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Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Editorial 4<br />
Thema<br />
Mit Lothar Bisky nach Brüssel<br />
Gerd Sielski 6<br />
Eine bessere Bildung für ein anderes Europa ist nötig -<br />
wachsende Bewegung in europäischen Ländern<br />
Horst Bethge 7<br />
Manifest zur Europawahl<br />
EL Education Working Group 9<br />
Inklusion oder Exklusion durch Bildung?<br />
Anspruch und Wirklichkeit eines Menschenrechts<br />
Mona Motakef 12<br />
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />
(2006 Zeichnung – 2008 Ratifizierung in Deutschland) 19<br />
GEW: Inklusive Bildung – Jetzt<br />
Offener Brief an alle Kultusminister und Ministerpräsidenten der<br />
16 Bundesländer an die Bundeskanzlerin und die Bundesministerin<br />
für Bildung 21<br />
Appell baden-württembergischer Bildungsinitiativen anlässlich des<br />
8. deutschen Schulamoklaufs 22<br />
Aus den Bundesländern<br />
Schulpolitische Konferenz der Fraktion DIE LINKE und der Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />
Sachsen-Anhalt: „Bildung, die ankommt.“<br />
Peter Joseph 25<br />
Schul-Visionen: Welches schulpolitische Konzept verfolgt DIE LINKE<br />
in Sachsen-Anhalt?<br />
Jutta Fiedler 28<br />
Schul-Plan: Unter welcher finanziellen und personellen Situation werden wir<br />
in Zukunft eine gute Schule in Sachsen-Anhalt gestalten können?<br />
Matthias Höhn im Anhang 1-6<br />
1<br />
20
Grundprobleme der Bildungsfinanzierung in Deutschland<br />
Plädoyer für einen nationalen Bildungspakt<br />
Bodo Ramelow 32<br />
Eine gute Schule für Berlin<br />
DIE LINKE 2. Landesparteitag, 2. Tagung 34<br />
Streiklisten im Auftrag des Kultusministeriums?<br />
Michaele Sojka 42<br />
Diskussion<br />
Erfahrungen aus 40 Jahren Einheitsschule in der DDR –<br />
Impulse für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule<br />
Günter Wilms 43<br />
Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule?<br />
Zur Perspektive zweier Reformmodelle nach PISA 2006<br />
Valentin Merkelbach 47<br />
Selbst verantwortete Schule – selbst verwalteter Mangel<br />
Ulrik Ludwig 62<br />
Aus dem Bundestag<br />
Schavan schreibt bei der <strong>Linke</strong>n ab<br />
Nele Hirsch 69<br />
Mehr Privat als Staat - FDP-Bildungspolitik auf dem Holzweg<br />
Volker Schneider 70<br />
Im Ausland erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse anerkennen<br />
Sevim Dagdelen 72<br />
Information/ Rezension<br />
Kindergrundsicherung und Chancengleichheit in der Bildung<br />
Rosemarie Hein 74<br />
GEW: „<strong>Die</strong> Richtung stimmt – Ausgaben für Infrastruktur jetzt<br />
um ‚Investitionspaket Bildung’ ergänzen“ 75<br />
Gemeinsame Pressemitteilung: BER – DPhV – Didacta Verband – GEW –<br />
VBE – VdS Bildungsmedien.<br />
Appell an Bund und Länder: Auch in Bildungsqualität investieren. 76<br />
2
Neuerscheinungen:<br />
Was war unsere Schule wert?<br />
Volksbildung in der DDR.<br />
Verlag Das Neue Berlin, 2009 77<br />
Karl-Heinz Braun: Wenn Bildung nicht ankommt: Schulversagen.<br />
Analysen und Alternativen<br />
Hrsg.: Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2009 78<br />
Veranstaltungen / Termine<br />
Berlin-Brandenburger Forum<br />
2.Halbjahr 2009 79<br />
In eigener Sache<br />
Einladung zur Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft am<br />
9./10.5.2009 in Berlin<br />
Rückmeldung 80<br />
Was ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik und was will sie?<br />
Teilnahmeerklärung 82<br />
Bunte Reihe / Beihefte 84<br />
Bestellung 86<br />
Anhang Seite 1-6<br />
3
Editorial<br />
Der Europaparteitag von Essen ist Geschichte und schon steht der Parteitag in Berlin – am<br />
20. und 21. Juni – ins Haus.<br />
Bildungspolitik ist ein Schwerpunkt sowohl bei der Europawahl als auch bei der<br />
Bundestagswahl.<br />
<strong>Die</strong> Bundesarbeitsgemeinschaft und die Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik haben<br />
ihre Vorschläge für die Wahlprogramme eingebracht und mobilisieren ihre Mitglieder für die<br />
bildungspolitische Auseinandersetzung im Wahlkampf.<br />
Es hat auch ein Treffen der bildungspolitischen Sprecher von Parteien der EL in Brüssel<br />
stattgefunden. Horst Bethge war dabei und berichtet darüber. Es gibt auch ein gemeinsames<br />
Arbeitspapier, das wir veröffentlichen.<br />
Bildung als Menschenrecht verwirklichen, ist die Grundforderung der Partei DIE LINKE.<br />
Der Kampf hat sich gelohnt. Endlich ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit<br />
Behinderungen auch in Deutschland ratifiziert.<br />
Mona Motakef untersucht in ihrem Beitrag Anspruch und Wirklichkeit. Sie spricht auch die<br />
Forderung nach Inklusion an. <strong>Die</strong>se Problematik wird in diesen Tagen auch besonders<br />
diskutiert auch im Zusammenhang mit dem Gewerkschaftstag der GEW.<br />
Baden-Württembergische Bildungsinitiativen wenden sich mit einem Offenen Brief an die<br />
Kultusminister und Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer, an die Bundeskanzlerin und die<br />
Bundesministerin für Bildung aus Anlass des 8.deutschen Schulamoklaufs. <strong>Die</strong> Sprecher der<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft unterstützen namens der BAG Bildungspolitik das Anliegen des<br />
Appells.<br />
Ein wichtiges Thema im Wahlkampf wird die Schulpolitik sein. Eine Schule für alle und wie<br />
kommen wir dahin.<br />
In Sachsen - Anhalt fand eine Schulpolitische Konferenz statt, auf der das Konzept der<br />
LINKEN im Land detailliert dargestellt wurde. Peter Joseph berichtet.<br />
Jutta Fiedler befasst sich mit der Frage: Welches schulpolitische Konzept verfolgt die LINKE in<br />
Sachsen-Anhalt , Matthias Höhn greift das Thema auf, in welcher finanziellen und personellen<br />
Situation in Zukunft eine gute Schule in Sachsen-Anhalt gestaltet werden kann und Bodo<br />
Ramelow leistet einen Beitrag zu Grundproblemen der Bildungsfinanzierung in Deutschland<br />
und plädiert für einen nationalen Bildungspakt.<br />
Der 2.Landesparteitag der LINKEN hat ein Programm zum weiteren Ausbau der<br />
Gemeinschaftsschule beschlossen. Es ist ein weitreichender Plan in die Zukunft, dessen<br />
Umsetzung eine verschärfte Auseinandersetzung auch mit dem Koalitionspartner SPD und<br />
dem Bildungssenator Jürgen Zöllner erfordert.<br />
PädagogInnen streiken in Thüringen und das Kultusministerium führt Streiklisten? Michaele<br />
Sojka geht der Sache nach.<br />
Ein Blick in die Geschichte ist immer interessant. Günter Wilms vermittelt Erfahrungen aus 40<br />
Jahren Einheitsschule in der DDR als Impuls für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule.<br />
Zur Diskussion regt ein zugegeben längerer Artikel von Valentin Merkelbach an. Wenn auch<br />
gefragt werden muss, welche Auffassung von Gemeinschaftsschule dahinter steht, so ist hier<br />
doch eine profunde Analyse zum Stand und den Entwicklungstendenzen der<br />
Reformbestrebungen in verschiedenen Bundesländern vorgelegt worden.<br />
4
Neuerlich gibt es auch Diskussionen zum Problem „Selbständige“ Schule. Ulrik Ludwig hat<br />
aus linker Sicht seine Meinung aufgeschrieben.<br />
Aus dem Bundestag bringen wir Reden von Vertretern unserer Fraktion.<br />
Wir informieren über Standpunkte von Rosi Hein zur Kindergrundsicherung und der GEW, die<br />
fordert, auch mehr in die Bildungsqualität zu investieren.<br />
Hinweise auf Neuerscheinungen schließen die Ausgabe 3/2009 ab.<br />
Am 9. und 10. Mai kommt die Bundesarbeitsgemeinschaft in Berlin zusammen.<br />
Wir laden ein. Bitte die Rückmeldung beachten. Euer Gerd Sielski<br />
5
Thema<br />
Mit Lothar Bisky nach Brüssel<br />
Gerd Sielski<br />
Der Parteitag in Essen hat es mit großer Mehrheit beschlossen, dass Lothar Bisky die Partei in<br />
den Europawahlkampf führt.<br />
Beschlossen ist das Europawahlprogramm und die Kandidaten für die Wahlen zum<br />
Europäischen Parlament am 7.Juli 2009 stehen fest.<br />
Schwerpunkte des Programms unter den Stichworten „Solidarität, Demokratie, Frieden“ sind<br />
der Kampf für ein soziales und gerechtes Europa, gegen Militarisierung der EU und den<br />
Vertrag von Lissabon.<br />
<strong>Die</strong> Regierung hat einen Rettungsschirm für Banken ausgebreitet. Wir brauchen einen<br />
Rettungsschirm für die Menschen. Wir sagen Ja zur Schaffung von Arbeitsplätzen im<br />
öffentlichen Sektor. Der Investitionsstau dieser Gesellschaft liegt in der Kultur, in der Bildung,<br />
im Sozialen, in Pflege und Gesundheit und in ökologischen Lösungen. Das demokratische und<br />
solidarische Europa braucht einen neuen Anfang. Das geht nicht von heute auf morgen. Doch<br />
es gibt viele Menschen, die auf ein soziales und friedliches Europa setzen, so der<br />
Parteivorsitzende.<br />
Wir brauchen ein demokratisches Europa für die Jugend, für alle Menschen, unterstrich die<br />
Vertreterin der EL auf dem Parteitag.<br />
Erstmals sind in ein Europawahlprogramm der LINKEN Forderungen zur Bildungspolitik<br />
aufgenommen, dem Antrag der Koordinierungsgruppe der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Bildungspolitik ist vom Parteitag entsprochen worden.<br />
DIE LINKE fordert bessere Bildung für ein anderes Europa.<br />
Ein demokratisches Europa braucht gute und demokratische Bildungssysteme.<br />
DIE LINKE tritt für ein Umsteuern in der europäischen Bildungspolitik ein. <strong>Die</strong> schrittweise<br />
Privatisierung von Bildungseinrichtungen und das Herausbilden einer kleinen Bildungselite<br />
müssen gestoppt werden. Bildung ist ein Menschenrecht und keine Ware. Sie muss allen<br />
Menschen offen stehen – unabhängig von ihrer kulturellen und sozialen Herkunft.<br />
(Siehe dazu auch: Zukunftswerkstatt linke Bildungspolitik 2/2009)<br />
Allen Kandidaten unseren Glückwunsch zur Wahl auf die Liste. Mit Ruth Firmenich, Ulrike<br />
Voltmer und Sascha Wagener haben wir kompetente Streiter auch für eine neue Kinder- und<br />
Jugendpolitik sowie Bildungspolitik in Europa.<br />
Gehen wir selbstbewusst in den Wahlkampf. Wir haben allen Grund dafür.<br />
Setzen wir all unsere Kraft ein, damit unsere Kandidaten bei der Europawahl gewählt und in<br />
das Europäische Parlament einziehen werden.<br />
Das Signal der LINKEN aus Essen heißt: Gemeinsam für den Wechsel in Europa!<br />
6
Eine bessere Bildung für ein anderes Europa ist nötig -<br />
wachsende Bewegung in europäischen Ländern<br />
Horst Bethge<br />
Am 28. 2. 09 traf sich in Brüssel im EL-Büro die „Education working group“ in der EL.<br />
VertreterInnen von Synaspismos (Gr), Rifondazione (IT), Dei Lenk (LUX), Linksblock (P), Left of<br />
Catalonia (ESP), Partei der Arbeit (CH), Izquierda (SP) und DIE LINKE trafen sich zu einer<br />
Arbeitssitzung zur gemeinsamen Bildungspolitik, auch mit Blick auf die Wahlen.<br />
1. Länderkurzberichte:<br />
• In Portugal entwickeln sich immer größere Proteste zur Verteidigung der<br />
öffentlichen Schulen, gegen die „Bürokratisierung“ (worunter die Portugiesen<br />
die enorme Zunahme der Testerei verstehen), gegen die mangelhafte<br />
Ausstattung der Bildungseinrichtungen.<br />
• In Luxemburg gab es einen Schülerstreik gegen die zunehmende<br />
Flexibilisierung im Bildungswesen auf Grund der neoliberalen Bildungsreform<br />
2002, deren Auswirkungen jetzt sichtbarer werden.<br />
• In der Schweiz mehrten sich vor allem die Proteste gegen das zunehmende<br />
Sponsoring von Hochschulen und Lehrstühlen durch die Industrie.<br />
• In Italien, das nach der Föderalisierung des Schulsystems (für das jetzt die 20<br />
Regionen zuständig sind, was 20 Schulsysteme bedeutet), gab es<br />
Massenproteste gegen die Zerschlagung des erfolgreichen integrativen<br />
Grundschulsystems durch Berlusconi. 15 000 Lehrer sollten entlassen werden<br />
(Budgetkürzung), die Klassenfrequenzen erhöht, der Fachunterricht<br />
abgeschafft werden. Studenten kämpften mit Lehrern, Schülern und Eltern<br />
(und ihren Gewerkschaften und Organisationen) gemeinsam erfolgreich:<br />
Berlusconi musste die „Reform“ aufschieben. Rifondazione hat ein Handbuch<br />
„Richtlinien für Lehrer und Eltern- was sie tun können“ herausgegeben.<br />
• Das spanische Bildungswesen ist in der tiefsten Bildungskrise seit langem.<br />
Dagegen gab es die größten Streiks und Demos, die Spanien seit 4 Jahren<br />
gesehen hatte- gegen den Bologna- Prozess innerhalb der Lissabon-Strategie.<br />
• <strong>Die</strong> griechischen Proteste, die sich zu regelrechten Jugendkämpfen entwickelt<br />
haben, sind Europaweit bekannt geworden. Weniger bekannt sind die<br />
Lehrerstreiks (Gehälter, Ausbildung) und die anhaltenden Besetzungen von<br />
Schulen und Uni-Instituten im ganzen Land. Synaspismos unterstützt alle diese<br />
Proteste, KKE tritt für Ordnung an den Einrichtungen ein.<br />
• In der BRD gab es Schülerstreiks gegen die überkommene Schulstruktur,<br />
personelle und finanzielle Mängel und das Lernklima, Lehrerstreiks wegen<br />
Erhöhung der Gehälter, Volksbegehren wegen Kita- Zahlungen der Eltern,<br />
Schulwegskosten, Schulschließungen und für Eine Schule für Alle sowie<br />
anhaltende Proteste gegen die Studiengebühren.<br />
• Auch auf die anhaltenden Streiks in Frankreich wurde hingewiesen (erstmals<br />
seit langem haben die acht großen Gewerkschaftsbünde zusammengewirkt!),<br />
die Sarkozy zwangen, zum zweiten Mal in kurzer Zeit seine „Reform“<br />
auszusetzen- diesmal die „Reform“ des Wissenschafts-Mittelbaus.<br />
7
2. Arbeit am „Europäischen (Bildungspolitischen) Manifest“ vom Juli 2008:<br />
Ergänzungen und Kritik, vor allem aus Griechenland, wurden eingearbeitet. Mehr dazu,<br />
wenn der Text vorliegt (den wir in der BRD übersetzen und verbreiten wollen als ein<br />
Mittel im Europawahlkampf).<br />
3. Bildung in der Krise:<br />
Der in Luxemburg erarbeitete dreiseitige, französischsprachige Text wurde gründlich<br />
diskutiert und bearbeitet. Er schätzt die aktuelle Lage ein und stellt heraus, dass die<br />
EL im Europawahlkampf vor allem an drei „Fronten“ engagieren will:<br />
1. <strong>Die</strong> gesellschaftliche Verantwortung für das Bildungswesen zu festigen und<br />
den öffentlichen Sektor zu rekonstruieren im Sinne einer „Schule“ der<br />
Emanzipation.<br />
2. Alle Formen der Ungleichheit und Exklusion, die ihren Ursprung in der<br />
gesellschaftlichen Spaltung der Gesellschaft haben, zu bekämpfen und<br />
abzubauen, sei es die aus dem Geschlecht, der Ethnie oder Urbanisation oder<br />
der psychischen bzw. physischen Behinderung<br />
3. Ein Wissen und Lerntechniken für alle zu garantieren, die nötig sind, die Welt<br />
von heute zu begreifen und aktiv darin teilnehmen zu können, speziell an dem,<br />
was Wissensgesellschaft genannt wird.<br />
4. Kernforderungen für den Europawahlkampf:<br />
<strong>Die</strong> folgenden Stichworte wurden zusammengetragen und diskutiert:<br />
1. Gegen soziale Selektion, sei es durch die Bildungsstruktur, Inhalte oder<br />
Methoden- für eine inklusive und integrierende Pädagogik und Bildungspolitik<br />
2. 7 % Bildungsausgaben für Bildung (ohne Forschung) als Investition zu rechnen<br />
in den aktuellen Antikrisenprogrammen<br />
3. Gebührenfreie Bildung, vom Kindergarten bis zur Hochschule. Freie Lehr- und<br />
Lernmittel.<br />
4. Für bessere Aus- und Weiterbildung der PädagogInnen, gegen Flexibilisierung<br />
und Prekarisierung der PädagogInnen- Arbeit<br />
5. Berufliche Erstausbildung für alle als Recht, lebenslanges Lernen für alle, und<br />
zwar nicht nur als berufliche Weiterbildung. Dafür staatliche Verantwortung.<br />
6. Bildung im emanzipierenden Sinn<br />
7. Für die Weiterentwicklung, nicht den Abbau des öffentlichen Bildungssektors<br />
<strong>Die</strong> Forderung nach „Längerem gemeinsamen Lernen“ ist für alle anderen kein Thema,<br />
da dies bereits in ihrem Bildungssystem realisiert wird.<br />
5. <strong>Die</strong> vom EL-Vorstand im Januar 2009 und dem 2. EL-Kongress in Prag (23.-25.11.08)<br />
gefassten Beschlüsse „Den Bologna-Prozess abschaffen, für eine Hochschulpolitik,<br />
die freies Wissen und freie Wissenschaft für alle ermöglicht“ und „Aktuelle<br />
bildungspolitische Situation in Europa“ sollen aktualisiert werden.<br />
Horst Bethge nahm im Auftrag der Koordinierungsgruppe der BAG Bildungspolitik an dem<br />
Treffen teil.<br />
8
Manifest zur Europawahl<br />
EL Education Working Group<br />
Über die Bildungskrise<br />
Während der letzten fünf Jahre gab es in Europa starke Protestbewegungen im<br />
Bildungsbereich. Sie sind ein Zeichen dafür, dass die neoliberale Bildungspolitik misslungen<br />
ist. <strong>Die</strong> Bildungskrise zeigt sich darin, dass es nicht gelang, die Inhalte und Methoden den<br />
neuen Anforderungen der gegenwärtigen Welt anzupassen. Ebenso misslang es, die Systeme<br />
so zu demokratisieren, dass allen gesichert wird, am kulturellen Leben teilnehmen zu<br />
können. .<br />
Das Allgemeine <strong>Die</strong>nstleistungsabkommen (GATS), in der WTO 1994 unterzeichnet, die beim<br />
Lissaboner Gipfel der EU 2000 ausgearbeitete Strategie, die OECD-Empfehlungen, die PISA-<br />
Vergleiche der Bildungssysteme - sie alle haben kritisiert:<br />
<strong>Die</strong> gegenwärtigen Bildungssysteme seien zwar kostenaufwändig, sie kämen aber dem Bedarf<br />
der Wirtschaft nicht nach, sie seien nicht leistungsfähig genug.<br />
Überdies: Durch die Liberalisierung, die kommerzielle Öffnung der Bildungssysteme können<br />
die multinationalen Konzerne heutzutage schulische Bedarfsgüter, Bildungsdienstleistungen<br />
und -module wie Handelswaren ein- und verkaufen.<br />
Der Rückschritt, der durch solcherart neoliberale Politik verursacht wird, gefährdet auch alle<br />
bisher erzielten Errungenschaften.<br />
Wahrlich, diese Politiken bringen formelle Bildungssysteme hervor, die mit unterschiedlicher<br />
Geschwindigkeit unter dem Druck des Wettbewerbs das jeweilige nationale Bildungswesen<br />
ruinieren und die Grundlagen der Kultur zerstören.<br />
Zahlreiche Protestbewegungen leisten diesem Prozess überall in Europa Widerstand.<br />
1. Für die Wiederherstellung des Rechts auf öffentliche und gebührenfreie Bildung<br />
Das Recht auf offen zugängliche Bildung bedeutet zuallererst, dass alle Leistungen im<br />
Bildungsbereich, von den Tagesmüttern und Kitas bis hin zu den Hochschulen, gebührenfrei<br />
sein müssen. Deshalb ist eine ausreichende öffentliche Finanzierung notwendig, und zwar in<br />
Höhe von zumindest 6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP, GDP). <strong>Die</strong> Europäische Linkspartei<br />
(EL) ist dagegen, dass sich irgendwelche caritative und religiöse Institutionen die<br />
frühkindliche Bildung aneignen und unterordnen. Eine Politik, die auf die Verminderung der<br />
öffentlichen Finanzierung des Bildungswesens zielt, führt auch zu Privatisierungen im<br />
Hochschulwesen In der Grundlagenforschung , speziell in der Bildungsforschung, hemmt das<br />
fast jeden Schritt nach vorn. Es höhlt die Unabhängigkeit der Universitäten aus und unterwirft<br />
sie der Abhängigkeit von Sponsoren und privaten Firmen. Öffentliche Bildung ist immer nur<br />
möglich bei staatlicher Verantwortung und staatlicher Organisation. <strong>Die</strong>nstrechtliche<br />
Regelungen für das Lehrpersonal und alle anderen Beteiligten müssen deren Unabhängigkeit<br />
garantieren. <strong>Die</strong> EL opponiert deshalb gegen alle Managementsysteme, die den Modellen aus<br />
der Privatwirtschaft folgen, einschließlich der Allmacht für Direktorate. Lehrpersonal und<br />
Studierend zu heuern und zu feuern, um die Mittel zu konkurrieren und die wissenschaftliche<br />
Erkenntnisgewinnung und Meinungsbildung zu überwachen.<br />
2. Der Kampf gegen alle Formen der Chancenungleichheit und Exklusion<br />
Um Chancenungleichheit und Exklusion bekämpfen zu können, muss die Bildung unter einer<br />
gemeinsamen Regie und in einem gemeinsamen Schulmodell für alle vereint werden. Alle<br />
9
Schüler gleichen Alters sollen gemeinsam lernen können. Solch ein Bildungssystem sollte alle<br />
Kinder, beginnend im Alter von 3 Monaten in einem Netzwerk von Krippen und Kitas<br />
aufnehmen. Spezialbildende Elemente dürfen erst am Ende der Pflichtschulzeit zum Einsatz<br />
kommen. Also etwa im 18. Lebensjahr. Schulen und andere Bildungseinrichtungen sollten<br />
nicht das Recht haben, sich der Verantwortung für schwache Schüler zu entledigen, indem sie<br />
diese einfach in Bildungsghettos abschieben. <strong>Die</strong> EL fordert ein Bildungssystem, das die<br />
Unterschiedlichkeit der SchülerInnen berücksichtigt und jedem denselben Zugang zu Wissen<br />
und Kultur ermöglicht, Chancenungleichheit bekämpft und nicht Misserfolge oder<br />
Entwicklungsverzögerungen zum Maßstab des Vorgehens erhebt. Schulen müssen eine<br />
heterogene Wege erlaubende Kultur fördern.<br />
3. Jedem den Zugang zum Wissen garantieren<br />
<strong>Die</strong> EL kämpft für ein Bildungssystem, das SchülerInnen ermöglicht, ein kritisches<br />
Bewusstsein zu entwickeln. Das erfordert auf Hochschulniveau eine enge Verbindung von<br />
Lehre und Forschung ebenso wie ein von Markterfordernissen unabhängiges<br />
Forschungssystem. In der Berufsbildung verweigert sich die EL der Fragmentierung der<br />
Berufsbildungssysteme in verschiedene unverbundene Module. Sie unterstützt eine<br />
integrierte Ausbildung, die auch den Zugang zum Universitätsstudium eröffnet sowie auf ein<br />
lebenslanges Lernen vorbereitet.<br />
Bildung darf nicht den Anforderungen des Arbeitsmarktes unterworfen werden. Mehr noch: Es<br />
sollte mehr Nachdruck auf aktive Lernmethoden, auf Selbsttätigkeit, auf Experimentieren<br />
und Gemeinschaftsarbeit gelegt werden. <strong>Die</strong> kulturelle und künstlerische Bildung ist zu<br />
fördern, ohne irgendeine Form des Ausdrucks (körperlich, dramatisch, plastisch, musikalisch<br />
usw.) oder des Wissenserwerbs zu marginalisieren. In einem demokratischen Bildungssystem<br />
müssen den Schülern und Studenten eigene Rechte eingeräumt werden. Alle<br />
Hochschuldiplome sind in ganz Europa anzuerkennen. Überall ist die Zusammenarbeit mit den<br />
Eltern weiter zu entwickeln.<br />
<strong>Die</strong> EL kämpft gegen die neoliberale Bildungspolitik. Sie fordert:<br />
• <strong>Die</strong> Erhaltung bzw. die Wiederherstellung eines öffentlichen Bildungssektors,<br />
unabhängig von parteipolitischen, religiösen und ökonomischen Machteinflüssen.<br />
• <strong>Die</strong> Verhinderung jeder Art von Privatisierungen. <strong>Die</strong> Bildungsinvestitionen sind<br />
unzulänglich. So wird zudem eine Privatisierung des Schul- und Hochschulsystems<br />
vorbereitet. <strong>Die</strong>ser Trend ist umzukehren.<br />
• Freie und weltliche Bildung für alle ohne Ausnahmen, unabhängig vom sozialen<br />
oder ethnischen Herkommen, der Klasse oder Religion.<br />
• <strong>Die</strong> Sicherstellung der Koedukation von Mädchen und Jungen.<br />
• <strong>Die</strong> Bekämpfung von Diskriminierung durch Migrations- und<br />
Urbanisationsbedingungen, stattdessen die Integration von Kindern mit<br />
Migrationshintergrund und die Respektierung ihrer sprachlichen und kulturellen<br />
Charakteristika.<br />
10
• <strong>Die</strong> Garantie einer inklusiven Bildung für alle mit besonderem Förderbedarf,<br />
einschließlich der erforderlichen Infrastruktur, um Zugang und Förderung<br />
entsprechend den Förder- Erfordernissen auch wahrnehmen zu können.<br />
• Allgemeine Schulpflicht bis zum 18. Lebensjahr.<br />
• <strong>Die</strong> Garantie, dass alle den Zugang zum Wissen zum Verständnis der Welt<br />
erhalten- und die technischen Möglichkeiten dazu-, damit es jedem ermöglicht<br />
wird, einen aktiven Part zu ihrer Gestaltung zu spielen.<br />
• <strong>Die</strong> Beendigung von flexibilisierten und prekarisierenden Arbeitsverhältnissen im<br />
Bildungsbereich.<br />
Der Kampf gegen die neoliberale Agenda ist ein Anti-Krisen-Programm, ist ein Kampf<br />
um bessere Bildung!<br />
Brüssel, 28. 2. 09<br />
(Nichtautorisierte Übersetzung)<br />
11
Inklusion oder Exklusion durch Bildung?<br />
Anspruch und Wirklichkeit eines Menschenrechts<br />
Mona Motakef<br />
Über die hohe Bedeutung von Bildung für die Verteilung von Teilhabechancen besteht Konsens.<br />
Ob in der Bildungsforschung oder der -politik, bei Eltern- oder Wirtschaftsverbänden,<br />
niemand würde vermutlich den Autorinnen und Autoren des 3. Armut- und Reichtumsberichts<br />
der Bundesregierung zu ihren Ausführungen zu Bildungschancen widersprechen:<br />
„Bildung ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung, um Zugang zum Arbeitsmarkt<br />
zu erhalten. Indem sie die individuellen Potenziale stärkt und erweitert, ist sie ein<br />
Schlüssel für kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe“ (BMAS 2008: 58).<br />
Vor dem Hintergrund der bekanntermaßen engen Kopplung von sozialer Herkunft und<br />
Bildungschancen in Deutschland sollte nicht darüber hinweg getäuscht werden, dass diese<br />
Aussage normativ ist. Sie spricht eher eine Zukunftsvision aus, als das sie sich als Analyse<br />
des Faktischen erweist. Tatsächlich wäre an Stelle des Indikativs der Imperativ, Bildung muss<br />
ein Schlüssel für Teilhabe sein, angemessener. Denn dieser Imperativ ist mit dem<br />
Menschenrecht auf Bildung in Deutschland gesetzlich verankert.<br />
Dagegen belegt die Bildungsforschung seit den 1960er Jahren 1 und insbesondere die PISA-<br />
Studie öffentlichkeitswirksam seit 2001, dass in Deutschland Bildungschancen vererbt<br />
werden. <strong>Die</strong> Schule übernimmt hierbei die Funktion, Kinder bereits in einem frühen Alter auf<br />
unterschiedliche Schulformen zu verteilen, in denen sie in der Regel verbleiben: Das Kind von<br />
Akademikern wird studieren, das Kind von ungelernten Arbeitern wird es ebenfalls seinen<br />
Eltern nach machen. 2 Bei Kindern, deren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, ist die<br />
Kopplung zwischen Herkunft und Abschluss noch größer (BMAS 2008: XXXVIII).<br />
Bildung ist nicht nur der zentrale Schlüssel für soziale Teilhabe, durch Bildung, d.h. durch das<br />
Bildungssystem wird Teilhabe auch massiv verhindert. Deutlich wird, dass es auf das wie, auf<br />
die Form und die Ziele von Bildung ankommt. Bildung muss gewissen Qualitätskriterien<br />
entsprechen. An sich ist Bildung mitnichten das Heilmittel für Chancengleichheit. Welchen<br />
Kriterien soll Bildung folglich entsprechen, so dass sie als Inklusionsstrategie genutzt werden<br />
kann?<br />
In diesem Beitrag nehme ich eine menschenrechtliche Perspektive auf Bildung ein. Wie in<br />
Deutschland leider kaum bekannt ist, ist Bildung ein Menschenrecht, dass, wie alle anderen<br />
Menschenrechte auch, für alle Menschen gleichermaßen gilt. Es gilt das Gebot der<br />
Diskriminierungsfreiheit. Im Folgenden stelle ich das Menschenrecht auf Bildung mit dem ihm<br />
inhärenten Diskriminierungsverbot dar und erläutere die Strukturelemente dieses Rechts.<br />
Abschließend weite ich den Blick: Mit der Vorstellung der bildungspolitischen Anstrengungen<br />
und formulierten Ziele der UNESCO verfolge ich das Anliegen, an internationale Diskurse zum<br />
Menschenrecht auf Bildung anzuknüpfen.<br />
1. Bildung als Menschenrecht<br />
Menschenrechte haben ihren Grund in der Würde des Menschen. Sie sind nicht an besondere<br />
Leistungen gebunden, sondern kommen jeder Person, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihres<br />
Geschlechts oder ihrer sozialen Herkunft zu. <strong>Die</strong> Würde des Menschen findet in den<br />
1<br />
Vgl. Dahrendorf 1965; Picht 1965; Bourdieu/Passeron 1971.<br />
2<br />
Daten zum engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen bietet die<br />
Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008; BMAS 2008; in Bezug auf die Ergebnisse der PISA-<br />
Studie Stompe 2005.<br />
12
Menschenrechten ihre politisch-rechtliche Anerkennung und ihren Schutz. Da alle Menschen<br />
in ihrer Würde gleich zu achten sind, haben die Menschenrechte universelle Geltung – quer zu<br />
den Differenzen der Kulturen, Religionen oder Weltanschauungen. Rechtliche Verbindlichkeit<br />
erhalten Menschenrechte in nationalen Verfassungen und internationalen Konventionen.<br />
Menschenrechte sind in der Auseinandersetzung mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit<br />
gefordert und in Gesetzesverträgen festgeschrieben worden. Unter dem Eindruck zweier<br />
Weltkriege und der Existenz kolonialer Herrschaftssysteme setzte sich mit Gründung der<br />
Vereinten Nationen die Überzeugung durch, dass Einzelstaaten allein Menschenrechte nicht<br />
sichern können. <strong>Die</strong> Verantwortung für die Verwirklichung der Menschenrechte wurde als<br />
eine Aufgabe der Völkergemeinschaft definiert, die im Rahmen eines internationalen<br />
Menschenrechtsschutzsystems zusammenarbeiten sollte (vgl. Menke/Pollmann 2007).<br />
Vor sechzig Jahren, am 10. Dezember 1948 verkündete die Generalversammlung der<br />
Vereinten Nationen vor diesem Hintergrund die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte<br />
(AEMR). Sie bildet den Ausgangspunkt der gegenwärtigen Debatte um das Menschenrecht<br />
auf Bildung. Artikel 26 der AEMR lautet:<br />
„(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der Unterricht muss wenigstens in<br />
der Elementar- und Grundschule unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht ist<br />
obligatorisch. Fachlicher und beruflicher Unterricht soll allgemein zugänglich sein;<br />
die höheren Studien sollen alle nach Maßgaben ihrer Fähigkeiten und Leistung in<br />
gleicher Weise offen stehen.<br />
(2) <strong>Die</strong> Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und<br />
die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziel<br />
haben. Sie soll Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Völkern<br />
und allen ethnischen oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der<br />
Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigen.<br />
(3) In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der ihren Kindern zuteil<br />
werdenden Bildung zu bestimmen“.<br />
Artikel 26 der AEMR formuliert bereits die vier Kernforderungen des Rechts auf Bildung, die in<br />
späteren Dokumenten weiter ausdifferenziert werden: Erstens soll die Grundbildung<br />
obligatorisch und unentgeltlich gewährt werden. Zweitens dürfen die Erziehungsberechtigten<br />
Bildungsangebote für ihre Kinder wählen. Drittens gilt das Gebot der Diskriminierungsfreiheit,<br />
d.h. kein Mensch ist von dem Recht auf Bildung ausgenommen. Und viertens sind die<br />
Aufgaben und Ziele von Bildung definiert: Sie muss auf die Entfaltung der Persönlichkeit und<br />
auf die Stärkung der Achtung der Menschenrechte gerichtet sein. Dem Recht auf Bildung<br />
kommt damit eine besondere Bedeutung in Bezug auf die Förderung eines Wissens und<br />
Bewusstseins über Menschenrechte zu. Das Recht auf Bildung wird deswegen auch als ein<br />
Recht auf Menschenrechtsbildung charakterisiert (vgl. Lohrenscheit 2004).<br />
<strong>Die</strong>se Kernforderungen des Rechts auf Bildung werden auf der Ebene der Vereinten Nationen<br />
im Sozialpakt (1966) und in der Kinderrechtkonvention (1989) präzisiert. Darüber hinaus<br />
enthalten auch die Anti-Rassismuskonvention (1965), die Frauenrechtskonvention (1979)<br />
sowie die erst jüngst verabschiedete Behindertenrechtskonvention (2006) zentrale<br />
Bestimmungen zum Recht auf Bildung (vgl. Motakef 2006).<br />
Das Menschenrecht auf Bildung lässt sich als eigenständiges Menschenrecht beschreiben<br />
sowie – vor dem Hintergrund der Vermittlung von Teilhabechancen – als zentrales Instrument<br />
um andere Menschenrechte, wie das Recht auf Gesundheit oder Arbeit zu verwirklichen. Es<br />
ist ein ‚Schlüssel’ für den Zugang zu anderen Menschenrechten. Wenn Kinder und Jugendliche<br />
eine diskriminierungsfreie Bildung genießen, wird es zum Beispiel wahrscheinlicher, dass sie<br />
13
eine Arbeit finden, mit der sie Lebensqualität und Gesundheit verbinden können. Umgekehrt<br />
mindert eine eingeschränkte Gewährung des Rechts auf Bildung die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
eine Person ihr Recht auf Arbeit oder Meinungsfreiheit wahrnehmen kann. Anhand der<br />
Forderung der Unteilbarkeit der Menschenrechte lassen sich, wie eingangs bereits<br />
angedeutet, damit die Grenzen von Bildung ablesen, wenn sie nicht menschenrechtlich<br />
fundiert wird: Der Fokus auf Bildung ist, wenn andere Menschenrechte wie das Recht auf<br />
Gesundheit oder das Recht auf Arbeit außer Acht geraten, nicht zielführend. 3<br />
1. 1 Der Diskriminierungsbegriff des Menschenrechts auf Bildung<br />
Der Schutz vor Diskriminierungen bildet eine Kernforderung aller Menschenrechte. Das<br />
bedeutet, dass jedes Menschenrecht, wie auch das Recht auf Bildung, allen Menschen frei<br />
von Diskriminierung gewährt werden muss. Dimensionen von Diskriminierungen sind<br />
vielfältig. Unterscheiden lässt sich hierbei die direkte von der indirekten Diskriminierung.<br />
Direkte Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund eines anerkannten<br />
Diskriminierungsmerkmals – wie aufgrund des Geschlechts – in einer vergleichbaren<br />
Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person. Sie würde<br />
vorliegen, wenn eine Lehrperson aufgrund ihrer Geschlechterstereotype beispielsweise bei<br />
gleicher Leistung einem Jungen eine schlechtere Deutschnote vergibt als einem Mädchen.<br />
Unter indirekten Diskriminierungen werden Benachteiligungen gefasst, die im Rahmen formal<br />
neutral erscheinender Regelungen für bestimmte Gruppen von Menschen entstehen. <strong>Die</strong>s ist<br />
ein wesentlicher Aspekt des den Menschenrechten inhärenten Diskriminierungsverbotes: Es<br />
zielt eben nicht nur auf die Herstellung formaler Gleichberechtigung, sondern auch auf die<br />
Gewährleistung gleicher Möglichkeiten zur tatsächlichen Ausübung von Menschenrechten. Im<br />
Bildungssystem drücken sich diese etwa dadurch aus, dass Kinder aus Familien mit wenig<br />
soziokulturellem Kapital auf den Haupt- und Sonderschulen überrepräsentiert sind und<br />
entsprechend an den Realschulen und Gymnasien unterrepräsentiert.<br />
1.2 <strong>Die</strong> Forderungen des Rechts auf Bildung<br />
Positiv gewendet ist das Menschenrecht auf Bildung umgesetzt, wenn folgende vier<br />
miteinander verbundene Forderungen umgesetzt sind: <strong>Die</strong> allgemeine Verfügbarkeit von<br />
Bildung, der diskriminierungsfreie Zugang zu Bildung, die Annehmbarkeit sowie die<br />
Adaptierbarkeit von Bildung. <strong>Die</strong>se vier Forderungen bilden die Strukturelemente des Rechts<br />
auf Bildung, die gleichzeitig und im Sinne der Diskriminierungsfreiheit zu gewähren sind.<br />
Wofür stehen diese Forderungen?<br />
<strong>Die</strong> allgemeine Verfügbarkeit von Bildung verlangt, dass Schulen in ausreichendem Maße zur<br />
Verfügung stehen und funktionsfähig sein sollen. Zum Beispiel muss an den Schulen<br />
gewährleistet sein, dass ausgebildete Lehrkräfte unterrichten und ausreichend<br />
Unterrichtsmaterialien vorhanden sind. <strong>Die</strong> Forderung des diskriminierungsfreien Zugangs zu<br />
Bildung schließt mehrere Faktoren mit ein. Keinem Menschen darf der Zugang zu Bildung<br />
rechtlich und faktisch verwehrt werden. Insbesondere für die schwächsten Gruppen muss<br />
Bildung frei zugänglich sein. <strong>Die</strong>s impliziert sowohl die wirtschaftliche als auch den<br />
physischen Zugang. <strong>Die</strong>se Forderung impliziert auch, dass zum Beispiel behinderte<br />
3<br />
Ohne menschenrechtlichen Bezug unterstreicht auch Christoph Butterwegge, dass Bildung<br />
allein Armut nicht überwinden kann. Er plädiert für eine Wirtschaftspolitik, die über<br />
Steuermehreinnahmen arme Familien stärker unterstützt („Bildung schützt vor Armut nicht“,<br />
13.06.2008, Frankfurter Rundschau).<br />
14
Menschen, freien Zugang zu Bildungseinrichtungen haben sollen. <strong>Die</strong> Annehmbarkeit von<br />
Bildung zielt auf die Form und den Inhalt von Bildung. Sie soll „relevant, kulturell angemessen<br />
und hochwertig“ sein (Deutsches Institut für Menschenrechte 2005: 263). <strong>Die</strong> Pädagogik<br />
sowie die Inhalte, die Schulbücher und Unterricht vermitteln, sollen Kinder und Jugendliche in<br />
der Entwicklung ihrer Persönlichkeit fördern. Form und Inhalt von Bildung sollen sich an den<br />
Lebenslagen der Kinder orientieren. Unterrichtshilfen sollen keine falschen oder überholten<br />
Informationen enthalten. In einem engen Zusammenhang mit der Forderung der<br />
Annehmbarkeit steht auch die Adaptierbarkeit der Bildung. Sie muss sich an die<br />
„Erfordernisse sich verändernden Gesellschaften und Gemeinwesen“ anpassen (ebd.). Wenn<br />
sich die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen ändern, dann muss sich das<br />
Bildungssystem darauf einstellen.<br />
Das Recht auf Bildung schließt damit nicht nur Zugangsrechte mit ein, sondern mit der<br />
Forderung nach Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit ebenso Rechte in der Bildung sowie<br />
Rechte durch Bildung (Tomasevski 2001: 12).<br />
1.3 Freiheit vor Diskriminierung in der Bildung<br />
Aus den Menschenrechten lässt sich ein Bildungsbegriff ableiten, der nicht funktionalistisch<br />
ist, also nicht nur auf bestimmte vom Arbeitsmarkt gefragte Kompetenzen zielt, sondern<br />
darauf, dass Menschen ihre Umwelt gestalten. Im Zentrum steht die Idee von einer Bildung,<br />
die Teilhabe ermöglicht.<br />
Mit der Ratifizierung u.a. des UN-Sozialpakts hat sich Deutschland die Verpflichtung auferlegt,<br />
das Gebot der Diskriminierungsfreiheit in der Bildung umzusetzen. <strong>Die</strong>ses Gebot der<br />
Diskriminierungsfreiheit erfordert zum einen faktische Gleichberechtigung. Das heißt, kein<br />
Mensch darf vom Recht auf Bildung ausgenommen werden. Mit der Forderung nach<br />
allgemeiner Verfügbarkeit stellt sich hier z.B. die Frage, ob wirklich überall, auch in<br />
strukturschwachen ländlichen Gegenden mit hoher Abwanderungsquote ausreichend Schulen<br />
vorhanden sind, so dass Kinder und Jugendliche nicht von weit anreisen müssen, um<br />
Unterricht zu besuchen. Wie sieht es für Erwachsene aus, die Alphabetisierungskurse<br />
besuchen möchten? Gibt es ein flächendeckendes Angebot an Kursen? Mit der Forderung<br />
nach dem allgemeinen Zugang zu Bildung stellt sich auch die Frage nach den Bildungsrechten<br />
von Flüchtlingen und Kindern ohne Papiere. Sind sie schulpflichtig oder gilt für sie nur das<br />
Schulbesuchsrecht?<br />
Darüber hinaus geht mit dem Gebot der Diskriminierungsfreiheit auch die Forderung einher,<br />
zu prüfen ob tatsächlich auch trotz formaler Gleichberechtigung alle Menschen ihre<br />
Bildungsrechte einlösen können oder ob indirekte und nicht intendierte Diskriminierungen<br />
dies verhindern. Mit den Forderungen nach Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit lässt sich z.B.<br />
fragen: Warum gibt es in den einzelnen Fächern Geschlechterunterschiede in den Leistungen?<br />
Warum scheitern so oft Jungen in der Schule, insbesondere arme Jungen und Jungen mit<br />
Migrationshintergrund?<br />
<strong>Die</strong> bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass die Frage nach der Umsetzung<br />
des Rechts auf Bildung und insbesondere das Gebot der Nicht-Diskriminierung auch für<br />
Deutschland relevant ist. Abschließend soll der Blick erweitert und auf die Tätigkeiten der<br />
UNESO gerichtet werden. In Deutschland wird in der Regel die Relevanz nach der Frage nach<br />
der Umsetzung von Menschenrechten als irrelevant abgetan. 4 Meines Erachtens wäre es<br />
4<br />
<strong>Die</strong>s belegten auch die abwertenden Reaktionen der Presse und der Politik auf den<br />
Deutschlandbesuch des zweiten UN-Sonderberichterstatters zum Recht auf Bildung Vernor Muñoz im<br />
Februar 2006.<br />
15
jedoch gerade für die deutschsprachige Debatte instruktiv, gäbe es mehr Verknüpfungen mit<br />
den menschenrechtsbasierten internationalen Diskursen zu Bildung.<br />
2. <strong>Die</strong> UNESCO als international tätige Akteurin des Rechts auf Bildung<br />
Eine zentrale und international tätige Akteurin des Rechts auf Bildung ist die „United Nations<br />
Educational, Scientific and Cultural Organization“ (UNESCO). <strong>Die</strong> UNESCO ist eine<br />
Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Paris und hat derzeit 193 Mitgliedsstaaten.<br />
<strong>Die</strong> UNESCO sieht in Bildung das wirksamste Mittel für gesellschaftliche<br />
Entwicklung und damit verbunden die Überwindung von Armut. Zudem gilt Bildung nach wie<br />
vor als das effektivste ‚Mittel’ gegen die Ausbreitung von AIDS.<br />
In den 1980er Jahren bemühte sich die UNESCO insbesondere um eine universelle<br />
Grundschulbildung. Seit den 1990er Jahren vollzog sich eine Wende. Mit dem Bildungsprogramm<br />
‚Education For All’ strebt die UNESCO einen umfassenden Bildungsansatz für alle<br />
Altersgruppen, also auch für Erwachsene, als Grundvoraussetzung für persönliche Entwicklung<br />
und gesellschaftliche Teilhabe an. Bis zum Jahr 2000, so das auf einer Bildungskonferenz<br />
im thailändischen Jomtien formulierte Ziel, sollte es keine Analphabeten mehr geben.<br />
Im senegalesischen Dakar fand zehn Jahre später das von der UNESCO veranstaltete<br />
Weltbildungsforum statt. Weiterhin gab es weltweit etwa 875 Millionen Analphabeten<br />
(BAADEN 2002). In Dakar verpflichteten sich Vertreterinnen und Vertreter von 164 Staaten,<br />
sechs Bildungsziele bis 2015 verwirklicht zu haben. Bei den Bildungszielen bildet<br />
Alphabetisierung weiterhin eine Priorität. Neben diesem Ziel ist die Forderung der Erhöhung<br />
der Bildungschancen von Mädchen ins Zentrum entwicklungspolitischer Interessen gerückt.<br />
Drei von sechs Zielen des auf diesem Gipfel verabschiedeten UNESCO-Bildungsprogramms<br />
sind explizit der Verbesserung der Bildungschancen von Mädchen gewidmet. Darüber hinaus<br />
tragen die Bildungsziele der Einsicht Rechnung, dass es nicht ausreichend ist, nur Schulbesuchsraten<br />
zu erhöhen. Auch die Qualität von Bildung steht mit Dakar im Zentrum bildungspolitischer<br />
Anstrengungen:<br />
Ziele des Aktionsplans Education For All in Dakar/Senegal 2000<br />
1. <strong>Die</strong> Vorschulerziehung und -betreuung soll besonders für sozial benachteiligte<br />
Kinder verbessert werden.<br />
2. Alle Kinder - auch Mädchen, Kinder in schwierigen Lebensumständen und Kinder<br />
von ethnischen Minderheiten - sollen Zugang zu kostenloser, verpflichtender und<br />
qualifizierter Grundschulbildung erhalten.<br />
3. Es soll sichergestellt werden, dass sowohl junge Menschen, als auch Erwachsene<br />
ihren Lernbedürfnissen entsprechend Zugang zu Lernprogrammen haben.<br />
4. <strong>Die</strong> Analphabetenrate soll um 50 Prozent gesenkt werden - besonders unter<br />
Frauen. Ein gerechter Zugang zu Grund- und Weiterbildung soll erreicht werden.<br />
5. Bis zum Jahre 2005 sollen Ungleichheiten im Bildungszugang von Mädchen und<br />
Jungen im Primär- und Sekundärbereich aufgehoben werden. <strong>Die</strong> Gleichheit der<br />
Geschlechter im Bildungsbereich soll bis zum Jahre 2015 erreicht sein.<br />
6. <strong>Die</strong> Qualität der Bildung soll in jeder Hinsicht verbessert werden, so dass<br />
wahrnehmbare und messbare Lernergebnisse von allen Beteiligten erreicht<br />
werden können, besonders in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen und<br />
bei den wesentlichen Lebensfertigkeiten (BAADEN 2002).<br />
Seit 2002 erscheint jährlich ein Weltbildungsbericht, in dem die UNESCO evaluiert, wie weit<br />
sich die Länder den Bildungszielen annähern, zu denen sie sich in Dakar verpflichtet haben.<br />
<strong>Die</strong>ser hat jeweils einen Schwerpunkt, der in Zusammenhang mit den Bildungszielen steht,<br />
16
wie z.B. die Gleichstellung der Geschlechter (2003), Alphabetisierung (2006) und<br />
frühkindliche Bildung (2007). <strong>Die</strong> Autor/innen des Bildungsberichts von 2008 stellen sich die<br />
Frage, wie realistisch es ist, dass die Bildungsziele von Dakar tatsächlich noch bis 2015<br />
verwirklicht werden. Der Bericht weist zwar auf Fortschritte in Richtung einer ‚Education for<br />
all’ hin, verdeutlicht jedoch, dass diese nicht ausreichen, um sich den Bildungszielen bis 2015<br />
zu nähern.<br />
Um der Erreichung der Bildungsziele näher zu kommen, eröffnete der UNO-Generalsekretär<br />
am 13. Februar 2003 in New York die UNO-Dekade zur Alphabetisierung. <strong>Die</strong> Resolution der<br />
UN-Generalversammlung zur Alphabetisierungsdekade appellierte an die Regierungen,<br />
verlässliche Daten zu Analphabetenrate zu eruieren, die Qualität der Bildung zu verbessern<br />
und damit Strategien zur Überwindung von Analphabetismus zu entwickeln. Der UN-<br />
Generalsekretär rief alle Regierungen – auch Industrienationen wie Deutschland – dazu auf,<br />
die sechs Ziele von Dakar zu verwirklichen. Denn gerade die Ziele, die in Verbindung mit<br />
Alphabetisierung stehen, gelten in Deutschland als nicht eingelöst.<br />
Auch in Bezug auf die Bildungssituation von Jugendlichen, die dem dritten Ziel zufolge „ihren<br />
Lernbedürfnissen entsprechend Zugang zu Bildungseinrichtungen haben“ sollten, besteht in<br />
Deutschland noch keine Chancengleichheit. Wie die internationalen Bildungsvergleichstudien<br />
gezeigt haben, entscheidet in Deutschland maßgeblich die soziale Herkunft über die<br />
Bildungskarriere. Hierbei werden auch Mängel in der Umsetzung des sechsten Ziels deutlich:<br />
der Qualität der Bildung. Wenn Bildungsangebote Jugendliche nicht mehr erreichen, müssen<br />
Überlegungen angestellt werden, wie sich die Schule in ihren Inhalten und in ihrer Didaktik<br />
auf ihre speziellen Lernbedürfnisse einstellen kann.<br />
Auch in Bezug auf das erste Ziel, das System der Vorschulbildung, lassen sich in Deutschland<br />
Defizite aufzeigen, die dazu führen können, dass junge Menschen in Deutschland die Schule<br />
verlassen ohne Schreiben, Lesen und Rechnen zu können: Es lässt sich konstatieren, dass es<br />
noch kein ausreichendes Angebot an Vorschulbildung gibt. Mehr als 10 Prozent der<br />
Schulanfänger waren in keiner vorschulischen Einrichtung. Das Fehlen einer geregelten<br />
Vorschulbildung wirkt sich besonders nachteilig für relativ arme Kinder aus.<br />
Herkunftsbedingte Nachteile können nicht kompensiert werden (vgl. BAADEN 2003).<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass trotz zahlreicher Fortschritte, weiterhin großer<br />
Handlungsbedarf besteht. <strong>Die</strong> Autorinnen und Autoren des UNESCO-Berichts (2008) betonen,<br />
dass kein Ziel vorrangig behandelt werden darf, sondern dass die Idee von „Education For All“<br />
auf internationaler Ebene weiterhin Priorität haben muss. Deutlich wurde auch, dass die<br />
Umsetzung dieser Bildungsziele keine ausschließliche Angelegenheit von Entwicklungsländern<br />
darstellt oder höchstens als Thema der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für<br />
Deutschland relevant wird. Zu wünschen bleibt folglich, dass sich auch die deutschsprachige<br />
Bildungsdebatte für die Perspektive des Menschenrechts auf Bildung öffnet.<br />
Diskriminierungsfreiheit in der Bildung sollte nicht nur medienwirksam als moralischer Appell<br />
fungieren, sondern muss strukturell als Instrument für soziale Teilhabe anerkannt und<br />
umgesetzt werden.<br />
3. Literatur<br />
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2008): Bildung in Deutschland. Bielefeld:<br />
Bertelsmann.<br />
Baaden, Andreas (2002): Bildung für Alle bis 2015? <strong>Die</strong> UNESCO und der Aktionsplan von<br />
Dakar, UNESCO heute online 8, 2002.<br />
Baaden, Andreas (2003): <strong>Die</strong> Ausgegrenzten integrieren. <strong>Die</strong> UNO-Alphabetisierungsdekade<br />
ist auch ein Thema für Deutschland. UNESCO heute online 6.<br />
17
BMAS (2008): Lebenslagen in Deutschland: Der 3. Armut- und Reichtumsbericht der<br />
Bundesregierung. Berlin.<br />
Bourdieu, Pierre; Jean-Claude Passeron (1971) : <strong>Die</strong> Illsuion der Chancengleichheit. Stuttgart.<br />
Dahrendorf, Ralf (1965): Bildung ist Bürgerrecht. Hamburg.<br />
Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2005): <strong>Die</strong> „General Comments“ zu den VN-<br />
Menschenrechtsverträgen. Baden-Baden: Nomos.<br />
Lohrenscheit, Claudia (2004): Das Recht auf Menschenrechtsbildung. Grundlagen und<br />
Ansätze einer Pädagogik der Menschenrechte, Frankfurt: IKO.<br />
Menke, Christoph; Arnd Pollmann (2007): Philosophie der Menschenrechte zur Einführung.<br />
Hamburg: Junius.<br />
Motakef, Mona (2006): Das Menschenrecht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung.<br />
Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.<br />
Picht, Georg (1965): <strong>Die</strong> deutsche Bildungskatastrophe. München.<br />
Stompe, Annette (2005): „Armut und Bildung im Spiegel von PISA“ ZTG Bulletin 29+30 Texte.<br />
Tomasevski, Katarina (2001): Human Rights Obligations: Right to Education Primers Nr. 3.<br />
Gothenburg.<br />
UNESCO (2008): Bildung für alle bis 2015 – Werden wir es schaffen. Bonn, 2008.<br />
18
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />
Artikel 24 2006 Zeichnung - 2008 Ratifizierung in Deutschland<br />
<strong>Die</strong> Vertragsstaaten anerkennen das Recht behinderter Menschen auf Bildung. Um die<br />
Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der<br />
Chancengleichheit zu erreichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein inklusives*<br />
Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslange Fortbildung, mit dem Ziel,<br />
a) die menschlichen Möglichkeiten und das Gefühl der Würde und des eigenen Werts voll<br />
zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, Grundfreiheiten<br />
und der menschlichen Vielfalt zu stärken;<br />
b) die Persönlichkeit, die Begabungen und die Kreativität sowie die geistigen und<br />
körperlichen Fähigkeiten von behinderten Menschen voll zur Entfaltung zu bringen;<br />
c) behinderten Menschen die wirksame Teilnahme an einer freien Gesellschaft zu<br />
ermöglichen.<br />
*In der deutschen Arbeitsübersetzung hat die Kultusministerkonferenz inclusive<br />
education system fälschlicherweise mit integratives Bildungssystem übersetzt.<br />
Inklusion: In Bildung und Erziehung die Wertschätzung der Unterschiedlichkeit aller, d.h.<br />
niemand bleibt außerhalb oder wird ausgesondert.<br />
Bei knapp sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler wurde 2006 sonderpädagogischer<br />
Förderbedarf diagnostiziert. Ungefähr die Hälfte dieser Kinder gilt als lernbehindert.<br />
„DIE LINKE tritt als einzige politische Kraft im Bundestag und in den Länderparlamenten<br />
glaubwürdig und konsequent für die Durchsetzung des Rechts auf Bildung für alle ein. Wir<br />
wollen Kindern und Jugendlichen gute Bildung ermöglichen unabhängig von ihrer sozialen<br />
und kulturellen Herkunft sowie unabhängig vom Geschlecht oder einer Behinderung.“<br />
Aus dem Beschluss der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Frankfurt 2009<br />
19
GEW: Inklusive Bildung – Jetzt!<br />
Ziemlich genau zwei Jahre – von Dezember 2006 bis Dezember 2008 – hat es in Deutschland<br />
gedauert, bis die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen alle<br />
parlamentarischen Hürden für die Ratifizierung genommen hat. Es geht der Konvention um<br />
eine inklusive Gesellschaft. Es geht nicht um die „Integration“ von Behinderten, um ihre<br />
Wiedereingliederung, nachdem sie zuvor ausgesondert wurden, es geht um ein anderes<br />
Verständnis von Gesellschaft. Inklusive Gesellschaften sondern nicht aus.<br />
Es gehören alle dazu, seien sie behindert oder nicht, Migranten oder Einheimische, jung oder<br />
alt, Männer oder Frauen, gleich- oder andersgeschlechtlich orientiert. <strong>Die</strong> Weltgemeinschaft –<br />
dies macht die UN-Konvention unmissverständlich klar – will Inklusion.<br />
Vor allem der Bildungsartikel 24 der Konvention erweist sich als große Herausforderung für<br />
die Bildungspolitik, aber auch für die einzelnen Bildungseinrichtungen. <strong>Die</strong> UN-Konvention<br />
fordert ein „inclusive education system“, das wir in Deutschland erkennbar nicht haben und<br />
das von der Mehrheit der Bundesländer auch nicht angestrebt wird. In der deutschen – nicht<br />
autorisierten – Übersetzung wurde deshalb „inclusive education system“ manipulativ mit<br />
„integratives Bildungssystem“ übersetzt. Von Ländern wie Baden-Württemberg wird dies so<br />
interpretiert, dass unser Schulsystem bereits „integrativ“ sei, weil die Sonderschulen den<br />
Auftrag hätten, dass sich die Schüler/innen in die Gesellschaft integrieren könnten. GEW und<br />
Behindertenorganisationen haben diese (Sprach-)Manipulation heftig kritisiert. Gemeinsam<br />
stellen wir uns auf den Standpunkt, dass das englischsprachige Original verbindlich ist und<br />
dass infolgedessen auch Deutschland verpflichtet ist, ein „inklusives Bildungssystem“ zu<br />
entwickeln.<br />
Mit dem Hinweis auf mangelnde Ressourcen oder unzureichende Ausstattung kann Menschen<br />
mit Behinderungen der Zugang zu Kitas, Schulen oder Hochschulen nicht länger verwehrt<br />
werden. <strong>Die</strong> Träger müssen die notwendigen Voraussetzungen bereitstellen und die<br />
Pädagog/innen müssen sich weiterbilden. Vermutlich werden sich die Gerichte demnächst<br />
mit den Fragen befassen, denn die UN-Konvention sieht erstmal auch ein individuelles<br />
Klagerecht vor.<br />
www.gew.de<br />
20
Offener Brief<br />
an alle Kultusminister und Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer,<br />
an die Bundeskanzlerin<br />
und die Bundesministerin für Bildung<br />
Appell anlässlich des 8. deutschen Schulamoklaufs<br />
Baden-Württemberg, 19. März 2009<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
der Amoklauf von Winnenden hat viele Eltern, Schüler und Lehrer tief erschüttert.<br />
Es herrschen Furcht und große Verunsicherung.<br />
Sieben mit dem Thema Schule befasste Bürgerinitiativen Baden-Württembergs haben sich<br />
deshalb zusammengetan. Denn uns allen war eines klar: <strong>Die</strong> sich wiederholenden Amokläufe<br />
haben auch etwas mit dem beklagenswerten Zustand der Schulen zu tun.<br />
Beiliegend finden Sie deshalb den „Appell baden-württembergischer Bildungsinitiativen an<br />
die Kultusministerinnen und Kultusminister anlässlich des 8. deutschen Schulamoklaufs in<br />
Winnenden (Baden-Württemberg)“.<br />
<strong>Die</strong>ser Appell liegt uns sehr am Herzen. Deshalb fordern wir Sie auf, im Schulwesen die seit<br />
langem ausstehenden Reformen vorzunehmen. Es kann nicht sein, dass unsere Kinder in der<br />
Schule zu Opfern werden! Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr!<br />
Wir warten auf Ihre Stellungnahme.<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Im Auftrag der unterzeichnenden Initiativen:<br />
gez. Dr. Hans-Peter Waldrich, Petra Hoja<br />
Anlage: Appell<br />
21
Appell baden-württembergischer Bildungsinitiativen an die<br />
Kultusministerinnen und Kultusminister anlässlich des 8. deutschen<br />
Schulamoklaufs seit 1999<br />
Schulamokläufe haben viele Ursachen. Aber sie haben auch etwas mit dem Zustand der<br />
heutigen Schulen zu tun. <strong>Die</strong>se Tatsache wird in der Öffentlichkeit weitgehend ausgeblendet.<br />
Es muss aber endlich gesehen werden, dass die schrecklichen Taten von Schulamokläufern<br />
nur die Spitze des Eisbergs sind. Denn es sind nicht nur diese Jugendlichen, die sich im<br />
heutigen Schulsystem unglücklich fühlen. Das Schulsystem ist auch für viele andere Kinder<br />
und Jugendliche eine Institution, die Stress erzeugt, Ängste verstärkt und zu einer Vielzahl<br />
psychischer und psychosomatischer Erkrankungen führt. Schulamokläufer mögen<br />
vorgeschädigte Einzelgänger sein, dennoch sind ihre Probleme grundsätzlich auch die<br />
Probleme zahlloser anderer Schüler, auch wenn diese niemals auf die Idee kämen, in so<br />
grauenhafter Weise zu reagieren.<br />
Schulen sind immer noch Institutionen,<br />
• die Selektion und Ausgliederung wichtiger nehmen als ihren pädagogischen Auftrag,<br />
• in denen Kinder und Jugendliche zum Konkurrieren um oft fragwürdige Leistungen<br />
angetrieben werden,<br />
• in denen junge Menschen häufig gekränkt und beschämt werden,<br />
• in denen die Ziffernnote Ängste, Neid und Missgunst auslöst,<br />
• die eine wirkliche pädagogische Beziehung zwischen Lehrern und Schülern erschweren,<br />
• in denen alle unter Überlastung, Stofffülle und Zeithetze leiden.<br />
<strong>Die</strong>s muss sich endlich ändern!<br />
Schulen müssen sich in Einrichtungen verwandeln,<br />
• die Kinder und Jugendliche so annehmen können, wie sie heute sind: nämlich oft<br />
irritierte, problembeladene junge Menschen, die nach Orientierung suchen,<br />
• die eine echte pädagogische Beziehung zwischen Schülern und Lehrern ermöglichen,<br />
• die die Erziehungsaufgaben der Eltern partnerschaftlich einbeziehen.<br />
• die nicht auf Konkurrenz, sondern auf soziales und solidarisches Miteinander setzen,<br />
• die durch den Unterricht keinen zusätzlichen Stress erzeugen, sondern die natürliche<br />
Lernfreude der Kinder aufnehmen und pflegen,<br />
• die nicht nur von „Werten“ reden, sondern diese im Lebensraum der Schule tatsächlich<br />
umsetzen und praktisch verwirklichen.<br />
Wir fordern, dass es Schulen und Lehrern endlich ermöglicht wird, ihre pädagogische<br />
Verantwortung wahrzunehmen! Dazu müssen jedoch die Grundvoraussetzungen erfolgreichen<br />
Lernens ernst genommen werden.<br />
Gutes und erfolgreiches Lernen ist:<br />
• angstfrei,<br />
• in hohem Maße selbst bestimmt,<br />
• individualisiert,<br />
• frei von äußerem Zwang und Druck (z.B. durch die Ziffernnote),<br />
• kooperativ und gemeinschaftlich,<br />
Gutes Lernen ermöglicht partnerschaftliche Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern auf<br />
der Basis des Vertrauens.<br />
22
Deshalb müssen die Grundbedingungen der Schulen verbessert werden durch<br />
• kleinere Klassen (20 Schüler), in denen soziales Miteinander und der Aufbau echter<br />
Beziehungen möglich ist und leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler gezielt<br />
• gefördert werden können,<br />
• mehr Lehrer (120%) für eine gesicherte und bessere Unterrichtsversorgung,<br />
• Anpassung der Lehrer-Aus- und Weiterbildung an die veränderten<br />
Gesellschaftsverhältnisse sowie Entlastung der Lehrer durch Herabsetzung ihrer<br />
Verpflichtungen,<br />
• den Einsatz von mehr Sozialarbeitern, Schulpsychologen und Heilpädagogen, die<br />
Schwierigkeiten und Nöte der Schüler frühzeitig erkennen,<br />
• regelmäßige Gespräche zwischen Eltern und Schule für eine schülerorientierte<br />
Beratungsarbeit,<br />
• Stärkung des kreativen, sozialen und sportlichen Bereichs, um den Kindern nicht nur<br />
Wissen zu vermitteln, sondern auch Hilfestellung für die Lebensgestaltung an die Hand<br />
zu geben,<br />
• Stärkung der frühkindlichen Bildung, damit Defizite im Frühstadium erkannt und<br />
behoben werden können,<br />
• verbesserten Übergang von Schule in Studium und Beruf. Jugendliche brauchen eine<br />
Zukunftsperspektive und qualifizierte Beratung für ihre Studien- und Berufswahl.<br />
Schaffen Sie endlich das mehrfach gegliederte Schulsystem ab. Gehen sie von der Selektion<br />
zur Kooperation und Inklusion über! Befreien Sie die Schulen von ihren übergroßen<br />
Verpflichtungen: von der Stofffülle, der Überlastung der Lehrer und Schüler, dem<br />
chronischen Zeitmangel und Zeitdruck, mit bedingt durch unsere Halbtagsschulen!<br />
Ermöglichen Sie, dass an den Schulen Ruhe einkehrt und ein wirkliches pädagogisches<br />
Miteinander im Rahmen einer rhythmisierten verbindlichen Ganztagsschule entsteht. Das<br />
wäre ein wichtiger Beitrag gegen Schulamokläufe!<br />
Für Aktion Humane Schule Baden-Württemberg e.V.:<br />
Landesgeschäftsstelle: Eugen-Bolz-Str. 13, 73430 Aalen<br />
1. Vorsitzender Stellvertretende Vorsitzende<br />
gez. Dr. Hans-Peter Waldrich gez. Sabine Hergesell<br />
Für Schule mit Zukunft e.V.:<br />
Geschäftsstelle: Neue Weinsteige 6a, 70180 Stuttgart<br />
Vorsitzende Stellvertretende Vorsitzende<br />
gez. Petra Hoja gez. Katharina Georgi-Hellriegel<br />
Für den Arbeitskreis Gesamtelternbeiräte Baden-Württemberg:<br />
Geschäftsstelle: Jusistraße 7, 72644 Oberboihingen<br />
Vorsitzende Stellvertretende Vorsitzende<br />
gez. Doris Barzen gez. Waltraud Berndt-Mohr<br />
Für Länger gemeinsam lernen Baden-Württemberg e.V.:<br />
Geschäftsstelle: Anton-Kiene-Weg 2, 88279 Amtzell<br />
1. Vorsitzender Stellvertretender Vorsitzender<br />
23
gez. Rudolf Bosch gez. Bernd <strong>Die</strong>ng<br />
Für den Deutschen Familienverband Baden-Württemberg e.V.:<br />
Geschäftsstelle: St. Georgener Straße 10, 79111 Freiburg<br />
Vorsitzender<br />
gez. Uto R. Bonde<br />
Für den Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Baden-Württemberg e.V.:<br />
Geschäftsstelle: Alemannenstr. 1 c, 79312 Emmendingen<br />
1. Vorsitzende 2. Vorsitzende<br />
gez. Ina-Maria Lienhart gez. Dr. Christiane Löwe<br />
Für die Initiative zur Förderung rechenschwacher Kinder Baden-Württemberg e.V.:<br />
Geschäftsstelle: Höhenstr. 20, 75239 Eisingen<br />
1. Vorsitzende<br />
gez. Margret Schwarz<br />
Aus den Bundesländern<br />
________________________________________________________________<br />
Schulpolitische Konferenz der Fraktion DIE LINKE und der Rosa-<br />
Luxemburg-Stiftung Sachsen-Anhalt „Bildung, die ankommt“<br />
24
Peter Joseph<br />
Fraktion und Stiftung haben am 7. März 2009 im Landtag von Sachsen-Anhalt eine<br />
Schulpolitische Konferenz abgehalten.<br />
Bereits im Wahljahr 2006 hat die Fraktion ein Programm und einen Gesetzentwurf der<br />
Öffentlichkeit präsentiert, nach dem sie schrittweise den Übergang zu einer<br />
Gemeinschaftsschule, einer Schule für alle Kinder, vollziehen will. Dem liegt eine umfassende<br />
Analyse der ungenügenden Leistungsbilanz der allgemein bildenden Schulen in Sachsen-<br />
Anhalt und der wachsenden sozialen Determiniertheit des Bildungserfolgs zu Grunde. <strong>Die</strong><br />
Fraktion verfolgt das Ziel, mit dem vorgelegten Schulkonzept die Dialektik von breiter<br />
Bildungsteilhabe und Absicherung sozial gerechter Lebensverhältnisse im politischen Raum<br />
auszugestalten.<br />
Seither ist eine intensive Arbeit geleistet worden. <strong>Die</strong> Strategie des Umbaus vom derzeitigen<br />
Schulsystem in Sachsen-Anhalt hin zu einem integrativen System mit einem gemeinsamen<br />
Bildungsgang für alle Schülerinnen und Schüler wurde umrissen und veröffentlicht.<br />
Gleichzeitig führt der zuständige Facharbeitskreis der Fraktion mit erheblichem Aufwand<br />
Arbeitsbesuche in allen Landkreisen an Schulen und Foren vor Ort durch, um den<br />
Reformansatz zu erläutern, für ihn zu werben und um in eine konstruktive Diskussion mit<br />
Schulpraktikerinnen und -praktikern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit<br />
weiteren Bildungsinteressierten einzutreten.<br />
In Sachsen-Anhalt hat sich 2007 auf Beschluss des Landtages ein Bildungskonvent<br />
konstituiert. Er vereint 37 Vertreterinnen und Vertreter aus allen Bereichen des öffentlichen<br />
Lebens, aus der Schule, der Wissenschaft, der Wirtschaft, aus Verbänden, Organisationen und<br />
Gewerkschaften, aus den Kirchen, den kommunalen Spitzenverbänden und der Politik. Der<br />
Bildungskonvent soll vor dem Hintergrund internationaler Vergleichsstudien sowie der<br />
demografischen Situation in Sachsen-Anhalt Empfehlungen für ein leistungsfähigeres<br />
allgemein bildendes und berufsbildendes Schulsystem, das den Anforderungen der Zukunft<br />
gerecht wird, erarbeiten. Auch dieses Forum, dem zwei Abgeordnete jeder Landtagsfraktion<br />
angehören, ist ein Ort des bildungspolitischen Diskurses, in den wir unsere Reformkonzepte<br />
einbringen. Seine Empfehlungen spiegeln den Grad des derzeitigen gesellschaftlich möglichen<br />
bildungspolitischen Konsenses, die Akzeptanz von Innovation und die gesellschaftlichen<br />
Erwartungen an Bildung wider.<br />
Konventdebatten, Arbeitsbesuche und Expertengespräche haben deutlich gemacht, dass die<br />
von uns angestrebten Reformschritte nicht voraussetzungslos durch administrativen Akt<br />
umgesetzt werden können. Auch zahllose Studien und ermutigende wissenschaftliche<br />
Vorträge und Expertisen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es gegenüber der<br />
Gemeinschaftsschule erhebliche Zweifel, Skepsis, soziale und kulturelle Vorbehalte gibt, die<br />
keineswegs nur im Lager konservativer Politikerinnen und Politiker anzutreffen sind, sie<br />
reichen in alle gesellschaftlichen Schichten und auch tief in die Lehrerschaft.<br />
Gegenstand unserer Konferenz war es daher, mit einem möglichst vielschichtigen Auditorium<br />
essentielle Rahmenbedingungen der von uns vorgeschlagenen Transformationsstrategie zu<br />
erörtern.<br />
25
1. Wir gehen davon aus, dass die entscheidende Voraussetzung für die Aufhebung der<br />
äußeren Bildungsgangdifferenzierung gereifte Fähigkeiten und Potentiale zur inneren<br />
Differenzierung von Bildungsprozessen sind.<br />
<strong>Die</strong>ses Problem ist auch bereits derzeit akut, weil in den verschiedenen Schulformen der<br />
Sekundarstufe I die für die „Gliederung“ immer zur Legitimierung gebrauchte Homogenität<br />
der Lerngruppen schon lange nicht mehr gegeben ist. Es gelingt aber in zahlreichen Schulen<br />
nicht, mit dieser Vielfalt produktiv umzugehen. Häufig kommt es zu einer Nivellierung, die die<br />
vermeintlich Schwachen nicht ausreichend zu fördern vermag und die angeblich Starken nicht<br />
zu wirklich herausragenden brillanten Leistungen anregt. In einer solchen Situation von den<br />
Schulen eine noch größere Integrationsleistung abzuverlangen, birgt die Gefahr des<br />
Scheiterns in sich.<br />
Der erste Schwerpunkt war deshalb aus wissenschaftlicher und schulpraktischer Sicht der<br />
Frage gewidmet, wie kann innere Differenzierung im Bildungsprozess der Sekundarstufe I<br />
gelingen, ist es realistisch, erfolgreiche Bildung – Bildung, die ankommt – in Lerngruppen zu<br />
gestalten, die unter verschiedenen Gesichtspunkten heterogen zusammengesetzt sind;<br />
heterogen in ihren Erfahrungswelten, heterogen in ihren sozialen und kulturellen<br />
Verwurzlungen, heterogen in ihren Bildungsmotivationen, heterogen in ihren Lernstilen und -<br />
kulturen, heterogen in ihren Interessen, heterogen in ihren Lernausgangsniveaus.<br />
Vorträge und Debatte konnten nicht alle Zweifel und alle Skepsis ausräumen. Es wurde aber<br />
deutlich, dass der Ansatz die Mühe lohnt. Unterschiedlich gelagerte Beispiele verdeutlichten,<br />
dass innere Differenzierung und Integration gelingen kann, wenn sie im ergebnisorientierten<br />
Methodenmix klug realisiert sind: in gut gemachtem Frontalunterricht im Wechsel mit<br />
kooperativen Lernformen und einem intelligent gestalteten Tutorensystem ebenso wie in<br />
handlungsorientiertem Unterricht mit seiner Krönung des Projektunterrichtes auf der<br />
Grundlage selbst organisierter (eigenverantwortlicher) Lernformen. Das heißt immer, dass<br />
wirklich alle Kinder und Jugendliche profitieren und nicht nur die in verschiedener Hinsicht<br />
Schwachen oder Benachteiligten bessere Chancen erhalten – das natürlich auch. <strong>Die</strong> Arbeit<br />
an einem Projekt in einer integrierten Gesamtschule belegte das genauso wie die an einer<br />
Sekundarschule, in der schon seit Jahren erfolgreich Schülerinnen und Schüler mit und ohne<br />
sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsam lernen.<br />
2. <strong>Die</strong> Reformschritte, die nach der Landtagswahl im Jahre 2011 bei einem entsprechenden<br />
Wahlergebnis möglich werden, müssen unter schwierigen personellen und materiellen<br />
Bedingungen stattfinden.<br />
Wir hielten es für extrem fahrlässig, uns darüber hinweg zu täuschen, in welche angespannte<br />
Personalsituation wir spätestens in der Mitte der nächsten Dekade geraten. <strong>Die</strong> Altersstruktur<br />
der Gesamtheit der Lehrkräfte nicht nur in Sachsen-Anhalt bringt es mit sich, dass ab 2012 /<br />
2013 zahlenmäßig starke Jahrgänge aus dem <strong>Die</strong>nst ausscheiden. <strong>Die</strong> Zahl der<br />
Pensionierungen und Verrentungen wird sich in den kommenden Jahren um ein mehrfaches<br />
erhöhen. Zwischen 2010 und 2020 wird die Gesamtschülerzahl aber nicht signifikant<br />
abfallen. Erst danach wird durch das demografische Echo der extrem rückläufigen<br />
Geburtenzahlen Anfang der 90iger Jahre ein erneuter deutlicher Einbruch in den<br />
Schülerzahlen die Bildungslandschaft nochmals radikal belasten.<br />
Wir gehen also einer Zeit entgegen, in der wir die bisher pädagogisch relativ günstige Schüler-<br />
Lehrer-Relation nicht mehr halten werden können, schon gar nicht verbessern. Und zwar<br />
unabhängig davon, wie viel wir Geld für die Bildung im Haushalt zur Verfügung stellen<br />
könnten. Leider auch unabhängig davon, was wir jetzt noch tun.<br />
26
Dennoch ist diese Lage nicht unabwendbar gewesen. Sie ist durch Versäumnisse und<br />
Ignoranz der Politik in Kauf genommen worden. Sie kann auch jetzt noch wenigstens in ihren<br />
Folgen abgemildert werden, was dringend geboten ist.<br />
Umgehend müssen die Einstellungskorridore erweitert werden, um die jetzt noch in<br />
erheblicher Zahl zur Verfügung stehenden Absolventinnen und Absolventen für die Arbeit an<br />
einer Schule in Sachsen-Anhalt zu gewinnen, müssen die Ausbildungskapazitäten an<br />
Universitäten und Staatlichen Seminaren vorübergehend deutlich erhöht werden.<br />
Das alles ändert nichts daran, die Reformen werden nur gelingen, wenn sie auch eine höhere<br />
Effektivität des Personaleinsatzes ermöglichen, ein deutlich flexibleres Personalmanagement<br />
an den Schulen beinhalten und neue Ressourcen für die Bildungsprozesse in den allgemein<br />
bildenden Schulen erschließen. <strong>Die</strong> Problemsicht zur diesen Fragen wurde durch eine<br />
detaillierte Analyse geschärft.<br />
Resümierend stellte Matthias Höhn, bildungspolitischer Sprecher und Landesvorsitzender der<br />
LINKEN am Ende seines Vortrages fest: „Angesichts knapper werdender personeller und<br />
finanzieller Ressourcen erscheint es umso anachronistischer, die wenigen Schülerinnen und<br />
Schüler, die wir noch haben, auch noch auf möglichst viele Schulformen aufzugliedern. Eine<br />
gut gemachte Schule für alle Kinder wäre nicht nur ein Gewinn aus pädagogischer und<br />
gesellschaftlicher Perspektive, es wäre auch eine vernünftige Antwort auf sinkende<br />
Lehrerzahlen und finanzpolitische Spielräume.“<br />
Peter Joseph ist wissenschaftlicher Referent der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-<br />
Anhalt<br />
Kontakt: joseph@dielinke.lt.sachsen-anhalt.de<br />
Schul-Visionen: Welches schulpolitische Konzept verfolgt DIE LINKE<br />
in Sachsen-Anhalt?<br />
27
Jutta Fiedler, Rede zur Schulpolitischen Konferenz am 7. März 2009<br />
Liebe Lernende,<br />
ich spreche Sie nicht nur deshalb so an, weil Sie hierher zu einer Schulpolitischen Konferenz<br />
gekommen sind (was uns sehr freut) und Schule immer mit Lernen verbunden wird, sondern<br />
auch deshalb, weil wir alle immerzu Lernende sind. Unser Gehirn - so sagen die<br />
Neurowissenschaftler - lernt immer, ob wir wollen oder nicht. Einer von ihnen hat für das<br />
Gehirn sogar den Begriff „Informationsstaubsauger“ geprägt. Das Dumme ist nur, dass unser<br />
Gehirn nicht immer das lernt, was es soll. Das ist besonders in der Schule der Fall, da kann<br />
sicher jeder von uns ein Lied davon singen. Bildung kommt also nicht immer an.<br />
Unsere Konferenz heute haben wir mit „Bildung, die ankommt“ betitelt. Das hübsche<br />
Wortspiel vom Ankommen hat jeder von Ihnen erkannt: Von den vielen<br />
Bedeutungsmöglichkeiten des Wortes „ankommen“ kommt es uns an auf „Bildung, die ihr Ziel<br />
gefunden hat“, manchmal erst nach Irrungen und Wirrungen, aber eben doch „angekommen“.<br />
Wenn Bildung nun aber ihr Ziel nicht oder nicht optimal gefunden hat? Gestern ging<br />
eine angeblich überraschende Studie des Landesverwaltungsamtes über die Schulabbrecher<br />
in den Sekundarschulen Sachsen-Anhalts durch die Medien, die MZ berichtete. Für mich ist<br />
der Inhalt nicht überraschend, nicht einmal, dass die Schulabbrecherquote unterschiedlich<br />
hoch ist an den einzelnen Schulen. Im Übrigen: Eine solche Rankingliste in dieser Verkürzung<br />
öffentlich an den Pranger zu stellen, halte ich für keine gute Sache. Wir haben es in der<br />
Schule eben nicht mit Maschinen, die blind nach unserem Willen arbeiten, zu tun, sondern mit<br />
Menschen und da ist Input oft nicht gleich <strong>Output</strong>. Sicher – es muss genau hingeschaut<br />
werden, was in Schulen nicht gelingt, Qualitätskontrolle ist immer gut, aber diese verkürzte<br />
öffentliche Zur-Schau-Stellung tut nicht gut. Also: <strong>Die</strong> Zahlen über die Höhe der<br />
Schulabbrecher sind weder überraschend noch neu, das Statistische Landesamt gibt jährlich<br />
die Schulabgängerstatistik des letzten Schuljahres heraus: 24,5 % der Schulabgänger<br />
Sachsen-Anhalts im Schuljahr 2007/2008 setzen ihre Bildungsbiografie unterhalb des<br />
Realschulabschlusses fort. Ähnliche Zahlen gibt es bei PISA 2006: 21,5% der 15jährigen in<br />
Sachsen-Anhalt weisen bei PISA 2006 immer noch eine so minimale Lesekompetenz<br />
aufweisen, dass sie potenzielle funktionale Analphabeten sind. Zu denen, bei denen Bildung<br />
nicht ankommt, gehören übrigens wesentlich mehr Jungen als Mädchen, das Verhältnis<br />
beträgt fast 2:1. Lernerfolg tritt also in der Schule nicht in jedem Fall ein. Aber vom Lernerfolg<br />
lebt der Lernprozess. Bleibt der schulische Erfolg aus, hört schulisches Lernen auf - bei dem<br />
einen vielleicht mehr und bei dem anderen weniger. Auf jeden Fall holt sich das Gehirn als ein<br />
sich selbst belohnendes System seine Erfolge dann eben anderswo. Was dann passiert, zeigt<br />
unsere Broschüre „Bildung, die nicht ankommt: Schulversagen“.<br />
Solche jungen Leute, wie sie hier vorgestellt werden, haben seit einigen Jahren in Sachsen-<br />
Anhalt die Möglichkeit, am Projekt „Produktives Lernen“ teilzunehmen. Was passiert dort?<br />
Jugendliche, die sich in der Nähe zum Schulabbruch oder zum Schulversagen befinden, gehen<br />
an drei Tagen in der Woche in ein Unternehmen und arbeiten dort an Aufgaben, die mit der<br />
Schule abgesprochen sind, und an zwei Tagen sind sie in der Schule und holen das Wissen<br />
nach, was ihnen zum Hauptschulabschluss fehlt. Den schaffen die meisten auch - von 98<br />
Abgängern im vergangenen Schuljahr immerhin 79 - weil sie durch die praktische Arbeit<br />
motiviert sind für die Lernarbeit. Für uns ist das der beste Beweis, dass unsere Forderung<br />
nach Verbindung zwischen praktischer Tätigkeit in der Lebenswirklichkeit und der Lernarbeit<br />
in der Schule als einer unserer Hauptschwerpunkte im Schulkonzept berechtigt ist. Wir<br />
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wollen polytechnische Bildung für alle. Das ist mehr als das Projekt „Produktives Lernen“,<br />
das ist mehr als nur Technikunterricht, das ist mehr als Schülerpraktikum und mehr als<br />
Berufsorientierung. Polytechnische Bildung soll durch engen Praxisbezug Lernmotivation<br />
fördern, Technikverständnis ausprägen sowie Berufsorientierung und Berufsvorbereitung<br />
deutlich qualifizieren. <strong>Die</strong> Bedeutung davon wird mehr und mehr erkannt, vor allem von<br />
Vereinen und Kommunen. Stellvertretend nenne ich mal die Stadt Aschersleben. Als erste<br />
Kommune in Sachsen-Anhalt gründete die Stadt Aschersleben eine Bildungsstiftung, die im<br />
Bereich Jugend die polytechnische Bildung ab Klasse 7 zum Ziel hat. Dazu gibt es dort bereits<br />
ein polytechnisches Zentrum. Oder in Dessau-Roßlau: Dort arbeitet ein Arbeitskreis Schule<br />
Wirtschaft innerhalb der gleichnamigen Landesarbeitsgemeinschaft, außerdem ist dort die<br />
Initiative „Tradition und Zukunft“ tätig. Im Land laufen noch einige andere ähnliche Initiativen,<br />
wo junge Leute während ihrer Schulzeit schon berufspraktische Erfahrungen machen können.<br />
Allen gemeinsam ist der Denkansatz, dass in der allgemein bildenden Schule der Praxisbezug<br />
zum theoretisch orientierten Fachwissen gehört. Allen gemeinsam ist der Blick auf<br />
erfolgsorientiertes Arbeiten. Wenn es zum Beispiel der Ganztags-Sekundarschule „Am<br />
Zoberberg“ in Dessau durch die Verbindung zu „Tradition und Zukunft“ - und natürlich durch<br />
eine neue Art zu unterrichten gelungen ist - die Klassenwiederholungsquote auf Null zu<br />
fahren, dann zeigt das augenfällig, zu welchen Erfolgen ein solches Modell beitragen kann.<br />
Wir wollen polytechnische Bildung aber nicht nur für eine bessere Verwertbarkeit von<br />
Schulwissen, sondern als Ansatz für Persönlichkeitsbildung. Wir wollen sie nicht nur als<br />
kurzlebiges Projekt, dessen Finanzierung von Jahr zu Jahr unsicher ist, sondern als<br />
systemische Durchdringung des Schulwesens. Und wir wollen sie auch für das Gymnasium.<br />
Dort findet technische Bildung mit Bezug zur Lebenswirklichkeit fast nicht statt. Und wir<br />
wollen sie natürlich erst recht für die Sekundarschule, für deren Stärkung wir uns<br />
einsetzen: Stärkung durch Angleichung der Stundentafel und der Unterrichtsinhalte an das<br />
Gymnasium, damit die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen keine Einbahnstraße nach<br />
unten bleibt. Zurzeit kommen auf einen Schüler, der von der Sekundarschule zum Gymnasium<br />
wechselt, ca. 5 Schüler, die vom Gymnasium wieder zurück zur Sekundarschule gehen.<br />
Was wir vor allem wollen, ist: freier Zugang für jedes Kind zu jeder Art von Bildung, längeres<br />
gemeinsames Lernen und so viel individuelle Förderung, dass wirklich jeder den<br />
Realschulabschluss anstreben kann. Sie meinen, das ginge nicht? Ich will mal aus dem<br />
Nähkästchen meiner fast 40jährigen <strong>Die</strong>nstzeit plaudern: Als ich nach einem relativ methodik-<br />
und fachdidaktikabstinenten Studium als blutjunge Anfängerin an meine Schule kam, an der<br />
ich dann 26 Jahre bis zur Wende geblieben bin, habe ich anfangs genauso langweilig<br />
unterrichtet, wie ich es aus meiner eigenen Schulzeit kannte: jede Menge abfragende, von mir<br />
zentralistisch geführte Unterrichtsgespräche mit anschließendem Aufschreiben der<br />
wesentlichen Unterrichtsinhalte bzw. Abschreiben des Tafelbildes, wobei ich dem Auf- und<br />
Abschreiben sogar noch einen gewissen Kompetenz bildenden Wert beimessen möchte, aber<br />
nicht dem langweiligen Unterrichtsgespräch. Ich hatte trotzdem kaum Disziplinprobleme,<br />
meine Schüler machten das, was ich wollte. <strong>Die</strong> meisten kamen auch gut mit. Einige aber<br />
nicht. Das ließ mir zunehmend keine Ruhe und ich begann zu überlegen, wie ich dem abhelfen<br />
könnte. Ich fing an meinen Unterricht zu individualisieren, das heißt, ich stellte durch<br />
analytische Arbeit genau fest, wo jeder Schüler seine Stärken und Schwächen hatte, und<br />
begann darauf ein „Tutoren-System“ aufzubauen. Das war zeitraubend und mühsam, aber es<br />
gelang mir, kooperative Lernformen auf der Grundlage von individuell differenziertem<br />
Übungsmaterial so einzusetzen, dass die Stärken gestärkt und Schwächen geschwächt<br />
wurden. Meine Kollegen sagten - manche kopfschüttelnd, manche bewundernd: „Mensch,<br />
was du dir für Arbeit machst!“, mein Schulleiter war froh, ein Vorzeigeobjekt zu haben. <strong>Die</strong>se<br />
29
Achtung im Kollegium war mir natürlich auch wichtig, aber wichtiger war mir der Erfolg bei<br />
den Schülern: <strong>Die</strong> Leistungen gingen nach oben, die Zensuren ziffernmäßig nach unten, das<br />
Selbstwertgefühl von allen wuchs, die Sozialbeziehungen in den Klassen wurden<br />
harmonischer. Das habe ich nur geschafft, weil ich in diesen Lernkooperationen die gesamte<br />
Leistungsbreite zur Verfügung hatte, den sehr leistungsstarken Schüler ebenso wie den<br />
leistungsschwachen. Mein methodisches und fachdidaktisches Repertoire wuchs ungemein,<br />
ebenso ungemein wuchs zwar auch mein Zeitaufwand für die Unterrichtsvor- und -<br />
nachbereitung, aber ich hatte Spaß am Arbeiten wie selten zuvor. Uns Lehrern geht es ja<br />
genauso wie den Schülern: Der Erfolg beim Arbeiten bringt den Spaß am Arbeiten. Nie wieder<br />
musste ich so viel Phantasie in meine Unterrichtsvorbereitung investieren wie damals. Wenn<br />
also der Herr Kultusminister vor kurzem auf der Mitteldeutschen Bildungskonferenz in Erfurt<br />
meinte, wer die Einheitsschule wolle, der wäre nur phantasielos, dann weiß ich, dass er<br />
sowohl mit der abwertend gemeinten Bezeichnung „Einheitsschule“ für die von uns gewollte<br />
EINE SCHULE FÜR ALLE als auch mit der Einschätzung „Phantasielosigkeit“ absolut schief<br />
liegt. Noch ein paar Worte mehr aus dem Nähkästchen: Nach 1991 wurde ich stellvertretende<br />
Leiterin eines Lehrerseminars und unterrichtete noch einige Stunden pro Woche, von<br />
Schuljahr zu Schuljahr an einer anderen Schule. Ich wollte genauso weiter unterrichten, wie<br />
ich es gewohnt war. Das war schwierig, ging aber, die schönsten Stunden waren die in<br />
offenem Unterricht mit kooperativen Lernformen. Aber den Erfolg bei den Schülern hatte ich<br />
nicht mehr, musste ich doch das gewohnte Tutorensystem jetzt, an einer Sekundarschule,<br />
innerhalb einer ganz anderen Leistungsbreite organisieren. <strong>Die</strong> leistungsstarken Schüler, die<br />
selbst von dieser Tutorentätigkeit für ihre Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung in<br />
hohem Maße profitiert hatten, waren wegsortiert; die leistungsschwächeren bis sehr<br />
schwachen Schüler blieben unter sich. <strong>Die</strong>ses Sortieren in Gymnasium, Haupt- und<br />
Realschule und Förderschule bringt übrigens in meinen Augen viel eher eine Einheitsschule,<br />
als es unserer Gemeinschaftsschule vorgeworfen wird. Heterogenität gibt es im gegliederten<br />
Schulsystem innerhalb der einzelnen Schulformen auch noch, sicher, aber nur in begrenztem<br />
Maße. Sie produktiv zu nutzen für ein wirkliches Vorankommen in der Trias Sachkompetenz,<br />
Selbstkompetenz und Sozialkompetenz geht daher auch nur begrenzt. Längeres<br />
gemeinsames Lernen tut Not, die Gemeinschaftsschule darf keine Einheitsschule sein, innere<br />
Differenzierung in neuen methodischen Unterrichtsformen muss sein. Das sage ich hier als<br />
Mitglied der Partei DIE LINKE: aber ich sage es nicht nur als LINKE, sondern auch als Lehrerin,<br />
die ich die größten Erfolge für meine Schüler und für mich durch den produktive Umgang mit<br />
Vielfalt erreicht habe. Das wird auch durch eine andere Erfahrung von mir nicht geschmälert,<br />
die da heißt: Frontaler Unterricht muss ebenso sein wie der Unterricht in kooperativen<br />
Lernformen. Innere Differenzierung ist auch in gutem Frontalunterricht möglich, erst recht<br />
dann, wenn nicht nur das Lehrerkollegium, sondern ein multiprofessionelles Team in der<br />
Schule arbeiten könnte.<br />
Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, mit einer Kollegin zu sprechen, die seit geraumer<br />
Zeit in Schweden unterrichtet. Sie sagte: „In Deutschland unterrichtete ich Klassen. In<br />
Schweden unterrichte ich Kinder.“ Das gab mir sehr zu denken. Ja, es stimmt: In Deutschland<br />
gehen wir Lehrer in die Klasse 2a oder 9b. Und wenn wir dem ersten Evaluationsbericht der<br />
Schulaufsicht aus dem vergangenen Jahr glauben wollen, tun Lehrer noch viel zu oft so, als<br />
hätten sie lauter gleiche Schüler vor sich sitzen. Aber in den Klassen sitzen 24 Kinder oder 24<br />
Jugendliche oder wie viel auch immer und jeder von ihnen ist anders, hat andere Stärken und<br />
andere Schwächen. Dass eine Schülerin mit dem Rechnen auf Kriegsfuß steht, wird in der<br />
Schule schnell erkannt. Aber weiß der Mathelehrer auch, wie sportlich das Mädchen ist? Der<br />
Deutschlehrer merkt sehr schnell, wie viel Fehler einer beim Schreiben macht. Aber weiß er<br />
auch, dass der Junge ein begnadeter Trompetespieler ist? Und bei mir selbst hat es eine Weile<br />
30
gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ein Schüler zwar ganz gut vorlesen, aber nicht so gut<br />
Sinn erfassend lesen kann. Und um zu bemerken, dass eine Schülerin zwar im<br />
Englischunterricht große Mühe hat, dafür aber ihre überragenden sozialen Kompetenzen so<br />
ganz nebenbei als tolle Streitschlichterin einsetzt, muss der Englischlehrer seine Schüler auch<br />
besser kennen als nur aus dem Unterricht. Und weil jeder Erfolg das Lernen beflügelt, muss<br />
jeder Lehrer jede Stärke eines Kindes kennen und jede Schwäche natürlich ebenso, damit<br />
sich dort keine Misserfolgsspirale entwickelt. Da muss sich der Lehrer nicht nur als<br />
Fachmann für das Wissen, sondern auch als Fachmann für das Lernen und besonders als<br />
Mensch verstehen, dem seine Schüler nicht gleichgültig sind. Und wenn dem so ist, dann wird<br />
er innere Differenzierung klug gestalten wollen.<br />
Natürlich gehören zu einem erfolgreichen Lernprozess auch und besonders die Eltern und<br />
die kommunalen Verantwortlichen. Ich habe heute erst einmal nur vor meiner eigenen Tür<br />
gekehrt und das ist die Schultür. In der Schule müssen wir als Lehrer und Lehrerinnen alles<br />
dafür tun, dass Lernen gelingen kann, ohne alle anderen Partner am Bildungsprozess zu<br />
vergessen, aber auch ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen und die der Schule<br />
zukommende Verantwortung weg zu schieben. Das ist in der von uns angestrebten<br />
Gemeinschaftsschule ohnehin nicht möglich.<br />
Von weiteren Gelingensbedingungen wird heute noch zu reden sein, wir hoffen da auf Ihr Mit-<br />
Reden, denn unsere Konferenz heute ist für uns auch ein Innehalten, um darauf zu schauen,<br />
ob und wie unser Schulkonzept gelingen kann.<br />
Ich wünsche Ihnen dafür viele Ideen und ein paar anregende Stunden hier auf unserer<br />
Konferenz.<br />
Jutta Fiedler<br />
Bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Landtag von Sachsen-Anhalt<br />
Grundprobleme der Bildungsfinanzierung in Deutschland<br />
Plädoyer für einen nationalen Bildungspakt<br />
31
Bodo Ramelow<br />
<strong>Die</strong> öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland sind gering. <strong>Die</strong>s betrifft sowohl die<br />
Unterfinanzierung des Bildungssystems( Fehlende Kindergarten- und Studienplätze;<br />
ungenügende Sachmittel- und Personalausstattung), als auch den erheblichen Mehrbedarf für<br />
den Ausbau zu einem sozial gerechteren System. Ohne öffentliche Mehrausgaben kann auch<br />
das vom Wissenschaftsrat geforderte Niveau der Bildungsbeteiligung nicht erreicht werden.1<br />
<strong>Die</strong> Bildungsausgaben in Deutschland sind gemessen an der Wirtschaftskraft (BIP) seit Jahren<br />
rückläufig. Setzt sich dieser Trend fort, droht die Gestaltung der Wissensgesellschaft in<br />
Deutschland zu scheitern. Um den von Experten/innen für die Modernisierung des<br />
Bildungswesens als notwendig erachteten finanziellen Handlungsbedarf erbringen zu können,<br />
müssten die Bildungsausgaben um einen Anteil von bis zu 1,9 Prozent des BIP (2004)<br />
gesteigert werden.2 <strong>Die</strong>se Steigerung würde bei Berücksichtigung der Schüler/Innen und<br />
Studierendenzahlen noch unter den Bildungsausgaben von 1975 liegen. Damit würde<br />
Deutschland zwar noch nicht die internationalen Spitzenwerte, z.B. der skandinavischen<br />
Staaten erreichen. <strong>Die</strong> Finanzierung von zentralen Projekten, wie einem flächendeckenden<br />
Ganztags- und Gemeinschaftsschulnetz und der bedarfsgerechte Ausbau des Angebots an<br />
Studienplätzen wären jedoch möglich.<br />
Deutschland liegt im OECD- Vergleich der öffentlichen Bildungsausgaben auf platz 21 der 29<br />
untersuchten Staaten. Deutschland gab im Jahre 2003 4,7 Prozent des BIP für Bildung aus,<br />
gefolgt von Island (7,8%), Norwegen (7,6%) und Schweden (7.5%). <strong>Die</strong> Schweiz (6,0%) und<br />
Österreich (5,5%), als deutschsprachige Länder mit dualem System, wenden öffentlich<br />
ebenfalls wesentlich mehr Geld für Bildung auf als die Bundesrepublik. <strong>Die</strong>ser Rückstand<br />
durch eine Erhöhung der privaten Bildungsausgaben kompensieren wollen, würde<br />
Fehlentwicklungen noch vertiefen, zumal Deutschland bei den privaten Bildungsausgaben<br />
neben Korea, den USA, Kanada, Japan, Mexiko, Neuseeland und Großbritannien im vorderen<br />
Drittel der OECD-Staaten liegt.<br />
Der haushaltspolitische Handlungsbedarf wird von Expert/innen auf bis zu 43 Mrd. Euro<br />
beziffert. Allein für den Ausbau eines flächendeckenden, gebührenfreien Kita- Netzes<br />
veranschlagt Karl Lauterbach (SPD) 23,5 Mrd. Euro – was 12 Mrd. Euro mehr sind als heute.<br />
Derzeit werden rund 102 Mrd. Euro von Bund, Ländern und gemeinden für öffentliche Bildung<br />
ausgegeben (vgl. BLK 2006a, S.7). Ohne eine andere Steuerpolitik ist der bildungspolitische<br />
Reformbedarf daher nicht zu finanzieren. Bundestag und Bundesrat haben sich mit der<br />
Föderalismusreform II die Aufgabe gestellt, die Bund- Länder- Finanzbeziehungen mit dem Ziel<br />
der Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung zu modernisieren. <strong>Die</strong> Mobilisierung der<br />
Ressourcen für den Umbau des Bildungssystems ist die zentrale haushaltspolitische Aufgabe<br />
der Republik. <strong>Die</strong>s reicht weit über den rahmen, der der Föderalismusreform gesetzt ist,<br />
hinaus. Im Rahmen der Reform sollten jedoch Schritte zur Modernisierung der<br />
Finanzverfassung unternommen und Bildung neu als Gemeinschaftsaufgabe definiert werden.<br />
Denn ohne, dass der rahmen für die Bildungsfinanzierung neu gesetzt wird, bleibt offen, wie<br />
Bund, Länder und Kommunen die neuen Aufgaben schultern können.<br />
Es gibt im Deutschen Föderalismus Anreize für die Bundesländer, geringe Ausgaben für<br />
Bildung zu tätigen und diese Ausgaben auf andere Bundesländer zu überwälzen<br />
(„Trittbrettfahrer- Verhalten“). Es gibt Hinweise auf einen innerdeutschen Brain Drain in die<br />
südlichen Bundesländer. Darauf muss die Föderalismuskommission reagieren. Der<br />
aufkommende Wettbewerbsföderalismus birgt das Risiko des „Bildungsdumpings“.<br />
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<strong>Die</strong> Starke Verlagerung der Bildungsfinanzierung auf die Gliedstaaten, die durch die<br />
Föderalismusreform I gestärkt wurde, ist ein deutscher Sonderweg. In anderen föderale<br />
Staaten trägt die zentrale Ebene im höheren Maße die Finanzierung von Bildungsausgaben.<br />
Alternativ werden die Kosten über Lastenausgleichsregelungen auf die einzelnen Gliedstatten<br />
verteilt. <strong>Die</strong>s gilt für Österreich und die Schweiz, die ähnlich wie Deutschland über ein starkes<br />
duales System verfügen. Das betrifft z.B. die zentrale Finanzierung der Lehrer/Innengehälter<br />
in Österreich und den Hochschulfinanzausgleich in der Schweiz.<br />
Als erste Schritte für eine bessere Finanzierung der Bildung sollten im Rahmen der<br />
Föderalismusreform II die Möglichkeit geschaffen werden, Programme der<br />
Bildungsfinanzierung als neue Gemeinschaftsaufgabe in das Grundgesetz (Art.91b) zu<br />
übernehmen. Das sog. Kooperationsverbot in Art. 104b muss entfallen. Außerdem sollte in<br />
Anlehnung an das österreichische Beispiel über bundesweite Ausstattungsstandards<br />
(Personal und Sachmittel) gesprochen werden. Werden diese Standards dauerhaft<br />
unterschritten, müssen die betroffenen Länder mit finanziellen Sanktionen rechnen.<br />
Mittelfristig müssen so Voraussetzungen geschaffen werden, um zu einem nationalen<br />
Bildungspakt von Bund und Ländern zu gelangen. Bund und Länder sollten sich in diesem<br />
Pakt verpflichten, die Bildungsausgaben dauerhaft an einem Anteil des BIP zu indexieren, der<br />
Deutschland an den Durchschnitt der Industriestaaten heranführt. Als Indikator bietet sich die<br />
Größe „Bildungsausgaben in Prozent des Bruttoinlandsproduktes je eine Million<br />
Schüler/Innen bzw. Studierende“ an. <strong>Die</strong>se Indexierung könnte zu einer Entlastung des<br />
Bildungsbereiches von kontraproduktiven Sparzwängen beitragen. Mit einem nationalen<br />
Bildungspakt können Maßnahmen für die Errichtung eines flächendeckenden gebührenfreien<br />
Netzes von Kindertagesstätten und Gemeinschaftsschulen sowie die Steigerung der Anzahl<br />
der Studienplätze und der Absolvent/innen ergriffen werden.<br />
<strong>Die</strong> Bundesrepublik hat sich bereits 1975 im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale<br />
und kulturelle Rechte auf die Gewährleistung des Rechtes auf Bildung verpflichtet. Damit ist<br />
die Verwirklichung dieses Rechtes Staatsziel. Jedes land hat die Pflicht, sein Bildungssystem<br />
entsprechend zu öffnen und seiner Bevölkerung das Recht auf Bildung zu ermöglichen.<br />
1 Der Wissenschaftsrat (2006) fordert eine Studienberechtigungsquote von 50% (derzeit 42,5%), eine<br />
Studienanfänger/innenquote von mindestens 40% (derzeit 37%) und eine Hochschulabsolvent/innenquote an der<br />
gleichaltrigen Bevölkerung von 35% (derzeit21,1%).<br />
2 <strong>Die</strong>se bis zu 1,9% ergeben sich aus Mehrausgaben für Bildung in Höhe von 43 Mrd.€, wie ver.di dies fordert. Bei einem BIP<br />
von 2.322 Mrd.€ entspricht dies 1,85%.<br />
Bodo Ramelow ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und<br />
Mitglied der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der<br />
Bund-Länder-Finanzbeziehungen (Föderalismuskommission)<br />
Eine gute Schule für Berlin!<br />
2. Landesparteitag • 2. Tagung<br />
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A. Der Landesparteitag stellt fest:<br />
1. Wir wollen eine »Schule für alle«<br />
DIE LINKE Berlin bekräftigt ihr Ziel, das gegliederte Schulsystem aus Kaiserzeiten endlich<br />
zugunsten einer nicht auslesenden Gemeinschaftsschule für alle zu überwinden. Wir können<br />
es uns aus sozialen, demokratischen und demografischen Gründen nicht länger leisten,<br />
Kinder aus benachteiligten Milieus und viele Kinder mit Migrationshintergrund von guter<br />
Bildung fernzuhalten. Weder soziale Herkunft noch Migrationshintergrund dürfen eine<br />
gleichberechtigte Teilhabe an Bildung verhindern.<br />
2. Pilotphase erfolgreich gestartet<br />
Zu Beginn dieses Schuljahres haben 17 Schulen in elf Schulverbünden begonnen, sich zu<br />
Gemeinschaftsschulen zu entwickeln bzw. zusammenzuschließen. Damit geben wir uns nicht<br />
zufrieden. Nächstes Schuljahr werden weitere vier Gemeinschaftsschulen hinzukommen. An<br />
einigen Gemeinschaftsschulen übersteigt die Zahl der Anmeldungen die Anzahl der<br />
vorhandenen Plätze deutlich. Viele bildungsbewusste Eltern haben die Chance erkannt. Sie<br />
wollen, dass ihre Kinder gemeinsam in Gemeinschaftsschulen lernen können – von der ersten<br />
Klasse bis zum Abitur.<br />
Wir wissen – ein Jahr ist für eine neue Schulform ein zu begrenzter Zeitabschnitt, der nur eine<br />
bedingte Evaluation der Erfolge zulässt. Dennoch halten wir diesen Einstieg für politisch<br />
bedeutsam und ermutigend.<br />
3. Berlin diskutiert endlich über neue Schulstruktur!<br />
DIE LINKE Berlin hat die Gemeinschaftsschule als Schule für alle zum Thema gemacht.<br />
Dadurch wurde die nach PISA aufgebaute Blockade durchbrochen und endlich auch über<br />
notwendige Veränderungen in der Schulstruktur geredet. Der Start der ersten<br />
Gemeinschaftsschulen hat die Diskussion in der Stadt um Chancengleichheit befördert.<br />
Zugleich gibt es mit ihnen erste praktisch erfahrbare Beispiele für gute Schulen. <strong>Die</strong><br />
Gemeinschaftsschule ist dadurch bundesweit zum Markenzeichen linker Bildungspolitik<br />
geworden. Trotzdem ist es uns noch nicht gelungen die Gemeinschaftsschule als einzige<br />
Alternative zu einem mehrgliedrigen Schulsystem im Bewusstsein einer Mehrheit der<br />
Gesellschaft zu verankern.<br />
4. Berlin braucht verbindliche Bildungsziele<br />
Eine Schulstrukturreform ist kein Selbstzweck. Wir wollen eine Vereinbarung darüber erzielen,<br />
welche Ergebnisse die Berliner Schule erreichen soll. Für DIE LINKE sind drei Bildungsziele<br />
zentral. Aus diesen Bildungszielen ergeben sich notwendige Veränderungen für Inhalt und<br />
Struktur der Schule. Reformschritte müssen daraufhin geprüft werden, ob sie im Sinne der<br />
Bildungsziele wirken.<br />
a. Der Bildungserfolg darf nicht von der sozialen Herkunft abhängen<br />
DIE LINKE will die sozialen Disparitäten in der Berliner Schule abbauen. In 10 Jahren wollen<br />
wir schrittweise die Zahl der Abiturabschlüsse von Kindern aus bildungsfernen und<br />
einkommensschwachen Haushalten mindestens verdoppeln.<br />
b. Alle Schülerinnen und Schüler erwerben einen Schulabschluss<br />
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DIE LINKE will, dass innerhalb der nächsten 10 Jahre alle Schülerinnen und Schüler einen<br />
Abschluss der allgemeinbildenden Schule erreichen. Als Zwischenschritt wollen wir in den<br />
nächsten fünf Jahren die Abbrecherquote halbieren.<br />
c. Deutlich mehr Schülerinnen und Schüler erreichen das Abitur<br />
<strong>Die</strong> OECD attestiert der Bundesrepublik einen drohenden Fachkräftemangel, bedingt durch zu<br />
niedrige Studienabschlussquoten. Auch vor dem Hintergrund der demographischen<br />
Entwicklung ist es notwendig, insgesamt deutlich mehr junge Menschen zum bestmöglichen<br />
Schulabschluss zu führen und ihnen ein Hochschulstudium zu ermöglichen.<br />
Dazu will die <strong>Linke</strong> die Voraussetzung dafür schaffen, dass es mehr Schülerinnen und<br />
Schülern ermöglicht wird, ein Studium aufzunehmen. Dazu müssen über eine gezielte<br />
Förderung die schulischen Leistungen den Anforderungen des Abiturs angepasst werden.<br />
DIE LINKE will schrittweise innerhalb der nächsten 10 Jahre die Abiturquote in Berlin auf zwei<br />
Drittel eines Altersjahrganges erhöhen und damit mehr Schülerinnen und Schülern<br />
ermöglichen, ein Studium aufzunehmen.<br />
5. Bildungsziele durch gute Schulen erreichen!<br />
Um diese Bildungsziele zu erreichen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Gute Schulen<br />
sind für DIE LINKE Schulen,<br />
• die alle Schüler/innen mit ihren unterschiedlichen Ausgangslagen akzeptieren und individuell<br />
fördern, statt sie nach vermeintlicher Eignung und Leistungsfähigkeit auszulesen,<br />
• die Verschiedenheit als Reichtum verstehen und sie kreativ als Ressource zur Entwicklung<br />
sozialer Kompetenzen und für gemeinsames Lernen nutzen,<br />
• die das Lernen der Schüler/innen als aktiven und individuellen Prozess in den Mittelpunkt<br />
stellen und sich nicht auf ein überwiegend frontales Belehren beschränken,<br />
• in der die LehrerInnentätigkeit als Teamwork begriffen und umgesetzt wird,<br />
• die sich als Schulen verstehen, in denen Mit- und Selbstbestimmungsprozesse der<br />
SchülerInnen ermöglicht und unterstützt werden, um Demokratieverständnis in der Praxis zu<br />
lehren,<br />
• die in ihrem Kiez verankert sind und sich der Gesellschaft öffnen.<br />
6. <strong>Die</strong> geplante Strukturreform kann Sackgasse oder Zwischenschritt zur<br />
Gemeinschaftsschule werden<br />
Der Vorschlag des Senates für die Schulstrukturreform betrifft vor allem die Sekundarstufe I.<br />
Kern des Vorschlages ist, ab 2010/2011 anstelle der bisherigen Haupt-, Real- und<br />
Gesamtschulen nur noch eine Schulform neben den Gymnasien und Gemeinschaftsschulen zu<br />
etablieren. <strong>Die</strong> neue Oberschule, die dort als Sekundarschule bezeichnet wird, soll zu allen<br />
Schulabschlüssen führen und ausnahmslos als gebundene Ganztagsschule eingerichtet<br />
werden. Das Abitur kann dort in 12 oder 13 Jahren erworben werden.<br />
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<strong>Die</strong>ser Vorschlag überwindet die Hauptschule, reduziert die Gliederung des Schulsystems und<br />
führt eine Reihe integrativer Elemente der Gemeinschaftsschule über die Pilotphase hinaus in<br />
der Fläche ein.<br />
<strong>Die</strong>ser Weg birgt – da er die auslesende Gliederung des Schulsystems letztendlich nicht<br />
überwinden kann – die Gefahr in sich, in die Sackgasse der endgültigen Zweigliedrigkeit zu<br />
führen.<br />
Er bietet aber auch die Chance, einen Schritt in Richtung einer »... nicht auslesenden Schule,<br />
wie es dem Ziel und dem Selbstverständnis der Berliner Gemeinschaftsschule entspricht« zu<br />
gehen, wie sie das Senats-Papier selbst vorgibt.<br />
Inwieweit der Reformschritt diesem Ziel gerecht wird, hängt von den Bedingungen, seiner<br />
Ausgestaltung und seiner Einbettung in eine Perspektive zur Gemeinschaftsschule ab. DIE<br />
LINKE steht für die Schaffung neuer Restschulen nicht zur Verfügung, sondern befördert<br />
einen Prozess, der zu mehr Chancengleichheit und individuellem Lernen führt.<br />
Deshalb stellt DIE LINKE folgende Anforderungen an die anstehende Schulreform:<br />
B. Anforderungen der LINKEN an die Schulstrukturreform<br />
1. Ziel bleibt die Gemeinschaftsschule als Schule für alle<br />
Auch ein Zwischenschritt muss Richtung und Maß haben. <strong>Die</strong> anstehende Strukturreform<br />
muss sich, um nicht in der Sackgasse der Zweigliedrigkeit zu enden, am Ziel einer<br />
Gemeinschaftsschule orientieren. Und sie muss sich daran messen lassen, inwieweit sie einer<br />
Entwicklung hin zu einer nicht auslesenden Schule zuträglich ist.<br />
2. »Pilotphase Gemeinschaftsschule« wird fortgesetzt und ausgeweitet<br />
<strong>Die</strong> Pilotphase wird fortgesetzt und ausgeweitet. In ihr gehen Schulen den direkten Weg zur<br />
nicht auslesenden Schule und gewinnen Erfahrungen für ein ungegliedertes Schulsystem, in<br />
dem das individuelle Lernen im Mittelpunkt steht. <strong>Die</strong> Praxis des gemeinsamen Lernens von<br />
der ersten bis zur zehnten Klasse ohne Auslese nach der Grundschule, trägt dazu bei,<br />
Vorbehalte abzubauen. <strong>Die</strong> Erfahrungen der Pilotphase werden wissenschaftlich begleitet und<br />
ausgewertet und liefern so Erkenntnisse für die Entwicklung der Berliner Schule. Für die<br />
Ausweitung der Pilotphase sind folgende Punkte maßgeblich und in die Schulstrukturreform<br />
einzubringen:<br />
• <strong>Die</strong> Ausweitung der Pilotphase darf nicht an den Beschränkungen des bisher dafür<br />
vereinbarten Pilotfonds scheitern. Für die Fortführung und Ausweitung der Pilotphase sind die<br />
entsprechenden Haushaltsmittel in den Doppelhaushalt 2010/2011 einzustellen.<br />
• Jedem Kind, das es wünscht, muss der Zugang zur Gemeinschaftsschule ermöglicht werden.<br />
Der Bedarf an Plätzen ist an vielen Gemeinschaftsschulen größer als das vorhandene<br />
Angebot. <strong>Die</strong>ser Bedarf seitens der Schüler/innen und Eltern muss gedeckt werden, z.B.<br />
durch die Aufnahme weiterer Klassenzüge an bestehenden Standorten oder durch neue<br />
Gemeinschaftsschulgründungen.<br />
• DIE LINKE wird sich in den Bezirken dafür einsetzen, dass die Entwicklung von<br />
Gemeinschaftsschulen mit entsprechender Finanzierung Priorität bekommt.<br />
• Um weitere Grundschulen zu diesem Schritt zu ermutigen, setzt sich DIE LINKE dafür ein, die<br />
laufbahnrechtlichen Hindernisse für die Gründung und Entwicklung von<br />
Gemeinschaftsschulen zu beseitigen<br />
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• DIE LINKE will Schulen ermutigen, sich angesichts der bevorstehenden Schulstrukturreform<br />
zu entscheiden, sich zu einer Gemeinschaftsschule mit Grundstufe zu entwickeln und sich<br />
nicht auf die Reform in der Sekundarstufe I zu beschränken.<br />
3. Alle Schulen sollen sich integrativ entwickeln<br />
Ziel der Schulreform muss die Qualitätssteigerung in allen Schulen sein. Deshalb sollen sich<br />
alle Schulen – nicht nur die Gemeinschaftsschulen und die neuen Oberschulen – integrativ<br />
entwickeln.<br />
3.1. Auf den Anfang kommt es an – Grundschulen und Kitas stärken<br />
<strong>Die</strong> Kita und die Grundschule sind Bildungseinrichtungen, die bereits nach dem Prinzip des<br />
gemeinsamen Lernens arbeiten. Auch wenn der Kern des anstehenden Reformschrittes die<br />
Sekundarstufe I betrifft, dürfen wir die Grundschulen und die Kitas nicht vernachlässigen, weil<br />
hier die Grundlagen für Bildungserfolg und Chancengleichheit gelegt werden.<br />
DIE LINKE wird sich deshalb weiter dafür einsetzen, dass:<br />
• der Zugang zu den Bildungsangeboten der Kitas erleichtert und ihre Qualität durch eine<br />
bessere Ausstattung erhöht wird,<br />
• der Übergang zwischen Kitas und Grundschulen durch eine stärkere Zusammenarbeit<br />
erleichtert wird und dafür auf beiden Seiten die notwendigen Ressourcen zur Verfügung<br />
stehen,<br />
• die Lern- und Arbeitsbedingungen in der Schulanfangsphase wesentlich verbessert werden,<br />
• alle Kinder in der Grundschule ein Recht auf Ganztagsförderung ohne Bedarfsprüfung auch in<br />
den Klassenstufen fünf und sechs erhalten,<br />
• keine Ganztagsangebote allein aus Kostengründen in freie Trägerschaft verlagert werden,<br />
• für Ganztagsangebote qualifiziertes Personal in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestellt<br />
wird,<br />
• die fünften und sechsten Klassen und die Schnellläuferzüge an Gymnasien auslaufen,<br />
• die Bildungsgangempfehlungen abgeschafft werden.<br />
3.2. Anforderungen an die neue Oberschule<br />
Im Zentrum der Strukturreform steht die neue Oberschule. Damit sie sich im Sinne der Ziele<br />
der Reform entwickeln kann, muss sie eine gleichwertige Alternative zum Gymnasium werden<br />
und integrativ arbeiten.<br />
3.2.1. <strong>Die</strong> neuen Oberschulen und Gymnasium müssen gleichwertig sein<br />
<strong>Die</strong> neuen Oberschulen dürfen sich ihrem Selbstverständnis und ihrer Aufgabenstellung nach<br />
nicht darauf beschränken, Schulen für diejenigen zu sein, die es nicht ans Gymnasium<br />
geschafft haben. Sie müssen Kinder aller Leistungsvoraussetzungen zu einem größtmöglichen<br />
Lernfortschritt führen. Sie müssen deshalb explizit den Anspruch haben, auch<br />
Spitzenleistungen zu fördern.<br />
Gleichwertigkeit in diesem Sinne bedeutet:<br />
• Keine unterschiedlichen Vorgaben zur Anzahl der Klassenzüge<br />
• Gleiche Übergangsregelungen<br />
• Keine Schule existiert auf Kosten der anderen. Es gibt kein zwangsweises Abschulen mehr.<br />
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• Beide Schulformen führen zu den gleichen Abschlüssen, einschließlich des direkten Weges<br />
zum Abitur, und bieten die entsprechenden Standards an.<br />
• Beide Schulformen führen alle Schüler/innen zum bestmöglichen Abschluss.<br />
3.2.2. <strong>Die</strong> neue Oberschule muss eine integrativ arbeitende Schule sein<br />
<strong>Die</strong> neue Oberschule soll eine nicht auslesende, eine integrative Schule sein, in der die<br />
Lernenden auch im Inneren nicht mehr in Bildungsgänge eingeteilt werden. Sie muss das<br />
Organisationsprinzip der verpflichtenden Aufteilung der Schüler/innen in nach<br />
Leistungsniveaus differenzierte Lerngruppen zugunsten von Binnendifferenzierung und<br />
individuellem Lernen überwinden. Das Sitzenbleiben wird abgeschafft, stattdessen wird auf<br />
individuelle Förderung gesetzt. Jahrgangswiederholungen sollen nur noch im Einzelfall und auf<br />
Grundlage einer Fördervereinbarung zwischen Schüler/innen, Eltern und Schule erfolgen.<br />
3.3. Neue Anforderungen an das Gymnasium<br />
Das Gymnasium muss sich weiterentwickeln. Es darf nicht mehr auf Kosten anderer<br />
Schulformen existieren. Das heißt, Schülerinnen und Schüler, mit denen das Gymnasium<br />
bisher nicht zurechtkommt, darf es nicht mehr gegen ihren Willen abschieben. Es muss sie<br />
am Gymnasium zu den bestmöglichen Lernfortschritten und Abschlüssen führen und so<br />
seinen Beitrag dazu leisten, die Bildungsziele zu erreichen.<br />
4. Übergang in die Sekundarstufe I neu regeln<br />
Im Zuge der stufenweisen Überwindung des gegliederten Schulsystems, muss der Übergang<br />
von der Grundschule in die Sekundarstufe I neu geregelt werden. Dabei geht es nicht<br />
vorrangig um eine Zugangsregelung für die Gymnasien, sondern in erster Linie um eine<br />
Regelung für alle Schulen der Sekundarstufe I, an denen die Nachfrage auf Grund des<br />
Elternwillens die Zahl der vorhandenen Plätze übersteigt. Dabei kommt es entscheidend<br />
darauf an, dass jede Schule einen Beitrag zum Abbau der sozialen Disparitäten leistet.<br />
<strong>Die</strong> Regelungen für den Übergang von der Grundschule in die Schulen der Sekundarstufe<br />
müssen sich daran messen lassen, ob und inwieweit sie einer sozialen Segregation<br />
entgegenwirken und der Gleichwertigkeit beider Schulformen in der Sekundarstufe Rechnung<br />
tragen.<br />
In jedem Fall soll der gemeinsame Übergang von Lerngruppen aus der Grundschule in die<br />
Schulen der Sekundarstufe auf Elternwunsch ermöglicht werden.<br />
5. Inklusion und Integration weiter vorantreiben<br />
Eine Schulreform, die sich am Ziel der nicht auslesenden Schule orientiert, muss die Inklusion<br />
und Integration auch in Bezug auf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />
verwirklichen. <strong>Die</strong> notwendige Überwindung der Hauptschule darf nicht zu einem Abschieben<br />
von Schülerinnen und Schüler insbesondere an die Sonderschulen mit dem<br />
Förderschwerpunkt »Lernen« führen.<br />
Mittelfristig setzt sich DIE LINKE für die Integration aller Schüler/innen mit<br />
sonderpädagogischem Förderbedarf an Regelschulen ein. Voraussetzung dafür ist eine<br />
entsprechende personelle, bauliche, infrastrukturelle und finanzielle Ausstattung der<br />
Regelschulen, die sicherstellt, dass Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />
auch in den Regelschulen entsprechend ihren Bedürfnissen gefördert werden.<br />
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<strong>Die</strong> Mittel aus den Sonderschulen müssen sukzessive in den gemeinsamen Unterricht<br />
überführt werden.<br />
Der Vorrang des gemeinsamen Unterrichts muss an allen Schulen – auch am Gymnasium –<br />
umgesetzt werden. Das erfordert auch dort eine entsprechende Ausstattung. <strong>Die</strong> Deckelung<br />
der dafür zu Verfügung stehenden Ressourcen muss aufgehoben werden. Im Rahmen der<br />
baulichen Investitionen ist darauf zu achten, dass auch die Schulen barrierefrei gestaltet<br />
werden.<br />
6. Praktisches Lernen für alle<br />
Praktisches Lernen ist ein wichtiger Bestandteil eines ganzheitlichen Bildungsangebots.<br />
Deshalb soll das duale Lernen nicht nur an der neuen Oberschule, sondern in allen Schulen<br />
seinen Platz haben und allen Schüler/innen offenstehen. Es darf nicht als<br />
abschlussbezogenes Lernangebot für ehemalige HauptschülerInnen behandelt werden.<br />
Großer Anstrengung bedarf das Bereitstellen einer entsprechenden Anzahl geeigneter<br />
Schülerarbeitsplätze.<br />
7. <strong>Die</strong> Rahmenbedingungen müssen stimmen.<br />
Wenn über die Ausstattung von Schule diskutiert wird, sind »Klassenfrequenzen«, »Zügigkeit«<br />
und »Unterrichtsstunden« zentrale Begriffe. Organisatorischer Rahmen für erfolgreiches<br />
Lernen sind allerdings nicht zwingend der Klassenverband, der Jahrgang oder die 45minütige<br />
Unterrichtsstunde. Entscheidend ist vielmehr, dass die Schulen eine gute Ausstattung<br />
erhalten, mit der sie eigenverantwortlich und flexibel das Lernen gestalten können. <strong>Die</strong><br />
folgenden Aussagen zu Frequenzen und Zügigkeit sollen daher lediglich der Berechnung der<br />
Ausstattung dienen. <strong>Die</strong> Bewertung der Arbeitsbelastung muss neuen Erfordernissen<br />
Rechnung tragen.<br />
7.1. Keine unterfinanzierte Schulreform, sondern verlässliche Voraussetzungen<br />
DIE LINKE steht nicht für Schulreformen zur Verfügung, die nicht vernünftig finanziert sind. In<br />
der Vergangenheit haben viele sinnvolle Bildungsreformen daran gekrankt, dass sie<br />
unterfinanziert waren. Das hat innerhalb der Kollegien und bei Schülerinnen und Schülern wie<br />
Eltern zu Recht zu Protesten geführt und ist auch ein Grund für die Reformverdrossenheit an<br />
vielen Schulen. <strong>Die</strong> bevorstehende Schulstrukturreform braucht deshalb verlässliche<br />
Voraussetzungen. Das gilt sowohl für die künftige Ausstattung der Schulen als auch den<br />
Prozess der Errichtung der neuen Oberschulen.<br />
• <strong>Die</strong> Schulleitungen und das pädagogische Personal müssen an der Gestaltung und Umsetzung<br />
der Reform beteiligt und dabei unterstützt werden. Sie brauchen daher schulbezogene<br />
Fortbildungsprogramme insbesondere für das Lernen in heterogenen Gruppen, Hilfe und<br />
Coaching bei der Entwicklung der Schulen und Hilfe für selbstorganisiertes und freies Lernen.<br />
• Eine starre Vierzügigkeitsvorgabe für die neuen Oberschulen ist nicht sachgerecht. Bei einem<br />
entsprechenden pädagogischen Konzept muss mit der Schulgröße flexibel umgegangen<br />
werden.<br />
• Ein Musterraumprogramm für die neuen Oberschulen muss entsprechend den pädagogischen<br />
Anforderungen den Raumbedarf definieren. Es muss insbesondere die räumlichen<br />
Bedingungen für den Ganztagsbetrieb, für die Arbeit in kleinen Gruppen und<br />
Arbeitsmöglichkeiten für das pädagogische Personal schaffen.<br />
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Das System der Bezirkszuweisungen für die Schulträgerfunktion muss die Reform<br />
unterstützen. Es muss für den Übergangszeitraum der Umsetzung der Reform das parallele<br />
Auslaufen und die Neugründung an verschiedenen Standorten finanziell gesichert werden.<br />
7.2. Zusätzliche Aufgaben brauchen zusätzliche Mittel.<br />
<strong>Die</strong> Ausstattung der neuen Oberschulen soll zum einen der der bisherigen Gesamtschulen<br />
entsprechen und zum anderen sollen sie darüber hinaus für zusätzliche Aufgaben auch<br />
zusätzliche Mittel erhalten. <strong>Die</strong>s gilt für die Angebote praktischen Lernens ebenso wie für den<br />
Wegfall des Sitzenbleibens. <strong>Die</strong> Ausweitung des Ganztagsangebotes muss mit einer<br />
entsprechenden zusätzlichen Ausstattung mit Lehrer/innen, Erzieher/innen und<br />
Sozialarbeiter/innen einhergehen.<br />
Durch den Wegfall der äußeren Differenzierung können frei werdende Ressourcen zur<br />
Senkung der Klassenfrequenzen eingesetzt werden. Auf dieser Grundlage streben wir eine<br />
Frequenz von 25 Schüler/innen je Klasse an. Für die integrative Bildung und Betreuung von<br />
Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf sollen an den neuen Oberschulen<br />
Sonderpädagogen/innen tätig sein.<br />
<strong>Die</strong>ser kindbezogene Mehrbedarf muss auch für die Arbeit mit dem Kind zum Einsatz<br />
kommen.<br />
7.3. Unterschiedliche Voraussetzungen unterschiedlich behandeln.<br />
Darüber hinaus fordert DIE LINKE, die Sach- und Personal-Ausstattung von der sozialen Lage<br />
und dem daraus erwachsenden Förderbedarf der Schüler/innen abhängig zu machen.<br />
8. Lehrer/innen-Ausbildung auf die neuen Erfordernisse der Berliner Schule<br />
ausrichten<br />
Sowohl der weitere Ausbau der Pilotphase Gemeinschaftsschule als auch die<br />
Weiterentwicklung der Schulstruktur, insbesondere in der Sekundarstufe, erfordern<br />
Veränderungen in der Lehrer/innen - Ausbildung, die über die bisherigen Reformen<br />
hinausgehen. Dazu gehören<br />
• die Befähigung künftiger Lehrerinnen und Lehrer zum Umgang mit der Unterschiedlichkeit der<br />
Schülerinnen und Schüler, zum Lehren und Lernen in heterogenen Schülergruppen und zum<br />
Umgang mit Schülerinnen und Schülern verschiedener Herkunftssprachen,<br />
• der Übergang zu einer einheitlichen Lehrer/innen - Ausbildung mit einem 4-semestrigen<br />
Masterstudium für alle Lehramtsstudiengänge,<br />
• die deutliche Erhöhung des Praxisbezugs und der Berufswissenschaften sowie der<br />
Praxisanteile im Studium insgesamt und insbesondere in der Bachelorphase.<br />
8.1. Personalmangel entgegenwirken<br />
Angesichts des bundesweiten Lehrermangels und der bundesweit zu geringen<br />
Ausbildungszahlen soll sich Berlin dafür einsetzen, dass eine ruinöse Abwerbungspraxis<br />
verhindert wird. Das ist nicht durch das Engagement einzelner Bundesländer zu lösen. Durch<br />
gemeinsame Regelungen von Bund und Ländern muss sichergestellt werden, dass<br />
bundesweit ausreichend Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden und für<br />
überdurchschnittliche Ausbildungsleistungen einzelner Länder ein finanzieller Ausgleich<br />
stattfindet. Gleichzeitig muss in Berlin die Kapazität der Ausbildung von Lehrerinnen und<br />
Lehrern, aber auch von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Erzieherinnen und<br />
Erziehern dem Berliner Bedarf entsprechen. <strong>Die</strong> Anhebung der Einstiegsgehälter für<br />
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Lehrerinnen und Lehrer muss umgesetzt und tariflich abgesichert werden. Punktuelle<br />
Verbesserungen für eine begrenzte Beschäftigtengruppe beseitigen die Ursache für den<br />
vorhandenen Lehrermangel nicht auf Dauer.<br />
Ein Grund für den Mangel an Lehrkräften ist der Weggang von Lehrerinnen und Lehrern aus<br />
Berlin in andere Bundesländer aus tariflichen Gründen. Auch deshalb setzt sich DIE LINKE für<br />
den Wiedereintritt Berlins in den Tarifverbund der Länder und Kommunen ein.<br />
C. Nächster Schritt zur »Schule für alle«<br />
<strong>Die</strong> Schulreform kann unter den zuvor benannten Bedingungen ein wichtiger Schritt auf dem<br />
Weg zur »Schule für alle« sein. Weitere Schritte sind notwendig und dürfen durch die<br />
Schulstrukturreform ausdrücklich nicht ausgeschlossen werden. Nur so bleibt das Ziel der<br />
flächendeckenden Gemeinschaftsschule erreichbar.<br />
DIE LINKE schlägt daher für die nächste Wahlperiode die schrittweise Zusammenführung der<br />
Grundschulen mit den neuen Oberschulen vor. Dadurch würde das längere gemeinsame<br />
Lernen von der ersten bis zur zehnten Klasse – ohne Zäsur nach der Grundschule – zum<br />
Regelfall werden.<br />
D. Schule gemeinsam verändern<br />
Veränderung in der Schule ist nötig, aber wir wissen, dass Lernen eine lebenslange Aufgabe<br />
ist und nicht nur in der Schule stattfindet. Wenn in diesem Antrag frühkindliche und<br />
vorschulische Bildung, Jugendhilfe, Berufliche Bildung, Studium, Weiterbildung kaum erwähnt<br />
sind, heißt das nicht, dass wir diese Felder für unwichtig hielten oder dort nichts zu verändern<br />
wäre. Es ist lediglich der begrenzten Themenstellung dieses Antrages geschuldet.<br />
<strong>Die</strong>ser Schritt der Schulstrukturreform wird umfangreiche Veränderungen notwendig machen.<br />
Gerade weil sie für uns nur ein Zwischenschritt ist und wir weitere Veränderungen wollen,<br />
drängt DIE LINKE auf einen partizipativen Reformprozess. Wir wollen, dass sich gerade die<br />
Betroffenen einbringen können. Sie sind es, die die Bedingungen vor Ort kennen. Deshalb<br />
kann die Reform nur mit ihnen gelingen.<br />
Wenn wir erreichen wollen, dass die Schulreform nicht im Zwischenschritt stecken bleibt,<br />
müssen wir die gesellschaftliche Unterstützung für die Idee der Gemeinschaftsschule<br />
verbreitern. Wir werden mit unseren Bündnispartnern weiter eng zusammen arbeiten und<br />
neue gewinnen.<br />
Beim Ringen um die Gemeinschaftsschule geht es nicht nur einfach um einen Punkt in einem<br />
Wahlprogramm. Sondern wir führen eine gesellschaftliche Auseinandersetzung um<br />
Chancengleichheit in der Bildung und damit um Gerechtigkeit und Emanzipation. Wir werden<br />
darin nur erfolgreich sein, wenn wir sie gemeinsam bestreiten.<br />
Thüringer Landtag Erfurt, 19. Februar 2009<br />
Fraktion DIE LINKE<br />
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M ü n d l i c h e A n f r a g e der Abgeordneten Sojka (DIE LINKE)<br />
Streiklisten im Auftrag des Kultusministeriums?<br />
Am 11. Februar 2009 wurden nach Aufruf durch die Lehrergewerkschaften in mehreren<br />
Thüringer Städten zweistündige Warnstreiks ab 12 Uhr durch angestellte Lehrerinnen und<br />
Lehrer durchgeführt, um den bundesweiten Tarifforderungen im öffentlichen <strong>Die</strong>nst<br />
Nachdruck zu verleihen. Laut Pressemeldung vom 13. Februar 2009 und mir vorliegenden<br />
Schreiben wurden die Schulleiterinnen und Schulleiter in den Schulamtsbereichen Erfurt und<br />
Schmalkalden durch die Schulamtsleiter aufgefordert, die Streikenden namentlich zu erfassen<br />
und die Namenslisten an die Schulämter zu übermitteln. Darüber hinaus wurden die<br />
Schulleitungen aufgefordert, die Namen der beim Warnstreik anwesenden Beamten sofort zu<br />
melden.<br />
Ich frage die Landesregierung:<br />
1. Handelten die Schulamtsleiter mit ihrem Schreiben im Auftrag des Kultusministeriums<br />
und wurde in anderen Schulämtern ebenfalls so verfahren, wenn ja an welchen?<br />
2. Wie viele am Warnstreik beteiligte angestellte und wie viele verbeamtete Lehrerinnen und<br />
Lehrer wurden durch die Schulleiter gemeldet, wo werden die Namen gesammelt, wie<br />
lange aufbewahrt und wie viele Meldungen wurden von den Schulen bzw. von den<br />
Schulaufsichtsbehörden an die Bundesagentur für Arbeit gegeben?<br />
3. Zu welchem Zweck wurden die Namen erfasst und mit welchen Konsequenzen müssen<br />
die gemeldeten angestellten bzw. verbeamteten Pädagoginnen und Pädagogen rechnen?<br />
4. Welche Gehaltseinsparungen wurden auf Grund des zweistündigen Warnstreiks durch das<br />
Land erzielt?<br />
Michaele Sojka<br />
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Diskussion<br />
Erfahrungen aus 40 Jahren Einheitsschule in der DDR –<br />
Impulse für die Entwicklung der Gemeinschaftsschule<br />
Günter Wilms<br />
I.<br />
Das öffentliche Bildungswesen der Bundesrepublik befindet sich seit langem in einer Krise,<br />
weil sich in ihm alle ökonomischen, sozialen und kulturellen Widersprüche der Gesellschaft<br />
widerspiegeln.<br />
Dass das Bildungswesen in Deutschland einer grundlegenden demokratischen Reformierung<br />
bedarf, und dass es dabei in erster Linie um die Verwirklichung des Rechts auf Bildung für<br />
alle, um die Sicherung einer guten Bildung für alle geht, das wussten linke politische Kräfte<br />
auch vor PISA und vor der Anfang 2007 vorgelegten vernichtenden Kritik des UN-<br />
Sonderberichterstatters für das Menschenrecht auf Bildung.<br />
Bildungsfragen sind Fragen der Gesamtentwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse und<br />
müssen in den Kampf für deren Veränderung eingeordnet werden. Bildung hat immer etwas<br />
mit Gegenwart und Zukunft und deren Gestaltung zu tun.<br />
<strong>Die</strong> Veränderung / Reformierung des Bildungswesens beginnt mit der Schaffung besserer<br />
Lebens-, Entwicklungs- und Sozialisationsbedingungen für alle Kinder, insbesondere für die<br />
Kinder aus benachteiligten sozialen Schichten, und schließt ausdrücklich die Betreuung,<br />
Bildung und Erziehung der Kinder im Vorschulalter durch hochschulgemäß ausgebildete<br />
ErzieherInnen ein.<br />
II.<br />
Ein Blick in die Geschichte des Bildungswesens und der Pädagogik macht deutlich, dass die<br />
Forderung nach Bildung für alle Kinder und Jugendlichen und die darauf basierende<br />
Einheitsschulidee tief in den pädagogischen und bildungspolitischen Auffassungen<br />
progressiver pädagogischer und philosophischer Denker der vergangenen Jahrhunderte, in<br />
der sich im 19. Jahrhundert entwickelnden Lehrerbewegung und vor allem in der<br />
Arbeiterbewegung verankert ist.<br />
In fast allen Ländern Europas entwickeln sich nach der Zerschlagung des Faschismus –<br />
eingeordnet in die Prozesse einer sehr unterschiedlich interpretierten und praktizierten<br />
allgemeinen Demokratisierung – Einheitsschulsysteme. In allen Ländern, außer der BRD,<br />
Österreichs und einem Teil der Schweiz, wird der Übergang von dualistischen bzw. vertikal<br />
mehrgliedrigen Schulsystemen mit einer frühen Auslese und Festlegung der Kinder auf<br />
verschiedene Bildungswege unterschiedlicher Dauer hin zu einer gemeinsamen Schule für alle<br />
vollzogen.<br />
<strong>Die</strong> internationalen Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass die mit der<br />
Einheitsschulidee verbundenen pädagogischen und bildungspolitischen Anliegen nur dann voll<br />
verwirklicht werden können, wenn in einem Land ein flächendeckendes Einheitsschulsystem<br />
entsteht.<br />
Auch in Deutschland, sowohl in der sowjetischen wie in den westlichen Besatzungszonen, gab<br />
es nach der Zerschlagung des Faschismus Bestrebungen und Aktivitäten zur Entwicklung von<br />
Einheitsschulmodellen.<br />
Im Jahr 1948 verabschiedete die „Konferenz der deutschen Erziehungsminister“ auf ihrer<br />
Tagung am 19. und 20. Februar in Stuttgart-Hohenheim eine Entschließung, die auf eine<br />
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demokratische bildungspolitisch progressive Entwicklung des Schulwesens in allen deutschen<br />
Ländern orientierte:<br />
„<strong>Die</strong> in Stuttgart versammelten Erziehungsminister aller deutschen Länder haben zur Frage<br />
der Schulreform einstimmig folgende Entschließung gefasst:<br />
Das gesamte Schulwesen bildet eine organische Einheit.<br />
Der äußere und innere Auf- und Ausbau der Schule muss im Geiste der Demokratie, der<br />
sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der Völkerverständigung erfolgen.<br />
Jedem Kind muss die Möglichkeit zur allseitigen Entwicklung seiner körperlichen, geistigen<br />
und sittlichen Kräfte gegeben werden.<br />
Der Bildungsgang der Jugend darf nicht abhängig sein von der sozialen und wirtschaftlichen<br />
Lage des Elternhauses.<br />
Bei aller Verschiedenheit des äußeren Bildungsweges müssen die Unterrichtsziele in den<br />
deutschen Ländern einander angeglichen werden.<br />
<strong>Die</strong> Leistungshöhe aller Schulen muss gesteigert werden; dabei ist besonderer Wert auf die<br />
Entwicklung der gemeinsamen Grundstufe und die Förderung des ländlichen und beruflichen<br />
Schulwesens zu legen.<br />
In bewusster Abkehr zur zurückliegenden Zeit muss das Ziel der Erziehung die Heranbildung<br />
des selbständig urteilenden, verantwortungsbewusst handelnden und guten Menschen für<br />
Beruf und Leben sein.“<br />
Im Zuge der Restauration der alten gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik<br />
Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre wurde das Schulwesen im Anschluss an die<br />
Organisationsstrukturen der Weimarer Zeit wiederhergestellt und konsolidiert.<br />
III.<br />
In der sowjetischen Besatzungszone wurde zielstrebig auf der Grundlage der Verfassungen<br />
und der Ländergesetze zur Demokratisierung der deutschen Schule daran gearbeitet, die<br />
demokratische Einheitsschule und damit die Überwindung des alten bürgerlichen<br />
Bildungsprivilegs und das Recht auf Bildung für alle Wirklichkeit werden zu lassen. Alle Kinder<br />
erhielten eine einheitliche achtjährige Grundschulausbildung mit naturwissenschaftlichem<br />
Fachunterricht und Unterricht in einer Fremdsprache. Damit verbunden war<br />
• die Schaffung einer neuen Lehrerschaft,<br />
• die Bildung antifaschistisch-demokratischer Schulverwaltungen,<br />
• die Überwindung der Rückständigkeit des Landschulwesens und<br />
• die Sicherung einer beruflichen Ausbildung für alle Jugendlichen (für alle Abgänger der<br />
8. Klassen, die nicht über die vierjährige Oberschule die Hochschulreife anstrebten).<br />
Eine wichtige Aufgabe der bildungspolitischen Entwicklung in den 40er und 50er Jahren, die<br />
auch in den folgenden Jahrzehnten aktuell blieb, war die Förderung der im bürgerlichen<br />
Bildungssystem benachteiligten Arbeiter- und Bauernkinder. Ihrer Realisierung dienten außer<br />
speziellen schulorganisatorischen Maßnahmen und der Gründung der Arbeiter- und Bauern-<br />
Fakultäten (zunächst „Vorstudienanstalten“) vor allem die Aktivitäten der Lehrer und Erzieher<br />
im Unterricht und im alltäglichen pädagogischen Geschehen.<br />
IV.<br />
<strong>Die</strong> weitere Ausgestaltung der demokratischen Einheitsschule begann in der DDR in den 50er<br />
Jahren mit der schrittweisen Verlängerung der Pflichtschulzeit von acht auf zehn Jahre. Sie<br />
fand ihre umfassende sachliche Ausgestaltung im „Gesetz über das einheitliche sozialistische<br />
44
Bildungssystem“ von 1965, das bis 1989 Grundlage der Entwicklung des DDR-<br />
Bildungswesens war.<br />
Auf der Einheitsschulidee fußend und sie weiterführend charakterisiert dieses Gesetz<br />
erstmalig und bis heute in der Geschichte des deutschen Bildungswesens einmalig über alle<br />
früheren Schranken hinweg die Gesamtheit der staatlichen Bildungseinrichtungen und<br />
Bildungsbestrebungen von der frühen Kindheit bis zur Hochschul- und Erwachsenenbildung in<br />
ihrer inneren Einheit und Kontinuität, eingeschlossen die Aus- und Weiterbildung der<br />
PädagogInnen. Der Mitwirkung verschiedenster gesellschaftlicher Kräfte an der Bildung und<br />
Erziehung der Jugend werden durch das Gesetz umfassende Möglichkeiten eröffnet.<br />
Mit dem Gesetz wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, die einzelnen Glieder des<br />
Bildungssystems so zusammenzufügen, dass sie eine geschlossene, in sich abgeschlossene<br />
Gesamtstruktur bildeten. Deshalb wurde in der DDR vom einheitlichen sozialistischen<br />
Bildungssystem gesprochen und nicht von Einheitsschule.<br />
V.<br />
Rückblickend muss mit Nachdruck hervorgehoben werden, dass das Bildungswesen der DDR<br />
gute Bedingungen für eine umfassende Entwicklung und Bildung aller Kinder und Jugendlichen<br />
schuf. Gesichert wurden im Prozess der Verwirklichung des Gesetzes von 1965 die<br />
gemeinsame ganztägige vorschulische Betreuung, Bildung und Erziehung faktisch aller Kinder<br />
und die Nachmittags- und Frühbetreuung der Kinder der Klassen 1-4 in den Schulhorten. Alle<br />
jungen Menschen konnten sich in der zehnjährigen Oberschule eine solide Allgemeinbildung<br />
auf hohem Niveau aneignen. Zum Abitur führten nicht nur die die Klassen 11 und 12<br />
umfassende Erweitere Oberschule. In wachsendem Maße erwarben viele Jugendliche in den<br />
Klassen Berufsausbildung mit Abitur die Hochschulreife. In einem anderswo kaum<br />
anzutreffenden Maße hatte die Schule der DDR mit der Entwicklung der Polytechnik und der<br />
Einführung spezieller polytechnischer Unterrichtsfächer die Welt der Arbeit und der Technik in<br />
ihr Bildungskonzept eingebunden.<br />
Grundlage für die Ausgestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems waren die<br />
gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen die Förderung der Jugend einen<br />
zentralen Platz einnahm, sowie speziell die Aktivitäten staatlicher Organe und<br />
gesellschaftlicher Kräfte zur ständigen Verbesserung der allgemeinen Lebens- und<br />
Entwicklungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen. Nicht zuletzt muss auf die<br />
hervorragende Arbeit zehntausender Pädagoginnen und Pädagogen und deren Bemühungen<br />
um die Förderung jedes einzelnen Schülers / jeder einzelnen Schülerin verwiesen werden.<br />
Ein entscheidendes Element des Bildungswesens der DDR war die Vielfalt von Möglichkeiten<br />
außerunterrichtlicher und außerschulischer Betätigungen für die Kinder und Jugendlichen,<br />
getragen sowohl von den Schulen als auch in besonders starkem Umfang von den<br />
verschiedensten gesellschaftlichen Kräften und Organisationen und den volkseigenen – und<br />
genossenschaftlichen Betrieben. <strong>Die</strong> Schulen verstanden sich nicht nur als unterrichtende,<br />
sondern in gleicher Weise als in den Kommunen, in den Wohngebieten sozial verankerte<br />
Einrichtungen, die im Zusammenwirken mit „verbündeten“ Erziehungsträgern im Territorium<br />
das Leben der Kinder und Jugendlichen und damit auch die Förderung und Entwicklung ihrer<br />
Neigungen und Interessen pädagogisch mitzugestalten halfen<br />
VI.<br />
Alle im Bildungswesen der DDR Tätigen ließen sich von einem wahrhaft humanistischen<br />
Bildungsideal leiten, das im Kern beinhaltet, dass jeder Mensch entwicklungs- und<br />
bildungsfähig ist, dass Anlagen, Fähigkeiten, Begabungen und Talente eines jeden Menschen<br />
umfassend gefördert werden müssen. Daraus wurden im pädagogischen Alltag umfassende<br />
45
Maßnahmen zur Förderung eines jeden Kindes, eingeschlossen die Kinder mit<br />
Lernschwierigkeiten, abgeleitet.<br />
Ausgehend von der wissenschaftlich begründeten Überzeugung, dass Begabung nicht etwas<br />
durch Geburt Vorherbestimmtes ist und dass jedes Kind begabt ist – unterschiedlich wofür -,<br />
wurde der Förderung der Interessen und Neigungen, Fähigkeiten und Talente der<br />
Schülerinnen und Schüler große Aufmerksamkeit gewidmet. Das begann mit differenzierten<br />
Aufgabenstellungen im Unterricht und setzte sich mit einem sehr breiten Angebot<br />
außerunterrichtlicher und außerschulischer Betätigungsmöglichkeiten (u.a. in sog. Stationen<br />
junger Naturforscher und Techniker und in Pionierhäusern, z.B. im Pionierpalast Berlin) und<br />
der Durchführung verschiedener Wettbewerbe auf Schul-, Kreis-, Bezirks- und Republiksebene<br />
fort (Messe der Meister von Morgen, Olympiaden, Spartakiaden u.a.).<br />
Besondere Möglichkeiten zur Entwicklung und Förderung spezieller Begabungen boten die<br />
z.T. schon ab 3. Schuljahr beginnenden Spezialschulen (für künstlerische-, mathematische-,<br />
naturwissenschaftliche- und sportliche Gebiete).<br />
VII.<br />
Mit dem Blick auf die Nutzung der Erfahrungen des DDR-Bildungswesens dürfen bestimmte<br />
Defizite, die sich vor allem in den letzten Jahren der DDR-Entwicklung herausgebildet hatten,<br />
und die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr korrigiert bzw. überwunden werden<br />
konnten, nicht unberücksichtigt bleiben. Das bezieht sich z.B. auf mangelnde<br />
Differenzierungsmöglichkeiten vor allem in den oberen Klassenstufen der Oberschule, auf<br />
eine zu große Stofffülle in den Lehrplänen und auch auf eine gewisse Einförmigkeit in der<br />
Gestaltung des Unterrichts und der täglichen pädagogischen Arbeit. Das von Anti-DDR-<br />
Kräften in den Vordergrund gerückte Argument der ideologischen Überfrachtung muss<br />
allerdings differenziert gewertet werden, denn die großen Anstrengungen der PädagogInnen<br />
zur Erziehung der Jugend im Geiste des Friedens, der Völkerfreundschaft und der Solidarität<br />
gehören zweifellos zum „positiven Erbe“ des DDR-Bildungswesens.<br />
VIII.<br />
Generell gilt:<br />
Das Bildungswesen der DDR hat insgesamt den Beweis erbracht, dass – eingebettet in eine<br />
das ganze gesellschaftliche Leben durchziehende Forderung und Förderung des<br />
Bildungsstrebens aller werktätigen Menschen und unter relativ ausgeglichenen<br />
Entwicklungsbedingungen der Heranwachsenden in Bezug auf die Unterschiede zwischen arm<br />
und reich und die Unterschiede zwischen Stadt und Land – sowohl hohe Bildungsziele als<br />
auch gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle erreichbar und realisierbar sind.<br />
<strong>Die</strong>se Gesamtwertung und in sie eingeschlossen Erfahrungen auf verschiedenen<br />
Einzelgebieten führten zu hoher internationaler Anerkennung z.B. durch die UNESCO.<br />
Pädagogen und Bildungspolitiker aus Entwicklungsländern, aber auch aus europäischen<br />
Staaten, z.B. auch aus Finnland, studierten die Erfahrungen mit dem Blick auf die Nutzung für<br />
eigene Reformvorhaben. Nicht zuletzt diese Tatsache macht deutlich, dass DDR- Erfahrungen<br />
auf dem Gebiet des Bildungswesens auch heute noch nicht nur Impulse für die Entwicklung<br />
der Gemeinschaftsschule, sondern auch vielfältige Anregungen für konkrete Lösungen bei der<br />
Verwirklichung der der Einheitsschulidee zugrunde liegenden bildungspolitischen und<br />
pädagogischen Anliegen unter den konkreten Bedingungen der BRD vermitteln können.<br />
Prof. Dr. Günter Wilms ist Mitglied des Ältestenrates und der Koordinierungsgruppe der BAG<br />
Bildungspolitik<br />
46
Gesamtschule oder Gemeinschaftsschule?<br />
Zur Perspektive zweier Reformmodelle nach PISA 2006<br />
Valentin Merkelbach<br />
Der unaufhaltsame Aufstieg Sachsens im PISA- Ranking der 3.Ländervergleichsstudie 2006<br />
wird die Debatte über eine Reduktion der Schulformen von vier oder drei auf zwei neue<br />
Nahrung geben (PISA 2006). Schon das gute Abschneiden von Sachsen in PISA 2003, aber<br />
auch das von Thüringen und Sachsen-Anhalt, hatte die Frage aufgeworfen, ob nicht ein<br />
zweigliedriges System mit Gymnasium und einer Zweitschule für die Leistungsschwächeren<br />
ein gangbarer Weg sein könnte, um aus dem Mittelmaß der deutschen Schule im<br />
Internationalen Vergleich herauszukommen. Man könnte sich so auch die eskalierenden<br />
Probleme mit der Hauptschule vom Halse schaffen und vielleicht ließe sich sogar die Zahl<br />
derer vermindern, die nach wie vor und seit PISA 2000 mit neuen Argumenten eine Schule für<br />
alle Kinder vom 1. bis 10.Schuljahr fordern und dabei vor allem auf das PISA- Siegerland<br />
Finnland verweisen.<br />
Zweigliedrigkeit auf Kosten einer für alle Kinder offenen Schule?<br />
Als erstes Bundesland hat nach PISA 2003 das CDU- regierte Hamburg mit seinen fünf<br />
Schulformen über ein zweigliedriges System nachgedacht. Das Ergebnis steht seit 2008 im<br />
schwarz-grünen Koalitionsvertrag: Nach einer sechsjährigen Primarschule gibt es nur noch<br />
das "wissenschaftsorientierte" Gymnasium und eine "berufsorientierte" Stadtteilschule, zu<br />
der Haupt-, Real- und Gesamtschulen fusionieren. Es folgt nach sechs Grundschuljahren eine<br />
für Eltern verbindliche Bildungsempfehlung der Grundschule und damit eine Separierung der<br />
Zwölfjährigen in eher praktisch begabte und eher theoretisch begabte. Es gibt also in<br />
Hamburg nach diesem Plan keine Schule mehr, die von ihrem Anspruch her eine für alle<br />
Kinder offene Schule ist. (Merkelbach Juni 2008).<br />
Dass eine solche Separierung zehn- oder zwölfjähriger Kinder pädagogisch sinnvoll ist,<br />
entgegen allen begabungstheoretischen Erkenntnissen, dient nach wie vor als zentrale<br />
Begründung auch dem sächsischen System aus Gymnasium und Mittelschule und ist letztlich<br />
die Legitimation für jede Form der Zuweisung von zehn- oder zwölfjährigen Kindern zu<br />
unterschiedlich anspruchsvollen Schulformen. Das unterschiedlich Anspruchsvolle bestimmt<br />
das Maß an theoriegeleiteter Praxis in einer Schulform.<br />
Nach PISA 2006 wird nun nicht das zweigliedrige Hamburger System, das sich ja noch nicht<br />
als PISA-tauglich erweisen konnte, favorisiert, sondern das besonders erfolgreiche<br />
sächsische, mit einer ersten verbindlichen Zuweisung nach Klasse 4 zu Gymnasium und<br />
Mittelschule und einer zweiten Sortierung der Schüler/innen der Mittelschule in<br />
"abschlussbezogene" Haupt- oder Realschulklassen.<br />
Der Leiter der deutschen PISA-Studie, Manfred Prenzel, will in einem Interview "keine<br />
Werbung für eine bestimmte Schulstruktur machen" und sieht PISA lediglich als<br />
"Rückmeldung" für die Politik, sympathisiert aber dann doch ganz offen mit der "simpel<br />
gestrickten Schulstruktur" Sachsens. Man habe sich nach der Wende weder die<br />
Dreigliedrigkeit noch die Gesamtschuldebatte aufdrängen lassen, halte "Frieden an der<br />
Schulstrukturfront" und Politik und Lehrer/innen konzentrierten sich aufs "Kerngeschäft".<br />
Auch in Bayern werde man sich sicher fragen, "ob die Trennung in Haupt- und Realschulen,<br />
die vor einigen Jahren von der siebten auf die fünfte Klasse verlegt wurde, mehr Leistung und<br />
Gerechtigkeit gebracht hat". (Zeit, 20.11.08, S.89)<br />
47
Klaus Hurrelmann, der seit den 1990er Jahren für ein zweigliedriges System ohne<br />
Hauptschule wirbt und die konzeptionelle Vorlage für den Schulplan der Hamburger CDU<br />
nach PISA 2003 geliefert hat, favorisiert 2008 nicht mehr das, was in Hamburg inzwischen<br />
aus seinem Konzept geworden ist, sondern zeigt sich jetzt tief beeindruckt vom PISA- Erfolg<br />
der sächsischen Schule. Bei genauem Hinsehen komme das Ergebnis "einer schulpolitischen<br />
Revolution" gleich. Sachsen sei ein "Befreiungsschlag für die künftige Schulpolitik in<br />
Gesamtdeutschland" gelungen: neben dem Gymnasium eine Mittelschule "mit einem<br />
deutlichen Akzent auf berufsnahe, praxisorientierte und projektbezogene Arbeitsweisen". Das<br />
lange ausschließlich CDU- regierte Land zeige, dass "Höchstleistungen jenseits des<br />
dreigliedrigen Schulsystems" möglich sind. Da alle Bundesländer vor der Frage stünden, "wie<br />
sie mit der Schulform Hauptschule umgehen sollen", zeige "ihnen Sachsen einen praktikablen<br />
Weg". (Frankfurter Rundschau, 24.11.08, =.12)<br />
Klaus Hurrelmann und Manfred Prenzel plädieren im Grunde für das alte bayerische System<br />
einer doppelten Auslese nach Klasse 4 und 6, das offensichtlich nach der Wende das Vorbild<br />
für das sächsische Modell gewesen ist. Beide Wissenschaftler akzeptieren, wohl auch aus<br />
einem nüchternen Kalkül der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die Zuweisung der Kinder<br />
in unterschiedliche Lernmilieus und plädieren, auf dieser Basis endlich "Frieden an der<br />
Schulstrukturfront" einkehren zu lassen. Prenzel bedauert deshalb in dem Interview, dass in<br />
den westlichen Ländern "viel Kraft in die Schulstrukturdebatte gesteckt" werde. Statt Haupt-<br />
und Realschulen zusammenzulegen, packten die einen "noch die Gemeinschaftsschule dazu",<br />
die anderen verlängerten die Grundschulzeit. Damit schaffe man sich „viel Ärger" und<br />
"kleinkarierte Debatten", während man die Kraft doch "besser in die Schulentwicklung und<br />
den Unterricht investieren" könnte.<br />
Dass es sich beim Engagement derer, die mit pädagogischen und gesellschaftlichen<br />
Argumenten gemeinsames Lernen bis zum Ende der Pflichtschulzeit fordern, um<br />
"kleinkarierte Debatten" handelt, ist kein besonderer Beitrag zum "Frieden in der<br />
Schulstrukturdebatte". Der wird mit der von Prenzel und Hurrelmann gewünschten<br />
Zweigliedrigkeit nicht einkehren, auch nicht in Sachsen. Auch dort geht es längst um die<br />
Frage, wie eine Schule aussehen muss, die auf jede Form der Auslese verzichtet, die ein<br />
Lernangebot enthält für alle Kinder, für die Leistungsstarken, die Leistungsschwächeren und<br />
für Kinder mit Handicaps, und die die beiden für den Berufseinstieg relevanten Abschlüsse,<br />
den Mittleren Abschluss und die Hochschulreife, auf einem direkten Weg anbietet. Es geht in<br />
der Auseinandersetzung der nächsten Jahre konkret um die Frage: Darf die Gesamtschule wie<br />
in Hamburg einfach in einer "berufsorientierten" Zweitschule verschwinden? Und wohin soll<br />
sich eine Schule für alle in den Bundesländern entwickeln, die sich bereits in<br />
Koalitionsvereinbarungen auf den neuen Schultyp Gemeinschaftsschule als Angebot neben<br />
dem Gymnasium geeinigt haben? Das sind Schleswig-Holstein, Berlin und das PISA-<br />
Siegerland Sachsen.<br />
<strong>Die</strong> Gesamtschule vor dem Aus?<br />
<strong>Die</strong> deutsche Gesamtschule, wie sie sich seit den frühen 1970er Jahren in sozialdemokratisch<br />
regierten Bundesländern etabliert hat, war ein mühsam ausgehandelter Kompromiss mit den<br />
Konservativen. Dabei sah es in der ersten Großen Koalition 1966 bis 1969 so aus, als ob sich<br />
die beiden Volksparteien einigen könnten auf den "Strukturplan für das Bildungswesen" des<br />
Deutschen Bildungsrates. Dessen Kernaussage hat der Historiker Karl <strong>Die</strong>trich Erdmann,<br />
Vorsitzender des Gremiums und Mitglied der CDU, in der Einleitung des Plans so<br />
zusammengefasst: "Kein Platz ist mehr für das unverbundene nebeneinander von Schulen, die<br />
48
sich – volkstümliche Bildung für die einen, wissenschaftliche für die anderen – von<br />
verschiedenen Bildungsideen legitimieren." (zitiert nach: Herrlitz 2007) Dass der Konsens<br />
zerbrach, führt Hans-Georg Herrlitz wesentlich auf den Ausgang der Bundestagswahl 1969<br />
und den Beginn der sozialliberalen Koalition zurück, die die CDU zum ersten Mal in der<br />
Nachkriegszeit auf die harten Bänke der Opposition verwies. Deren Kompromissbereitschaft<br />
habe sich seitdem "mehr und mehr in eine Fundamentalopposition" verwandelt (Herrlitz<br />
2007).<br />
Es trat das ein, was bereits die Schulpolitik der Weimarer Republik prägte: der massive<br />
Widerstand gegen die sozialdemokratische Idee einer Schule für alle Kinder bis zum Ende der<br />
Pflichtschulzeit, nachdem es der SPD in der Reichsschulkonferenz von 1920 gelungen war,<br />
wenigstens die vierjährige Grundschule für alle Kinder durchzusetzen und die "Vorschulen" als<br />
direkten Zugang der Kinder bürgerlicher Schichten zum Gymnasium abzuschaffen. Während<br />
in den 1960er Jahren das Parlament in Helsinki mit den Stimmen der konservativen<br />
Bauernpartei die Gesamtschule für ganz Finnland beschloss, machten die Konservativen bei<br />
uns nun wieder Front gegen jede Form einer integriert arbeitenden Schule, die sie mit Blick<br />
auf die Verhältnisse in der DDR als "sozialistische Einheitsschule" diffamierten.<br />
Nachdem es weder im Bund noch in einem der sozialdemokratisch regierten Bundesländer<br />
gelungen war, die Gesamtschule in der Fläche einzuführen, hatte diese neue Schule im<br />
Kompromiss mit den Konservativen unter einem doppelten Handicap zu leiden. Sie konnte in<br />
der Konkurrenz zu Realschule und Gymnasium nie eine Schule für alle Kinder, eine Gesamt-<br />
Schule, werden. Statt bis zum Ende der Pflichtschulzeit dann wenigstens ohne Auslese<br />
arbeiten zu können, musste sie, um von den CDU- regierten Ländern in der<br />
Kultusministerkonferenz ihre Abschlüsse anerkannt zu bekommen, akzeptieren, vom<br />
7.Schuljahr durch äußere Differenzierung in Leistungsgruppen das dreigliedrige System<br />
abzubilden.<br />
<strong>Die</strong>ser massive Eingriff in das ursprüngliche Konzept von gemeinsamem Lernen hat die SPD<br />
nicht dazu gebracht, unter diesen Bedingungen doch lieber auf die Gründung von<br />
Gesamtschulen als Regelschulen zu verzichten und statt dessen auf integriert arbeitende<br />
Versuchsschulen zu setzen. Dass die neuen Schulen von Anfang ganz überwiegend von<br />
Kindern besucht werden, die die Grundschule für die Haupt- oder Realschule empfiehlt, hat<br />
die Konservativen nicht davon abhalten können, die Ergebnisse der Gesamtschule immer mit<br />
denen des Gymnasiums zu vergleichen und dabei ihr Scheitern zu konstatieren. Das<br />
geschieht auch noch mit Blick auf die Ergebnisse der PISA- Studien 2000 bis 2006.<br />
Erst in neueren Untersuchungen, die nicht wie PISA den Leistungsstand zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt messen und vergleichen, sondern der Frage nachgehen, ob und inwieweit es<br />
Schulen gelingt, ihre Schüler/innen von ihren Ausgangsbedingungen her zu erkennbarem<br />
Lernzuwachs zu führen, erfährt die Gesamtschule eine Rehabilitierung ihrer Arbeit. Es gelingt<br />
ihr, trotz der geschilderten Handicaps, offensichtlich besser ihre Schüler/innen individuell zu<br />
fördern und zu einem qualifizierten Abschluss zu führen als das gegliederte System.<br />
(Leistungsstarke Gesamtschulen 2007; Merkelbach Oktober 2007)<br />
Eine Bestätigung erfährt dieses Ergebnis auch in einer jüngsten Studie aus Nordrhein-<br />
Westfalen, die die Schullaufbahn von Schüler/innen an Gesamtschulen untersucht, die 2004<br />
die 11.Klasse besuchten. Es sind ganz überwiegend Schüler/innen mit einer Haupt- oder<br />
Realschulempfehlung von der Grundschule. Während die Landesregierung versucht, mit<br />
49
Fördermaßnahmen die Hauptschule am Leben zu halten und die CDU-Schulministerin nicht<br />
müde wird, die Gesamtschule als gescheitertes Auslaufmodell zu deklarieren, kommt die<br />
Studie zu dem Ergebnis: 90 Prozent aller Schüler/innen an Gesamtschuloberstufen in NRW<br />
schließen mit der Hochschulreife ab; 71 Prozent erreichen die allgemeine Hochschulreife und<br />
19 Prozent die Fachhochschulreife. Darunter sind nicht wenige, die vom selektiven System<br />
aussortiert und an Gesamtschulen aufgenommen wurden. Nur 10 Prozent der Schüler/innen<br />
verlassen also die Oberstufe ohne einen höheren Abschluss, während 20 Prozent der<br />
Schüler/innen an Gymnasien vorzeitig die Schule verlassen.<br />
Es sind offensichtlich nicht nur die prominenten Gesamtschulen, die beim Deutschen<br />
Schulpreis mit Auszeichnungen glänzen. Auch die vielen unbekannten Gesamtschulen<br />
scheinen ihrem Anspruch der individuellen Förderung und dem Verzicht auf selektive<br />
Instrumente wie Nichtversetzung und Abschulung näher zu kommen als Schulen des<br />
gegliederten Systems. Entgegen dem Image in der Öffentlichkeit übersteigt seit Jahren und in<br />
wachsendem Umfange die Zahl der an Gesamtschulen angemeldeten Kinder die zur<br />
Verfügung stehenden Plätze. Der Druck der Eltern nach weiteren Gesamtschulen wächst,<br />
ohne dass sich die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft wesentlich zu ändern scheint.<br />
Es sind wohl zunehmend Eltern, die die Hauptschule, aber auch verstärkt die Realschule<br />
vermeiden wollen und der Gesamtschule mehr Vertrauen schenken, ihr Kind zu einem<br />
qualifizierten Abschluss zu führen.<br />
<strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule – eine weiterentwickelte Gesamtschule?<br />
Wenn die Gesamtschule, wie Studien zeigen, so viel besser ist als ihr Ruf, stellt sich die Frage,<br />
was Sozialdemokraten in einzelnen Bundesländern veranlasst, sich neuerdings von dieser<br />
Schulform zu verabschieden und es mit einem anderen integrativen Schultyp zu versuchen.<br />
Hat die neue Gemeinschaftsschule noch denselben Anspruch wie die Gesamtschule, ein das<br />
gegliederte System ersetzende Schule, zu sein? Wofür steht die Gemeinschaftsschule dort,<br />
wo sie bereits in Koalitionsvereinbarungen Eingang gefunden hat?<br />
Schleswig-Holstein<br />
Seit der Weimarer Republik hat sich die Bezeichnung Gemeinschaftsschule gegenüber der<br />
älteren Bezeichnung Simultanschule durchgesetzt. Sie war im Unterschied zur Konfessions-<br />
oder Bekenntnisschule offen für Schüler/innen verschiedener christlicher Konfessionen,<br />
nichtchristlicher Religionen und für konfessionslose Schüler/innen. <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule<br />
war also im nach Schulformen und Schulstufen gegliederten System eine Schule für alle<br />
Kinder, unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung.<br />
Hier liegt wohl der Anknüpfungspunkt dafür, dass Ernst Rösner vom Dortmunder Institut für<br />
Schulentwicklungsforschung in einem Gutachten für die schleswig-holsteinische SPD 2004<br />
die bereits vorhandene Bezeichnung aufgriff. <strong>Die</strong> neue Gemeinschaftsschule sollte allerdings<br />
nicht nur auf eine Selektion nach religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen<br />
verzichten, sondern auch die Separierung der Kinder in unterschiedlich anspruchsvolle<br />
Schulformen überwinden.<br />
Schleswig-Holstein war lange ein CDU- regiertes Land. Als die SPD an die Regierung kam, hat<br />
sich schulpolitisch nicht viel geändert. Erst 1995 wurde die deutsch-dänische Schule in<br />
Eckernförde als die erste Gesamtschule gegründet und in der 2.Ländervergleichsstudie PISA<br />
2003 betrug der Schüler/innen- Anteil der Gesamtschule gerade einmal 6,5 Prozent. Es gab<br />
50
also 2003 keine lange Tradition der Gesamtschule und es gab sie ausschließlich in den<br />
kreisfreien Städten, während das übrige Land "gesamtschulfrei" blieb. (Höppner 2007)<br />
Auf einem bildungspolitischen Parteitag beschloss die SPD 2004 mit großer Mehrheit die<br />
Abkehr vom dreigliedrigen System. Langfristiges Ziel sei, „dass die Schüler/innen auch in<br />
Deutschland wie in den meisten europäischen Ländern von der 1.bis zur 10. Klasse<br />
gemeinsam unterrichtet werden". "Langfristig" hieß: Es müsse "Übergangsschritte" geben;<br />
man müsse die betroffenen, Lehrkräfte und Eltern, mitnehmen und der Ausstieg aus der<br />
gegliederten Schule müsse im bestehenden System erfolgen. Damit brach ein SPD-<br />
Landesverband im Einvernehmen mit einer rot-grünen Landesregierung das auch nach PISA<br />
2000 von der KMK hartnäckig verteidigte Tabu der Strukturfrage. Das Bildungsministerium<br />
beauftragte dann Ernst Rösner mit einem Gutachten, das mit wesentlichen Aussagen Eingang<br />
fand ins Wahlprogramm der SPD für die Landtagswahl 2005. (Johannsen 2007, S.138 f.)<br />
Ernst Rösners Gutachten basiert auf harten Fakten demografischer Veränderungen: Einem<br />
absehbaren Rückgang der Schülerzahlen, was unter den Bedingungen des gegliederten<br />
Systems zu Standortgefährdungen und Schulschließungen vor allem im ländlichen Raum<br />
führen müsse. Es müsse darum die Frage zulässig sein, meint Rösner, ob es strukturelle<br />
Alternativen gibt, die zu mehr Standortsicherheit führen und zugleich bessere Bedingungen<br />
schaffen für individuelle Förderung und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler.<br />
Auch wenn bei PISA "der Leistungsvorsprung von Ländern mit integrierten Systemen<br />
gegenüber Deutschland" "keine kausale Beweisführung zur Überlegenheit integrierter<br />
Systeme" erlaube, so sei "die Vermutung wohl fundiert, dass in einem Set inhaltlicher und<br />
organisatorischer Veränderungen des Schulsystems die Ursachen variierender<br />
Leistungsstärke zu suchen" sei. Für Rösner sind allerdings strukturelle Reformen allein<br />
ebenso wenig eine "Lösung des Leistungsproblems des deutschen Schulwesens" wie eine<br />
"Begrenzung von Reformen auf Lerninhalte, Diagnostik und Evaluation". (Rösner 2004, S.5)<br />
Rösner gibt für seine längerfristige Zielprojektion einer Schule für alle Kinder die Bezeichnung<br />
Gesamtschule auf. Sie ist für ihn im Jahrzehnte währenden Schulstreit verschlissen und nicht<br />
mehr brauchbar für eine Schule, die sich aus dem bestehenden System in unterschiedlich<br />
großen Schritten entwickelt und auch ein Angebot sein soll für den ländlichen Raum.<br />
Nach der Landtagswahl 2005 kam es bekanntlich in Schleswig-Holstein nicht zur Fortführung<br />
von Rot-Grün, sondern die beiden bildungspolitischen Kontrahenten im Wahlkampf mussten<br />
sich in der Großen Koalition auf einen schulpolitischen Kompromiss einigen, der in der<br />
Novellierung des Schulgesetzes vom Februar 2007 die folgenden Eckpunkte enthielt:<br />
• Statt der bestehenden eigenständigen Haupt- und Realschulen soll es ab dem Schuljahr<br />
2010/11 nur noch eine "Regionalschule" geben, die die beiden Bildungsgänge vereinigt,<br />
mit einer gemeinsamen Orientierungsstufe in 5/6. Danach geht es getrennt in Haupt-<br />
und Realschulklassen bis 9 bzw. 10 weiter. (Das sächsische Modell der Mittelschule)<br />
• Daneben wird es auf Antrag des Schulträgers Gemeinschaftsschulen geben, in denen<br />
Schüler/innen bis Ende 10 gemeinsam unterrichtet werden, den Haupt- oder<br />
Realschulabschluss erwerben und den Übergang auf die gymnasiale Oberstufe erreichen<br />
können. Abitur dann nach Klasse 13.<br />
• Gemeinschaftsschulen können auch mit der Grundschule beginnen und bei<br />
entsprechender Größe eine eigene Oberstufe haben.<br />
51
• Bis zum Schuljahr 2010/11 sollen alle Gesamtschulen sich in Gemeinschaftsschulen<br />
umwandeln.<br />
• Auch die Regionalschule oder das Gymnasium können, wenn der Schulträger das<br />
beantragt, allein oder mit anderen Schulen zusammen, Gemeinschaftsschulen<br />
werden.(siehe: http://www.spd.ltsh.de/)<br />
<strong>Die</strong> eigentliche Differenz zum Schulplan der SPD im Wahlkampf ist nicht die Regionalschule,<br />
auf der die CDU bestand. Sie war als notwendiger Zwischenschritt schon im Rösner-<br />
Gutachten vorgesehen und heißt dort "kleine Gemeinschaftsschule" im Unterschied zur<br />
"großen", die den gymnasialen Bildungsgang enthält und auch mit der Grundschule beginnen<br />
kann. Es wird schwer sein für die Regionalschule, sich längerfristig neben der für Eltern und<br />
Schulträger attraktiveren Gemeinschaftsschule zu behaupten. Innerhalb von zwei Jahren<br />
haben bereits 55 "große Gemeinschaftsschulen" ihren Betrieb aufgenommen. Ein<br />
wesentlicher Unterschied im Kompromiss der Großen Koalition ist die Bestandsgarantie für<br />
das Gymnasium, das nicht mehr gehalten ist, sich auch in eine integriert arbeitende Schule<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Während die Realschulen, Lehrende und Eltern, nach heftigem Protest gegen die Fusion mit<br />
der Hauptschule, inzwischen zu Befürwortern der Gemeinschaftsschule geworden sind,<br />
scheint das Gymnasium im schwarz-roten Schulkompromiss ungeschoren davon zu kommen.<br />
Oder wird es in absehbarer Zeit doch die Konkurrenz reüssierender Gemeinschaftsschulen zu<br />
spüren bekommen? Es gibt erste Hinweise, dass Eltern für ihre gymnasial empfohlenen<br />
Kinder die wohnortnahe Gemeinschaftsschule dem entfernten städtischen Gymnasium<br />
vorziehen. Doch zu einem fairen Wettbewerb besitzt das Gymnasium noch Privilegien genug<br />
und die Gemeinschaftsschule leidet noch unter zu vielen Handicaps.<br />
• An Gemeinschaftsschule arbeiten noch ganz überwiegend Haupt- und<br />
Realschullehrer/innen. Wo es gelingt, auch Gymnasiallehrer/innen für die neue Schule<br />
zu gewinnen, brauchen diese zurzeit noch weniger Stunden zu unterrichten als ihre<br />
Kolleginnen und Kollegen und werden dazu noch besser bezahlt. <strong>Die</strong> Spanne erstreckt<br />
sich zwischen 24,5 und 27,5 Unterrichtsstunden. Das ist nicht gerade förderlich für ein<br />
gutes Betriebsklima in Kollegien, die ohne eine entsprechende Ausbildung ein<br />
integratives Unterrichtskonzept bis zum 10.Schuljahr entwickeln sollen und ab Klasse 7,<br />
wie Gesamtschulen immer schon, ihre Schüler/innen, ob nun durch äußere<br />
Differenzierung oder durch eine innere Differenzierung im Klassenverband, auf den<br />
Haupt- oder Realschulabschluss oder den Übergang auf die gymnasiale Oberstufe<br />
vorbereiten müssen.<br />
• Vor diesem Hintergrund hat ein Gymnasium, das sich entschließt, möglichst auf Selektion<br />
zu verzichten und eine förderorientierte Unterrichtskultur zu entwickeln, mit seinen<br />
überwiegend leistungsstärkeren Schüler/innen die weitaus besseren Möglichkeiten als<br />
eine Gemeinschaftsschule.<br />
• Wie wird sich für Schüler/innen der Gemeinschaftsschule der Übergang zur gymnasialen<br />
Oberstufe gestalten, wenn eine Schule keine eigene Oberstufe füllt? Wird es dann<br />
Oberstufenzentren geben oder müssen Schüler/innen dann doch wieder zum<br />
traditionellen Gymnasium wechseln?<br />
• Wie werden sich Gesamtschul-Kollegien verhalten, die sich nicht, die Regionalschulen<br />
und Gymnasien, allein oder mit anderen Schulen zusammen, freiwillig in<br />
Gemeinschaftsschulen umwandeln können, sondern bis 2010/11 dies tun müssen?<br />
Werden sie zur Kooperation mit den im Aufbau befindlichen Gemeinschaftsschulen bereit<br />
52
sein und ihre langjährigen Erfahrungen mit integriertem Unterricht einbringen, - auch die<br />
leidvollen Erfahrungen mit der Differenzierung nach Bildungsgängen ab Klasse 7?<br />
<strong>Die</strong> offene Baustelle Gemeinschaftsschule mag jetzt schon ein attraktives Angebot für Eltern<br />
und Schulträger im ländlichen Raum sein. Wer jedoch an einem fairen pädagogischen<br />
Wettbewerb der neuen Schule mit dem Gymnasium interessiert ist, wird ernsthaft an der<br />
Beseitigung der genannten Handicaps arbeiten müssen. Vordringlich dürfte dabei sein, mit<br />
der Hauptschule auch den von der Wirtschaft immer weniger akzeptierten<br />
Hauptschulabschluss zugunsten eines Mittleren Abschlusses abzuschaffen; d.h. eine solide<br />
Grundbildung für alle auf der Basis von Mindeststandards vorzugeben. (Merkelbach Dezember<br />
2007)<br />
Solange die KMK, die ja bei wichtigen Entscheidungen im Konsens beschließen muss, die<br />
Abschaffung des Hauptschulabschlusses blockiert, können Gemeinschaftsschulen und<br />
Gymnasien nur dann gleichberechtigt in einen pädagogischen Wettbewerb treten, wenn beide<br />
Schulformen auch beide Abschlüsse der Sekundarstufe I vorbereiten und durchführen; wenn<br />
also auch das Gymnasium seine von der Grundschule übernommenen Schüler/innen<br />
wenigstens bis zum Hauptschulabschluss fördern muss. Solange Gymnasien den<br />
Bildungsgang Hauptschule und den entsprechenden Abschluss nicht anbieten, müssen die<br />
übrigen Schulen, das sind in Schleswig-Holstein Regionalschule, Gemeinschaftsschule und bis<br />
2010 die Gesamtschule, die als leistungsschwach abgeschobenen Schüler/innen von<br />
Gymnasien übernehmen, - zu den vielen leistungsschwachen Schüler/innen, die sie ohnehin<br />
von der Grundschule übernommen haben.<br />
Erst ein Gymnasium, das dieses fragwürdige Privileg der Abschulung verliert, steht vor der<br />
Notwendigkeit, gerade in den schwierigen Jahren der Pubertät schwächelnde Jugendliche<br />
individuell zu fördern. Sie nur mitzuschleppen bis zum Hauptschulabschluss würde dann wohl<br />
auch den pädagogischen Ruf der Schule beschädigen. Für eine solche Entwicklung an<br />
Gymnasien könnte auch der Rückgang der Schülerzahlen eine wichtige Rolle spielen, der ja<br />
ein zentrales Motiv für Ernst Rösners Konzept der Gemeinschaftsschule war.<br />
Sachsen<br />
Was in Schleswig-Holstein begonnen hat, steht inzwischen auch in Sachsen in einer schwarzroten<br />
Koalitionsvereinbarung: die Gemeinschaftsschule als Möglichkeit, in der verfahrenen<br />
Strukturdebatte zu einem Kompromiss zu kommen. Sachsen hatte, wie Thüringen und<br />
Sachsen-Anhalt, für kurze Zeit nach der Wende ein dreigliedriges System und danach neben<br />
dem Gymnasium nur noch eine "Mittelschule", in der Haupt- und Realschule vereinigt sind. In<br />
der Mittelschule wird bis Ende Klasse 6 integriert unterrichtet. Von Klasse 7 an gibt es wieder<br />
"abschlussbezogene" Haupt- und Realschulklassen.<br />
<strong>Die</strong> guten Ergebnisse des Landes in der Ländervergleichsstudie PISA 2003 waren bereits<br />
Anlass zu der Frage, ob das bis Klasse 6 zweigliedrige System nicht ein Modell für andere<br />
Bundesländer sein könnte. Der Ländervergleich PISA 2006 mit Sachsen an der Spitze wird,<br />
wie oben angedeutet, die Diskussion über ein partiell zweigliedriges System noch einmal<br />
intensivieren. Ob das allerdings eine Lösung für das Problem der sozialen Selektion und der<br />
nach wie vor eklatanten Leistungsschwäche des gegliederten Systems im unteren<br />
Kompetenzbereich sein kann und ob dies, über bessere Rankingplätze im nationalen und<br />
internationalen Vergleich hinaus, zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen wird, lässt sich wohl in<br />
den nächsten Jahren in keinem Bundesland besser studieren als in Sachsen.<br />
53
Im selben Jahr 2006, in dem die Daten für den PISA- Ländervergleich erhoben wurden,<br />
erschien eine "Expertise für die Landeshauptstadt Dresden" zum "Schulformwechsel von<br />
Gymnasien zu Mittelschulen". Darin wird auch für ganz Sachsen eine Entwicklung<br />
beschrieben, die in den Daten von PISA 2006 noch keinen Niederschlag gefunden hat. Für die<br />
Studie des Instituts für Schulpädagogik der TU Dresden hat sich der bundesweite Trend eines<br />
wachsenden Gymnasialbesuchs in Sachsen noch einmal verstärkt, seit im Februar 2005 die<br />
Zugangsbedingung für das Gymnasium geändert wurde. Statt eines Notendurchschnitts von<br />
2,0 reicht seitdem bereits eine 2,5 für eine verbindliche gymnasiale Bildungsempfehlung der<br />
Grundschule.<br />
Während der Schüler/innen- Anteil der Mittelschule in den PISA- Daten von 2003 bis 2006<br />
sich kaum verändert hat (61,3 zu 61,2 Prozent) und am Gymnasium gleich geblieben ist (32<br />
Prozent), ermittelt die Dresdener Studie im Schuljahr 2005/06 für Dresden bereits mehr<br />
Kinder am Gymnasium (52,94 Prozent) als an Mittelschulen. Im Landesdurchschnitt gingen<br />
44,54 Prozent aufs Gymnasium, also 12 Prozent mehr als von PISA 2006 ermittelt. <strong>Die</strong>ser<br />
Trend hat sich für die Verfasser der Studie im Schuljahr 2006/07 fortgesetzt. <strong>Die</strong>ser<br />
verstärkte Creaming-Effekt bedeutet für die Mittelschule einen wachsenden Verlust an<br />
leistungsstärkeren Schüler/innen und die Gefahr, dass die Mittelschule zu dem wird, was in<br />
anderen Bundesländern das traurige Schicksal der Hauptschule und eines Teils der<br />
Realschulen ist. (Schulformwechsel 2006, S.16 f.; Merkelbach Februar 2008).<br />
In einem Beitrag mit dem Titel "Schaut auf Sachsen!" versucht Jeannette Otto hinter das<br />
Erfolgsgeheimnis des sächsischen PISA- Erfolgs zu kommen (Zeit, 20.11.08, S.87 f.). Sie<br />
bezieht sich bei ihrem Versuch auf die Erfahrungen einer "Reise durch die sächsische<br />
Bildungslandschaft". Sachsen gebe jeden vierten Euro für Bildung aus; nur 11 bis 15<br />
Schüler/innen kommen auf einen Lehrer; das Land hat die höchste Stundenzahl in den<br />
naturwissenschaftlichen Fächern. 80 Prozent der sächsischen Lehrer/innen, erfährt<br />
Jeannette Otto, haben eine "klassische Ost-Biografie" und haben in der DDR eine sehr<br />
praxisorientierte Ausbildung genossen. Dass Schule über Leistung definiert wird und auch<br />
Druck erzeugen kann, sei nichts, was diese Lehrer/innen nach der Wende erst hätten lernen<br />
müssen. In der DDR sei "der Lehrer für das Versagen eines Schülers verantwortlich gemacht"<br />
worden; da habe "keiner gewagt, die Schuld auf die Dummheit des Schülers oder das sozial<br />
verwahrloste Elternhaus zu schieben". "Es ging darum, jeden mitzunehmen. Und darum geht<br />
es in Sachsen auch heute."<br />
Am Ende ihres Beitrags kommt Jeannette Otto auch auf die Schattenseiten des sächsischen<br />
Erfolgsmodells zu sprechen. Sie zitiert die Vorsitzende des Landeselternrates, für die die<br />
Schüler/innen der 11. und 12.Klasse (Sachsen hat seit der Wende G8) je nach<br />
Fächerkombination "auf bis zu 41 Wochenstunden – plus Hausaufgaben" kommen. Sie könne<br />
darum nicht glauben, "dass man mit dem Durchpeitschen dieser Fächer lustvolles Lernen<br />
fördern wird" und erlebt die sächsische Schule "als zu notenfixiert". Zu viele "Potenziale"<br />
blieben dabei auf der Strecke. Aber die Schüler/innen, stellt sie resigniert fest, seien "extrem<br />
leidensfähig". Sie bekämen vermittelt: "Das Leben ist hart. Schule auch." Und das<br />
akzeptierten sie.<br />
Den enormen Leistungsdruck auf das G8-Gymnasium bekommen dann auch die Mittelschulen<br />
zu spüren, die die am Gymnasium gescheiterten Schüler/innen aufnehmen müssen. Viermal<br />
so hoch, berichtet Jeanette Otto, ist der Anteil derer, die zur Mittelschule abgeschoben<br />
werden im Vergleich zu denen, die den Aufstieg in den höheren Bildungsgang schaffen. Damit<br />
54
estätigt die die oben zitierte Studie, dass durch die Zugangserleichterung zum Gymnasium<br />
die Mittelschulen inzwischen "kaum noch leistungsstarke Schüler aus der Grundschule"<br />
bekommen. Während die Gymnasien sich "vor zuviel Durchschnitt" fürchteten, kämpften "die<br />
Mittelschulen gerade in sozial belasteten Gebieten schon jetzt gegen den Ruf der<br />
Restschule". Von der Leiterin einer Leipziger Mittelschule erfährt Jeannette Otto, es gehe oft<br />
nur noch um =Schadensbegrenzung" und darum, ihre Schüler/innen wenigstens<br />
"lebenstüchtig" aus der Schule zu entlassen, was Jeannette Otto zu dem ernüchternden Fazit<br />
kommen lässt: „Selbst im Pisa-Siegerland Sachsen gelangt man schnell an jene wunden<br />
Stellen des Systems, die durch reines Leistungsstreben nicht zu heilen sind."<br />
Eine wunde Stelle des Systems ist für Yvonne Globert, wie Jeannette Otto auf der Suche nach<br />
Sachsens Erfolgsgeheimnis, auch der hohe Schüler/innen- Anteil der sächsischen<br />
Sonderschulen, der trotz eines dramatischen Rückgangs der Schülerzahlen in den anderen<br />
Schulen in den vergangenen Jahren noch zugenommen hat. Während PISA 2006 den Anteil<br />
mit 4,1 Prozent angibt (PISA 2006, S.41), ermittelt Yvonne Globert, dass mehr als 20 000<br />
Schüler/innen laut statistischem Landesamt 2006/07 in Sachsen eine Sonderschule<br />
besuchten. Das sind mehr als sechs Prozent aller Schüler/innen. Für Yvonne Globert ist das<br />
die "weniger hübsche Seite eines Landes, das gelobt wird, weil es auf die Hauptschule<br />
verzichtet". (Frankfurter Rundschau, 19.11.2008, S.10 f.)<br />
Ein Gymnasium, in das immer mehr Kinder drängen, eine wachsende Sonderschule und eine<br />
Mittelschule auf dem Weg zur "Restschule" haben nicht nur die sächsische Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft auf den Plan gerufen mit der Forderung nach einer "Schule für<br />
alle Kinder", sondern auch die SPD, der Juniorpartner in der Großen Koalition nach der<br />
Landtagswahl 2004. im Koalitionsvertrag konnte sie durchsetzen, dass der Schulträger eine<br />
Gemeinschaftsschule als "Schulversuch" beantragen kann. Im Schuljahr 2006/07 wurden<br />
zwei Gemeinschaftsschulen genehmigt, 2007/08 kamen vier weitere hinzu. Das Interesse<br />
von Kommunen wächst, die Schule als wichtigen Standortfaktor auch bei rückläufigen<br />
Schülerzahlen zu halten. (Merkelbach Februar 2008, S.5 f.)<br />
Der von der sächsischem CDU ungeliebte und eher behinderte als geförderte Schulversuch<br />
"Gemeinschaftsschule" (das wird sich nach PISA 2006 kaum ändern) beginnt in der Regel mit<br />
Klasse 5. Möglich ist auch der Einbezug einer Grundschule sowie von Kindern mit Handicaps,<br />
wenn die sonderpädagogische Förderung gesichert ist. <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule kann<br />
abweichen von der äußeren Differenzierung in die Bildungsgänge Hauptschule, Realschule<br />
und Gymnasium, also in A-, B- und C-Kurse in bestimmten Fächern, wenn sie die<br />
Differenzierung in anderer Form nachweisen kann. Das Gymnasium hat dieses Problem nicht<br />
und behält das "Privileg" des Abschulens.<br />
Zum unsicheren Status "Schulversuch", wohl auch aufgrund der schwachen Position der SPD<br />
innerhalb der Koalition, leidet die sächsische Gemeinschaftsschule unter den gleichen<br />
Handicaps wie die in Schleswig-Holstein und die Gesamtschule generell, die es in Sachsen<br />
nicht gibt. <strong>Die</strong> neue Schule mag überall dort, wo kein Gymnasium in der Nähe ist, für<br />
Schulträger und Eltern ein besseres Angebot sein als die Mittelschule, hat aber in ihrer<br />
augenblicklichen Konstruktion noch wenig Chancen, mit dem Gymnasium ebenbürtig um die<br />
Gunst der Eltern zu werben.<br />
55
Berlin<br />
Während in Schleswig-Holstein in PISA 2003 nur 6,5 Prozent der Schüler/innen an einer<br />
Gesamtschule einen Platz fanden (PISA 2006: 7,1), waren es in Berlin 2003 immerhin 27,3<br />
Prozent (2006: 27,7). Dass man es trotz dieses breiten Angebots an Gesamtschulen in der<br />
Stadt mit einem neuen Schultyp, der Gemeinschaftsschule, versuchen will, statt die<br />
Weiterentwicklung der Gesamtschule zu fördern, ist das Ergebnis der<br />
Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Linkspartei 2006. Während die Linkspartei eine<br />
Einführung der Gemeinschaftsschule in der Fläche von 1 bis 10 forderte, unter Einschluss des<br />
Gymnasiums, setzte die SPD in einem Kompromiss eine Pilotphase Gemeinschaftsschule<br />
durch, die von 2008/09 bis 2012/13 gehen soll und an der sich jede Berliner Schule, ob<br />
allein oder mit anderen Schulen zusammen, beteiligen kann. Erst danach sollen die<br />
Ergebnisse des wissenschaftlich begleiteten Schulversuchs ausgewertet und eine<br />
Grundsatzentscheidung über eine andere Schulstruktur getroffen werden.<br />
• In Berlin sollen Gemeinschaftsschulen alle Jahrgänge vom 1.Schuljahr bis zur<br />
Hochschulreife umfassen. Wo dies noch nicht der Fall ist, muss für die Teilnahme an der<br />
Pilotphase der Übergang aus der vorangehenden und der folgenden Schulstufe durch<br />
verbindliche Kooperation mit benachbarten Schulen so geregelt sein.<br />
• Gemeinschaftsschulen sind grundsätzlich Ganztagsschulen, über deren<br />
Organisationsform (freiwillig oder verpflichtend) die Schulkonferenz entscheidet.<br />
• Es gibt keine Probezeit. Alle Kinder haben das Recht, bis zum Abschluss auf ihrer Schule<br />
zu bleiben.<br />
• Solange dieses Recht nicht für alle Schulen in Berlin gilt, sind Gemeinschaftsschulen<br />
nicht verpflichtet, die Schüler/innen von anderen Schulen aufzunehmen.<br />
• Klassenwiederholung findet nur in Ausnahmefällen auf Wunsch bzw. im Einverständnis<br />
der Schüler/innen und ihrer Eltern statt.<br />
• <strong>Die</strong> bislang für die Klassenwiederholung verwendeten Mittel stehen den<br />
Gemeinschaftsschulen anteilmäßig für Maßnahmen individueller Förderung zur<br />
Verfügung.<br />
• Alle Kinder und Jugendliche, auch die mit Behinderungen oder mit besonderen<br />
Potenzialen (Hochbegabte), lernen gemeinsam.<br />
• Es wird nicht erwartet, dass alle in gleicher Zeit das Gleiche lernen. Eine äußere<br />
Leistungsdifferenzierung als durchgängiges Prinzip findet nicht statt.<br />
• "Inklusionspädagogik", d.h., Grund- und Praxisfragen gemeinsamen Lernens in<br />
heterogenen Gruppen sind in Aus- und Fortbildung dauerhaft als Schwerpunkt verankert.<br />
(Gemeinschaftsschule Berlin 2007)<br />
Für Siegfried Arnz, der das Projekt Gemeinschaftsschule in der Berliner Bildungsverwaltung<br />
leitet, resultiert ein Teil des Drucks auf das gegliederte Schulsystem aus der immer<br />
schwierigeren Situation an Berliner Hauptschulen, die nur noch von weniger als zehn Prozent<br />
besucht werden. <strong>Die</strong> von einigen Ländern angestrebte Zweigliedrigkeit aus fusionierter Hauptund<br />
Realschule neben dem Gymnasium eröffne zwar "den Weg des gemeinsamen Lernens der<br />
Schüler/innen der Hauptschulen mit leistungsfähigeren und sozial stärkeren Schüler/innen<br />
der Realschulen", verzichte aber "auf das ganze Spektrum der Heterogenität" und werde<br />
"insbesondere von den meisten Realschulen (Lehrkräften, Eltern und Schüler/innen) nicht als<br />
sinnvolle Perspektive angenommen". (Arnz 2007, S.15)<br />
Erfolg oder Misserfolg der Gemeinschaftsschule wird daran gemessen werden, ob und wie<br />
weit für alle Kinder eine Inklusion in Schule und Unterricht sowie optimale Förderung gelingt,<br />
sowohl derjenigen, die auf niedrigem Niveau lernen – einschließlich der Kinder mit<br />
56
sonderpädagogischem Förderbedarf – als auch derjenigen, die leistungsstark sind und<br />
besondere Begabungen mitbringen bzw. entwickeln. Dabei hat es einen hohen Stellenwert,<br />
die Akzeptanz der gemeinsamen Schule durch bildungsorientierte Familien zu gewinnen –<br />
ohne den Preis der Ausgrenzung sozial- und leistungsschwacher Schüler/innen. <strong>Die</strong> bewusste<br />
Berücksichtigung der "special needs" für diese Schülerschaft, u.a. durch eine systematische<br />
Einbeziehung der Jugendhilfe, hat dabei besondere Bedeutung. (Arnz 2007, 15 f.)<br />
Arnz verweist auf die pädagogischen Probleme, wenn eine Schule auf selektive Instrumente<br />
verzichtet und sich der Verantwortung für die Schüler/innen in aller Konsequenz stellt. Er<br />
berichtet von den Ergebnissen eines ersten Durchgangs der Schulinspektion an 45 Berliner<br />
Schulen, die unter dem Aspekt "Unterrichtsgestaltung" neben viel Positivem problematische<br />
Befunde ergeben habe "hinsichtlich der Indikatoren ´Innere Differenzierung´,<br />
´Selbstständiges Lernen´ und ´eigene Lösungen entwickeln `". <strong>Die</strong>s mache deutlich, "dass<br />
die Sorgen vieler Kritiker, integrative Schulformen führten zu ´Niveauverflachung´ hier ihre<br />
Grundlage" hätten und "ein erfolgreiches Lernen in sehr heterogenen Lerngruppen ein<br />
entsprechendes Qualifizierungsprogramm mit hoher Verbindlichkeit für die Lehrkräfte der<br />
beteiligten Schulen" erfordere. Deshalb werde "ein in den konkreten Anforderungen der<br />
Schulen orientiertes Qualifizierungs- und Unterstützungsprogramm im Zentrum der Pilotphase<br />
der Gemeinschaftsschule stehen". Neben der "Unterstützung des jeweiligen<br />
Schulentwicklungsprozesses" und einer "direkten, mit den konkreten Bedarfssituationen der<br />
Schulen abgestimmten Lehrerfortbildung" ist für Arnz auch notwenig eine Vernetzung der<br />
Schulen untereinander, die Entwicklung gemeinsamer Lernprozesse und "der Blick über den<br />
Berliner Tellerrand durch Austausch mit erfolgreichen Schulen im In- und =Ausland". (Arnz<br />
2007, S.17)<br />
Nach dem Aufruf zur Beteiligung an der Pilotphase im Mai 2007 bekundeten 65 Berliner<br />
Schulen ihr Interesse an dem Projekt, darunter Grundschulen, Haupt- und Realschulen,<br />
Gesamtschulen mit und ohne gymnasiale Oberstufe. Kein einziges Gymnasium. Von diesen 65<br />
Schulen erhielten 16 aufgrund ihres Bewerbungsantrags die Genehmigung, sich vom<br />
Schuljahr 2008/09 an der Pilotphase zu beteiligen.<br />
Von der Moses-Mendelsohn-Gesamtschule im Bezirk Mitte, die mit der James Krüss-<br />
Grundschule zusammen eine Gemeinschaftsschule aufbauen will, erfahren wir aus dem<br />
Bericht einer Lehrerin und eines Lehrers, warum diese Gesamtschule sich an der Pilotphase<br />
beteiligt. <strong>Die</strong> Schule hat bislang eine entschieden integrative Pädagogik praktiziert, mit<br />
Jahrgangsteams, mit einem über Jahre hin entwickelten Konzept für Schüler/innen mit<br />
besonderem Förderbedarf, selbst für "Schwerstmehrfachbehinderungen". Es ist eine Schule,<br />
in die nach der Grundschule vor allem Schüler/innen mit einer Hauptschulempfehlung gehen,<br />
in der 80 Prozent aller Schüler/innen türkischer, kurdischer oder arabischer Herkunft sind<br />
und überwiegend aus "bildungsfernen" Familien kommen. Es ist der Wunsch des Kollegiums,<br />
in der mit 22 Millionen geförderten Pilotphase eng und verbindlich mit dem Kollegium der<br />
Grundschule zusammenzuarbeiten und die Schüler/innen, die nicht mit dem Ende der<br />
Pflichtschulzeit die Schule verlassen, in einer eigenen Oberstufe mit dem inklusiven<br />
pädagogischen Konzept zum Abitur zu führen. (Schmidthals/Sarlak 2008, S.38-40)<br />
Für Sabeth Schmidthals und Alain Sarlak hängt für das Gelingen des Projekts viel davon ab,<br />
ob für Lehrer/innen, die sich nicht an der Weiterentwicklung der Schule beteiligen wollen, in<br />
Zusammenarbeit mit der Schulaufsicht die Möglichkeit besteht, an andere Schulen zu<br />
57
wechseln und ob nur Lehrer/innen an die Schule kommen, die das Projekt aktiv unterstützen<br />
und vorantreiben wollen. (Schmidthals/Sarlak 2008, S.41)<br />
Es stellt sich auch für das ambitionierte Konzept der Berliner Gemeinschaftsschule die Frage<br />
nach ihren Chancen, in einen fairen pädagogischen Wettbewerb mit dem Gymnasium<br />
einzutreten. Wird es eine ernsthafte Debatte geben über das, was nach der Pilotphase am<br />
Ende des Schuljahres 2012/13 werden soll? Oder wird die Gemeinschaftsschule dann doch<br />
zur "Stadtteilschule" für die Kinder aus "bildungsfernen" Elternhäusern und zugleich<br />
"Entlastungsschule" für das Gymnasium, das neben den Privatschulen die Kinder der materiell<br />
und kulturell Privilegierten unterrichtet?<br />
Einem Beitrag von Felicitas Tesch, der bildungspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im<br />
Berliner Abgeordnetenhaus, ist zu entnehmen, dass schon in der vergangenen<br />
Legislaturperiode, auch auf Druck des Koalitionspartners, der damaligen PDS, längeres<br />
gemeinsames Lernen unter Einschluss des Gymnasiums beschlossen, aber nicht umgesetzt<br />
wurde. Im zurückliegenden Wahlkampf hat es die SPD wieder propagiert, doch der<br />
"regierende Bürgermeister setzte dagegen": "Wir werden das Gymnasium nicht abschaffen."<br />
Teile der SPD und der Grünen sympathisierten mit der Zweigliedrigkeit. (Tesch 2007, S.69)<br />
Für den regierenden Bürgermeister war es deshalb konsequent, den alt gedienten Jürgen<br />
Zöllner aus Mainz 2006 zum neuen Bildungssenator zu machen. Zöllner, der die Vereinbarung<br />
einer Pilotphase Gemeinschaftsschule bei seiner Ernennung schon vorfand, stehe zwar, wie<br />
Felicitas Tesch berichtet, zu der Vereinbarung, habe aber um eine Prüfung gebeten, ob eine<br />
äußere Differenzierung in den Klassenstufen 9 und 10 nicht doch sinnvoll wäre. <strong>Die</strong> SPD-<br />
Bildungspolitiker/innen waren dagegen mit der Begründung, dass das "nicht über das<br />
Verfahren bei Gesamtschulen" hinausgehe. (Tesch 2007, S.69)<br />
Wie wenig das alles Jürgen Zöllner kümmert, zeigt ein Interview, das Peter Pahmeyer am<br />
27.9.08 mit dem Bildungssenator führte. Zöllner hatte kurz vorher Eckpunkte für die<br />
Weiterentwicklung der Berliner Schulstruktur vorgelegt. Danach sollen ab dem Schuljahr<br />
2010/11 die Haupt- und Realschulen zusammengefasst werden zu Integrierten Haupt- und<br />
Realschulen, an denen die Schüler/innen alle Abschlüsse und den Übergang in die<br />
gymnasiale Oberstufe erreichen können. Das Gymnasium bleibt als selbständige Schule<br />
erhalten. Mit Blick auf Zöllners Eckpunkte fragt Pahmeyer, welche Gemeinsamkeiten und<br />
Unterschiede er sehe, wenn er sein Konzept mit den Plänen der schwarz-grünen Regierung in<br />
Hamburg vergleiche. Zöllner:<br />
Im Grundmodell gibt es zwischen meinem Vorschlag und den Hamburger Plänen ein hohes<br />
Maß an Übereinstimmung. Das hat damit zu tun, dass wir aus meiner Sicht nur erfolgreich<br />
sein können, wenn wir eine breite gesellschaftliche Mehrheit für eine Strukturreform finden<br />
und den Elternwillen respektieren. Ein im Kern zweigliedriges Schulsystem bietet diese<br />
Chance. Neben dem Gymnasium entwickelt sich eine Regionalschule, die stärker auf<br />
integrative Lernformen setzt und alle Bildungsabschlüsse bis hin zum Abitur bietet.<br />
Jürgen Zöllners Interesse scheint es nicht zu sein, die Pilotphase Gemeinschaftsschule zu<br />
einem durchschlagenden Erfolg zu bringen. Ihm geht es um die Integration von Haupt- und<br />
Realschule zu einer "Regionalschule", ein =Schultyp, den er selber für Rheinland-Pfalz kreiert<br />
hat. In diese Schule können dann, um zur Zweigliedrigkeit zu kommen, wie in der Hamburger<br />
Stadtteilschule auch die zahlreichen Berliner Gesamtschulen integriert werden, die ja<br />
58
weitgehend dieselbe Schülerschaft unterrichten. Als Manfred Prenzel bei der Vorstellung von<br />
PISA 2006, wie in dem oben zitierten Zeit-Interview, offen die komplizierte Schulstruktur der<br />
Bundesländer mit ihren unterschiedlichen Modellen kritisierte und auf das einfache und so<br />
erfolgreiche sächsische System verwies, war das ein Stichwort für Jürgen Zöllner. Man könne<br />
relativ leicht, meinte er, eine einheitliche Schulstruktur für ganz Deutschland finden. <strong>Die</strong><br />
strukturellen Veränderungen in einigen Bundesländern zielten ja alle bereits in dieselbe<br />
Richtung: auf ein zweigliedriges System wie beim PISA- Siegerland Sachsen. (<strong>Die</strong><br />
Tageszeitung, 19.11.08, S.18)<br />
Es wird schwer sein für den "Runden Tisch Gemeinschaftsschule Berlin" ("eine<br />
verbandsübergreifende Berliner Initiative für die gemeinsame Schule für alle"), zusammen mit<br />
Teilen der SPD und mit der Linkspartei, gegen die Pläne Zöllners, eine wirklich offene<br />
Strukturdebatte zu führen. Der von SPD und Linkspartei vereinbarte Kompromiss, eine<br />
Pilotphase Gemeinschaftsschule einer Einführung in der Fläche vorzuschalten, könnte sich<br />
sehr bald als Farce erweisen, wenn das Projekt nur dazu dient, neben dem Gymnasium,<br />
zuständig für den mittleren Abschluss und das Abitur, eine Zweitschule einzurichten, mit allen<br />
Abschlüssen, die die Sekundarstufe I anzubieten hat. Das sind zurzeit in Berlin der<br />
Berufsorientierte Abschluss für Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf, der<br />
Hauptschulabschluss, der erweiterte Hauptschulabschluss und der Mittlere Abschluss. Wer<br />
mag dann dieser Schule, um die zu geringe Abiturquote zu erhöhen und "Begabungsreserven<br />
auszuschöpfen", noch verwehren, dass sie auch für "begabte Kinder" aus den unteren<br />
Sozialschichten die Möglichkeit bereithält, die Hochschulreife zu erlangen?<br />
Sollte auch im rot-rot regierten Berlin die Machtfrage zugunsten des Gymnasiums<br />
entschieden sein, dann muss es, neben dem Gymnasium und der von Zöllner angestrebten<br />
Regionalschule, eine Schule geben, die entweder weiterhin Gesamtschule heißt oder, wie für<br />
eine Pilotphase konzipiert, Gemeinschaftsschule. Ein fairer Wettbewerb dieser Schule mit<br />
dem Gymnasium setzt, wie oben für Schleswig-Holstein und Sachsen beschrieben, denselben<br />
Bildungsanspruch voraus, den auch das Gymnasium erhebt. Sie führt alle ihre Schüler/innen<br />
auf der Basis von Mindeststandards zu einem Mittleren Abschluss und die Leistungsstarken<br />
zur Hochschulreife. Auch für die, die die Standards des Mittleren Abschlusses nicht erreichen,<br />
muss es ein Abgangszeugnis geben, was nicht ihre Leistungsschwächen in Ziffernnoten<br />
dokumentiert, sondern vor allem das beschreibt, was auch diese Jugendlichen aufgrund<br />
individueller Förderung Positives geleistet und an Kompetenzen entwickelt haben.<br />
Solange die KMK allerdings auf dem Bildungsgang Hauptschule und dem<br />
Hauptschulabschluss besteht, muss auch das Berliner Gymnasium für diesen Abschluss<br />
zuständig sein und kann nicht mehr leistungsschwach gewordene Schüler/innen gegen deren<br />
Willen und den ihrer Eltern an andere Schulen abschieben. Das betrifft in Berlin nach einer<br />
sechsjährigen Grundschule die Klassenstufen 7 bis 9, die als Krisenzeit der Pubertät<br />
besonderes pädagogisches Feingefühl erfordern.<br />
Vieles deutet darauf hin, dass auch in den alten Bundesländern, wie schon in Sachsen,<br />
Thüringen und Sachsen-Anhalt, das dreigliedrige Schulsystem durch ein bis Ende Klasse 6<br />
zweigliedriges ersetzt wird, weil die Hauptschule selbst durch opulente Förderprogramme<br />
nicht mehr als eigenständige Schulform zu retten ist. Auch in Bayern und den anderen<br />
konservativ regierten Bundesländern wird das mittelfristig der Ausweg aus der<br />
Hauptschulmisere sein: eine Schule für alle, die die Grundschule nicht fürs Gymnasium<br />
59
empfiehlt und die zugleich das Gymnasium weiterhin von den Schüler/innen entlastet, die<br />
sich als nicht "gymnasial" erweisen.<br />
Eine solche Entwicklung ist kein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer Schule für alle,<br />
sondern die Bestandsgarantie für eine "höhere Schule" über einer Schule für die<br />
Leistungsschwächeren. So wird sich das zentrale Problem des deutschen Schulwesens, die<br />
soziale Selektion, nicht lösen lassen. Wer gemeinsames Lernen in einer Schule für alle Kinder,<br />
die Kinder mit Handicaps eingeschlossen, bis zum Ende der Pflichtschulzeit will, - das sind<br />
mehrheitlich SPD, Grüne und Linkspartei, Teile der Kirchen und Handwerkskammern, das sind<br />
Lehrer/innen- Organisationen wie GEW und VBE, das sind Eltern- und Bürgerinitiativen in<br />
einer ganzen Reihe von Bundesländern, - wer eine solche Schule will, wird sich mit einer<br />
hierarchischen Zweigliedrigkeit nicht abfinden. Um eine inklusive Schule wird es in der<br />
politischen Auseinandersetzung der nächsten Jahre gehen. Wird sie zu einer Schule, die dem<br />
Gymnasium gleichgestellt ist, die nur noch die Abschlüsse anbietet, die auch das Gymnasium<br />
anbieten muss, die wirklich integriert arbeiten kann, aber auch, der Zusammensetzung ihrer<br />
Schülerschaft entsprechend, materielle und personelle Unterstützung erfährt? Eine<br />
Zweigliedrigkeit wie in Sachsen jedenfalls wird uns dem "Frieden in der Schulstrukturdebatte"<br />
nicht näher bringen.<br />
Literatur<br />
Arnz, Siegfried: Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule. Über den schwierigen Versuch, die Gestaltung<br />
des Lernens in heterogenen Gruppen durch Systemveränderungen anzugehen. In: Pädagogik, 2007,<br />
H.12, =.14-17.<br />
Gemeinschaftsschule Berlin. Ziele, Grundsätze und Regelungen. Positionspapier; Stand: 23.5.07.<br />
http://www.rt.gemeinschaftsschule-berlin.de/.<br />
Herrlitz, Hans-Georg: <strong>Die</strong> Gliederung des Schulsystems - ein ungelöstes Dauerproblem der deutschen<br />
Schulgeschichte. Unveröffentlichtes Manuskript, erscheint 2008 in der Zeitschrift "Lernende Schule".<br />
Höppner, Henning: Längeres gemeinsames Lernen in Schleswig-Holstein. In: Länger gemeinsam<br />
lernen! Fortschritte und Konzepte in der Schulpolitik aus sieben Bundesländern. Dokumentation einer<br />
Tagung des Landesbüros Thüringen der Friedrich-Ebert-Stiftung am 8./9. Juni 2007, S.74-81. Auch<br />
Veröffentlicht in: http://www.forum-kritische-paedagogik.de/ November =007.<br />
Johannsen, Hans-Werner: Auf dem Weg zu einer Schule für alle? <strong>Die</strong> Gemeinschaftsschule weist einen<br />
Ausweg aus der deutschen Schulstrukturkrise. In: <strong>Die</strong> Deutsche Schule, H.2, 20007, S.136-146.<br />
Leistungsstarke Gesamtschulen. Gesamtschulen im Spiegel empirischer Schulleistungsvergleiche. In:<br />
Blaue Reihe der GGG, H.57, 2007.<br />
Merkelbach, Valentin: Hat die deutsche Gesamtschule eine Zukunft? user.unifrankfurt.de/~merkeba/<br />
Oktober 2007.<br />
Merkelbach, Valentin: Wozu ein Hauptschulabschluss ohne Hauptschule? =A class=extern<br />
href="http://user.uni-frankfurt.de/~merkelba/"target=_blank>user.uni-frankfurt.de/ ~merkelba/<br />
Dezember 2007.<br />
Merkelbach, Valentin: <strong>Die</strong> sächsische Schule – ein Modell für Deutschland? Zu einer Studie über den<br />
Schulformwechsel vom Gymnasium zur Mittelschule. user.uni-frankfurt.de/~merkelba/ Februar<br />
2008.<br />
60
Merkelbach, Valentin: Der Schulkompromiss von Schwarz-Grün in Hamburg. user.unifrankfurt.de/~merkelba/<br />
Juni 2008.<br />
PISA 2006 in Deutschland. <strong>Die</strong> Kompetenzen der Jugendlichen im dritten =Ländervergleich. Hrsg.:<br />
PISA-Konsortium Deutschland. Münster =.a. 2008.<br />
Rösner, Ernst: Veränderungen der Schulstruktur in Schleswig-Holstein als Konsequenz demografischer<br />
und gesellschaftlicher Entwicklungen. Gutachten des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS).<br />
Universität Dortmund. September 2004.<br />
Schmidthals, Sabeth/ Sarlak, Alain: Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule. Neue Lernformen für<br />
einen gemeinsamen Bildungsgang entwickeln. In: Pädagogik, 2008, H.9, S.38-41.<br />
Schulformwechsel von Gymnasien zu Mittelschulen. Eine Expertise für die Landeshauptstadt Dresden.<br />
Hrsg. Eva-Maria Stange und Wolfgang Melzer, unter Mitarbeit von Stefan Heimpold, Luise Ludwig und<br />
Gerit Thomas, Oktober =006. (Technische Universität Dresden, Fakultät Erziehungswissenschaften,<br />
Institut für Schulpädagogik, 01217 Dresden, Weberplatz 5).<br />
Tesch, Felicitas: Auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule – die Entwicklung in Berlin. In: Länger<br />
gemeinsam lernen! (Siehe oben: Höppner), =007, S.65-73.<br />
Zur Person<br />
Prof. Dr. Valentin Merkelbach ist emeritierter Professor für Didaktik der deutschen Sprache und<br />
Literatur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität.<br />
Quelle: user.uni-frankfurt.de/~merkelba/<br />
Bildungsklick.de<br />
61
Selbst verantwortete Schule – selbst verantworteter Mangel<br />
Ulrik Ludwig<br />
Selbstverantwortete Schule, selbstverwaltete Schule, selbständige Schule – die<br />
Bezeichnungen in den Bundesländern sind unterschiedlich, nicht jedoch ihre Merkmale:<br />
Gewisse, eng bemessene Kompetenzen dürfen sie selbst regeln und verwalten, teils die<br />
Schul- oder Lehrerkonferenzen, teils die Schulleiter. Dazu gehören die Budgets, der<br />
zugewiesene Personalbestand, z. T. mit der Befugnis für den Schulleiter, selbst einzustellen<br />
oder (mit)auszuwählen, wer eingestellt wird, die Erstellung eines Schulprogramms oder -<br />
profils. Der Schulleiter wird in aller Regel <strong>Die</strong>nstvorgesetzter. <strong>Die</strong> Schulleitungen sind die<br />
Gewinner an Kompetenzen, aber die Kontrolle wird computergesteuert verschärft .Insofern ist<br />
das nachfolgend geschilderte Beispiel Hamburg kein besonderes, sondern mühelos auf<br />
andere Länder sinngemäß zu übertragen.<br />
<strong>Die</strong> Frage der Finanzierung des Bildungswesens konzentriert sich meistens zu Recht auf die<br />
Größe des bereitgestellten Budgets und die Art des Aufkommens. Das ist verständlich,<br />
betrachtet die Landesregierungen diesen großen Ausgabenbereich doch gerne als<br />
bevorzugtes Feld für offene oder verdeckte Kürzungen. Als Argument muss in der Regel der<br />
um die Mittel zur gesellschaftlichen Umverteilung von unten nach oben gekürzten Haushalt<br />
herhalten. In der Begründung wird immerhin eine Art Beweisnot erkennbar. <strong>Die</strong> meisten<br />
Menschen, selbst wenn sie nicht zu den von bildungspolitischen Entscheidungen direkt<br />
betroffenen Gruppen (Eltern, Schüler, LehrerInnen) gehören, sind nämlich der Auffassung,<br />
dass gute Bildung entsprechende Mittel benötigt.<br />
Viel weniger Aufmerksamkeit wird dagegen der Art und Weise gewidmet, wie die Schulen die<br />
für ihre Arbeit notwendigen Ressourcen erhalten. Am Beispiel Hamburg soll im Folgenden die<br />
Bedeutung dieser Frage veranschaulicht werden.<br />
Während noch vor einigen Jahren die politisch entschiedenen Zuweisungen nach einem zuvor<br />
diskutierten Bedarf an die Schulen flossen, möchte die Bildungsbehörde in Hamburg dazu<br />
übergehen, die Schulen nach ihren Erfolg zu versorgen. <strong>Die</strong>ser wiederum soll im<br />
Wettbewerb zwischen den Schulen ermittelt werden. Ein genauerer Blick auf die damit<br />
verbundene neue Verfasstheit der Schulen ist für eine linke Partei notwendig, die<br />
Auswirkungen sind nämlich beträchtlich.<br />
<strong>Die</strong>se Art der Ressourcenverteilung ist mit dem Konzept verbunden, jede Schule zu einer<br />
eigenständigen <strong>Die</strong>nststelle zu erklären und damit sowohl Personal-, als auch Budgetrecht zu<br />
übergeben. Wenn nun auch noch die Schulverfassung – so wie in Hamburg – so angelegt<br />
wird, dass die Schulen in eine verschärfte Konkurrenz geraten, dann entstehen<br />
Marktverhältnisse, in denen diese ähnlich wie privatwirtschaftliche Betriebe geführt werden<br />
müssen – auch ohne eine offen ausgewiesene Privatisierung. Ein besonderer Charme dieses<br />
Konzepts liegt für die Regierung auch darin, dass Kürzungen (in Publikationsdeutsch zumeist<br />
„Einsparungen“ genannt) von diesen „Betrieben“ selbst betrieben und verantwortet werden<br />
müssen – und nicht direkt auf politische Entscheidungen der Landesregierung zurückgeführt<br />
werden.<br />
Im Hamburgischen Schulreformgesetz vom 21.02.2006 ist die Bezeichnung „Selbst<br />
verantwortete Schule“ (SvS) gewählt worden. Obwohl ausdrücklich nicht die Rede von<br />
„Selbstverwaltung“ ist und jede Ähnlichkeit mit der „Schulautonomie“ von der Hamburger<br />
62
Schulsenatorin vehement abgelehnt wird, sind linke Debatten immer noch häufig von<br />
Begriffsverwirrungen geprägt. Ein kurzer Blick zurück soll dazu dienen, die Dinge zu klären.<br />
<strong>Die</strong> Autonomiedebatte<br />
Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts blickte man – nicht nur in Hamburg – nach<br />
Dänemark, in die Niederlande und vor allem nach England, und es wurde eine engagierte<br />
Autonomiediskussion geführt. In diesen Ländern konnten sich z.B. Schulen aus den<br />
Gemeindeverwaltungen herauslösen (opting out) und mit einem Gesamtbudget inklusive<br />
privater Sponsorengelder selbst bewirtschaften – natürlich gerne mit einer richtigen<br />
ManagerIn neben der Schulleitung. Das fand Nachahmer: In Bremen z.B. betrieb 1992/93 die<br />
„Ampelkoalition“ die „stärkere Autonomie der Schule“ (Freiräume in der<br />
Unterrichtsgestaltung, Öffnung zum Stadtteil, autonome LehrerInnenauswahl und<br />
Ressourcenverwendung usw.). In Hamburg wurde daraus schließlich der bescheidene<br />
„Modellversuch Selbstbewirtschaftungsfonds für die Ersatz- und Ergänzungsbeschaffung von<br />
Schulmobiliar etc.“ von 1993.<br />
In der GEW Hamburg gipfelte die Diskussion über das Pro und Kontra in der Autonomie-<br />
Tagung im Mai 1993. Eine „Autonomie- Kommission“ wurde mit dem Ziel eingerichtet, die<br />
Debatte zu befördern und die Erkenntnisse zu verallgemeinern. Man war sich zwar<br />
weitgehend einig, dass Regierungen und Kultusbürokratien vor allem eine kostensparende<br />
Verwaltungsreform anstrebten, aber die Schlussfolgerungen unterschieden sich: Das eine<br />
Lager sah eine Chance darin, mit eigenen Konzepten eine pädagogisch fortschrittliche Wende<br />
zur Demokratisierung der Schule herbeizuführen. Das andere Lager der Kritiker dagegen<br />
befürchtete eine Verbetriebswirtschaftlichung der Schule mit einer Öffnung zur Privatisierung<br />
und warnte vor einer Schwächung des Widerstandspotentials gegen Bildungsabbau.<br />
Steht die <strong>Linke</strong> jetzt – mit der Einführung der Selbst verantworteten Schule (SvS) – vor der<br />
Aufgabe diese Debatte wieder aufzunehmen? Können wir andocken an bereits erarbeitete<br />
Positionen und optimistisch in die nächste Entwicklungsphase der Hamburgischen<br />
Schullandschaft hineingehen? <strong>Die</strong> Antwort lautet bedauerlicherweise in beiden Fällen<br />
kategorisch: Nein!<br />
Druck von oben<br />
Das Hamburger SvS-Konzept der Senatorin Dinges-<strong>Die</strong>rig (CDU) strebt keineswegs<br />
Eigenständigkeit und Autonomie an, schon gar nicht irgendeine Form von Demokratisierung.<br />
Sie versucht, durch geschickt eingesetzte Euphemismen und absichtlich missverständliche<br />
Sprachregelungen wie „Eigenverantwortung“ alte und neue Hoffnungen bei Lehrerinnen und<br />
Lehrern zu wecken. Dabei formuliert sie ihre Vorstellungen durchaus immer wieder<br />
unmissverständlich: „<strong>Die</strong> Selbst verantwortete Schule ist keine autonome Schule“ belehrte<br />
sie am 18. August 2006 die Lehrerkammer. Ihre Ziele sind: Kürzungen im Bildungsetat<br />
„kompensieren“, Verantwortlichkeit auf die Schulen abwälzen, die Schulen zu<br />
<strong>Die</strong>nstleistungsbetrieben umbauen, Mitbestimmung abbauen – und damit letztlich die<br />
Privatisierung im Bildungswesen vorantreiben.<br />
Ergeben sich durch das Projekt SvS größere Spielräume für die Schulen? Wohl kaum: <strong>Die</strong><br />
Behörde für Bildung und Sport (BBS) zeigt keinerlei Anzeichen, den Schulen tatsächlich mehr<br />
Selbständigkeit zu gewähren, sondern vielmehr eine ungebremste Regelungswut:<br />
63
• Abschlussprüfungen und Vergleichsarbeiten, die mehr negativen und bürokratisierenden<br />
Einfluss auf den Unterrichtsablauf haben, als jeder reformerische Ansatz jemals in der<br />
einzelnen Schule ausgleichen kann;<br />
• das sozialpolitisch verheerende Büchergeld, das den Schulen aufgebürdet wurde und das<br />
laufend neue Ungereimtheiten und Fehler preisgibt und SchulsekretärInnen und<br />
KollegInnen bürokratische Mehrarbeit schafft;<br />
• Kürzungen und Erhöhungen der Basisfrequenz, die pädagogische Ansätze<br />
konterkarieren und den Unterricht verschlechtern – auch wenn Dinges-<strong>Die</strong>rig nicht müde<br />
wird das Gegenteil zu behaupten;<br />
• <strong>Die</strong>nstanweisungen, in denen KollegInnen im Interesse der Eltern zu einer »täglichen<br />
Erreichbarkeit « verpflichtet werden (als wenn der Kontakt zwischen LehrerInnen und<br />
Eltern bislang ein Problem gewesen wäre und deswegen einer verbindlichen Neuregelung<br />
bedurft hätte);<br />
• Richtlinien für Schulfahrten, in denen filigrane Definitionen von Aufsicht festgelegt und<br />
gleichzeitig die pädagogischen Kriterien für Klassenreisen abgeschafft werden;<br />
• Nach der Einführung eines neuen Arbeitszeitmodells und der damit verbundenen<br />
Arbeitsverdichtung ist die Umsetzung der mit dem SvS-Projekt verknüpften Schulreform<br />
mit einer weiteren Belastung der Kollegien durch Mehrarbeit verbunden.<br />
Verwaltungsreform<br />
<strong>Die</strong> Tiefe der Veränderung wird jedoch erst sichtbar, wenn die neuen Elemente mit den<br />
bereits vorgenommenen Schritten verknüpft werden. Eine gestreckte Zeitschiene über die<br />
Jahre 2006 bis 2010 ermöglicht die stufenweise Einführung, das heißt die Analyse muss<br />
bereits Etabliertes mit Geplantem verknüpfen. Tut man dies, dann wird erstens sichtbar, dass<br />
die SvS ein elementarer Bestandteil einer weitreichenden Verwaltungsreform für Schulen ist<br />
und zweitens die entsprechenden Konzepte der vorangegangenen rot-grünen und der CDU-<br />
dominierten Regierungen über eine große Konvergenz verfügen.<br />
• <strong>Die</strong> Schulen werden <strong>Die</strong>nststellen mit Budget- und Personalhoheit. <strong>Die</strong> Folge ist u.a.<br />
schulisch eingebundene und damit geschwächte und tendenziell entpolitisierte „örtliche<br />
Personalräte“.<br />
• <strong>Die</strong> Mitbestimmung wird über eine Gesetzesnovelle des Personalvertretungsgesetzes<br />
für den öffentlichen <strong>Die</strong>nst insgesamt abgebaut. <strong>Die</strong> Lehrerinnen und Lehrer sind<br />
weniger geschützt vor Vorgesetztenwillkür und erhöhter Arbeitsbelastung.<br />
• <strong>Die</strong> Schulleitungen sind nunmehr <strong>Die</strong>nstvorgesetzte und mit mehr Macht ausgestattet<br />
(z.B. perspektivisch bei der Einstellung, der Beförderung, der Entlassung des Personals<br />
usw.).<br />
• Zwischen Schulleitungen und dem Kollegium werden Ziel- und Leistungsvereinbarungen<br />
abgeschlossen, diese bilden Selbstverpflichtungen der KollegInnen ohne<br />
entsprechende Zusagen der Behörde.<br />
• <strong>Die</strong> Schulen werden über die verordnete Erstellung von Schulprogrammen diversifiziert<br />
und damit produktdifferenziert. <strong>Die</strong> Konkurrenz um die attraktiveren Konzepte, die<br />
höheren Anmeldezahlen und dadurch auch das höhere Budget ist damit eröffnet.<br />
• Ein als „Orientierungsrahmen“ bezeichneter Katalog legt fest, welche Art von<br />
„Leistung“ in und von der Schule erbracht werden soll.<br />
• Mittels „Indikatoren“ werden darin Maßstäbe zur Bewertung der Schulqualität<br />
erstellt. <strong>Die</strong>se wird durch eine externe Evaluation überprüft – die (Analyse und<br />
Bewertung) wird von Schulinspektoren vorgenommen.<br />
64
Verschärfung der Arbeitsbedingungen<br />
Eine wesentliche Zielsetzung der SvS ist die Verbilligung der Lehrerarbeit. Dazu dienen unter<br />
anderem so genannte Ziel- und Leistungsvereinbarungen (ZLV). Es handelt sich dabei um<br />
vertragsähnliche Selbstverpflichtungen der Kollegien. Über ihre Zielsetzung schwärmt die<br />
BBS: „Zielvereinbarungen schaffen und gewährleisten allen Beschäftigten Entscheidungs-<br />
und Handlungsfreiheit bei ihrer Aufgabenwahrnehmung. Gemeinsam vereinbarte Ziele haben<br />
eine Motivationsfunktion.“<br />
<strong>Die</strong> Art und Weise, wie diese abgeschlossen wurden, entlarvt die Akzeptanzrhetorik. Nur in<br />
einigen SvS waren die Lehrerkonferenzen tatsächlich mit den Texten befasst. So wurde die<br />
„Vereinbarungen“ entweder über die Köpfe der KollegInnen, die immerhin die Inhalte in die<br />
Tat umsetzen sollten, hinweg formuliert oder nach einer Diskussion im Kollegium nachträglich<br />
ohne viel Federlesen geändert, d.h. mit den Vorstellungen der BBS-Projektleitung in Einklang<br />
gebracht.<br />
Auch hier gilt: <strong>Die</strong> Ziele, die mit der SvS angestrebt werden, sind grundsätzlicher Natur.<br />
Tatsache ist, wie die LehrerInnen bereits bei den Schulprogrammen feststellen mussten, dass<br />
durch diese Vereinbarungen einseitige Selbstverpflichtungen der Beschäftigten<br />
festgeschrieben werden, ohne dass die andere Seite, der <strong>Die</strong>nstherr oder der Betrieb oder<br />
wie immer dies künftig zu nennen sein wird, sich in der Frage der Arbeitsbedingungen,<br />
Bezahlung, Zeit usw. in irgendeiner Weise festlegt – wahrhaft „größere Freiräume“ für den<br />
„Einsatz von Ressourcen“! Besonders gut funktioniert das bei den zu erwartenden weiteren<br />
Streichungen im Bildungsetat: Dann haben wir die SkS – die „Selbst kürzende Schule“!<br />
<strong>Die</strong> Verbilligung der LehrerInnentätigkeit und die Übertragung der Verantwortung auf die<br />
Einzelschule – die eigentlichen Ziele des Senats – laufen ungebremst. In den<br />
Ganztagsschulen erleben wir bereits die systematische Übernahme von pädagogischer Arbeit<br />
und Unterrichtstätigkeit durch SozialpädagogInnen, durch 1-€- Jobs, durch Honorarkräfte<br />
usw.<br />
Durch die tägliche Arbeitsverdichtung (immer noch eine Aufgabe draufgesattelt) wird der<br />
Spagat zwischen Arbeitsbedingungen und beruflichen Zielen immer größer und<br />
schmerzhafter: Mangelverwaltung, Arbeitshetze, burn out, Krankheit … – nur in der SvS ist<br />
diese Entwicklung das Problem der einzelnen Schule, die BBS ist fein raus.<br />
„Es wird Druck erzeugt, weil wir die Ergebnisse festlegen“<br />
Ein alter Traum der Reformpädagogik war die pädagogische Freiheit und der Abbau der<br />
Bürokratie. Ist die „Selbstverantwortung“ der Schulen bei all ihren Auswirkungen auf die<br />
Arbeitsbedingungen möglicherweise ein Schritt in eine größere Freiheit der pädagogischen<br />
Zielsetzung?<br />
<strong>Die</strong> Mittelbehörde „Schulaufsicht“ wird tatsächlich perspektivisch abgebaut, die<br />
Schulleitung wird dafür gestärkt. Es wird aber vor allem die Rolle der Zentrale, der BBS<br />
ausgebaut. <strong>Die</strong> Aufgaben der bisherigen Schulaufsicht werden mehr und mehr in die<br />
einzelnen Schulleitungen verlagert, was eine weitere Hierarchisierung nach unten, ins<br />
Kollegium zur Folge hat. So sieht das neue Beurteilungswesen z.B. KollegInnen als<br />
BeurteilerInnen vor. Den inhaltlichen Kern des Konzeptes SvS hat Dinges-<strong>Die</strong>rig in einem<br />
Presse- Gespräch am 10.08.05 selbst treffend in einem Motto zusammengefasst: „Es wird<br />
Druck erzeugt, weil wir die Ergebnisse festlegen.“ Das Hauptinstrument dazu ist der<br />
„Orientierungsrahmen Schulqualität“.<br />
65
Ein näherer Blick in die Broschüre macht deutlich, welche Art von Veränderung insgesamt<br />
erreicht werden soll. Nichts liegt dem Orientierungsrahmen ferner, als die kollegiale<br />
Schulentwicklung oder gar die demokratische Schule zu stärken. Der zentrale Begriff des<br />
Textes ist: Führung. Er kommt 35-mal vor, gerne in Verbindung mit dem Begriff Management.<br />
Auf Seite 9 steht vorsorglich in roten Lettern am Rand, dort, wo man in wichtigen Texten<br />
gelegentlich Vermerke macht: „Führung als Schlüsselfunktion“.<br />
Ziel: Ranking<br />
Das hamburgische Schulreformgesetz erklärt mit der Einführung der SvS den „Wechsel von<br />
der Input-Steuerung zur ergebnisorientierten Steuerung (<strong>Output</strong>- oder Outcomesteuerung) …“<br />
(Senats- Drucksache 18/3780, S.5). Dazu muss festgelegt werden, welche der vielen<br />
Resultate des komplexen Wirkens in der Schule als „Ergebnisse“ gelten sollen. Könnte es<br />
sich zum Beispiel im Fremdsprachenunterricht um die lebenslange Freude an der<br />
Beherrschung einer anderen Sprache und ein großes Interesse an einer anderen Kultur<br />
drehen? Aber wie wollte man das in Zahlen messen? Genau! Geht nicht. Es wird als<br />
„Ergebnis“ definiert, was messbar und zählbar ist. Mit dem Orientierungsrahmen wird von<br />
der Behörde festgelegt, in welchen Gebieten nach Ergebnissen gesucht werden<br />
(„Qualitätsbereiche“) und anhand welcher Kriterien diese Ergebnisse eingeschätzt werden<br />
(„Indikatoren“).<br />
<strong>Die</strong> letztgenannten werden mehrfach gebraucht. Wenn zum Beispiel „die Schule“ (genau<br />
müsste es lauten: die Schulleitung) Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit der Behörde<br />
vereinbart, dann hat dies ausschließlich auf der Basis der „Indikatoren“ zu geschehen. Und<br />
wenn die Schulinspektion sich einfindet, um die „Schulqualität“ zu überprüfen, dann<br />
geschieht dies auf derselben Grundlage. Genau so erfolgt die Abfassung eines neuen<br />
Schulprogramms: Es enthält künftig klare Ansagen zu den „Indikatoren“! Und kommt es<br />
künftig zur Beurteilung der KollegInnen, damit die Behörde weiß, wie sie ihre<br />
Leistungszulagen verteilen soll oder wer für den Aufstieg nach A 13 in Frage kommt, dann<br />
möchte die Behörde die entsprechenden Beurteilungsbögen gleich so gestalten, dass der<br />
individuelle Beitrag der Beurteilten für die Erfüllung der „Indikatoren“ entscheidet.<br />
<strong>Die</strong> Vorlage für ihren „Orientierungsrahmen” bezieht die Behörde von der „European<br />
Foundation for Quality Management“, kurz EFQM. <strong>Die</strong>se Stiftung wurde 1989 von<br />
Vorstandvorsitzenden und Geschäftsführern von Großunternehmen gegründet, um<br />
Managementmodelle zu entwickeln. So wirbt die Organisation auf ihrer Webseite für ihr<br />
Produkt: „Unabhängig von Branche, Größe, Struktur oder Reifegrad brauchen<br />
Organisationen ein geeignetes Managementsystem, wenn sie erfolgreich sein wollen. Das<br />
EFQM-Modell ist ein praktisches Werkzeug, das Hilfestellung gibt für den Aufbau und die<br />
kontinuierliche Weiterentwicklung eines umfassenden Managementsystems und das aufzeigt,<br />
wo Sie sich auf der Reise zu Excellence befinden.“ Der Begriff „Exzellenz“ wird auch im<br />
„Orientierungsrahmen“ verwendet (S.9). Ob Managementmethoden in Schulen anwendbar<br />
oder überhaupt sinnvoll sind, ist zumindest eine offene Frage und „Excellence“ – also eine<br />
hervorragende Leistung – kann nur im Vergleich ermittelt werden. Das bedeutet: Ranking.<br />
Staatliche Verantwortung?<br />
Inwiefern der Satz im Schulreformgesetz der Wahrheit entspricht, demzufolge der<br />
„Orientierungsrahmen“ „das Ergebnis einer achtzehnmonatigen Diskussion mit Schulen und<br />
schulinteressierter Öffentlichkeit“ ist, ist durch eine einfache Befragung der Hamburger<br />
66
KollegInnen zu klären: Viele von ihnen wissen heute noch nicht, was genau in der Broschüre<br />
steht. Wahr ist allerdings, dass es viele Versionen des Textes gegeben hat, bevor er an die<br />
Schulen verschickt wurde. Bezeichnenderweise wurden folgende zwei Sätze gestrichen:<br />
„Dass Schule Verantwortung für Qualität übernimmt, bedeutet selbstverständlich nicht,<br />
dass der Staat sich aus seiner Gewährleistungsverantwortung zurückzieht. Auch hierfür<br />
gelten Qualitätsansprüche. Sie sind allerdings nicht Gegenstand dieses<br />
Orientierungsrahmens.“ Zwar wurde einschränkend festgestellt, dass der<br />
„Orientierungsrahmen“ keinerlei Festlegung enthält, welche Verantwortung für die<br />
„Schulqualität“ bei Behörde und Senat liegen, aber es wurde immerhin anerkannt, dass es<br />
auch hier „Qualitätsansprüche“ gibt. In der Endfassung heißt es jetzt lapidar: „<strong>Die</strong><br />
Gewährleistungsverantwortung des Staates bleibt davon unberührt.“<br />
Damit rundet sich das Bild ab. Mit dem „Orientierungsrahmen“ wird erstens (zusammen mit<br />
den „zentralen Leistungs- und Kompetenzprüfungen“) der bisherige komplexe<br />
Bildungsbegriff drastisch reduziert, der an den meisten Schulen bislang stillschweigender<br />
Konsens war und für die große Mehrzahl der KollegInnen die Grundlage ihrer Arbeit bildet. Er<br />
ermöglicht zweitens den Einstieg in das betriebliche Rechnungswesen in der Schule und<br />
bildet drittens die entscheidende Voraussetzung für die verschärfte Konkurrenz und ein<br />
künftiges Ranking der Schulen. Er drückt viertens die Übergabe der Verantwortung für die<br />
Ergebnisse der Hamburger Bildungspolitik an die einzelnen Schulen aus, die mit der<br />
Umwandlung in SvS vorgenommen wird. Last not least wird er künftig in Verbindung mit den<br />
„Ziel- und Leistungsvereinbarungen“ und der Schulinspektion das entscheidende<br />
Disziplinierungsinstrument darstellen. Das soziale Recht auf bedarfsgerechte Versorgung der<br />
Schulen ist damit entsorgt und die ehemals staatliche Verpflichtung der Einzelschule als<br />
Betrieb aufgebürdet. <strong>Die</strong> letzten Stellschrauben sind Arbeitsbedingungen und Bezahlung der<br />
Lehrkräfte.<br />
Eine internationale Kampagne<br />
Wie vielleicht deutlich geworden ist, enthält das Hamburger Modell der SvS eine Reihe von<br />
spezifischen Elementen. Gleichwohl steht es in seiner Anlage auch im Einklang mit einem<br />
internationalen Konzept zur Entwicklung der Bildungssysteme. Auf dem EU-Gipfel von<br />
Lissabon wurde vor fünf Jahren die Produktion von profitablem Humankapital zum Hauptziel<br />
der europäischen Bildungspolitik ausgerufen. Damit soll die ökonomische<br />
Wettbewerbsfähigkeit langfristig abgesichert werden. Doch die Umgestaltung der staatlichen<br />
Bildungssysteme im Sinne dieses neoliberalen Programms ist nicht so einfach zu<br />
bewerkstelligen. Denn welche sozialen Akteure sollen den Prozess vorantreiben? <strong>Die</strong> Lehrer<br />
ganz bestimmt nicht: Sie gelten als unzuverlässig und werden eher als Teil des Problems<br />
gesehen und nicht als dessen Lösung.<br />
Richard Hatcher, Forschungsdirektor der University of Central England in Birmingham<br />
(Großbritannien), gibt am Beispiel England eine Antwort 5: <strong>Die</strong> Labour-Regierung hat drei neue<br />
Instrumente entwickelt, um – auf der Basis der in der Thatcher-Ära gelegten Fundamente –<br />
das Schulsystem umzubauen. Da gibt es erstens neue, mächtige Unternehmen, privatisierte<br />
ehemalige Behörden wie das Ofsted (das Office for Standards in Education) oder die Teacher<br />
Training Agency. Das Ofsted ist für strenge Schulinspektionen, die Agency für die Aufsicht<br />
über die Aus- und Fortbildung der Lehrer zuständig. Zweitens sollen, um die Spielräume der<br />
Schulen zu erweitern, die Schulleiter in mächtige Manager verwandelt werden, die sich dem<br />
5 Le Monde diplomatique (Deutsche Ausgabe), 13.05.2005; „<strong>Die</strong> Sponsoren kommen“<br />
67
Regierungsprogramm verpflichtet fühlen. Und drittens ist der private Sektor über die<br />
Möglichkeit von Betrieben, Vereinen und Organisationen zur Einrichtung von Academies zu<br />
einem wichtigen Element im Transformationsprozess geworden. <strong>Die</strong> Academies konkurrieren<br />
mit den staatlichen Schulen um die Anmeldung von Schülern und bekommen vom Staat<br />
einen an der Schülerzahl orientierten Beitrag, der dann und „selbst verantwortet“ verwaltet<br />
wird.<br />
In England werden also Schulbetriebe nur zum Teil direkt privatisiert, vor allem aber werden<br />
private Unternehmen immer häufiger mit der praktischen Umsetzung von neuen<br />
Bildungsstrategien oder lokalen Bildungsangeboten betraut, bieten Beratungsstunden für<br />
LehrerInnen an, arbeiten Kriterien für Leistungslöhne und die Kontrolle von Schulleitungen<br />
aus usw.<br />
Dazu passt bereits die Ankündigung auf dem „Bildungsserver“ der BS: <strong>Die</strong><br />
Bertelsmannstiftung bietet ein Beispiel für eine Best Practice Plattform, wie sie demnächst<br />
auch auf dieser Seite entstehen soll. <strong>Die</strong> "Toolbox Bildung" der Bertelsmannstiftung bietet eine<br />
Plattform für den Austausch gelungener Unterrichtsinnovation in NRW. In ihrem<br />
Schulentwicklungs- und Innovationsprozess können Schulen einander inspirieren und<br />
voneinander lernen. In Kürze soll es auch in Hamburg eine solche Plattform für die Schulen<br />
geben.<br />
In Hamburg ist das „Controlling“ durch eine „Schulinspektion“ bereits Realität. Noch ist es<br />
nicht geplant, diese in die Hände von Privatfirmen zu legen, die Möglichkeit besteht aber<br />
jederzeit.<br />
Es geht lokal in Hamburg, ebenso wie international<br />
• um die Öffnung eines großen Sektors des Öffentlichen <strong>Die</strong>nstes für private Anleger,<br />
• um den Abbau eines staatlichen Aufgabenbereiches und damit potentiell möglicher<br />
demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten,<br />
• um die weitere Senkung der aufzuwenden Steueranteile für Bildung und die Einführung<br />
von verschiedenen Varianten von Schulgeld,<br />
• um Lohndumping in einem großen Beschäftigungssegment und<br />
• um den Einfluss auf unmittelbar verwertbare Bildungsprozesse durch<br />
privatwirtschaftliche Betriebe.<br />
Das Bildungssystem insgesamt wird in diesem Konzept „optimiert“ durch Wettbewerb, eine<br />
entscheidende Voraussetzung für Kompatibilität mit der Erwirtschaftung von Profit.<br />
Für DIE LINKE wird es darauf ankommen, parteiintern die Kenntnisse von diesen Konzepten<br />
zu verbreitern, eine klare Position gegenüber allen Formen der Privatisierung zu beziehen und<br />
in Abstimmung mit den Gewerkschaften Ansatzpunkte zum Widerstand gegen diesen Umbau<br />
der Bildungsinstitutionen zu finden. <strong>Die</strong>s wird nur gelingen, wenn der politische<br />
Zusammenhang zwischen Verarmung der öffentlichen Kassen einerseits und Privatisierung<br />
und ihre Folgen prinzipiell aufgezeigt und angegangen wird.<br />
Ulrik Ludwig ist Mitglied der LAG Hamburg<br />
Der Aufsatz ist zuerst erschienen in: PISA-Schock: Was sagt DIE LINKE?<br />
VSA-Verlag Hamburg 2008<br />
www.vsa-verlag.de<br />
68
Aus dem Bundestag<br />
06.12.2008<br />
Pressemitteilung von Nele Hirsch<br />
Schavan schreibt bei der <strong>Linke</strong>n ab<br />
„DIE LINKE begrüßt, dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan den Vorschlag<br />
der LINKEN zu einem bildungspolitischen Infrastrukturprogramm gegen die drohende<br />
Rezession aufgreift", so Nele Hirsch. <strong>Die</strong> bildungspolitische Sprecherin der Fraktion<br />
DIE LINKE weiter:<br />
„Ministerin Schavan sollte nun nach dem erfolgreichen Abschreiben nicht mehr zaudern und<br />
zögern, sondern die geplanten Maßnahmen schon jetzt im Kabinett zur Diskussion stellen<br />
und sie nicht erst vage für später ankündigen. Zudem ist die von ihr vorgeschlagene<br />
Größenordnung längst nicht ausreichend. Angesichts der chronischen Unterfinanzierung der<br />
Schulen und Hochschulen sind 5 Milliarden bei weitem zu wenig. Auch die drohende<br />
Rezession macht es erforderlich, zu klotzen anstatt kleckern.<br />
Anstatt nachträglich abzuschreiben, hätte Ministerin Schavan auch einfach den Anträgen der<br />
LINKEN in der Haushaltsdebatte zustimmen können. Unter anderem dort war ihre jetzt<br />
aufgeworfene Forderung nach Investitionen für Schulen und Hochschulen enthalten."<br />
69
Mehr Privat als Staat - FDP-Bildungspolitik auf dem Holzweg<br />
Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):<br />
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Patrick Meinhardt, die<br />
Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.<br />
(Patrick Meinhardt (FDP): Dir fehlt der Glaube?)<br />
Bezüglich der freien gemeinnützigen Träger könnten wir uns schnell einigen. Aber es gibt nun<br />
einmal auch private Träger, die ein Profitinteresse haben, und auch die sind unzweifelhaft<br />
Gegenstand dieses Antrags. Daher sage ich: <strong>Die</strong>ser Antrag ist ein Schlag ins Gesicht der<br />
Chancengleichheit. Einmal mehr wird von der FDP gefordert: Weniger Staat und mehr privat.<br />
Das hieß im ersten Schritt: Entlastung der Unternehmen, der Vermögenden, der Besser- und<br />
Bestverdienenden. De facto bedeutet dies weniger Einnahmen für die öffentlichen Haushalte,<br />
die dafür bei Arbeitslosen, Rentnern, Sozialleistungsbeziehern und Geringverdienern kräftig<br />
sparen. Sicher, da hat sich die FDP die Finger überhaupt nicht schmutzig machen müssen.<br />
Das haben Rot-Grün und Schwarz-Rot schon in hervorragender Weise geleistet. Ich erinnere<br />
mich, dass Guido Westerwelle schon 1999 einmal gesagt hat: Hätten wir diese Politik<br />
umgesetzt, wären wir als Partei des Turbokapitalismus beschimpft worden. Wo er recht hat,<br />
hat er recht.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Zurück zu den öffentlichen Haushalten. Nach Berechnungen des Wirtschaftsweisen Bofinger<br />
waren die Einnahmen des Staates 2008 im Vergleich zu 1999 aufgrund der genannten<br />
Umverteilung zugunsten von Unternehmen, Vermögenden und Bestverdienenden um 118<br />
Milliarden Euro niedriger. <strong>Die</strong>se Einnahmen fehlen jetzt in jedem Jahr, zum Beispiel für den<br />
Bereich der Bildung. Wenn ich ein derart großes Loch in die Kasse reiße, darf ich mich nicht<br />
wundern, wenn ich im internationalen Vergleich weniger ausgeben kann als andere Länder.<br />
Als Sozialarbeiter kenne ich Schulen, in denen es durch das Dach regnet, in denen der Kalk<br />
von den Wänden rieselt, in denen sich Funktionsräume in einem bedauernswerten Zustand<br />
befinden, in denen es an Lehrkräften mangelt und folglich massiver Unterrichtsausfall zu<br />
beklagen ist. Jetzt beklagt die FDP scheinheilig, der Staat könne es nicht richtig. Das ist<br />
schon dreist. In Wahrheit geht es doch nur darum, dass man den eigenen Kindern nicht die<br />
Schulen zumuten will, die man im Grunde genommen selber zugrunde gerichtet hat. Das<br />
erforderliche Schulgeld zu zahlen, ist für Vermögende und Bestverdienende angesichts ihrer<br />
Einkommenszuwächse in den letzten Jahren eine Kleinigkeit. Kurz: Dadurch, dass in der Breite<br />
und an vielen Schulen gespart wird, lassen sich die De-luxe-Angebote für eine privilegierte<br />
Minderheit der Bevölkerung finanzieren. Eine Entsolidarisierung der Gesellschaft, das ist doch<br />
der wahre Kern Ihrer Politik.<br />
70
Um den unsozialen Kern ihrer Politik zu verbergen, greift die FDP tief in die<br />
Argumententrickkiste. Da heißt es zum Beispiel, Privatschulen seien bezogen auf die<br />
Leistungsergebnisse besser als öffentliche Schulen. <strong>Die</strong> Studie, auf die Sie sich dabei stützen,<br />
ist mal wieder aus der Abteilung „Meine Birne schmeckt mehr nach Birne als der öffentliche<br />
Apfel“; denn Tatsache ist: <strong>Die</strong>se Schulen schneiden keinen Deut besser ab. Das wird deutlich,<br />
sobald man die Schüler ähnlicher sozialer Herkunft in beiden Schulformen vergleicht. <strong>Die</strong><br />
angebliche Überlegenheit der Privatschulen begründet sich allein dadurch, dass die soziale<br />
Auswahl zulasten von Problemschülern so gut funktioniert. Genauso unsinnig ist die<br />
Behauptung, Privatschulen beförderten den Wettbewerb und würden damit zu einer<br />
Anhebung des Niveaus öffentlicher Schulen führen. Sie verweisen dabei auf die PISA-Studie<br />
und die höhere Privatschulquote in Ländern wie den Niederlanden und Großbritannien, die im<br />
PISA-Vergleich vor uns liegen.<br />
(Patrick Meinhardt (FDP): Mehr Eigenverantwortung!)<br />
Lieber Patrick Meinhardt, konsequenterweise müsstest du eigentlich gegen Privatschulen<br />
argumentieren; denn die Privatschulquote bei den Spitzenreitern Schweden und Finnland ist<br />
niedriger als bei uns.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
Wir <strong>Linke</strong> sagen klar und deutlich: Schulen sind nicht dazu da, um mit ihnen Geld zu<br />
verdienen. Schulen sind dazu da, das Recht auf Bildung zu verwirklichen, und zwar völlig<br />
unabhängig von der sozialen Herkunft. Jedem ein Optimum an Bildung zukommen zu lassen<br />
und nicht nur einer kleinen privilegierten Schicht, ist nicht nur ein Gebot der sozialen<br />
Gerechtigkeit, sondern auch eine zwingende Notwendigkeit für ein Land, dessen wesentliche<br />
Ressource das Leistungsvermögen seiner Menschen ist.<br />
Herzlichen Dank.<br />
(Beifall bei der LINKEN)<br />
30.01.2009<br />
71
Im Ausland erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse anerkennen<br />
Sevim Dagdelen, Rede im Bundestag<br />
Ich bezweifle, dass diese Bundesregierung und auch die sozialdemokratische Fraktion<br />
wirklich etwas verändern möchten. Denn das Problem ist seit längerem bekannt, ebenso die<br />
Analyse; die Studien liegen vor. Aber die Bundesregierung setzt das, was sie weiß, nicht um.<br />
Sie tut so, als ob sie es nicht wüsste, und verliert sich in Absichtserklärungen im Nationalen<br />
Integrationsplan oder auf irgendwelchen Gipfeln.<br />
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bezweifle, dass diese<br />
Bundesregierung und auch die sozialdemokratische Fraktion wirklich etwas verändern<br />
möchten. Denn das Problem ist seit längerem bekannt, ebenso die Analyse; die Studien<br />
liegen vor. Aber die Bundesregierung setzt das, was sie weiß, nicht um. Sie tut so, als ob sie<br />
es nicht wüsste, und verliert sich in Absichtserklärungen im Nationalen Integrationsplan oder<br />
auf irgendwelchen Gipfeln, wo sie von Scheinwerfern angestrahlt wird, und das war es.<br />
Das Problem der Menschen beheben Sie nicht, seit Jahrzehnten nicht. Sie berauben die<br />
Menschen ihrer gesellschaftlichen Teilhabe und der Möglichkeiten, die sie aufgrund ihrer<br />
Erwerbsbiografien und ihrer Qualifikationen haben. Es ist nicht so, dass das Problem nicht<br />
erkannt wurde. Es fehlt nur einfach der Wille, dieses Problem zu lösen. Es gibt keinen<br />
Integrationswillen seitens der Bundesregierung. Wir haben in den letzten Tagen über die<br />
Studie des Berliner Instituts mehrfach in den Medien hören und lesen können.<br />
Am Montag überraschte uns die Integrationsbeauftragte Frau Maria Böhmer - ausnahmsweise<br />
ist sie heute bei dieser Debatte anwesend –<br />
(Widerspruch bei der CDU/CSU)<br />
mit ihrer vermeintlichen Entschlossenheit, den Betroffenen der von ihr mitzuverantwortenden<br />
Desintegrationspolitik helfen zu wollen. Sie will sich nun dafür einsetzen, dass sich die<br />
Situation der halben Million Menschen in Deutschland, die über einen ausländischen<br />
akademischen Abschluss verfügen, der aber nicht anerkannt wird, ändert. „Dringendsten<br />
Handlungsbedarf“ sah sie auch im Focus vom 20. Oktober 2008. Da kündigte sie auch an,<br />
dass sie den „Anerkennungsdschungel lichten“ wolle.<br />
Wie ich gesagt habe: Das Problem ist bekannt. <strong>Die</strong> Versuche, Zugang zum Arbeitsmarkt zu<br />
finden, führen in Deutschland viele Migrantinnen und Migranten mit im Ausland erworbenen<br />
Abschlüssen oft in Sackgassensituationen. Das hat Frau Kollegin Laurischk hier schon<br />
deutlich gemacht. Bildung allein ist eben nicht der Schlüssel zur Integration, was die<br />
Sozialdemokraten seit Jahrzehnten immer herunterbeten.<br />
(Dr. Ernst <strong>Die</strong>ter Rossmann (SPD): Kommen Sie herunter! Haben Sie Feindbilder?)<br />
In der Studie des Berliner Instituts wird das ganz deutlich gesagt. Darin heißt es: Bildung<br />
bedeutet aber nicht automatisch eine gelungene Integration, denn nach wie vor baut die<br />
Gesellschaft Hürden für Migranten auf: Selbstständigen wird die Niederlassung erschwert,<br />
Abschlüsse werden nicht anerkannt ...<br />
72
Wenn man das Problem seit Jahren kennt, dann frage ich mich, warum man es nicht behebt.<br />
<strong>Die</strong>ses Problem wurde schon im ersten Memorandum des ersten Ausländerbeauftragten aus<br />
dem Jahre 1979 angesprochen.<br />
(René Röspel (SPD): Sie werden es garantiert nicht beheben!)<br />
Ich sage für meine Fraktion: Es geht nicht, dass man den Menschen die Möglichkeit nimmt,<br />
am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ich sage auch: Frau Böhmer, Sie haben genug<br />
geredet. Es ist Zeit für Taten. Viele Migrantinnen und Migranten in Deutschland haben dank<br />
Ihrer Politik und der Politik der Bundesregierung viele Jahre verloren.<br />
(Dr. Ernst <strong>Die</strong>ter Rossmann (SPD): Wir haben das BAföG verbessert! Wir haben das Meister-<br />
BaföG verbessert! Registrieren Sie das, Kollegin!)<br />
Versuchen Sie doch einmal, in der Integrationspolitik nicht hinter anderen Ländern der<br />
Europäischen Union hinterherzuhinken! Schaffen Sie eine gesetzliche Grundlage wie zum<br />
Beispiel in Dänemark! Es gibt eine Website, die nur die Aufgabe hat, das Chaos zu verwalten.<br />
Sorgen Sie stattdessen dafür, dass ein Konzept entwickelt wird! Sorgen Sie dafür, dass die<br />
Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen bundesweit vereinheitlicht,<br />
vereinfacht und beschleunigt wird! Wir brauchen ein System mit Rechtsansprüchen zur<br />
Feststellung, Einordnung und auch Zertifizierung von Abschlüssen. Dafür zu sorgen, ist die<br />
Aufgabe der Bundesregierung und nicht die Aufgabe von einzelnen Personen. <strong>Die</strong><br />
Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen; sie trägt dafür die<br />
Verantwortung und nicht einzelne Personen.<br />
Wenn Sie wollen, finden Sie auch einen Weg. Deshalb plädiere ich dafür, endlich Taten folgen<br />
zu lassen und nicht immer nur darüber zu sprechen, dass man Integration wolle. Der Wille<br />
allein genügt nicht. <strong>Die</strong> Bundesregierung ist dazu aufgerufen, endlich zu handeln.<br />
(Beifall bei der LINKEN - René Röspel (SPD): Mit solchen Reden integriert man aber auch nicht<br />
29.01.2009<br />
73
Information / Rezension<br />
Kindergrundsicherung und Chancengleichheit in der Bildung<br />
Zu den Befürchtungen des deutschen Kinderschutzbundes erklärt das Mitglied des<br />
Parteivorstandes Rosemarie Hein:<br />
<strong>Die</strong> vom Kinderschutzbund geäußerten Befürchtungen muss die Regierung ernst nehmen und<br />
handeln. Es ist höchste Zeit, sich nicht nur um die Zukunft der Banken zu sorgen, sondern um<br />
die Kinder in dieser Gesellschaft.<br />
Kinder brauchen eine eigenständige finanzielle Absicherung und uneingeschränkten Zugang<br />
zu allen<br />
Bildungseinrichtungen. Deshalb fordert DIE LINKE seit Jahren eine Kindergrundsicherung. <strong>Die</strong><br />
Anstrengungen zur Umsetzung des Kinderfördergesetzes des Bundes sind völlig<br />
unzureichend. Außerdem bedarf es einer entschieden größeren Zahl von Ganztagsangeboten,<br />
damit jedes Kind umfassend gefördert werden kann. Wenn sich der Bund nach den<br />
notwendigen Mitteln zur Schulsanierung nicht endlich auch an der Finanzierung der<br />
Betreuungsangebote selbst und an der notwendigen qualifizierten Personalausstattung<br />
beteiligt, bleiben vollmundige Versprechungen leere Worte. <strong>Die</strong> Politik darf nicht weiter auf<br />
Zeit spielen, sondern muss entschieden mehr für gleiche Teilhabechancen für Kinder tun.<br />
Jedem Kind ein vollwertiges Mittagessen, unentgeltliche Lernmittel und Schülerbeförderung<br />
ohne Eigenbeteiligung bis zum Abitur sind Forderungen der Stunde. Notwendig sind weiterhin<br />
deutlich mehr Studienplätze und Stellen für angehende Lehrerinnen und Lehrer, die<br />
Ausbildung tausender Erzieherinnen und Erzieher. Hier müssen sich Bund und Länder stärker<br />
engagieren.<br />
Mit der ständigen Subventionierung und steuerlichen Entlastung der Reichen und<br />
Superreichen, mit der Übernahme ihrer Zockerschulden ist diese Aufgabe nicht zu leisten.<br />
<strong>Die</strong>ses Geld fehlt in den Haushalten vom Bund bis zu den Kommunen. Es kann nicht sein,<br />
dass ausgerechnet die Kinder die Spekulationsfehler der Banken am Ende zahlen müssen.<br />
„Schuldenbremsen“ werden diese schwere Hypothek auf die Zukunft nicht auffangen können.<br />
9. März 2009<br />
74
GEW: „<strong>Die</strong> Richtung stimmt – Ausgaben für Infrastruktur jetzt um<br />
‚Investitionspaket Bildung’ ergänzen“<br />
Bildungsgewerkschaft zum Konjunkturpaket II: großer Nachholbedarf im gesamten<br />
Bildungsbereich<br />
Frankfurt/Berlin – <strong>Die</strong> Investitionspläne zur Verbesserung der kommunalen Infrastruktur<br />
insbesondere im Bildungsbereich sind nach Auffassung der Gewerkschaft Erziehung und<br />
Wissenschaft (GEW) ein notwendiger und richtiger Schritt. GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne<br />
wies jedoch darauf hin, dass die im Rahmen des Konjunkturpakets II geplanten Ausgaben in<br />
Höhe von rund 6,5 Milliarden Euro nicht ausreichten. Aufgrund der chronischen<br />
Unterfinanzierung vergangener Jahre seien viele Bildungseinrichtungen durch und durch<br />
marode. Um diese zu sanieren und modernisieren, sei eine größere Anstrengung notwendig.<br />
„Wir brauchen 73 Milliarden Euro bis 2020, um allein die Schulen in Form zu bringen“, sagte<br />
der Gewerkschafter am Freitag mit Blick auf eine Studie des „Deutschen Instituts für<br />
Urbanistik“. Er erinnerte daran, dass IG BAU und GEW ein 20 Milliarden-Programm zur<br />
Verbesserung der kommunalen Infrastruktur vorgeschlagen hatten. <strong>Die</strong>ses sollte Herzstück<br />
des zweiten Konjunkturpakets gegen die Wirtschaftskrise werden. Ziel war, rund 400.000<br />
Arbeitsplätze zu sichern.<br />
„Ein ‚Investitionspaket für Bildung’ muss die kurzfristige Stärkung der Binnennachfrage und<br />
die Investitionen in die Infrastruktur als dritte Säule eines Stabilisierungsprogramms<br />
ergänzen“, unterstrich der GEW-Vorsitzende. „Einen wirksamen ‚Schutzschirm für<br />
Arbeitsplätze’ gibt es nur dann, wenn nachhaltig in die Bildung der Menschen investiert und<br />
Bildungsarmut bekämpft werden. Im Bildungsbereich haben wir einen großen Nachholbedarf“,<br />
begründetet er seinen Vorstoß. Deutschland gebe lediglich 4,4 Prozent des<br />
Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus öffentlichen Mitteln für das Bildungswesen aus. <strong>Die</strong>se Quote<br />
müsse dringend auf mindestens sieben Prozent des BIP wie in Schweden angehoben werden.<br />
Mit dieser Maßnahme stünden dem Bildungsbereich jährlich rund 43 Milliarden Euro<br />
zusätzlich zur Verfügung „Mit diesem Geld kann Deutschland international den Anschluss<br />
schaffen und die Qualität seines Bildungsangebots entscheidend verbessern“, sagte Thöne.<br />
„Ausgaben für Bildung, für Kitas, Schulen und Volkshochschulen, aber auch Hochschulen sind<br />
Zukunftsinvestitionen, von denen künftige Generationen profitieren“, betonte der GEW-<br />
Vorsitzende. Von Investitionen in die öffentliche Infrastruktur gingen – im Vergleich zu<br />
anderen konjunkturpolitischen Maßnahmen – die stärksten Impulse auf wirtschaftliches<br />
Wachstum und Arbeitsplätze aus.<br />
Es reiche jedoch nicht, marode Einrichtungen einfach nur durch neue zu ersetzen. Bei<br />
architektonischen Maßnahmen und Sanierungsarbeiten müsse darauf geachtet werden, dass<br />
beispielsweise Schulen und Kitas modernen pädagogischen Anforderungen genügen. „<strong>Die</strong><br />
Architektur muss Lehrende und Lernende zum gemeinsamen Arbeiten einladen und<br />
Wertschätzung signalisieren“, sagte Thöne. Zudem müsse die Wärmedämmung der Gebäude<br />
verbessert und damit ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden. Nicht zuletzt solle<br />
die Modernisierung der Gebäude auch dem Arbeits- und Gesundheitsschutz genügen.<br />
PM vom 13.02.2009<br />
75
Gemeinsame Pressemitteilung: BER – DPhV – Didacta Verband – GEW –<br />
VBE – VdS Bildungsmedien Appell an Bund und Länder:<br />
Auch in Bildungsqualität investieren<br />
Aus Anlass der heutigen Sondersitzung des Bundesrates zum Konjunkturprogramm II warnen<br />
Bundeselternrat (BER), Deutscher Philologenverband (DPhV), Didacta Verband, Gewerkschaft<br />
Erziehung und Wissenschaft (GEW), Verband Bildung und Erziehung (VBE) und VdS<br />
Bildungsmedien eindringlich: „Ein Konjunkturprogramm im Bildungsbereich darf sich nicht<br />
darin erschöpfen, die Investitionen ausschließlich für Baumaßnahmen vorzusehen.“<br />
<strong>Die</strong> Verbände haben sich deshalb in gemeinsamen Schreiben an Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel und an Bundesratspräsident Peter Müller gewandt. „An die Entscheidung der<br />
Bundesregierung knüpfen die Verbände die Erwartung“, heißt es darin, „dass der<br />
Bildungsbereich künftig nachhaltiger finanziert wird: Es geht nicht nur darum, unsere Schulen<br />
zu sanieren; sie müssen modernisiert und die Bildungsqualität muss weiterentwickelt<br />
werden.“ Neben intakten Gebäuden benötigten die Schulen auch eine Erneuerung des<br />
Mobiliars, der Einrichtung von Labor- und Arbeitsräumen und eine Modernisierung der Lehr-<br />
und Lernmittel. <strong>Die</strong> unterzeichnenden Verbandschefs <strong>Die</strong>ter Dornbusch (BER), Heinz-Peter<br />
Meidinger (DPhV), Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis (Didacta Verband), Ulrich Thöne<br />
(GEW), Dr. Ludwig Eckinger (VBE) und Wilmar <strong>Die</strong>pgrond (VdS Bildungsmedien) appellieren<br />
„an Bundesregierung und Bundesrat, bei den laufenden Beratungen zum<br />
Zukunftsinvestitionsgesetz dafür zu sorgen,<br />
- dass die Förderung nicht auf die bauliche Sanierung von Bildungsinstitutionen beschränkt<br />
bleibt,<br />
- dass auch die Modernisierung der Ausstattung und Einrichtung, der Lehr- und Lernmittel<br />
ermöglicht wird und<br />
- dass die Investitionsentscheidungen nach Dringlichkeit in enger Abstimmung mit den<br />
Schulen selbst erfolgen.“<br />
PM vom 20.02.2009<br />
76
Was war unsere Schule wert? Volksbildung in der DDR.<br />
Autorenkollektiv<br />
Schule- das ist immer ein Stück Heimat.<br />
Beinahe jeder Fünfte der heute lebenden Deutschen hat seine Lernjahre im Schulsystem der<br />
DDR verbracht.<br />
Das prägt.<br />
Gleiche Bildungschancen für alle . so lautet der früh verkündete gesellschaftliche Anspruch<br />
der Bildungsreformer in der DDR. <strong>Die</strong> Schüler aus dem Osten brachten nicht nur<br />
hervorragende mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse in die deutsche Einheit ein.<br />
Schule in der DDR – das waren auch polytechnischer Unterricht,<br />
Schülerarbeitsgemeinschaften, Unterrichtstage in der Produktion, Praktika verschiedener Art,<br />
Patenschaften mit Brigaden und betriebskollektiven.<br />
Was ist diese Ausbildung heute noch wert?<br />
Lehrer und Schüler, Pädagogikwissenschaftler und Pionierleiter, Soziologen, und<br />
Sexualwissenschaftler kommen zu Wort. Zeitzeugen geben eigenes Erleben wieder. Sie<br />
können qualifiziert beurteilen, welchen Stellenwert die Schule in der DDR besaß. <strong>Die</strong>ses Buch<br />
beschreibt Stärken und Schwächen der DDR-Volksbildung. Zugleich bietet es eine menge<br />
Stoff zum Nachdenken über nicht genutzte Chancen für die Entwicklung einer neuen Schule,<br />
die den Herausforderungen der Globalisierung gewachsen sein könnte und dennoch<br />
Menschen bildet.<br />
www.das-neue-berlin.de<br />
ISBN 978-3-360-01965-3<br />
14,90€<br />
77
Karl-Heinz Braun: Wenn Bildung nicht ankommt: Schulversagen<br />
Analysen und Alternativen<br />
Herausgegeben von der Fachgruppe Bildungspolitik im Arbeitskreis Bildung und Soziales der<br />
Fraktion DIE LINKE. im Landtag von Sachsen-Anhalt<br />
Erste Auflage 2009<br />
In diesem Heft werden aus der Praxis heraus Ursachen und Gründe des Schulversagens<br />
dargestellt. Aus kritischer Sicht werden Schulversagen (versagt der Schüler oder die Schule),<br />
Schulsozialarbeit und die Notwendigkeit innerer Schulreformen in einem Zusammenhang<br />
gesehen. Es wird auf die Verschärfung der gesellschaftlichen Ungleichheiten durch das<br />
gegliederte Schulsystem ebenso verwiesen, wie auf die subjektiven Gründe der<br />
Bildungsarmut. Der Autor zeigt sozialpädagogische Perspektiven und Wege zur Überwindung<br />
des Schulversagens auf und formuliert pädagogische Entwicklungsansprüche an die<br />
Schulsozialarbeit. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass zur inneren Schulreform<br />
nachhaltige Maßnahmen der äußeren Schulreform, eine deutliche Verlängerung des<br />
gemeinsamen Lernens (z.B. in Form von Gemeinschaftsschulen), ein erheblicher Ausbaus der<br />
Ganztagsschulen und eine systematische Verknüpfung der Bildungs- und Erziehungsaufgaben<br />
aller öffentlichen Einrichtungen in Form von Ganztagsbildung und der regionalen<br />
Bildungslandschaften kommen müssen.<br />
<strong>Die</strong> inhaltlichen Pro<strong>file</strong> dieser Reformvorhaben sollen in einer folgenden Publikation<br />
dargestellt werden.<br />
Nicht nur für linke Schulreformer lesenswert.<br />
78
Veranstaltungen / Termine<br />
Schule und Erziehungswissenschaften<br />
Veranstaltungen des Berlin-Brandenburger Forums „Schule, Pädagogik, Gesellschaft“<br />
im 2. Halbjahr 2009<br />
Veranstaltungsort: Rosa- Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin<br />
Zeit: 16.00 bis 18.00 Uhr<br />
30.9.<br />
(189) Kinderheim Königsheide - ein historischer Rückblick<br />
Mit: <strong>Die</strong>ter Engler (Berlin)<br />
28.10.<br />
(190) Für welches Allgemeinbildungskonzept müssten sich <strong>Linke</strong> heute einsetzen?<br />
Mit: Dr. Hans-Joachim Hausten (Berlin)<br />
25.11.<br />
(191) Das Berliner Gemeinschaftsschulkonzept und das Zwei-Säulen-Modell<br />
Mit: N.N. (Berlin)<br />
16.12.<br />
(192) Naturwissenschaftlicher Unterricht am Scheideweg<br />
Mit: Prof. Dr. Eberhard Rossa (Berlin)<br />
Ansprechpartner:<br />
Prof. Dr. Werner Lemm, Heidekampweg 88,<br />
12437 Berlin, Tel.: 030/5325276<br />
Prof. Dr. Horst Weiß, Lindenpromenade 32,<br />
15344 Stausberg, Tel.: 03341/422087<br />
79
In eigener Sache<br />
________________________________________________________<br />
DIE LINKE. BUNDESARBEITSGEMEINSCHAFT BILDUNGSPOLITIK<br />
Sprecherteam: Horst Bethge, Gerrit Große, Cornelia Hirsch, Gerhard Sielski, Henrik Volkert<br />
Einladung zur Beratung der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik<br />
<strong>Die</strong> Sprecher der BAG Bildungspolitik laden ein zu einer Beratung der BAG zum<br />
9./10.5.2009 nach Berlin ein. Beginn am Sonnabend um 13.00 Uhr.<br />
Tagungsort: Bürohaus (ND-Gebäude), Mehring- Platz 1, 10243 Berlin (Nähe Ostbahnhof)<br />
Münzenbergsaal 1, 1.Obergeschoss<br />
Sonnabend, den 9.5. (13.00 – 18.00 Uhr )<br />
Thema: Wege zur Gemeinschaftsschule<br />
1. Eine Schule für alle – Wege zur Gemeinschaftsschule<br />
• Vortrag: Prof. Dr. Matthias von Saldern, Leuphana Universität üneburg<br />
2. Gesprächsforum mit Prof. Dr. Matthias von Saldern,<br />
• Lothar Sack, Vorsitzender der Gemeinnützigen Gesellschaft<br />
Gesamtschule,<br />
• Robert Giese, Schulleiter der Fritz- Karsen- Schule/Pilotprojekt Berlin<br />
Anfragen und Diskussion<br />
Sonntag, den 10.5. (9.00 – 13.00 Uhr)<br />
Wahlen und Bildungspolitik (Leitung: Horst Bethge, Nele Hirsch)<br />
Darlegungen von Sprechern einzelner LAG, die Erfahrungen werten und Ideen erläutern,<br />
wie sie den Wahlkampf auf bildungspolitischem Gebiet führen wollen.<br />
Einführende Beiträge: (Vorschläge angefragt)<br />
� Inge Sturm, LAG Hessen: Unser Wahlkampf - Inhalte und Lehren<br />
� Henning Feige, LAG Hamburg: Lehren der Volksinitiative in Hamburg<br />
� Steffen Zillich, LAG Berlin: Unser Programm zum Ausbau der<br />
Gemeinschaftsschule<br />
� Jutta Fiedler: LAG Sachsen-Anhalt: Unser schulpolitisches Konzept<br />
Anfragen und Diskussion<br />
Abschlussbemerkungen: Bildungspolitik im Wahlkampf 2009<br />
Informationen aus der Parteivorstandssitzung am 10.5.<br />
Rosemarie Hein, Mitglied des Parteivorstandes der DIE<br />
LINKE<br />
Hinweise für Teilnehmer:<br />
80
Anreise: ICE, S-Bahn bis Berlin- Ostbahnhof<br />
Fußweg: ca. 5 Minuten zum Bürogebäude (ND/Rosa-Luxenburg-Stiftung)<br />
PKW - Navi: 10243 Berlin, Mehringplatz 1 (Parkplatz vorhanden)<br />
Hotels in der Nähe:<br />
Hotel Comenius<br />
Grünberger Str.22<br />
10243 Berlin<br />
030/ 27 571535<br />
(45.-/69.-€)<br />
Pegasus Hostel<br />
Str.der Pariser Kommune 35<br />
10243 Berlin<br />
030/2977360<br />
Hotel Ibis Berlin City Ost<br />
An der Schillingbrücke 2<br />
10243 Berlin<br />
030/ 257600<br />
Inter City Hotel Berlin<br />
Gebührenfreie Hotline 00800-78468357<br />
Rückmeldung an:<br />
DIE LINKE. Parteivorstand<br />
BAG Bildungspolitik<br />
Maritta Böttcher<br />
Kleine Alexanderstr.28<br />
10178 Berlin<br />
Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />
DIE LINKE. Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik<br />
Wer wir sind und wie man bei uns mitarbeiten kann<br />
81
Wer wir sind<br />
<strong>Die</strong> Bundesarbeitsgemeinschaft Bildungspolitik ist eine Arbeitsgemeinschaft der neuen<br />
Partei: <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>.<br />
Sie ist eine Gruppe von Mitgliedern und Symphatisanten, die sich mit bildungspolitischen<br />
Problemen befasst, aktuelle bildungspolitische Probleme analysiert, Erfahrungen in<br />
bildungspolitischen Auseinandersetzungen wertet und Vorschläge erarbeitet, in welcher<br />
Weise die Partei <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>. Einfluss auf notwendige Veränderungen im Bildungssystem<br />
nehmen kann.<br />
Viele ihrer Mitglieder kennen als Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, Lehrerinnen und<br />
Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Eltern- und SchülerInnenvertreter, in der Berufsbildung<br />
oder im Hochschulwesen als Lehrende und Studierende wie in der Wissenschaft Tätige, die<br />
aktuellen bildungspolitischen Probleme aus ihrer täglichen Erfahrung. Es gibt eine enge<br />
Zusammenarbeit mit Abgeordneten der Fraktionen <strong>Die</strong> <strong>Linke</strong>. im Bundestag und in den<br />
Landtagen, zwischen den verschiedenen Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene, mit den<br />
Gewerkschaften sowie mit Verbänden und Bewegungen, die Einfluss auf bildungspolitische<br />
Fragen nehmen.<br />
In den Bundesländern gibt es bei den Landesvorständen ebenfalls<br />
Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik, die mit der Bundesarbeitsgemeinschaft ein<br />
Netzwerk bilden und ihre Erfahrungen austauschen. Wir arbeiten auf internationaler Ebene im<br />
bildungspolitischen Netzwerk der Europäischen Linkspartei mit.<br />
Kurz: Wir sind eine Gruppe von Engagierten, die täglich sowohl mit dem Bildungswesen wie<br />
mit der Politik Kontakt hat. Wir halten das Bildungswesen in der Bundesrepublik für<br />
gründlich veränderungbedürftig und wollen dazu eine Menge beitragen.<br />
Was wir wollen<br />
Grundlage unserer Tätigkeit sind die programmatischen Beschlüsse der Partei.<br />
Es ist unser Ziel, das Menschenrecht auf Bildung für alle auch in der Bundesrepublik zu<br />
verwirklichen.<br />
Wir fordern gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder und Jugendlichen.<br />
Wir wollen, dass endlich Schluss gemacht wird, mit der extrem hohen Abhängigkeit der<br />
Bildungsmöglichkeiten und des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft.<br />
Eine grundlegende, sozial gerechte, demokratische Bildungsreform ist in diesem Lande<br />
notwendig.<br />
Wir treten für ein längeres gemeinsames lernen in einer Gemeinschaftsschule ein, als<br />
Alternative zum Bestehenden.<br />
Dazu arbeiten wir mit allen Reformwilligen zusammen und wirken in verschiedenen<br />
gemeinsamen Aktivitäten verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Initiativen auf diese<br />
Ziele hin.<br />
Das heißt für unsere konkrete Arbeit:<br />
• Analyse der bildungspolitischen Entwicklungen,<br />
• Diskussion bildungspolitischer Probleme,<br />
• Ausarbeitung von bildungspolitischen Alternativen,<br />
• Mitarbeit an Beschlüssen der Partei, Partei- und Wahlprogrammen,<br />
• Einflussnahme auf programmatische wie aktuelle Debatten,<br />
• Beteiligung an Demonstrationen und Protestveranstaltungen im Lande und auf<br />
internationaler Ebene.<br />
82
Wir veranstalten etwa viermal im Jahr eine bundesweite öffentliche Beratung -<br />
das Bildungsplenum - auf dem bildungspolitische Themen diskutiert und Erfahrungen<br />
ausgetauscht werden.<br />
Rund alle zwei Jahre findet unsere Bildungspolitische Konferenz in einem größeren Rahmen<br />
statt.<br />
Wir unterstützen die Landesarbeitsgemeinschaften Bildungspolitik und weitere kommunale<br />
und regionale Gruppen.<br />
Unsere regelmäßige Publikation mit dem Titel „ Zukunftswerkstatt Schule“ erscheint<br />
mindestens vierteljährlich.<br />
In regelmäßigen Abständen informieren wir über unserer aktuelle Arbeit und<br />
bildungspolitische Entwicklungen im Internet und in einem Newsletter linke Bildungspolitik.<br />
Wie man bei uns mitarbeiten kann<br />
Wir freuen uns über alle, die in unseren bundesweiten Zusammenschluss von an linker<br />
Bildungspolitik Interessierten mitarbeiten wollen.<br />
Jede kritische und konstruktive Meinung und Mitarbeit ist gefragt.<br />
Dazu kann man:<br />
An unseren Beratungen sowohl auf Bundes- als auf Landesebene teilnehmen; sich in Fragen<br />
der Vorschulerziehung, der Schulpolitik, der Berufsbildungspolitik oder der Hochschulpolitik<br />
wie der Weiterbildung einbringen; in einer der regionalen Gruppen mitarbeiten oder mit ihnen<br />
zusammenarbeiten; unsere Publikationsorgane abonnieren oder daran mitarbeiten,<br />
insbesondere als Autor von Beiträgen; bei verschiedenen Projekten und bildungspolitischen<br />
Kampagnen mitmachen; unsere Arbeit finanziell durch einmalige oder regelmäßige Spenden<br />
unterstützen.<br />
Kontakte über:<br />
AG Bildungspolitik Tel.: 030/ 24 009 615<br />
Maritta Böttcher Fax: 030/ 24 009 645<br />
Kleine Alexanderstr.28 Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />
10178 Berlin<br />
Unsere Bunte Reihe / Beihefte<br />
<strong>Die</strong> BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE gibt in loser Folge Aufsätze<br />
(Broschüre) von Wissenschaftlern, Praktikern, Schul- und Bildungspolitikern heraus mit dem<br />
Ziel, die offene Diskussion um linke Schul- und Bildungsprogrammatik zu unterstützen und zu<br />
fördern.<br />
83
Bisher sind erschienen:<br />
Horst Adam<br />
Jugend und Konflikte - pädagogische Überlegungen zur gewaltlosen Konfliktbewältigung<br />
Horst Adam<br />
Gesellschaftlicher Bruch und Erziehungsverständnis<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
Max Horkheimer und die Bildung - Das autonome Subjekt als Schöpfer seiner selbst?<br />
(Zum 100. Geburtstag von M. Horkheimer)<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
Das Eigene im Fremden und das Fremde im Eigenen<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
Zukunftsfähige Entwicklung von Bildung und Wissenschaft<br />
Gerhard Sielski<br />
Deutsches Bildungswesen zwischen Reform, Restauration und Alternativversuchen<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
<strong>Die</strong> Ostdeutschen und der Weg zu mehr Demokratie<br />
<strong>Die</strong> Transformation in Ostdeutschland als Sonderfall der internationalen Transformation von historisch<br />
gewachsenen Gesellschaften<br />
Karl-Heinz Schimmelmann<br />
Schule und Arbeitswelt - zur Integration von Arbeit, Wirtschaft und Technik in die Allgemeinbildung<br />
Gerhard Sielski<br />
<strong>Die</strong> schulpolitische Landschaft im heutigen Deutschland und Ansätze einer linken Bildungspolitik<br />
Eberhard Mannschatz<br />
Gemeinschaftserziehung und Individualerziehung<br />
Wolfgang Altenburger / Ulrike Wend<br />
Erlebnispädagogik - Praxis gestern und heute<br />
Wolfgang Lobeda<br />
Politische Bildung - Historisches und Aktuelles<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
Hat die Zukunft eine Zukunft? Bildung für das kommende Jahrhundert<br />
Edgar Drefenstedt<br />
Deutsche Pädagogen in der Zeit des Kalten Krieges<br />
Aus der Geschichte des gesamtdeutschen Schwelmer Kreises<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
Globales Lernen - ein Beitrag zur Globalisierung des Lebens<br />
Alexander Bolz<br />
Gemeinschaftserziehung im Nationalsozialismus<br />
Horst Kühn<br />
Chancengleichheit der Geschlechter und Koedukation<br />
Marianne Berge<br />
Das Bild von einer künftigen Gesamtschule für alle<br />
Eberhard Mannschatz<br />
Jugendhilfe und Heimerziehung in der DDR und über die Rolle im heutigen sozialpädagogischen<br />
Diskurs<br />
Eberhard Mannschatz<br />
A. S. Makarenko über den Zugang zu seinen pädagogischen Auffassungen<br />
Horst Kühn / Wolfgang Lobeda<br />
Blick auf die Jugend und die politische Bildung<br />
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Peter Blankenburg<br />
150 Jahre Manifest der Kommunistischen Partei<br />
Reflexionen zur Bildungs- und Schulpolitik<br />
Bernhard Claußen<br />
„Autoritarismus“ und die „Mitte der Gesellschaft“<br />
Bernhard Claußen<br />
Bildung und Kultur als Politikum in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus<br />
Bernhard Claußen<br />
Bildungspolitische Aspekte der Politischen Bildung in Deutschland<br />
AG Bildungspolitik<br />
„Forum Bildung“ und PISA-Diskussion – Ansatz einer Bildungsreform in Deutschland?<br />
AG Bildungspolitik<br />
Nationale Bildungsstandards ein Schritt zur Bildungsreform in Deutschland?<br />
Günter Wilms<br />
Das Bildungswesen der DDR – Ein Rückblick mit Anregungen für eine Bildungsreform in Deutschland<br />
Lothar Gläser<br />
Das deutsche Bildungswesen im Abseits<br />
Hans-Georg Hofmann<br />
Freie humanistische Allgemeinbildung für alle contra verkaufte Bildung. Das neoliberale<br />
Bildungskonzept und Alternativen zur Erneuerung der Bildung<br />
Wolfgang Lobeda, Gerhard Sielski u.a.<br />
Schule in Europa zwischen PISA und Sparprogrammen –Streiflichter Teil I –<br />
Wolfgang Lobeda, Gerhard Sielski u.a.<br />
Schule in Europa zwischen PISA und Sparprogrammen – Streiflichter Teil II - Zur<br />
Bildungsprogrammatik linker Kräfte in europäischen Ländern<br />
INFORMATION – DOKUMENTATION Bildungspolitik 1/2006<br />
Bildungspolitische Aussagen von CDU,CSU,SPD, FDP und Bündnis90/<strong>Die</strong> Grünen<br />
Werner Kienitz<br />
Für eine Schulreform von Skandinavien lernen? Ja, aber sehen, wie es dort anfing.<br />
Volker Hoffmann, Edgar Günther-Schellheimer<br />
Zum 120.Geburtstag von A.S.Makkarenko<br />
Preis je Broschüre 1,50 Euro<br />
Erhältlich bei: BAG Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE,<br />
Kleine Alexanderstraße 28<br />
10178 Berlin<br />
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ZUKUNFTSWERKSTATT<br />
LINKE BILDUNGSPOLITIK<br />
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,<br />
die „Zukunftswerkstatt LINKE BILDUNGSPOLITIK“ ist das Mitteilungsheft der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Bildungspolitik beim Parteivorstand der Partei DIE LINKE.<br />
In ihm wird aus linker Sicht zu bildungspolitischen Themen Stellung genommen. Analysen,<br />
Positionen, Entwürfe, Streitpunkte und Informationen über Aktivitäten der Partei DIE LINKE,<br />
ihrer Abgeordneten in den Ländern geben einen Einblick in bildungspolitische Diskussionen,<br />
Positionen und Forderungen sowie Erfahrungen in der Arbeit der auf bildungspolitischem<br />
Gebiet Tätigen, neuerlich auch in Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen.<br />
Wir wenden uns damit an einen breiten Leserkreis von Bildungsaktivisten, Pädagogen,<br />
Wissenschaftlern, Studenten, Eltern, Schülern und bildungspolitisch Interessierten.<br />
Unsere Leser sind aufgerufen, unser Blatt mit Artikeln, Kritiken und Verbesserungsvorschlägen<br />
mit zu gestalten. Es erscheint mindestens 4x im Jahr.<br />
Unsere Bunte Reihe begleitet das Heft mit bildungspolitischen Themen aus der Feder von<br />
Bildungspolitikern und Erziehungswissenschaftlern.<br />
Das Heft wird von einer ehrenamtlichen Redaktion gestaltet, wie auch die Autoren auf ein<br />
Honorar verzichten.<br />
Unsere Anschrift:<br />
Parteivorstand der Partei DIE LINKE<br />
Ansprechpartnerin: Maritta Böttcher<br />
Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin<br />
Tel.:030/24009615<br />
E-Mail: maritta.boettcher@die-linke.de<br />
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Ich möchte:<br />
o Ein Probe-Exemplar Ich spende für die<br />
o Alle Ausgaben Zukunftswerkstatt 10 € / 20 €<br />
• Zusätzlich …..Exemplare zur Werbung<br />
Spendenkonto:<br />
Name, Vorname: ............................................. Parteivorstand der Partei DIE<br />
LINKE<br />
Konto - Nr.: 4384840000<br />
Straße: ………………………………………………………… BLZ: 100 200 00<br />
Berliner Bank AG<br />
PLZ: ...................... Ort: …………..………........ Kennwort: Bildungspolitik<br />
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