaneignungsprozesseals Ergebnisse eineskontinuierlichen Aushandlungs- und Konstituierungsprozessesverstanden. Da Feltzihr Augenmerk auf die biographischenPerspektive dieser Aneignungsprozesserichtete, ist für ihre Analyse von Raumaneignungder ständige Prozess der Konstituierung,Erinnerungen und Erfahrungenim/mit Raum von besonderem Interesse.Die Referentin richtete daher ihren Fokusauf die Wahl von Bewegungsformen alsreflektierte Bewegungserfahrungen und aufdie Wahl von Alltagswegen als reflektierteUmgangsweisen mit dem eigenen Körperund als Selbst-Positionierungen. Das angewandtequalitative Methodenspektrumwird dabei von ihr um sogenannte „bewegteInterviews“ erweitert, die interessanteErgebnisse ihrer noch nicht abgeschlossenenStudie versprechen.Wie die Umsetzung von Erkenntnissen zugeschlechtsspezifischen Raumaneignungsmusternin der Planungspraxis sowohl inausschließlichen Mädchenräumen als auch141


Tagungsberichtein gemischtgeschlechtlichen Räumen aussehenkann, zeigte der Vortrag der LandschaftsplanerinHeide Studer. WelcheMöglichkeiten es gibt, die physischen Voraussetzungenfür eine veränderte Raumaneignungzu gestalten, konnte sie anhandzweier Beispiele aus Wien illustrieren. Im1998 gestarteten Projekt „Mädchengarten“wurde ein verwilderter Garten in einemWohngebiet gemeinsam von Mädchen ausdem Stadtteil, einer Jugendarbeiterin undeiner Stadtplanerin nach den Bedürfnissender Mädchen umgestaltet. Die Mädchengestalten seitdem zusammen mit ihren Betreuerinnenweiter den Garten und erwerbennebenbei auch handwerkliche Fähigkeiten,die nicht den rollentypischen Beschäftigungenvon Mädchen entsprechen. Vorallem die soziale Sicherheit des Ortes ermöglichteine anderes Tätigkeitenspektrumals gemischtgeschlechtliche öffentlichenRäume. Die Erfahrungen aus dem zweitenvorgestellten Projekt „GeschlechtssensibleParkgestaltung“, das in Zusammenarbeitder Planerinnen mit Jugendarbeiterinnenentstand, zeigten, dass es möglich ist, Planungsgrundsätzezu entwickeln und erfolgreichumzusetzen, die eine bessere Nutzungder öffentlichen Räume durch Mädchenermöglichen.Das zweite Block zum Thema „Angsträume– kritische Bemerkungen zu einemBegriff“ verstand sich als Diskussionsplattform,auf der zwei unterschiedliche Perspektivenzu diesem umstrittenen Begriffvorgestellt werden. Ruth Becker überschriebihren Vortrag mit dem Appell „Überwindetdie Angsträume!“ und bezeichnetihr Papier als Polemik. Sie betonte dengesellschaftlichen Charakter von Gewaltgegen Frauen und demaskierte den BegriffAngstraum als einen Begriff, der das Rollenstereotypder „von Natur aus ängstlichenFrauen“ verfestigt. Stattdessenschlägt sie vor, bei der Bezeichnung dieserRäume von „Gewalträumen“ zu sprechen,da dadurch die Ursache – ubiquitäre gesellschaftlichstrukturelle Gewalt vonMännern gegen Frauen – namensgebendwird. In einem zweiten Schritt stellte sieder verbreiteten Angst vor dem Fremdenim öffentlichen Raum die Ergebnisse derKriminalstatistik gegenüber, nach denender private Raum in weitaus höherem Maßeein Gewaltraum für Frauen darstellt.Darüber hinaus verwies die Referentin aufdas Konstrukt der Heteronormativität, dasauf soziale Kontrolle und männliche Beschützerhoffen lässt und nicht zuletzt zurReproduktion der Geschlechterverhältnissebeiträgt. Zum Abschluss ihres Beitragswarnte Becker vor z.T. kontraproduktivenMaßnahmen zur „Verbesserung der Sicherheit“,denn die überwachten, kontrolliertenRäume sind nicht Räume der Frauenoder der Mädchen.Herbert Glasauer ging in seinem Diskussionsbeitragzum Thema Angsträume „Emanzipationbedarf ‚urbaner Kompetenz‘ –Überlegungen zum weiblichen Unsicherheitsempfindenim öffentlichen Stadtraum“auf die Widersprüchlichkeiten zwischender Wahrnehmung von Unsicherheit undtatsächlichen Straftatbeständen sowie zwischenGewalt im öffentlichen und im privatenRaum ein. Er bot drei Thesen zurDeutung des widersprüchlichen Phänomens„Unsicherheitsempfinden“ an, die 1)„die Beurteilung der antizipierten Gefahrim öffentlichen Stadtraum (als) eingebundenin einen Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess(betrachtet), der die gesellschaftlicheKonstruktion von Sicherheitund Unsicherheit deutlich macht“. In seinerzweiten These stützte er sich auf denSoziologen Norbert Elias, nach dem die142


TagungsberichteVerinnerlichung von Normen soweitreicht, dass bereits die Wahrnehmung „unzivilisierten“,abweichenden Verhaltens(z.B. Alkohol im öffentlichen Raum)Scham und Peinlichkeitsängste auslöse.Seine dritte These bezog sich auf den städtischenRaum, der zunehmend als „Ort derFremden“ (assoziiert mit Unsicherheit,Kriminalität) in die Ambivalenz von Freiheitund Unsicherheit gerate. Bezogen aufdas weibliche Unsicherheitsempfinden imöffentlichen Raum plädierte der Referentzum einen dafür, (wieder) in stärkeremMaße die Ursachen – nämlich gesellschaftlicheHerrschaftsverhältnisse – zu thematisierenund zum anderen für die Entwicklungeiner „urbaner Kompetenz“ (als kollektivengesellschaftlichen Lernprozess),die Frauen befähigen soll, den öffentlichenRaum risikoarm zu nutzen und gleichzeitigdie Chance zur Aneignung wahrzunehmen.Im dritten Block des ersten Tages „Planungsräumefür Männer und Frauen“ standendie Gestaltbarkeit des öffentlichenRaums und die damit verbundenen underreichbaren Ziele im Vordergrund. IlonaHakert (Frauenbeauftragte der Stadt Offenbach)schöpfte aus ihre Erfahrungen mit„Planungsräumen für Männer und Frauen“,die sie mit dem Anspruch des „managingdiversity“ verbunden sah. Es ist zwar gelungen,eine „raumbezogene Gender-Praxis“ an vielen Stellen zu etablieren,dennoch stellt sich die Frage, ob Frauen,die als „trouble-shooterinnen“ erfolgreichwaren, auch als Prozess-Eignerinnen dauerhaftProfiteurinnen sein können. DieseFrage stellte die Referentin vor dem Hintergrundknapper Kassen und einer immermehr an Einfluss verlierenden Stadt- undRegionalplanung. Anhand dreier Beispielezeigte Hakert auf, wie z.B. mit einer Kombinationvon verschiedenen Methoden inrealisierbaren Projekten, der Schaffung vonNetzwerken als „Selbstermächtigungsprozesse“und der Nutzung einer Leitbilddebatte– in diesem Falle zur Umkehr in derMobilitätsplanung, d.h. Verkehrsvermeidungund der Berücksichtigung der Alltagsmobilitätbeider Geschlechter – Raumplanungfür Männer und Frauen aussehenkann. Zentrale Bestandteile einer geschlechtergerechtenPlanung sind nachihrer Sicht: die Anerkennung der Pluralitätder Lebensformen, eine Orientierung anErwerbs- und Reproduktionsarbeit undPartizipation als Chance zur Identifikationmit der Umwelt.In dem Vortrag von Susanna von Oertzen(Universität Kassel) zum Thema „Treffpunkt,Bühne und ruhige Oase für Frauen?Interaktions- und Aneignungsmuster inöffentlichen Stadträumen aus geschlechtsdifferenzierenderSicht am Beispiel vonQuartiersgärten und -parks in Barcelonaund Paris“ wurde der Blick auf Planungenvon öffentlichem Raum in Frankreich undSpanien gelenkt. Die Referentin untersuchtedie tatsächliche Nutzung dieser Räumemit Hilfe von alters- und geschlechtsdifferenzierenderKartierung und die raumplanerischenAnsätze bei ihrer Gestaltung.Somit konnte sie beurteilen, welche Planungs-und Gestaltungsstrategien einegleichberechtigte Teilhabe an öffentlichenRäumen zur Folge haben, welche die Sicherheitverbessern und welche sozialeInteraktion und Kommunikation eher fördernoder behindern. Sie stellte fest, dasseine sog. Nutzungsoffenheit von großenFlächen und ein damit verbundener Prozessder Selbstregulierung zur Folge hat,dass sich „der Stärkere“ (d.h. derjenige mitden raumgreifenden Spielen, z.B. Fußball)durchsetzt. Am Ende ihres Vortragesschlug von Oertzen eine Doppelstrategie in143


Tagungsberichteder Planung vor: Einerseits sollte den Bedürfnissenvon Mädchen/Frauen nachRückzugs-/Begegnungsorten durch diegezielte Anlage solcher Flächen Rechnunggetragen werden. Andererseits empfiehltsie auch, durch die Schaffung von geschütztenFreiflächen, Mädchen/Frauen zuaktiveren Formen der Raumaneignung undeinem selbstbewussten Platznehmen inöffentlichen Räumen zu ermutigen.Der zweite Tag der Veranstaltung standunter dem Thema „FREI-Zeiten“. Dabeistellte sich im ersten Themenblock dieFrage, inwieweit die sich veränderndenArbeitszeiten und ihre zunehmende Flexibilisierungfür Frauen eher ein Hindernisoder eine Chance für größere FREI-Zeitenund Karrierechancen darstellen. MonikaHeinrich und Angelika Schmidt (WirtschaftsuniversitätWien) stellten in ihremVortrag „Organisationale Steuerungsmöglichkeitenund individuelle Grenzziehungin dynamischen Arbeitszeitmodellen“ vor,inwieweit neue Arbeitszeitformen Auswirkungenauf die Steuerung, Kontrolle undMotivation in Organisationen haben undeine zunehmende Mitgestaltungsmöglichkeitenbei der Gestaltung der Arbeitszeitenermöglichen. Die bisherige Kontrolle derLeistung durch eine Kontrolle der Arbeitszeitentfällt und wird ersetzt durch „Managementby Objectives“ (Zielvereinbarungen)und mit der möglichen Entkoppelungvon Arbeit und Arbeitsort entfällt auch derdirekte Kontakt zwischen Führungspersonund Geführten. Die Flexibilisierung ermöglichtFrauen, so die Referentinnen,zwar viele neuen Chancen zum (Wieder)Einstieg,birgt aber auch Gefahren derSelbstausbeutung, wenn die Grenzen zwischenArbeitszeit und Freizeit zunehmendverschwinden. Ernste Bedenken äußertenHeinrich und Schmidt hinsichtlich derKarrierechancen von Frauen in dynami-Karrierechancen von Frauen in dynamischenArbeitszeitmodellen, da Sichtbarkeitund Networking immer noch karriererelevanteGrößen in Organisationen darstellen.Erst wenn auch vermehrt Männer in dynamischenArbeitszeitmodellen anzutreffensind, könnten negative Auswirkungen aufden Zugang zu erwerbsorganisationalenRäumen vermieden werden.Die Ergebnisse der Arbeit von MarionFranke und Inge Simöl (Universität Hildesheim)zu „Teilzeit im Management vonOrganisationen – Firewalls für den Aufstiegvon Frauen ins Topmanagement“wiesen in eine ähnliche Richtung. Ihre empirischeStudie in neun Organisationenzeigte, dass Teilzeit im Management ausschließlichein Konzept für das Low-Management darstellt. Es verhindert geradezuden Aufstieg von Frauen in das Top-Management, da hohe Stereotypisierungendamit verbunden sind. De facto stellt Teilzeitarbeiteine ausschließlich weiblicheArbeitsform dar, während Vollzeitarbeitunverändert die klassisch männliche Arbeitsformbleibt – alle anderen Variantenbildeten in der von Franke und Simöl beobachtetenKommunikation über Arbeit dieAusnahme, was uneingeschränkt auch fürdie Managementebene gilt. Die vordergründigeRolle der Zeitpioninierinnen„Frauen in Teilzeit“ kehrt sich gegen sie,da sie indirekt doch den Mythos der Präsenzkulturim Management fördert. Erstdann, wenn die Flexibilisierung so weitgeht, dass sie sich von der Zeitorientierungverabschiedet und eine Ergebnisorientierung– im Sinne der o.g. Zielvereinbarungen– entwickelt, steigen die Chancen vonFrauen, in Führungspositionen zu gelangen.Die derzeitigen Modelle der Teilzeitim Management dienen eher als „firewalls“144


Tagungsberichtegegen das Eindringen von Frauen auf dieoberen Etagen der Hierarchie.Der autobiographische Bericht von BrittaMaid (Physikerin bei Phillips Deutschland),„Physikerin in einem High-TechUnternehmen – Beruf und Familie untereinem Hut“ beleuchtete den Aspekt Teilzeitin einer Führungsposition aus der Perspektiveeiner Betroffenen. Maid schildertedabei ihren beruflichen Werdegang, der siezur fachlichen Führungskraft eines Teamswerden ließ, dem sie nach der ersten Mutterschaftspausevon neun Monaten in Vollzeitarbeit,nach der zweiten Mutterschaftspausevon zehn Monaten in Teilzeitarbeit(20 Stunden) unverändert vorsteht. AlsVoraussetzungen für ihre Form der Vereinbarkeitvon Beruf und Familie sah siedie Einigkeit mit dem Partner über Berufund Familie, die zeitliche Flexibilität desArbeitsplatzes, die wohlwollende Akzeptanzder Arbeitskollegen und der Managerund die kommunalen Angebote zur Kinderbetreuung.Besonders die zeitliche Flexibilitätdes Arbeitsplatzes, die die Möglichkeiteines individuellen Arbeitszeitmodellsbeinhaltet und die Bereitschaft derArbeitskollegen, Aufgaben während ihrerAbwesenheit zu übernehmen, stellten dieorganisationalen Rahmenbedingungen fürdie Beibehaltung der Führungsposition dar.Mit dem zweiten Themenblocks des Tages„Zeitzwänge im Alltag – Realität undWahrnehmung“ wurde auf die Restriktioneneingegangen, die FREI-Zeiten gegenüberstehen.Gisela Hülsbergen (Universität Bremenund Leiterin des Zeitbüros Bremen-Vegesack) stellte in ihrem Beitrag „Bremen2030 – eine zeitbewusste Stadt“ einProjekt vor, in dem durch eine verbesserteAbstimmung von städtischen Zeitstrukturen(Öffnungszeiten, ÖPNV) mit den Bedürfnissender Bürgerinnen und Bürgergrößere FREI-Zeiten geschaffen werdensollen. Welchen Einfluss kommunale Zeitpolitikbesitzen kann, zeigten die Projektbeispiele,wie ein Mobilitätspakt (bessereVerknüpfungen von Verkehrsmitteln), einProjekt zur Innenstadtbelebung oder Projektezu Kinderbetreuungseinrichtungen.Bettina Langfeldt (Universität Gießen)lenkte das Augenmerk in ihrem Vortragauf die Gestaltung der „privaten“, innerfamilialenbzw. partnerschaftlichen Zeit.Durch den Titel „Innerfamiliale Arbeitsteilung– keine Gleichstellung männlicherund weiblicher Zeit in Sicht“ wurde bereitsdeutlich, dass sich nach den Analysen derjüngsten Welle des Familiensurveys desDeutschen Jugendinstituts nur wenig anden geschlechtsspezifischen Rollenmusterngeändert hat. Den politischen Gleichstellungsmaßnahmen,die bisher ausschließlicheine verstärkte bzw. flexiblere Teilhabe derFrauen am Erwerbsleben zur Folge hatten(und nicht eine Flexibilisierung aller Arbeitszeiten),steht keine Entlastung bei denReproduktionsarbeiten gegenüber. DieReferentin zeigte, dass der Erwerbsstatusder Partnerin den männlichen Zeitumfangfür Haushaltstätigkeiten kaum bzw. nichtberührt – außer die Männer sind nur geringfügigbeschäftigt oder Hausmänner.Deutliche Unterschiede sind in der Eigenschätzungder geleisteten Anteile an derHausarbeit zwischen Männern und Frauenfestzustellen, was darauf hinweist, dass esnotwendig wäre, nicht nur Einschätzungen,sondern tatsächlich Verhalten zu erheben.Ein Ergebnis ist, dass die Maßnahmen zurVereinbarkeit von Familie und Beruf weitausstärker auf eine veränderte Rolle derMänner fokussieren müssen als bisher. EinEinstellungswandel auf Seiten der Arbeit-145


Tagungsberichtegeber und Arbeitnehmer zur familiärenTeilzeit für Männer verbunden mit verändertenIdentitätsentwürfen muss das langfristigeZiel einer ernst gemeinten Gleichstellungspolitikdarstellen.Der Vortrag „Und überhaupt ist alles viel,viel schneller geworden ... GenderspezifischeZeitnutzung in Russland“ von IngridOswald und Elena Chikadze (Centre forIndependent Social Research/ StaatlicheUniversität St. Petersburg) zeigte, wie gesellschaftlicheVeränderungen die individuelleAlltagszeit beeinflussen können.Zeitnot wird in Russland als eine der hervorstechendstenFolgeerscheinungen derTransformation für die Lebensführungwahrgenommen. Dies hängt eng mit derNotwendigkeit von Zweit- und Drittbeschäftigungen– beider Geschlechter – zusammen.In den qualitativen Interviews,die im Rahmen eines umfangreichen Projektsdurchgeführt wurden, wurde deutlich,dass vor dem Leitbild der „arbeitendenMutter“ dennoch eine traditionelle geschlechtsspezifischeArbeitsteilung imHaushalt herrscht, die von keiner Seite inFrage gestellt wird. Durch die hohe Arbeitslosigkeit– vor allem der Frauen –etabliert sich wieder das Leitbild der patriarchalenFamilie. Die Referentinnen zeigtenaus den Ergebnissen ihrer umfassendenLebensführungsstudie, dass im „sowjetischenZeiterleben“ Schnelligkeit und Effizienz(als Prinzipien der Erwerbswelt unddamit als „männlich“ konnotierte) gegenüberBerechenbarkeit und Regelmässigkeit(als Prinzipien der Reproduktionssphäreund damit als „weiblich“ konnotierte) Vorrangerhalten, eher honoriert werden undbesser bewertet sind. Hinzu kommt einDiskurs über die „Krise der Männlichkeit“,in dem der sowjetische Mann als „gefährdetesWesen“ und „Opfer der Umstände“(d.h. der Demographie, der Politik usw.)dargestellt wird, der wieder zu einem Erstarkeneines postsowjetischen patriarchalenLeitbild führt.Mit ihrem Impulsreferat „Raum, Zeit undGeschlecht im internationalen Kontext,oder: Gedanken zur Ungleichzeitigkeit desGleichzeitigen“, mit dem die Abschlussdiskussionder Tagung eingeleitet wurde,ging Birgit Blättel-Mink (Universität Stuttgart)noch einmal auf die wichtigsten Diskussionssträngeder Tagung ein. Sie berücksichtigtedabei auch Unterschiede zwischenFrauen in verschiedenen kulturellen,institutionellen und strukturellen Kontexten.Dabei verwies sie sowohl auf Gemeinsamkeiten(Zeit wird bestimmt vom familialenKontext) als auch auf die Unterschiede(Zugang zu Bildung, Partizipationusw.). Sie stellte die Frage, inwieweit sichdas Geschlechterverhältnis internationalannähert oder ob sich Gelegenheiten eröffnen,in denen andere Entwicklungen als dieder westlichen Ungleichheitsmuster möglichwerden.Für die TeilnehmerInnen der Tagung botendie beiden Tage sehr abwechslungsreicheVorträge und eine Fülle von interessanten<strong>Info</strong>rmationen aus sehr unterschiedlichenBlickwinkeln. Mit Spannung darf der Tagungsbanderwartet werden, in dem dieeinzelnen Vorträge noch einmal in Ruhenachgelesen werden können.Dr. Caroline Kramer, Geographisches Institutder Universität HeidelbergDr. Anina Mischau, Interdisziplinäres Frauenforschungs-ZentrumUniversität Bielefeld146


TagungsberichteManaging Diversity – Umgang mit personeller Vielfalt in Unternehmen undin Non-Profit-OrganisationenDiese Tagung, die am 13. September <strong>2002</strong>in Köln stattfand, war die dritte in einerReihe von Veranstaltungen, die im Rahmendes Projektes ‚Umgang mit personellerVielfalt in Organisationen und Alltagskonstruktionender Verschiedenheit’durchgeführt wurden. Das Kooperationsprojektzwischen der Fachhochschule Gelsenkirchen,Abteilung Bocholt und derUniversität Bielefeld beschäftigt sich mitden Fragen, welche spezifische UmgangsformenArbeits- und Bildungsorganisationenin Deutschland in bezug auf die Heterogenitätder Belegschaft und der Klientelentwickeln, inwieweit neue Konzepte imHuman Ressource Management berücksichtigtwerden und wie Managing Diversity,ein strategisches Managementkonzeptaus dem US-amerikanischen Raum inDeutschland rezipiert wird.Wie in den ersten zwei Workshops, warauch an diese Tagung ein wichtiges ZielKenntnisse und Erfahrungen aus dem BereichDiversity Management weiterzugeben.Darüber hinaus bot die Veranstaltungdie Möglichkeit zu einem gemeinsamenDiskussionsforum für EntscheidungsträgerInnenaus der Praxis und für ExpertInnenaus der Wissenschaft.In ihrem Eröffnungsvortrag wies Prof. Dr.Ursula Müller von der Universität Bielefeldauf wichtige Tendenzen in der Gesellschafthin, die eine direkte Auswirkung aufden Arbeitsmarkt in Deutschland haben.Dazu gehören u.a. die zunehmende Erwerbstätigkeitvon Frauen und das steigendeDurchschnittsalter der ArbeitnehmerInnen.Auch mit einem wachsenden Anteilausländischer ArbeitnehmerInnen mussgerechnet werden, weil in der Wirtschaftsonst aufgrund demographischer Entwicklungenin Deutschland akuter Arbeitskräftemangelprognostiziert wird. All dieseTendenzen führen zu einer Heterogenisierungam Arbeitsmarkt. Organisationenmüssen also mehr Wert auf die Erarbeitungvon Umgangsstrategien mit personellerVielfalt legen.Michael Stuber, Unternehmensberater vonder mi.st [ Consulting, der Praxispartnerder Veranstaltung stellte in seinem Vortragdas Konzept von Diversity Managementvor. Er bezeichnete ‚Diversity’ als einSchlüsselthema wirtschaftlicher Entwicklungen:Herausforderungen, wie die europäischeIntegration, Globalisierung oderdie Übernahmen und Zusammenschlüssevon Organisationen, wie auch die raschenOrganisations-Veränderungen berührendas Thema Vielfalt in unterschiedlichenKontexten. Aus der Sicht der Organisationist ‚Diversity’ ein Management-Instrument, durch das Vielfalt bewusstgenutzt und gefördert werden und damitzur Erfolgssteigerung beitragen kann. Darüberhinaus ist ‚Diversity’ eine Leitgedankeund beschreibt die positive Ausrichtungeiner Organisation auf Individualität. HerrStuber beschrieb in seinem Vortrag denKontext für ‚Diversity’ in Deutschland undkam zum Schluss, dass das ‚Einheitsdenken’in Deutschland nicht nur in der Wirtschaftsondern auch in der Politik, in denMedien und auch in der Kultur vorherrschendist.Prof. Dr. Katrin Hansen von der FH Gelsenkirchenund Eszter Belinszki von derUniversität Bielefeld referierten über die147


TagungsberichteForschungsergebnisse aus dem Projekt‚Umgang mit personeller Vielfalt in Organisationenund Alltagskonstruktionen derVerschiedenheit’. Frau Prof. Hansen stelltedas Konzept Managing Diversity aus derbetriebswirtschaftlichen Perspektive vor.Sie verortete das Konzept in der deutschenFachdiskussion. Sie präsentierte ein strukturfunktionalistischesModell von DiversityManagement. Die Ergebnisse ihrer empirischenBefragung zeigten, dass die Organisationenin Deutschland vor allemzwei wichtige Gründe sehen, neue Umgangsstrategienmit personeller Vielfalt zusuchen: Die Entwicklungen am Arbeitsmarktund die Tendenzen an den Absatzmärkten,wie z.B. die Diversität von Kundenbedürfnissen.Als zentrale Dimensionenvon Vielfalt werden vor allem Geschlechtund Ethnie/Nationalität genannt.Eine wichtige Bedeutung wird auch unterschiedlichenOrganisationskulturen undden unterschiedlichen organisationsinternenFunktionen beigemessen. Die Befragtensehen in Diversity einen Wettbewerbsvorteilvor allem in bezug auf die HumanRessourcen-Akquisition bzw. –Bindungund bei der Förderung von Kreativität.Häufig wird Diversity auch als Marketing-Vorteil erkannt.Eszter Belinszki berichtete über die Ergebnisseeiner Befragung von Personalverantwortlichenin Unternehmen und in Non-Profit-Organisationen im Raum Ostwestfalen-Lippe.Die Untersuchung stellte dieFrage auf der Ebene der Wahrnehmung,inwieweit wird die Heterogenität der Belegschaftals Bereicherung oder als Problemfaktorgesehen. Auf der Ebene der Gestaltungwurde danach gefragt, welcheMaßnahmen die Organisationen entwickeln,um der Vielfalt der MitarbeiterInnengerecht zu werden. Die Befunde zeigten,dass die Kerndimensionen von Diversity,wie Geschlecht, Nationalität/Ethnie, Alterund Behinderung im Personalmanagementder befragten Organisationen nicht systematischberücksichtigt werden. Statt ‚Vielfalt’werden Minderheiten als von derNorm Abweichende, aus der Defizit-Perspektive aus betrachtet. Die Wahrnehmungwird von der Individualisierung derVielfalt geleitet. Diese Individualisierungermöglicht zwar auf der einen Seite dieHinterfragung von Stereotypen, aber führtletztlich zu einer Blindheit gegenüberstrukturell verankerten Formen der Benachteiligung.Vielfalt wird als Irrelevantfür die Organisation angesehen. DieseWahrnehmungsbarriere versperrt den Wegzu einem Diversity Management und führtzum Ressourcenverlust.Prof. Dr. Loriann Roberson von der ArizonaState University/USA sprach überChancen und Risiken von Diversity auf derBasis der bisherigen Erfahrungen in denUSA. Sie fasste die Forschungsergebnissezusammen, die die Effektivität von solchenProgrammen untersucht haben. Diese stellenfest, dass die Wirksamkeit von Diversity-Maßnahmenauf verschiedenen Ebenenzu beobachten ist: Organisationen mit familienfreundlichenMaßnahmen zeigeneine höhere Performance und Profitsteigerungauf, Maßnahmen zur Anerkennungder Unterschiede in der sexuellen Orientierungfördern den Abbau der Benachteiligungvon schwulen und lesbischen MitarbeiterInnen.Die Forschungsergebnisse vonFrau Prof. Roberson zeigen, dass durchDiversity Trainings Veränderungen in individuellenKenntnissen, Attitüden undFähigkeiten erzielt werden können. WichtigeErfolgsfaktoren sind dabei die Unterstützungdes Top Managements und diedemographische Zusammensetzung der148


TagungsberichteMitarbeiterInnen in Führungspositionen.Besonders solche Organisationen könnenvon Diversity profitieren, so die Feststellungvon Prof. Roberson, die Vielfalt alseine Ressource für das Lernen betrachtenund diese in das Selbstverständnis der Organisationintegrieren.Am Nachmittag fanden vier Workshopsstatt. Die ersten drei fokussierten auf dreiPhasen des Diversity Managements: DieEntwicklung von Konzepten und Strategien,die Implementierung von Maßnahmenund die Erfolgsmessung. ElisabethGirg von der Deutschen Bank stellte zusammenmit Michael Stuber vor, wie beider Deutschen Bank die Grundlagen derDiversity Strategieentwicklung erarbeitetworden sind und wie Diversity als Unternehmenswertverankert wurde. Der zweiteWorkshop begann mit einem Referat vonNicole Oppermann von Kraft FoodsDeutschland. Sie berichtete über verschiedeneInitiativen bei Kraft Foods im Rahmendes Diversity Managements, die vorallem auf die bessere Vereinbarkeit vonBeruf und Familie abzielen. Sie wies auchauf die Schwierigkeiten hin, die in Folgeder Implementierung deutlich gewordensind. Im dritten Workshop stellte Jan Jansenvon der Arnhem Business School denBalanced Scorecard als ein Instrument fürdie Erfolgsmessung von Diversity Programmenund Initiativen vor. Er zeigte anBeispielen auf, wie vielfältig dieses Messinstrumenteinsetzbar ist und welche Möglichkeitenes zur ‚Diversity-Controlling’eröffnet.Der vierte Workshop legte den Schwerpunktauf die gesellschaftliche Verantwortungvon Unternehmen und Hochschulenmit dem Umgang von personeller Vielfalt.Regina Caines von Massachusetts Instituteof Technology/USA stellte vor, wie ManagingDiversity an der MIT verstanden wirdund lieferte wichtige Impulse für die Diskussionan deutschen Hochschulen. Auchsie betonte die Notwendigkeit, Unterstützungfür Diversity von den Führungskräftenzu bekommen. Sie wies auch daraufhin, dass Mentoring einen wichtigen Beitragzur Förderung von Frauen und Minderheitenleisten kann. Dr. Hartmut Schrödervon der Technologieberatungsstelle(TBS) Münster sprach über die möglicheRolle der Betriebsräte bei der Herausarbeitungvon Diversity-Initiativen.Die Veranstaltung wurde mit einem Abschlussplenumbeendet, in das die TeilnehmerInnenihre eigene Erfahrungen überDiversity einbinden konnten.Eszter Belinszki, Interdisziplinäres Frauenforschungs-ZentrumUniversität Bielefeld149


___________________________________________________________________________REZENSIONEN___________________________________________________________________________Christa Oppenheimer: Weiber zwischen70 und 100. Sechs Frauen Portraits –Dialoge gegen den Fetisch Jugend. Miteinem Vorwort von Susanne Opfermann,Afra Verlag, Butzbach-Griedel <strong>2002</strong>, 164Seiten, 16,- €, ISBN 3-932079-72-8.;Weiber zwischen 70und 100 – sechs Interviewsvon Christa Oppenheimermit sechsganz verschiedenenFrauen. Ein schönesBuch, ein spannendesund bewegendes Buchzugleich. Auch für mich, wo mich dochaltersmäßig mehr als 40 Jahre von diesenFrauen trennen. Oder gerade darum? Javerflixt noch mal, die sechs portraitiertenWeiber, ihre Lebensläufe, ihre Erfahrungen,ihre Ansichten über Alter, Liebe, Sexualitätund Frau sein, sind spannend. Siemachen allen Frauen Mut für eine Lebensphase,die die meisten Frauen unweigerlicherreichen werden, die aber oft negativ besetztist und die Angst macht. Dieses Buchist das „beste Mittel gegen schleichendeAltersdepression“, wie es Susanne Opfermannso treffend in ihrem Vorwort ausdrückt.Wer sind also diese sechs Weiber? Nun, daist eine Frau wie Eva Ebner, die mit 65noch Schauspielerin wird und die sich überdas ewige „noch“ ihrer Umwelt aufregt.Helma Sjuts wird mit 68 Deutsche Meisterinim Ballonfahren und machte ihrenTraum vom Fliegen wahr. Ilse Strelkowskygibt mit 98 Jahren Yoga- Unterricht undfindet das ganz normal. Aber auch eineFrau wie Elfriede Roller, die ihr Lebenlang Familie und Haushalt in den Mittelpunktihres Lebens stellte, fasziniert durchihre in sich stimmige und selbstbestimmteLebensgestaltung. Und nicht zu vergessenIrene Ruys-Adamits, die ihr Leben ganzdem Sport gewidmet und dort Großartigesgeleistet hat und Agnes Lüchtrath, die nachder Erziehung von sieben Kindern unddem Tod ihres Mannes die Herstellung desWeihrauchs erforscht.Die Lesezeit vergeht wie im Flug, und esfällt leicht, in die Welten und Leben dieserFrauen einzutauchen. Das liegt nicht nuran den locker eingestreuten persönlichenFotos, die immer wieder die Fantasie anregen,wie beispielsweise das Halbportraitvon Ilse Strelkowsky im Goldlamé-Kleidim Stil der 20er Jahre: eine junge Dame,mondän und sehr schön. Wurde es auf ihrerSchiffsreise nach Chile aufgenommen,als sie 22jährig ihren Mann kennenlernte?Ein paar Seiten später sehen wir sie als 98-Jährige, wie sie agil eine Yoga-Übung imGymnastikanzug vorführt und ihre Aussage„Das wichtigste im Alter ist eine Aufgabe,“damit anschaulich dokumentiert.Oder das Bild von Elfriede Roller 1950 mitMann und ihren zwei Kleinkindern, wovoneines verschmitzt lachend aus dem nostalgischanmutenden Kinderwagen schaut,den Elfriede Roller – ganz 50er-Jahre-Dame – schwarz behandschuht im Blumenkleidneben ihrem Mann im Anzugschiebt. Die scheinbare Wirtschaftswunderidylledes Bildes wird im Interview150


Rezensionenangekratzt. Elfriede Roller spricht von derharten Aufbauarbeit, dem Mut und derKraft eine Familie zu gründen und zu versorgennach einem Krieg mit Millionenvon Toten und Zerstörung und auch vonder Judenvernichtung. Trotz allem beschreibtsie ihr Leben als erfüllt und wundervoll.Auf einem neueren Portrait strahltsie Lebensfreude und Gelassenheit aus undspiegelt damit ihre Auffassung von Alterwieder:„Alt ist man sicher erst dann, wennman sich nicht mehr wohl fühlt.“Die Schauspielerin Eva Ebner ziert dasTitelbild des Buches. Das Bild spricht fürsich: feuerrote Haare, enganliegender Leoparden-Anzugmit großem Pelzkragen,auffälliger Schmuck, ausdruckstarkesMake-up. Treffend bemerkt Christa Oppenheimer:„Eva ist eine auffällige Frau,eine mutige Frau, die in ihrer Lust amSkurrilen und Bizarren für viele Menscheneine Provokation darstellt.“ Alter bedeutetfür sie eine Steigerung der Fähigkeit desErlebens von Glücksmomenten. Eine wunderbareBeschreibung von Alter. In diesemInterview wird die Atmosphäre zwischenden beiden Frauen sehr dicht. Themen wieSexualität, Partnerschaft und selbstbestimmterTod im Alter werden von beidengleichermaßen offen diskutiert. Eva Ebnerträgt keine Maske, sie verdrängt nicht oderverschweigt.Christa Oppenheimer scheut sich auchnicht, vor jedem Interview ihre persönlichenEindrücke von den Frauen zu schildern.Aussehen, Gesprächsatmosphäre,Kleinigkeiten der Wohnungseinrichtungwerden detailliert beschrieben, vervollständigendas Bild um einen zwar subjektivenaber sehr lebendigen Eindruck. Siebehandelt ihre Gesprächspartnerinnen immerrespektvoll, kommt auf ihr wichtigeThemen immer wieder zurück, fragt auchUnangenehmes wie beispielsweise zurJudenverfolgung und Nazizeit und führtuns auf diese Weise durch das Leben „ihrerWeiber“. Ja, diese Weiber zwischen 70und 100 haben etwas zu sagen!Kann und darf das denn sein in einer Gesellschaft,in der Jugendlichkeit zum Kulterhoben wird und das gängige KlischeeFrauen jenseits des Rentenalters höchstensnoch die Rolle der treusorgenden Omaihrer Enkelkinder zuweist, immer für andereda ansonsten gesellschaftliche „Altlast“?Oder wie es Christa Oppenheimer ernüchterndin ihrer Einleitung ausdrückt: „Alterscheint in Zeiten der zunehmenden Schönheitsoperationen,der zunehmenden Möglichkeitengenetischer Konstruktion des‘Humankapitals dieser Welt’, in denen derMensch einen scheinbaren Triumph derMachbarkeit über seine eigene Natur erwirkt,nur noch als Defizit, als chronischerMangel von Jugend, Leistungsfähigkeitund Schönheit wahrgenommen zu werden,als eine letzte Phase vor dem Tod, in demkeine Leistung mehr erbracht werdenkönnte und der gealterte Mensch nutzlosdem sozialen Umfeld im Wege steht. (...)Alt ist zum Synonym für etwas Negativesgeworden und wurde seinen früheren Zuschreibungenvon Würde und Weisheitberaubt.“ Da nützt es auch nichts, dass dieMedien sich neuerdings verstärkt für dieAlten interessieren und Alte irgendwie envogue sind. Christa Oppenheimer entlarvtdie Gründe für die ungewohnte Präsenzvon Alten in den Medien: „Die ‘NeuenAlten’ erhalten somit von unerwarteterSeite gesellschaftliche – wenn auch fragliche– Anerkennung, doch gewiss nur solange, wie ihre wirtschaftlichen KräfteGewinnmöglichkeiten prognostizieren.“151


RezensionenChrista Oppenheimers Buch geht nicht indiese Richtung. Sie zeigt mit ihren Portraits,dass viele unterschiedliche Lebenskonstruktionenfür das letzte große Drittelmöglich sind, die nichts mit dem oben genannten,gesellschaftlich produzierten Bildernzu tun haben. Die sechs Frauen sindaktiv, agieren selbstbestimmt und strahleneine eigene tiefergehende Schönheit undWeisheit aus, die sich in ihren Worten undden Bildern ausdrückt. Sie negieren nichtihr Alter, aber sie lassen sich auch nicht ingesellschaftlich vorgefertigte Rollen drängen.Alle haben sich Aufgaben gesucht, dieihren Interessen entsprechen und betonendie Wichtigkeit dieser Aufgaben. Das gibtjüngeren Frauen Mut und auch echte lebendigeVorbilder für diesen Lebensabschnitt,und es bestärkt ältere Frauen, vielleichtdoch noch neue Dinge zu wagen,Interessen auszubauen und neu zu entdecken.Oder einfach den eigenen Lebenswegund den momentanen Lebensabschnittmit liebevolleren Augen zu betrachten.Alexandra Münster, BielefeldBarbara Keller und Anina Mischau(Hgg.): Frauen machen Karriere in Wissenschaft,Wirtschaft und Politik. Chancennutzen – Barrieren überwinden,Schriften des Heidelberger Instituts fürInterdisziplinäre Frauenforschung (HIFI)e.V., Band 4, Nomos Verlagsgesellschaft,Baden-Baden <strong>2002</strong>, 202 Seiten, 20,- €,ISBN 3-7890-7757-7.Mit dem programmatischen Titel „FrauenMACHEN Karriere“ in verschiedenen beruflichenFeldern stellen die beiden HerausgeberinnenBarbara Keller (Psychologin)und Anina Mischau (Soziologin) einenTagungsband vor, in dem sie aufzeigen,wie FrauenKarriere machenkönnen, d.h. welcheChancen es für siegibt. Sie lassen dabeiauch die kritischenStimmen zuWort kommen, diedie inneren und äußerenBarrieren beschreiben,mit denen sich Frauen auf demWeg zur Karriere konfrontiert sehen (können).Anlässlich der Tagung, die – gut besucht– im Juli 2001 in Heidelberg stattfand,konnte eine bunte Mischung an Teilnehmerinnenund Referentinnen aus Hochschule,Wissenschaft, Politik, Wirtschaftund Gesellschaft zusammengeführt werden.Diese zweite Tagung des HeidelbergerInstituts für Interdisziplinäre Frauenforschung(jetzt „Frauen- und Geschlechterforschung“)(HIFI) e.V. wurde gemeinsammit der Deutschen Stiftung für Frauen-und Geschlechterforschung veranstaltetund markierte gleichzeitig das zehnjährigeBestehen von HIFI.In der interdisziplinären Tradition vonHIFI bewegt sich auch der vorliegendeTagungsband, in dem nicht nur durch diebeiden Herausgeberinnen die Fächer Psychologieund Soziologie vertreten sind.Auch die Autorinnen der Einzelbeiträgeergänzen den Kanon um die Fächer Pädagogikund Politikwissenschaft.In der Einleitung zeigen die Herausgeberinnen,wie stark ihre beiden Fachdisziplinenineinander greifen, wenn z.B. äußereBarrieren durch individuell unterschiedlicheBewertungen verschieden wahrgenommenwerden und somit unterschiedlichstark wirken können. Sie stellen u.a. forschungsleitendeKonzepte dar, wie z.B.152


RezensionenBourdieus Habitus-Konzept und Ansätzeaus der Sozialpsychologie oder der Entwicklungspsychologie.Der erste Block des Bandes, der sich mitder Karriereorientierung von Frauen undihren Karrierewegen beschäftigt, beginntmit dem Beitrag von Christiane Dienel(Magdeburg) „Frauenkarriere im europäischenVergleich“, der auf der internationalvergleichenden Perspektive ansetzt. Siegeht der Frage nach, weshalb nach überzwanzig Jahren Gleichstellungspolitiknoch immer die Anteile von Frauen in Führungspositionenin nahezu allen Bereichendeutlich unter 10% liegen. Durch die Vergleichemit den Nachbarländern macht siedeutlich, an welcher Stelle Deutschlandsteht und wo und in welchen BereichenVorbilder für eine Erhöhung der Anteilsvon Führungspositionen erkennbar sind.Eva Cyba (Wien) zeigt „Mechanismen derDiskriminierung und Strategien ihrer Ü-berwindung“, indem sie zuerst ein allgemeinesErklärungsmodell zur Benachteiligungvon Frauen aufstellt. Es stützt sichauf eine Typologie von Konstellationen,bestehend aus folgenden Mechanismen:soziale Schließung, Ausbeutung, öffentlicherund privater Traditionalismus, asymmetrischeAushandlungsprozessen undkommunikative Abwertung. Anschließendzeigt sie, wie welche Mechanismen wirkenund welche kollektiven Handlungsstrategienihrer Ansicht nach am erfolgsversprechendensind. Dies sind, die rechtlichenAnsprüche auf Karriere (Quoten) anzumeldenund deren Überwachung zu garantierensowie Einrichtungen zu fördern, diedie Vereinbarung von beruflichem undfamiliärem Engagement ermöglichen.Andrea E. Abele stellt ein sozialkognitivesModell der Lebensplanung in Beruf undFamilie vor, indem sie Geschlecht als biologisches,soziales und psychologischesMerkmal betrachtet. Dazu werden Datenaus einer Längsschnittstudie analysiert, diezeigen, dass die tatsächliche oder potentielleMutterschaft eine entscheidendeSchlüsselrolle für den Erfolg im Beruf einnimmt.Angelika Kümmerling und DorotheeDickenberger (Mannheim) überprüfenin ihrem Beitrag „Karrieremotivation undfamiliale Orientierung. GeschlechtsspezifischeUnterschiede in der Karriereorientierungvon Studierenden“ mit Längsschnittdatenebenfalls ein sozialkognitives Modell,das ein Wechselspiel zwischen personalenund strukturellen Merkmalen für/gegenberufliche Karriere als zentral ansieht.Dabei zeigt sich allerdings, dass die Ernüchterungam Ende des Studiums oft denalten Rollenmustern Vorschub leistet. RuthRustemeyer und Natalie Fischer (Koblenz)beschäftigen sich mit der „Karriereorientierungund Selbstselektion im Lehrer/innenberuf“.Sie stellen dabei fest, dassdie Karrieremotivationen der Frauen nichtgeringer sind als die der Männer, das Vertrauenin ihre Kompetenzen jedoch nichtso groß ist wie das der Männer. FaithDasko (Köln) betrachtet in ihrem Beitrag„Vereinbarkeit von Familie und Beruf –Weiterhin ein Frauenproblem? Ein ost-/westdeutscher Vergleich“ die Arbeitszeitstrukturierungvon Männern und Frauen.Dabei zeigen sich z.B. in den Arbeitszeitpräferenzennoch immer Ost-/Westunterschiede,jedoch in der zunehmendenTeilzeitarbeit der Frauen in ganz Deutschlandeher eine Retraditionalisierung derGeschlechterarrangements.In einem zweiten Block zeigen Beispieleaus verschiedenen Bereichen der Praxis,wie Förderungsmöglichkeiten aussehenkönnen. Dagmar Höppel (Freiburg) stellt„Förderkonzepte für Wissenschaftlerinnen153


Rezensionen– zwischen Gender Mainstreaming undFrauenförderung“ vor und bewertet diebisherigen Ansätze. Sie prüft den Ansatzdes Gender Mainstreaming hinsichtlichseiner Anwendbarkeit in Wissenschaftsbereichund mahnt die Kontrolle der Umsetzungenan. Anna Müller (Bremen) stelltein hochschulübergreifendes Karriereentwicklungsprojektvor: „Karriereplanungfür Frauen naturwissenschaftlicher/ technischerStudiengänge im Lande Bremen –Projektbeschreibung und theoretischerForschungsansatz“. Dabei arbeiten in einemMentoring-Programm Mentorinnenaus der Wirtschaft zusammen mit ihrenbetrieblichen Vorgesetzten/PersonalentwicklerInnenund den Studentinnen an derbisher schwierigen Bruchstelle zwischenStudium und Beruf. Urte Bruncken (Oldenburg)stellt in ihrem Beitrag „Über dasKontaktstudium Frauen in Führungspositionen“ein Projekt vor, in dem es gelungenist, berufstätigen Frauen in WochenendseminarenFähigkeiten zur Ausübung vonFührungspositionen zu vermitteln. DasAngebot wurde erfolgreich umgesetzt undversteht sich als Ergänzung zu anderenGender-Trainings. Heike Tyrtania (Stuttgart)präsentiert ein Konzept zur „Chancengleichheitin der Industrie am Beispielvon DaimlerChrysler“ und zeigt dabei dievielfältigen Maßnahmen in diesem Großunternehmenauf, deren Erfolge allerdingsaufgrund der kurzen Laufzeit noch nichtüberprüfbar sind. Britta Seeg (Frankfurt)stellt mit ihren Erfahrungen als Trainerin/Beraterineiner Unternehmensberatungdas „Kunden-Interaktions-Center – Optimierungsfeldder Chancengleichheit vonFrauen und Männern im Beruf“ vor. AndreaFüg, ehemalige FrauenreferentinBündnis90/Die Grünen Baden-Württemberg,zeigt wie „Mentoring für Frauen inder Politik“ aussehen kann. Das bishererprobte Mentoring-Programm wurde vonengagierten jungen Frauen genutzt, die inerster Linie Hilfe zur Ausübung ihrer neuenPosten oder ihrer neu erworbenen politischenMandate suchten und fanden.Das Buch endet mit einem Beitrag der beidendamaligen Vorstandsfrauen von HIFI,Birgit Blättel-Mink und Caroline Kramer,die anlässlich des zehnjährigen Bestehensdes Instituts einen Überblick über die Entwicklungslinieder Arbeiten von HIFI,ausgehend von dem Themenbereich „Frauenund Ungleichheit“ hin zur aktuellenGenderforschung, geben.Im vorgestellten Tagungsband gelingt es,sich den zahlreichen Aspekten des Themas„Frauen und Karriere“ aus den unterschiedlichstenPerspektiven zu nähern. DieKombination aus analytischen Ansätzen, indenen der umfassenden Frage nachgegangenwird, warum sich denn nur so wenigverändert hat und den Beispielen vonMaßnahmen aus den Bereichen Hochschuleund Wirtschaft bieten allen, die an diesemThema interessiert sind, Ansatzpunkte.Der Gewinn, den interdisziplinäres undinterinstitutionelles Denken und Arbeitenbietet, ist auch an diesem Tagungsbandablesbar. Die Suche nach einem „interdisziplinärenMehr-Ebenen-Modell geschlechtsspezifischerLebensgestaltung“,das die Herausgeberinnen anregen, wirddiesen spannenden Forschungsbereich sicherlichnoch eine geraume Zeit beschäftigen.All denjenigen, die sich umfassendüber aktuelle Arbeiten und Forschungsansätzezum Thema „Frauen und Karriere“informieren möchten, kann man diesesfacettenreiche Buch nur anraten.Caroline Kramer, Heidelberg154


___________________________________________________________________________NEUERSCHEINUNGEN__________________________________________________________________________Ingrid Biermann: Die einfühlsame Hälfte.Weiblichkeitsentwürfe des 19. undfrühen 20. Jahrhunderts in Familienratgebernund Schriften der Frauenbewegung,Bielefeld <strong>2002</strong>, Kleine Verlag, WissenschaftlicheReihe Band 140, ISBN 3-89370-360-8, 17,50 Euro.Die moderne Gesellschaftbasiert aufdem Postulat derGleichheit. Allenmuss der Zugang zurBildung, zur Erwerbsarbeitund zurPolitik offen stehen -auch den Frauen.Den Umbruch zurModerne im 19. Jahrhundert markiert aberzugleich die Propagierung der Verschiedenheitder Frau zum Mann. Ehe und Familiewurden in Ratgebern und Mütterzeitschriftenzum intimen und konfliktfreienBereich des Privaten. Ihre Gestaltung alsharmonischer Ort wurde ausschließlich denFrauen zugewiesen.Auch weite Teile der ersten Frauenbewegungdefinierten Weiblichkeit als Mütterlichkeitund Hingabe. Seit den 1860er Jahrenwiesen deren Texte eine auffällige Akzentverschiebungaus. Nicht „Frauenrechtelei“sei das Ziel, sondern die Durchsetzungeines „weiblichen Kulturanteils“.Aufgrund der „mütterlichen Art“ der Frauwurden eigene Aufgaben- und Erwerbsbereichedes weiblichen Geschlechts gefordert.Die Bereitschaft zu Konflikt und Konkurrenz,zentrale Voraussetzungen modernerInklusion, waren in diesen Frauenbildernnicht vorgesehen. Der Aufbruch in die moderneGesellschaft war auf Seiten derFrauen massiv von moralischen Normender Konfliktvermeidung und des Ausgleichsbegleitet - der Mann wurde in dieseAnforderungen nicht einbezogen.Arlie Russell Hochschild: Keine Zeit.Wenn die Firma zum Zuhause wird undzu Hause nur Arbeit wartet. Erscheintvoraussichtlich im Oktober in der ReiheGeschlecht und Gesellschaft, Herausgegebenvon Ilse Lenz/Michiko Mae/SigridMetz-Göckel/Ursula Müller/MechtildOechsle/Marlene Stein-Hilbers †Diese bahnbrechendeStudie aus denUSA untersucht dieSituation berufstätigerEltern zwischenden Anforderungeneiner globalisiertenArbeitswelt und denendes Familienlebens.Es bleibt buchstäblich„Keine Zeit“.Warum das so ist, zeigt dieses Buch, einmitreißender und sehr gut lesbarer Berichtüber die Praxis eines Unternehmens imMittleren Westen der USA, geschriebenvon der bekannten amerikanischen SoziologinArlie Russell Hochschild. Mit ihrer155


NeuerscheinungenSensibilität, ihrem scharfen Blick und ihrerGabe für spannende Porträts gibt Hochschildeinen Einblick in das Alltagslebender Arbeitnehmer bei Amerco von den unterstenRängen bis in die Chefetagen undkommt zu einem faszinierenden Schluss:Der Arbeitsplatz ist – für Männer wieFrauen – zum Zuhause geworden und dieFamilie ist für viele Eltern ein stressigerArbeitsplatz.Die genauen Beobachtungen der Autorinund ihre scharfsinnigen Analysen bringenLicht bis in die verborgensten Winkel desalltäglichen Lebens. Lesen Sie Arlie RussellHochschilds Meinung zu Familienfotosam Arbeitsplatz und Sie werden dieSchreibtische Ihrer Kolleginnen und Kollegenmit anderen Augen betrachten. ObwohlHochschild Lösungen anbietet, istdies kein Buch mit Patentlösungen, sonderndie Erklärung eines Phänomens, dasviele Leute viel zu lang als Nebensacheabgetan haben.Women’s Lives and Health in Europe –A Dialogue Across Borders. LearningModels, Developing Strategies. Documentationof the Conference in Bad Salzuflen,Germany, 28 th September – 1 st October2000. Published as Material belongingto European Women Health Network(EWHNET), 75 Seiten.Die Dokumentation gibt einen Einblick inModelle guter Praxis von Irland bis Russlandund von Finnland bis Österreich. Dergegenwärtige Diskurs der Frauengesundheitspolitikin Europa und aktuelle strategischeund systematische Ansätze einer frauengerechtenGesundheitsversorgung und -prävention werden beschrieben. Autorinnensind Assia Brandrup-Lukanov, Leaden Broeder, Audrey Deane, Katja Eichler,Gisela Gästrin, Ulrike Hauffe, Sue Laughlin,Alison Miller, Susanne Schmölzer undRegina Stolzenberg.Die Dokumentation kostet 10 Euro (inkl.Versand) und kann (auch in deutsch) bezogenwerden über: Ute Sonntag, Landesvereinigungfür Gesundheit Niedersachsen e.V., Fenskeweg 2, 30165 Hannover, Email:lv-gesundheit.nds@t-online.de und über:Internationales Zentrum für Frauengesundheit,Alte Vlothoer Str. 47-49, 32105 BadSalzuflen, Email: info@izfg.de.156


___________________________________________________________________________INFORMATIONEN___________________________________________________________________________Geld und Geschlecht – Tabus, Paradoxienund IdeologienIm Sommersemester <strong>2002</strong> hat das <strong>IFF</strong> eineRingvorlesung zum Thema „Geld und Geschlecht– Tabus, Paradoxien und Ideologien“veranstaltet. Bei dieser Vorlesungsreihestand die Bedeutung von Geld imGeschlechterverhältnis und im Verhältnisvon Frauen untereinander im Mittelpunkt.Noch heute hat es den Anschein, dassFrauen anders als Männer auf den Umgangmit Geld hin sozialisiert werden, demGeld-Haben und Geld-Verdienen einenanderen Sinn geben und beim Geld ausgebenanders verfahren. Dennoch wird ‚Geldund Geschlecht‘ bislang selten in wissenschaftlichenKontexten zum Gegenstand.Die Ringvorlesung sollte deshalb aucheinen Anstoß geben, sich diesem Themaunter verschiedenen Aspekten zu nähern..Die Beiträge zur Ringvorlesung gingen u.a.folgenden Fragen nach: Gehen Frauen mitGeld anders um als Männer? Ist z.B. dasMotto „Geld ist mir nicht so wichtig“, dasFrauen mit Karriereambitionen häufig vertreten,ein Beleg weiblicher Bescheidenheit?Oder ist es Indiz für die fehlende(Ein)Schätzung des eigenen Werts? SindFrauen in Bezug auf Geld haben bzw. überGeld verfügen (noch immer) geschlechtsspezifischsozialisiert? Bringen sie eineandere „Gefühlskultur“ in die Sphäre desGeldes und des Tauschs? Diese Fragenwurden in einem ausführlichen Programmaus unterschiedlichen Blickwinkeln thematisiert.Es sprachen:Die Beiträge der Ringvorlesung werden inKürze in einem Sammelband veröffentlichtwerden.Dr. Birgitta Wrede, <strong>IFF</strong>, Universität Bielefeld,Tel.: 0521/106-4472Email: birgitta.wrede@uni-bielefeld.de12. Frauenakademie in der EvangelischenAkademie Bad Boll„FRAU IM SPIEGEL“ Körper – Kult –Kommerz, 28.10. – 31.10.<strong>2002</strong>Vorträge, Workshops, Kunst und Kulturmit Prof. Dr. Martina Löw, Darmstadt;Prof. Dr. Nina Degele, Freiburg; ReinhildTraitler, Boldern u.a.Tagungsprogramm und weitere <strong>Info</strong>rmationenbei Magdalena Hummel,tel. 07164/79210, fax 07164/791207E-Mail: magdalena.hummel@evangelische-akademie-boll.de__________________________________Störfall Gender – Grenzdiskussionen inund zwischen den WissenschaftenGender-Tagung in der Carl Friedrichvon Siemens Stiftung, 4.11. – 6.11.02,Tagungsort: MünchenDie inter- und transdisziplinär konzipierteTagung soll einerseits dazu beitragen, übergenderspezifische Forschungsansätze der(je anderen) Disziplinen zu informierenund so den Status quo der deutschsprachigenGender-Forschung zu bestimmen. Andererseitsscheint der Blick über die 'eigene'Disziplin hinaus eine effiziente Möglichkeit,die eigenen 'blinden Flecken'sichtbar zu machen. Dabei sollen insbesonderedie resultierenden wissenschaftstheoretischenKonsequenzen angedachtwerden: Welche theoretischen Grundlagen,Normen, Konzepte, Methoden, Instrumenteoder stillschweigend vorausgesetzte Differenzenwerden durch die Gender-Forschung (u.a.) aufgedeckt, in Frage gestellt,verschoben oder obsolet? Kann garvon einem sich abzeichnenden Paradigmenwechselin den Wissenschaften, ihrenMethoden und Zielsetzungen gesprochen157


<strong>Info</strong>rmationenwerden – und wenn ja: in welche Richtungweisen die bisher erlangten Resultate?Die Tagung soll zur interdisziplinären Zusammenarbeitauffordern und Kooperationenanregen. Außerdem soll sie als Grundlagefür die Formulierung und Etablierungeines transdisziplinären, d.h. wissenschaftstheoretischenbzw. philosophischenGender-Forschungsprojektes dienen.Schließlich wird die nationale Klausur-Tagung einen standortsichtenden Charakterhaben, denn für 2004 ist ein internationaler,interdisziplinärer Gender-Kongress inMünchen geplant.Weitere <strong>Info</strong>rmationen:http://www.lrz-muenchen.de/~stoerfallgender__________________________________Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer-und Geschlechterforschung – Kultur-,Geschichts- und Sozialwissenschaften(AIMGENDER) und Akademie derDiözese Rottenburg-Stuttgart, ReferatGeschichte, 07.11. – 09.11.<strong>2002</strong>Die zweite Tagung des Arbeitskreises wirdvon Donnerstag, den 7. November <strong>2002</strong>(abends), bis Samstag, den 9. November(spätnachmittags) im Tagungszentrum derAkademie in Stuttgart Hohenheim stattfinden.Ziel der Tagung ist die flächenübergreifendegegenseitige Wahrnehmung und Kooperationvon Forschern und Forscherinnenaus Geschichts-, Literatur-, Kultur- undPolitikwissenschaften sowie der Soziologie.Thematisch ist die Tagung offen füralle Forschungen zum Thema Männlichkeitskonstruktion,Mannsein und derenAuswirkungen auf Kultur und Gesellschaftin Vergangenheit und Gegenwart. Allerdingsstehen weder Fragen der psychologischenPraxis noch der Sozialarbeit zur Debatte,die in anderen Arbeitskreisen thematisiertwerden. Sektionsthemen der letztenTagung waren hegemoniale Männlichkeiten,Homosozialitäten, relationale Geschlechterkonstruktionen,Väter und Söhne,Arbeit, Sexualität und Medizin, Kriegund Militär.Allen an der Teilnahme Interessierten wirdempfohlen, sich umgehend bei der Akademieanzumelden. Die Anmeldung istunabhängig von der Präsentation einesDiskussionspapiers.Anmeldung:Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Referat Geschichte (Dieter R.Bauer/Kerstin Hopfensitz), Im Schellenkönig61, 70184 Stuttgart, Fax: 0711/1640777, Tel: 0711/1640752E-mail: Hopfensitz@Akademie-RS.de__________________________________Deutsche Physikerinnentagung <strong>2002</strong>07. – 10.11. <strong>2002</strong>Veranstaltungsort: TübingenEingeladen sind alle Frauen, die sich derPhysik verbunden fühlen, ob als Studentinoder Dozentin, Forscherin oder Lehrerin,Wirtschaftsphysikerin oder Schülerin, odereinfach als Interessierte.Die Website der Veranstaltung wird kontinuierlichaktualisiert:http://www.physikerinnentagung.de__________________________________Hat die Wissenschaft ein Geschlecht?Gender & ScienceSymposium 8.11. – 9.11.<strong>2002</strong>Tagungsort: RWTH Aachen, Hauptgebäude,Templergraben 55Die an der RWTH bestehende Diskrepanzzwischen einem Studentinnenanteil von ca.30% und einer gravierenden professoralenUnterrepräsentanz von Frauen (ca. 5%)wurde in den letzten Jahren nicht wesentlichverändert. Der damit verbundene Charakterder Zufälligkeit und Diskontinuitätfeministischer Forschungs- und Lernthemenbesteht weiterhin. Auch für die Hochschulenmuss der Strukturwandel zur De-158


<strong>Info</strong>rmationenmokratisierung der Geschlechter in Forschungund Lehre nachhaltig intensiviertwerden. Geschlecht beeinflusst die wissenschaftlicheWissensproduktion. Die Mechanismenund Strukturen dieses Einflusseswerden Thema der Tagung sein.Weitere <strong>Info</strong>rmationen:http://www.frauen-rwth-aachen.de.vuE-Mail: gender@rwth-aachen.de__________________________________Gender – from costs to benefits6. Symposion zur Geschlechterforschungan der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel15. – 17.11. <strong>2002</strong>Vom 15.-17. November <strong>2002</strong> findet unterdem Motto „Gender – from costs to benefits“an der Universität Kiel das 6. Symposionzur Geschlechterforschung statt, dasvom Bundesministerium für Bildung undForschung gefördert wird. Im Zentrum derTagung stehen wirtschaftliche Aspekte desGendering, wobei Kosten und Nutzen derKategorie Geschlecht erörtert werden sollen.Diskutiert werden Fragen wie: Waskostet es, wenn Frauen genauso viel verdienenwie Männer? Wie nützlich sindgeschlechtstypische Aufgabenverteilungen?Wie teuer ist es, auf das Führungspotenzialvon Frauen zu verzichten?Eröffnet wird die Veranstaltung durch einVideo-Interview mit dem Nobelpreisträgerfür Ökonomie Gary S. Becker (UniversitätChicago, USA). Als Gäste berichten renommierteWissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerwie Jutta Allmendinger (UniversitätMünchen, Deutschland), Dana M.Britton (Kansas State University, USA),Robert W. Connell (University of Sydney,Australien), Michel E. Domsch (BundeswehrhochschuleHamburg, Deutschland),Alice Eagly (Northwestern University,USA), Gita Sen (Indian Institute of ManagementBangalore, Indien, angefragt) undAgneta Stark (Linköping University,Schweden) über neueste Ergebnisse ihrerArbeit.Neben diesen Plenumsvorträgen sind Parallelsektionengeplant zu den Themen„Geschlecht und Arbeitsmark“ (z.B. Löhne,Zugänge, Qualifikationen), „Geschlechtund Führung“ (z.B. das glass ceiling-Phänomen,Gendering von Organisationen),„Geschlecht in der globalisiertenWirtschaft“ (z.B. Geld, weibliche Entrepreneurein Entwicklungsländern) und „sozialeKosten von Geschlecht“ (z.B. Gesundheit,Sicherheit, Gewalt).Aktuelle <strong>Info</strong>rmationen sind erhältlich unterhttp://www.uni-kiel.de/zif/symp.htmoder bei Dr. Anja Gottburgsen,ZiF Gender-Forschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, FAX 0431-57949-50, gottburgsen@zif.uni-kiel.de.__________________________________„Wissenschaftsorganisationen im Wandel– Neue Perspektiven für die Gleichstellungspolitik?“Workshop 05.12. – 06.12.<strong>2002</strong>Tagungsort: Wissenschaftszentrum Berlinfür Sozialforschung (WZB), Raum A 310Anmeldung: Nicola Fielk, WissenschaftszentrumBerlin für Sozialforschung,Reichpietschufer 50, 10785 BerlinTel.: 030 – 25491-587; Fax: -582Email: nico@medea.wz-berlin.deWeitere <strong>Info</strong>rmationen:http://www.wz-berlin.de/aktuell/wzbworkshops.de.htm#wiss__________________________________Mentoring für Frauen – individuelleFörderung als Chance zur institutionellenVeränderung der Hochschulen?Workshop 10.12.<strong>2002</strong>Tagungsort: Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/GöttingenGoschentor 1, 31134 Hildesheim159


<strong>Info</strong>rmationenVeranstalterinnen: Landeskonferenz derNiedersächsischen Hochschulfrauenbeauftragten,Zentrum für interdisziplinäre Frauen-und Geschlechterforschung der UniversitätHildesheim und der FachhochschuleHildesheim/Holzminden/Göttingen;Mentoringprogramme für Frauen an Hochschulenwerden seit den 90er Jahren des20. Jahrhunderts auch in Deutschland eingesetzt.Sie basieren auf der Idee einerzeitlich befristeten Partnerschaft, die sichauf das individuelle Coaching einer Nachwuchskraftund die gleichzeitige Weiterentwicklungder Führungskultur von Mentorin/Mentorund Organisation stützt. Häufigerdiskutiert wird dabei Mentoring alsindividuelles Förderinstrument. Schwerpunktdieses Workshops bildet hingegendie Frage, ob und wie Mentoring zur Veränderungvon Hochschulstrukturen inRichtung auf mehr Geschlechtergerechtigkeitbeitragen kann. Dabei sollen Umsetzungserfahrungenausgetauscht und Möglichkeitender Implementierung von Mentoringin die Hochschulen und der Verknüpfungmit Personalentwicklungskonzeptenerörtert sowie Evaluationsergebnisseausgewertet werden.Auf diesem Workshop stellen sich dieMentoringprojekte für Frauen an niedersächsischenHochschulen vor, und es werdendie Ergebnisse der landesweiten Evaluationdieser Projekte präsentiert. Zielgruppedes Workshops sind vor allemFrauen, die in Mentoringzusammenhängenan Hochschulen arbeiten bzw. sich für dieseinteressieren. Auch Referentinnen ausÖsterreich und der Schweiz konnten gewonnenwerden. Teilnehmerinnen undTeilnehmer aus der gesamten Bundesrepublikund dem deutschsprachigen Auslandwerden erwartet.<strong>Info</strong>rmation:Zentrum für interdisziplinäre Frauen- undGeschlechterforschung der UniversitätHildesheim und der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen,Dr. AstridFranzke, Marienburger Platz 22, D-31141Hildesheim, Tel. 05121 883193e-mail: franzke@rz.uni-hildesheim.de__________________________________Geschlechtergerechtigkeit als Reformstrategie,Tagung an der UniversitätDortmund, 17. – 18.01.2003Geschlechtergerechtigkeit fördert Qualitätund Innovation, wenn sie als Reformstrategiebegriffen wird. Dies ist die Erfahrungeines Hochschulentwicklungsprojekts, dasseit November 1998 von der VolkswagenStiftung im Hochschulreformprogramm„Leistungsfähigkeit durch Eigenverantwortung“an der Universität Dortmund durchgeführtwird. Am 17. und 18. Januar 2003wird das Projekt QueR Ergebnisse undAnregungen seiner vierjährigen Arbeit aufseiner Abschlusstagung vorstellen und mitanderen diskutieren.Das Projekt QueR – „Qualität und Innovation– Geschlechtergerechtigkeit als Reformstrategie“– ist beim Rektorat der U-niversität Dortmund angesiedelt und bindetdie Gleichstellungsfrage konsequent indessen Aktivitäten zur Qualitätssicherungund Strukturverbesserung ein. Es kanndaher erste Erfahrungen mit dem Konzeptdes Gender Mainstreaming vorweisen,denn der Gleichstellungsaspekt ist in Studienreformschritteintegriert, bei der Personalentwicklungberücksichtigt, in Zielvereinbarungenverankert, in strukturelleMaßnahmen einbezogen. Es vollzieht damiteinen Paradigmenwechsel, der dieGleichstellung nicht als Frauenförderung,sondern als potenzialorientierte Strukturpolitikund Querschnittaufgabe in die Verantwortungdes Rektorats und der Fakultätsleitungenlegt. Das Projekt zeigt aberauch, dass die besonderen Instrumente derFrauenförderung nach wie vor ihren berechtigtenEinsatz finden. Die Umsetzungdieser Neukonzeption bedarf besondererPromotoren und laufender Unterstützungsowie kritischer Begleitung.160


<strong>Info</strong>rmationenNeben der Präsentation der bisher erarbeitetenKonzepte und in den Fachbereichengemachten Erfahrungen möchte das Projekteine öffentliche Diskussion über seinVorgehen anregen und mit anderen Hochschulenund Initiativgruppen ins Gesprächkommen, die ähnliche oder gleiche Zieleverfolgen. Erwünscht sind Beiträge zuHochschulmanagement als kreativer Beteiligungsprozess,Organisationsentwicklungsprozessein Hochschulen/in Fakultätenunter Einschluss des Ziels verbesserterPartizipation von Frauen und der Integrationvon Frauen-/Geschlechterforschung inStudienreform und Forschungsprofil,Auswirkungen von Gleichstellungspolitikauf Personalentwicklung und Qualitätssicherungim Hochschulreformprozess, Instrumenteder neuen Steuerung undGleichstellungsfortschritte, z.B. Anreizsysteme,Evaluation, Controlling, Zielvereinbarungen,Übergänge von „Frauenförderung“zu „gender mainstreaming“ in Hochschulen,Motivierung und Aktivierung vonAkteuren und Akteurinnen im gendermainstreaming – top down, bottom up.<strong>Info</strong>rmation und Kontakt:Tel. 0049 (0)231 755-6056/ -6058/ -5868e-mail: quer@verwaltung.uni-dortmund.dehomepage: http://www.verwaltung.unidortmund.de/quer/index.htm__________________________________161


___________________________________________________________________________<strong>IFF</strong>-FORSCHUNGSREIHE_________________________________________________________________________________Das Interdisziplinäre Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>) der Universität Bielefeld veröffentlichtin der <strong>IFF</strong>-Forschungsreihe in kleineren Auflagen und zum Selbstkostenpreis Texte aus derArbeit des <strong>IFF</strong>, die unserer Meinung nach die Diskussion in der Frauenforschung und über dieFrauenforschung hinaus anregen können. Ein Schwerpunkt der Reihe liegt daher auf Arbeitenzu aktuellen Forschungsfragen und neueren theoretischen Konzepten, die unmittelbar der Forschungsarbeitentstammen. Die Reihe bietet jedoch auch Raum für die Dokumentation interessanterEreignisse - Tagungen, Workshops - die das <strong>IFF</strong> initiiert hat, sowie in einzelnenFällen für die Publikation wissenschaftlicher Arbeiten, die uns wichtig sind, aber für denBuchmarkt nicht geeignet oder dort nicht mehr zugänglich sind.Die <strong>IFF</strong>-Forschungsreihe bietet auch Ihnen ein Forum der Kommunikation und Diskussionüber neue Forschungsfragen und -konzepte; die Einladung, sich an unserer Reihe zu beteiligen,gilt sowohl für Kolleginnen, deren wissenschaftliche Biographie schon weiter fortgeschrittenist als auch für Nachwuchswissenschaftlerinnen, die am Beginn ihrer beruflichenLaufbahn stehen.Aktuell erschienen sind folgende Bände:Monika Holzbecher, Hildegard Küllchen, Andrea Löther:Fach- und fakultätsspezifische Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen bei Promotionen<strong>IFF</strong>-Forschungsreihe Band 14ISBN 3-932869-13-3, ca. 130 Seiten, € 7,00Wieso promovieren Frauen weniger häufig als Männer, obwohl sie inzwischen fast 50% derUniversitätsabschlüsse ablegen und häufig das Studium mit besseren Ergebnissen als ihreKommilitonen abschließen? Die Studie, die 1999/2000 an der Universität Bielefeld durchgeführtwurde, sucht mit einer Befragung der Absolventinnen und Absolventen sowie mit ausgewähltenExpertInneninterviews an einer Fakultät darauf Antworten. Beleuchtet werden insbesonderedas Studienerleben, die ersten Schritte in die Wissenschaft sowie die Zukunftsperspektiven.In vielen Felder zeigen sich hier deutliche Unterschiede zwischen Männern undFrauen sowie zwischen denjenigen, die eine Promotion anstreben oder nicht. Eine Aufschlüsselungnach Fächergruppen macht Ansätze von fachspezifischen Unterschieden deutlich. DieErgebnisse münden in Empfehlungen an die Hochschulpolitik.Monika Noller:Gleichstellungspolitik und Gender Studies. Studienangebot für Gleichstellungsbeauftragte inVerwaltung und Wirtschaft (Machbarkeitsstudie)<strong>IFF</strong>-Forschungsreihe Band 13ISBN 3-932869-12-5, 100 Seiten, € 6,50162


Durch die Verabschiedung des Landesgleichstellungsgesetzes NRW (LGG) 1999 wurde dieStellung der Gleichstellungsbeauftragten im öffentlichen Dienst formal enorm gestärkt. Dieerfolgreiche Handhabung des "Instruments LGG" bedarf allerdings einer Positionsrolle, überdie nicht alle Gleich-stellungsbeauftragte verfügen. Daher entstand bei den FrauenStudien derUniversität Bielefeld in Kontakt mit kommunalen Gleichstellungsbeauftragten in NRW dieÜberlegung, eine speziell auf die Tätigkeit und Bedürfnisse von Gleichstellungsbeauftragtenzugeschnittene Zusatzqualifikation in Form eines Fernstudiums zu entwickeln.Die vorliegende Machbarkeitsstudie, die am Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum(<strong>IFF</strong>) der Universität Bielefeld durchgeführt wurde, untersucht die Veränderungen der beruflichenRolle und Position von Gleichstellungsbeauftragten sowie den sich daraus ergebendenWeiterbildungsbedarf. Die Ergebnisse beruhen auf Einzelinterviews sowie auf einer schriftlichenBefragung. Neben Professionalisierungswegen, Fortbildungserfahrungen, Fortbildungsbedarfund beruflichen Perspektiven werden die bisherigen Erfahrungen mit dem LGG unddie Veränderungen der Gleichstellungsarbeit durch Einführung des Gesetzes untersucht. Zudemwerden begleitende Maßnahmen einer erfolgreichen Implementierung des LGG und derWeiterentwicklung der Gleichstellungspolitik in NRW vorgestellt.Hannelore Queisser:Eine Chance für die Region. Existenzgründungen von FrauenBielefeld 2001<strong>IFF</strong>-Forschungsreihe Band 12ISBN 3-932869-11-7, 62 Seiten, € 5,00Die Anzahl der Gründungen von Frauen ist stetig gewachsen: 1999 waren rund 990.000 Frauenals Selbständige tätig, das sind 27 Prozent mehr als 1991. Aber für Frauen erfordert eineUnternehmensgründung immer noch Wagemut, neue und eigene Wege zu gehen in einer ü-berwiegend von Männern geprägten Wirtschaftskultur. Die vorliegenden Studie analysiert dieRahmenbedingungen für Gründerinnen in der Arbeitsmarktregion Bielefeld. Insbesonderewird das regionale Beratungs- und Qualifizierungsangebot für Gründungswillige dahingehendüberprüft, ob auch Frauen angesprochen werden und ob ihre persönliche Situation ausreichendBerücksichtigung findet. Die Ergebnisse der Analyse münden in Handlungsempfehlungenan die arbeitsmarktpolitischen Akteure zur Verbesserung der Bedingungen für Existenzgründerinnenin der Region.Preis zuzüglich Porto von € 1,50 pro SendungBestellung bitte an:Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (<strong>IFF</strong>)Universität Bielefeldz.H. Frau Ursula ReißlandPF 10 01 31, 33501 BielefeldTel.: 0521/106 – 4574, Fax: 0521/106 - 2985E-mail: iff@uni-bielefeld.de163

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