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Gugge, da had sich widder<br />
eener verfahrn«, vermutet<br />
in breitem Sächsisch ein<br />
Mann an der Rathausecke,<br />
um dann zu staunen: »Ooch<br />
noch aus Berlin!«<br />
Irrtum vorm Amt. Denn der Besucher<br />
wurde erstens von Bornas Oberbürgermeisterin<br />
ausdrücklich eingeladen; und<br />
zweitens stammt er eigentlich aus dem<br />
entfernten Stuttgart, und eben dies bestimmt<br />
seine Reisemotivation: Bernd<br />
Riexinger will den Osten näher kennenlernen<br />
– umfassender als früher gewerkschafts-dienstlich<br />
oder später touristisch<br />
auf dem Saale-Radweg. Er will<br />
verstehen, wie DIE LINKE in den neuen<br />
Bundesländern wirkt und in der Bevölkerung<br />
ankommt.<br />
Seit 2008 ist Simone Luedtke (geboren<br />
übrigens in München und aufgewachsen<br />
unweit vom Rhein!) im Amt.<br />
An diesem 6. August trägt sie ein rotes<br />
ärmelloses Kleid, darüber eine Jeansjacke.<br />
Praktischer Chic. Im Rathaus<br />
spricht die 41-Jährige über ihre Arbeitsbedingungen<br />
als LINKE: »Wir haben die<br />
meisten Abgeordneten, aber die Mehrheit<br />
haben wir nicht.« Folglich müsse im<br />
Stadtrat nach Kompromissen gesucht<br />
werden. Gefunden würden sie des Öfteren<br />
mit der SPD und zuweilen sogar mit<br />
der FDP, Fundamentalopposition mache<br />
allein die CDU.<br />
Bornas Probleme klingen ostbekannt:<br />
der Wegbruch der Industrie nach<br />
der Wende und der Wegzug vieler Fachleute,<br />
kaum neue Arbeitsplätze, eine<br />
enorme Arbeitslosigkeit, zahlreiche<br />
Pendler nach Leipzig und Chemnitz ...<br />
Vor Urzeiten wurde der Ort berühmt<br />
durch seine Zwiebeln (»Zwiebel-Borna«),<br />
danach durch die Braunkohle mit<br />
PARTEI<br />
Nach dem Stadtrundgang mit Oberbürgermeisterin<br />
Simone Luedtke (im Foto<br />
Seite 7, unten rechts) hörte sich der Gast<br />
an, was Abgeordneten sowie weiteren<br />
Mitgliedern des Kreisverbandes an Erfahrungen<br />
und Standpunkten wichtig ist.<br />
all ihren Wirkungen. Bornas Ruf war entsprechend.<br />
Nach ‘90 verschwanden hier<br />
30.000 Arbeitsplätze. Gleichwertiger Ersatz<br />
fehlt, selbst wenn vom Aussichtspunkt<br />
Schleenhain (Foto Seite 4) die<br />
wohl noch langfristigen Förderfelder beeindrucken<br />
(und manche auch: bedrücken).<br />
Andererseits beginnt nur wenige<br />
Kilometer weiter eine riesige Seen-Landschaft,<br />
erwachsen aus einstigen Kohle-<br />
Löchern. Eine Region im Umbruch. <strong>Die</strong><br />
Kumpeltradition indes überlebt: In Borna<br />
heißt eine Kneipe »Glück auf!«, und<br />
als die Einwohner nach dem Namen für<br />
die tolle Sporthalle gefragt werden, entscheiden<br />
sie sich für: Glück auf!<br />
Glück allein reicht nicht. Immer wieder<br />
geht’s in den Kommunen um Kohle<br />
anderer Art. Entweder man hat sie oder<br />
man hat sie nicht – und kann, irgendwie,<br />
an sie rankommen fürs Gemeinwohl.<br />
In Luedtkes Amtszeit hat die Stadt<br />
Investitionen von mehr als 40 Millionen<br />
Euro getätigt. Einsamer Stadtrekord. Alles<br />
mit Fördermitteln. Für nachhaltige Effekte<br />
und ohne unabwägbare Risiken:<br />
»Ich bin Bilanzbuchhalterin, ich bin Betriebswirtin<br />
– ich weiß, wovon ich rede.«<br />
Zur Bestätigung fährt die Oberbürgermeisterin<br />
mit ihrem Besuch zum Neubau<br />
einer Grundschule, zum sanierten<br />
Gymnasium, zu jener Mehrzweck-Sporthalle<br />
und zum ebenso neuen Schwimmbad.<br />
Von den Investitionen fl oss fast al-<br />
les ins Soziale (und fast nichts in den<br />
Straßenbau).<br />
Solange sie Ideen habe, möchte Simone<br />
Luedtke Rathauschefi n bleiben.<br />
Momentan umtreibt sie der Gedanke,<br />
die Leipziger Eishockeymannschaft zum<br />
Umzug nach Borna zu locken. Das wäre<br />
doch was. <strong>Die</strong> Stadt sucht nach Perspektiven,<br />
ein besserer Ruf hilft. 2013<br />
soll erstmals eine »Zwiebel-Königin«<br />
gewählt werden. Glück auf!<br />
Bernd Riexinger zeigt sich beeindruckt.<br />
Er sagt, nicht allein gegenüber<br />
den Medien: Hier sieht man, DIE LINKE<br />
kann rechnen und verantwortungsbewusst<br />
gestalten. Zugleich macht er deutlich,<br />
dass die Kommunen auf standhafte<br />
fi nanzielle Füße gestellt werden müssen.<br />
Das Öffentliche als Bestandteil der<br />
Sozialpolitik und der Demokratie.<br />
Befragt nach seinen, sozusagen<br />
übergreifenden, Eindrücken im Osten,<br />
verweist Riexinger vor allem auf die<br />
mehr als 30 Prozent Abstand bei den<br />
Löhnen zu denen im Westen und auf die<br />
ungleichen Renten – mehr als 20 Jahre<br />
nach der Einheit. Ein Unding!<br />
Der Kreisverband der LINKEN Westsachsen<br />
vereint 700 Mitglieder. Fast<br />
hundert von ihnen drängt es am Abend<br />
ins Bürgerhaus, sie wollen dem Vorsitzenden<br />
ihre Meinung sagen und seine<br />
hören. Ein Wunsch, den vorher Kommunalpolitiker,<br />
Abgeordnete, zwei Kreisvorsitzende<br />
sowie die frisch gewählte<br />
Landrätin aus Altenburg (Thüringen) ins<br />
Bürgerbüro mit dem schönen Namen<br />
»Ständige Vertretung« zusammengeführt<br />
hat. Was sie mitteilen, klingt zwischen<br />
Sorge und Hoffnung. So bei Frank<br />
Feldmann, Bergmann a.D. und seit 1990<br />
im Stadtrat: »Nach dem Parteitag fi el mir<br />
ein Stein vom Herzen. Warum? Ich hatte<br />
DISPUT August 2012 6