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3 disput - Die Linke

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Kinderkacke<br />

Von Jens Jansen<br />

Manches in unserem Land<br />

stinkt. Wenn ein Ölscheich<br />

200 Kampfpanzer<br />

für fi nstere Pläne bestellt,<br />

dann fehlt es hier<br />

weder an Geld noch an Material oder<br />

Fachkräften, dann wird geliefert. Wenn<br />

aber 30.000 zusätzliche Kitaplätze<br />

und 5.000 Betreuer gebraucht werden,<br />

dann fehlt es an Baugrund, an Geld, an<br />

Zeit und ausgebildeten Leuten. Drum<br />

hat die Familienministerin schlafl ose<br />

Nächte, denn ab 1. August im Wahljahr<br />

2013 müssen statt 750.000 womöglich<br />

780.000 oder mehr Kitaplätze bereitstehen.<br />

Sonst droht eine Klagewelle,<br />

die nur mit den Hartz-IV-Protesten zu<br />

vergleichen ist.<br />

Komisch, dass in einem Land, wo jeder<br />

drei Taschenrechner hat, kein Minister<br />

ausrechnen kann, wie viele Kinder<br />

wie viele Plätze<br />

brauchen! Warum<br />

haben wir bei vielen<br />

menschlichen Grundrechten<br />

die Taschen<br />

leer und die Hosen<br />

voll?<br />

Als der »Gen-Forscher«<br />

Sarrazin sein<br />

Buch »Deutschland<br />

schafft sich ab« veröffentlichte,<br />

hatten Millionen Leser das<br />

bange Gefühl, dass der Niedergang des<br />

Vaterlandes in den Aufnahmeheimen<br />

für Migranten beginnt. In Wahrheit beginnt<br />

er aber in unseren Schlafzimmern.<br />

Da wurden im vorigen Jahr zwar<br />

663.000 Kinder gezeugt, aber zumeist<br />

von Einwanderern und dennoch 2,2<br />

Prozent weniger als im Vorjahr. Der biblische<br />

Auftrag »Seid fruchtbar und mehret<br />

euch!« verkam in Deutschland unter<br />

überwiegend christlicher Herrschaft<br />

zur »Ein-Kind-Ehe«. <strong>Die</strong> Bundesstatistik<br />

präzisiert: 1,3 Kinder je Paar ist in Mode.<br />

Wenn aber der Drang von außen stärker<br />

ist als der Drang unter unseren Bettdecken,<br />

dann müssen die einheimischen<br />

Ureinwohner zur Minderheit werden.<br />

Was ja kein Nachteil sein muss, wie viele<br />

angesehene Staaten beweisen, auch<br />

wenn sich die Nazis vor Angst in die Hose<br />

machen.<br />

Nun stehen den gebärfähigen deutschen<br />

Müttern inzwischen die 40-jährigen<br />

Großmütter zur Seite, indem sie<br />

erneut für Nachwuchs sorgen. Deren<br />

Mütter sind in dem engen Bewährungsfeld<br />

der fünf »K« großgeworden: Küche,<br />

Keller, Kinder, Kirche, Klatschpresse.<br />

Aber dann kam 1948 östlich der Elbe<br />

der Geist von Clara Zetkin zum Erfolg<br />

und 1968 westlich der Elbe die Rebellion<br />

mit Alice Schwarzer. Danach wuchs<br />

aber im Westen ein neuer Zaun mit anderen<br />

Prioritäten: Karriere, Konto, Klein-<br />

haus, Kontinentalreise, Cabrio. Da war<br />

dann für viele Paare die Kinderkacke<br />

ein lästiger Klebstoff. Im Osten verhalfen<br />

die Kinder schneller zu einer Wohnung<br />

und die Kitas zu Muttis Entfaltung<br />

im Berufsleben.<br />

Noch heute zeigt ein Blick auf die Krisenkarte<br />

der Familienministerin, wo die<br />

Kinder Könige wurden: Von den 16 Bundesländern<br />

haben sieben die derzeit<br />

geplante Betreuungsquote für Kinder<br />

unter drei Jahren überboten. Das sind<br />

Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg<br />

und Sachsen-Anhalt mit über 50<br />

Prozent und Sachsen, Thüringen, Berlin<br />

und Hamburg mit etwa 40 Prozent. Der<br />

Rest liegt zwischen 20 und 30 Prozent.<br />

Da ist nun dicke Luft in den Jugendämtern<br />

und Rathäusern wegen der nicht<br />

entsorgten Kinderkacke.<br />

Der »marode Osten« hatte also –<br />

fast geräuschlos – vor Jahrzehnten bewältigt,<br />

was »Großdeutschland« heute<br />

noch schmerzhafte Blähungen bereitet.<br />

Und da 1990 den »befreiten Frauen« in<br />

Neufünfl and das Kinderkriegen schnell<br />

verging und sie als hochqualifi zierte<br />

Lohndrücker im Westen auf Jobsuche<br />

gehen mussten, wurden viele betriebliche<br />

und kommunale Kitas geschlossen.<br />

<strong>Die</strong> DDR hatte 7.400 Krippen für<br />

345.000 Kleinkinder. Da wurden 75 Prozent<br />

der unter 3-Jährigen für 20 bis 25<br />

Mark monatlich betreut. Der Staat musste<br />

350 Mark pro Kind und Monat draufzahlen.<br />

<strong>Die</strong> pädagogische, medizinische<br />

und hauswirtschaftliche Betreuung<br />

der Knirpse war es ihm wert. Hinzu<br />

kamen eine Million 3- bis 6-Jährige,<br />

die tagsüber in den Kindergärten waren.<br />

Das waren 93 Prozent der betreffenden<br />

Jahrgänge, die von 85.000 qualifi zierten<br />

Pädagogen und Helfern umgeben<br />

waren. Das kostete Milliarden. Aber diese<br />

Mühe trug goldene Früchte durch die<br />

Einsatzbereitschaft der Eltern und die<br />

Entwicklungschancen der Kinder. <strong>Die</strong><br />

deutsche Vereinigung bot die Chance,<br />

diese Erfahrungen zu analysieren statt<br />

zu ignorieren und zu diffamieren. Aber<br />

das war den altdeutschen Sittenwächtern<br />

zu teuer.<br />

Nun erscheinen im 10-Punkte-Plan<br />

der Familienministerin auf Anregung<br />

von Arbeitgeberpräsident Hundt sogar<br />

»Betriebskindergärten« als wünschenswert.<br />

Der Mann kann rechnen. Da die Gewinne<br />

im letzten Jahrzehnt nur um 30<br />

Prozent anstiegen und die Reallöhne gar<br />

um vier Prozent sanken, kann beiden<br />

Seiten geholfen werden, wenn die Kinderkacke<br />

mit der CSU-Herdprämie lieber<br />

umgeleitet wird in den überfälligen<br />

Ausbau der Kitas. Das kleine Glück der<br />

Familie verlangt das große Glück einer<br />

menschenfreundlichen Gesellschaft!<br />

9 DISPUT August 2012 FEUILLETON

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